Broschüre zusammen:spielen Projektjahr 2020/21
Endlich ist sie da! ZUSAMMEN:SPIELEN 2020/21 – die Online-Broschüre gibt Einblicke in das erste Projektjahr der Künstlerischen Kollektive des Theater o.N.! Über ein Jahr lang haben Schüler:innen zweier Schulen in Oberschöneweide und im Wedding gemeinsam mit Künstler:innen in kleinen Gruppen erprobt, was Theaterkunst sein kann und daraus Performances entwickelt. Viel Spaß mit Bildern, Berichten und Beteiligten!
Endlich ist sie da! ZUSAMMEN:SPIELEN 2020/21 – die Online-Broschüre gibt Einblicke in das erste Projektjahr der Künstlerischen Kollektive des Theater o.N.!
Über ein Jahr lang haben Schüler:innen zweier Schulen in Oberschöneweide und im Wedding gemeinsam mit Künstler:innen in kleinen Gruppen erprobt, was Theaterkunst sein kann und daraus Performances entwickelt.
Viel Spaß mit Bildern, Berichten und Beteiligten!
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ZUSAMMEN:SPIELEN
Die Künstlerischen Kollektive des Theater o.N. in Oberschöneweide und im Wedding
Kollektive & Performances 2020 | 2021
Das Projekt wird gefördert von der »Aktion Mensch« und der Stiftung Berliner Sparkasse.
INHALT
06
10
KOLLEKTIVE:
KOLLEKTIVE: WEITERENTWICKLUNG
04 ÜBER
AUSGANGSPUNKT
DAS PROJEKT
16 ALLE
WEG!
12 WETTERLEUCHTEN
20 LASS
MAL TREFFEN
30 -
24 PORTRAITS
WIE EINE WAND DAZWISCHEN
ILLUSTRIERTES INTERVIEW MIT IDUNA HEGEN & ADELHEID WIESER
36 -
34
NEBELDUNST MORGENS IN DER HEIDE
- PROBENTAGEBUCH VON GEORG DIRLACK
KOMPROMISSLOS IM HIER & JETZT
BEOBACHTUNGEN ZUR KLEINSTEN THEATERMASKE DER WELT VON JULIA GOTZMANN
40 TEAM
VORHANG AUF
ÜBER DAS PROJEKT
zusammen:spielen
Die Künstlerischen Kollektive des Theater o.N. starten
in Oberschöneweide und im Wedding
Im September 2020 startete ein neues Projektformat des Theater o.N. in Oberschöneweide und im Wedding: die Künstlerischen
Kollektive. In diesem Format bilden wir pro Spielzeit an zwei Berliner Schulen insgesamt vier Kollektive, in denen ein Team
aus Künstler:innen und Pädagog:innen mit jeweils maximal sechs Kindern und Jugendlichen zusammen arbeiten. Die allgemeinen
Maßnahmen zur Bewältigung der Corona-Pandemie in 2020/21 führten jedoch dazu, dass die direkten Kontakte
und gemeinsamen Proben mehrere Monate nur eingeschränkt stattfinden konnten oder für viele Wochen gänzlich entfielen.
Aus der herausfordernden künstlerischen Arbeit des ersten Projektjahres sind dennoch drei 15minütige Performances entstanden,
die im Frühsommer 2021 an der Albatros-Schule, einem Pflegeheim und auf dem Abenteuerlichen Bauspielplatz
Kolle 37 gezeigt wurden. Die vorliegende Broschüre soll einen Einblick geben in die künstlerische Arbeit der Kollektive.
Viel Spaß!
04
Das Projekt
Lange bevor wir dieses Projekt starteten,
haben wir Theaterkunst mit
Kindern und Jugendlichen in Bezirken
an den Rändern der Stadt Berlin
gemacht. Die jungen Menschen, mit
denen wir dort arbeiteten, probierten
das allererste Mal Theater aus. Oft
haben wir sie dazu überredet. Wenn
man etwas das erste Mal macht,
braucht man Mut und jemanden, der
an einen glaubt und manchmal auch
gut zuspricht. Dazu braucht man auch
Zeit, Neugier, Möglichkeiten, Inspiration,
einen Raum, Geduld und Mitspieler:innen,
denen man vertrauen kann und
von denen man ernst genommen wird.
