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Wohin der Weg uns führt

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<strong>Wohin</strong> <strong>der</strong> <strong>Weg</strong> <strong>uns</strong> <strong>führt</strong><br />

Der Autor<br />

Ich wurde 1953 in Zürich geboren. Mein Vater war ein Schweizer und<br />

meine Mutter eine Finnin - mein Vorname, <strong>der</strong> genau Hans bedeutet,<br />

weist darauf hin -, aber ich bin nach ihrer frühen Scheidung abseits von<br />

ihnen an verschiedenen Orten <strong>der</strong> Kantone Zürich und Appenzell<br />

aufgewachsen. Den Familiennamen Stump habe ich von einem<br />

nordbadischen Urgrossvater, <strong>der</strong> irgendwann zwischen 1870 und 1885<br />

in die Schweiz eingewan<strong>der</strong>t und in Zürich hängen geblieben ist.<br />

Bisher habe ich schon fast zwanzig Bücher veröffentlicht, vor allem<br />

Sprachlehrbücher.<br />

Zum Inhalt des Romans<br />

Hans Stettler, 32-jährig, hat eigentlich alles, was er braucht: Ein gutes<br />

Elternhaus, gute Geschwister und einen guten Arbeitsplatz, und zudem<br />

ist er ein angesehenes Mitglied in einem Fussballverein. Nur eines fehlt<br />

ihm noch: Eine liebe Frau, die gut zu ihm passt. Eines Tages lernt er<br />

durch Kontakte zu Leuten, die sich als gläubige Christen bezeichnen,<br />

eine solche Frau kennen, zu <strong>der</strong> er sich sofort hingezogen fühlt.<br />

Allerdings gehört auch sie zu diesen Christen - und um ihr Herz<br />

gewinnen zu können, müsste er sich zuerst bekehren. Wie soll das<br />

jedoch vor sich gehen, da er mit diesem Glauben, <strong>der</strong> nach seiner<br />

Meinung für die heutige Zeit veraltet und verstaubt ist, nichts anfangen<br />

kann?<br />

Zuerst muss er einmal sachte in diese neue geistige Welt einge<strong>führt</strong><br />

werden …<br />

Dieser Roman ist stark autobiografisch geprägt, einen Teil dieser<br />

Geschichte habe ich so selbst erlebt.<br />

Die Erstveröffentlichung dieses Buches war im Jahr 2007 im Asaro-<br />

Verlag in Sprakensehl bei Bremen. Da es diesen Verlag heute nicht<br />

mehr gibt, habe ich den Roman überarbeitet und auf den neusten Stand<br />

gebracht.<br />

1


1<br />

Es ist schon sieben Uhr vorbei, als er sich endlich auf den Heimweg<br />

macht. So wie es seine Gewohnheit ist, hat er nach seinem Feierabend<br />

noch schnell einen Kaffee getrunken und verschiedene Zeitschriften<br />

gelesen, die er tagsüber sonst nicht zu sehen bekommt. Da heute<br />

Donnerstag ist und er somit einen trainingsfreien Tag hat, konnte er sich<br />

dafür Zeit nehmen, und so hat er das auch ausgenützt. Er genießt es<br />

zwar, in <strong>der</strong> Gesellschaft an<strong>der</strong>er Leute zu sein, und ist auch sonst kein<br />

Kind von Traurigkeit, doch ab und zu schätzt er es, auch einmal für sich<br />

allein zu sein, und da dies nicht immer zwischen den eigenen vier<br />

Wänden geschehen muss, geht er manchmal in ein Café o<strong>der</strong> gar in ein<br />

Kino, das letztere jedoch nur selten.<br />

Natürlich möchte er auf die Dauer nicht immer allein sein, aber da seine<br />

letzte Beziehung zu einer Frau vor ein paar Wochen in die Brüche<br />

gegangen ist und es auch bei ihm eine gewisse Zeit braucht, um einen<br />

solchen Tiefschlag zu überwinden, betrachtet er das gegenwärtige<br />

Alleinsein bloß als vorübergehend. Wenigstens kann er sich damit<br />

trösten, dass er damit nicht allein dasteht, dass auch noch<br />

Zehntausende von an<strong>der</strong>en mit einer solchen Enttäuschung fertigwerden<br />

müssen, und außerdem hat er noch seine Kollegen vom Fussballverein,<br />

die ihn davon ablenken können, zumal auch von ihnen einige sich mit<br />

den gleichen Problemen herumwälzen müssen.<br />

Da dieser Verein in einer <strong>der</strong> untersten Ligen beheimatet ist, die in ihre<br />

eigenen Regionen eingeteilt ist, müssen sie nicht so viel Zeit investieren,<br />

um an den Spieltagen bis in die entferntesten Winkel des Landes zu<br />

reisen, und somit müssen sie auch das Training nicht so übertrieben<br />

ernst nehmen wie in den oberen Ligen. Sie trainieren schon seriös und<br />

zielgerichtet, wenn sie zusammen sind, aber eben nicht zweimal am Tag<br />

und erst noch jeden Tag wie die Profis o<strong>der</strong> Halbprofis. Dass sie in <strong>der</strong><br />

Tabelle auf einem <strong>der</strong> mittleren Plätze liegen, stört zwar die meisten, die<br />

gern noch etwas höher hinaufgehen und am Ende <strong>der</strong> Saison auch um<br />

den Aufstieg spielen würden, aber im Grund sind sogar diese zufrieden.<br />

Schließlich sind sie immer noch Amateure und berufstätig, sofern sie<br />

einen Arbeitsplatz haben, und fast keiner von ihnen rechnet ernsthaft<br />

damit, einmal von einem einflussreichen Späher entdeckt und zu einem<br />

höher klassierten Verein geholt zu werden, wie das schon mit manchem<br />

an<strong>der</strong>en geschehen ist, <strong>der</strong> dann auch bekannt wurde - in diesem Verein<br />

allerdings noch nie.<br />

Jetzt befindet er sich also auf dem Heimweg und bevor er in die<br />

2


Straßenbahn einzusteigen gedenkt, die ihn bis ans Ende <strong>der</strong> Stadt<br />

führen wird, wo er eine kleine Zwei-Zimmer-Wohnung für sich allein hat,<br />

schlen<strong>der</strong>t er noch ein wenig den Straßen entlang. Dabei tut er das dort,<br />

wo es immer wie<strong>der</strong> etwas Neues zu sehen gibt, an den verschiedenen<br />

Läden und Modeboutiquen vorbei, die regelmäßig den neuesten Schrei<br />

anbieten o<strong>der</strong> manchmal auch nur so tun. Obwohl er versucht, sich für<br />

alle Schaufenster Zeit zu nehmen, entdeckt er nach kurzer Zeit an sich<br />

selbst, dass ihn im Grund nichts interessiert, und auch die zahlreichen<br />

Menschen, die an ihm vorbeihasten und ihn dabei teilweise<br />

unbeabsichtigt stupfen, nimmt er kaum wahr. Es ist wie<strong>der</strong> einmal eine<br />

jener Stunden, in denen er eigentlich nicht so recht weiß, was er gerade<br />

tut o<strong>der</strong> noch tun soll, in denen er die Zeit zwar nicht direkt totschlagen<br />

will, aber auch nicht unglücklich ist, wenn sie schnell vorübergeht.<br />

Obwohl er immer wie<strong>der</strong> mit an<strong>der</strong>en Leuten auch außerhalb <strong>der</strong><br />

Fussballszene zusammen ist, muss er sich immer wie<strong>der</strong> dabei<br />

ertappen, wie er in solchen Momenten mit seinem Leben im Grund<br />

nichts Rechtes anzufangen weiß und in sich eine unerklärliche Leere<br />

spürt.<br />

Dies ist die Ausgangslage, in <strong>der</strong> er sich befindet, als er am<br />

Bellevueplatz, wo er in die nächste Strassenbahn einsteigen will,<br />

inmitten des Knäuels von vorbeihastenden, scherzenden, flirtenden,<br />

essenden und trinkenden Personen einen mittelgroßen, hageren Mann<br />

mit kurzen Haaren und ohne beson<strong>der</strong>en Gesichtsschmuck erblickt, <strong>der</strong><br />

in <strong>der</strong> einen Hand einen Bündel voller Papier und in <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en eines<br />

dieser Papiere hält. Was mag das wohl sein?, fragt er sich, aber ohne<br />

wirkliches Interesse. Dann fällt es ihm wie<strong>der</strong> ein: Natürlich kann es nur<br />

etwas Politisches sein, denn wer auch nur ein wenig in den Zeitungen<br />

liest, die überall aufgehängten Plakate beachtet, einen <strong>der</strong> lokalen<br />

Radiosen<strong>der</strong> hört o<strong>der</strong> einen ebenso lokalen Fernsehkanal schaut, ist<br />

schnell darüber informiert, dass in wenigen Wochen Wahlen o<strong>der</strong><br />

genauer Lokalwahlen sein werden, bei denen die Regierung und das<br />

Parlament dieser Stadt neu bestellt werden, wie das bis anhin alle vier<br />

Jahre gewesen ist. Er interessiert sich zwar nicht beson<strong>der</strong>s für Politik,<br />

so wenig wie die meisten an<strong>der</strong>en es auch tun, aber ab und zu schnappt<br />

er doch etwas auf, und dann denkt er darüber nach und fragt jemanden<br />

vom Verein, wenn er etwas nicht o<strong>der</strong> falsch versteht.<br />

Ohne sich etwas dabei zu denken, nähert er sich langsam diesem Mann<br />

mit den Papieren, <strong>der</strong> inmitten all dieser Menschen eine seltsame Ruhe<br />

ausstrahlt. Als er nahe genug daran ist, erkennt er, dass es sich<br />

tatsächlich nur um politische Flugblätter handeln kann, die <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e zu<br />

verteilen versucht. Es gelingt ihm, von <strong>der</strong> Seite her den Haupttitel des<br />

3


Flugblatts zu lesen, ohne dass <strong>der</strong> Mann es bemerkt. Da steht deutlich<br />

genug und mit einem Ausrufezeichen versehen:<br />

Revolution - um jeden Preis!<br />

Was für eine Revolution ist da wohl gemeint?, fragt er sich und will sich<br />

schon überlegen, ob er den Mann darauf ansprechen soll, als dieser ihn<br />

bemerkt und sich ihm zuwendet.<br />

„Möchten Sie das lesen?“, fragt er ihn auffallend höflich und schaut ihn<br />

dabei lächelnd an.<br />

„Ich habe es schon gelesen“, antwortet er etwas verlegen, „das heißt,<br />

den Titel.“<br />

„Das ist wenigstens schon etwas“, entgegnet <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e im gleichen<br />

Ton.<br />

„Was für eine Revolution wollen Sie denn bewirken?“, fragt er den<br />

an<strong>der</strong>en etwas belustigt und erinnert sich wie<strong>der</strong> daran, dass auch in<br />

diesem Land immer wie<strong>der</strong> von einer Revolution die Rede war und die<br />

Politikerinnen und Politiker in ihren Reden einan<strong>der</strong> Schimpfwörter an<br />

den Kopf warfen, über die er als Neutraler sich stets nur amüsieren<br />

konnte.<br />

„Eine geistliche Revolution“, antwortet <strong>der</strong> Mann erneut erstaunlich ruhig.<br />

„Eine was?“<br />

Es verschlägt ihm fast die Sprache, nicht nur weil er einen solchen<br />

Ausdruck noch nie zuvor gehört hat, son<strong>der</strong>n auch wegen <strong>der</strong> Art, wie<br />

<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e seine Antworten gibt. Er hat in seinen bisher 32 Jahren zwar<br />

schon viel gesehen und erlebt, aber so etwas noch nicht. Da steht<br />

plötzlich ein Wildfrem<strong>der</strong> vor ihm und macht Propaganda für eine ... was<br />

für eine Revolution war es denn schon wie<strong>der</strong>? Ach was, ist auch nicht<br />

so wichtig! Schon macht er Anstalten, wie<strong>der</strong> umzukehren und auf die<br />

Strassenbahn zu warten - umso mehr, als er auch schon eine<br />

heranfahren sieht -, als <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e die Antwort wie<strong>der</strong>holt: „Eine<br />

geistliche Revolution.“<br />

„Was zum Henker ist denn das?“, fragt er etwas verärgert, weil er ahnt,<br />

dass er seine Kutsche nach Hause verpassen wird.<br />

„Ich kann es Ihnen erklären, wenn Sie sich dafür ein bisschen Zeit<br />

nehmen“, entgegnet <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e immer noch so ruhig wie zuvor.<br />

„Wer hat denn heute schon Zeit für irgendetwas?“, fragt er immer noch<br />

leicht verärgert und sieht dabei zu, wie seine Bahn anhält und die Leute<br />

hastig wie immer ein- und auszusteigen beginnen; jetzt ist es wohl klar,<br />

dass er diese abhaken muss.<br />

„Genau das ist das große Problem“, erklärt <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e in so festem und<br />

4


entschlossenem Ton, dass er doch etwas stutzig und neugierig wird,<br />

„niemand hat Zeit, wenn es wirklich darauf ankommt, o<strong>der</strong> sagt es<br />

mindestens.“<br />

„Ja, da ist etwas Wahres dran“, gibt er ihm kopfnickend Recht und<br />

wendet sich ihm wie<strong>der</strong> zu, während die Straßenbahn abfährt.<br />

„Haben denn Sie Zeit?“, fragt ihn darauf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e keck, während er<br />

ihm direkt in die Augen schaut.<br />

„Zeit für was?“<br />

„Zum Beispiel etwas über diese Revolution zu erfahren.“<br />

„Sie gehen ganz schön zur Sache“, sagt er dann zu seinem Gegenüber,<br />

wobei er sich diesmal ein Lächeln nicht verkneifen kann.<br />

„Wie man’s nimmt“, entgegnet <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e immer noch ruhig, „wenn Sie<br />

sich dafür die Zeit nehmen, dann nehme ich mir auch Zeit für Sie.“<br />

„Das tönt ja erstaunlich höflich, das sieht man heute nicht mehr so<br />

häufig.“<br />

„Ich versuche immer, zu allen höflich zu sein, sonst könnte ich diese<br />

Arbeit hier nicht tun.“<br />

„Arbeit, sagen Sie?“<br />

„Eben - diese Traktate verteilen und mit den Leuten reden.“<br />

„Ah, über diese beson<strong>der</strong>e Revolution?“<br />

„Genau.“<br />

Er kann es sich selbst nicht erklären, aber irgendetwas fasziniert ihn an<br />

diesem Mann, so bestechend sicher und spontan gibt er seine<br />

Antworten.<br />

„Was genau ist denn diese Revolution? Jetzt habe ich das Wort schon<br />

wie<strong>der</strong> vergessen.“<br />

„Eine Revolution, die durch den Glauben geschieht.“<br />

„Was für ein Glaube? Wir glauben doch alle an irgendetwas.“<br />

„Genau, aber dieser Glaube ist etwas ganz Beson<strong>der</strong>es.“<br />

„Das sagen doch alle.“<br />

„Sicher, aber er ist trotzdem etwas Beson<strong>der</strong>es. Wenn Sie mehr darüber<br />

wissen wollen, können Sie mit mir an einen speziellen Ort gehen, wo wir<br />

<strong>uns</strong> dafür Zeit nehmen können und wo es vor allem auch ruhiger ist als<br />

hier.“<br />

Oh Schreck, jetzt auch das noch!, sagt er zu sich verlegen und will schon<br />

wie gewohnt auf seine Uhr schauen, doch dann überlegt er sich, dass<br />

auch das eine <strong>der</strong> typischen Erscheinungen <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Zivilisation ist<br />

und er nicht immer alles mitmachen muss, und so lässt er es bleiben.<br />

„Sie müssen ja nicht, wenn Sie nicht wollen“, entgegnet <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e<br />

weiter ruhig und höflich, „aber ich würde mir extra für Sie Zeit nehmen.“<br />

Das sind wirklich unerhörte Worte, die er zu hören bekommt: Jemand,<br />

5


<strong>der</strong> sich extra für ihn Zeit nimmt, und dazu noch einer, den er erst vor<br />

wenigen Minuten kennen gelernt hat. Nicht einmal sein Trainer hat sich<br />

bis heute die Mühe genommen, ihm ein solches Angebot zu<br />

unterbreiten, jedenfalls nicht in diesem Ausmaß; dazu ist das<br />

Fussballgeschäft auch in den unteren Ligen viel zu hektisch und <strong>der</strong><br />

Erfolgsdruck viel zu groß geworden. Aber auch sein direkter<br />

Vorgesetzter an seinem Arbeitsplatz strahlte nicht diese Ruhe aus, als er<br />

ihn einmal zu einem Gespräch in seinem Büro einlud, und sprach nur<br />

knappe fünf Minuten mit ihm, um ihm mitzuteilen, dass er eine kleine<br />

Lohnerhöhung bekommen würde.<br />

„Wo soll es denn hingehen?“, fragt er dann fast wie nebenbei und erneut<br />

ohne wirkliches Interesse - man kann ja immer kurz fragen.<br />

„Nicht weit von hier“, antwortet <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e, „es gibt dort übrigens auch<br />

Kuchen und etwas zum Trinken - Kaffee o<strong>der</strong> Tee, was Sie wollen.“<br />

„Aha, damit wollen Sie mich wohl kö<strong>der</strong>n?“<br />

„Sicher nicht, aber das gehört einfach dazu, wenn man jemanden einlädt<br />

- erst recht bei <strong>uns</strong>erer Arbeit da draußen.“<br />

Da nun seine Straßenbahn schon abgefahren ist und er wirklich noch<br />

etwas Zeit hat, gibt er sich einen Ruck und schickt sich jetzt tatsächlich<br />

an, dem an<strong>der</strong>en zu folgen. Zwar hat er morgen einen arbeitsfreien Tag,<br />

aber am späteren Vormittag sein nächstes Training. Trotzdem glaubt er,<br />

für ein kurzes Gespräch mit diesem geheimnisvollen Unbekannten, von<br />

dem er bisher noch nicht einmal den Namen weiß, noch etwas Zeit<br />

aufbringen zu können.<br />

„Okay, dann lasse ich mich überraschen“, hört er sich plötzlich selbst<br />

sagen, worauf er bemerkt, dass <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e noch ein wenig mehr strahlt.<br />

Und das alles nur wegen ihm?<br />

Schon überqueren sie die Straße, welche die Verkehrsinsel von den<br />

Häuserblocks trennt, und ehe er es sich versieht, befinden sie sich auf<br />

dem <strong>Weg</strong> zu jenem geheimnisvollen Ort, wo es Kuchen und Getränke<br />

geben soll. Er beachtet wie zuvor die Leute nicht, die an ihm<br />

vorbeihasten, und wie von einer <strong>uns</strong>ichtbaren, unerklärlichen Macht<br />

getrieben versucht er, dem Mann zu folgen, <strong>der</strong> für seine Körpergröße<br />

einen erstaunlich schnellen Schritt hat.<br />

Sobald sie ein wenig aus dem ganzen Menschenknäuel heraus sind und<br />

neben einer weniger befahrenen Straße gehen, überwindet er sich<br />

endlich dazu, den an<strong>der</strong>en direkt zu fragen: „Glaubt ihr denn an einen<br />

Gott?“<br />

Schließlich muss er ja wissen, mit was für Leuten er es zu tun haben<br />

wird, bevor sie irgendwo abtauchen.<br />

„Ja, genau“, antwortet <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e so kurz und entschlossen, dass er fast<br />

stehen bleibt.<br />

6


„Was für eine Sekte seid ihr denn? Damit will ich nichts zu tun haben.“<br />

Natürlich ist auch er ein Kind dieser Zeit; so kommt auch er sofort mit<br />

diesem anrüchig gewordenen Wort, das schon seit vielen Jahren jedes<br />

Mal in den Mund genommen wird, wenn in den Medien von einer<br />

Glaubensgemeinschaft außerhalb <strong>der</strong> noch erlaubten Staatskirchen die<br />

Rede ist.<br />

„Ich kann Sie beruhigen“, antwortet <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e selbst nach dieser Frage<br />

so ruhig wie zuvor, „wir sind keine Sekte, son<strong>der</strong>n Christen.“<br />

„Christen? Das ist es ja gerade, was ich meine.“<br />

„Sie müssen nicht alles glauben, was erzählt und geschrieben wird.<br />

Hören Sie sich doch einfach alles in Ruhe an und schauen Sie sich um!<br />

Dann werden Sie selber sehen, was da so dran ist.“<br />

Trotz dieser beruhigenden Worte bleibt er jetzt stehen, weil er plötzlich<br />

keine Lust mehr hat, mit dem an<strong>der</strong>en weiterzugehen.<br />

„Wenn ihr eine Sekte seid, will ich mit euch nichts zu tun haben“, sagt er<br />

dann energisch, indem er dem an<strong>der</strong>en scharf in die Augen schaut,<br />

„dabei ist es mir gleich, ob ihr Christen seid o<strong>der</strong> nicht. Man hat schon zu<br />

viel gehört und gelesen, was so alles passiert ist.“<br />

„Mit <strong>uns</strong> aber sicher nicht, da kann ich Sie beruhigen.“<br />

„Bestimmt?“, fragt er und schaut ihn mit strengem Blick an.<br />

„Das können Sie mir glauben. Kommen Sie doch einfach mit und bilden<br />

Sie sich selber eine Meinung! Wenn es Ihnen dann nicht mehr gefällt,<br />

können Sie je<strong>der</strong>zeit wie<strong>der</strong> gehen. Die Tür ist immer offen und<br />

irgendwann gehen auch wir wie<strong>der</strong> nach Hause.“<br />

Dieser versteckte Humor gefällt ihm; so überwindet er sich doch noch<br />

dazu, dem an<strong>der</strong>en erneut zu folgen und sich seinem Schicksal zu<br />

ergeben, wie er das sieht - gleich umbringen wird man ihn ja wohl nicht.<br />

Als sie den geheimnisvollen Ort erreichen, von dem <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e<br />

gesprochen hat, ist schon an den Schaufenstern neben <strong>der</strong> Eingangstür<br />

deutlich zu erkennen, dass dieses Haus, in das sie hineingehen werden,<br />

eine Art Kirche ist. Von außen her sieht es zwar nicht danach aus, doch<br />

die aufgeklebten Papiere in C 4-Format an <strong>der</strong> Tür selbst verraten, dass<br />

es sich um eine solche handeln muss. Da sind verschiedene Programme<br />

und Einladungen aufgedruckt, und obwohl er nicht näher herantritt, um<br />

etwas zu lesen, kann er wie eine halbe Stunde zuvor auf <strong>der</strong> Straße, als<br />

er den Mann getroffen hat, einen weiteren Titel erkennen, <strong>der</strong> in noch<br />

größeren Buchstaben geschrieben steht:<br />

Willkommen!<br />

Als sie schließlich die Treppe zu einem Raum hinuntergehen, in dem<br />

7


sich die Leute anscheinend zu versammeln pflegen, kommt es ihm recht<br />

ungemütlich vor, ja, es fehlte wenig und er würde am liebsten wie<strong>der</strong><br />

umkehren, <strong>der</strong>art falsch am Platz fühlt er sich jetzt. Dennoch bleibt er<br />

drinnen, als würde ihn irgendeine <strong>uns</strong>ichtbare Macht gefangen halten. Es<br />

ist aber auch eine eigenartige Atmosphäre, die ihn geradezu fasziniert<br />

und die er auf diese Weise in seinem ganzen Leben noch nie erlebt hat,<br />

jedenfalls soweit er sich zurückerinnern kann. Alles kommt ihm so ruhig<br />

und friedlich vor, wie er es an seinem Arbeitsplatz, an dem alle mit ihren<br />

Ellbogen buchstäblich ums Überleben kämpfen müssen, und erst recht<br />

auf den Fussballplätzen nie kennen gelernt hat.<br />

Am meisten fällt ihm auf, wie freundlich die Leute miteinan<strong>der</strong> umgehen<br />

und einan<strong>der</strong> meistens mit dem Vornamen begrüßen, wenn sie sich<br />

kennen. Die mit Blumen und Kerzen gedeckten Tische sowie <strong>der</strong> nur<br />

halbhell erleuchtete Raum verleihen <strong>der</strong> ganzen Atmosphäre da unten<br />

noch einen zusätzlichen romantischen Rahmen. Ja, er muss sich<br />

eingestehen, dass er sich hier drinnen fürs Erste zumindest nicht unwohl<br />

fühlt, dass er hier tatsächlich eine Weile bleiben und das Folgende, das<br />

über ihn hereinbrechen wird, ruhig über sich ergehen lassen könnte.<br />

„Wir können <strong>uns</strong> hierhersetzen, wenn Sie wollen“, sagt ihm <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e,<br />

nachdem sie sich ein wenig umgeschaut haben, und zeigt auf einen<br />

kleinen Tisch, <strong>der</strong> sich höchstens vier Meter von einer Art Rednerpult<br />

entfernt befindet.<br />

„Ja, da ist es ideal“, antwortet er überraschend sicher, und als sie es sich<br />

bequem eingerichtet haben, schaut er sich nochmals ein wenig um.<br />

Obwohl <strong>der</strong> Raum recht gut besucht ist, sind nicht alle Plätze an den<br />

Tischen besetzt; es könnten also immer noch welche hereinkommen.<br />

Da sie jetzt bequem sitzen, hält es <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e für angebracht, endlich<br />

das zu tun, was sie schon auf <strong>der</strong> Straße hätten tun können, doch bevor<br />

er nicht sicher war, ob sie am Ende ihres <strong>Weg</strong>es tatsächlich bis hierher<br />

gelangen würden, wollte er sich noch zurückhalten.<br />

„Übrigens habe ich mich noch gar nicht vorgestellt“, kommt er also<br />

gleich zur Sache, „ich heiße Erwin Gisler.“<br />

„Und ich Hans Stettler“, entgegnet sein Gegenüber spontan, da er von<br />

seiner Arbeitsstelle her solche Begegnungen gewohnt ist. Dann fügt er<br />

lächelnd hinzu: „Wir können <strong>uns</strong> ruhig duzen, schließlich sind wir noch<br />

beide jung.“<br />

Dabei streckt er dem an<strong>der</strong>en die Hand hin, worauf dieser sie ohne<br />

Zögern ergreift und drückt und sagt: „Abgemacht, dann sagen wir <strong>uns</strong><br />

von jetzt an du.“<br />

„Okay, Erwin.“<br />

8


Noch ehe sie ein tieferes Gespräch beginnen können, bittet jemand, <strong>der</strong><br />

offensichtlich ein Mitglied dieser Vereinigung ist, ums Wort. Sofort wird<br />

es still und darauf erzählt <strong>der</strong> betreffende junge Mann kurz etwas aus<br />

seinem Leben, was Hans Stettler auf diese Art noch nie zuvor gehört<br />

hat. Dann kommt ein Mädchen an die Reihe, das sicher noch ein<br />

Teenager ist - o<strong>der</strong> ein „Teenie“, wie <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>ne Ausdruck lautet -, und<br />

mit einer erstaunlich schönen und sanften Stimme etwas singt; dabei<br />

wird sie von einem Burschen begleitet, <strong>der</strong> auf einer Gitarre spielt.<br />

Schließlich tritt wie<strong>der</strong> ein Mann auf, <strong>der</strong> eine längere Rede von etwa<br />

dreißig Minuten hält und dazu ebenfalls ein Stück aus seinem Leben<br />

erzählt.<br />

Obwohl Stettler wenig bis nichts von dem begreift, was da erzählt und<br />

gesungen wird, scheint ihm dies klar zu sein: Alle sprechen von einem<br />

Jesus, <strong>der</strong> offensichtlich hier drinnen im Mittelpunkt steht, weil er das<br />

Leben dieser drei Personen verän<strong>der</strong>t und ihnen einen wirklichen Sinn<br />

gegeben habe. Natürlich weiß er, welcher Jesus gemeint ist; es kann<br />

sich ja nur um den handeln, von dem immer wie<strong>der</strong> in den verstaubten<br />

Kirchenbüchern die Rede ist, <strong>der</strong> irgendwann einmal vor etwa 2'000<br />

Jahren vielleicht gelebt hat, und er erinnert sich noch daran, dass er<br />

immer wie<strong>der</strong> die spöttischen Ausdrücke „Jesus-People“ und „Jesus-<br />

Freaks“ gehört hat, wenn jemand diese son<strong>der</strong>baren Leute erwähnte, die<br />

vorgaben, an diesen Jesus zu glauben. Das alles kennt man ja gut<br />

genug; so ist es für ihn nicht unbedingt eine Überraschung, dass er da<br />

unten wie<strong>der</strong> davon hört - allerdings zum ersten Mal direkt auf diese<br />

Weise und zudem in einem Kellerraum, <strong>der</strong> ihm aufgrund <strong>der</strong><br />

beson<strong>der</strong>en Atmosphäre und <strong>der</strong> außergewöhnlichen Aussagen über<br />

diesen Jesus schon jetzt wie eine Art Katakombe vorkommt.<br />

Als <strong>der</strong> Redner endlich abtritt, indem er sagt, jetzt hätten alle etwas Zeit,<br />

um sich über das Gehörte zu unterhalten, fragt Erwin Gisler ihn<br />

vorsichtig: „Hat es dir gefallen?“<br />

„Gefallen schon“, antwortet Stettler etwas verlegen, „aber wenn ich<br />

ehrlich bin, habe ich von all dem nur ‚Bahnhof’ verstanden.“<br />

Jetzt wird Gisler etwas <strong>uns</strong>icher, weil er nicht sofort weiß, auf welche<br />

Weise er das geplante Gespräch, für das er schließlich auf die Straße<br />

gegangen ist und sie hierhergekommen sind, am besten beginnen soll -<br />

er ahnt bereits, dass Stettler kein leichter Brocken ist.<br />

„Also, Hans“, findet er dann doch zu Worten, „was diese Leute, die du<br />

vorher gehört hast, erzählt haben, das habe ich selber auch so erlebt.“<br />

„Wie meinst du das?“<br />

„Auch ich habe an mir selber erfahren, dass Jesus wirklich auferstanden<br />

ist und noch heute lebt.“<br />

9


„Aber Erwin! Das ist doch nur ein altes Kin<strong>der</strong>märchen“, entgegnet<br />

Stettler lächelnd, „so etwas ist doch völlig unmöglich.“<br />

„Nein, Hans, es ist die Wahrheit“, sagt Gisler darauf in sicherem Ton,<br />

weil er jetzt endlich den Faden zum Gespräch gefunden hat, „Jesus<br />

Christus ist wirklich von den Toten auferstanden, wie das in <strong>der</strong> Bibel<br />

geschrieben steht, und kann <strong>uns</strong> allen ein neues Leben schenken und<br />

<strong>uns</strong> noch heute erlösen.“<br />

„Erlösen? Von was denn?“<br />

„Von <strong>der</strong> Sünde.“<br />

„Sünde - was ist denn das?“<br />

„Das ist die Trennung von Gott.“<br />

„Trennung? Das sagt mir alles nichts, ich verstehe kein Wort davon.“<br />

„Hast du überhaupt schon einmal davon gehört?“<br />

„Soviel ich weiß, noch nicht, jedenfalls erinnere ich mich im Moment<br />

nicht daran.“<br />

Dann halten sie kurz inne und als sie sich nochmals Kaffee eingeschenkt<br />

haben, zieht Gisler plötzlich ein dünnes Büchlein, das wie eine<br />

Broschüre in Miniaturform aussieht, aus einer Jackentasche. Da Stettler<br />

heute schon zweimal erfahren hat, dass ein Titel bei diesen Jesus-<br />

Leuten anscheinend viel aussagt, konzentriert er sich darauf, die auf<br />

dem Deckel geschriebenen Worte zu lesen, und es gelingt ihm<br />

tatsächlich, noch bevor <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e zu sprechen beginnt, dies zu<br />

erkennen:<br />

Kennen Sie schon die vier geistlichen Gesetze?<br />

Was soll jetzt das schon wie<strong>der</strong> heissen?, fragt er sich etwas verärgert,<br />

weil er sich durch solche Worte veralbert fühlt, und schon kommt ihm<br />

wie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Gedanke, dass es vielleicht doch besser ist, wenn er sich<br />

verzieht; allmählich kommt ihm das Ganze doch zu son<strong>der</strong>bar vor und<br />

wächst ihm immer mehr über den Kopf.<br />

„Siehst du, das sind sie vier geistlichen Gesetze, die ganz deutlich den<br />

Plan zeigen, den Gott für <strong>uns</strong> alle hat“, beginnt Gisler denn sogleich<br />

zielstrebig auf ihn einzureden, und obwohl Stettler sich ehrlich bemüht,<br />

das zu verstehen, was sein Gesprächspartner Punkt für Punkt mit ihm<br />

durchgeht, hat er am Schluss im Grund nichts verstanden. Da ist die<br />

Rede davon, dass Gott einen bestimmten Plan für alle hat, dass <strong>der</strong><br />

