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101 Monologe

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12 Vorwort<br />

Vorwort<br />

13<br />

1 Zit.n. Peter von<br />

Matt, Der Mono -<br />

log, Beiträge zur<br />

Poetik des Dramas.<br />

Darmstadt, Wissenschaftliche<br />

Buch -<br />

gesellschaft, 1976,<br />

S. 72.<br />

also Texte, in denen die handelnde Person tatsächlich allein<br />

ist und sich mit sich selbst (Hamlet) oder einem imaginärem<br />

Gegenüber (Elektra von Hofmannsthal) auseinandersetzt,<br />

sondern auch »szenische« <strong>Monologe</strong>, also jene, in denen<br />

die handelnde Person mit einem tatsächlichen Gegenüber<br />

spricht, dessen Anwesenheit der Spieler mitzudenken hat<br />

(Nora, Fräulein Julie etc.). Wir haben uns zu dieser Erweiterung<br />

entschlossen, da sonst einige Autoren, und damit<br />

auch wesentliche Spielweisen, hier nicht vertreten wären,<br />

und auch deshalb, weil diese Texte als Vorsprechrollen<br />

attraktiv und voller Spannung sind.<br />

Ob es sinnvoll und in der Ausbildung hilfreich ist, eine<br />

Szene zu erarbeiten, bei der es notwendig wird, sich an<br />

einen gedachten Partner zu wenden, ist eine immer wieder<br />

diskutierte Streitfrage; erhöhte schauspielerische Anforderungen<br />

stellen sich bei diesem Arbeitsvorgang allemal, denn<br />

die »Herstellung« eines solchen Gegenübers bedeutet während<br />

des Spielens noch einmal eine zusätzliche Form von<br />

schauspielerischer Konzentration, die nicht unbedingt<br />

etwas mit dem Inhalt der Szene oder dem Charakter der<br />

handelnden Person zu tun haben muss. Das »Wie« wird an<br />

dieser Stelle entscheidend dazu beitragen, ob eine solche<br />

Szene zur erfolgreichen Wirkung gelangen kann (siehe Versuch<br />

einer Typologie weiter unten).<br />

Auch ohne die oben beschriebene »Projektionsaufgabe«<br />

eines imaginären Partners stellt die Monologsituation – ein<br />

Mensch allein auf der Bühne – eine gehörige Anforderung<br />

an den Spieler, und damit sind wir bei der Frage der Annäherung<br />

an einen Text. Gottsched hat in seinem »Versuch<br />

einer critischen Dichtkunst« das grundsätzliche Problem<br />

des Monologs sehr treffend aufgedeckt: »Kluge Leute pflegen<br />

nicht laut zu reden, wenn sie allein sind; es wäre denn<br />

in besonderen Affekten, und das zwar mit wenig Worten ...<br />

Man hüte sich also davor, so viel man kann; welches auch<br />

mehrenteils angeht, wenn man dem Redenden nur sonst<br />

jemand zugiebt, der als ein Vertrauter, oder Bedienter, das,<br />

was er sagt, ohne Gefahr wissen und hören darf.« 1<br />

Ohne diese nicht gerade ermutigende Äußerung weiter zu<br />

erörtern, kann man doch aus ihr herauslesen, was für jede<br />

Arbeit am Monolog wesentlich ist – nämlich, zu entde cken,<br />

1 Peter v. Matt<br />

beschreibt dies als<br />

das Wesentliche<br />

jeder Monologsituation:<br />

»Hier und<br />

jetzt tritt dem Helden<br />

seine Gesellschaft<br />

als Totum<br />

gegenüber, mit<br />

einem antwortenden<br />

Gesicht«,<br />

ebenda S. 80.<br />

2 Wolfgang Clemen<br />

hat in seinem Buch<br />

über die <strong>Monologe</strong><br />

Shakespeares auf<br />

die dialogische<br />

Struktur von<br />

<strong>Monologe</strong>n hingewiesen:<br />

»Schon in<br />

der Tragödie vor<br />

Shakespeare, aber<br />