Deshalb haben wir zusammen:spielen,
die Künstlerischen Kollektive, entwickelt.
In diesem Projekt erproben und machen
wir Theater in kleinen Gruppen mit viel
Zeit. Gemeinsam mit den Künstler:innen
erarbeiten und zeigen die jungen Spieler:innen
eine 15minütige Performance
in dem Kiez, in dem sie zu Hause sind
und an zwei Berliner Theaterhäusern.
Die Suche nach unseren jungen Mitspieler:innen
in der Pilotphase 2020-2022
startete an zwei Schulen. Zum einen
an der Albatros-Schule Berlin in
Oberschöneweide, einem Sonderpädagogischen
Förderzentrum mit
dem Förderschwerpunkt „Geistige
Entwicklung“. Zum anderen an der
Willy-Brandt-Schule im Wedding, einer
Integrierten Sekundarschule.
An jeder Schule entstanden zwei Kollektive
zu jeweils unterschiedlichen
Themen. Unterstützt von einer pädagogischen
Begleitung arbeiteten eine
Clownin, ein Tänzer, eine visuelle
Künstlerin und ein Duo bestehend aus
einer Schauspielerin und einer Kostümbildnerin
gemeinsam mit ihren Schüler:innen
an einer Performance.
Unsere Vision von den Künstlerischen
Kollektiven ist, dass sich in den ersten
Monaten alle in der Kollektivgruppe
besser kennenlernen. Dabei können
sie ausprobieren, welche Arbeit am
Theater ihnen Spaß macht und welche
Themen sie gerade beschäftigen. Später
sollte der/die Künstler:in aus den
Probenerfahrungen der ersten Monate
eine Idee für eine Performance entwickeln
und sie den anderen vorstellen.
Allen muss die Idee Spaß machen,
denn am Ende der Theaterspielzeit
führen die jungen Spieler:innen und
die Künstler:innen gemeinsam vor
Publikum ihr Werk auf. In dieser letzten
Phase, in der die Performanceidee
diskutiert, verändert und erprobt wird,
ist das Ziel, die Schule zu verlassen
und uns zum intensiven Arbeiten in
Probe- und Tanzräumen in der Nähe
einzumieten. Die mobilen Performances
werden zusätzlich zum Theater o.N.
und einem weiteren Theater an Orten
im Kiez der teilnehmenden Kinder
und Jugendlichen gezeigt, an denen
normalerweise keine Theaterkunst
stattfindet.
Aufgrund der besonderen coronabedingten
Situation in 2020/21 war
es leider nicht möglich, das Projekt
vollumfänglich so umzusetzen, wie
es in unserer idealen Welt gedacht
war. Die gemeinsamen Proben vor Ort
mussten wir früh in Phase 1 einstellen.
In Folge dessen hielten die Kollektive
auf unterschiedliche Art und Weise
Kontakt, loteten digitale Proben- und
Rechercheformate aus und sprachen
sich gegenseitig Mut und Hoffnung zu.
Erst spät in Phase 2 waren, zumindest
an der Willy-Brandt-Schule, wieder
persönliche Treffen möglich. Somit
sind die letztendlich drei entstandenen
Performances ein Spiegelbild dieser
besonderen und herausfordernden
Zeit. Während in „Lass mal treffen“
Julie, Mislina, Shahd und Zeynep
das Publikum an ihren Lieblingsort
entführten, berichtete in „Alle weg!“
die Künstlerin des Kollektivs von den
abwesenden Schüler:innen und deren
Isolation zur Zeit des Lockdowns.
„Wetterleuchten“ war eine Versuchsanordnung,
die einen Beteiligungsraum
für die Kinder und Jugendlichen im
Moment der Aufführung entstehen ließ.
Gefördert wird das Projekt durch die Aktion
Mensch und die Stiftung Berliner Sparkasse.
05
KOLLEKTIVE
AUS
06
GANGSPUNKT
07
CLOWN UND
KONTAKT
Wie können wir uns mit Abstand berühren?
Wie können wir uns mit KONTAKTsperre berühren?
Wie fühlt es sich an, keinen Kontakt zu haben?
Wie sieht es aus, wenn kein Kontakt besteht?
Wie berührt der Clown? Wie stellt der Clown Kontakt her?
Wie scheitert der Clown an Kontaktsperren?