Mensch von Geburt auf sündig und von Gott getrennt ist, dass Jesus<br />

Christus Gottes einziger Ausweg aus <strong>der</strong> Sünde und für alle<br />

stellvertretend am Kreuz gestorben und danach auferstanden ist, und<br />

dass alle Menschen diesen Jesus durch eine persönliche Einladung als<br />

Erlöser aufnehmen müssen. Wahrhaftig, all dies ist für ihn, dessen<br />

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Lebensinhalt bisher fast nur die Bank, in <strong>der</strong> er arbeitet, <strong>der</strong> Fussball und<br />

ab und zu eine Frau gewesen ist, zu viel auf einmal. Er braucht erst<br />

einmal Zeit, um darüber nachzudenken und es zu verarbeiten, sofern er<br />

sich morgen noch dafür interessiert, denn das ist noch längst nicht<br />

sicher.<br />

Als Gisler ihm schließlich diese vier Gesetze, <strong>der</strong>en Benennung als<br />

solche Stettler schon völlig daneben findet, Punkt für Punkt erklärt und er<br />

ihm zu seinem eigenen Erstaunen bis zum Schluss zugehört hat, stellen<br />

sie fest, dass es bereits ziemlich spät geworden ist und nicht wenige<br />

Leute inzwischen nach Hause gegangen sind.<br />

„Ich weiß, dass du vielleicht nicht alles verstanden hast, das ich dir<br />

erklärt habe“, schließt Gisler das Gespräch darauf ab, „es ist ja auch das<br />

erste Mal, dass du davon gehört hast. Trotzdem ist dieses Büchlein für<br />

den Anfang eine gute Grundlage.“<br />

„Ja, für euch.“<br />

„Nein, auch für dich, Hans, ganz bestimmt.“<br />

„Das weiß ich nicht so recht, es kommt mir alles schon ein bisschen<br />

komisch vor.“<br />

„So ist es bei mir auch einmal gewesen und bei vielen an<strong>der</strong>en ebenfalls.<br />

Es braucht wirklich Zeit, bis man das richtig verstehen kann. Willst du<br />

wenigstens darüber nachdenken?“<br />

„Hm, ich kann es ja versuchen.“<br />

„Das wäre schön und würde mich wirklich freuen. Du kannst übrigens<br />

‚Die vier geistlichen Gesetze’ mit nach Hause nehmen, wenn du<br />

möchtest; dann kannst du dort alles in Ruhe noch einmal durchlesen.“<br />

Dabei drückt er ihm das Büchlein in die Hand, worauf Stettler ein kurzes<br />

„Danke“ murmelt, ohne dass er sich beson<strong>der</strong>s darüber freut. Schon will<br />

er sich von Gisler verabschieden, als dieser ihm noch eine kleine Bibel<br />

zeigt und sagt: „Ich gebe dir auch das mit nach Hause.“<br />

„Wie viel kostet das Buch?“, fragt Stettler aus lauter Gewohnheit, weil<br />

schließlich fast nichts auf <strong>der</strong> Welt gratis ist und auch dieser Verein hier<br />

Geld brauchen kann.<br />

„Du kannst diese Bibel umsonst haben“, antwortet Gisler lächelnd, „sie<br />

ist schließlich Gottes Wort.“<br />

„Bist du da so sicher?“<br />

„Absolut sicher.<br />

„Hm, ich kann sie ja mal mitnehmen, vielleicht blättere ich mal drin<br />

herum. Zum Glück habe ich scharfe Augen, so dass ich diese kleinen<br />

Buchstaben auch ohne Lesebrille reinziehen kann.»<br />

Er merkt allmählich, dass er immer zynischer wird und es deshalb besser<br />

ist, wenn sie sich jetzt voneinan<strong>der</strong> trennen.<br />

11


„Also, dann gehe ich wie<strong>der</strong>“, sagt er dann deutlich genug und streckt<br />

Gisler die rechte Hand zum Abschied hin.<br />

„Ich muss auch gehen“, entgegnet dieser, „es ist ja wirklich spät<br />

geworden.“<br />

Als sie sich die Hände geben, fragt Gisler: „Kommst du bald wie<strong>der</strong> mal<br />

vorbei?“<br />

„Ich weiß es ehrlich gesagt noch nicht.“<br />

„Es würde mich sehr freuen.“<br />

„Diese Floskel benützen alle.“<br />

„Ja, aber ich meine es ehrlich.“<br />

„Ich muss es mir noch überlegen; zuerst brauche ich mal genug Zeit, um<br />

über das alles nachzudenken, aber auch dann, wenn ich das getan<br />

habe, kann ich dir nicht garantieren, dass ich wie<strong>der</strong> vorbeikomme.“<br />

„Das werden wir ja sehen. Auf jeden Fall wünsche ich dir Gottes Segen,<br />

Hans.“<br />

„Und ich dir Gesundheit.“<br />

„Die brauchen wir alle, aber noch viel mehr als das.“<br />

„Ja, ich weiß, was du meinst.“<br />

„Ich werde für dich beten.“<br />

So trennen sich ihre <strong>Weg</strong>e wie<strong>der</strong>. Als Hans Stettler mehr als drei<br />

Stunden später als vorgesehen doch noch in <strong>der</strong> Straßenbahn sitzt und<br />

nach Hause fährt, versucht er noch einmal, über alles, was er in den<br />

letzten paar Stunden so plötzlich wie aus heiterem Himmel erlebt hat,<br />

gründlich nachzudenken. In was bin ich da nur hineingeraten?, fragt er<br />

sich verwirrt. Wie können diese Leute bloß an einen Gott glauben, da es<br />

ja gar nicht bewiesen ist, dass es überhaupt einen Gott o<strong>der</strong> so etwas<br />

Ähnliches gibt? Am meisten Mühe von allem, was er gehört hat, bereitet<br />

ihm aber <strong>der</strong> Begriff „Sünde“. Dass alle Menschen von Geburt an Sün<strong>der</strong><br />

sein sollen, kann er ja noch schlucken; schließlich trifft es offensichtlich<br />

zu, dass diese Welt nicht so ist, wie sie sein sollte, dass die meisten roh,<br />

ja, brutal miteinan<strong>der</strong> umgehen und sich teilweise auch gegenseitig<br />

umbringen o<strong>der</strong> sonstwie das Leben schwer machen. Das Sprichwort<br />

vom „sündigen“, wenn jemand zu viel isst, kursiert nicht umsonst überall,<br />

doch auf diese Weise hat er es bisher noch nie gehört.<br />

Was ihm noch mehr Mühe bereitet, ist jedoch die Aussage, dass alle<br />

Menschen vor Gott schuldig sein sollen und deshalb in Jesus Christus<br />

die Vergebung brauchen. Warum soll er sich vor einem Gott, den er<br />

noch nie gesehen, geschweige denn jemals persönlich erfahren hat,<br />

überhaupt schuldig fühlen? Ist es denn seine persönliche Schuld, dass<br />

er von seinen Eltern gezeugt und in diese Welt gesetzt worden ist? Das<br />

kann er nicht begreifen, das übersteigt sein Fassungsvermögen - ein<br />

12


solcher Glaube ist für ihn schlicht absurd und gegen jeden gesunden<br />

Menschenverstand.<br />

Schließlich wird ihm das Grübeln zu viel und er sagt sich, dass es<br />

vorläufig wohl am besten ist, wenn er nicht allzu intensiv darüber<br />

nachdenkt und den Dingen ihren freien Lauf lässt. Da trifft es sich<br />

wahrhaftig gut, dass er morgen wie<strong>der</strong> auf dem Fussballplatz mit seinen<br />

Kollegen trainieren und am Sonntag das nächste Spiel bestreiten kann.<br />

Bei ihnen braucht er zu seinem Glück nicht fromm zu sein; da genügt es,<br />

sich so zu geben, wie je<strong>der</strong> Einzelne ist, und natürlich auch möglichst gut<br />

zu spielen. Die Hauptsache ist, dass er auf dem Fussballplatz und nur<br />

dort über sich hinauswächst - nur das zählt letztlich für ihn, aber auch für<br />

seine Kollegen und nicht zuletzt auch für den Trainer.<br />

2<br />

Eine Woche und ein Tag sind seit <strong>der</strong> Begegnung mit Erwin Gisler<br />

vergangen, und Hans Stettler steht erneut <strong>uns</strong>chlüssig und unruhig in<br />

<strong>der</strong> Nähe des gleichen Bellevueplatzes herum, wo er diesen<br />

son<strong>der</strong>baren Mann kennen gelernt hat. Warum er innerlich so unruhig<br />

ist, kann er sich selbst auch nicht erklären. Dabei hat er eine gelungene<br />

Woche hinter sich gebracht: Zuerst gewann seine Mannschaft am<br />

letzten Sonntag zwar knapp, aber letztlich ohne Probleme, wobei er als<br />

wie gewohnt sicherer Verteidiger auch seinen Teil dazu beisteuerte.<br />

Darauf folgte ein großes Fest, das vom Verein und seinen Gönnern<br />

irgendwo im Grünen organisiert wurde und auch durchge<strong>führt</strong> worden<br />

wäre, wenn sie nur unentschieden gespielt o<strong>der</strong> gar das Spiel verloren<br />

hätten. Auch unter <strong>der</strong> Woche lief alles wie geschmiert; es gab für einmal<br />

keinen einzigen schweren administrativen Fall zu lösen und keine<br />

Reklamationen von Kunden entgegenzunehmen, und sogar die<br />

Vorgesetzten verhielten sich zumindest ihm gegenüber stets freundlich<br />

und korrekt. Das Einzige, das ihm in diesen Tagen fehlte, war eine<br />

Freundin, mit <strong>der</strong> er wenigstens einmal ausgehen und über<br />

Verschiedenes plau<strong>der</strong>n konnte. Er gehört nicht zu denen, die sofort ein<br />

Bettabenteuer suchen, aber unverbindlich mit einer lieben und guten<br />

Frau zusammen zu sein wäre halt schon etwas, das er sich wünscht. Mit<br />

Männern muss er solche Bekanntschaften sicher nicht pflegen; da kennt<br />

er schon im Verein mehrere, mit denen er oft genug zusammen ist, so<br />

auch wie<strong>der</strong> am letzten Sonntagsfest.<br />

Alles in allem geht es ihm also gut und er fühlt sich auch gut - aber eben,<br />

diese seltsame innere Unruhe lässt ihn nicht los. Hat die Begegnung mit<br />

13


diesen Leuten, die sich Christen nennen - ein Begriff, <strong>der</strong> in <strong>der</strong> heutigen<br />

Zeit fast nur noch als verschwommen bekannt ist, ja, gar etwas<br />

Anrüchiges an sich hat -, in ihm vielleicht doch tiefere Spuren<br />

hinterlassen, als er es sich selbst eingestehen will? Dabei hat er im<br />

Büchlein, in dem von diesen seltsamen vier geistlichen Gesetzen die<br />

Rede ist, nicht einmal mehr als eine Seite gelesen, geschweige denn<br />

etwas aus <strong>der</strong> Taschenbibel, die Gisler ihm geschenkt hat. Er hat zwar<br />

wie angekündigt ein wenig herumgeblättert, aber das war auch schon<br />

alles; schließlich kann er sich damit herausreden, dass ihm die nötige<br />

Konzentration gefehlt hat, denn die Arbeit und <strong>der</strong> Sport zusammen<br />

machen nun einmal viel aus.<br />

Warum er jetzt wie<strong>der</strong> am Bellevueplatz steht, kann er sich also nicht<br />

selbst klar beantworten - er steht halt einfach da, schließlich arbeitet er<br />

auch in <strong>der</strong> Nähe. Ob er wohl insgeheim damit rechnet, dass er diesen<br />

Erwin Gisler noch einmal hier treffen wird, ja, sogar irgendwie darauf<br />

hofft? Fragen an ihn hätte er ja noch wahrhaftig genug zu stellen, sogar<br />

mehr als ihm lieb ist. Vor allem mit dieser sogenannten Schuld<br />

gegenüber Gott weiß er nichts anzufangen - und erst recht nichts mit <strong>der</strong><br />

Geschichte vom Sündenfall, die ja wirklich nur ein Märchen sein kann,<br />

über die in <strong>der</strong> heutigen Zeit die meisten Leute zu Recht lachen, wenn<br />

sie diese hören, und auch er ist schließlich ein mo<strong>der</strong>ner,<br />

aufgeschlossener Mensch o<strong>der</strong> hält sich zumindest für einen solchen.<br />

Wozu soll er sich also nochmals mit diesen Frömmlern abgeben, die im<br />

Volksmund nicht umsonst mit unverhohlener Verachtung als Stündeler<br />

abqualifiziert werden?<br />

Schon überlegt er sich, ob er nicht doch jetzt nach Hause gehen soll, als<br />

er unvermutet mitten in <strong>der</strong> Menschenmenge, die sich jetzt, am späteren<br />

Samstagnachmittag, allerdings immer mehr lichtet, doch noch diesen<br />

Erwin Gisler erblickt, <strong>der</strong> für ihn so etwas wie eine Schlüsselfigur<br />

geworden ist; schließlich kennt er ihn von den Frommen auch als<br />

Einzigen. Zuerst zögert er noch, doch dann gibt er sich einen Ruck und<br />

schlen<strong>der</strong>t langsam dorthin, wo <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e erneut am Traktatverteilen<br />

ist. Diesmal ist es ein an<strong>der</strong>es, denn <strong>der</strong> elektrisierende Titel, <strong>der</strong> ihn vor<br />

einer Woche so fasziniert und mit Gisler letztlich bekannt gemacht hat,<br />

ist nicht zu sehen; das kann er schon bald erkennen.<br />

Schließlich ist er nahe genug bei ihm und als dieser ihn erblickt, geht er<br />

sogleich freudestrahlend auf ihn zu.<br />

„Schön, dass du wie<strong>der</strong> gekommen bist!“, sagt er aufrichtig und streckt<br />

ihm die rechte Hand entgegen, die Stettler fast automatisch drückt.<br />

„Du bist ja auch wie<strong>der</strong> hier“, entgegnet er darauf und schaut dem<br />

14


an<strong>der</strong>en mit einem schwachen Lächeln in die Augen.<br />

„Natürlich, das ist schließlich mein Auftrag“, sagt Gisler zu seiner<br />

Überraschung.<br />

„Dein Auftrag? Das tönt aber recht militärisch. Bist du am Ende noch bei<br />

<strong>der</strong> Heilsarmee?“<br />

„Nein, das nicht, aber ich vertrete das Gleiche wie sie.“<br />

„Aber diesmal mit einem an<strong>der</strong>en Titel.“<br />

„Was meinst du damit? Ah, du meinst den von <strong>der</strong> Revolution?“<br />

„Ja, genau den.“<br />

„Der hat dir wohl gefallen? Schließlich haben wir <strong>uns</strong> ja auch durch ihn<br />

kennen gelernt. Heute verteile ich an<strong>der</strong>e Traktate, die vom letzten Mal<br />

verteilt jemand an<strong>der</strong>s.“<br />

Dabei schaut er zu einem an<strong>der</strong>en jungen Mann hin, <strong>der</strong> etwa zehn<br />

Meter von ihm entfernt ebenfalls einen Stapel in den Armen hält und<br />

versucht, das Gedruckte unter die Leute zu bringen, von denen die<br />

meisten so wie immer vorbeischlen<strong>der</strong>n o<strong>der</strong> -hasten, ohne sich auch<br />

nur einen kurzen Moment zu gönnen, um einen Blick auf diesen<br />

geradezu ominösen Titel zu werfen, <strong>der</strong> immerhin auch Stettler zum<br />

Lesen bewegt hat.<br />

„Ihr wechselt also ab?“, fragt er Gisler ehrlich interessiert.<br />

„Ja, aber nicht nach einem bestimmten Plan - es ergibt sich einfach so.“<br />

Nun halten sie eine Weile inne und Stettler überlegt sich bereits, ob er<br />

sich nicht doch endlich verziehen soll, als Gisler ihn direkt fragt: „Kommst<br />

du heute wie<strong>der</strong> in die Teestube?“<br />

„Ich weiß nicht so recht“, antwortet Stettler zögernd und muss sich dabei<br />

eingestehen, dass seine Worte nicht glaubwürdig klingen. Wozu ist er<br />

schließlich hergekommen? Wenn er absolut kein Interesse hätte, würde<br />

er jetzt wohl kaum hier stehen - o<strong>der</strong> doch?<br />

„Heute würde es sich bestimmt lohnen, wenn du kommen würdest“, hakt<br />

Gisler wie<strong>der</strong> ein, <strong>der</strong> seine Unschlüssigkeit geradezu riecht.<br />

„Warum meinst du das?“<br />

„Es predigt nämlich ein In<strong>der</strong>, <strong>der</strong> früher ein Hindu war und heute<br />

ebenfalls an Jesus Christus glaubt.“<br />

„Na und? Es gibt doch auch Christen, die sich zum Hinduismus<br />

bekehren, und sogar ziemlich viele - sicher mehr, als es euch recht ist.“<br />

„Ja, das stimmt, aber nicht solche, die Jesus persönlich in ihrem Leben<br />

erfahren haben. Das ist etwas ganz an<strong>der</strong>es als das, was die meisten<br />

Menschen sich vorstellen, aber das hast du das letzte Mal ja schon<br />

gehört.“<br />

„Trotzdem habe ich damals wenig bis nichts verstanden, auch wenn du<br />

dir Zeit für mich genommen hast.“<br />

„Gerade darum wäre es gut, wenn du diesen Mann sehen und hören<br />

15


würdest. Übrigens war er früher nicht nur ein einfacher Hindu, son<strong>der</strong>n<br />

ein Brahmane; er gehörte also einer <strong>der</strong> höchsten Kasten an und wurde<br />

als ein Guru sogar fast angebetet, aber auch solche bekehren sich zu<br />

Jesus Christus.“<br />

„Ja, das kann einen wirklich neugierig machen.“<br />

„Also kommst du?“<br />

„Wenn ich dir damit eine Freude machen kann ...“<br />

„Nicht nur mir, son<strong>der</strong>n vor allem auch dir selber und allen an<strong>der</strong>en.“<br />

„Welchen an<strong>der</strong>en?“<br />

„Die du beim letzten Mal in <strong>der</strong> Teestube gesehen hast.“<br />

„Was, auch diesen?“<br />

„Natürlich, wir würden <strong>uns</strong> alle wirklich freuen, wenn du wie<strong>der</strong> kommen<br />

würdest.“<br />

„Was willst du damit sagen - wir alle?“<br />

„Wir haben schon einmal in <strong>der</strong> Gruppe für dich gebetet, das heißt ein<br />

Teil von <strong>uns</strong>. Obwohl nur ich mit dir geredet habe, wissen alle bereits,<br />

wer du bist.“<br />

„Was, du hast den an<strong>der</strong>en schon von <strong>uns</strong>erem Gespräch erzählt? Das<br />

finde ich aber nicht fair, dass du mir von dieser Gesundbeterei nichts<br />

gesagt hast.“<br />

„Aber es war doch gut gemeint, Hans“, wirft Gisler ein, ohne auf diesen<br />

versteckten Angriff einzugehen, „wir freuen <strong>uns</strong> wirklich für alle, die zu<br />

<strong>uns</strong> Kontakt aufgenommen haben, und so ist es auch natürlich, dass wir<br />

als Gruppe zusammen für euch beten.“<br />

Ist wohl das <strong>der</strong> Grund dafür, dass er heute einen so unerklärlichen<br />

Drang gespürt hat, noch einmal hier vorbeizuschauen und vielleicht<br />

diesen Erwin Gisler zu treffen? Ach was, das redet er sich doch nur ein!<br />

Im Leben geschehen eben solche Dinge, ohne dass sie mit Schicksal<br />

o<strong>der</strong> Gott o<strong>der</strong> was auch immer zu tun haben müssen.<br />

„Also schön, wenn es euch freut, gehen wir halt“, entgegnet er<br />

schließlich fast verärgert, „ich hoffe nur, das mit <strong>der</strong> Freude stimmt<br />

auch.“<br />

„Ganz bestimmt, Hans“, sagt Gisler echt erfreut, dass er doch wie<strong>der</strong> in<br />

die Teestube zu kommen gedenkt, „das kannst du mir glauben.“<br />

Schon schickt sich Stettler an, zu gehen, doch bevor sie zusammen<br />

aufbrechen, begibt sich Gisler noch zum Kollegen, <strong>der</strong> bisher weiter<br />

seine Traktate verteilt hat. Da er diesmal nicht allein ist wie vor einer<br />

Woche - zumindest nicht auf diesem Platz, denn auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite<br />

<strong>der</strong> Straße hat damals noch jemand verteilt, den Stettler nicht gesehen<br />

hat -, hält er es für notwendig und richtig, den an<strong>der</strong>en wenigstens in<br />

Kenntnis zu setzen, dass er jetzt mit Stettler weggeht. Als er bei ihm<br />

ankommt, hält <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e sofort mit dem Verteilen inne, und da Stettler<br />

16


dem an<strong>der</strong>en fast automatisch bis hierher gefolgt ist, können sie auch<br />

gleich einan<strong>der</strong> vorgestellt werden.<br />

„Das ist Bruno“, sagt Gisler sofort zu Stettler, und sogleich streckt dieser<br />

ihm strahlend die rechte Hand hin, da er die Traktate im linken Arm hält.<br />

„Hoi, freut mich, dich kennen zu lernen“, begrüßt er ihn forsch.<br />

„Und das ist Hans“, setzt Gisler die Zeremonie fort.<br />

„Sali“, sagt Stettler bloß und leicht verlegen und drückt darauf Brunos<br />

Hand.<br />

„Er kommt heute auch zu <strong>uns</strong> in die Teestube“, klärt Gisler den an<strong>der</strong>en<br />

auf, „wir haben <strong>uns</strong> schon vor einer Woche kennen gelernt.“<br />

„Das ist wun<strong>der</strong>bar“, entgegnet dieser Bruno erfreut - und anscheinend<br />

meint er es auch ehrlich.<br />

Das alles ver<strong>uns</strong>ichert Stettler schon ein wenig; schließlich ist er sich<br />

solche Herzlichkeit, die er bei den beiden wirklich zu spüren glaubt,<br />

überhaupt nicht gewöhnt. An seinem Arbeitsplatz wird Höflichkeit zwar<br />

auch großgeschrieben und in Form von Anzügen und Krawatten auch<br />

äußerlich gezeigt, aber diese Höflichkeit kam ihm selbst, <strong>der</strong> sie täglich<br />

anwendet, immer nur gekünstelt und hochgeschraubt vor und lässt sich<br />

nicht mit dieser hier vergleichen. Trotzdem kann er es sich immer noch<br />

nicht so recht vorstellen, dass all diese Freundlichkeit und Herzlichkeit<br />

ausgerechnet ihm gelten soll, <strong>der</strong> in seinem Leben zwar auch viel<br />

Schönes und sogar Liebe erfahren hat, aber immer nur in kurzen<br />

Schüben und nie wirklich tief, so dass nie ein Stück übrigblieb, von dem<br />

er nachher zehren konnte. Gerade bei ihm zeigt es sich allzu klar, dass<br />

ein einzelner Mensch oft einsam ist und sich auch so fühlen kann,<br />

obwohl er o<strong>der</strong> sie täglich mit vielen Leuten zusammen ist. Vielleicht ist<br />

es gerade dieses innere seelische Loch, das ihn jetzt dazu bewegt,<br />

etwas Neues im Leben kennen zu lernen, obwohl er noch nicht weiß, ob<br />

dies das Wahre ist, nach dem er im Grund immer gesucht hat - und<br />

manchmal auch, ohne sich dessen überhaupt bewusst zu sein.<br />

Da Bruno sieht, dass die beiden an<strong>der</strong>en aufbrechen wollen, hört auch<br />

er mit dem Traktatverteilen auf, und zudem ist es sowieso bald Zeit, um<br />

in die Teestube zu gehen. Wenn er daran denkt, dass die meisten Leute<br />

achtlos an ihm vorbeigehastet sind und nur ganz wenige eines<br />

entgegengenommen haben, beobachtet er es schon als einen Erfolg,<br />

dass überhaupt einer mit ihnen kommen will, auch wenn es für diesen<br />

einen nicht das erste Mal ist. Führt er sich jedoch vor Augen, dass er<br />

schon Tage erlebt hat, an denen er anscheinend <strong>der</strong>art strahlte, dass<br />

verschiedene Leute ihn geradezu darum baten, ein Traktat bekommen<br />

zu dürfen, befällt ihn tatsächlich so etwas wie leise Wehmut.<br />

17


Erneut gehen sie mit schnellen Schritten voran, ohne viel zu sprechen -<br />

dafür haben sie später ja noch genügend Zeit. Als sie die gleiche Treppe<br />

wie dazumal hinuntersteigen und den unterirdischen Raum betreten,<br />

fühlt sich Stettler wie<strong>der</strong> in jene katakombenähnliche Stimmung mit<br />

Kerzenlicht versetzt, die er schon vor einer Woche erlebt hat. Im<br />

Vergleich zum letzten Mal sind heute bedeutend mehr Leute gekommen,<br />

einerseits weil es Samstagabend ist und deshalb viel mehr von ihnen<br />

morgen frei haben, und an<strong>der</strong>erseits wohl auch wegen dieses indischen<br />

Predigers, <strong>der</strong> für heute angekündigt worden ist.<br />

Vorerst fällt ihm aber nichts Beson<strong>der</strong>es auf, es scheint alles gleich zu<br />

sein wie beim ersten Mal - abgesehen davon, dass es enger geworden<br />

ist. Trotzdem sitzt er jetzt mit Erwin Gisler fast genau am gleichen Tisch,<br />

nur einen davon entfernt, aber auch so hat er eine ausgezeichnete Sicht<br />

zum Pult, von dem aus die Reden gehalten und die Lie<strong>der</strong> vorgetragen<br />

werden. Da <strong>der</strong> Prediger noch nicht erscheint, wird diese Zeit erneut mit<br />

an<strong>der</strong>en Leuten überbrückt, und zwar genau gleich wie beim ersten Mal,<br />

also mit einem Vorredner, <strong>der</strong> ein kurzes Glaubenszeugnis ablegt, und<br />

danach mit einem Mädchen, das allerdings nicht mehr das gleiche ist wie<br />

vor einer Woche und zudem nicht allein singt, son<strong>der</strong>n mit einem<br />

Burschen, <strong>der</strong> auch wie<strong>der</strong> ein an<strong>der</strong>er ist, aber mit seinem Vorgänger<br />

gemeinsam hat, dass auch er auf einer Gitarre spielt. Stettler muss sich<br />

eingestehen, dass dieses Programm mit dem Duo, das so schön singt,<br />

wirklich gut gelungen ist, auch wenn es ihm immer noch son<strong>der</strong>bar<br />

vorkommt, dass wie<strong>der</strong> nur von diesem Jesus die Rede ist. Immerhin ist<br />

das für einen wie er, <strong>der</strong> sein ganzes Leben lang alle möglichen Arten<br />

von musikalischen Stilrichtungen sowie alle möglichen und unmöglichen<br />

Botschaften gehört hat, etwas völlig Neues und Ungewohntes. Wohl<br />

auch aus diesem Grund musste er ein zweites Mal hierherkommen, um<br />

sich zu vergewissern, ob er das nicht alles nur geträumt hat, <strong>der</strong>art fremd<br />

ist es ihm immer noch.<br />

Als schließlich nach etwa zwanzig Minuten doch noch <strong>der</strong> indische<br />

Prediger angekündigt wird und dieser durch eine Seitentür hereinkommt,<br />

geht ein solches Raunen durch den Saal, dass sich Stettler sagt, es<br />

fehlen zu seinem Einzug nur noch die Pauken und Trompeten. Offenbar<br />

ist <strong>der</strong> Mann unter diesen Christen ziemlich bekannt, sonst würden sie<br />

ihm nicht diesen geradezu überwältigenden Empfang bereiten - aber<br />

immerhin wird nicht geklatscht, was Stettler gewaltig übertrieben finden<br />

würde. Noch bevor <strong>der</strong> Prediger, <strong>der</strong> zuerst noch allen mit einem<br />

freundlichen Lächeln zuwinkt, das Podium betritt, hat Stettler ein paar<br />

Sekunden Zeit, um ihn zu mustern. Allzu groß ist er nicht, wie es die<br />

wenigsten In<strong>der</strong> sind, aber immer noch jung, und dass er ein In<strong>der</strong> ist,<br />

18


kann man an seinem Gesicht sofort erkennen. Außerdem fällt ihm auf,<br />

dass er einen ziemlich entschlossenen Eindruck vermittelt; also wird er<br />

wohl genau wissen, was er erzählen will.<br />

Das zeigt sich denn auch, sobald er zusammen mit einem Übersetzer<br />

ans Rednerpult tritt, das ebenso wie vieles an<strong>der</strong>e hier unten aus reinem<br />

Holz hergerichtet worden ist und einen rustikalen Eindruck erweckt. Da<br />

<strong>der</strong> Prediger nicht allzu groß ist, hat er wenigstens den Vorteil, dass er<br />

sich nicht allzu tief zum Brett hinunterbeugen muss, das wie eine Art<br />

Sekretär befestigt worden ist.<br />

Nach einem kurzen Räuspern und einem weiten Blick in die ganze<br />

Runde spricht er schließlich auf Englisch und ohne jede Unsicherheit:<br />

„Ich danke euch, dass ich für heute Abend hierher eingeladen worden<br />

bin, um euch von <strong>uns</strong>erem Herrn Jesus Christus erzählen zu können.<br />

Manche von euch kennen mich bereits, an<strong>der</strong>e sind heute vielleicht zum<br />

ersten Mal hier, und wer mich kennt, hat sicher auch schon davon<br />

gehört, wie sehr <strong>der</strong> Herr mich verän<strong>der</strong>t und mir ein neues Leben<br />

geschenkt hat. Darum möchte ich meine heutige Predigt mit diesem Vers<br />

beginnen, <strong>der</strong> im zweiten Korintherbrief steht, Kapitel fünf, Vers<br />

siebzehn, wo <strong>der</strong> Apostel Paulus geschrieben hat: ‚Darum, ist jemand in<br />

Christus, so ist er eine neue Kreatur. Siehe, das Alte ist vergangen, es<br />

ist alles neu geworden.’ Ja, diese wun<strong>der</strong>baren Worte treffen auch auf<br />

mich zu wie auf so viele an<strong>der</strong>e. Wie einige von euch vielleicht schon<br />

wissen, war ich früher ein Hindu und stammte aus einer <strong>der</strong> höchsten<br />

Kasten, in <strong>der</strong> die alten religiösen Bräuche hochgehalten wurden. So<br />

lernte ich von klein auf alle hinduistischen Riten auswendig und war auf<br />

dem besten <strong>Weg</strong>, in <strong>der</strong> religiösen Hierarchie aufzusteigen und einer <strong>der</strong><br />

ranghöchsten und angesehensten Gurus zu werden ...“<br />

Während <strong>der</strong> Prediger in einem erstaunlich frischen Stil aus seinem<br />

Leben erzählt und immer wie<strong>der</strong> eine kleine Pause einlegt, damit <strong>der</strong><br />

ebenso junge Übersetzer seine Worte ins Deutsche übertragen kann,<br />

spürt Stettler, wie angespannt die Stimmung im Raum ist. Offensichtlich<br />

gilt dieser Mann etwas, sonst würden ihm die Leute nicht mit einer<br />

solchen Konzentration zuhören, ja, sie würden ihm nicht buchstäblich an<br />

den Lippen hängen. Als einer <strong>der</strong> ganz wenigen, wenn nicht gar als<br />

