06.04.2023 Aufrufe

recke:in - Das Magazin der Graf Recke Stiftung Ausgabe 1/2023

»Der Sport hat mich sozialer gemacht«, sagt ein junger Mann aus einer unserer Jugendhilfe-Wohngruppen im Interview für unser aktuelles Unternehmensmagazin. Nicht nur Teamleiter Rosario Conti freut sich über solche Aussagen. Für Mitarbeitende wie ihn oder auch unseren Motopädagogen Michael Haubrock, der ebenfalls in dieser Ausgabe auftritt, sind solche Rückmeldungen eine tolle Bestätigung ihrer Arbeit. Die Pädagogen machen sportliche Angebote und sorgen für eine aktive Freizeitgestaltung der ihnen anvertrauten jungen Menschen. Wir berichten in dieser Ausgabe davon, was ihre Angebote so wertvoll macht, was sie körperlich und sozial bewirken und was sie zur Inklusion beitragen.

»Der Sport hat mich sozialer gemacht«, sagt ein junger Mann aus einer unserer Jugendhilfe-Wohngruppen im Interview für unser aktuelles Unternehmensmagazin. Nicht nur Teamleiter Rosario Conti freut sich über solche Aussagen. Für Mitarbeitende wie ihn oder auch unseren Motopädagogen Michael Haubrock, der ebenfalls in dieser Ausgabe auftritt, sind solche Rückmeldungen eine tolle Bestätigung ihrer Arbeit. Die Pädagogen machen sportliche Angebote und sorgen für eine aktive Freizeitgestaltung der ihnen anvertrauten jungen Menschen. Wir berichten in dieser Ausgabe davon, was ihre Angebote so wertvoll macht, was sie körperlich und sozial bewirken und was sie zur Inklusion beitragen.

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ERZIEHUNG & BILDUNG<br />

»Die K<strong>in</strong><strong>der</strong>, die zu uns kommen, haben teilweise überhaupt ke<strong>in</strong>e<br />

Bewegungserfahrung«, sagt Sylvia Betsch von <strong>der</strong> Jugendhilfe<br />

Grünau. Ihr Kollege Michael Haubrock ist dazu da, das zu än<strong>der</strong>n.<br />

Sport ist <strong>in</strong> Grünau e<strong>in</strong> wichtiger Faktor, berichten die beiden<br />

im Interview mit Dr. Roelf Bleeker. Dabei geht es um Motorik,<br />

Ausgeglichenheit, Selbstwertgefühl und auch um Inklusion.<br />

Was versteht man eigentlich<br />

unter Motopädie?<br />

HAUBROCK Im Schwerpunkt geht es darum, die<br />

psychomotorischen Basiskompetenzen zu<br />

för<strong>der</strong>n, also Fähigkeiten wie Kraft, Gelenkigkeit,<br />

Schnelligkeit, Gleichgewicht, Körperwahrnehmung<br />

und Ausdauer. Wir zeigen den<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong>n, zum Beispiel auf dem Trampol<strong>in</strong>, <strong>in</strong><br />

kle<strong>in</strong>en Schritten, was sie eigentlich schon<br />

können, und machen ihnen dies bewusst.<br />

Ziel ist es, die kle<strong>in</strong>en Schätze, das Können<br />

<strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>, an die Oberfläche zu br<strong>in</strong>gen, um<br />

daraus e<strong>in</strong> Selbstwertgefühl zu entwickeln.<br />

Was ist Ihre Qualifikation?<br />

HAUBROCK Ich b<strong>in</strong> Erzieher, Heilpädagoge,<br />

Motopädagoge und SI-Mototherapeut.<br />

SI steht für »Sensorische Integration«.<br />

Da geht es um die Koord<strong>in</strong>ation und das<br />

Zusammenspiel <strong>der</strong> sensorischen Basiss<strong>in</strong>ne<br />

wie Geschmackss<strong>in</strong>n, Hauts<strong>in</strong>n, Sehs<strong>in</strong>n,<br />

Gehörs<strong>in</strong>n, Tiefenwahrnehmung und<br />

Gleichgewichtss<strong>in</strong>n.<br />

Warum ist Motopädie so wichtig für<br />

die K<strong>in</strong><strong>der</strong>, gerade <strong>in</strong> Grünau?<br />

BETSCH Manche K<strong>in</strong><strong>der</strong>, die zu uns kommen,<br />

haben wenig o<strong>der</strong> überhaupt ke<strong>in</strong>e<br />

Bewegungserfahrung, <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>erlei H<strong>in</strong>sicht.<br />