Wie überwindet der Clown Kontaktsperren?
TANZ
TANZ
In diesem Kollektiv erforschen wir die vier Elemente mit dem Körper. Wie bewegt sich unser Körper
mit einer Idee von Feuer, Wasser oder Luft bzw. Wind? Was verbinden wir mit den Elementen?
Wasser: Widerstand, führen & folgen
Luft: Gewicht, Balance
Erde: Körpermitte, Schwerkraft
Feuer: Geschwindigkeit, Rhythmus
08
LET‘S PLAY
Warum spielen Menschen und womit – heute wie damals?
Was macht analoges und digitales Spielen mit uns?
Wie fühlen wir uns,
wenn wir aktiv oder passiv sind beim Spielen?
Wann sind wir Darsteller:innen, wann Zuschauer:innen?
Wo beginnt Theater?
Wer sind wir? Wer wollten wir schon immer einmal sein?
LIEBLINGSORTE
Was ist ein LIEBLINGSORT von mir?
Und was wäre, wenn der Ort ein Duft wäre?
Wie könnte er schmecken?
Wie klingt er?
Wie fühlt er sich in den Fingern an?
09
KOLLEKTIVE
10
&
WEITER-
ENTWICKLUNG
11
WETTERLEUCHTEN
Eine Performance
Wie gelingt Kontakt trotz DisTanz?
Wie beeinflussen die Elemente unsere Begegnungen?
Wie verbinden wir uns miteinander aus der Ferne?
Für diese Performance haben sich die Künstler:innen und Pädagog:innen der beiden Kollektive an der
Albatros-Schule zusammengeschlossen. Während der Zeit des coronabedingten zweiten Lockdowns in
Deutschland war es ihnen nicht mehr möglich, zusammen mit den Kindern und Jugendlichen ihrer
Kollektive zu proben. Entstanden ist eine interaktive Performance, die damit experimentiert, über Sounds,
Klänge, Tanz, Bewegung und Clownerie Performer:innen und Publikum trotz Abstand miteinander zu
verbinden und gemeinsam das Wetter zum Leuchten zu bringen.
Idee/Konzept inspiriert durch die Probenarbeit mit Bjarne, Jan, Jasmin, Leonie, René,
Tizia, Pascal, Jaden, Alex, Marc, Julius, Friedrich, Marlin, Aileen von der Albatros-Schule
Performance/Tanz/Clownerie Kaveh Ghaemi, Julia Gotzmann, Georg Dirlack, Susanne Dill
Musik Sebastian Flaig
Bühnenbild Sophia Sigel
Dramaturgie Dagmar Domrös
Pädagogische Begleitung Susanne Dill, Georg Dirlack, Katja Firl, Steffi Homberg
12
13
14
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ALLE WEG!
Spiel · Kurzfilm · Installation
Zwei Künstlerinnen warten auf sieben Jugendliche und versuchen Kontakt zu halten in Zeiten der Pandemie.
Ein Spiel mit Maske über monotone Gedanken in Sprechblasen und Emojis, gesendet aus Berliner Kinderzimmern.
Und ein Kurzfilm über eine Ahnung davon, wie alles einmal war.
Idee/Konzept/Text inspiriert durch die Probenarbeit mit Batool, Ece, Zeynep, Batoul,
Eleftheria, Zilan und Eynur von der Willy‐Brandt‐Teamschule
Spiel Iduna Hegen
Bühne/Kostüm Adelheid Wieser
Bühnenbau Kasimir Wieser
Video Insa Langhorst (verfügbar unter: www.kuenstlerischekollektive.de)
Regie Cindy Ehrlichmann
Pädagogische Begleitung Adelheid Wieser, Jana Reulen
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LASS MAL
TREFFEN.
Eine Open-Air-Installation mit performativen
Elementen, Video und Ton
Jetzt?
Oder Nachher?
Via Zoom?
Oder doch live bei der Probe?
»Lass mal treffen« wurde eine echte Herausforderung auf der Suche nach unseren Lieblingsorten. Und haben
wir diese gefunden? Wir erzählen von unserem Leben, was wir mögen und was wir machen würden, wenn
wir Zauberkräfte hätten. Kommt vorbei und erlebt unsere Geschichten!