Einziger wagt er es, vom Prediger wegzublicken und seine Blicke<br />

verstohlen im Raum herumschweifen zu lassen, weil er sich in aller Ruhe<br />

ein Bild davon verschaffen will, wie voll <strong>der</strong> Saal ist und was für Typen<br />

von Leuten da unten versammelt sind.<br />

Wie er so aufs Geratewohl umherschaut und allerhand Sorten von<br />

Menschen erkennt, fällt ihm plötzlich, wie aus heiterem Himmel, eine<br />

Frau auf, die er bisher noch gar nicht wahrgenommen hat. Vielleicht ist<br />

19


sie gerade dann hereingekommen und hat sich gesetzt, als er seine<br />

Aufmerksamkeit dem Pult zuwandte, ja, möglicherweise erst nachdem<br />

<strong>der</strong> Prediger bereits mit seiner Rede begonnen hat. Warum gerade sie<br />

ihm inmitten so vieler Menschen auffällt, kann er sich nicht erklären - er<br />

fühlt sich sogar geradezu magisch zu ihr hingezogen. Da sie keine zehn<br />

Meter von ihm entfernt sitzt und ihren Blick ebenfalls nach vorn zum<br />

Prediger gerichtet hält, hat er genügend Zeit, um sie ein wenig zu<br />

betrachten, ohne dass sie es bemerkt und ohne dass auch die an<strong>der</strong>en<br />

es sehen.<br />

Er schätzt sie zwischen 25 und 30 Jahre, und ihre Gesichtszüge strahlen<br />

eine Anmut aus, wie er es bei Frauen bisher nur selten gesehen hat,<br />

wohl gerade deshalb, weil sie keine <strong>der</strong> sogenannten Schönheiten ist,<br />

die sich bei Miss-Wettbewerben o<strong>der</strong> auf dem Laufsteg messen - sie<br />

wirkt außerordentlich natürlich. Ab und zu glaubt er ein schwaches<br />

Lächeln zu erkennen, wenn <strong>der</strong> Prediger etwas Bestimmtes sagt und ihr<br />

das gefällt. Allein ihre dunkelbraunen Haare, die hinten zu einem<br />

Pferdeschwanz zusammengebunden sind, gefallen ihm sehr, und als sie<br />

diese einmal mit einer Hand, die auf den ersten Blick mittelgross zu sein<br />

scheint, nach hinten streicht, tut sie das mit einer so graziösen<br />

Bewegung, dass er sich erst recht zu ihr hingezogen fühlt. Ob sie wohl<br />

auch zu diesen frommen Leuten gehört?, fragt er sich und ertappt sich<br />

bereits dabei, dass ihm das fast Sorgen bereiten würde. Vor ihr liegt auf<br />

dem Tischchen ein Buch, das vom Umfang her eine Bibel sein könnte;<br />

also ist daraus zu schließen, dass sie wohl dazugehört. Vielleicht ist es<br />

aber auch die Bibel einer an<strong>der</strong>en Person? Ach was, ob sie nun zu<br />

diesen Frommen gehört o<strong>der</strong> nicht, das hat ja mit ihrer Qualität als<br />

attraktiver Frau, wie er sie empfindet, nichts o<strong>der</strong> nur wenig zu tun!<br />

Erst jetzt bemerkt er, dass er den Worten des Predigers schon seit<br />

einiger Zeit nicht mehr mit voller Konzentration zuhört, son<strong>der</strong>n diese an<br />

sich vorüberstreichen ließ. So gibt er sich innerlich einen Ruck und<br />

richtet seinen Blick wie<strong>der</strong> nach vorn: „... dass die meisten Menschen tief<br />

in ihrem Innersten wissen, dass es einen Gott gibt, und darum nach ihm<br />

suchen, und oft ist ihnen das nicht einmal bewusst. Die einen versuchen<br />

es mit einer östlichen Religion wie etwa dem Hinduismus o<strong>der</strong><br />

Buddhismus, die an<strong>der</strong>en mit Philosophie o<strong>der</strong> mit Drogen, wie<strong>der</strong>um<br />

an<strong>der</strong>e mit einem Okkultismus, <strong>der</strong> im Gegensatz zum Hinduismus nicht<br />

so versteckt wirkt, und an<strong>der</strong>e mit guten Werken. An<strong>der</strong>e verehren<br />

Politker o<strong>der</strong> sogenannte Stars aus dem Showbusiness o<strong>der</strong> Sportler -<br />

interessanterweise fast nur Männer und fast keine Frauen - und beten<br />

sie fast an, und wie<strong>der</strong>um an<strong>der</strong>e kümmern sich überhaupt um gar nichts<br />

und schauen nur für sich. Über all diese Menschen spricht die Bibel,<br />

20


dass sie in <strong>der</strong> Finsternis wandeln und das Licht nicht sehen können. Sie<br />

sehen zwar mit ihren Augen, aber sie sind trotzdem blind, weil sie dieses<br />

Licht, das Jesus Christus in diese Welt gebracht hat, nicht erkennen,<br />

wie es in einem <strong>der</strong> ersten Verse im Johannes-Evangelium geschrieben<br />

steht: ‚Und das Licht leuchtet in <strong>der</strong> Finsternis und die Finsternis hat es<br />

nicht begriffen’...“<br />

Je länger Stettler diesen Worten zuhört, desto mehr muss er sich sagen,<br />

dass er wie<strong>der</strong>um wenig bis nichts versteht. Sünde, Trennung von Gott,<br />

Licht, Finsternis, Wie<strong>der</strong>geburt, Rettung - all dies kommt ihm wie ein<br />

Herunterplappern von Wörtern vor, ja, fast wie eine Fremdsprache. Und<br />

ausgerechnet dieser Jesus soll die Lösung für all diese Probleme sein?<br />

Das geht ihm nicht in den Kopf; ohne dass er es an sich selbst merkt,<br />

schüttelt er ihn während <strong>der</strong> Predigt mehr als einmal, wenn auch nur<br />

ganz schwach - aber doch so deutlich, dass Erwin Gisler, <strong>der</strong> ihm direkt<br />

gegenübersitzt, und dessen Nachbar, eben dieser Bruno, den er auf dem<br />

Bellevueplatz kennen gelernt hat, es wahrnehmen.<br />

Schließlich nähert sich <strong>der</strong> Prediger allmählich doch noch dem Ende<br />

seiner Rede; das ist daran zu erkennen, wie er seinen Ton ein wenig<br />

senkt, als wolle er zu etwas Neuem ausholen, und seinen Wortfluss<br />

bremst. Kurz nachdem er damit begonnen hat, sagt er denn auch: „Also<br />

lasst euch noch einmal dies sagen: Jesus Christus ist wahrhaftig von<br />

den Toten auferstanden und lebt auch heute mitten unter <strong>uns</strong>, wenn<br />

auch noch <strong>uns</strong>ichtbar. Er wartet darauf, dass wir ihm <strong>uns</strong>ere Sünden vor<br />

Gott bekennen, dass wir darüber Buße tun und <strong>uns</strong> zu ihm bekehren,<br />

damit er <strong>uns</strong> vor dem ewigen Ver<strong>der</strong>ben erretten und <strong>uns</strong> mit dem Vater<br />

im Himmel versöhnen kann. Dafür und wirklich nur dafür ist er auf diese<br />

Welt gekommen, um am Kreuz von Golgatha dieses Versöhnungswerk<br />

zu vollbringen. Darum geht alle, die ihr ihn noch nicht persönlich kennt,<br />

zu ihm hin, kniet vor ihm nie<strong>der</strong> und übergebt ihm euer Leben, und ihr<br />

werdet erkennen, dass er wirklich auch heute noch lebt und <strong>uns</strong> ein<br />

neues, sinnerfülltes Leben schenken kann! - Amen.“<br />

Darauf stimmen viele an<strong>der</strong>e in dieses „Amen“ mit ein und Stettler<br />

kommt sich wie<strong>der</strong> wie in einer <strong>der</strong> Kirchen vor, von denen er zum<br />

letzten Mal vor einigen Jahren eine von innen gesehen hat, zumindest in<br />

diesem Land, in dem er nie als Tourist unterwegs war wie an<strong>der</strong>swo -<br />

und auch damals nur deshalb, weil er zu einer kirchlichen Hochzeit<br />

eingeladen war. Schon denkt er, die Versammlung sei nun fertig, doch<br />

da nimmt <strong>der</strong> Prediger eine Gitarre, welche die ganze Zeit in <strong>der</strong> Nähe<br />

gestanden und auf <strong>der</strong> vor etwa einer Stunde <strong>der</strong> Bursche gespielt hat,<br />

als das vorge<strong>führt</strong> wurde, was die Christen hier als Vorprogramm<br />

21


ezeichnen. Zu Stettlers nicht geringer Überraschung - aber nicht für<br />

jene, die diesen Prediger schon kennen - hält dieser das Instrument nicht<br />

nur hoch und beginnt zu spielen, son<strong>der</strong>n singt dabei auch noch, und<br />

das erst noch mit einer so kräftigen und schönen Stimme, dass auch<br />

Stettler beeindruckt wird und sich sagt, dass dieser Mann musikalisch<br />

tatsächlich etwas drauf hat. Während er singt, klatschen die meisten<br />

an<strong>der</strong>en rhythmisch mit, sobald er einen Refrain anstimmt, <strong>der</strong> mit den<br />

Worten „I know He’s living ...“ beginnt. Die meisten klatschen mit einem<br />

Strahlen im Gesicht mit, nur Stettler nicht, <strong>der</strong> das ganze Schauspiel<br />

we<strong>der</strong> zum Klatschen noch zum Strahlen findet; dafür haben ihn die<br />

Worte und Aussagen des Predigers viel zu sehr geärgert. In ein paar<br />

Dingen gibt er ihm ja Recht - aber musste er gleich so hart dreinfahren<br />

und mit einer Hölle drohen, die es in dieser Form vielleicht gar nie geben<br />

wird, weil man diese eigentlich schon hier auf Erden hat?<br />

Während <strong>der</strong> Prediger singt und die meisten an<strong>der</strong>en fast wie in Trance<br />

mitklatschen, wie Stettler das empfindet, entdeckt er nicht ohne Freude,<br />

dass die Frau, die er zuvor so lange beobachtet hat, zu den ganz<br />

wenigen gehört, die diesem allgemeinen Begeisterungstaumel nicht<br />

erliegen, son<strong>der</strong>n einfach still dasitzt und höchstens schwach mitklatscht,<br />

was er aber nicht richtig sehen kann, da sich ihre Hände gerade<br />

unterhalb <strong>der</strong> Tischkante befinden - dabei wendet sie allerdings den<br />

Blick nach vorn immer noch nicht ab. Vielleicht genießt sie das ganze<br />

Schauspiel trotzdem, nur scheint es nicht ihre Art zu sein, wie die<br />

meisten an<strong>der</strong>en so übertrieben aus sich herauszugehen, und gerade<br />

das gefällt ihm so sehr an ihr.<br />

Schließlich gelangt <strong>der</strong> Prediger mit seinem Lied zum letzten Teil, <strong>der</strong> mit<br />

dem Satz „Christ is living in my heart“ endet und sich ziemlich lange<br />

hinzieht, und als er dann wirklich fertig gesungen hat, glaubt Stettler<br />

erneut, dass die verschiedenen Vorführungen jetzt tatsächlich am Ende<br />

sind, doch er hat sich noch einmal getäuscht: Kaum hat er sich eine<br />

weitere Tasse Kaffee eingeschenkt und will an einem Keks knabbern, da<br />

wird es plötzlich auffallend still, als ginge es an eine Beisetzung, und<br />

dann sagt <strong>der</strong> Prediger mit leiser, aber bestimmter Stimme: „Wer unter<br />

euch den Herrn Jesus Christus noch nicht kennt und ihn heute Abend als<br />

persönlichen Erlöser kennen lernen möchte, kann dies tun. Es eilt nicht,<br />

ihr könnt euch Zeit nehmen, denn auch wir nehmen <strong>uns</strong> Zeit, um für<br />

euch zu beten. Wenn ihr euch dann für ihn entscheiden könnt, braucht<br />

ihr das nur durch Handaufheben zu bezeugen. Niemand stört euch dabei<br />

und niemand wird zuschauen.“<br />

Wie auf ein Kommando senken darauf fast alle ihr Haupt und versinken<br />

22


in Gebetspose, darunter auch die Frau, an <strong>der</strong> Stettler einen solchen<br />

Gefallen gefunden hat. Während jetzt die meisten mit geschlossenen<br />

Augen still für sich beten, stimmt <strong>der</strong> Prediger ein weiteres Lied an, das<br />

er aber eher summt als singt, um damit wohl die nötige Stimmung zu<br />

erzeugen, die seinen soeben gesprochenen Worten entspricht. Da<br />

Stettler angesichts <strong>der</strong> klaren Gebetshaltung so vieler Leute mit einem<br />

leichten Schrecken erkennen muss, dass er einer winzigen Min<strong>der</strong>heit<br />

angehört, ja, dass er fast <strong>der</strong> einzige nichtfromme Fremdling ist, kommt<br />

es ihm recht unbehaglich vor, noch mehr als vorher.<br />

Wenn nun <strong>der</strong> Prediger versprochen hat, es würde niemand hinschauen,<br />

wenn jemand durch Handaufheben bezeugt, dass er o<strong>der</strong> sie sich zu<br />

Christus bekehren will, hat er sich gründlich getäuscht, denn zumindest<br />

er, Hans Stettler persönlich, lässt es sich nicht nehmen, sich dieses<br />

Schauspiel zu Gemüte zu führen. Allerdings tut er das mit halbwegs<br />

gesenktem Kopf, so dass er den Raum zwar nicht völlig, aber doch für<br />

ihn genügend überblicken kann, wobei er bei diesem Tun nicht einmal<br />

bemerkt wird, nicht einmal von Erwin und Bruno, die ihm<br />

gegenübersitzen. Trotzdem kann er nicht deutlich erkennen, wer die<br />

Hände hochhält, aber da <strong>der</strong> Prediger gleich dreimal kurz „Danke“ sagt -<br />

und diesmal auf Deutsch -, ist anzunehmen, dass es drei Personen sind,<br />

welche die Bekehrung heute wagen wollen.<br />

Schließlich kommt die ganze Versammlung doch noch zu einem Ende<br />

und als es endlich wie<strong>der</strong> erlaubt ist, die Köpfe zu erheben und einan<strong>der</strong><br />

anzuschauen, glaubt Stettler zu erkennen, dass es zwei Frauen und ein<br />

Mann sind, die sich zur Bekehrung entschlossen haben. Es sieht danach<br />

aus, denn sie treten diskret so weit vor, dass sie in die Nähe des<br />

Predigers gelangen, wo sie von zwei Männern und einer Frau, die alle im<br />

mittleren Lebensalter stehen, buchstäblich in Empfang genommen<br />

werden. Weiter beobachtet er sie nicht, auch deshalb nicht, weil Erwin<br />

und Bruno, den er heute auf dem Bellevueplatz kennen gelernt hat und<br />

von dem er den Familiennamen immer noch nicht kennt, sich gleich auf<br />

eine Art ihm zuwenden, die <strong>uns</strong>chwer darauf schließen lässt, dass sie<br />

möglichst bald mit ihm über alles Gesehene und Gehörte sprechen<br />

wollen.<br />

3<br />

„Hat es dir gefallen?“, fragt Gisler wie<strong>der</strong> wie beim ersten Mal, während<br />

Stettler sich jetzt endlich den Kaffee genehmigt, den er sich vorher<br />

eingeschenkt hat.<br />

„Ja, es war schön“, bestätigt er kurz und schaut nach vorn zum Prediger,<br />

23


<strong>der</strong> gerade mit den drei Bekehrungskandidaten und den Assistenten ein<br />

paar Worte wechselt und dann mit ihnen in einem Nebenraum<br />

verschwindet.<br />

„Sag mir mal aber eines“, setzt er dann fort, als <strong>der</strong> Prediger mit den<br />

an<strong>der</strong>en verschwunden ist, und schaut Gisler direkt in die Augen, „dieser<br />

Mann kommt doch nicht aus Indien? Sein Englisch ist ganz an<strong>der</strong>s.“<br />

„Wie kommst du darauf?“, fragt darauf Bruno.<br />

„Ich arbeite in einer Großbank im Stadtzentrum und habe darum<br />

natürlich auch mit Kunden aus <strong>der</strong> ganzen Welt zu tun, so auch mit<br />

In<strong>der</strong>n. Diese sind meistens viel schwerer zu verstehen als er.“<br />

„Du hast Recht, Hans“, bestätigt Gisler, „er redet wirklich an<strong>der</strong>s; er ist<br />

eben nicht in Indien selber aufgewachsen, son<strong>der</strong>n außerhalb.“<br />

„Ah, in <strong>der</strong> indischen Diaspora, wenn wir dem so sagen können?“<br />

„Ja, genau, und zwar in Trinidad. Darum kann er auch so gut Englisch,<br />

weil das dort die Landessprache ist, aber nur das, also nicht auch noch<br />

Hindi o<strong>der</strong> eine an<strong>der</strong>e indische Sprache.“<br />

„Du kennst ihn also schon ziemlich gut, wenn du über ihn so viel weißt.“<br />

„Natürlich, ich bin mit ihm schon viele Male zusammen gewesen, auch<br />

bei Straßeneinsätzen.“<br />

„Was für Einsätze?“<br />

„Bei Evangelisationen, um es genauer zu sagen.“<br />

„Was ist denn das schon wie<strong>der</strong>?“<br />

„Eben das, was wir gemacht haben, als du <strong>uns</strong> getroffen hast.“<br />

„Ah, das meinst du! Ich muss schon sagen, ihr habt ein son<strong>der</strong>bares<br />

Vokabular, wie in einer Geheimsprache.“<br />

„Mit <strong>der</strong> Zeit gewöhnt man sich daran“, meldet sich jetzt wie<strong>der</strong> Bruno zu<br />

Wort, „aber natürlich bedeuten diese Wörter für <strong>uns</strong> etwas an<strong>der</strong>es als<br />

für dich, schließlich hast du sie heute vielleicht zum ersten Mal gehört.“<br />

„Ja, das stimmt. Übrigens fällt mir da gerade ein, dass <strong>der</strong> Name dieses<br />

indischen Predigers mir wie<strong>der</strong> entfallen ist. Wie heißt er schon wie<strong>der</strong>?“<br />

„Rabi Mavendran.“<br />

„Ah, jetzt erinnere ich mich wie<strong>der</strong>; er ist ja auch so angekündigt worden.<br />

Aber warum heißt er gerade Rabi? Warum hat er einen solchen<br />

jüdischen Titel?“<br />

„Das hat damit nichts zu tun, <strong>der</strong> Name ist bloß die Abkürzung des<br />

längeren Namens Rabindranath.“<br />

„Ja, das tönt jetzt wirklich indisch; schließlich habe ich auf <strong>der</strong> Bank<br />

diesen Namen auch schon gesehen. Aber sagt mir mal, wie ist es dazu<br />

gekommen, dass einer wie dieser indische Prediger, <strong>der</strong> früher ein Hindu<br />

24


war und es sogar zu einem Guru gebracht hat, heute so ein Christ sein<br />

kann wie ihr zwei? So ein Exote, wie er es ist!“<br />

„Das zeigt eben gerade, dass Jesus Christus wirklich für alle da ist, die<br />

zu ihm kommen wollen“, antwortet Gisler, „und dass <strong>der</strong> Glaube an ihn<br />

nichts mit den Staatskirchen zu tun hat, wie viele Leute das immer noch<br />

meinen. Jesus ist auf <strong>der</strong> ganzen Welt am Wirken.“<br />

„Dieser Jesus muss schon ein beson<strong>der</strong>er Typ sein, wenn ihr ständig nur<br />

von ihm redet, als ob er leben würde.“<br />

„Und ob er lebt, Hans! Er lebt wirklich auch noch heute und mitten unter<br />

<strong>uns</strong>, sonst könnten wir jetzt nicht hier sitzen und dir davon erzählen.“<br />

„Es ist ja schön, dass ihr an etwas glaubt, das euch einen Halt im Leben<br />

gibt, und es ist auch alles schön, was ich heute Abend gehört habe, aber<br />

ich selber kann damit nichts anfangen. Es ist mir alles viel zu fremd, es<br />

sagt mir einfach nichts.“<br />

„Aber es ist die Wahrheit, was du gehört hast“, wendet wie<strong>der</strong> Bruno ein.<br />

„Die Wahrheit? Was ist denn das schon? Von je<strong>der</strong> Religion heißt es,<br />

sie sei die Wahrheit, und von den vielen Sekten müssen wir schon gar<br />

nicht reden. Alle behaupten mit dem gleichen Fanatismus, sie hätten<br />

Recht.“<br />

„Ja, das stimmt“, ergreift wie<strong>der</strong> Erwin das Wort, „aber Jesus Christus ist<br />

keine Religion, son<strong>der</strong>n eine Person und erst noch eine, die von den<br />

Toten auferstanden ist und noch heute lebt. Übrigens kann ich dir bei<br />

dieser Gelegenheit erklären, was eine Sekte ist und was nicht. Das<br />

typische Kennzeichen einer Sekte ist, dass bei ihr nicht Jesus Christus<br />

und die Rettungsbotschaft vom Kreuz im Mittelpunkt stehen, son<strong>der</strong>n<br />

irgendetwas an<strong>der</strong>es und vor allem irgendeiner, <strong>der</strong> den Leuten das<br />

Geld aus <strong>der</strong> Tasche zieht und ständig mit Einschüchterungen und<br />

Drohungen vorgeht - und wenn doch einmal etwas Christliches dabei ist,<br />

dann ist es bei ihnen nicht so wie bei denen, für die nur Christus und das<br />

Kreuz das Heil bedeuten.“<br />

25


„Also wie bei euch, willst du damit sagen.“<br />

„Genau, wie bei <strong>uns</strong> auch“, bestätigt Erwin so entschieden, dass Hans<br />

doch wie<strong>der</strong> etwas <strong>uns</strong>icher wird.<br />

Noch ehe er darauf etwas entgegnen kann, ereignet sich etwas völlig<br />

Unerwartetes, das ihn fast aus <strong>der</strong> Fassung bringt: Plötzlich steht die<br />

Frau, zu <strong>der</strong> er sich vorher so stark hingezogen gefühlt hat, auf und<br />

wendet sich langsam dem Ausgang zu, nachdem sie ein paar Minuten<br />

lang noch mit zwei Personen geplau<strong>der</strong>t hat, die mit ihr am gleichen<br />

Tisch saßen; dabei zeigte sie erneut ihr zurückhaltendes, aber<br />

bezauberndes Lächeln, das ihn zuvor so fasziniert hatte. So wie er sie<br />

jetzt in Leibesgröße sieht, ist sie recht groß gewachsen, fast so groß wie<br />

er, und er misst immerhin knapp über 180 Zentimeter. Das gilt für einen<br />

Fussballer ja als ideales Maß, weil man damit für Kopfbälle nicht zu<br />

klein, aber auch für die Wendigkeit des Körpers nicht zu groß ist,<br />

zumindest als Abwehrspieler nicht.<br />

Zuerst weiß er nicht so recht, wie er darauf reagieren soll, dass sie<br />

plötzlich weggeht, ohne dass er die Möglichkeit bekommen hat, sie ein<br />

wenig kennen zu lernen, ja, von <strong>der</strong> er noch nicht einmal den Namen<br />

weiß und die ihn nicht einmal bemerkt, geschweige denn angeschaut<br />

hat. Verstohlen schaut er zwischen Erwin und Bruno nach vorn zum<br />

Ausgang, während er bei sich selbst zu seiner eigenen Überraschung<br />

entdeckt, dass er über ihr plötzliches <strong>Weg</strong>gehen so etwas wie Trauer<br />

empfindet. Warum muss sie nur so früh gehen? Ach was, sie hat ja das<br />

Recht dazu!, redet er sich dann ein. Sie kennt mich ja nicht - und wer<br />

weiß, vielleicht sehe ich sie bald einmal wie<strong>der</strong>, wenn nötig sogar da<br />

unten.<br />

Als diese geheimnisvolle Frau schließlich nach draußen verschwunden<br />

ist, wendet er sich wie<strong>der</strong> seinen Gesprächspartnern zu, allerdings<br />

immer noch leicht verärgert darüber, dass er sie nicht kennen lernen<br />

konnte.<br />

„Also, wo sind wir stehen geblieben?“, nimmt er dann selbst den Faden<br />

wie<strong>der</strong> auf, „ach so, du hast gesagt, dass euer Jesus also eine Person<br />

ist, die angeblich noch heute lebt.“<br />

„Ja, das stimmt“, hakt Erwin wie<strong>der</strong> ein, „und er ist auch für dich von den<br />

Toten auferstanden.“<br />

„Ach so? Das habe ich aber nicht gewusst, niemand hat es mir bis heute<br />

gesagt.“<br />

„So sagen wir es dir heute“, wirft wie<strong>der</strong> Bruno ein, „das gehört eben<br />

auch zur heutigen Zeit, dass nicht mehr alle davon hören, nicht einmal<br />

mehr in den Kirchen, obwohl die meisten europäischen Län<strong>der</strong> sich noch<br />

als christlich bezeichnen.“<br />

26


„Ich kann es aber trotzdem nicht glauben“, entgegnet Hans, „es ist doch<br />

gegen jede Vernunft, dass jemand vom Totenreich zurückgekehrt ist und<br />

noch heute lebt. Habt ihr etwa vergessen, in welchem Jahrhun<strong>der</strong>t wir<br />

heute leben? Früher hat man an solche Hirngespinste noch geglaubt,<br />

aber heute sicher nicht mehr - nicht mehr in dieser mo<strong>der</strong>nen,<br />

aufgeklärten Zeit.“<br />

„Hast du vorher aber in diesem Raum nicht bemerkt, wie sehr <strong>der</strong> Herr<br />

<strong>uns</strong> verän<strong>der</strong>t hat und wie glücklich wir <strong>uns</strong> fühlen, das heißt alle, die ihn<br />

persönlich in sich aufgenommen haben?“, fragt darauf Erwin forsch und<br />

schaut ihn ebenso an.<br />

„Was ist denn das schon wie<strong>der</strong>, dieses ‚in sich aufnehmen’?“<br />

„Das heißt eben, sich zu ihm bekehren, ihm <strong>uns</strong>ere Sünden bekennen<br />

und ihn als <strong>uns</strong>eren Herrn und Erlöser annehmen.“<br />

„Was für Sünden?“<br />

„Die Sünden, die wir täglich verschulden, aber auch die Sünde ganz<br />

allgemein, das heißt die Trennung von Gott.“<br />

„Was für eine Trennung? Du redest in Rätseln.“<br />

„Da hast du Recht, Hans. Für jemanden, <strong>der</strong> Jesus Christus noch nicht<br />

persönlich kennt, tönt das alles tatsächlich komisch und verwirrend; wer<br />

ihn aber kennt, kann diese Worte verstehen.“<br />

„Ah, die von den Sünden und <strong>der</strong> Trennung?“<br />

„Ja, genau diese, aber noch viel mehr“, meldet sich wie<strong>der</strong> Bruno zu<br />

Wort.<br />

„Was denn zum Beispiel?“<br />

„Ich halte es für besser, wenn wir zuerst bei dem bleiben, was wir vorher<br />

angedeutet haben“, antwortet wie<strong>der</strong> Erwin, <strong>der</strong> schon befürchtet, das<br />

Gespräch könnte heute allzu viele Gebiete streifen und damit den Faden<br />

verlieren.<br />

„Bei was denn?“, fragt Hans nach.<br />

„Eben bei dieser Trennung, das heißt die Trennung von Gott, die durch<br />

den Sündenfall entstanden ist.“<br />

Da muss Hans fast in Gelächter ausbrechen und er fragt sofort: „Ihr<br />

glaubt also wirklich an diese Geschichte mit dem Apfel?“<br />

„Ja, wir glauben daran, weil wir persönlich erfahren haben, dass sie<br />

stimmt“, kontert Erwin sicher und ohne Zögern, „übrigens steht in <strong>der</strong><br />

Bibel nicht geschrieben, dass es ein Apfel war, son<strong>der</strong>n es ist nur von<br />

einer Frucht die Rede. Dass die Version vom Apfel sich eingebürgert hat,<br />

ist auf frühere Übersetzungsarbeiten zurückzuführen, weil im Latein die<br />

Wörter für einen Apfel und für das Übel fast identisch sind, aber ob es<br />

ein Apfel war o<strong>der</strong> nicht, kommt am Ende aufs Gleiche heraus.“<br />

„Dann haben Adam und Eva also vielleicht keinen Apfel vertilgt?“, fragt<br />

Hans immer noch belustigt.<br />

27


„Vielleicht nicht, aber es ist eine Tatsache, dass seitdem die Sünde diese<br />

Welt regiert und wir alle unter dem Fluch dieser Erbsünde stehen.“<br />

„Jetzt macht aber mal einen Punkt! Ihr könnt doch nicht ernsthaft<br />

glauben, dass alles nur von diesem Apfel abhängig gemacht werden<br />

kann - o<strong>der</strong> von einer Frucht o<strong>der</strong> was auch immer. Das ist doch ein<br />

völliger Blödsinn, das passt wirklich nicht mehr in <strong>uns</strong>ere Zeit.“<br />

„Es ist aber lei<strong>der</strong> so, Hans. Wir werden alle mit einem sündigen Körper<br />

geboren und kennen Gott nicht mehr persönlich, seitdem Adam und Eva<br />

vom Paradies vertrieben worden sind. Gerade darum ist Jesus Christus<br />

als <strong>der</strong> Erlöser, <strong>der</strong> vorher jahrhun<strong>der</strong>telang in vielen Einzelheiten<br />

angekündigt worden ist, auf diese Welt gekommen, um am Kreuz das<br />

Erlösungswerk zu vollbringen und <strong>uns</strong> durch sein Sühnopfer wie<strong>der</strong> mit<br />

Gott zu versöhnen. Wer also an ihn als Erlöser glaubt, kehrt damit auch<br />

zu Gott zurück und lernt ihn durch den Heiligen Geist kennen, <strong>der</strong> dann<br />

in jeden Menschen einzieht, <strong>der</strong> den Herrn Jesus als Retter in sich<br />

aufgenommen hat. Das ist dann eben diese Wie<strong>der</strong>geburt, von <strong>der</strong> Rabi<br />

gesprochen hat.“<br />

„Moment mal, das ist ein bisschen viel auf einmal! Ihr glaubt also<br />

tatsächlich an das, was als Erbsünde bezeichnet wird? Warum soll ich<br />

denn schuldig sein? Ich habe doch niemandem etwas getan, als ich auf<br />

die Welt kam, ja, es war ja nicht meine Schuld, dass ich von meinen<br />

Eltern in diese Welt gesetzt wurde. Wie reimt sich das alles nach eurer<br />

Theorie zusammen?“<br />

„Dass wir alle sündig und damit unvollkommen sind, zeigt sich doch<br />

schon von klein auf“, setzt Erwin fort, „in <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Psychologie<br />

heißt es zwar, dass <strong>der</strong> Mensch von Grund auf eigentlich gut ist und nur<br />

durch äußere Einflüsse aggressiv wird, aber die Wirklichkeit ist immer<br />

noch ganz an<strong>der</strong>s. Das zeigt sich doch schon bei den kleinen Kin<strong>der</strong>n:<br />

Du kannst ihnen noch so viel Liebe und Geborgenheit schenken, eines<br />

Tages bricht die angeborene Aggressivität trotzdem durch und sie<br />

beginnen, aufeinan<strong>der</strong> einzuschlagen, und werden auch gegenüber den<br />

Eltern aggressiv. Das ist eben auch eine Folge dieser angeborenen<br />

Erbsünde. Ich habe selber zwar keine Kin<strong>der</strong>, aber ich weiß das von<br />

an<strong>der</strong>en Eltern, darunter auch von einem gläubigen Ehepaar, das eigene<br />

Kin<strong>der</strong> hat und mit dem ich befreundet bin. Dass wir später mit <strong>der</strong> Zeit<br />

alle aggressiv werden und dass all dieser Ha<strong>der</strong> und Neid und Hass und<br />

alles Mögliche bis zu einem Krieg <strong>uns</strong>er Zusammenleben so gewaltig<br />

erschweren und zeitweise sogar zu einer irdischen Hölle machen, muss<br />

ich dir sicher nicht mehr näher erklären; das weißt du ja selber gut<br />

genug.“<br />

„Ja, in dieser Beziehung muss ich dir Recht geben. Ich sehe diese<br />

Aggressivität auch jeden Tag an meinem Arbeitsplatz, aber noch mehr<br />

an jedem Wochenende.“<br />

„Warum ausgerechnet dann?“<br />

28


„Ich spiele eben Fussball in einem Verein, <strong>der</strong> jeden Samstag o<strong>der</strong><br />