auch bereits in der<br />

antiken Tragödie,<br />

bei Seneca und in<br />

den mittelalterlichen<br />

»Mystery-<br />

Plays« war klargeworden,<br />

dass der<br />

Monolog zu seiner<br />

Verlebendigung des<br />

imaginären Partners<br />

bedarf. Es hatten<br />

sich sehr verschiedene<br />

Formen<br />

der Anrede, der<br />

Apostrophe und<br />

gelegentlich auch<br />

der fiktiven Dialogbeziehung<br />

im<br />

Monolog entwikkelt.<br />

[...] Zu den<br />

Anreden an das<br />

eigene Ich, das eigene<br />

Herz, kommen<br />

Anrufe an himmlische<br />

und irdische<br />

Gewalten, an abwesende<br />

und manchmal<br />

auch an anwesende<br />

Personen (die<br />

außer Hörweite<br />

sind) hinzu, an Personifikationen,<br />

an<br />

die Sonne, den<br />

Mond und die Sterne,<br />

an wirkliche<br />

oder imaginäre<br />

Gegenstände.«,<br />

Wolfgang Clemen,<br />

Shakespeares<br />

<strong>Monologe</strong>. Piper,<br />

München 1985,<br />

S. 186 f.<br />

warum es für die handelnde Person in diesem Moment<br />

unbedingt notwendig wird, zu reden, und an welches<br />

Gegenüber sich der Monolog richtet. Wobei mit Gegenüber<br />

auch ein Gedanke, ein Gegenstand oder eine ganze Gesellschaft<br />

von Menschen gemeint sein kann 1 .<br />

Vor dem Spielen stellen sich zunächst Fragen. Es muss<br />

verstanden und letztlich entschieden werden: Was geht im<br />

Text vor? Was will der Text? Was will demnach die handelnde<br />

Person, die ihn ja aus bestimmten Gründen äußert?<br />

Welcher Art ist überhaupt der vorliegende Monolog? Das<br />

heißt, welche Beziehungen werden im Text hergestellt?<br />

Auf diese Fragen gibt es völlig unterschiedliche Antworten,<br />

denn jeder Text bietet naturgemäß mehrere Lesarten<br />

an, die zu ganz verschiedenen Interpretationen führen können.<br />

Es gibt ja nicht »die« alleingültige Interpretation; wohl<br />

aber exemplarische Aufführungen.<br />

Wenn es also eine Vielzahl von Interpretationsmöglichkeiten<br />

gibt und der Monolog durch den Lesenden und Spielenden<br />

jeweils erst neu entsteht, so verlangt das vom Spieler,<br />

der den ausgewählten Text auf der Bühne umsetzen will,<br />

immer wieder Entscheidungen zu treffen: Zunächst muss er<br />

versuchen, den Text zu verstehen, und er muss sich entscheiden,<br />

wie er ihn spielen will. Um sich aber zu entscheiden,<br />

muss er nicht nur erforschen, was im Text steht und<br />

was der Text womöglich meint, sondern er hat außerdem<br />

herauszufinden, um was für eine Art von Monolog es sich<br />

überhaupt handelt. Letztlich ist die zentrale Fragestellung<br />

fürs Spielen: an wen wendet sich die handelnde Person, wer<br />

ist das »Gegenüber«?<br />

Schließlich ist jeder Monolog in Wahrheit ein Dialog 2 ,<br />

daraus erst ergibt sich die spezifische Spannung, die notwendig<br />

ist, um zu einem theatralischen Vorgang zu kommen.<br />

Diesen Grundgedanken finden wir schon in der attischen<br />

Tragödie, mit der unser abendländisches Theater den<br />

Anfang nimmt, wenn sich darin die einzelne Person dem<br />

Chorus gegenübergestellt findet.<br />

Ausgehend von dieser grundsätzlichen Frage nach dem<br />

Gegenüber wollen wir im Folgenden versuchen, ohne<br />

Anspruch auf Vollständigkeit und ganz im Hinblick auf die

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