Performance Julie, Mislina, Shahd und Zeynep von der Willy-Brandt-Teamschule
Regie/Kunst Annea Lounatvuori
Musik/Ton/Videokunst Janne Lounatvuori
Dramaturgie Dagmar Domrös
Pädagogische Begleitung Doreen Ullmann, Heike Krowoza, Jana Reulen
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24
PORTR
AITS
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Jan
Auch wenn
man es sich nicht
vorstellen kann, aber Jans
Lieblingsfarbe ist Grau. Nach einem
herausfordernden Fußballspiel stärkt er sich
mit Senfeiern. Jan liebt Hunde, gern würde er
sich einmal in einen verwandeln. Ihm fehlt noch
ein Schlagzeug zum großen Glück. In seinem
Kollektiv konnte er Faxen machen, was ihm
besonders daran gefiel.
* 13 Jahre,
Schüler in
Oberschöneweide
26
Zeynep würde gerne
fliegen können, hoch in den
Himmel, vielleicht mag sie aus diesem
Grund die Farbe Blau so sehr. Als gute
Tänzerin schätzt sie an ihrem Lieblingstier, der
Katze, vor allem die geschmeidigen Bewegungen.
Zeynep kann man erfreuen, indem man sie zu einer
Runde Bubble Tea einlädt. Ein Sehnsuchtsort für sie,
an dem sie gern häufiger wäre, ist die Türkei.
Zeynep
* 14 Jahre,
Schülerin in Wedding
27
Wenn Julius eine
Zauberkraft hätte, dann
könnte er Feuer spucken. Er
liebt Königsberger Klopse, die
Farbe Grün und Sonnenschein.
Als guter Basketballspieler
ist er immer in Bewegung, so
wie in seinem künstlerischen
Kollektiv, an dem er das Tanzen
besonders mochte. Wenn er
nach der Schule noch Energie
hat, spielt er Federball oder er
stellt sich vor, wie es wäre, in
Paris zu sein.
Julius
* 12 Jahre, Schüler
in Oberschöneweide
28
Julie
Irgendwo in den Bergen könnte es schön sein.
Als Wölfin. Aber nicht allein. Denn Julie mag es,
Menschen um sich herum zu haben, gerade das
Zusammenarbeiten hat ihr in ihrem Kollektiv besonders
viel Spaß gemacht. Als Fußballerin, Skaterin
und Rollschuhfahrerin ist sie schnell unterwegs.
Wenn sie sich mal wieder über Leute ärgert, mit
denen man keinen Spaß haben kann, wendet sie sich
ihren Lieblingstieren, den Reptilien, zu.
* 13 Jahre,
Schülerin in Wedding
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NEBELDUNST
MORGENS IN DER HEIDE
Probentagebuch von Georg Dirlack *
1. Probe: (08.09.)
Das Kennenlernen
Aula voller Stühle, unbekannte Namen
Herantasten, vorsichtig, vielleicht schon zu viel?
Nähe gewinnen mit Abstand
Verstehen, Unsicherheit, Beobachtetsein
Scheitern, neuer Plan und weiter
geschafft, am und zu Ende
2. Probe: (15.09.)
Auf ein Neues
Erste Vertrautheit, erneutes Aufwärmen
draußen, frische Luft, keine Konzentration
also wieder rein
Runde und eckige Bewegungen, sich spiegeln
Ampel spielen, umdrehen, stehen bleiben
zu weit gegangen und wieder zurück
jetzt freeze, ganz still, Entspannung
3. Probe: (22.09.)
Erste Routine
Eine neue Vertrautheit und ein neues Kind
Nachahmen der Gefühlsbewegung
lustig, nachdenklich, energetisch, traurig
Raum vergrößern, Bänder dehnen
andere Formen finden, abstrakt sein
auf den Boden, rollen, kugeln, hocken
wie eingeschlafen, bald brausend flink
Ampel, drehen, genauere Regel
funktioniert besser, schon Schluss?
Probe 4: (29.09.)
Bewegungserkundung
Alle da, viel Gequatsche, schön warm draußen
also Fenster auf, Bänder nehmen
Räume dehnen, auf Bewegungerkundung gehen
heute ohne Rollstuhl, Tanz am Boden, wunderschön
Drehen im Kreis, geht auch ohne Matte
dann Ampelspiel, eigentlich wie immer
Probe 5: (06.10.)