Sonntag ein Spiel hat. Da geht man meistens auch so knüppeldick zur<br />

Sache, dass es einem Angst und bange werden kann. Dabei darf ich gar<br />

nie so weit denken, son<strong>der</strong>n muss mich jedes Mal so stark auf das Spiel<br />

konzentrieren, dass solche Gedanken von vornherein nicht aufkommen<br />

können.“<br />

„Siehst du, als Sportler kannst du ja erst recht bestätigen, dass wir von<br />

Natur aus untereinan<strong>der</strong> so aggressiv sind, auch wenn wir das viele<br />

Male gar nicht sein wollen. Das ist eben auch eine <strong>der</strong> Früchte <strong>der</strong><br />

Sünde, die <strong>uns</strong> seit Adam und Eva angeboren ist.“<br />

Dann hält Erwin kurz inne und fragt ihn darauf: „Übrigens, auf welcher<br />

Position spielst du?“<br />

Da Hans nicht sofort antwortet, sagt er nach kurzem Zögern weiter:<br />

„Weißt du, ich habe früher auch Fußball gespielt, aber nicht so ernsthaft<br />

wie du, son<strong>der</strong>n nur aus Plausch und in Grümpelturnieren. Sogar dort ist<br />

es mir mit <strong>der</strong> Zeit auch zu hart geworden - und ist ist sicher kein Zufall,<br />

warum schon seit vielen Jahren davon geredet und geschrieben wird,<br />

dass die Verletzungsgefahr bei solchen Turnieren sogar noch viel größer<br />

ist als bei den bestandenen Fussballern, weil viel zu viele schlecht<br />

trainierte Amateure am Werk sind ... Siehst du, auch ich verstehe etwas<br />

von Fussball und kann damit auch dich ein bisschen verstehen.“<br />

„Wenn du es genau wissen willst“, entgegnet Hans, „ich spiele meistens<br />

als einer <strong>der</strong> hintersten Verteidiger in einer mittleren Position, manchmal<br />

aber auch rechts außen o<strong>der</strong> links außen, je nachdem, wo <strong>der</strong> Trainer<br />

mich einsetzt, weil ich mit beiden Füßen fast gleich gut bin - mit dem<br />

rechten aber ein bisschen besser.“<br />

„Dann musst du als Verteidiger ja noch härter spielen als ein<br />

Mittelfeldspieler o<strong>der</strong> Stürmer, weil ein Verteidiger keinen durchgehen<br />

lassen darf.“<br />

„Ja, aber ich bin trotzdem bis heute kein einziges Mal vom Platz gestellt<br />

worden, verwarnt aber schon viele Male. Das bringt eben das Spiel mit<br />

sich; manchmal foulst du einen an<strong>der</strong>en, ohne dass du es willst, und es<br />

kommt auch vor, dass sogar einer, <strong>der</strong> einen an<strong>der</strong>en so brutal foult,<br />

dass er vom Platz fliegt, das im Grund gar nicht will.“<br />

„Genau, das ist es, Hans, und darum habe ich mit dem Fußball<br />

aufgehört, nachdem ich mich zu Jesus Christus bekehrt habe. Ich konnte<br />

es einfach nicht mehr mit meinem Gewissen vereinbaren, von einer<br />

Nächstenliebe zu reden und zugleich diesen aggressiven Sport zu<br />

betreiben.“<br />

„Das kann ich gut verstehen, Erwin. Auch ich habe mich schon oft<br />

gefragt, ob sich <strong>der</strong> ganze Aufwand überhaupt lohnt, vor allem auch<br />

darum, weil ich in einer unteren Liga spiele und nicht einmal Geld<br />

29


verdiene, ja, im Gegenteil, die Fahrten zu den Auswärtsspielen muss<br />

je<strong>der</strong> aus dem eigenen Sack bezahlen; die Klubkasse ist dafür zu knapp.<br />

Dazu kommt eben auch noch diese Aggressivität, die du erwähnt hast,<br />

aber nicht nur unter den Spielern, son<strong>der</strong>n auch gegen die<br />

Schiedsrichter und Linienrichter. Was diese sich manchmal an<br />

Schimpfwörtern gefallen lassen müssen, aber auch das, was unter den<br />

Zuschauern gerufen wird, geht unter keine Kuhhaut. Ich kann dir aber<br />

versichern, dass ich selber in den letzten paar Jahren viel ruhiger<br />

geworden bin und alles gelassener als früher hinnehme; ich bin eben<br />

auch schon 32-jährig, da wird man sogar als Fussballer ein bisschen<br />

weiser.“<br />

„Wenn du das alles so deutlich siehst, wun<strong>der</strong>t es mich schon ein<br />

bisschen, dass du diesen Sport noch weiter ausübst, als ob dir das<br />

nichts ausmachen würde“, wirft da wie<strong>der</strong> Bruno ein.<br />

„Ich habe mich halt immer für Sport interessiert und vor allem natürlich<br />

für Fussball, darum habe ich das auch bis heute gespielt. Es ist aber<br />

nicht nur das Spielen allein, son<strong>der</strong>n du hast auch die Möglichkeit, mit<br />

Kollegen und an<strong>der</strong>en Leuten zusammen zu sein und manchmal mit<br />

ihnen ein Fest zu feiern; da geht immer etwas ab. Das kann vor allem<br />

auch all denen einen Halt geben, die zum Beispiel wie gerade ich in<br />

keiner festen Beziehung leben. Lange kann ich das sowieso nicht mehr<br />

mitmachen; schließlich bin ich jetzt auch schon 32-jährig, also für<br />

fussballerische Verhältnisse schon bald ein Großvater.“<br />

Erwin merkt jetzt, dass Hans in Fahrt gekommen, ja, richtiggehend<br />

aufgeblüht ist, als sie vom Fussball zu sprechen begannen. So fragt er<br />

ihn denn auch in ernsthaftem Ton: „Sag mir mal ehrlich, Hans: Hast du<br />

dir schon mal überlegt, ob <strong>der</strong> Sport dir wirklich alles bedeutet, ob er dein<br />

Leben völlig ausfüllt? Diese Frage stellt sich ja erst recht, weil du mit ihm<br />

nicht einmal etwas verdienst, wie du gerade gesagt hast.“<br />

„Oh ja, ich glaube schon, dass <strong>der</strong> Fussball mich ausfüllt, jedenfalls<br />

solange ich noch spielen kann.“<br />

„Das ist es eben! Der Sport hat heute im Leben vieler Leute eine so<br />

übertrieben große Bedeutung bekommen, dass sie keine Zeit mehr<br />

haben, in einer Kirche einen Gottesdienst zu besuchen, weil am<br />

Sonntagmorgen fast überall ein Spiel stattfindet. Um diese Zeit sind<br />

sogar viel mehr Leute auf den Sportplätzen anzutreffen als in den<br />

Kirchen.“<br />

„Was soll ich denn machen, wenn die Spiele am Sonntag genau in<br />

diesen Stunden angepfiffen werden? So ist es eben, Erwin, und<br />

abgesehen davon habe ich ja das Recht, mein Leben so zu gestalten,<br />

wie ich selber es will.“<br />

„Das will ich gar nicht abstreiten, aber du musst trotzdem zugeben, dass<br />

30


es komisch ist, wenn wir an frühere Zeiten denken, als die meisten Leute<br />

noch einen Gottesdienst besuchten, während heute die meisten sich auf<br />

Sportplätzen o<strong>der</strong> irgendwo an<strong>der</strong>s aufhalten; dabei würde es gar nicht<br />

viel Zeit kosten, für eine Stunde auch einmal zu hören, was Gott <strong>uns</strong><br />

noch zu sagen hat. Gerade das ist eines <strong>der</strong> Grundprobleme des<br />

heutigen mo<strong>der</strong>nen Zeitalters. Für alles Mögliche haben die Leute Zeit,<br />

aber nicht dafür, um mit dem Herrgott in Kontakt zu treten; dabei wäre<br />

das so einfach.“<br />

„Ach was, erzähl mir nichts von den Versammlungen in den Kirchen! Da<br />

gehen sicher viele nur hin, um zu sehen und gesehen zu werden, damit<br />

man wie<strong>der</strong> etwas zum Quatschen und Intrigieren hat. Da könnt ihr mir<br />

nichts vormachen, das habe ich früher ja auch so erlebt.“<br />

„Zum Teil muss ich dir darin Recht geben, aber es muss auch einmal<br />

gesagt sein, dass solche Aussagen vielen Leuten auch nur als eine<br />

billige Ausrede dienen, um sich selber nicht mit Gott<br />

auseinan<strong>der</strong>zusetzen. Auch diese gleichgültige Haltung ihm gegenüber<br />

gehört zur Erbsünde.“<br />

„Ihr könnt doch niemanden zwingen, sich für einen so komischen<br />

Glauben zu interessieren, <strong>der</strong> gegen jede Vernunft ist.“<br />

„Natürlich nicht. Das bestätigt ja auch die Bibel, wo davon die Rede ist,<br />

dass das Wort vom Kreuz denen, die verloren gehen, eine Torheit ist.“<br />

„Was heißt denn das schon wie<strong>der</strong>?“<br />

„Verloren sein heißt für ewig von Gott getrennt sein, aber solange wir<br />

noch leben, haben wir die Möglichkeit, <strong>uns</strong> zu ihm zu bekehren. Der <strong>Weg</strong><br />

dazu ist ganz einfach, einfacher als je<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Glaube: Es genügt,<br />

Jesus Christus seine Sünden zu bekennen und ihn als Herrn über das<br />

eigene Leben in sich aufzunehmen, und schon bist du ein Kind Gottes.<br />

Es braucht also keine guten Werke, wie so viele das glauben und<br />

predigen. Diese allein nützen am Ende nichts, genauso wenig wie man<br />

zu allen immer gut und freundlich gewesen ist, weil das Hauptproblem,<br />

die persönliche Schuld vor Gott, ja immer noch geblieben ist. Wir<br />

müssen <strong>uns</strong> auch nicht bis zum Verrücktwerden kasteien o<strong>der</strong> auf den<br />

Knien Dutzende von Kilometern zu einem Wallfahrtsort kriechen. Es<br />

genügt allein <strong>der</strong> Glaube an Christus, unabhängig davon, in welcher<br />

Position wir alle <strong>uns</strong> befinden, ob Mann o<strong>der</strong> Frau, ob arm o<strong>der</strong> reich, ob<br />

weiß o<strong>der</strong> schwarz, weil vor Gott alle Menschen gleich sind. So schenkt<br />

er auch allen die gleiche Gnade, um gerettet zu werden, solange wir<br />

noch leben.“<br />

„Das ist doch alles nur Theorie! Das redet ihr euch alle nur ein, ihr rennt<br />

Hirngespinsten nach und bildet euch etwas ein, weil ihr unbedingt daran<br />

glauben wollt. Habt ihr noch nie davon gehört, wie viel in <strong>der</strong> heutigen<br />

Zeit durch Massensuggestion bewirkt werden kann? Die mo<strong>der</strong>ne<br />

Psychologie hat schon längst aufgedeckt, wie viel Schwindel mit den<br />

31


Religionen getrieben worden ist. Und von <strong>der</strong> Evolutionstheorie habt ihr<br />

anscheinend auch noch nie etwas gehört; die hat doch schon längst<br />

bewiesen, dass die Welt und alle Lebewesen sich von selbst erschaffen<br />

und entwickelt haben, also ohne die Einwirkung eines göttlichen<br />

Schöpfers. Ich kann einfach nicht daran glauben, dass es einen Gott<br />

gibt, und diese Geschichte von <strong>der</strong> Auferstehung erst recht nicht. Es ist<br />

wirklich so, wie es Karl Marx treffend ausgedrückt hat, dass Religion<br />

Opium für das Volk ist, das benützt wird, damit die oberen Klassen sich<br />

auf Kosten <strong>der</strong> unteren immer mehr bereichern können. Die ganze<br />

Menschheitsgeschichte hat das bis heute doch klar bewiesen.“<br />

„Halt dich fest, Hans!“, wirft Erwin erneut ein, „ein Stück weit gebe ich dir<br />

sogar Recht. Religion ist wirklich Opium für das Volk, aber jetzt kann ich<br />

dir auch etwas Bestimmtes sagen, das jemand einmal so formuliert hat:<br />

Religion ist Opium, aber Christus ist das Dynamit, das alle religiösen<br />

Fesseln sprengt, weil er wie schon gesagt keine Einbildung ist, son<strong>der</strong>n<br />

eine real existierende Person, die also noch heute lebt und <strong>uns</strong>er Leben<br />

positiv verän<strong>der</strong>n kann. Was Bruno und ich dir hier erzählen und was<br />

Rabi vorher verkündigt hat, kann auch darum keine Einbildung sein, weil<br />

viele Millionen in <strong>der</strong> ganzen Welt und in allen Kontinenten das Gleiche<br />

erzählen - und so viele Millionen auf einmal können sich bestimmt nicht<br />

irren.»<br />

„Sag mir mal eines“, hakt dann auch noch Bruno ein, „wenn du schon<br />

meinst, dass wir <strong>uns</strong> das alles nur einbilden, dass es also keinen Gott<br />

gibt und Jesus Christus nicht von den Toten auferstanden ist - warum<br />

bist du denn noch einmal hierhergekommen, um mit <strong>uns</strong> darüber zu<br />

reden, ja, warum hast du dich am gleichen Ort überhaupt noch einmal<br />

blicken lassen und zu Erwin Kontakt aufgenommen? Du hast doch schon<br />

vor einer Woche gehört, an was und an wen wir glauben.“<br />

Nach diesen deutlichen Worten schweigt Hans eine Weile; es ist ihm fast<br />

peinlich, dass er <strong>der</strong>art aus sich herausgefahren und nachher dennoch<br />

auf einfache Weise geradezu übertölpelt worden ist. Ja, er muss diesem<br />

Bruno tatsächlich Recht geben: Wozu ist er denn hier, wenn er von<br />

vornherein nichts mit dem zu tun haben will, was die an<strong>der</strong>en glauben?<br />

Vielleicht wegen seines Alleinseins, obwohl er doch seine Kollegen vom<br />

Fussballverein hat? Die Frau, die ihm so gefallen hat, kann auch nicht<br />

<strong>der</strong> Grund für sein Kommen gewesen sein, denn er hat vorher nichts von<br />

ihr gewusst und sie erst heute zum ersten Mal gesehen.<br />

„Ich weiß es ehrlich gesagt nicht“, antwortet er schließlich nach einigem<br />

Zögern, „es hat mich einfach interessiert, einmal mit neuen Leuten über<br />

etwas Neues zu plau<strong>der</strong>n, mehr aber nicht.“<br />

„Wirklich nicht?“, wirft wie<strong>der</strong> Erwin ein, „ist es vielleicht nicht so, weil<br />

Gott dich heute zu sich ruft?“<br />

32


„Was meinst du denn damit schon wie<strong>der</strong>?“<br />

„Damit will ich sagen, dass <strong>uns</strong>ere Begegnung vor einer Woche, als <strong>der</strong><br />

Titel des Traktats dich so elektrisiert hat, kein Zufall gewesen ist,<br />

son<strong>der</strong>n dass Gott das geplant hat, und auch das heutige Treffen ist<br />

sicher kein Zufall. Wenn Gott etwas plant, gibt es keine Zufälle; dann<br />

geschieht alles so, wie er es will.“<br />

„So fatalistisch sehe ich das nicht. Aber sogar wenn das alles stimmt,<br />

wenn es diesen Gott also wirklich gibt und auch das Märchen von eurem<br />

Jesus und seiner Auferstehung stimmt - warum soll er mich denn zu sich<br />

rufen, wie du meinst? Ich habe ihn ja nicht bestellt.“<br />

„Er ruft dich zu sich, weil die Zeit dafür reif geworden ist, auch wenn du<br />

selber das nicht gewusst hast“, antwortet Erwin entschieden und schaut<br />

ihn auch wie<strong>der</strong> so an, „Gott will eben, dass auch du das Evangelium<br />

klar hörst und zur Erkenntnis <strong>der</strong> Wahrheit kommst.“<br />

„Welche Wahrheit? Ah, diese, von <strong>der</strong> ihr die ganze Zeit geredet habt?“<br />

„Ja, genau diese.“<br />

„Ich muss zugeben, das schmeichelt mir schon ein bisschen, dass dieser<br />

Gott anscheinend etwas für mich übrighat und von mir etwas will.<br />

Schließlich habe ich ihn bis heute an keinem einzigen Tag gesucht, ja,<br />

ich habe mich mit ihm nie beson<strong>der</strong>s befasst.“<br />

„Gott befasst sich aber mit dir, Hans. Er ruft dich, weil er auch dich liebt<br />

und mit dir Gemeinschaft haben möchte.“<br />

„Gemeinschaft?“<br />

„Das heißt einen unmittelbaren persönlichen Kontakt mit dir, den du<br />

durch Beten erreichen kannst.“<br />

„Durch Beten?“, fragt Hans mit einem fast verächtlichen schiefen<br />

Lächeln, „warum durch Beten? Ich weiß nicht einmal, was das ist. Soweit<br />

ich zurückdenken kann, habe ich bis heute noch nie gebetet; ich bin ja<br />

auch nie beson<strong>der</strong>s christlich erzogen worden - eben so wie fast alle<br />

an<strong>der</strong>en.“<br />

„Auch das passt in die heutige antichristliche Zeit, dass die meisten<br />

Leute nicht mehr richtig vom Evangelium hören, weil in den Schulen und<br />

erst recht in den höheren Lehranstalten nicht mehr deutlich davon<br />

geredet werden darf. Im Namen einer falsch verstandenen Toleranz<br />

gegegenüber ein paar möchte-gern-mo<strong>der</strong>nen Elternpaaren, die<br />

dagegen reklamiert haben, und auch aus Rücksicht vor allem gegenüber<br />

den Moslems, vor denen die Behörden schon viel zu viele Bücklinge<br />

gemacht haben, gibt es heute außerhalb <strong>der</strong> Kirchen keinen christlichen<br />

Religionsunterricht mehr. Es hängt alles nur noch davon ab, ob die<br />

Kin<strong>der</strong> einen Lehrer o<strong>der</strong> eine Lehrerin bekommen, die noch gläubig sind<br />

o<strong>der</strong> nicht - es ist also eine reine Lotterie, aber nicht einmal dann, wenn<br />

eine Lehrkraft gläubig ist, hast du gewonnen, weil diese sofort die<br />

größten Probleme bekommt, wenn er o<strong>der</strong> sie in <strong>der</strong> Schule etwas vom<br />

33


Evangelium erzählt. So ist es schon ein paar Mal vorgekommen, dass<br />

jemand seine Lehrstelle verlor, wobei jedes Mal an<strong>der</strong>e verlogene<br />

Gründe vorgeschoben wurden. Ich selber hatte damals das Glück, dass<br />

ich einen gläubigen Lehrer hatte und die Schule gegenüber dem<br />

Evangelium noch mehr o<strong>der</strong> weniger tolerant war.“<br />

„Dazu gehört aber auch, dass wir heute keine Freiversammlungen mehr<br />

abhalten dürfen wie früher“, wirft jetzt wie<strong>der</strong> Bruno ein, „wir dürfen nur<br />

noch Traktate verteilen, weil das Singen auf öffentlichen Plätzen<br />

angeblich die Ruhe und Ordnung stört. Dabei ist das total verlogen,<br />

wenn wir daran denken, dass die weltlichen Gruppen, also solche, die<br />

keine christlichen Lie<strong>der</strong> singen, auch jetzt noch auftreten dürfen,<br />

solange niemand reklamiert, und es ist ja naheliegend, dass gegen diese<br />

weniger reklamiert wird. Auch das ist typisch für diese Welt: Wenn<br />

jemand von Jesus Christus erzählt und von ihm singt, steht fast niemand<br />

mehr still und hört zu, aber wenn jemand von irgendetwas an<strong>der</strong>em<br />

erzählt o<strong>der</strong> sonstwie etwas Weltliches tut, das den Leuten Zerstreuung<br />

bringt - zum Beispiel alle möglichen verrückten Künstler -, bilden sich<br />

ganze Scharen von Leuten.“<br />

Als Hans darauf nichts entgegnet und sowohl Erwin als auch Bruno<br />

merken, dass das heutige Gespräch sich allmählich erschöpft hat und<br />

sie eine Fortsetzung besser vertagen sollten, schlägt Erwin vor: „Wenn<br />

du einmal erleben möchtest, wie es bei <strong>uns</strong> in einem Gottesdienst<br />

aussieht, kannst du ruhig bei <strong>uns</strong> vorbeikommen.“<br />

„Aber ich habe morgen doch ein Spiel um diese Zeit!“, erwi<strong>der</strong>t Hans<br />

sofort.<br />

„Das weiß ich, aber wir halten auch an jedem zweiten Sonntagabend<br />

einen Gottesdienst für solche ab, die am Morgen aus irgendeinem Grund<br />

verhin<strong>der</strong>t sind; schließlich gibt es auch bei <strong>uns</strong> Leute, die<br />

unregelmäßige Arbeitszeiten haben. Morgen ist es wie<strong>der</strong> so weit; so<br />

wäre es auch für dich möglich, und zwar um sieben Uhr. Es ist ganz<br />

unverbindlich, aber es würde <strong>uns</strong> natürlich freuen, wenn du morgen<br />

Abend kommen würdest.“<br />

„Ich muss mir das noch überlegen. Es ist ein bisschen viel auf einmal,<br />

das ich heute gesehen und gehört habe; das muss ich zuerst einmal<br />

verarbeiten. So kann ich euch jetzt noch für nichts garantieren. Kommt<br />

ihr denn überhaupt auch? Ich meine, um diese Zeit ...“<br />

„Wenn es geht, kommen wir bestimmt“, antwortet Erwin, „aber auch ich<br />

komme nicht an jedem Sonntagabend, weil ich an diesem Tag immer<br />

viel unterwegs bin. Am Morgen bin ich aber mit Sicherheit immer hier,<br />

wenn ich nicht gerade krank bin o<strong>der</strong> aus einem an<strong>der</strong>en Grund nicht<br />

dabei sein kann.“<br />

„Ich auch, wenn es geht, das heißt, wenn ich dann nicht arbeiten muss,<br />

34


aber gerade morgen Abend nicht“, ergänzt dann noch Bruno.<br />

Auch Hans spürt allmählich, dass es Zeit geworden ist, sich vorläufig<br />

voneinan<strong>der</strong> zu verabschieden; sie können sich ja bald wie<strong>der</strong> einmal<br />

sehen. So fragt er Bruno auch nicht mehr, welchen Beruf er ausübt,<br />

wenn er schon davon gesprochen hat, dass er manchmal auch an<br />

einem Sonntag arbeitet. Wie es auch an seinem Arbeitsplatz seine<br />

Gewohnheit ist, ab und zu auf die Armbanduhr zu schauen, tut er das<br />

auch jetzt wie<strong>der</strong>, und er stellt mit Schrecken fest, dass elf Uhr schon<br />

vorbei ist.<br />

„Himmel noch mal!“, ruft er dann aus, „es ist schon sehr spät geworden.<br />

Jetzt muss ich aber wirklich gehen, damit ich noch rechtzeitig ins Bett<br />

komme; ich muss doch morgen für das Spiel wie<strong>der</strong> fit sein und darum<br />

genug Stunden ausruhen. Wir versammeln <strong>uns</strong> ja schon um neun Uhr,<br />

weil wir ein Auswärtsspiel haben.“<br />

„Wir haben ja auch wirklich viel miteinan<strong>der</strong> besprochen“, erwi<strong>der</strong>t Erwin,<br />

worauf alle drei wie auf ein Kommando gleichzeitig aufstehen, aber<br />

wenigstens nicht schnell.<br />

„Wie gesagt, wir würden <strong>uns</strong> ehrlich freuen, wenn du morgen Abend<br />

kommen könntest“, ergänzt auch noch Bruno und streckt Hans zuerst die<br />

Hand hin. Dieser ergreift sie, indem er wie<strong>der</strong> leiser sagt: „Gebt mir noch<br />

ein bisschen Zeit, um alles zu verarbeiten! Das ist nicht so einfach; da<br />

gibt es immer noch viel zu viel, über das ich gründlich nachdenken<br />

muss.“<br />

„Das können wir verstehen“, entgegnet Erwin und streckt auch ihm die<br />

rechte Hand hin. Während die beiden sich dann noch über Belangloses<br />

wie die Straßenbahnverbindungen unterhalten, hört Hans, wie nebenan<br />

ein älterer Mann sich von Erwin und Bruno mit den Worten „Gott<br />

befohlen, Herr Gisler und Herr <strong>Weg</strong>mann!“ verabschiedet; also weiß er<br />

jetzt, dass Bruno auch noch <strong>Weg</strong>mann heißt.<br />

Wenige Augenblicke später, als Hans sich schon zum Ausgang begeben<br />

will, während Erwin und Bruno noch kurz zurückbleiben, ereignet sich<br />

etwas völlig Unerwartetes, mit dem er und mancher an<strong>der</strong>e in diesem<br />

Raum überhaupt nicht gerechnet haben, ja, das alles bisher Vorgefallene<br />

buchstäblich kippen lässt: Plötzlich öffnet sich die Nebentür, durch die<br />

vor mehr als einer Stunde die drei Bekehrungskandidaten zusammen mit<br />

dem indischen Prediger und zwei Männern sowie einer Frau<br />

verschwunden sind, und es stürzt im wahrsten Sinn des Wortes eine<br />

Gruppe von sichtlich bewegten Personen heraus. Ange<strong>führt</strong> werden sie<br />

von <strong>der</strong> weiblichen Begleitperson des Predigers, <strong>der</strong> selbst jedoch nicht<br />

erscheint, und freudestrahlend ruft diese in die Runde: „Wir haben eine<br />

neue Schwester im Herrn!“<br />

35


Nach diesen Worten steht <strong>der</strong> ganze Raum buchstäblich Kopf. Das<br />

freudige Strahlen dieser Frau überträgt sich auf fast alle an<strong>der</strong>en, und<br />

während die einen „Halleluja!“ und die an<strong>der</strong>en „Preist den Herrn!“ rufen<br />

- was ja das Gleiche bedeutet, ohne dass alle das wissen -, stürzt sich<br />

die Betroffene, die als neue Schwester bezeichnet worden ist, in die<br />

Arme jener Frau, mit <strong>der</strong> sie während <strong>der</strong> Predigt noch<br />

zusammengesessen hat, die sie offensichtlich hierher gebracht hat. Mit<br />

Tränen in den Augen fragt die an<strong>der</strong>e sie: „Hast du es getan, Claudia?“<br />

„Ja, Iris!“, ruft diese überglücklich und ebenfalls in Tränen aufgelöst, „ich<br />

habe Jesus mein Leben übergeben!“<br />

„Wie herrlich!“, ruft diese zurück, „oh Danke, Herr!“<br />

„Wie fühle ich mich jetzt befreit!“, setzt die Neubekehrte fort, „du hast<br />

Recht gehabt. Es ist wirklich wun<strong>der</strong>bar zu wissen, dass er lebt und mir<br />

meine Sünden für immer vergeben hat.“<br />

Während sie weiter dahinreden und alle Umstehenden sich mit<br />

strahlenden Gesichtern und glänzenden Augen mit ihnen freuen, steht<br />

jetzt auch Hans völlig Kopf, und es dreht sich alles in ihm: Was ist denn<br />

hier nur los? Sind alle plötzlich verrückt geworden? Entwe<strong>der</strong> spinnen<br />

die alle o<strong>der</strong> dann spinne ich, das ist ja nicht mehr auszuhalten!<br />

Da für den Moment niemand mehr sich um ihn kümmert und selbst Erwin<br />

und Bruno ihre volle Aufmerksamkeit <strong>der</strong> Neubekehrten schenken,<br />

benützt er die Gelegenheit, um durch den Ausgang zu verschwinden. Er<br />

hat nicht mehr die Nerven, um noch länger hier drinnen zu bleiben und<br />

abzuwarten, ob und wann eventuell auch noch die an<strong>der</strong>en<br />

Bekehrungskandidaten den gleichen Schritt tun, und er hat jetzt auch<br />

völlig vergessen, dass er eigentlich noch Lust hatte, mit dem indischen<br />

Prediger ganz ungezwungen ein wenig zu plau<strong>der</strong>n; schließlich trifft man<br />

nicht alle Tage solche Exoten aus an<strong>der</strong>en Kontinenten, die sich<br />

Christen nennen. Nur möglichst schnell weg von hier, bevor ich auch<br />

noch durchdrehe!, lautet jetzt sein Vorsatz, und während er mit schnellen<br />

Schritten dem Bellevueplatz zustrebt, hämmert es rasend in ihm. Immer<br />

wie<strong>der</strong> redet er sich ein: Das ist nicht normal, das kann nur Sektenzeug<br />

sein, etwas an<strong>der</strong>es ist gar nicht möglich! Muss man denn gleich so<br />

überschnappen, wenn man sich zu einem solchen Glauben bekehrt?<br />

O<strong>der</strong> ist am Ende doch etwas Wahres dran? Ach was, das ist völlig<br />

unmöglich, dieser Glaube ist gegen jede menschliche Vernunft und<br />

bringt einen noch um den letzten Rest von Verstand! Ich kann einfach<br />

nicht daran glauben, dass dieser Jesus wirklich lebt, ich kann es nicht ...<br />

36


4<br />

Es kommt, wie es kommen musste, wenn jemand innerhalb von wenigen<br />

Stunden so viel hört, das einem alle bisherigen Weltanschauungen bis<br />

auf den Grund in Frage stellt, und so viel sieht, das bisher völlig<br />

unvorstellbar gewesen ist: Es gelingt Hans nicht, frühzeitig einzuschlafen<br />

und damit im Hinblick auf das Sonntagsspiel genügend auszuruhen.<br />

Obwohl er sich noch in <strong>der</strong> Straßenbahn eingeredet hat, dass er alles,<br />

was er im Versammlungsraum <strong>der</strong> Christen gehört und gesehen hat,<br />

nicht allzu ernst nehmen müsse, dass dieser Glaube an Jesus ganz<br />

unmöglich das einzig Wahre sein könne, wie <strong>der</strong> indische Prediger und<br />

alle an<strong>der</strong>en das meinten, ist er jetzt, zwischen den eigenen vier<br />

Wänden, trotzdem viel zu aufgewühlt, als dass er innerlich einfach<br />

abschalten könnte. Das Gehörte und Gesehene beschäftigt ihn mehr, als<br />

er sich vorher vorstellen konnte und ihm jetzt lieb ist. Immer wie<strong>der</strong> stellt<br />

er sich die gleichen Fragen: Ist am Glauben dieser Leute vielleicht doch<br />

etwas Wahres dran? Was ist, wenn sie tatsächlich Recht haben, wenn<br />

es am Ende doch einen Gott gibt und die Geschichte von <strong>der</strong><br />

Auferstehung dieses Jesus stimmt? Aber das ist doch absurd, so etwas<br />

ist völlig unmöglich! Warum zeigt er sich denn nicht, wenn er wirklich<br />

lebt?<br />

An<strong>der</strong>erseits muss er sich eines eingestehen, so unangenehm das ihm<br />

selbst auch ist: Kann er, Hans Stettler höchstpersönlich, wirklich einfach<br />

so von sich behaupten, dass auch seine eigene Weltanschauung das<br />

Wahre ist? Kann nicht auch er sich bis heute geirrt haben? Lässt sein<br />

eigener Stolz es am Ende zu, um sich sagen zu können, er habe in<br />

seinem Leben die wirkliche Erfüllung gefunden? Wenn er eine Bilanz<br />

über seine bisherigen 32 Jahre zieht und dabei sich selbst gegenüber<br />

ehrlich ist, muss er bekennen, dass auch bei ihm sich nicht alles so<br />

erfüllte, wie er es früher geplant und teilweise auch erhofft hat. Dabei<br />

sieht die persönliche Buchhaltung auf den ersten Blick durchaus positiv<br />

aus: Er ist in Verhältnissen aufgewachsen, die man als geordnet zu<br />

bezeichnen pflegt, und er hat zu seinen Eltern sowie zu seinem Bru<strong>der</strong><br />

und zu seiner Schwester, die alle noch leben, bis heute noch einen<br />

guten Kontakt aufrechterhalten. Er hat auch eine gute Stellung bei einer<br />

Großbank und konnte diese selbst nach einer riesigen<br />

Fusionierungswelle in den letzten paar Jahren nicht nur behalten,<br />

son<strong>der</strong>n seine Position sogar noch verbessern, und gehört heute dem<br />

an, was in an<strong>der</strong>en Branchen als mittleres Ka<strong>der</strong> bezeichnet wird. Er<br />

schreibt und spricht neben Deutsch ausgezeichnet Englisch und<br />

Französisch, daneben auch leidlich gut Italienisch und Spanisch und<br />

versteht außerdem viel Portugiesisch, wenn er dieses auch nicht<br />

37


sprechen kann. Wie so viele an<strong>der</strong>e aus seiner Generation ist er in <strong>der</strong><br />

