PferdeWoche Nr. 10/2021
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PFERDEWOCHE | 10. März 2021 Aktuell | 5
Totalversagen
auf allen Ebenen
Anfang März hatte Linn Rasmussen, Redakteurin beim Reitsportmagazin
in Hannover, die Möglichkeit, mit Betroffenen des Herpesvirusausbruchs
in Valencia (ESP) zu sprechen. Die übereinstimmenden Aussagen deuten
auf massives Versagen von Veranstaltern und Verbänden hin.
Florian Brauchli
Axel Milkau ist Präsident des
Pferdesportverbandes Hannover
und Veranstalter des Turniers
«Braunschweig Classico». Zusammen
mit seinem Geschäftspartner,
dem Reiter und Pferdehändler
Hilmar Meyer hatten sie
über 70 Pferde am Turnier in Valencia.
Milkau weilt in Deutschland,
koordiniert «Hilfslieferungen»,
vermittelt zwischen Parteien
und leistet bei seinen Leuten
auch psychologische Hilfe.
«Ich wähle meine Worte bewusst,
es ist wirklich wie in einer Kriegssituation.
Pferde gehen elend zugrunde
und die Pfleger und Reiter
versuchen verzweifelt, so viele
wie möglich zu retten», berichtet
Milkau im Interview. «In den ers -
ten zehn Tagen waren für 75 infizierte
Pferde nur zwei Tierärzte
vor Ort und es fehlte an medizinischem
Material.» Dieses organisierte
er nun selbst, liess Medikamente,
Spritzen, Kanülen und
Helfer aus seinem Verband nach
Spanien fliegen, um die Leute vor
Ort zu unterstützen. «Sie fühlen
sich alleine gelassen. Es war eine
panische und aggressive Stimmung.
Wir haben auch Tierärzte
aquiriert, dass mehr Pferden besser
geholfen werden kann.
Bewusste Vertuschung?
PSVH-Präsident und Turnierveranstalter Axel Milkau (kleines Bild)
und Reiter Hilmar Meyer. Fotos: Stefan Lafrentz
Axel Milkau klagt an – die ersten
Herpes-Verdachtsfälle gab es
schon Anfang Februar. Bereits
am 19. Februar traten die ersten
Fieberfälle auf und niemand
hätte reagiert. Am 20. Februar
musste der erste Vierbeiner in die
Klinik. «Erst am 22. Februar kam
ein Verbandstierarzt von der spanischen
FN. Der Veranstalter hat
die ersten Fälle einfach ignoriert,
das Turnier weitergeführt und
keine Massnahmen ergriffen.»
Ein Krisenmanagement sei inexis -
tent, sie bekämen weder Hilfe
noch Unterstützung. Und auch an
der FEI lässt Milkau kein gutes
Haar. «Die Medienmitteilung
von Anfang März ist völlig falsch.
Ich kann sicher sagen, dass nicht
21 Tierärzte auf dem Turnierplatz
sind, sondern nur acht. Der spanische
Verband liess erst gar keine
ausländischen Tierärzte auf das
Gelände, erst nach stundenlangen
Diskussionen.» Auch die Hilfslieferungen,
die die FEI beschrieb,
seien ein Witz. «Es hiess, es seien
Boxen und Schutzschlagmatten
geliefert worden. Die Boxen sind
2,5 mal 2,5 Meter gross, also viel
zu klein. Die Matten waren solche,
wie man sie aus Turnhallen
kennt, mehr nicht. Zudem sind
die Stallzelte nicht richtig im Boden
verankert und haben Löcher
im Dach. Wenn hier ein Sturm
aufzieht, gibt es die nächste Katas -
trophe.» Sie hätten vor Ort alles
in Bild und Ton festgehalten und
Zeugenaussagen aufgenommen,
erklärt Milkau. Er freue sich über
die riesige Solidaritätswelle, die
losgetreten wurde. Mittlerweile
hat er sogar eine Spedition gefunden,
die kostenlos weitere Hilfsgüter
nach Spanien bringt.
Viel zu spät reagiert
Auch Hilmar Meyer, der nach wie
vor vor Ort ist, ist besorgt und wütend.
Mittlerweile sei zwar alles
etwas besser organisiert und koordiniert.
Aber weiterhin gäbe es
keine Hilfe vom Veranstalter.
«Am 2. März wurde der Stall -
meis ter vom OK rausgeworfen,
weil er sich zu sehr auf die Seite
der Reiter gestellt hätte und versuchte,
so vielen Pferden wie
möglich zu helfen», verrät der
Reiter. Die Pfleger seien am Anschlag,
es werde bald an Heu und
Stroh fehlen. «Wir sind als Gäste
an ein FEI-Turnier gekommen
und nun müssen Pfleger und Reiter
selbst Boxen aufbauen, weil es
sonst niemand macht. Das habe
ich in meinen Leben noch nie gesehen.
Wir versuchen, die Pferde
so gut wie möglich zu trennen, damit
sich nicht noch mehr anstekken.»
Auch Meyer weiss, dass es
bereits Anfang Februar erstmals
Anzeichen für die Katastrophe
gab. «Der Veranstalter hat die
ers ten Fälle verheimlicht. Der
Turnierabbruch am 21. Februar
war eine ganz schwache Nummer.
Die Veranstaltung hätte bereits
eine Woche früher abgebrochen
werden müssen. Dann hätten wir
die Chance gehabt, noch einige
gesunde Pferde wegzubringen.»
Den Reitern, die frühzeitig
abreis ten, macht er aber keinen
Vorwurf. «Alles lief korrekt ab,
denke ich. Die haben gespürt,
dass etwas nicht stimmt. Ich wäre
ja auch nach Hause gefahren,
wenn meine Pferde kein Fieber
gehabt hätten.» Auch wenn die
Krise einmal überstanden ist,
wird es noch nicht vorbei sein.
Denn was Meyer ganz genau
weiss: «Ich habe mit zahlreichen
Reitern und Besitzern gesprochen
und wir haben auch bereits
Anwälte hinzugezogen. Das wird
Konsequenzen haben!»