Neue Musik
Heute mit Musik, Begeisterung, Bewegungsdrang
Straßenrap, Haifischlied, indische Tanzmusik
Musikvideos werden nachgespielt, Arme bewegt
Beine hochgehoben, Choreografie schon einstudiert
Probe 6 & 7: (03.11.)
Doppelprobe
Wiedersehen, Doppelprobe, viel Getobe
am Ende doch ganz schön erschöpft
Heizung kaputt, ab in den Klassenraum, ziemlich eng
Viele Tiere zu finden, da eine Giraffe, hier ein Hund und
dort eine Schlange
Malins Musik und Tanz wunderschön, doch die Klasse
mag es nicht
Aufführung, Tanz zu zweit
Aufstellung gegenüber, Verbundenheit und Spiegelung
Konzentration, später nicht mehr nur noch Spiel
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Probe 8: (10.11.)
Die Elemente
Stopptanz, erst frei und dann mit Qualitäten
Rund, dann eckig
Erst schnell, dann doch ganz langsam
wie in Honig, also sehr klebrig
Rette sich wer kann, bei Wasser schnell zur Bühne
Sturm ganz nah beim Boden, Feuer also schnell zur Tür
Probe 9: (17.11.)
Kreis vorbei
Neue Formation, nebeneinander hintereinander
tippeln nach vorne, hinten und zur Seite und nun?
Drehung, Sprung oder klatschen?
Wer fügt was hinzu, wie verbindet es sich, passt das?
Und nochmal, dann Pause jetzt ein Spiel
Und nochmal in Formation
springen im Kreis und von vorne
immer wieder neue Elemente
Probe 10: (24.11.)
Zu Fünft
Wenige da, Corona-Fall
Choreografie weiterproben – Fortschritt
neue Schritte, ganz schön kompliziert
neue Spiele spielen, quatschen, sprechen erzählen
leise und aufmerksam sein, zeichnen, tanzen
Probe 11: (01.12)
Der Besuch
Heute ist Theaterbesuch da
aufregend neu
Quarantäne vorbei, fast alle wieder da
Choreo den anderen zeigen, beibringen
Feuer Wasser Sturm, ganz schnell, mal langsam
oft verspielt und nicht bei der Sache
Digitale Treffen
Donnerstags bei der O4,
Treffen über Teams
Technische Probleme? Na logo
Hat’s jetzt geklappt, alle da? Susi ja, Steffi ja, ok alles klar!
Eingewählt und wiedergesehen, Steckbrief angesehen
Nicht bearbeitet also Fragen stellen
Schüchtern sein, keine:r redet, manche verschlafen
andere essen, ein paar am Schreibtisch
Alleine oder mit Hilfe, zu Hause oder bei Herrn Hecht
Grimassen ziehen, Nacken entspannen, Morgenritual
Austausch, aber keine Verbindung
weit entfernt, trotz digitaler Nähe
Clownssprechstunde
Der Clown ist endlich da, aber wie heißt die Fridolina gleich
in echt nochmal?
Ganz ruhig, fast besinnlich wird sich angenähert
Dann ganz viel Musik, Maultrommeln, Flöten, Klarinetten
und was bedeutet Glück? Antworten sind dann ganz individuell
Endlich Spaß und Bewegung, strecken und wach werden,
ist dann doch sehr früh, oh, aber da ist sie schon wieder
vorbei
Probe 12: (26.03.)
In der Heide
Nebeldunst, morgens in der Heide, etwas nass und frisch
Turnhalle, Tür auf, Maske drauf, Rollbretter, Kreisbilden
Musik an Schütteln, wach werden, Stopptanz so wie früher
Julia mit Besuch da oder doch Juliane?
eins, zwei, drei Ochs am Berg – heißt das nicht Ampel?
Ostereiersuche, fündig werden, schöne Marienkäfer
Runde eins auch schon vorbei, Sonne da, also ab zur Heide
Ostereier im Tanzen bemalen
Was ist da wohl drin? Etwa ein Hase?