Welt ein wenig herumgereist und konnte das zweimal sogar mit seinem<br />

Beruf verbinden, als er sowohl in New York als auch in London, also in<br />

zwei <strong>der</strong> wichtigsten Finanzzentren <strong>der</strong> Welt, ein paar Monate, in denen<br />

er natürlich seine Laufbahn als Fussballer vorübergehend unterbrechen<br />

musste, in den Zweignie<strong>der</strong>lassungen seiner Bank arbeiten durfte. Er<br />

hatte immer viele Kollegen und manchmal sogar echte Freunde und<br />

immer wie<strong>der</strong> auch eine Freundin, war mit einer von ihnen sogar für<br />

kurze Zeit verlobt und hatte alles in allem viel Glück, auch wenn es jedes<br />

Mal wie<strong>der</strong> eine schmerzliche Trennung gab und er deshalb noch heute<br />

ledig ist. Nicht zuletzt spielt er auch in einem guten Fußballverein mit,<br />

was ihm selbst in diesem Alter, da er sehr wohl weiß, dass seine<br />

Laufbahn bald zu Ende gehen wird, immer noch viel Freude bereitet,<br />

auch deshalb, weil er diesen Sport nur als Hobby betreibt und schon in<br />

jungen Jahren erkannte, dass er es nicht zu einem <strong>der</strong> ganz großen<br />

Starfussballer bringen würde, und sich so von Anfang an auf seinen<br />

Beruf konzentrierte. Das war auch ein entscheiden<strong>der</strong> Grund dafür, dass<br />

er damals, als er vor <strong>der</strong> Entscheidung stand, die Stellenangebote in<br />

Amerika und England anzunehmen o<strong>der</strong> nicht, sich dafür entschieden<br />

hat.<br />

Wenn er jedoch all dies, das scheinbar so positiv ist, mit dem abwägt,<br />

was in <strong>der</strong> nächsten Zukunft auf ihn zukommen könnte, wird er ziemlich<br />

<strong>uns</strong>icher, und er muss sich eingestehen, dass alle positiven<br />

Erfahrungen, die er bisher gesammelt hat, sich im schlimmsten Fall als<br />

geradezu nichtig und unbedeutend herausstellen könnten. Dass er<br />

seinen Sport nicht mehr viele Jahre lang so intensiv mit dreimaligem<br />

Training und einem Spiel an fast jedem Wochenende wird ausüben<br />

können, ist ihm schon aufgrund seines Alters klar, und wenn er daran<br />

denkt, dass es ihm im Gegensatz zu Hun<strong>der</strong>ten, ja, zu Tausenden von<br />

an<strong>der</strong>en Fußballern in aller Welt nicht gelungen ist, genügend Geld zu<br />

verdienen und darauf etwas Neues und Sicheres aufzubauen, muss er<br />

bereits den ersten Negativposten verzeichnen.<br />

Wie lange er seinen Arbeitsplatz noch behalten kann, ist ebenfalls völlig<br />

<strong>uns</strong>icher, auch wenn es vorläufig noch danach aussieht, als könne er<br />

bleiben. Wenn er jedoch bedenkt, wie viele Tausende von Bankiers, die<br />

zum Teil in noch höheren und besseren Positionen tätig waren als er,<br />

ihre Stellen weltweit verloren haben und manchmal sogar von einem Tag<br />

auf den an<strong>der</strong>en auf die Straße gestellt wurden, kann auch er sich nie<br />

allzu sicher fühlen - also schon <strong>der</strong> zweite Negativposten. Dass er bis<br />

heute noch keine Frau gefunden hat, mit <strong>der</strong> er eine Familie gründen<br />

könnte, findet er gegenwärtig weniger tragisch; schließlich hat er ab und<br />

38


zu gern auch individualistisch gelebt und ist ja immer noch jung genug.<br />

Angesichts <strong>der</strong> vielen scheinbar glücklichen und größtenteils jungen<br />

Familien wurmt es ihn manchmal aber schon, dass er an den Abenden<br />

regelmäßig allein ist, wenn er nicht ausgeht, und so fühlt er sich in letzter<br />

Zeit tatsächlich immer öfter in seinem Innersten einsam, sogar wenn er<br />

mit Kollegen zusammen ist - <strong>der</strong> dritte Negativposten.<br />

Selbst wenn aber alles an<strong>der</strong>s wäre, wenn er mit dem Fußball sehr viel<br />

Geld verdient hätte, wenn er einen hun<strong>der</strong>tprozentig sicheren<br />

Arbeitsplatz bis zu seiner Pensionierung und eine Familie hätte, mit <strong>der</strong><br />

er glücklich wäre, würde einmal doch <strong>der</strong> Tag kommen, an dem auch er<br />

sich von dieser Welt verabschieden muss - und was wäre dann? Wäre<br />

alles vorbei o<strong>der</strong> gibt es doch noch ein Leben nach dem Tod, wie es<br />

diese Christen erzählen, denen er begegnet ist? Es ist ihm klar, dass er<br />

sich bis heute über dieses Thema viel zu wenig Gedanken gemacht hat,<br />

dass auch er das so wie fast alle an<strong>der</strong>en in dieser mo<strong>der</strong>nen<br />

Gesellschaft, in <strong>der</strong> fast nur noch Jugend und Schönheit und möglichst<br />

viel Erfolg alles zählen und <strong>der</strong> Tod dabei völlig verdrängt wird,<br />

weitgehend aus dem Bewusstsein verdrängt hat.<br />

Allerdings kann er sich immer noch nicht so recht vorstellen, dass es<br />

vielleicht doch einen Gott gibt, <strong>der</strong> das ganze Weltall, sämtliche<br />

Lebewesen und damit auch die ersten Menschen Adam und Eva<br />

erschaffen hat, wenn dieser Planet Erde schon seit Hun<strong>der</strong>ten von<br />

Millionen Jahren existiert, wie es überall immer wie<strong>der</strong> so heißt und er<br />

das auch in den Schulen so gelernt hat - und etwas an<strong>der</strong>es hat er nun<br />

einmal nie zu hören bekommen. Wie steht es zum Beispiel mit den<br />

Dinosauriern? Wo kann man diese unterbringen, wenn am<br />

Wahrheitsgehalt <strong>der</strong> Bibel tatsächlich etwas dran ist? Gerade die<br />

Beschäftigung mit diesem beson<strong>der</strong>en Thema zeigt ihm deutlich, dass er<br />

noch so viele Fragen hätte, die ihm niemand von denen, die er<br />

regelmäßig sieht, beantworten kann. Wäre es vielleicht doch besser,<br />

noch einmal bei diesen Frommen vorbeizuschauen? Vielleicht gibt es<br />

auch unter ihnen jemanden, <strong>der</strong> auf seine vielen Fragen die<br />

entsprechenden Antworten zu geben vermag. Dann erinnert er sich aber<br />

wie<strong>der</strong> an die letzten Minuten, die er in ihrem Keller verbracht hat, an<br />

das geradezu schockierende Erlebnis mit dieser sogenannten<br />

Bekehrung, und allein <strong>der</strong> Gedanke daran, dass ihm noch einmal so<br />

etwas wi<strong>der</strong>fahren könnte, schreckt ihn wie<strong>der</strong> ab.<br />

Da fällt ihm plötzlich inmitten dieses Grübelns wie<strong>der</strong> diese<br />

geheimnisvolle Frau ein, die ihn so tief beeindruckt hat, ohne dass er<br />

sich das erklären kann. Warum hat sie mir auf Anhieb so gut gefallen?,<br />

39


fragt er sich auch jetzt erneut. Natürlich ist sie für seinen Geschmack<br />

hübsch, aber nicht so übertrieben und aufgedonnert, dass sie um jeden<br />

Preis an einem <strong>der</strong> sogenannten Schönheitswettbewerbe auftreten<br />

müsste. Ihr Aussehen kann nicht allein ausschlagebend sein, son<strong>der</strong>n es<br />

muss noch mehr dahinterstecken; schließlich hat er schon viele Frauen<br />

und Mädchen kennen gelernt, die man als hübsch zu bezeichnen pflegt,<br />

ohne dass er gleich daran denken musste, die eine o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e könnte<br />

für ihn in Frage kommen. Es muss wohl auch an ihrer beson<strong>der</strong>en<br />

Ausstrahlung von innen her liegen, die sie im Versammlungsraum <strong>der</strong><br />

Christen gezeigt hat, ja, höchstwahrscheinlich ist es gerade das, was ihn<br />

an ihr so fasziniert hat.<br />

Ob es sich wohl lohnen würde, nur wegen ihr nochmals an die<br />

Feldeggstraße zu gehen, wo sich <strong>der</strong> Versammlungsraum befindet?<br />

Vielleicht ist sie aber ausgerechnet dann nicht dort - und zudem gibt es<br />

da noch ein entscheidendes Problem: Allem Anschein nach ist sie auch<br />

eine von denen, also eine fromme Christin, und er ist es nicht und fühlt<br />

sich auch nicht dazu imstande, es jemals zu werden. Könnte das gut<br />

gehen, selbst bei aller gegenseitigen Toleranz? Schon ertappt er sich<br />

dabei, dass er sich über diese Frau Gedanken macht, als müssten sie<br />

bald irgendwie zueinan<strong>der</strong> finden, ja, als wäre es ihnen geradezu<br />

vorbestimmt. Dabei kennt er sie nicht einmal und sie weiß nicht einmal,<br />

dass es ihn überhaupt gibt, da sie ihn kein einziges Mal angeschaut hat.<br />

Aber er ist halt in einem Alter, in dem fast alle Männer und Frauen<br />

bewusst und unbewusst ständig auf <strong>der</strong> Suche sind und nach allen<br />

möglichen und auch unmöglichen Lebenspartnerinnen und -partnern<br />

Ausschau halten, und darin ist auch er keine Ausnahme. Kann es denn<br />

wirklich so etwas wie eine Vorbestimmung geben, auch wenn man sich<br />

noch gar nicht persönlich kennt?<br />

Als er endlich Schlaf findet, ist es schon halb zwei Uhr nachts, und als<br />

sein Wecker um sieben Uhr rasselt, mag er zuerst fast nicht aufstehen,<br />

<strong>der</strong>art schlecht fühlt er sich, vor allem moralisch schlecht. Die Ereignisse<br />

des Vorabends haben ihm halt doch viel mehr zugesetzt, als er das<br />

vorher für möglich gehalten hätte. Soll er nicht lieber den Trainer anrufen<br />

und ihm mitteilen, er könne heute nicht spielen, weil er schlecht drauf<br />

sei? Doch dann erinnert er sich daran, dass <strong>der</strong> Verein immer noch eine<br />

kleine Chance hat, sich für die Aufstiegsrunde zu qualifizieren, und dass<br />

dabei je<strong>der</strong> Mann gebraucht wird, weil gerade in diesen Tagen drei<br />

Spieler krank sind und zwei noch in den Ferien weilen. Ja, das kommt in<br />

den unteren Ligen vor, dass ein Verein auf den einen o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en<br />

Spieler zeitweise verzichten muss, weil die Herren ferienhalber<br />

unabkömmlich sind. In dieser Beziehung haben es die Profis in <strong>der</strong><br />

40


obersten Liga besser; sie müssen zwar eine Saison lang durchspielen,<br />

doch danach sind ihnen mindestens drei Wochen sicher, und selbst über<br />

die Weihnachts- und Neujahrstage liegt eine Ruhepause drin, sofern<br />

nicht irgendwo ein Hallenturnier stattfindet und die Sponsoren, die in <strong>der</strong><br />

heutigen Zeit letztlich bestimmen, wo und wie es langgeht, es für nötig<br />

finden, dass <strong>der</strong> Verein daran teilnimmt.<br />

So rappelt er sich also auf und zieht sich an, so schnell es geht, wobei<br />

ihm <strong>der</strong> Kopf immer noch ein wenig brummt. Zum Glück ist heute nicht er<br />

an <strong>der</strong> Reihe, um den Wagen zu lenken, son<strong>der</strong>n ein Kollege. Auch das<br />

ist ein Kennzeichen <strong>der</strong> untersten Ligen: Da nicht je<strong>der</strong> Verein über<br />

einen eigenen Bus o<strong>der</strong> Car verfügt, mit dem die Spieler und darüber<br />

hinaus noch die Spielerfrauen und Freundinnen sowie Fangruppen zu<br />

jedem Auswärtsspiel gefahren werden können, behilft man sich auch in<br />

Stettlers Verein damit, dass je<strong>der</strong>, <strong>der</strong> einen Wagen hat, diesen auch zur<br />

Verfügung stellt. Er selbst hat zwar auch einen - sogar einen Audi, <strong>der</strong> in<br />

<strong>der</strong> Branche immer noch als etwas Beson<strong>der</strong>es gilt -, doch er benützt ihn<br />

nicht an jedem Wochenende, son<strong>der</strong>n wechselt sich mit einem Kollegen<br />

ab, dem es ebenfalls recht ist, seinen eigenen Wagen nur an jedem<br />

zweiten Samstag o<strong>der</strong> Sonntag zu steuern. Auch zur Bank fährt Stettler,<br />

<strong>der</strong> in seinem Außenbezirk immer noch verkehrstechnisch günstig<br />

wohnt, während <strong>der</strong> Woche immer mit <strong>der</strong> Straßenbahn, obwohl eine<br />

betriebseigene Garage vorhanden ist. Der Verkehr ist ihm tagsüber und<br />

erst recht in den Stoßzeiten viel zu dicht, als dass er diese Mühe auf sich<br />

nehmen wollte, sich noch mehr Stress als nötig zuzumuten - die Arbeit<br />

allein ist ja oft zermürbend genug.<br />

Als er den Vereinskollegen namens Markus Huggler vor dem Haus trifft,<br />

in dem er wohnt und vor dem <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e bereits auf ihn wartet, geben<br />

sie sich wie üblich kurz die Hand, sagen sich schnell „Hoi, wie geht’s?“<br />

und „Danke, es geht - und dir?“, so wie dieser Wortwechsel noch<br />

Tausende Male unter Leuten stattfindet, die sich schon gut kennen, und<br />

steigen in den Wagen, eine an<strong>der</strong>e Marke. Erst jetzt fühlt sich Hans<br />

wie<strong>der</strong> etwas besser, doch sobald die beiden nach einer Fahrt von fast<br />

zwanzig Kilometern die an<strong>der</strong>en vom Verein sehen, kippt seine<br />

Stimmung wie<strong>der</strong> um.<br />

Während <strong>der</strong> letzten kurzen Besprechung <strong>der</strong> ganzen Mannschaft vor<br />

dem Einlaufen verhält er sich auffallend still, was sonst nicht seine Art<br />

ist. Er ist zwar nicht <strong>der</strong> Kapitän - das ist ein an<strong>der</strong>er, <strong>der</strong> sogar noch<br />

etwas älter ist als er und im Mittelfeld spielt, was in vielen Vereinen ja<br />

fast eine Voraussetzung für dieses Amt ist -, aber immerhin <strong>der</strong><br />

Ersatzmann und als einer <strong>der</strong> ältesten Spieler aufgrund seiner Erfahrung<br />

nicht ohne Bedeutung für den viel zitierten Teamgeist.<br />

41


Schließlich scheint <strong>der</strong> Trainer doch allmählich zu merken, dass er sich<br />

heute etwas son<strong>der</strong>bar verhält. So wartet er ab, bis alle an<strong>der</strong>en den<br />

Umklei<strong>der</strong>aum <strong>der</strong> Turnhalle, neben dem das Spiel stattfindet, verlassen<br />

haben, und fragt ihn dann echt besorgt: „Geht es dir gut, Hans?“<br />

Dabei beugt er sich über ihn, da er seine Schuhe gerade fester schnürt,<br />

aber auffallend langsam.<br />

„Ja, mehr o<strong>der</strong> weniger“, antwortet er leise.<br />

„Was hast du denn heute?“<br />

„Ich habe schlecht geschlafen, aber es wird schon wie<strong>der</strong> werden.“<br />

„Ich hoffe es, Hans. Vergiss nicht, dass wir jetzt ein Län<strong>der</strong>spiel haben!<br />

Da müssen wir <strong>uns</strong> erst recht anstrengen und den an<strong>der</strong>en zeigen, dass<br />

auch wir Schweizer gut Fußball spielen können; schließlich stimmt es ja,<br />

was immer wie<strong>der</strong> gesagt wird - dass die Auslän<strong>der</strong> insgesamt die<br />

besseren Fußballer sind.“<br />

Wenn Hans diesen Spezialausdruck „Län<strong>der</strong>spiel“ hört, <strong>der</strong> in <strong>der</strong><br />

Fußballszene schon seit vielen Jahren im Umlauf ist, muss er immer<br />

wie<strong>der</strong> schmunzeln. Natürlich meint <strong>der</strong> Trainer auch jetzt ein Spiel<br />

gegen eine Mannschaft, die sich fast ausschließlich aus hier ansäßigen<br />

Auslän<strong>der</strong>n zusammensetzt, die in den unteren Ligen zahlreiche<br />

Mannschaften stellen. Dabei spielt es keine Rolle, ob diese solche sind,<br />

die hier im Land aufgewachsen o<strong>der</strong> erst später eingewan<strong>der</strong>t sind. Was<br />

nun diesen Verein betrifft, trifft <strong>der</strong> Ausdruck aber nicht ganz zu, denn je<br />

zwei <strong>der</strong> Spieler sind Italiener und Spanier, die allerdings hier<br />

aufgewachsen und so fest verwurzelt sind, dass sie schon fast nicht<br />

mehr als Auslän<strong>der</strong> wahrgenommen werden; zwei von ihnen haben sich<br />

sogar einbürgern lassen. Diese vier profitieren auch davon, dass ihre<br />

Eltern schon vor ein paar Jahrzehnten, als es fast nur solche aus diesen<br />

beiden Län<strong>der</strong>n gab, gewissermaßen Vorarbeit geleistet haben, so dass<br />

sie im Gegensatz zu solchen aus an<strong>der</strong>en Mittelmeerstaaten und erst<br />

recht aus an<strong>der</strong>en Kulturkreisen als voll integriert gelten.<br />

„Ich weiß, Willi“, entgegnet Hans, „du kannst dich aber beruhigen, es<br />

geht mir wie<strong>der</strong> ein bisschen besser.“<br />

Gerade das stimmt aber nicht, denn als sie auflaufen, merkt er allzu klar,<br />

dass heute nicht sein Tag ist, und er weiß, dass es nicht nur am<br />

fehlenden Schlaf liegen kann. Schon oft hatte er solche Tage, viele Male<br />

hat er schon schlecht geschlafen und mit Ausnahme <strong>der</strong> ersten paar<br />

Wochen nach <strong>der</strong> Auflösung seiner Verlobung konnte er das jedes Mal<br />

locker wegstecken. Heute ist es jedoch an<strong>der</strong>s; er fühlt, dass<br />

irgendetwas ihn in seinem Innersten blockiert und nicht frei und<br />

ungezwungen spielen lässt. Er bemüht sich zwar redlich darum, mit<br />

voller Konzentration zu spielen, und begeht auch keinen<br />

42


spielentscheidenden Fehler, doch es fehlt ihm <strong>der</strong> Biss, die nötige<br />

Aggressivität, die in diesem Sport nun einmal gefor<strong>der</strong>t wird, wenn man<br />

nicht schnell weg vom Fenster sein will, selbst wenn man gesund und<br />

bei Kräften ist. Offensichtlich sind es immer noch die gestrigen<br />

Ereignisse, die ihn innerlich mehr blockieren, als es ihm lieb ist und er<br />

sich eingestehen will.<br />

Dass seine Mannschaft heute nicht gewinnt und sich von <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en<br />

mit einem 1:1 trennt, liegt wenigstens nicht an ihm; schließlich ist es<br />

nicht seine Aufgabe, Tore zu schießen, son<strong>der</strong>n bloß zu verhin<strong>der</strong>n.<br />

Auch <strong>der</strong> Ausgleichstreffer, den die an<strong>der</strong>en wenige Minuten vor Schluss<br />

noch erzielt haben, geht nicht auf seine Kappe, denn <strong>der</strong> Gegenangriff,<br />

<strong>der</strong> zum Erfolg <strong>führt</strong>e, wurde vom rechten Flügelstürmer vorbereitet und<br />

von einem aufgerückten Mittelfeldspieler mit einem Kopfball erfolgreich<br />

abgeschlossen, während er selbst auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite damit<br />

beschäftigt war, den linken Flügelstürmer abzudecken, wie es seiner<br />

Aufgabe entsprach.<br />

Trotzdem war es während des ganzen Spiels offensichtlich, dass er nicht<br />

ganz bei <strong>der</strong> Sache war und zeitweise gar neben den Schuhen stand,<br />

wie das im Fußballjargon so treffend heißt. So etwas merken die<br />

Mitspieler natürlich bald; sie sehen einan<strong>der</strong> ja an fast jedem<br />

Wochenende und auch an den Trainingsabenden unter <strong>der</strong> Woche und<br />

lernen sich auch auf diese Weise ein gutes Stück kennen. Insbeson<strong>der</strong>e<br />

merkt so etwas aber auch ein guter Trainer, <strong>der</strong> mit seinen Spielern<br />

intensiv arbeitet und die Stärken und Schwächen jedes Einzelnen kennt<br />

o<strong>der</strong> kennen sollte. Da dieser schon fast zwei Jahre lang in diesem<br />

Verein tätig ist und immerhin schon ein paar Mannschaften in <strong>der</strong><br />

zweithöchsten, wenn auch nicht in <strong>der</strong> höchsten trainiert hat, verfügt er<br />

natürlich über genügend Erfahrung, um Stettlers heutige Mängel zu<br />

erkennen. Das tat er denn auch während des Spiels, aber da er trotz<br />

allem keinen spielentscheidenden Fehler beging, wechselte er ihn nicht<br />

aus, wie er es sich schon überlegt hatte, und ließ ihn bis zum Schluss<br />

durchspielen.<br />

Als die Spieler geduscht haben und sich im Umklei<strong>der</strong>aum wie<strong>der</strong><br />

umziehen, verlieren sie nicht allzu viele Worte. Je<strong>der</strong> weiß selbst gut<br />

genug, was schiefgelaufen ist und wer wann welche Fehler begangen<br />

hat. Keiner spielt jemals fehlerlos, also braucht auch niemand einem<br />

an<strong>der</strong>en etwas vorzuwerfen, und schließlich ist ein Unentschieden immer<br />

noch besser als eine Nie<strong>der</strong>lage, auch wenn sie angesichts <strong>der</strong><br />

Tatsache, dass sie meistens feldüberlegen spielten und damit dem Sieg<br />

und den zwei weiteren nötigen Punkten weitaus näherstanden als die<br />

43


an<strong>der</strong>en, nicht zufrieden sein können.<br />

Da für heute kein vereinsinternes Fest vorgesehen ist, gehen die Spieler<br />

bald wie<strong>der</strong> auseinan<strong>der</strong>, natürlich zuerst jene, die zu Hause eine<br />

Familie haben, und ein paar wenige trinken noch zusammen ein Bier.<br />

Nur Hans hat heute keine Lust, an irgendetwas teilzunehmen; er<br />

wünscht sich nichts sehnlicher als Ruhe, die er am besten zwischen<br />

seinen eigenen vier Wänden bekommen wird. Er spürt jedoch, dass <strong>der</strong><br />

Trainer, den er als einer <strong>der</strong> Ersten duzen durfte - in <strong>der</strong> Zwischenzeit<br />

tun es natürlich alle -, ihm noch etwas sagen will, dass er ihm sicher<br />

genau das mitteilen will, was mancher seiner Mitspieler wohl gedacht,<br />

aber nicht ausgesprochen hat; dafür ist schließlich <strong>der</strong> Trainer zuständig.<br />

Noch bevor sie einan<strong>der</strong> die Hand zum Abschied geben, fragt dieser<br />

Hans denn auch direkt ins Gesicht, wie es seine Art ist: „Geht es dir<br />

heute nicht so gut?“<br />

Da Hans nicht sofort antwortet, setzt Willi Bodenmann, wie <strong>der</strong> Trainer<br />

offiziell heißt, sofort nach: „Irgendetwas stimmt doch nicht mit dir, das hat<br />

man dir deutlich angemerkt.“<br />

Er meint es mit seiner Anteilnahme ehrlich, denn er mag Hans wirklich<br />

gern, nicht nur weil er bis heute immer solid und zuverlässig gespielt hat,<br />

son<strong>der</strong>n auch als Menschen an sich, weil er außerhalb <strong>der</strong> Spielfel<strong>der</strong><br />

immer so ruhig und besonnen ist, nicht zu viel spricht und vor allem auch<br />

ihn als Chef akzeptiert, was ja nicht in jedem Verein bei allen Spielern<br />

<strong>der</strong> Fall ist; darin hat er schon genügend Erfahrungen gesammelt, auch<br />

deshalb hat er den Verein schon mehrmals gewechselt.<br />

„Ja, du hast Recht“, antwortet Hans schließlich, „ich bin heute wirklich<br />

nicht gut drauf gewesen.“<br />

„Was fehlt dir denn?“<br />

„Wie ich es dir schon gesagt habe: Ich habe schlecht geschlafen.“<br />

Mit dieser Begründung gibt sich <strong>der</strong> Trainer aber nicht zufrieden: „Mach<br />

mir doch nichts vor, Hans! Dafür kenne ich dich schon viel zu gut! Es ist<br />

sicher nicht nur das.“<br />

„Vielleicht hast du Recht“, entgegnet Hans leise.<br />

„Ist es etwa wie<strong>der</strong> eine Frau?“, fragt Willi denn auch sofort.<br />

Diese Worte treffen ihn stark, einerseits wegen seiner Beziehung, die vor<br />

wenigen Wochen in die Brüche gegangen ist - und an<strong>der</strong>erseits vielleicht<br />

auch wegen <strong>der</strong> geheimnisvollen und faszinierenden Frau von gestern<br />

Abend? Da er jedoch weiß, dass <strong>der</strong> Trainer diese Frage nicht bös<br />

meint, son<strong>der</strong>n ihm im Gegenteil immer helfen will, wenn es darauf<br />

ankommt, und auch nach jener Trennung, die ihn doch etwas hart traf,<br />

44


echte Anteilnahme bewiesen hat, nimmt er sie ihm nicht übel. Schließlich<br />

ist er keine zehn Jahre älter als er, also gehören sie praktisch <strong>der</strong><br />

gleichen Generation an und können einan<strong>der</strong> in vielem besser<br />

verstehen, als wenn <strong>der</strong> Altersunterschied größer wäre wie etwa<br />

zwischen dem Trainer und den jüngsten Spielern.<br />

„Nein, es ist keine Frau“, antwortet er zögernd und lügt dabei nicht<br />

einmal.<br />

Auch wenn ihm die von gestern nicht aus dem Sinn kommt, ist er sicher,<br />

dass sein jetziger Zustand nicht nur an ihr liegen kann; dafür hat er auch<br />

noch zu viel an<strong>der</strong>es gehört und gesehen.<br />

„Was ist es denn?“, bohrt <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e weiter, „du kannst es mir ruhig<br />

sagen, wenn dich etwas bedrückt; das weißt du ja.“<br />

So antwortet Hans nach kurzem Zögern leise: „Es ist etwas Privates, das<br />

ich vorläufig noch niemandem anvertrauen kann. Aber es hat mit<br />

<strong>uns</strong>erem Klub nichts zu tun, ich kann trotzdem weiter voll spielen.“<br />

„Wenn du meinst - dann will ich nicht weiter in dich eindringen. Da kann<br />

ich nur noch hoffen, dass es dir beim nächsten Spiel wirklich wie<strong>der</strong><br />

besser geht. Vergiss nicht, dass wir immer noch um den Aufstieg spielen<br />

können, auch wenn wir heute in <strong>der</strong> Tabelle wie<strong>der</strong> ein bisschen<br />

zurückgebunden worden sind! Aber es liegt nicht an dir, dass wir nicht<br />

gewonnen haben, dass wir auf so ärgerliche Art zwei wichtige Punkte<br />

verschenkt haben. Es lag eindeutig an <strong>der</strong> Kaltblütigkeit, die vorn im<br />

Abschluss gefehlt hat; darum sind auch ein paar dicke Chancen versiebt<br />

worden - das hat <strong>uns</strong> den Sieg gekostet.“<br />

Nach diesen klärenden Worten gehen sie auseinan<strong>der</strong> und darauf tut<br />

Hans das, was er sich schon kurz nach dem Spiel vorgenommen hat: Er<br />

lässt sich von Markus, <strong>der</strong> draußen getreulich im Auto gewartet hat,<br />

wie<strong>der</strong> nach Hause fahren, bedankt sich dort vor <strong>der</strong> Haustür bei ihm,<br />

begibt sich in seine Wohnung und legt sich gleich auf das Bett, das<br />

immerhin so breit ist, dass es allenfalls auch für eine Frau noch Platz<br />

hätte, und das er eine Zeit lang auch mit seiner ehemaligen Verlobten<br />

geteilt hat. Zum Glück hat er am an<strong>der</strong>en Ort schon geduscht, so dass er<br />

nicht nochmals aufstehen muss, son<strong>der</strong>n direkt liegen bleiben kann. Als<br />

Erstes entspannt er sich, indem er versucht, an gar nichts mehr zu<br />

denken, und schon schläft er nach wenigen Minuten ein und kann damit<br />

den Schlaf nachholen, den er in <strong>der</strong> vergangenen aufwühlenden Nacht<br />

verpasst hat.<br />

45


5<br />

Als er wie<strong>der</strong> aufwacht, ist es schon fast sechs Uhr abends. Obwohl die<br />

Sonne schon fast untergegangen ist, laden die spätwinterlichen<br />

Temperaturen zu einem erfrischenden Spaziergang selbst für einen<br />

Alleinstehenden geradezu ein, doch er spürt keine Lust. Irgendetwas hält<br />

ihn in seinen eigenen vier Wänden fest und scheint ihm zu sagen, dass<br />

er hier drinnen bleiben soll. Was soll er aber tun? Er öffnet den<br />

Kühlschrank, <strong>der</strong> in die Wohnung eingebaut ist, zieht eine Cola-Dose<br />

heraus, öffnet diese und genehmigt sich einen ersten Schluck. Dann<br />

begibt er sich zum Sofa, lässt sich dort fast hineinplumpsen und schaltet<br />

fast wie automatisch das Fernsehgerät an, wie er das immer in solchen<br />

Momenten getan hat. Da um diese Zeit wie üblich auf jedem zweiten<br />

Kanal eine Sportsendung läuft, wäre es nahe liegend, dass er, <strong>der</strong> ja<br />

selbst aktiv Sport treibt, sich eine von ihnen zu Gemüte führen würde -<br />

doch wie<strong>der</strong> spürt er dazu keine Lust, ausgerechnet er, <strong>der</strong> als Fußballer<br />

bisher fast keinen Bericht ausgelassen hat, <strong>der</strong> seinen Sport zum Inhalt<br />

hatte, diesen Sport, dem er genauso wie viele Zehntausende in diesem<br />

Land und Millionen auf <strong>der</strong> ganzen Welt mit einer solchen Leidenschaft<br />

verfallen ist, die auch er sich nicht erklären kann.<br />

Plötzlich kommt ihm eine außergewöhnliche Idee: Wenn er schon keine<br />

Lust hat, Fernsehen zu schauen, und sich nicht einmal mehr für ein<br />

Fußballspiel interessiert, könnte er doch für einmal irgendetwas lesen -<br />

aber was denn? Da fällt ihm die Bibel ein, die Erwin ihm am letzten<br />

Wochende nach seinem ersten Besuch an <strong>der</strong> Feldeggstraße geschenkt<br />

hat. Was, in <strong>der</strong> Bibel soll er lesen, er, <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>n gesinnte Hans<br />

Stettler, <strong>der</strong> sprachgewandte, viel gereiste und für alles Neue und<br />

Mo<strong>der</strong>ne offene Bankier? Das Einzige, das er von diesem komischen<br />