Manche von ihnen müssen wir erst mal<br />

dazu motivieren, überhaupt hier bei uns<br />

auf den Platz o<strong>der</strong> <strong>in</strong> den Wald zu gehen.<br />

<strong>Das</strong> ist für manche K<strong>in</strong><strong>der</strong> beängstigend,<br />

weil sie dies von zu Hause nicht kennen.<br />

Es s<strong>in</strong>d mitunter traumatische Erlebnisse<br />

dafür verantwortlich, dass K<strong>in</strong><strong>der</strong> sich kaum<br />

o<strong>der</strong> gar nicht bewegen wollen o<strong>der</strong> können.<br />

Bewegungsangebote und -anreize s<strong>in</strong>d<br />

wichtig, um das Gefühl <strong>der</strong> Lebensfreude<br />

zu spüren und im sicheren Rahmen neue<br />

D<strong>in</strong>ge ausprobieren zu können. Über das<br />

geme<strong>in</strong>same Spielen lernen die K<strong>in</strong><strong>der</strong> und<br />

Jugendlichen außerdem, sich im sozialen<br />

Kontext zu bewegen. Die Bewegung ist das<br />

Medium zum Lernen auf allen Ebenen.<br />

Welche Rolle spielt dabei <strong>der</strong> Wettbewerb?<br />

HAUBROCK Ich nehme mal als Beispiel me<strong>in</strong>e<br />

Sylvia Betsch ist<br />

pädagogische Leiter<strong>in</strong><br />

<strong>in</strong> Grünau.<br />

Fußballmannschaft, die ich schon über<br />

Jahre e<strong>in</strong>mal <strong>in</strong> <strong>der</strong> Woche tra<strong>in</strong>iere: Wenn<br />

ich e<strong>in</strong>e Tür zumache, das heißt, wenn ich<br />

jemanden kritisiere, was auch zum Lernprozess<br />

gehört, dann muss ich vorher e<strong>in</strong>e<br />

Tür aufgemacht haben. Ich habe e<strong>in</strong>en<br />

Jugendlichen vor Augen, <strong>der</strong> e<strong>in</strong> bisschen<br />

kle<strong>in</strong>er und korpulent ist. Er kann nicht so<br />

optimal e<strong>in</strong>en Ball annehmen. Aber er hat<br />

e<strong>in</strong> gutes Stellungsspiel. Und das signalisiere<br />

ich ihm, das ist die Tür, die ich aufmache.<br />

Und dann kann ich auch mal sagen: Also das<br />

war jetzt e<strong>in</strong> bisschen daneben, wie du gerade<br />

geschossen hast, da gibt es e<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e<br />

Schusstechnik. <strong>Das</strong> akzeptiert er, weil er<br />

weiß: Ich kann auch was. Und das wird auch<br />

<strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Mannschaft akzeptiert. Ich<br />

habe es noch nicht erlebt, dass die Mannschaft<br />

sich untere<strong>in</strong>an<strong>der</strong> beleidigt hat.<br />

BETSCH Wir gucken immer ganz genau: Wo<br />

können wir die K<strong>in</strong><strong>der</strong> auch sportlich e<strong>in</strong>b<strong>in</strong>den,<br />

wo <strong>der</strong> Wettbewerbsgedanke vielleicht<br />

nicht so wichtig ist? E<strong>in</strong>ige gehen zum<br />

Beispiel zur DLRG hier. Da ist Bewegung<br />

dabei, es steckt aber auch e<strong>in</strong> sozialer Aspekt<br />

dah<strong>in</strong>ter: Ich tra<strong>in</strong>iere, an<strong>der</strong>e Menschen aus<br />

Gefahrensituationen zu retten, ich habe also<br />

auch noch e<strong>in</strong>en emotionalen Benefit.<br />

Die Dosis ist ja immer e<strong>in</strong>e<br />

Herausfor<strong>der</strong>ung. Eltern wissen<br />

das zu schätzen, wenn die eigenen<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong> sich auspowern können und<br />

abends dann schön müde s<strong>in</strong>d. Aber<br />

da gibt es auch Kipppunkte, an denen<br />

das <strong>in</strong>s Gegenteil umschlägt …<br />

BETSCH Kolleg<strong>in</strong>nen und Kollegen berichten<br />

immer wie<strong>der</strong> davon, dass diese Gleichung –<br />

power dich mal ordentlich aus, dann wirst du<br />

auch ruhiger – <strong>in</strong> den seltensten Fällen tatsächlich<br />

aufgeht und die K<strong>in</strong><strong>der</strong> dann auf e<strong>in</strong>e<br />

gute Art und Weise müde und erschöpft s<strong>in</strong>d.<br />

Vielmehr drehen sie danach noch richtig auf<br />

und f<strong>in</strong>den gar nicht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Ausgeglichenheit,<br />