Tür geöffnet, Löffel gegriffen und vorsichtig rausgezogen
* Georg gestaltete als pädagogischer Mitarbeiter zusammen mit
Kaveh Ghaemi das Künstlerische Kollektiv Tanz und
Bewegung an der Albatrosschule in Berlin Oberschöneweide
35
KOMPROMISSLOS IM
HIER & JETZT
Beobachtungen zur kleinsten Theatermaske der Welt von Julia Gotzmann*
* Julia Gotzmann, Clownin, Klinikclownin und Theaterpädagogin,
leitete in 2020/2021 ein künstlerisches
Kollektiv an der Albatrosschule (Sonderpädagogisches
Förderzentrum mit dem Förderschwerpunkt „Geistige
Entwicklung“) in Berlin Oberschöneweide. Sieben
Schüler:innen waren eingeladen, ihre persönliche
Clownsfigur zu entwickeln und
spielerisch miteinander in Kontakt
zu treten.
Berührung, Kontakt, Begegnung – das sind essentielle
Bedürfnisse im menschlichen Leben und Voraussetzungen
für das Gelingen von Theater. Wir sehnen uns danach und
haben zugleich auch immer wieder Angst davor. Warum?
Vielleicht weil wir immer unsere Geschichten dabeihaben,
unsere Identitäten, unser Gepäck? Weil wir in Sorge sind,
ob wir anderen Personen zu viel mit uns zumuten und sie
uns nicht gernhaben, wenn sie uns wirklich begegnen?
Oder weil wir Angst davor haben, unser Gegenüber wirklich
zu sehen und etwas zu erkennen, das uns möglicherweise
nicht so gefällt?
Wirkliche Begegnung geschieht immer im Moment –
frei von Zeit. Wenn wir mit einem Menschen in Kontakt
kommen, egal ob wir ihn kennen oder nicht, dann treten
die Geschichten und Identitäten in den Hintergrund, dann
zählt das, was jetzt in diesem Augenblick gerade ist.
Das ist das Geschenk des Clowns: der Clown ist immer im
Hier und Jetzt. Er hat keine Identität, keine Geschichte, kein
Geschlecht – er ist keine psychologische Figur, er ist eine Kunstfigur,
ein anarchisches
Wesen, das existiert,
um zu sein. Der Clown
nimmt alles so, wie es
ist. Er bewertet nicht. Er agiert und reagiert. Er reagiert
prompt und ehrlich. Er offenbart alles! Er setzt die kleinste
36
Theater-Maske auf und lässt dabei alle gesellschaftlichen
Masken fallen und kehrt das Innere, das Heimliche, das
Verbotene, das Absurde nach außen. So spiegelt er die
verschiedenen Identitäten, Geschichten und Masken, die
wir Menschen mit uns tragen und die uns oft von den
wirklichen Begegnungen abhalten. Dadurch entsteht eine
Öffnung und alles ist plötzlich möglich für den/die Clownspieler:in
selbst und das Gegenüber: Weinen, Lachen, Wut,
Trauer, Ärger, Scham, Freude – alles ist da und darf sein.
Das ist das Geschenk in der Begegnung mit dem Clown,
auch in der Begegnung mit dem eigenen Clown.
Es wurde bei jeder und jedem Einzelnen eine emotionale
Tiefe und mit ihr die verletzliche, endliche und wunderschöne
Menschlichkeit sichtbar.
Ich erinnere mich zum Beispiel an einen Clownworkshop,
den ich auf der Sommerakademie der Stiftung „wings
of hope“ für junge Erwachsene aus fünf verschiedenen
Ländern (Bosnien und Herzegowina, Irak, Palästina, Israel,
Deutschland) gab. Die Teilnehmer:innen hatten zwei Wochen
lang intensiv getagt. Sie hatten politische, religiöse, kulturelle
und persönliche Diskurse miteinander geführt und waren
sich auf verschiedenen
Ebenen nähergekommen.
Sie hatten ihre Ängste,
Sorgen, Visionen und
Wünsche miteinander
geteilt und nun bot ich ihnen das Spiel und die rote Nase
an. Zunächst schüchtern wagten sie sich vor. Es war faszinierend
zu beobachten, wie die Teilnehmer:innen Stück
für Stück ihre Hemmungen verloren, dem Verstand eine
Pause gönnten und im Spiel mit Clownsnase immer mehr
von ihrem Innenleben offenbarten. Der Höhepunkt des
Workshops bestand in der Übung, auf der Bühne nichts
zu tun und alles entstehen zu lassen. Es wurde bei jeder
und jedem Einzelnen eine emotionale Tiefe und mit ihr die
verletzliche, endliche und wunderschöne Menschlichkeit
sichtbar. Das war sehr verbindend und bewegend. Die rote
Nase bot ihnen den notwendigen Schutz, sich zu zeigen.