Buch weiß, ist <strong>der</strong> Schöpfungsbericht, <strong>der</strong> inzwischen durch die<br />

Evolutionstheorie ja schon längst wi<strong>der</strong>legt worden ist, sowie die<br />

Einteilung in ein Altes und ein Neues Testament, wobei das Alte ein paar<br />

Moses-Bücher und das Neue ein paar Evangelien enthalten; zudem<br />

erinnert er sich daran, dass es Psalmen gibt und ein gewisser Paulus für<br />

die Christen eine bedeutende Rolle spielt. Mehr weiß er aber nicht, denn<br />

was er einst in <strong>der</strong> Schule bruchstückweise hörte, hat er natürlich schon<br />

vor Jahren wie<strong>der</strong> vergessen, und es versteht sich von selbst, dass er<br />

bis heute noch keine einzige Zeile darin gelesen hat, obwohl er dafür<br />

sicher genügend Zeit gehabt hätte. Das Buch war also nicht einmal ein<br />

solches mit sieben Siegeln - diesen aus <strong>der</strong> Bibel entlehnten Begriff hat<br />

er immerhin schon einmal gehört und seitdem nicht mehr vergessen -,<br />

son<strong>der</strong>n es hat ihn schlicht nie interessiert.<br />

46


So nimmt er es also in die Hand, blättert wahllos darin herum und<br />

überlegt sich dabei, wo er denn nun beginnen soll. Da fällt ihm wie<strong>der</strong><br />

ein, dass ein Mann bei seinem ersten Besuch an <strong>der</strong> Feldeggstraße ihm<br />

fast wie nebenbei gesagt hat, er solle zuerst das Johannes-Evangelium<br />

lesen, weil dieses die Göttlichkeit Jesu am klarsten zeige. Er erinnert<br />

sich aber auch noch daran, dass ein an<strong>der</strong>er meinte, eines <strong>der</strong> drei<br />

an<strong>der</strong>en Evangelien wäre für einen Einstieg etwas geeigneter, weil sie<br />

leichter zu verstehen seien; dabei erwähnte er beson<strong>der</strong>s das Markus-<br />

Evangelium, weil dieses das kürzeste sei.<br />

Wofür soll er sich also entscheiden? Hans Stettler wäre aber nicht mehr<br />

Hans Stettler, wenn er sich nicht sofort an das Schwierigste heranwagen<br />

würde, und so schaut er im Inhaltsverzeichnis nach, wo das Johannes-<br />

Evangelium zu finden ist. Dann schlägt er die erste Seite auf und beginnt<br />

langsam und lautlos zu lesen:<br />

„Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und das Wort war<br />

Gott; dieses war im Anfang bei Gott.“<br />

Was bedeuten nur diese rätselhaften Worte? Gott ist welches Wort und<br />

in welchem Anfang? Doch weiter: „Alles ist durch dasselbe entstanden<br />

und ohne dasselbe ist auch nicht eines entstanden, was entstanden ist.“<br />

Nehmen diese Worte am Ende auf die Schöpfung Bezug? Wenn sie<br />

stimmen, hat also das Wort, eben dieser Gott, alles erschaffen. Weiter:<br />

„In ihm war Leben und das Leben war das Licht <strong>der</strong> Menschen. Und das<br />

Licht leuchtet in <strong>der</strong> Finsternis und die Finsternis hat es nicht begriffen.“<br />

Welches Licht und welche Finsternis sind da gemeint? Er erinnert sich<br />

wie<strong>der</strong> daran, dass <strong>der</strong> indische Prediger gestern Abend auch davon<br />

gesprochen hat. Weiter:<br />

„Es wurde ein Mensch von Gott gesandt, <strong>der</strong> hieß Johannes. Dieser kam<br />

zum Zeugnis, um zu zeugen von dem Licht, damit alle durch ihn<br />

glaubten. Nicht er war das Licht, son<strong>der</strong>n er sollte zeugen von dem<br />

Licht.“<br />

Ach ja, er erinnert sich daran, dass immer wie<strong>der</strong> auch von einem<br />

Johannes die Rede war, wenn man in den Kirchen von diesem Jesus<br />

sprach - ein komischer Vogel von einem Propheten, <strong>der</strong> Leute ins<br />

Wasser tauchte und sagte, dass er sie dadurch taufte.<br />

Weiter: „Das wahrhaftige Licht, welches jeden Menschen erleuchtet,<br />

sollte in die Welt kommen. Es war in <strong>der</strong> Welt und die Welt ist durch ihn<br />

geworden, aber die Welt erkannte ihn nicht. Er kam in sein Eigentum und<br />

die Seinen nahmen ihn nicht auf.“<br />

Das ist ziemlich viel auf einmal. Wenn er den ganzen Text bis hierher<br />

richtig verstanden hat, ist also wohl Jesus dieses Licht, auf das<br />

Johannes hingewiesen hat, und er kam in die Welt, die anscheinend<br />

auch er erschaffen hat, und wurde nicht als das Licht anerkannt. Jetzt<br />

erinnert er sich wie<strong>der</strong> daran, dass immer wie<strong>der</strong> von einer göttlichen<br />

47


Dreieinigkeit die Rede ist - ein Begriff, mit dem die meisten Leute große<br />

Mühe haben, was er aber durchaus verstehen kann; schließlich gehört<br />

auch er zu ihnen. Ist also demzufolge Jesus nicht nur das Licht, son<strong>der</strong>n<br />

auch Gott und damit auch das Wort?<br />

Weiter: „All denen aber, die ihn aufnahmen, gab er Vollmacht, Gottes<br />

Kin<strong>der</strong> zu werden, denen, die an seinen Namen glauben, welche nicht<br />

aus dem Geblüt, noch aus dem Willen des Fleisches, noch aus dem<br />

Willen des Mannes, son<strong>der</strong>n aus Gott geboren sind.“<br />

Das Einzige, was er in diesen Versen versteht, sind die Worte, dass alle,<br />

die an ihn - also offenbar an Jesus - glauben, Gottes Kin<strong>der</strong> werden.<br />

Weiter: „Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter <strong>uns</strong>, und wir<br />

sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des Eingeborenen vom<br />

Vater, voller Gnade und Wahrheit.“<br />

Demnach wurde also das Wort, eben Gott, zu Fleisch, also offensichtlich<br />

zu einem Menschen, und wohnte auf dieser Erde - eben die Jahre, in<br />

denen Jesus gelebt hat.<br />

Weiter: „Johannes zeugte von ihm, rief und sprach: ‚Dieser war es, von<br />

dem ich sagte: Der nach mir kommt, ist vor mir gewesen, denn er war<br />

eher als ich. Und aus seiner Fülle haben wir empfangen Gnade um<br />

Gnade.“<br />

Was soll denn das wie<strong>der</strong> heißen, dass er, also offenbar Jesus, eher als<br />

Johannes war? Nehmen diese Worte etwa wie<strong>der</strong> auf die Schöpfung<br />

Bezug, falls Jesus das Licht sowie Gott und das Wort ist?<br />

Weiter: „Denn das Gesetz wurde durch Moses gegeben, die Gnade und<br />

die Wahrheit ist durch Jesus Christus geworden. Niemand hat Gott je<br />

gesehen; <strong>der</strong> eingeborene Sohn, <strong>der</strong> im Schoß des Vaters ist, hat <strong>uns</strong><br />

Aufschluss über ihn gegeben.“<br />

Auch das ist ziemlich viel auf einmal, doch er versteht insofern so viel,<br />

als offensichtlich Jesus <strong>der</strong> Sohn Gottes ist, wie er das auch schon<br />

früher manchmal gehört hat und auch diese Christen, die er kennen<br />

gelernt hat, das so sagen, und dass dieser praktisch das Verständnis für<br />

den <strong>Weg</strong> zu Gott geöffnet hat und damit eben auch die Wahrheit ist.<br />

Jetzt hält er inne, um eine größere Pause einzulegen und<br />

nachzudenken, schlägt aber die Bibel nicht zu. Potztausend, das sind<br />

wirklich starke Worte!, redet er sich dann ein. Da steht allerhand drin,<br />

allein in diesen achtzehn Versen, die er bis jetzt gelesen hat. Die Frage<br />

ist allerdings, ob all diese starken und schönen Worte auch stimmen, ob<br />

sie vielleicht nicht mehr als Aussagen eines Mannes sind, <strong>der</strong><br />

zugegebenermaßen eine gute A<strong>der</strong> zum Dichten hatte. Jesus soll also<br />

wirklich <strong>der</strong> Sohn Gottes sein? Was bedeutet denn überhaupt „Sohn<br />

Gottes“ an sich? Er überlegt sich ernsthaft, wie all diese Bibelverse, die<br />

er soeben gelesen hat, verstanden werden können. Ist es vielleicht nicht<br />

48


esser, wie<strong>der</strong> bei diesen Christen vorbeizuschauen und sie zu fragen,<br />

was all dies bedeutet? Und was ist, wenn auch unter ihnen niemand das<br />

richtig deuten kann?<br />

Er erinnert sich wie<strong>der</strong> daran, dass Erwin ihm gestern gesagt hat, es<br />

würde auch heute Abend einen Gottesdienst geben; also könnte er doch<br />

hingehen. Bis er aber dort ankommt, hat dieser schon begonnen, und er<br />

gehört nicht zu denen, die gern zu spät kommen. Außerdem fühlt er sich<br />

immer noch etwas müde, schließlich hat er das harte Spiel trotz seines<br />

Schläfchens am Nachmittag immer noch in den Knochen. So hält er es<br />

für besser, bis zum nächsten Samstag zu warten, aber dann will er<br />

bestimmt hingehen. Er hatte schon vorher Fragen - und jetzt, nach<br />

dieser Lektüre, natürlich noch mehr. Auch wenn er sich jedes Mal dazu<br />

überwinden muss, zu diesen Frommen hinzugehen, muss er einfach<br />

wissen, was mit all diesen Worten gemeint ist - das lässt ihm keine Ruhe<br />

mehr.<br />

Es kommt ihm seltsam vor, aber nachdem er diese Bibelverse gelesen<br />

hat, fühlt er sich auf irgendeine Weise erleichtert, ja, er spürt geradezu<br />

ein unerklärliches Glück. Können denn solche Bibelverse wirklich eine<br />

solche Wirkung ausüben, wie Erwin und auch <strong>der</strong> indische Prediger das<br />

so ausgedrückt haben? Er kann das zwar nicht glauben, aber es kann<br />

nicht schaden, es zu versuchen. So nimmt er die Bibel erneut in die<br />

Hand, liest jedoch nicht von dort aus weiter, wo er vorher aufgehört hat,<br />

o<strong>der</strong> irgendein an<strong>der</strong>es Kapitel, son<strong>der</strong>n wie<strong>der</strong>holt die ersten achtzehn<br />

Verse aus dem Johannes-Evangelium, weil diese ihm schon ein erstes<br />

Fundament geben können.<br />

Wirklich interessant, sagt er sich, als er wie<strong>der</strong> durch ist, aber ich kann<br />

damit nichts anfangen; es sagt mir einfach nichts. Dann legt er das Buch<br />

zur Seite, schliesslich hat er für heute nach seiner Meinung schon genug<br />

gelesen. Da er sich jetzt tatsächlich wie<strong>der</strong> besser und entspannter fühlt,<br />

stellt er doch noch das Fernsehgerät an, schaut jedoch erneut nicht<br />

Sport, son<strong>der</strong>n die Tagesschau und anschließend einen Kriminalfilm. Für<br />

einmal will er völlig abschalten, nicht nur vom Fußball, son<strong>der</strong>n auch von<br />

allen frommen Dingen. So lässt er die letzten Stunden dieses Tages<br />

ausklingen, bis er wie<strong>der</strong> müde genug ist, um Schlaf zu finden.<br />

6<br />

Im Gegensatz zum vergangenen Wochenende fühlt sich Hans die ganze<br />

nächste Woche hindurch erstaunlich gut, ohne dass er sich das erklären<br />

49


kann, ja, es, läuft ihm alles <strong>der</strong>art gut, dass er an seinem Arbeitsplatz<br />

und während <strong>der</strong> Trainings zum Erstaunen des Trainers und seiner<br />

Mitspieler richtiggehend aufgestellt ist, wie es schon lange nicht mehr<br />

vorgekommen ist. Zu dieser gehobenen Stimmung trägt auch bei, dass<br />

er sich nicht daran erinnern kann, wann er das letzte Mal so innig auf ein<br />

Wochenende gewartet und sich geradezu darauf gefreut hat. Das tat er<br />

zwar auch früher, eigentlich vor jedem Spiel und ohnehin dann, wenn<br />

auch noch irgendein Fest im Programm aufge<strong>führt</strong> war, doch diesmal ist<br />

es an<strong>der</strong>s, irgendwie noch intensiver.<br />

Ist es wohl die Vorfreude auf das Treffen mit diesen Christen o<strong>der</strong> nicht?,<br />

fragt er sich selbst mehr als einmal. Bin ich tatsächlich schon so weit,<br />

dass ich mich darauf freue, sie wie<strong>der</strong> zu sehen, obwohl ich gar nicht zu<br />

ihnen gehöre, o<strong>der</strong> ist es etwas an<strong>der</strong>es? Wir werden ja sehen, wenn ich<br />

wie<strong>der</strong> dort bin. Tatsächlich hat er fest vor, sich bei ihnen wie<strong>der</strong> blicken<br />

zu lassen, nicht nur wegen seiner Fragen, die laufend auftauchen,<br />

son<strong>der</strong>n auch aus dem einfachen Grund, weil er ja immer noch ohne<br />

feste Freundin ist und nicht gerade den ganzen Samstag völlig allein<br />

verbringen will. Da kann es sicher nicht schaden, auch bei ihnen kurz<br />

vorbeizuschauen; schließlich werden sie ihn wohl kaum zu einer<br />

Bekehrung zwingen - und abgesehen davon könnten sie das sowieso<br />

nicht.<br />

Als er sich am Samstagabend, nur zwei Wochen nach seinem ersten<br />

Treffen mit Erwin auf dem Bellevueplatz, tatsächlich dazu überwindet,<br />

ein drittes Mal an die Feldeggstraße zu gehen und seinen Fuß in die<br />

Räumlichkeiten <strong>der</strong> Frommen zu setzen, muss er gleich bei seinem<br />

Eintreten mit einer kleinen Enttäuschung fertigwerden: Er kann keine<br />

einzige Person erkennen, die ihm bekannt vorkommt. Den einen o<strong>der</strong><br />

an<strong>der</strong>en hat er vielleicht schon gesehen, doch er erinnert sich nicht so<br />

genau. Mit Sicherheit ist aber keiner von denen hier, mit denen er schon<br />

persönlich gesprochen hat, we<strong>der</strong> Erwin Gisler noch Bruno <strong>Weg</strong>mann<br />

noch jene zwei, die ihm sagten, er solle zuerst mit <strong>der</strong> Lektüre des<br />

Johannes- o<strong>der</strong> des Markus-Evangeliums beginnen. Allerdings ist es<br />

auch noch etwas früh - kurz nach sieben Uhr -, so dass anzunehmen ist,<br />

dass noch viele an<strong>der</strong>e kommen werden, darunter vielleicht auch Erwin<br />

und Bruno, ja, er hofft sogar darauf.<br />

Da vorerst niemand ihn zur Kenntnis zu nehmen scheint und kein<br />

Einziger ihn direkt begrüßt, wird er schon wie<strong>der</strong> etwas <strong>uns</strong>icher, und er<br />

fragt sich, ob es nicht besser wäre, möglichst schnell wie<strong>der</strong> zu<br />

verschwinden. Doch da entdeckt er einen Tisch, auf dem allerlei<br />

Lesematerial gestapelt ist, neben ein paar Bibeln auch Flugblätter,<br />

50


darunter jenes mit dem Titel „Revolution - um jeden Preis!“, das er vor<br />

zwei Wochen als Erstes gesehen und das den Kontakt mit diesen Leuten<br />

hier erst ermöglicht hat. So schnappt er sich zwei dieser Blätter, und als<br />

wolle er den an<strong>der</strong>en zeigen, dass er sehr beschäftigt ist und gerade<br />

nicht gestört werden will, setzt er sich an das erstbeste Tischchen und<br />

beginnt zu lesen.<br />

Während er in seine Lektüre vertieft ist, bemerkt er fast nicht, wie <strong>der</strong><br />

Raum sich in erstaunlich kurzer Zeit immer mehr füllt, so dass bald nur<br />

noch wenige Plätze übrigbleiben. Vielleicht ist für heute wie<strong>der</strong> ein<br />

bekannter Prediger angekündigt, sagt sich Hans, als er einmal von<br />

seinen beiden Flugblättern aufblickt, da es aufgrund des Geplau<strong>der</strong>s <strong>der</strong><br />

Leute und des Stühleklapperns unüberhörbar geworden ist, dass immer<br />

mehr kommen. Doch er kann nach wie vor niemanden erblicken, den er<br />

schon kennt, und wegen seiner Lektüre, in die er sich scheinbar vertieft<br />

hat, überwindet sich auch niemand dazu, ihn persönlich zu begrüßen<br />

und ihm gar die Hand zu geben. Er nimmt es ihnen aber nicht übel,<br />

einerseits weil ihm das so recht ist und an<strong>der</strong>erseits auch deshalb, weil<br />

die meisten noch ziemlich jung sind und wohl noch über zu wenig<br />

Fingerspitzengefühl verfügen, um alle gleich so nehmen zu können, wie<br />

sie sind. Zu diesen schwierigen Fällen scheint auch er zu gehören, denn<br />

obwohl er keinen Anzug und keine Krawatte trägt, wie er das auf <strong>der</strong><br />

Bank tut, kann er nicht ohne weiteres aus seiner wohlerzogenen<br />

Bankiershaut schlüpfen. Auch in einfacher Kleidung wirkt er auf viele<br />

immer noch wie ein eleganter Herr, ob er es nun will o<strong>der</strong> nicht.<br />

Wie er sich wie<strong>der</strong> einmal aufs Geratewohl umschaut, trifft ihn fast <strong>der</strong><br />

Schlag: Plötzlich tritt jene geheimnisvolle Frau ein, die ihm am letzten<br />

Samstag so gefallen und an die er die ganze Woche so oft gedacht hat,<br />

und da ausgerechnet an seinem Tisch noch zwei Plätze frei sind, schickt<br />

sie sich tatsächlich an, sich direkt ihm gegenüber hinzusetzen. Sie ist<br />

allerdings nicht allein, son<strong>der</strong>n in Begleitung einer an<strong>der</strong>en Frau, die<br />

etwas jünger als sie zu sein scheint. Bevor sie sich mit dieser hinsetzt,<br />

fragt sie Hans das Übliche, das schon fast zum Anstandsinventar gehört:<br />

„Ist hier noch frei?“<br />

Dabei sagt sie diese Worte mit einer so angenehmen, weichen<br />

Mezzosopran-Stimme, also we<strong>der</strong> zu hoch noch zu tief, dass er wie<strong>der</strong><br />

<strong>der</strong> gleichen Faszination erliegt wie am letzten Samstag. Der<br />

Aussprache nach zu schließen ist sie mit Sicherheit keine Einheimische,<br />

zumal sie auch in <strong>der</strong> Hochsprache gesprochen hat, aber um<br />

herauszuhören, woher sie stammt, müsste er noch einmal die<br />

Gelegenheit bekommen, sie zu hören.<br />

„Sicher ist da noch frei“, antwortet er nur kurz und im Dialekt, wobei er es<br />

schon jetzt wagt, sie direkt anzulächeln.<br />

51


Darauf setzt sie sich zusammen mit <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Frau, aber ohne sein<br />

Lächeln zu erwi<strong>der</strong>n. Offensichtlich hat sie für ihn nicht das geringste<br />

Interesse; es ist ja auch das erste Mal, dass sie ihn sieht, und schließlich<br />

hat sie eine an<strong>der</strong>e Frau mitgebracht, mit <strong>der</strong> sie sich logischerweise<br />

unterhalten wird; sonst hätte sie ja allein kommen können.<br />

Ihm ist das allerdings auch so recht, denn selbst bei einem Interesse<br />

wüsste er nicht, wie er sogleich reagieren sollte. So begnügt er sich<br />

vorerst ein paar Minuten lang damit, die beiden Frauen und natürlich vor<br />

allem sie verstohlen von <strong>der</strong> Seite zu betrachten, wobei er immer noch<br />

so tut, als wäre er in seine Lektüre vertieft. Dass sie diesmal die Haare<br />

offen trägt, also nicht mehr zu einem Pferdeschwanz<br />

zusammengebunden hat wie beim letzten Mal, ist ihm schon vorher<br />

aufgefallen. Dieser Frisurenwechsel überrascht ihn aber nicht<br />

beson<strong>der</strong>s; das hat er auch bei seinen früheren Freundinnen und seiner<br />

ehemaligen Verlobten miterlebt, und er findet es sogar nicht ohne Reiz.<br />

Obwohl <strong>der</strong> Schwanz ihr gut stand, strahlt sie jetzt, mit den offenen<br />

Haaren und dem Lächeln, das während des Gesprächs mit <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en<br />

Frau ab und zu über ihr Gesicht huscht, eine noch tiefere Anmut aus als<br />

am letzten Samstag. Die an<strong>der</strong>e hingegen beachtet er angesichts dieser<br />

Ausstrahlung <strong>der</strong> ersteren kaum; sie ist zwar auf ihre eigene Art auch<br />

hübsch, fasziniert ihn jedoch nicht so stark wie diese.<br />

Als die beiden eine kurze Pause einzulegen scheinen, sagt er sich, dass<br />

es langsam Zeit wird, irgendwie zu einem Gespräch zu kommen, wenn<br />

ein möglicher zukünftiger Kontakt nicht schon von vornherein versanden<br />

soll. Es würde ihm, dem bestandenen, bewährten, weltgewandten und<br />

sprachbegabten Bankier Hans Stettler, ja schlecht anstehen, wenn er<br />

auch dieses Problem nicht entschlossen angehen könnte. Da die zwei<br />

Frauen ihr Gespräch immer noch nicht fortsetzen, benützt er diese<br />

Gelegenheit, um sich einen Ruck zu geben und den beiden, die nur<br />

einen Meter von ihm entfernt sitzen, keck ins Gesicht zu sagen: „Darf ich<br />

mich übrigens vorstellen? Ich heiße Hans - Hans Stettler.“<br />

Dabei streckt er ebenso keck seine rechte Hand zur Begrüßung hin.<br />

Wenn er jetzt geglaubt hat, die beiden und vor allem diese eine, die ihm<br />

so gut gefällt, würden überrascht reagieren, hat er sich getäuscht. Zwar<br />

zögert sie noch etwas, doch dann streckt auch sie ihm die rechte Hand<br />

hin, indem sie erwi<strong>der</strong>t: „Und ich heiße Ulrike.“<br />

Jetzt, da er ihre Stimme zum zweiten Mal gehört hat, kann er deutlich<br />

heraushören, dass sie wohl aus dem norddeutschen Raum stammen<br />

muss. Was bei vielen Leuten in diesem Land bei einer ersten<br />

Konfrontation mit solchen nördlich des Rheins und erst recht des Mains<br />

auch noch heute Berührungsängste bewirkt, trifft bei ihm nicht zu. Im<br />

52


Gegenteil, er fühlt sich durch ihre Aussprache sogar noch mehr zu ihr<br />

hingezogen, und zudem spricht er in seiner Berufstätigkeit so viel Hocho<strong>der</strong><br />

genauer Standarddeutsch, wie es heute in den Fachkreisen mehr<br />

genannt wird, dass ihm das nicht so holperig über die Zunge geht wie bei<br />

den meisten an<strong>der</strong>en in diesem Land. Dabei stört es ihn nicht, dass auch<br />

er mit seinem Akzent nicht ganz verbergen kann, woher er stammt, weil<br />

das fast allen an<strong>der</strong>en auch so ergeht.<br />

Als ihre mittelgrosse Hand, die sich weich anfühlt, in <strong>der</strong> seinen liegt,<br />

durchzuckt es ihn keineswegs, wie er das in verschiedenen Filmen<br />

schon so gesehen hat, wenn ein Mann und eine Frau, die anscheinend<br />

füreinan<strong>der</strong> bestimmt waren, sich zum ersten Mal die Hand gaben und<br />

dabei eine Art elektrisches Zucken spürten, wobei natürlich auch<br />

Montage mit im Spiel war. Wäre er abergläubisch, müsste er jetzt also<br />

annehmen, sie seien doch nicht füreinan<strong>der</strong> bestimmt, aber ihre Hand<br />

fühlt sich trotzdem so angenehm an, dass er fast nicht zur Kenntnis<br />

nimmt, dass ihre Begleiterin sich mit dem Namen Liesbeth vorstellt und<br />

ihm ebenfalls die Hand gibt, die sich natürlich nicht gleich anfühlt, als er<br />

sich dazu überwindet, sie ebenfalls gebührend zu begrüßen.<br />

Mit dieser kurzen Begrüßung muss er es aber für heute bewenden<br />

lassen, denn er spürt, dass sie, eben diese Ulrike, kein weiteres<br />

Gespräch mit ihm wünscht, son<strong>der</strong>n sich nur noch mit dieser Liesbeth<br />

unterhalten will. Das ist für sie umso wichtiger, als sie schon mehrere<br />

Wochen benötigt hat, in denen sie ihre Kollegin immer wie<strong>der</strong><br />

ermunterte, doch einmal mit ihr in die Teestube zu kommen, bis diese<br />

sich endlich dazu überwinden konnte, und das ist eben gerade heute <strong>der</strong><br />

Fall. So will sie diese Chance dazu benützen, um ihr einmal in <strong>der</strong><br />

Freizeit und außerhalb ihres Arbeitsbereiches vom Evangelium zu<br />

erzählen. Dass diese Ulrike offensichtlich auch zu den Frommen gehört<br />

und er das am letzten Samstag also richtig vermutet hat, erkennt Hans<br />

daran, dass sie vor sich eine Bibel hingelegt hat, welche die gleiche zu<br />

sein scheint wie beim letzten Mal; jedenfalls sieht sie für ihn so aus.<br />

Da Ulrike jetzt also in dieser Bibel blättert und gleich darauf das<br />

Gespräch mit <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Frau fortsetzt, als wäre er nur noch Luft für<br />

sie, hat er ein wenig Mühe, seine Enttäuschung zu verbergen, doch er<br />

muss sich sagen, dass es ja ihr gutes Recht ist, sich in erster Linie mit<br />

ihrer Begleiterin abzugeben, die sie hierhergebracht hat, und schließlich<br />

kennt sie ihn überhaupt nicht und weiß von ihm bisher nichts an<strong>der</strong>es als<br />

gerade den ersten Namen und den Familiennamen. Einen Vorteil hat<br />

das Ganze aber dennoch: Er kann in aller Ruhe ihrer angenehmen<br />

Stimme zuhören und bekommt erst noch etwas aus <strong>der</strong> Bibel mit, auch<br />

53


wenn ihm das gerade dadurch, dass er sich auf sie allein konzentriert,<br />

nicht so recht bewusst ist und er vom Sinn ihrer Worte sowieso nur<br />

wenig versteht.<br />

Plötzlich wird er in dieser Muße gestört, denn es spricht ihn jemand mit<br />

einer Stimme an, die ihm sehr bekannt vorkommt: „Hoi Hans!“<br />

Als er leicht erschrocken aufblickt, erkennt er zu seiner Überraschung<br />

Erwin, <strong>der</strong> heute etwas später gekommen ist und den er bei seinem<br />

Eintreten gar nicht gesehen hat, <strong>der</strong>art intensiv kümmerte er sich um<br />

diese Ulrike. Nachdem Erwin auch sie, die er offenbar schon kennt, und<br />

die an<strong>der</strong>e begrüßt hat, erkennt er, dass genau neben Hans immer noch<br />

ein Stuhl frei ist, und so fragt er ihn höflich: „Ich darf mich doch zu dir<br />

setzen?“<br />

„Aber sicher“, antwortet er sofort, „schließlich sind wir schon alte<br />

Bekannte.“<br />

„Es ist schön, dass du heute Abend wie<strong>der</strong> gekommen bist“, beginnt<br />

Erwin sogleich wie<strong>der</strong> ein Gespräch, als er sich gesetzt hat, „übrigens<br />

habe ich dich am letzten Sonntag vermisst.“<br />

„Wirklich?“<br />

«Sicher, das kannst du mir glauben. Ich konnte doch noch kommen. Es<br />

war ein sehr schönes Wochenende, das wir zusammen verbringen<br />

durften - sogar eines <strong>der</strong> schönsten, die ich je hatte.»<br />

„Oh la la! Das freut mich für dich, aber du weißt ja, dass ich am Morgen<br />

ein Spiel hatte, und am Abend war ich einfach viel zu müde, um noch<br />

auszugehen.“<br />

„Das kann ich verstehen, aber es ist trotzdem schade. Du hättest<br />

vielleicht nicht nur mit dem indischen Prediger ein bisschen reden<br />

können, son<strong>der</strong>n hättest auch die Gelegenheit gehabt, die drei Personen<br />

kennen zu lernen, die sich am letzten Samstag nach seiner Predigt<br />

bekehrt haben.“<br />

„So haben sich also alle drei zu eurem Glauben bekehrt? Ich erinnere<br />

mich daran, dass die drei in einen Nebenraum gegangen sind.“<br />

„Ja, alle zusammen - war das eine Freude! Schade, dass du auch das<br />

nicht mitbekommen hast! Ich habe dich nachher noch gesucht, aber du<br />

warst lei<strong>der</strong> schon nicht mehr da.“<br />

„Eine Bekehrung habe ich noch miterlebt, aber <strong>der</strong> Rummel nachher war<br />

mir viel zu groß. Darum bin ich sofort verreist, sonst wäre mir noch die<br />

Decke auf den Kopf gefallen.“<br />

Dann hält Hans kurz inne und fragt dann spontan: „Übrigens, kommt<br />

dieser Prediger schon wie<strong>der</strong>?“<br />

„Meinst du Rabi, den vom letzten Samstag? Nein, heute nicht. Er ist<br />

eben ständig unterwegs, aber hier ist er wenigstens häufiger als an<br />

54


vielen an<strong>der</strong>en Orten, weil diese Gemeinde für ihn eine Art Heimat ist.“<br />

„Gemeinde? Warum dieser politische Ausdruck?“<br />

„Das ist nur die Übersetzung o<strong>der</strong> genauer Übertragung des<br />

griechischen Wortes ‚ekklesia’. Wie du vielleicht auch weißt, ist das<br />

Neue Testament ursprünglich auf Griechisch geschrieben worden. Auch<br />

das Wort ‚Kirche’ wäre richtig, aber die Freikirchen, also die<br />

nichtstaatlichen Kirchen, verwenden mehr ‚Gemeinde’.“<br />

„Da kann man tatsächlich durcheinan<strong>der</strong>kommen. Für mich ist eine<br />

Kirche bisher immer nur eine Kirche gewesen und sonst nichts weiter.“<br />

Darauf hält er wie<strong>der</strong> kurz inne und setzt nochmals durch einen<br />

spontanen Einfall fort: „Übrigens kann ich dir etwas mitteilen, das dich<br />

vielleicht freuen wird.“<br />

„Was denn, Hans?“<br />

„Ich bin am letzten Sonntagabend zwar nicht gekommen, weil ich zu<br />

müde war und mich flach hingelegt habe - aber stell dir vor, was ich dann<br />

tat, als ich wie<strong>der</strong> aufgewacht war! Es war direkt etwas Historisches: Ich<br />

habe zum ersten Mal in meinem Leben in <strong>der</strong> Bibel gelesen.“<br />

„Wirklich? Das ist aber eine erfreuliche Überraschung! So hat sich dein<br />

Besuch vor einer Woche erst recht noch gelohnt. Was hast du denn<br />

gelesen, wenn ich dich das fragen darf? Vielleicht kann ich dir eine<br />

Einstiegshilfe geben, wenn du noch Fragen hast.“<br />

„Es war nur <strong>der</strong> Anfang des Johannes-Evangeliums, aber schon das war<br />

schwer genug, um alles zu verstehen.“<br />

„Da hast du dir aber einen <strong>der</strong> besten Brocken <strong>der</strong> Bibel ausgesucht.<br />

Sicher, alle Teile sind gut, aber dieses erste Kapitel ist ein beson<strong>der</strong>er<br />