geschweige denn <strong>in</strong> den Schlaf. Von daher ist<br />

es immer hilfreich zu schauen, welche Art<br />

Michael Haubrock<br />

ist Motopädagoge<br />

<strong>in</strong> Grünau.<br />

von Bewegung gut ist und wo eventuell auch<br />

mal abgebrochen werden muss.<br />

HAUBROCK Ausgeglichenheit und Entspannung<br />

können ja auf <strong>der</strong> physischen und auf <strong>der</strong><br />

psychischen Ebene stattf<strong>in</strong>den. Wenn e<strong>in</strong><br />

K<strong>in</strong>d o<strong>der</strong> e<strong>in</strong> Jugendlicher e<strong>in</strong> tolles Erlebnis<br />

hat, kann es sich auch entspannter zur<br />

Nacht begeben. Es muss sich dafür nicht<br />

körperlich verausgabt haben. Ich komme<br />

aus dem Leistungssport und weiß auch,<br />

was es bedeutet, an die körperlichen Grenzen<br />

zu gehen. Dort, wo es passt, mache ich<br />

es dann aber bewusst, um Grenzen aufzuzeigen.<br />

Es gibt Jugendliche, die me<strong>in</strong>en,<br />

sie wären die Könige. Und dann machen<br />

wir mal e<strong>in</strong>e Radtour und nehmen uns e<strong>in</strong><br />

paar Berge vor. Gerade Ausdauersport halte<br />

ich für unwahrsche<strong>in</strong>lich wichtig, das hat<br />

viel mit Selbstdiszipl<strong>in</strong> zu tun, die wir auch<br />

im späteren Leben benötigen, um Ziele zu<br />

erreichen. Wenn ich mit Jugendlichen e<strong>in</strong>en<br />

Berg hochfahre und da ist e<strong>in</strong>er richtig am<br />

Kämpfen, dann sage ich ihm, wenn es dann<br />

<strong>in</strong> die Abfahrt geht: Wenn du irgendwann<br />

mal <strong>in</strong> de<strong>in</strong>em Leben e<strong>in</strong> großes Problem<br />

hast, er<strong>in</strong>nere dich an diesen Berg, den du<br />

gerade geschafft hast. Vielleicht kann dir<br />

diese Er<strong>in</strong>nerung helfen, über de<strong>in</strong>e Krise<br />

o<strong>der</strong> de<strong>in</strong>en momentanen Tiefpunkt besser<br />

h<strong>in</strong>wegzukommen. Aber da muss ich<br />

ganz genau h<strong>in</strong>gucken: Wem kann ich das<br />

zumuten und wie führe ich diesen jungen<br />

Menschen richtig an se<strong>in</strong>e Grenze heran?<br />

Welche Bedeutung hat das Thema<br />

Inklusion bei <strong>der</strong> Motopädie?<br />

BETSCH Wir fangen im Kle<strong>in</strong>en an, K<strong>in</strong><strong>der</strong> und<br />

Jugendliche zu befähigen, sich zu bewegen,<br />

Spaß zu haben, sich im sozialen Kontext<br />

durch Bewegung zu verhalten, damit sie<br />

dann auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schule mithalten können<br />

o<strong>der</strong> sich auch trauen, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Vere<strong>in</strong><br />

zu gehen. O<strong>der</strong> beispielsweise e<strong>in</strong>en Kopfsprung<br />

<strong>in</strong>s Wasser zu lernen, damit sie <strong>in</strong><br />

ihrer Peergroup gut dastehen. <strong>Das</strong> machen<br />

wir nicht nur <strong>in</strong> <strong>der</strong> Therapie, son<strong>der</strong>n auch<br />

im pädagogischen Alltag. Wenn die Kolleg<strong>in</strong>nen<br />

und Kollegen mit den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n im<br />

Sommer <strong>in</strong> die Freibä<strong>der</strong> gehen, um Spaß<br />

zu haben, steht auch immer e<strong>in</strong> Lernaspekt<br />

dah<strong>in</strong>ter. Damit die K<strong>in</strong><strong>der</strong> eben nicht<br />

Außenseiter s<strong>in</strong>d, die am Rand stehen o<strong>der</strong><br />

sich da gar nicht erst verabreden, weil sie<br />

nur mit Schwimmflügeln durch die Gegend<br />

laufen können. Inklusion denken wir immer<br />

mit, das ist unser Auftrag.<br />

HAUBROCK Ich habe e<strong>in</strong>en Jugendlichen <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Psychomotorik, wenn <strong>der</strong> mir freudestrahlend<br />

erzählt, dass er während <strong>der</strong> Pausen<br />

mit se<strong>in</strong>en Klassenkameraden <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Schule gebolzt hat, dann ist das e<strong>in</strong> tolles<br />

Ergebnis: Er gehörte zur Gruppe. <strong>Das</strong> ist<br />

doch wun<strong>der</strong>bar! //<br />

1/<strong>2023</strong> <strong>recke</strong>: <strong>in</strong> 15

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