37
Ein anderer Clownworkshop, den ich mit zehn Grundschulkindern
der ersten Klasse an der Carl-Bolle-Grundschule
durchführte, sticht ebenfalls in meiner Erinnerung hervor.
Die Schüler:innen nahmen an meinem Workshop teil, weil
sie im Regelunterricht Konzentrationsschwächen zeigten
oder besonderer Aufmerksamkeit bedurften. Zunächst
führte die Freiheit, die dem Clownspiel innewohnt bei den
Kindern zu großem Chaos. Doch trotz seines anarchischen
Wesens muss der Clown die Form wahren, nämlich die
Form des Theaterspiels mit seinen Regeln. Diese bestehen
zum Beispiel darin, dass er für und mit dem Publikum spielt
und nicht für sich selbst. Für die
Schüler:innen bestand die Herausforderung
genau darin, spielerisch
zu erfahren und zu verstehen, dass
Freiheit durch die Wahrung der
Form entsteht und nicht durch
Chaos. Die rote Nase gab ihnen
die Freiheit und die Spielregeln
sorgten für die Form. So entstand
eine feine und berührende kleine
Aufführung, auf die die Kinder sehr
stolz waren.
Im Rahmen der künstlerischen Kollektive waren sieben
Schüler:innen im Alter von zwölf bis vierzehn Jahren von
der Albatrosschule eingeladen, sich mit den roten Nasen zu
erkunden und einander als Clowns zu begegnen. Mein Plan
war, die rote Nase wie gewohnt spielerisch und langsam
einzuführen. Doch es lief ganz anders als erwartet. Die
Jugendlichen lehnten die rote Nase ab.
Spielten wir ohne Clownsnase Gruppenspiele wie „Ochs am
Berg“, Bewegungsspiele wie „Stopptanz“ oder “Der Körper
folgt dem Klang“, oder Rollenspiele, wie z.B. eine freie
Märcheninterpretation, war die Spiellust der Schüler:innen
entfacht. Sie überraschten mich oft mit unkonventionellen
Spielideen, mit wunderbarer Poesie in ihren Bewegungen,
mit ihrer großen Musikalität und ihrem Humor. Doch die
kleinste Maske der Welt behinderte sie und schränkte ihr
Spiel ein. Einige weigerten sich standhaft, sie überhaupt
aufzusetzen. Andere setzten sie auf und waren fortan nur
noch mit dem Ding auf ihrer Nase beschäftigt und nicht
mehr mit dem Spiel an sich. Das
wirkte zwar auch clownesk,
nahm den Schüler:innen aber die
Spielleichtigkeit. Ich war etwas
ratlos und fasziniert zugleich.
Begegneten die Schüler:innen
meinem Clown, so war das Spiel
herrlich frei, intensiv und nah. Es lag also nicht daran, dass
sie den Clown generell scheuten, im Gegenteil – sie liebten
ihn, wenn ich ihn spielte.
38
Diese Beobachtung warf bei mir einige Fragen auf:
Brauchten die Schüler:innen die kleinste Maske der
Welt nicht, um ihre Masken fallen zu lassen? Brauchten
sie die rote Nase nicht, um im Hier und Jetzt zu sein
und wirkliche Begegnung zuzulassen? Störte sie die
Nase sogar dabei, sich mit aller Energie auf das Spiel
einzulassen? Wollten sie einfach kein Clown sein,
diese Figur am Rande der Gesellschaft? Oder hätten
sie einfach noch mehr Zeit gebraucht, sich auf ihren
eigenen Clown einzulassen?
Sie vergaßen Raum und Zeit
Die Schüler:innen ließen Kontakt, Berührung und Begegnungen
zu. Sie zeigten einander sehr offen ihre Zuneigung.
Sie sagten einander, wenn der andere eine Grenze überschritt.
Sie gaben sich dem Spiel hin und den dadurch entstehenden
Begegnungen. Sie lauschten der Musik und verwandelten
sich mit poetischen Bewegungen in eine aus einem Samenkorn
erwachsende Blume. Sie kämpften als wilde Ritter um
die Ehre.