Abschnitt, weil er das ganze Evangelium in wenigen Worten verkündet,<br />

und zwar schon von <strong>der</strong> Schöpfung an.“<br />

„Ja, das ist mir auch so vorgekommen.“<br />

„Dann hast du aber schon viel mehr verstanden, als du glaubst, wenn du<br />

das so gesehen hast. Sogar viele Gläubige haben mit diesem<br />

Evangelium ein bisschen Mühe, weil es viel mehr in die Tiefe geht als die<br />

drei an<strong>der</strong>en Evangelien.“<br />

„In welche Tiefe?“<br />

„In die Tiefe des Wortes Gottes und seiner ewigen Weisheiten.“<br />

„Ach ja, ich habe schon fast vergessen, dass ihr ein eigenartiges<br />

Vokabular habt, das Außenstehende fast nicht verstehen können.“<br />

„Wenn du das schon so betonst, kann ich dir auch sagen, wie wir das<br />

bezeichnen.“<br />

„Wie denn?“<br />

„Wir sagen dem ‚kanaanitische Sprache’.“<br />

„Die kana was?“<br />

„Die kanaanitische Sprache, also die Sprache Kanaans.“<br />

55


«Was ist denn damit wie<strong>der</strong> gemeint? Etwa Kanada?»<br />

„Nein, nicht Kanada - Kanaan ist in <strong>der</strong> Bibel das verheißene Land, wo<br />

das Volk Israel nach einer langen Wüstenwan<strong>der</strong>ung sesshaft geworden<br />

ist, wie <strong>der</strong> Herr es versprochen hatte, nachdem es die Sklaverei in<br />

Ägypten hinter sich gelassen hatte. Ich kann wohl annehmen, dass auch<br />

du schon von dieser Geschichte gehört hast - sie ist schließlich in <strong>der</strong><br />

ganzen Welt bekannt.“<br />

„Ja, sicher, man hat ja immer wie<strong>der</strong> darüber viel geschrieben, ob sie<br />

jetzt wahr ist o<strong>der</strong> nicht.“<br />

„Für <strong>uns</strong> hat sich das alles aber wirklich so ereignet, wie es in <strong>der</strong> Bibel<br />

geschrieben steht. Was dabei für die Israeliten das Land Kanaan war,<br />

das ist für <strong>uns</strong> die Person Jesus Christus, den wir nach einer langen<br />

Suche, das heißt nach einer Wüstenwan<strong>der</strong>ung in <strong>uns</strong>erem Leben, als<br />

<strong>uns</strong>eren Erlöser gefunden haben. Die Bibel ist voll von solchen Bil<strong>der</strong>n<br />

und Vergleichen, und dabei kommen natürlich auch viele Wörter und<br />

Ausdrücke vor, die nur ein Mensch, <strong>der</strong> sich zu ihm bekehrt hat, richtig<br />

verstehen kann.“<br />

„Dann bin ich selbst also einer von draußen, ein völliger Ignorant?“, fragt<br />

Hans jetzt etwas verärgert.<br />

„So will ich das nicht bezeichnen, aber es ist halt schon so, dass du<br />

dieses Land Kanaan noch nicht sehen kannst, solange du den Herrn<br />

noch nicht persönlich kennst.“<br />

„Und du selber hast also dieses Land gesehen, genauso wie die meisten<br />

da drinnen?“<br />

„Ja, wir haben es nicht nur gesehen, son<strong>der</strong>n leben sogar mittendrin.<br />

Auch du kannst dabei sein, wenn du nur willst.“<br />

„Ja, ich weiß, es fehlt nur die Bekehrung zu eurem Jesus - zu einem<br />

Phantom, das man nicht sieht. Ich muss schon sagen, so wie du redest,<br />

tönt es ziemlich überheblich, aber in einem muss ich dir sogar Recht<br />

geben: Ich bin wirklich einer von draußen, <strong>der</strong> eure son<strong>der</strong>bare Welt<br />

nicht kennt.“<br />

Vor lauter Erregung hat er nicht bemerkt, dass er gegen das Ende des<br />

Gesprächs mit Erwin immer lauter geworden und auch sein Ton immer<br />

aggressiver geworden ist, ohne dass er es eigentlich wollte. Dadurch<br />

sind nicht nur an<strong>der</strong>e Leute im Raum auf ihn aufmerksam geworden,<br />

son<strong>der</strong>n vor allem auch Ulrike, die ihr eigenes Gespräch mit <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en<br />

Frau kurz zuvor auch wegen seiner Lautstärke beendet und ihm und<br />

Erwin ein wenig zugehört hat. Erst jetzt ist sie richtig auf ihn aufmerksam<br />

geworden, wie er das im Grund von Anfang an so wollte, aber zu einem<br />

günstigeren Zeitpunkt.<br />

Da gerade in diesen Minuten Stille eingekehrt ist und ein junger Mann<br />

56


auf das kleine Podium tritt, um das Vorprogramm vorzutragen, wie <strong>der</strong><br />

Teil vor <strong>der</strong> eigentlichen Predigt bezeichnet wird, hat sie jetzt genügend<br />

Zeit, um ihn etwas zu beobachten. Dabei tut sie das auf die gleiche<br />

Weise, wie er es vorher getan hat, aber mit dem Unterschied, dass er<br />

das sehr wohl spürt. Er lässt es sich jedoch nicht anmerken, son<strong>der</strong>n tut<br />

so, als hätte er am Vortrag des jungen Mannes vorn echtes Interesse,<br />

und schaut unbewegt nach vorn.<br />

Auch sie betrachtet zuerst das Gesicht und dann die Gesichtszüge, die<br />

bei allen gewissermaßen den Spiegel desselben bilden, und findet ihn<br />

auf den ersten Blick eigentlich sympathisch. Er ist zwar kein<br />

muskelbepackter Adonis und verfügt auch nicht über jene James-Bond-<br />

Ausstrahlung, die Millionen von Frauen und Mädchen immer noch die<br />

Herzen höherschlagen und aus dem Häuschen geraten lässt, darunter<br />

auch solche, die sich ansonsten sehr mo<strong>der</strong>n und selbstbewusst geben.<br />

Trotzdem hat er ein angenehmes Äußeres und es ist ihm anzumerken,<br />

dass er anscheinend von einem sogenannten guten Haus stammt. Nicht<br />

nur sein Gesicht und seine Nase, son<strong>der</strong>n auch seine Ohren und vor<br />

allem Hände zeigen, dass er sich gut zu pflegen weiß und<br />

wahrscheinlich einer Arbeit nachgeht, die direkt mit <strong>der</strong> Öffentlichkeit<br />

verbunden ist. Auch sein Lächeln, das er ab und zu zeigt, gefällt ihr sehr<br />

und bestärkt sie in ihrem ersten Eindruck, den sie von ihm bekommen<br />

hat.<br />

In einem unterscheidet sie sich aber deutlich von ihm: Im Gegensatz zu<br />

ihm kommt ihr nicht einmal entfernt <strong>der</strong> Gedanke, dass er vielleicht ein<br />

Mann für sie sein könnte, auch wenn sie rein äußerlich auf den ersten<br />

Blick gut zusammenpassen. In ihren Augen wiegt es viel zu schwer,<br />

dass er offensichtlich nicht an Jesus Christus glaubt, was sie selbst<br />

schon seit bald zwanzig Jahren tut, dass er also ein Ungläubiger ist. Ja,<br />

diese leicht bös wirkende Bezeichnung ist nicht nur unter den Moslems<br />

für all jene üblich, die nicht an ihre Religion glauben, son<strong>der</strong>n auch unter<br />

den evangelikalen Christen. Obwohl auch sie diesen Ausdruck etwas zu<br />

hart findet, ertappt sie sich selbst immer wie<strong>der</strong> dabei, dass sie ihn<br />

genauso verwendet wie praktisch alle an<strong>der</strong>en, die als Gläubige<br />

bezeichnet werden. Wenn man immer wie<strong>der</strong> mit Gleichgesinnten<br />

zusammen ist, ergibt sich nun einmal mit <strong>der</strong> Zeit, dass alle einan<strong>der</strong><br />

gegenseitig beeinflussen, auch wenn die einen o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en das nicht<br />

einmal merken.<br />

Dass dieser Mann, <strong>der</strong> sich ihr als Hans Stettler vorgestellt hat, nicht zu<br />

ihnen gehört, ist offensichtlich; sonst hätte er nicht auf diese Weise mit<br />

Erwin, den sie als sehr besonnen kennt, gesprochen und sich dabei<br />

57


erregt. Wenn er nun also nicht gläubig ist, heißt das nicht, dass es auch<br />

so bleiben muss. Ja, das wäre etwas, wenn auch er sich bekehren<br />

würde! Dann könnte auch sie sich über ihn mehr Gedanken in dieser<br />

Richtung machen. Ach, was rede ich mir da nur ein!, sagt sie schließlich<br />

im Stillen zu sich selber, als sie sich bei diesen Überlegungen ertappt.<br />

Das Einzige, das ich tun kann, ist für diesen Mann beten, damit auch er<br />

bald zum Herrn findet.<br />

Als ob Hans ahnte, was sie gerade denkt, wagt er es noch während des<br />

Vorprogramms, zu ihr einmal kurz hinüberzuschauen, und während ihre<br />

Blicke sich treffen, glaubt er auf ihrem Gesicht ein schwaches Lächeln zu<br />

erkennen. Er kann sich allerdings auch täuschen, doch das ist für ihn<br />

immerhin ein Anfang, weil sie seinem Blick nicht ausweicht. Das ist also<br />

diese Frau, an die ich die ganze Woche gedacht habe, redet er sich ein;<br />

das ist sie also, nun sitzt sie so nahe bei mir, und ich habe mich<br />

tatsächlich nicht in sie getäuscht. Vielleicht gefalle ich ihr ja nicht, aber<br />

wenigstens gefällt sie mir, und das ist auch etwas. Wenn ich nur ein<br />

bisschen mehr über diese Ulrike erfahren könnte! Doch jetzt kann ich<br />

nicht mehr mit ihr sprechen - und nach <strong>der</strong> Predigt geht sie vielleicht<br />

wie<strong>der</strong> so schnell weg wie beim letzten Mal.<br />

Dann versucht er, nicht mehr an sie zu denken und sich auf das<br />

Dargebotene zu konzentrieren, aber so sehr er sich auch bemüht, es<br />

gelingt ihm nicht. We<strong>der</strong> das Vorprogramm, das aus zwei Zeugnissen<br />

o<strong>der</strong> genauer Berichten von persönlichen Bekehrungen und einem Lied<br />

besteht, das von zwei Mädchen zweistimmig und für einmal ohne<br />

Gitarrenbegleitung vorgetragen wird, noch die Hauptpredigt, die diesmal<br />

jemand hält, den er noch nie gesehen hat, dringen so richtig in ihn ein.<br />

Selbst in jenen Momenten, in denen er nicht an Ulrike denkt, spürt er vor<br />

seinem Kopf immer noch ein Brett, das er auch dann nicht wegnehmen<br />

könnte, wenn er es von ganzem Herzen wollte. Das Ganze ist ihm nach<br />

wie vor zu fremd und auch zu unglaubwürdig. Gott wird zu einem<br />

Menschen beziehungsweise zu Gottes Sohn und stirbt am Kreuz für alle<br />

Sünden <strong>der</strong> Welt, und dazu kommt noch diese Geschichte von <strong>der</strong><br />

Auferstehung - welcher auch nur halbwegs vernünftige Mensch kann in<br />

<strong>der</strong> heutigen mo<strong>der</strong>nen Zeit an so etwas glauben? Bei allen Sympathien,<br />

die er für diese Leute da unten empfindet, die diese Botschaft offenbar<br />

mit vollem Ernst nehmen, er selbst kann nun einmal nichts damit<br />

anfangen. Sein Verstand, den er immer noch für gesund hält, sträubt<br />

sich dagegen, und auch wenn er an Erwin denkt, <strong>der</strong> ihm am letzten<br />

Samstagabend gesagt hat, dass das Wort vom Kreuz <strong>der</strong> Welt eine<br />

Torheit sei, kann er nicht umdenken … und er will das auch nicht.<br />

58


Als <strong>der</strong> Prediger seinen Vortrag nach einer unendlich lang<br />

erscheinenden Zeit endlich beendet hat, fühlt sich Hans gewaltig<br />

erleichtert, <strong>der</strong>art schwer ist es ihm gefallen, sich auf diese Rede zu<br />

konzentrieren. Bevor die zu erwartenden Gespräche beginnen, schaut er<br />

noch einmal kurz zu Ulrike hinüber, doch sie tut so, als nähme sie das<br />

nicht wahr - da hilft selbst ein mühsam herausgequältes Lächeln nicht<br />

weiter. Sie ist wirklich ein harter Brocken, sagt er sich, doch an<strong>der</strong>erseits<br />

gefällt ihm das auch. Schließlich findet er es gut, wenn eine solche Frau<br />

wie sie nicht gleich jedem Erstbesten Hoffnungen macht, den sie nicht<br />

einmal näher kennt.<br />

Noch bevor er wie<strong>der</strong> ein paar Worte mit ihr wechseln kann, wendet sie<br />

sich jedoch ihrer Kollegin zu, und selbst wenn sie das nicht täte, könnte<br />

er nicht mit ihr sprechen, denn jetzt kümmert sich wie<strong>der</strong> Erwin um ihn.<br />

Er merkt jedoch schnell, dass Hans aus irgendeinem Grund für ein<br />

Gespräch, das in die Tiefe geht, nicht mehr empfänglich ist, bis ihm<br />

plötzlich eine glänzende Idee kommt: „Weißt du was, Hans? Ich glaube<br />

zwar, dass du im Grund genommen wirklich ein suchen<strong>der</strong> Mensch bist,<br />

dass du insgeheim sogar Interesse für das hast, was wir hier verkünden,<br />

auch wenn du das jetzt vielleicht nicht zugibst. Wenn das nicht <strong>der</strong> Fall<br />

wäre, würdest du ja nicht hierherkommen.“<br />

Wenn er wüsste, aus welchem Grund ich auch noch gekommen bin!,<br />

sagt er sich bei diesen Worten. Dabei schaut er wie<strong>der</strong> kurz zu Ulrike<br />

hinüber - dass gerade sie auch ein Grund war, weiß er jetzt genau. Da<br />

sie aber <strong>der</strong>art tief ins Gespräch mit Liesbeth vertieft ist, nimmt sie<br />

diesmal nicht wahr, dass er wie<strong>der</strong> zu ihr herüberschaut.<br />

Weiter fährt Erwin fort: „Ich glaube, du brauchst nicht nur jemanden wie<br />

mich o<strong>der</strong> einen an<strong>der</strong>en, <strong>der</strong> dir vom Evangelium erzählt, son<strong>der</strong>n auch<br />

noch Gläubige, die naturwissenschaftlich gebildet sind und dir auf<br />

diesem Niveau die Bibel und damit auch die Schöpfungsgeschichte<br />

näherbringen können. Jedenfalls machst du auf mich einen gebildeten<br />

Eindruck, ich selber bin halt nur ein einfacher kaufmännischer<br />

Angestellter und kann dir darum nicht alles so gut erklären wie diese<br />

Leute. Zum Glück kenne ich aber einer von ihnen persönlich, und dieser<br />

kommt zufälligerweise gerade morgen hierher und hält einen großen<br />

Vortrag mit vielen Lichtbil<strong>der</strong>n; <strong>der</strong> kann dir bestimmt in einigen Punkten<br />

weiterhelfen.“<br />

„Aber ich habe doch morgen ein Spiel und erst noch ein wichtiges! Wir<br />

können immer noch die Aufstiegsrunde schaffen, da darf ich nicht<br />

fehlen.“<br />

„Ich weiß ja, dass du am Morgen nicht kommen kannst, aber das macht<br />

nichts, denn <strong>der</strong> Mann kommt erst am Abend.“<br />

59


„Soviel ich weiß, hast du mir aber gesagt, dass ihr nur an jedem zweiten<br />

Sonntagabend einen Gottesdienst habt. O<strong>der</strong> macht ihr morgen eine<br />

Ausnahme?“<br />

„Nein, wir haben wirklich keinen Abendgottesdienst, aber <strong>der</strong> Vortrag ist<br />

ja nicht hier bei <strong>uns</strong>, son<strong>der</strong>n im Kaufleutesaal, weil es dort natürlich viel<br />

mehr Platz hat. Es ist also für alle offen und erst noch gratis.“<br />

„Was soll ich denn dort tun?“<br />

„Einfach nur dem zuhören, was <strong>der</strong> Mann sagt. Er ist ein<br />

Naturwissenschaftler aus Holland, <strong>der</strong> durch seine Studien zum<br />

lebendigen Glauben an Gott und an Jesus Christus gekommen ist und<br />

genauso wie Rabi Mavendran überall herumreist und Vorträge hält, aber<br />

im Gegensatz zu Rabi redet er in erster Linie über die Schöpfung und die<br />

Sintflut und alle an<strong>der</strong>en wichtigen Ereignisse <strong>der</strong> Frühzeit. Das wäre für<br />

dich sicher interessant.“<br />

„Da habt ihr euch also auch noch einen Hochkarätigen geangelt. Wäre<br />

es aber auch noch möglich, mit ihm selber zu reden, wie ich das jetzt mit<br />

dir kann? So etwas wäre für mich viel interessanter und würde mir auch<br />

mehr bringen.“<br />

„Ich kann versuchen, das zu arrangieren. Zum Glück kennen wir <strong>uns</strong><br />

persönlich, und ich habe erfahren, dass er mindestens eine Woche und<br />

vielleicht sogar zwei hierbleiben wird, bevor er wie<strong>der</strong> weiterzieht. In<br />

dieser Beziehung geht es ihm genau gleich wie Rabi: Zürich ist für ihn<br />

eine Art Heimatplatz, darum kommt auch er immer wie<strong>der</strong> hierher.“<br />

„Das wäre wirklich nicht schlecht, da wäre ich voll dabei.“<br />

„Damit habe ich gerechnet, ich meine mit deinem Interesse.“<br />

Kaum hat Erwin diese Worte ausgesprochen, wird Hans erneut<br />

unangenehm überrascht: Auf einmal erhebt sich Ulrike genauso wie am<br />

letzten Samstagabend und mit ihr auch noch Liesbeth; es ist<br />

offensichtlich, dass die beiden aufbrechen wollen. Noch bevor er richtig<br />

darauf reagieren kann, sagt sie bereits, indem sie jedoch nicht auf ihn<br />

schaut, son<strong>der</strong>n auf Erwin: „Ich muss jetzt lei<strong>der</strong> gehen, es ist schon spät<br />

geworden.“<br />

„Du gehst schon jetzt, Ulrike?“, fragt Erwin ebenfalls überrascht und<br />

erhebt sich dann genauso wie sie zuvor, und da schon er sich erhebt, tut<br />

es Hans ihm nach.<br />

„Ja, Erwin“, antwortet sie kurz und streckt erst ihm und dann auch Hans<br />

die Hand hin.<br />

„Sehen wir <strong>uns</strong> bald wie<strong>der</strong>, vielleicht morgen?“, fragt er sie leise und auf<br />

Hochdeutsch, während er ihr die Hand drückt und noch einmal das<br />

gleiche angenehme Gefühl genießt wie beim ersten Mal, als sie sich<br />

kennen gelernt haben.<br />

60


Ja, diese Ulrike hat es ihm wirklich angetan, und jetzt erst recht, da er ihr<br />

zum ersten Mal leibhaftig gegenübersteht. In <strong>der</strong> kurzen Zeit, die ihm<br />

noch verbleibt, bevor sie geht, genießt er es, sie ausführlich im<br />

Gesamten zu betrachten. Der erste Eindruck von jenem Abend, als er<br />

sie zum ersten Mal sah, hat ihn nicht getäuscht. Sie ist tatsächlich eine<br />

stattliche Erscheinung, fast so groß wie er und eine Mischung zwischen<br />

einer gut gebauten, durchtrainierten Athletin und einem eleganten Model.<br />

Dazu kommen noch ihre Gesichtszüge mit einer ebenso feinen, wenn<br />

auch etwas groß geratenen Nase sowie gut gepflegte mittelgrosse und<br />

lange Hände, die ihm schon am Tisch aufgefallen sind, als sie ihm direkt<br />

gegenüber saß - immerhin fast so lang wie die seinen, aber etwas<br />

schmaler, eben typische Frauenhände. Alles in allem ist sie also eine<br />

Frau, die auf den ersten Blick tatsächlich gut zu ihm zu passen scheint,<br />

und so fühlt er sich natürlich noch mehr zu ihr hingezogen - dies umso<br />

mehr, als ihre dunkelbraunen Augen, welche die gleiche Farbe wie die<br />

seinen haben, in all diesen Sekunden buchstäblich auf ihm ruhen, dass<br />

sie also seinem direkten Blick erneut nicht ausweicht.<br />

„Nein, morgen kann ich nicht kommen“, antwortet sie zu seiner<br />

Enttäuschung und erst noch mit einem hart wirkenden Ton - und schon<br />

ist er wie<strong>der</strong> auf den Boden <strong>der</strong> Wirklichkeit zurückgeholt worden.<br />

„Musst du denn arbeiten?“, fragt er sofort.<br />

„Ja, ich bin eine Krankenpflegerin, nur einmal im Monat habe ich einen<br />

freien Sonntag. Ich kann schon froh sein, wenn ich wenigstens ab und zu<br />

einen freien Samstag bekomme wie gerade heute.“<br />

„Das ist aber recht hart.“<br />

„So ist eben dieser Beruf, ich habe mich schließlich für diesen<br />

entschieden.“<br />

„Schade, aber ich verstehe das. Dann sehen wir <strong>uns</strong> vielleicht wie<strong>der</strong> ein<br />

an<strong>der</strong>es Mal.“<br />

Will er am Ende etwas von mir, dass er so darauf Wert legt?, fragt sie<br />

sich darauf, aber sie beachtet das vorerst nicht weiter.<br />

Nachdem sie und Liesbeth sich von Erwin und Hans und noch von ein<br />

paar an<strong>der</strong>en verabschiedet haben und nach draußen gegangen sind,<br />

bleiben auch die beiden Männer nicht mehr lange. Selbst wenn es noch<br />

nicht so spät wäre, würden sie finden, dass es für heute besser ist, ihr<br />

Gespräch etwas früher zu beenden. Schließlich braucht auch Hans eine<br />

gewisse Zeit, um alle neuen Eindrücke zu verarbeiten. Erwin tröstet sich<br />

jedoch damit, dass er zugesagt hat, er würde schauen, dass er zu<br />

diesem Vortrag kommen könne, und so wie er ihn bereits kennt, rechnet<br />

er fest damit.<br />

Auch wenn Hans heute etwas gereizt gewesen ist, fühlt Erwin in sich<br />

61


dennoch eine Freude aufkommen, weil ja er ihn als Erster auf <strong>der</strong><br />

Strasse getroffen hat und dieser jetzt schon zum dritten Mal in die<br />

Teestube gekommen ist. So bittet er zu Hause Gott darum, dass er seine<br />

Hände weiter über ihn halten möge, damit ihm nichts geschieht und er<br />

tatsächlich zu diesem Vortrag gehen kann.<br />

7<br />

Natürlich fühlt sich Hans an diesem Sonntag nach allem, was er gestern<br />

erlebt hat, bedeutend besser als zuvor. Was ihn am meisten freut, ist<br />

nicht etwa die Aussicht auf einen interessanten Vortrag dieses<br />

Naturwissenschaftlers am Abend, son<strong>der</strong>n die Tatsache, dass es ihm<br />

gelungen ist, diese Ulrike ein wenig kennen zu lernen, an die er die<br />

ganze vorherige Woche so intensiv gedacht hat. Es kommt ihm fast so<br />

vor, als wäre es mehr als nur ein Zufall gewesen, dass sie sich<br />

ausgerechnet an den Tisch gesetzt hat, an dem er selbst schon saß.<br />

Wenn es wirklich stimmt, was Erwin gesagt hat - dass es keine Zufälle<br />

gibt, son<strong>der</strong>n dass alles, was zum Guten dient, durch Gottes Führung<br />

geschieht -, dann hatte dieser geheimnisvolle und unbekannte Gott, den<br />

er nicht kennt, anscheinend auch für ihn etwas übrig; sonst hätte er wohl<br />

kaum die Gelegenheit bekommen, diese Frau ein wenig kennen zu<br />

lernen.<br />

Auch wenn er damit rechnen muss, dass er Ulrike, zu <strong>der</strong> er sich aus<br />

Gründen, die ihm immer noch nicht klar sind, so stark hingezogen fühlt,<br />

heute nicht sehen kann, ist er noch fröhlich genug, um in gehobener<br />

Stimmung mit seinen Mannschaftskollegen aufzulaufen, als es am<br />

Morgen ans nächste Spiel geht. Schon beim Umziehen ist ihnen und erst<br />

recht dem Trainer aufgefallen, dass er heute aufgestellt ist, und auch<br />

während des Spiels, das sie so wie alle zwei Wochen zu Hause<br />

austragen können, geht er wie<strong>der</strong> mit <strong>der</strong> gleichen zuverlässigen<br />

Konzentration wie in alten Zeiten zur Sache. Dass seine Mannschaft das<br />

Spiel schließlich wie<strong>der</strong> so knapp, aber genauso verdient gewinnt wie<br />

vor zwei Wochen und damit drei weitere wichtige Punkte einfährt, geht<br />

zu einem guten Teil auch auf sein Konto, vor allem auch deshalb, weil er<br />

einmal in einer gefährlichen Lage als Letzter den Ball noch vor <strong>der</strong><br />

Torlinie wegschlagen kann, als <strong>der</strong> Tormann schon geschlagen ist. Der<br />

einzige Gegentreffer, den die Verteidigung hinnehmen muss, geschieht<br />

wie vor einer Woche erneut auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite, die er nicht abdecken<br />

muss. Auf seiner eigenen lässt er keinen einzigen Stürmer vorbeiziehen<br />

und trotzdem schafft er es, die ganze Zeit zwar hart, aber fair zu spielen.<br />

62


Dass nach diesem Sieg die Stimmung in <strong>der</strong> Mannschaft gehoben ist,<br />

versteht sich natürlich von selbst, und so gehen die meisten von ihnen<br />

o<strong>der</strong> genauer jene, auf die keine Ehefrau o<strong>der</strong> gar noch Kin<strong>der</strong> zu Hause<br />

warten, nicht nur auf ein Bier, son<strong>der</strong>n gar zusammen essen, darunter<br />

auch Hans Stettler; allerdings bezahlt immer noch je<strong>der</strong> für sich selbst.<br />

Nach etwa zwei Stunden trennen sich ihre <strong>Weg</strong>e wie<strong>der</strong> und man nimmt<br />

sich fest vor, weiter ernsthaft zu trainieren, denn trotz <strong>der</strong> sieben Punkte,<br />

die sie in den letzten drei Spielen gewonnen haben, steht es immer noch<br />

nicht fest, dass sie die Aufstiegsrunde geschafft haben. Die Konkurrenz<br />

schläft eben nicht, und so haben auch die drei an<strong>der</strong>en Vereine, die das<br />

gleiche Ziel erreichen wollen und dafür auch die gleichen Chancen<br />

besitzen, an den vergangenen drei Sonntagen fast so viele Punkte<br />

erspielt.<br />

Nachdem die Kollegen und <strong>der</strong> Trainer auseinan<strong>der</strong>gegangen sind und<br />

Hans wie<strong>der</strong> in seine Wohnung zurückgekehrt ist, fühlt er eine solche<br />

Vorfreude auf den Abend, die ihm unerklärlich ist, da er ja weiß o<strong>der</strong><br />

wegen ihrer gestrigen Aussage, dass sie heute arbeitet, zumindest damit<br />

rechnen muss, dass er Ulrike diesmal nicht sehen kann, und selbst wenn<br />

sie doch käme, könnte es immer noch geschehen, dass sie nicht mit ihm<br />

spricht. Das müsste er wohl in Kauf nehmen, weil zu vermuten wäre,<br />

dass sie dann wie<strong>der</strong> eine Person mitbringt, mit <strong>der</strong> sie sich über den<br />

Glauben an Jesus unterhalten will, und schließlich gehört er selbst ja<br />

nicht zu den Frommen, also wäre <strong>der</strong> Fall klar.<br />

Trotzdem zieht es ihn zu diesem Kaufleutesaal hin, wo <strong>der</strong><br />

Naturwissenschaftler seinen Auftritt haben wird, und da Neugierde<br />

diesmal nicht schaden kann, macht er sich tatsächlich auf, um kurz vor<br />

sieben Uhr dort zu sein. Er muss ja auch um diese Zeit dort ankommen,<br />

denn erstens beginnt <strong>der</strong> Vortrag schon um Viertel nach sieben und<br />

zweitens hat er mit Erwin abgemacht, dass sie sich etwa eine halbe<br />

Stunde vorher beim Haupteingang treffen. Allerdings war es keine<br />

verbindliche Abmachung, weil er für sich immer noch eine Hintertür offen<br />

halten wollte. Jetzt aber, da er sich tatsächlich dazu überwunden hat,<br />

hierher zu kommen, ist er froh, dass er Erwin bald sieht, sonst würde er<br />

möglicherweise doch noch umkehren, <strong>der</strong>art viele Leute strömen hinein<br />

und ver<strong>uns</strong>ichern ihn ein wenig.<br />

Der Saal ist schon fast gerammelt voll, als die beiden eintreten; kein<br />

einziger Stuhl bleibt unbesetzt, ja, nicht wenige müssen sogar mit einem<br />

Stehplatz ganz hinten und teilweise auch auf <strong>der</strong> Seite Vorlieb nehmen.<br />

Da ist Hans direkt erleichtert, dass Erwin bei ihm ist; bei so vielen<br />

Leuten, von denen er außer jenen, die er in <strong>der</strong> Teestube an <strong>der</strong><br />

63


Feldeggstraße gesehen hat, niemanden kennt, ist es immer gut, eine<br />

Bezugsperson bei sich zu haben - erst recht auch deshalb, weil sie dank<br />

Erwins Pfiffigkeit beide noch rechtzeitig einen Sitzplatz ergattern können.<br />

Offensichtlich genießt dieser Naturwissenschaftler, <strong>der</strong> von einer Art<br />

Vorredner als Doktor Jan Hoveneel vorgestellt wird und aufgrund seiner<br />

Erscheinung noch größer als Hans ist, einen sehr guten Ruf, sonst<br />

wären sicher nicht so viele gekommen. Am Verhalten <strong>der</strong> Leute<br />

untereinan<strong>der</strong> und an <strong>der</strong> erstaunlich frohgemuten Stimmung, die sich<br />

durch zwei Chorlie<strong>der</strong>, die vor und nach dem kurzen Auftritt des<br />

Vorredners vorgetragen werden, noch zusätzlich steigert, glaubt Hans zu<br />

erkennen, dass die meisten von ihnen wohl Christen sind; irgendwie ist<br />

das einfach zu spüren. Da bin ich ja direkt in einem Meer von Frommen<br />

gelandet, sagt er zu sich selbst, doch diesmal hat er sich vorgenommen,<br />

eisern auszuharren und bis zum Ende des Vortrags auf dem Stuhl<br />

buchstäblich kleben zu bleiben, was auch immer er zu hören bekommen<br />

wird.<br />

Warum dieser Hoveneel als <strong>der</strong>art kompetent gilt und deshalb das Volk<br />

in Strömen herbeikommt, wenn er seine Vorträge hält, wird Hans<br />

sogleich klar, als dieser die Bühne betritt - zwar ohne Applaus, aber doch<br />

mit einer solchen Spannung, die innert kürzester Zeit den ganzen Saal<br />

erfüllt. Kaum ist <strong>der</strong> Naturwissenschaftler drinnen, verliert er nicht viel<br />

Zeit und lässt nach einer kurzen Begrüßung den Saal verdunkeln, um<br />

seinen Vortrag mit Lichtbil<strong>der</strong>n zu beginnen, wobei er zu jedem<br />

einzelnen Bild einen ausführlichen Kommentar gibt. Was die Leute zu<br />

hören bekommen, ist zum Teil hochinteressant, denn er erzählt vom<br />

Weltraum und den Sternen, von den Planeten und ihren Monden sowie<br />

natürlich auch von <strong>der</strong> Erde und ihrem Mond. Dann kommt er zu den<br />

verschiedenen Zeitepochen, die sich unter an<strong>der</strong>em auch an den<br />

Gesteinsschichten zeigen, von <strong>der</strong> Tierwelt und schließlich auch von <strong>der</strong><br />

