Peter Weber - Struktur und Faltung
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PW: Ja, das stimmt. Schon den ersten Zyklus widmete
ich der Vorder- und der Rückseite ein und derselben
Faltung. Es entstanden von einer Faltung vier Ausführungen:
zum einen eine gefaltete Vorder- und Rückseite,
die ich dann beide mit weißem Acryl bemalte,
da ich noch der Malerei zugetan war. Dazu stellte ich
die zwei passenden Auffaltungen, also die Analysen,
die die Struktur der Faltung offenlegten. Zu sehen
waren dann die Konstruktionszeichnung und die rohe
Leinwand der verdeckten Innenfalten. Bemerkenswert
war dabei, dass diese Arbeiten rein optisch
keine Gemeinsamkeiten aufwiesen, obwohl allen die
gleiche Konstruktion und Faltweise zugrunde lag.
GR: Zu Beginn Deiner Faltexperimente hast Du mit
parallelen, konischen und diagonalen – also einfachen
Faltungen gearbeitet. Wann sind Deine Techniken
komplexer geworden?
PW: Die einfache, mehrteilige Faltung wäre mir nicht
genug gewesen. Ich suchte nach der Reduktion und
Konzentration einer Aufgabenstellung, die eine
zwingende Wirkung haben sollte. So reifte die Idee,
die Unterschiedlichkeit der Vorder- und der Rückseite
auf einer Ebene zu verbinden.
GR: Die neue Technik nennst Du »formimmanente
Faltung«, mit der sich für Dich ein Kosmos an neuen
Strukturen eröffnet hat. Inwiefern?
PW: Der Weg zur formimmanenten Faltung entwickelte
sich durch den Wunsch, die Vorder- und die
Rückseite auf einer Ebene darzustellen, wie ich es
bereits angedeutet habe. Die erste Arbeit auf dem
Weg dorthin war ein kleines Quadrat, welches ich auf
ein DIN-A4-Blatt gezeichnet hatte. Nach dem Nuten
und dem anschließenden Falten der Kanten versetzte
ich dem entstandenen Quadrat in der Fläche eine
leichte Linksdrehung und drückte die entstandene
Wölbung in die Fläche zurück. Nach dem Auffalten
analysierte ich die Faltstruktur und setzte diese in
eine strenge Form um. Es dauerte über ein Jahr, in
dem ich einige Konstruktionsschnitte ausprobiert
hatte, bis ich zur Lösung kam, ein weiteres Quadrat
anzufügen. So stieß ich auf die Möglichkeit, Vorderund
Rückseite auf einer Ebene darzustellen.
GR: Bei Deinen Arbeiten taucht als formale Struktur
immer wieder die Quadratform auf. Hat diese geometrische
Form eine tiefere Bedeutung?
Gradually the idea emerged to combine the differences
of the front and reverse side on one plane.
GR: You call this new technique “form-immanent
folding”, a technique that opened up a cosmos of new
structures for you. How did this come about?
PW: My path to form-immanent folding arose as a
result of my wish to depict the front and reverse
sides on one plane, as I already noted. The first piece
along that path was a small square that I had drawn
on A4-sized paper. After scoring and folding the
edges of the square I had drawn, I manipulated it
carefully by raising the small square, turning it to the
left and pressing the resulting bulge back into the
flat surface. Unfolding it, I was able to analyse the
folding structure and convert it into a more stringent
form. For more than a year I tried various construction
patterns until I finally arrived at the solution: I
had to add another square. This was how I came
across the way to depict both the front and back on
one plane.
GR: In your work the square repeatedly appears as
the formal structure. Does this geometric form have
a deeper meaning?
Die Vernetzung von 2 Quadraten/
Network of two squares
PW: Neben den bekannten Deutungen und Hymnen
auf das Quadrat stand es durch seine ideale Konstruktion
am Beginn der formimmanenten Faltung.
Bildaufbau und Planung meiner Bilder beginnen
häufig mit einem Quadratraster, und es hat sich im
Laufe meiner Untersuchungen als die schlüssigste
Form in der Fläche verfestigt. Nebenbei habe ich
natürlich Versuche mit dem Dreieck, dem Fünfeck
oder dem Sechseck usw. gemacht, aber das Interessante
ist, dass ich immer wieder zum Quadrat
zurückkehre und es auch mit allen anderen Formen
vernetzen kann.
GR: Du hast gerade einen Begriff verwendet, der bei
Deinen Beschreibungen des Faltens immer wieder
vorkommt und den ich gerne näher mit Dir erörtern
würde, weil er für das Verstehen Deiner Faltprinzipien
essentiell ist: die Vernetzung. Grundsätzlich
beschreibt der Begriff der Vernetzung ein Geflecht
von Beziehungen, die durch ein Ursache-Wirkungs-
System miteinander verbunden sind. Nutzt Du die
Bezeichnung in diesem Sinne?
PW: Die Ursache ist in diesem Falle die Form, die mit
einer anderen verbunden ist. Die Wirkung wird beim
Falten durch die Torsion ausgelöst. Bei der Vernetzung
handelt es sich in dem Sinne um Konstruktionsverbindungen.
Also ein Quadrat und ein weiteres oder
ein Quadrat und ein Dreieck, die kompatibel sein
müssen in ihren Proportionen und Faltschnitten.
Dieses zu entdecken, war übrigens in den 1990er-
Jahren mein großes Aha-Erlebnis.
GR: Was ist genau unter einer Torsion zu verstehen?
In der Kunst wird beispielsweise der Begriff der
Körpertorsion im Manierismus verwendet, wenn man
die gelängten und stark gedrehten Körper und
Figuren eines Giambolognas oder eines El Grecos
beschreibt. Wie muss man sich eine Torsion beim
Falten vorstellen?
PW: Die Torsion hat eine längere Tradition in der
Terminologie der Kunstgeschichte. So ist sie auch oft
in der Grundlehre des Bauhauses angewendet
worden und beschreibt u. a. die Drehung einer Form
bei Permutationen im Bildaufbau. Bei der Torsion
beim Falten ist es etwas komplizierter, da sie vom
Material beeinflusst sein kann.
PW: In addition to the familiar interpretations and
extolment of the square, it was, because of its ideal
construction, the starting point for my form-immanent
folding. The planning and construction of my
images often begin with a square grid: in the course
of my investigations, this has proven to be the most
convincing form on one plane. Of course I have also
worked with triangles, pentagons and hexagons, but,
what is most interesting, I always return to the
square and am able to mesh or combine (vernetzen)
it with all other forms.
GR: You have just used a term that comes up whenever
you describe the folding process and which I
mention because it is essential for understanding
your folding principles: die Vernetzung (meshing or
networking). Basically the term refers to an intertwining
or network of relationships that are connected
by a cause and effect system. Do you use the term
in this sense?
PW: In my work the cause is the form that is connected
to another form. The effect is brought about
by torsion in the folding process. Vernetzung in this
sense means connections between constructions; for
example, a square with another square or a square
with a triangle. They must be compatible in their
proportions and folding cuts. By the way, discovering
this in the 1990s was my eureka moment.
Quadrat aus der Tiefe: Das
gleiche Motiv ist hier durch drei
unterschiedliche Faltungen
entstanden, wie man beim Blick
auf die Rückseite erkennen
kann. / Square from the depth:
The same motif emerges here
using three different folding
tech niques, as can be seen on
the reverse side.
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