Tradition als Verpflichtung - Nordhäuser Wochenchronik
Tradition als Verpflichtung - Nordhäuser Wochenchronik
Tradition als Verpflichtung - Nordhäuser Wochenchronik
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Seite 2 | Nr. 14 | 24. Juli 2010 Bleichröder ECHO | wochenchronik@arcor.de<br />
Der letzte „Bürgermeister der ersten Stunde“ geht in den Ruhestand:<br />
Ein Kapitän ging von Bord<br />
1993: In Hainrode werden Zertifikate verteilt: Nun sind sie tatsächlich „Bürgermeister nach bundesdeutschem<br />
Muster“<br />
Sollstedts Karnev<strong>als</strong>präsident<br />
kleidete es, so wie es ihm zukommt,<br />
„karnevalistisch“ nach<br />
seinen Abschiedsworten in eine<br />
symbolische Handlung: Er setzte<br />
Bürgermeister a.D. Jürgen Hohberg<br />
eine Kapitänsmütze auf, denn<br />
„bei der Kreuzfahrt, zu der Jürgen<br />
Hohberg demnächst aufbrechen<br />
wird, dürfte schon klar sein,<br />
dass er bald der Kapitän des Schiffes<br />
sein wird“. Es steckte mehr<br />
<strong>als</strong> nur ein Körnchen Wahrheit in<br />
diesem Gag: Jürgen Hohberg hatte<br />
das Ruder in seiner Gemeinde<br />
stets fest in der Hand – 20 Jahre<br />
lang – und zeigte in vielerlei Funktionen<br />
auch über seine Gemeinde<br />
hinaus stets, dass er „kursbestimmend“<br />
sein konnte. In der großen<br />
„Abschiedsgala“ am 13.Juli in der<br />
Sollstedter Festhalle („Eine so volle<br />
Festhalle hätte ich mir während<br />
meiner Amtszeit des Öfteren bei<br />
Gemeinderatssitzungen oder Bürgerversammlungen<br />
gewünscht“<br />
– Hohberg in seinen Dankesworten))<br />
zeigte sich, dass ihm auch<br />
jene nicht den Respekt versagten,<br />
denen er mitunter „auf die Füße<br />
trat“ – nicht, um ihnen weh zu tun,<br />
sondern um diesen Füßen eine bestimmte<br />
Richtung vorzugeben und<br />
zu einer schnelleren Gangart zu<br />
verhelfen! Wie das auch über die<br />
eigene Gemeinde hinaus von Bedeutung<br />
war, erwähnte seine langjährige<br />
Stellvertreterin, Frau Eisenhuth<br />
(„über viele Jahre wurde<br />
mir die Ehre und Bürde zuteil, <strong>als</strong><br />
Deine Vertretung im Amt zu agieren“)<br />
am Beispiel des Auftretens<br />
von Jürgen Hohberg vor dem<br />
Bundesverfassungsgericht, nachdem<br />
die letzte DDR-Regierung die<br />
Energieversorgung an die bundes-<br />
Herzlich ist der Abschied. Nicht immer so herzlich war der Arbeitsalltag<br />
deutschen Stromriesen verhökert<br />
hatte und 164 Kommunen dagegen<br />
klagten: „Du hattest <strong>als</strong> einer<br />
von drei Bürgermeistern die Aufgabe,<br />
dies den Herren in den roten<br />
Roben in der mündlichen Verhandlung<br />
klarzumachen. Dass Dir<br />
das sehr gut gelungen ist, konnte<br />
man daran sehen, dass maßgeblich<br />
durch Deinen emotionalen<br />
Vortrag bei den Verfassungsrichtern<br />
ein Umdenken erfolgte und<br />
sie einen Vergleichsvorschlag unterbreiteten,<br />
mit dem letztlich alle<br />
einverstanden waren. Davon profitieren<br />
wir noch heute, indem wir<br />
jährlich Dividende aus dem uns<br />
zugesprochenen Aktienkapital des<br />
Stromkonzerns e-on erzielen….“<br />
Aber dann natürlich auch das:<br />
„Wenn jemand das Amt eines<br />
Bürgermeisters über 20 Jahre innehat,<br />
hat er sich naturgemäß<br />
nicht nur Freunde gemacht. Über<br />
die Jahre hinweg mehren sich die<br />
Feinde, denn „Wohltaten“ werden<br />
gern genommen, aber meist<br />
<strong>als</strong> selbstverständlich angesehen.<br />
Gegenteiliges bleibt hartnäckig im<br />
Gedächtnis haften. Insofern war es<br />
wohl eine richtige Entscheidung,<br />
es mit den 20 Jahren sein Bewenden<br />
zu lassen und mehr auf Deine<br />
Gesundheit zu achten. 20 Jahre unter<br />
Voilldampf haben zwangsläufig<br />
ihre Spuren hinterlassen…..“<br />
Und es waren ja nicht nur diese<br />
20 Jahre, die Spuren hinterließen.<br />
Schon 1976 trat er aus der<br />
SED aus (einer Partei, aus der man<br />
„nicht austreten konnte“) weil sie<br />
„nicht demokratiefähig“ war. Engagierte<br />
sich aber im Sollstedter<br />
Bergwerk weiter <strong>als</strong> Gewerkschaftsfunktionär.<br />
Ging denn das<br />
überhaupt? Es ging, wenn man<br />
Rückgrat hatte. Aber er war dann<br />
von neun Stasi-IM´s umgeben, die<br />
er nach der Wende aus seiner Akte<br />
namentlich kennen lernte, mit ihnen<br />
sprach, sie aber öffentlich<br />
nicht nannte.<br />
Journalisten werden ihn vermissen.<br />
Er pflegte engen Kontakt mit<br />
ihnen – auch sonntags und nachts<br />
(!) – redete ihnen aber nie in ihre<br />
Arbeit hinein, konnte auch Kritik<br />
vertragen. Dem Redakteur<br />
des „Bleicheröder Echo“ verlieh<br />
er Ende vergangenen Jahres<br />
feierlich den „Sollstedter Bären“<br />
– ein schweres Gebilde mit<br />
dem Sollstedter Wappen und vier<br />
Messingplaketten am Fuß mit der<br />
Widmung „20 Jahre qualifizierte<br />
Pressearbeit zum Nutzen der<br />
Kommunen“. Nur in einem Punkt<br />
war und ist er intolerant: „Du<br />
musst nicht unbedingt Anhänger<br />
von Bayern München sein, wenn<br />
Du es nicht willst. Hauptsache, Du<br />
bist nicht Anhänger von Werder<br />
Bremen….“<br />
Mit Jürgen Hohberg trat der letzte<br />
Vertreter einer „ganzen Bürgermeistergeneratin<br />
der Wendezeit“<br />
ab. Wir werden ihn vermissen- in<br />
jeder Hinsicht….!<br />
Gottfried Hoefert, Ehrenbürger von Sollstedt, verlas einen Zeitungsbeitrag<br />
aus der Wendezeit. Verfasser war der heutige Redakteur<br />
des „Bleicheröder Echo“<br />
Die „Bürde der Amtsvertretung“ fällt ab, am Ende war es nur „Ehre“<br />
Grüße und beste Wünsche für den weiteren Lebensweg von den<br />
Vertretern der Stadt Bleicherode. Fotos: Seifert