Sie brauchten den Clown nicht, um sich selbst und den
Mitspieler:innen nah zu sein. Sie brauchten ihn nicht, um
sich der Spielfreude hinzugeben und sich in ihr voll und
ganz zu zeigen. Sie wollten nicht die Figur sein, die aus
dem Abseits der Gesellschaft einen Spiegel vorhält. Sie
spielten, ganz ohne den Schutz der kleinsten Theater-Maske
und es entstanden wunderbare intensive Begegnungen.
Es berührte mich zu erleben, wie rücksichtsvoll die Schüler:innen
miteinander umgingen. Jede und jeder hatte
individuelle Bedarfe, die anderen wussten davon und es
war selbstverständlich, dass darauf Rücksicht genommen
wurde. Durch dieses vertrauensvolle Miteinander konnte
jede*r er oder sie selbst sein und den anderen ungeschützt
begegnen.
Ich beobachtete auch, dass die Jugendlichen große Freude
am eigenen Scheitern und den eigenen Schwächen zeigten.
Das Ochs-am-Berg-Spiel zum Beispiel war sehr beliebt und
bei diesem scheitern alle am laufenden Band, wenn sie sich
auch nur minimal bewegen.
Auch waren sie bereits Meister:innen
darin, im Hier und Jetzt zu sein.
So konnten sie den Bewegungen
der Gruppe einfühlsam mit rhythmischen
Instrumenten folgen.
Sound und Körper verschmolzen und die Gruppe wurde
ein großer zusammenhängender Klangkörper. Auch in die
Rollenspiele tauchten sie kompromisslos ein, sie vergaßen
Raum und Zeit und erlebten die Geschichte ihrer Figur in
vollen Zügen. Manchmal fiel es ihnen sogar schwer, diese
wieder loszulassen und sie selbst zu werden. So verwandelte
sich ein Schüler immer, wenn er unter eine
Decke schlüpfte. Er tauchte als gefährliches
Monster oder Tier wieder auf und spielte
dieses solange, bis ich ihn wieder unter der
Decke verschwinden ließ.
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TEAM
40
41
TEAM
Kata Kovács
Produktionsleitung
Interdisziplinäre Künstlerin,
Produzentin
Dagmar Domrös
Dramaturgin
Dramaturgin, Künstlerische
Leiterin Theater o.N.
Cindy Ehrlichmann
Projektleitung
Regisseurin, Theaterpädagogin
und Leiterin der partizipativen
Projekte des Theater o.N
Kaveh Ghaemi
Künstler
Tänzer
Annea
Künstlerin
Visuelle Kün
Susanne Dill
Pädagogische Mitarbeiterin
Sonderpädagogin
Heike Krowoza
(nicht im Bild)
Pädagogische Mitarbeiterin
Erzieherin
42
Doreen Markert
Organisationsleitung & Controlling
Künstlerische Leiterin,
Geschäftsleiterin Theater o.N.
Doreen Ullmann
Pädagogische Mitarbeiterin
Sozialpädagogin
Georg Dirlack
Pädagogischer Mitarbeiter
Student Theaterpädagogik
und Politikwissenschaften
Julia Gotzmann
Künstlerin
Theaterpädagogin, Clownin
Lounatvuori
stlerin, Designerin
Adelheid Wieser
Pädagogische Mitarbeiterin
Bühnen- und Kostümbildnerin
Iduna Hegen
Künstlerin
Schau- und Puppenspielerin
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Impressum
Herausgeber: Theater o. o. N. N. // Projekt zusammen:spielen- Künstlerische Kollektive
Künstlerische Projektleitung: Cindy Ehrlichmann
Produktionsleitung: Kata Kovács
Redaktion: Cindy Ehrlichmann, Dagmar Domrös, Doreen Markert
Layout: Paula Franke, artfabrikat
verfügbar unter: www.kuenstlerischekollektive.de
Fotos: Karsten Bartel, www.karstenbartel-foto.de
Illustration S. S. 30-33 : : Teresa Holtmann, www.frolleinmotte.com
Theater o.N. e. e. V. V.
Kollwitzstraße 53 53
10405 Berlin
Telefon +49 (0)30 4409214
info@theater-on.de
www.theater-on.de
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