Sintflut, die in <strong>der</strong> Welt bei den meisten immer noch als ein Märchen gilt,<br />

auf eine Art, wie sie nicht nur Hans, son<strong>der</strong>n auch viele an<strong>der</strong>e sicher<br />

noch nie zu hören bekommen haben.<br />

Als eigentlichen Höhepunkt schafft er es, die bibilische Geschichte<br />

überdie Schöpfung <strong>der</strong> Evolutionstheorie so gegenüberzustellen, dass<br />

die letztere, die in allen Schulen und Universitäten schon seit vielen<br />

Jahrzehnten ohne jede Kritik und ohne jedes Hinterfragen gelehrt und<br />

dementsprechend von allzu vielen Leuten fast wie selbstverständlich<br />

geglaubt wird, tatsächlich als unglaubwürdig scheinen muss - nicht nur<br />

für die gläubigen Christen, die ohnehin an eine göttliche Schöpfung<br />

glauben, son<strong>der</strong>n auch für die sogenannten Ungläubigen, von denen es<br />

64


im Saal auch welche hat, ohne dass Hans das mit Sicherheit weiß.<br />

Dass Hoveneel außerdem sehr gut Deutsch kann, zeigt sich auch darin,<br />

dass er kein einziges <strong>der</strong> mehr als 200 „schweren“ Wörter verwendet,<br />

mit denen in <strong>der</strong> Sprachwissenschaft solche Wörter bezeichnet werden,<br />

die im Nie<strong>der</strong>ländischen ähnlich o<strong>der</strong> sogar genau gleich klingen wie im<br />

Deutschen, aber etwas völlig an<strong>der</strong>es bedeuten, vor allem die beiden<br />

geradezu klassischen Wörter „Meer“ und „See“, die entgegengesetzt<br />

genau das jeweilige Gegenteil bedeuten. Was vielen Nie<strong>der</strong>län<strong>der</strong>n und<br />

nie<strong>der</strong>ländischsprachigen Belgiern - aber auch den Deutschsprachigen,<br />

die sich die Mühe genommen haben, diese nahe verwandte<br />

Schwestersprache zu erlernen - im schnellen Gespräch immer wie<strong>der</strong><br />

passiert und geradezu ein Gradmesser dafür ist, wie gut die an<strong>der</strong>e<br />

Sprache beherrscht wird, kommt bei ihm überhaupt nicht vor. Nur ein<br />

einziges Mal stolpert ihm „Natürliche Geschichte“ anstelle von<br />

„Naturgeschichte“ über die Lippen, was das Auditorium angesichts<br />

seines interessanten Vortrags aber kaum wahrnimmt. Natürlich kommt<br />

es ihm zugute, dass er schon seit vielen Jahren mit einer Deutschen<br />

verheiratet ist und sich damit im Lauf <strong>der</strong> Zeit fast automatisch in ihre<br />

Muttersprache eingelebt hat, aber das weiß von den Leuten, die ihm<br />

gespannt zuhören, fast niemand und braucht es auch nicht zu wissen.<br />

Am Schluss seines Vortrags tut er fast wie aus heiterem Himmel etwas,<br />

mit dem wohl nicht einmal alle Gläubigen gerechnet haben: Plötzlich<br />

erzählt auch er von <strong>der</strong> Sünde, welche die Welt seit Adams und Evas<br />

Fall beherrscht, und zwar auf eine Weise, die vielen nach seinem recht<br />

netten Vortrag hart vorkommen muss. Immerhin erwähnt auch er, dass<br />

alle in Jesus Christus die Vergebung erlangen und ins Reich Gottes<br />

zurückkehren können, das durch den Sündenfall verloren gegangen ist.<br />

Als er seinen Vortrag mit dem anschließenden Aufruf zur Buße kurz<br />

nach neun Uhr beendet hat, gibt es erneut keinen Applaus, doch es ist<br />

den Äußerungen vieler Leute anzumerken, dass sie das, was er<br />

vorgebracht hat, ausgezeichnet finden. Allerdings sind auch ein paar<br />

wenige darunter, die ihren Ärger über den Schlussteil nicht verhehlen<br />

und den Saal schnell verlassen. Offensichtlich sind das keine gläubigen<br />

Christen, aber sie sind so wenige, dass sie inmitten <strong>der</strong> Masse kaum<br />

auffallen - nicht einmal Hans, <strong>der</strong> sonst ein gutes Auge für solche<br />

Außenseiter hat.<br />

Erwin ist als einer <strong>der</strong> ersten aufgestanden, aber natürlich nicht deshalb,<br />

weil auch er den Saal schnell verlassen will. Da er Hans ja versprochen<br />

hat, er würde versuchen, mit diesem Naturwissenschaftler ein Treffen zu<br />

65


arrangieren, muss er bald vorn beim Podium sein. Bei einem so<br />

hochkarätigen und bekannten Mann ist es klar, dass möglichst viele<br />

Leute noch ein paar Worte mit ihm wechseln wollen, bevor er sich<br />

zurückzieht. Dabei ist natürlich jemand, <strong>der</strong> schon die Möglichkeit hatte,<br />

ihn bei einer an<strong>der</strong>en Gelegenheit etwas näher kennen zu lernen, viel<br />

besser dran als solche, die er noch nicht kennt.<br />

Mit <strong>der</strong> gleichen Pfiffigkeit, die ihm schon beim Aussuchen <strong>der</strong> Sitzplätze<br />

geholfen hat, gelingt es Erwin auch diesmal, bald so nahe zu Hoveneel<br />

vorzudringen und sich dabei in eine solche Position<br />

hineinzumanövrieren, dass dieser ihn nicht mehr übersehen kann. Kaum<br />

hat er einen kurzen Wortwechsel mit einem an<strong>der</strong>en, etwas älteren<br />

Mann beendet, kommt er auch schon strahlend auf Erwin zu und sagt zu<br />

ihm, während er ihm fest die Hand drückt: „Guten Abend, Erwin! Es freut<br />

mich, dass ich dich wie<strong>der</strong> mal sehen kann.“<br />

Dabei ist sein nie<strong>der</strong>ländischer Akzent, <strong>der</strong> in diesem Land jedoch als<br />

fast so charmant empfunden wird wie <strong>der</strong> französische, sogar noch<br />

deutlicher zu hören als während des Vortrags.<br />

„Es freut mich auch, dass ich dich hier wie<strong>der</strong> treffe“, antwortet Erwin<br />

ebenso erfreut, „seit dem letzten Mal sind ja schon wie<strong>der</strong> ein paar<br />

Monate vergangen. Dein Vortrag war wirklich sehr gut und hat sicher<br />

vielen geholfen.“<br />

Dabei nehmen es beide kaum wahr, dass Erwin mit ihm<br />

Schweizerdeutsch spricht, weil er weiß, dass dieser es gut versteht.<br />

„Danke, das hoffe ich“, entgegnet Hoveneel strahlend, „sonst wäre ja<br />

meine ganze Arbeit umsonst.“<br />

Dann kommt Erwin sogleich zu seinem Anliegen: „Ich möchte dir<br />

übrigens jemanden vorstellen, <strong>der</strong> daran interessiert ist, dich kennen zu<br />

lernen, weil er noch ein paar fachspezifische Fragen hat, die nur du ihm<br />

beantworten kannst.“<br />

Erst nach diesen Worten zeigt er auf Hans, <strong>der</strong> dicht hinter ihm<br />

geblieben ist und bei diesem Menschengewühl trotz seines athletischen<br />

Körperbaus viel Mühe hat, seine gute Position zu halten.<br />

„Ah, ich verstehe schon, wenn du das meinst, was ich meine“, entgegnet<br />

Hoveneel mit einem unübersehbaren Schmunzeln.<br />

„Genau, Jan, darum ist es wichtig, dass er mit dir reden kann.“<br />

„Es freut mich sehr, Sie kennen zu lernen“, sagt Hoveneel darauf resolut<br />

und streckt Hans zu dessen nicht geringer Überraschung plötzlich die<br />

rechte Hand hin, „meinen Namen muss ich wohl nicht mehr nennen.“<br />

„Aber ich“, entgegnet Hans ebenso auf Schweizerdeutsch, „ich heiße<br />

Hans - Hans Stettler.“<br />

Dabei drückt auch er die Hand des an<strong>der</strong>en. Obwohl es auch diesmal<br />

66


kein elektrisches Zucken gibt wie gestern, als er es geschafft hat, Ulrike<br />

kennen zu lernen und ihr gleich zweimal die Hand zu geben, spürt er,<br />

dass dies eine wichtige, wenn nicht gar eine historische Begegnung in<br />

seinem Leben werden könnte. Ein hochgebildeter Naturwissenschaftler,<br />

<strong>der</strong> nicht an die Evolutionstheorie glaubt, son<strong>der</strong>n an die<br />

Schöpfungsgeschichte <strong>der</strong> Bibel - wann hat es das schon jemals<br />

gegeben? Er jedenfalls hat noch nie davon gehört. So ist er Erwin im<br />

Stillen dafür dankbar, dass er ihm dieses Treffen ermöglicht hat, aber<br />

noch ist es nicht so weit, dass irgendetwas Festes abgemacht worden<br />

ist.<br />

Als ob Erwin ahnte, was er jetzt gerade denkt, hakt er sogleich ein und<br />

fragt Hoveneel direkt: „Ist es dir möglich, einmal mit ihm zu reden - ich<br />

meine in aller Ruhe und nicht gerade hier?“<br />

Darauf überlegt Hoveneel ein paar Sekunden, indem er die rechte Hand<br />

an die Stirn hält, und antwortet zögernd, was gar nicht seiner ansonsten<br />

zackigen Art entspricht: „Wie du dir vorstellen kannst, ist es nicht leicht<br />

für mich, einfach so plötzlich ein Treffen dazwischenzuschieben. Mein<br />

Terminkalen<strong>der</strong> ist voll, fast an jedem Abend halte ich einen Vortrag.<br />

Aber wenn es wirklich so wichtig ist ... Moment mal, ach ja, an einem<br />

einzigen Abend wäre ich frei. Zum Glück habe ich da noch nichts<br />

abgemacht, ich bin ja auch erst seit gestern wie<strong>der</strong> hier. Es wäre <strong>der</strong><br />

Mittwochabend, etwa um sieben Uhr. Wäre es dann möglich?“<br />

Dabei schaut er Hans direkt ins Gesicht, noch direkter als bei ihrer<br />

Begrüßung.<br />

„Ausgerechnet am Mittwoch, da muss ich doch ins Training“, antwortet<br />

dieser enttäuscht, „<strong>der</strong> Dienstag o<strong>der</strong> Donnerstag wäre viel besser, dann<br />

hätte ich am Abend frei. Aber wenn es nicht an<strong>der</strong>s geht ...“<br />

„Ah, Sie treiben also Sport in einem Verein?“, fragt Hoveneel echt<br />

interessiert.<br />

«Ja, ich spiele Fußball, aber in einer unteren Liga, also nichts<br />

Hochkarätiges. Trotzdem haben wir auch so dreimal in <strong>der</strong> Woche<br />

Training - am Montag, Mittwoch und Freitag.»<br />

„Es spielt keine Rolle, wo man spielt“, erwi<strong>der</strong>t Hoveneel zu seiner<br />

Überraschung „das Wichtigste ist doch die körperliche Betätigung und<br />

vor allem eine gute Kameradschaft, mehr aber nicht.“<br />

„Was meinen Sie damit?“, wagt Hans darauf zu antworten, da er in<br />

diesen Worten eine nur schlecht verdeckte Andeutung zu erkennen<br />

glaubt.<br />

„Was ich damit meine? Es nimmt einem einfach zu viel Zeit weg und<br />

lenkt vor allem allzu sehr von Gott ab. Sie sehen ja selber, wie sehr ich<br />

zum Beispiel heute beschäftigt bin. Ich habe früher auch mal einen Sport<br />

betrieben; darum weiß ich, wie das ist.“<br />

67


„Interessant - was denn, wenn ich fragen darf?“<br />

„Nicht Fußball wie Sie, son<strong>der</strong>n etwas, das zu meiner Größe besser<br />

gepasst hat, und zwar Eisschnellaufen.“<br />

„Ja, ich weiß, dass sehr viele Leute in Ihrem Land diesen Sport betreiben<br />

und dass er dort so populär ist, dass bei jedem Wettkampf regelrechte<br />

Volksfeste veranstaltet werden.“<br />

„Richtig, aber ich selber hatte damit nicht viel Erfolg, ich habe es mehr<br />

aus Freude als aus Ehrgeiz betrieben. Mit <strong>der</strong> Zeit sah ich ein, dass es<br />

mir zu viel vom Leben wegnahm. Ich musste mich eben auf mein<br />

Studium konzentrieren und darum Prioritäten setzen. Man muss klar<br />

erkennen, was im Leben wirklich wichtig ist und was nicht, und so habe<br />

ich den wettkampfmäßigen Sport aufgegeben.“<br />

„Ah, ich verstehe - auch wegen Ihres Glaubens.“<br />

„Genau, vor allem auch deswegen. Nun, Sie kommen also am Mittwoch?<br />

Es geht lei<strong>der</strong> nur dann.“<br />

„Ja, ich glaube, es wird sich einrichten lassen. Ich muss halt dem Trainer<br />

eine Geschichte erzählen. Aber wo ist es und wer zeigt mir, wo Sie zu<br />

finden sind?“<br />

„Keine Sorge! Erwin weiß, wo es ist, denn ich bin jedes Mal am gleichen<br />

Ort zu erreichen.“<br />

„Dann haben Sie heute also nicht zum ersten Mal einen Vortrag hier<br />

gehalten.“<br />

„Nein, sicher nicht“, entgegnet Hoveneel etwas hastig und streckt ihm<br />

denn auch gleich wie<strong>der</strong> die Hand hin, indem er hinzufügt: „Also dann,<br />

Herr Stettler! Ich hoffe, es klappt am Mittwochabend.“<br />

Sie haben gerade noch Zeit, sich noch einmal die Hand zu geben, und<br />

schon wendet sich Hoveneel einem weiteren Kandidaten zu, <strong>der</strong> schon<br />

lange auf ein kurzes Gespräch mit ihm gewartet hat.<br />

Da das Wichtigste jetzt geschafft ist, hält es Erwin für besser, dass auch<br />

sie sich langsam zum Ausgang begeben. Bevor sie diesen erreicht<br />

haben, nickt er da und dort noch den einen o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Bekannten zu<br />

und hält mit zwei von ihnen sogar noch einen Begrüßungsschwatz von<br />

wenigen Sekunden. Da die an<strong>der</strong>en jedoch erkennen, dass er sich um<br />

Hans kümmert, also um einen möglichen neuen Bekehrungskandidaten,<br />

wollen sie ihn nicht lange aufhalten, und so sind die beiden bald einmal<br />

draußen.<br />

„Ein interessanter Typ, dieser Hoveneel“, beginnt Hans schließlich<br />

wie<strong>der</strong> das zu erwartende Gespräch, während sie gemütlich gegen den<br />

Paradeplatz zuschlen<strong>der</strong>n, einem an<strong>der</strong>en wichtigen<br />

Verkehrsknotenpunkt dieser Stadt.<br />

„Ja, das kann man sicher sagen“, bestätigt Erwin sofort, „er ist sogar<br />

68


einer <strong>uns</strong>erer Besten, ich meine vom Wissensstand her.“<br />

„Warum redest du in <strong>der</strong> Wir-Form? Das tönt ja recht familiär.“<br />

„Das sind wir auch, sozusagen die weltweite Familie Gottes o<strong>der</strong> die<br />

Gemeinde Jesu, wie wir das bezeichnen.“<br />

„Oh la la, das ist ja allerhand! Und ich gehöre natürlich nicht dazu.“<br />

„Du könntest aber auch bald dazugehören“, entgegnet Erwin, indem er<br />

ihm direkt in die Augen schaut, „den <strong>Weg</strong> dazu kennst du bereits.“<br />

„Ja, ich weiß, aber ich bin dafür noch ein bisschen zu wenig fromm -<br />

vorläufig wenigstens. Übrigens fällt mir jetzt wie<strong>der</strong> ein, dass ich dich<br />

vorher noch fragen wollte, wie ihr zwei euch überhaupt kennen gelernt<br />

habt, dass ihr euch sogar duzt.“<br />

„Ganz einfach - in einem Lager.“<br />

„Lager? Ach ja, ich weiß, das ist sicher auch wie<strong>der</strong> eines eurer<br />

Spezialwörter. Nun, solange es wenigstens kein Gefangenenlager ist ...“<br />

„Sicher nicht, Hans. Unter einem Lager verstehen wir ein Wochenende<br />

und manchmal auch eine Woche, die wir zusammen verbringen.“<br />

„So - und was treibt ihr dann?“<br />

„Du weißt doch auch, was ein Skilager ist. Dort fahren sie Ski und haben<br />

es sonst schön zusammen - ich hoffe es jedenfalls -, aber wenn wir<br />

Gläubigen ein Lager durchführen, tun wir das, was <strong>uns</strong> erfüllt.“<br />

„Was heißt das? Etwa die Bibel lesen?“<br />

„Ja, zusammen Ausschnitte aus <strong>der</strong> Bibel studieren und allgemeine<br />

persönliche Erfahrungen austauschen, aber nicht nur das. Wir singen<br />

und beten auch zusammen, und manchmal treiben wir auch noch ein<br />

bisschen Sport, um die Muskeln zu lockern.“<br />

„Auch zusammen beten, wie du sagst? Wie funktioniert denn das mit so<br />

vielen Leuten? Ich kann wohl annehmen, dass ihr dann nicht wenige<br />

seid.“<br />

„Ganz einfach, wir teilen <strong>uns</strong> in Gruppen auf, und dann betet jedes<br />

Gruppenmitglied vor den an<strong>der</strong>en um ein bestimmtes Anliegen.<br />

Manchmal betet sogar jedes speziell für jemand an<strong>der</strong>s in <strong>der</strong> Gruppe -<br />

das bringt ebenfalls großen Segen.“<br />

„Bräuche habt ihr, muss ich schon sagen - und das bringt euch wirklich<br />

so viel?“<br />

„Sicher ja, sonst wäre ich nie hingegangen und hätte dann auch Jan nie<br />

persönlich kennen gelernt.“<br />

„Wie hast du das denn geschafft?“<br />

„Eben, in einer dieser Gebetsgruppen. Das war in einem Jahr, als er<br />

noch nicht so bekannt war wie heute und darum noch nicht so viel<br />

herumgereist ist. Da saßen wir zusammen und beteten zusammen zu<br />

Gott, und wenn man einmal so weit ist, ergibt es sich bald von selbst,<br />

dass man sich das Du anbietet. Es kommt aber auch darauf an, mit wem<br />

man zusammen ist. Das Eis schmilzt nicht bei allen gleich schnell; vor<br />

69


allem viele ältere Leute haben immer noch ein bisschen Mühe, sich in<br />

dieser Beziehung umzustellen, sogar unter den Gläubigen. Meistens<br />

nehmen aber fast nur Junge an solchen Lagern teil, also lösen sich diese<br />

Probleme von selber.“<br />

„Und so ist es also passiert, dass du mit diesem Hoveneel in <strong>der</strong><br />

gleichen Gruppe gelandet bist? Wenn das kein Zufall ist!“<br />

„Es gibt keine Zufälle, wenn Gott einen bestimmten Plan hat. Erinnerst<br />

du dich noch? Ich habe dir das schon einmal gesagt. Siehst du, wenn ich<br />

Jan in dieser Gebetsgruppe nicht persönlich kennen gelernt hätte, dann<br />

hätte ich heute auch nicht dieses Treffen mit ihm arrangieren können. Du<br />

wirst schon noch sehen, was für ein flotter Kerl er ist. Ein an<strong>der</strong>er wäre<br />

sicher nicht so schnell bereit gewesen, seinen einzigen freien Abend für<br />

jemanden zu opfern, den er nicht einmal kennt. Er tut es aber, nicht nur<br />

weil er mich persönlich kennt, son<strong>der</strong>n auch aus einem an<strong>der</strong>en Grund.“<br />

„Aus welchem, wenn ich fragen darf?“<br />

„Ich glaube, weil auch er spürt, dass du auf dem <strong>Weg</strong> bist.“<br />

„Auf welchem <strong>Weg</strong>?“<br />

„Auf dem, <strong>der</strong> am Ende zu Gott hin<strong>führt</strong>.“<br />

„Jetzt mach aber einen Punkt, Erwin! Ich habe nie gesagt, dass ich Gott<br />

kennen lernen will. Ich weiß ja nicht einmal mit Sicherheit, ob es<br />

überhaupt einen gibt.“<br />

„Aber ich weiß es, weil ich ihn persönlich in meinem Leben erfahren<br />

habe, und darum weiß ich, dass er auch an dir interessiert ist. Dabei<br />

spielt es keine Rolle, ob du das willst o<strong>der</strong> nicht. Er möchte trotzdem,<br />

dass auch du ihn findest und gerettet wirst.“<br />

„Ja, ich weiß, das hast du mir auch schon ein paar Mal gesagt. Aber ich<br />

lasse dir diesen Glauben, ich möchte ihn dir nicht streitig machen.“<br />

Da Erwin allmählich erkennt, dass sie wie<strong>der</strong> einmal an einem toten<br />

Punkt angelangt sind, da Hans nur noch versteckten Spott übrighat, <strong>der</strong><br />

jedoch leicht zu durchschauen ist, hält er es jetzt für besser, dass sie<br />

sich für heute voneinan<strong>der</strong> trennen - das Hauptziel, die Begegnung mit<br />

Jan Hoveneel, hat er ja erreicht.<br />

So sagt er zu ihm, als sie den Paradeplatz erreicht haben, indem er ihm<br />

die Hand zum Abschied reicht: „Ich glaube, für heute haben wir genug<br />

gehört. Es freut mich, dass du gekommen bist und dass alles geklappt<br />

hat - ich meine die Begegnung mit Jan. Wir sehen <strong>uns</strong> also am<br />

Mittwochabend?“<br />

„Ja, ich will es einrichten. Aber wann genau und wo?“<br />

„Genau hier - um halb sieben. Das sollte zeitlich ausreichen. Also<br />

abgemacht, Hans?“<br />

„Okay, Erwin, dann komme ich“, antwortet dieser überraschend resolut,<br />

und dann geben sie sich noch einmal die Hand, bevor ihre <strong>Weg</strong>e sich<br />

wie<strong>der</strong> trennen.<br />

70


8<br />

So wie fast immer ist Hans, <strong>der</strong> sich wie angekündigt für das heutige<br />

Training dispensieren ließ, wobei er natürlich ein wenig lügen musste,<br />

auch diesmal pünktlich, und da Erwin schon am Paradeplatz wartet, als<br />

er mit <strong>der</strong> Straßenbahn ankommt, verlieren sie keine Zeit mehr und<br />

machen sich gleich auf den <strong>Weg</strong> zum Hotel, in dem Hoveneel<br />

gegenwärtig logiert. Es hätte für ihn wohl genügend Angebote von<br />

privater Seite gegeben, in <strong>der</strong> Woche seines hiesigen Aufenthalts bei<br />

irgendjemandem zu wohnen. Schließlich ist es auch für Christen eine<br />

beson<strong>der</strong>e Ehre, einen so bekannten und zugleich beliebten Mann eine<br />

Zeit lang beherbergen und anschließend sagen zu können, er habe bei<br />

ihnen gewohnt.<br />

Er hat es jedoch vorgezogen, niemandem zur Last zu fallen, auch wenn<br />

wohl kaum jemand das als eine Last empfunden hätte, und logiert somit<br />

im genau gleichen Hotel im Stadtzentrum wie bei seinen früheren<br />

Besuchen. Es ist we<strong>der</strong> ein Vier- noch ein Fünfsternehotel, aber immer<br />

noch recht gediegen und erst noch mit einem Fenster, das sich zu einem<br />

erstaunlich ruhigen Hinterhof öffnen lässt, so dass vom Verkehrslärm<br />

und selbst von den nicht weit durchge<strong>führt</strong>en Bauarbeiten tagsüber nicht<br />

viel zu hören ist. Als einzigen Luxus gönnt er sich ein zweites Zimmer,<br />

weil er sich auf seine fortlaufenden Studien besser konzentrieren kann,<br />

wenn er dafür noch ein Zimmer zur Verfügung hat und nicht jedes Mal<br />

seine Materialien auf dem Tisch zurechtlegen muss.<br />

Da Erwin den Zettel mit <strong>der</strong> aufgeschriebenen Zimmernummer, den<br />

Hoveneel ihm am Sonntagabend noch gab, irgendwohin verlegt und<br />

dann nicht mehr gefunden hat, muss er sich erst noch bei <strong>der</strong> Reception<br />

nach ihm erkundigen. Sobald er dann an die Tür geklopft hat, öffnet<br />

Hoveneel ohne Zögern, sagt höflich und erstaunlich leise „Guten Abend“,<br />

gibt beiden kurz die Hand und setzt dann „Treten Sie ein!“ hinzu.<br />

Als sie drinnen sind, bestaunt nicht nur Hans, son<strong>der</strong>n auch Erwin die<br />

gelungene Einrichtung dieser provisorischen Zwei-Zimmer-Wohnung, die<br />

beweist, dass Hoveneel auch in dieser Beziehung einen gewissen Stil<br />

hat.<br />

„Sie können sich hierhersetzen“, sagt er weiter und zeigt auf ein Sofa,<br />

das sich im improvisierten Studierzimmer befindet, und dann räumt er<br />

noch ein paar Bücher und Schreibutensilien weg, die er auf dem Tisch<br />

hat liegen lassen.<br />

„Sie müssen entschuldigen, dass ich noch nicht ganz so weit bin“, sagt<br />

er lächelnd, „aber ich halte morgen einen längeren Vortrag an <strong>der</strong><br />

Universität. So habe ich jede freie Minute ausgenützt und mich noch ein<br />

wenig vorbereitet.“<br />

71


„Das macht doch nichts“, beruhigt ihn Erwin, „wir können ja schon froh<br />

sein, dass wir überhaupt zu dir kommen dürfen.“<br />

Auch jetzt spricht er mit Hoveneel wie<strong>der</strong> Schweizerdeutsch, was für<br />

Hans eine Einladung ist, das Gleiche zu tun.<br />

„So, jetzt bin ich fertig“, sagt Hoveneel kurz darauf, nachdem er den<br />

Tisch frei gemacht hat, und setzt sich zwischen Hans und Erwin, die<br />

schon vorher einen kleinen Raum zwischen sich offengelassen haben,<br />

als hätten sie gewusst, dass er sich genau hierhersetzen würde.<br />

„Es ist schön, dass es mit dem Treffen geklappt hat und Sie kommen<br />

konnten“, beginnt sogleich wie<strong>der</strong> Hoveneel das Gespräch. Schließlich<br />

ist ja er <strong>der</strong> Gastgeber und muss somit aus seiner Sicht die Initiative<br />

ergreifen.<br />

„Wir haben Ihnen noch mehr zu danken“, entgegnet Hans, „dass Sie sich<br />

die Mühe nehmen, mit mir über verschiedene Punkte Ihres Vortrags vom<br />

letzten Sonntag zu reden. Das ist nicht selbstverständlich, darum kann<br />

ich Ihnen wirklich nur dafür danken.“<br />

Obwohl er den Glauben <strong>der</strong> beiden an<strong>der</strong>en im Raum nicht teilt, zeigt<br />

sich auch jetzt wie<strong>der</strong> Hans Stettlers gute Stube, denn gelernt ist immer<br />

noch gelernt. Überhaupt zeigt sich auch jetzt zwischen ihm und Jan<br />

Hoveneel wie<strong>der</strong> deutlich diese merkwürdige Affinität zwischen den<br />

Schweizern - o<strong>der</strong> genauer Deutschschweizern - und den Nie<strong>der</strong>län<strong>der</strong>n,<br />

die nicht erst seit ein paar Jahrzehnten, son<strong>der</strong>n noch weitaus länger<br />

immer wie<strong>der</strong> beobachtet werden kann, wenn Angehörige aus diesen<br />

beiden Nationen miteinan<strong>der</strong> zu tun haben. Die gegenseitigen<br />

Sympathien reichen zeitweise sogar <strong>der</strong>art tief, dass es fast scheint, als<br />

hätte <strong>der</strong> Westfälische Friedensvertrag von 1648, bei dem kurz nach<br />

dem Ende des Dreißigjährigen Kriegs anläßlich <strong>der</strong> allerersten<br />

gesamteuropäischen Friedenskonferenz in <strong>der</strong> Geschichte die<br />

Unabhängigkeit dieser beiden Län<strong>der</strong> international anerkannt wurde,<br />

über Jahrhun<strong>der</strong>te hinweg eine geradezu ominöse Bedeutung erlangt.<br />

Allerdings reichen die Sympathien heute Abend zwischen Hans Stettler<br />

und Jan Hoveneel doch nicht so weit, dass sie einan<strong>der</strong> gleich das Du<br />

anbieten - vielleicht auch deshalb, weil beide aus einem sogenannten<br />

guten Haus stammen und beiden eingeprägt worden ist, dass es nicht<br />

schaden kann, zumindest am Anfang eines neuen Kontaktes noch eine<br />

gewisse Distanz zu bewahren.<br />

Bevor das eigentliche Gespräch beginnt, neigen Erwin und Hoveneel<br />

noch ihre Köpfe, und während <strong>der</strong> letztere ein kurzes Gebet spricht, fühlt<br />

sich Hans dabei peinlich berührt. Noch bis vor wenigen Wochen war er<br />

felsenfest davon überzeugt, dass <strong>der</strong> Glaube an einen Gott und erst<br />

72


echt an die leibliche Auferstehung von Jesus Christus nur etwas für<br />

wenig gebildete Schwachköpfe sein konnte, und jetzt muss er<br />

miterleben, dass sogar ein hochgebildeter Naturwissenschaftler, <strong>der</strong><br />

auch an Universitäten Vorträge hält, sich genauso im Gebet demütigt wie<br />

jene, die er bisher kennen gelernt und insgeheim immer etwas verachtet<br />

hat. Wenigstens hält er Hoveneel noch zugute, dass sein Gebet teilweise<br />

auch ihm gewidmet ist, weil er Gott darum bittet, dass er, Hans Stettler<br />

höchstpersönlich, auch aufgrund des Gesprächs von heute Abend die<br />

Wahrheit erkennen möge. Aber welche Wahrheit?, fragt er sich.<br />

Nach dem Gebet warten Hoveneel und Erwin noch ein paar Momente,<br />

und erst dann wendet sich <strong>der</strong> erstere Hans zu und sagt, indem er ihm<br />

Kaffee einschenkt, den er vorher extra noch zubereitet hat: „So, jetzt bin<br />

ich bereit, Ihre Fragen zu beantworten, soweit es mir möglich ist.<br />

Vergessen Sie aber nicht, dass ich nicht so wie am letzten Sonntag in<br />

alle Einzelheiten gehen kann, weil ich heute keine Leinwand zur<br />

Verfügung habe und Ihnen somit auch keine Lichtbil<strong>der</strong> zeigen kann!“<br />

„Keine Angst, Herr Hoveneel! Ich werde möglichst einfache Fragen<br />

stellen und will auch versuchen, mich kurz zu fassen. Von den Urzeiten<br />

weiß ich selbst ja auch nicht allzu viel; ich weiß nur, dass es für die<br />

verschiedenen Zeitabschnitte Namen gibt wie Kreide o<strong>der</strong> Jura, vor<br />

allem im Zusammenhang mit den Dinosauriern. Seitdem <strong>der</strong> Film<br />

‚Jurassic Park’ im Kino gezeigt worden ist, hat es sich den Leuten<br />

eingeprägt, dass diese Tiere in <strong>der</strong> Jura-Epoche gelebt haben, und weil<br />

diese Frage in verschiedenen Quiz-Sendungen im Fernsehen immer<br />

wie<strong>der</strong> gestellt worden ist, habe ich behalten können, dass diese Jura-<br />

Epoche ein Unterzeitabschnitt des Mesozoicums war. Damit hat es sich<br />

aber bereits; so müssen Sie mir nicht einmal sagen, wie lange jede<br />

Einzelne dieser Epochen gedauert hat. Ich arbeite zwar auf einer Bank,<br />

aber bei diesem Thema kann ich mit Zahlen nicht viel anfangen. Da wir<br />

schon dabei sind, vom Alter dieses Planeten zu reden, habe ich auch<br />

schon die erste Frage an Sie: Glauben Sie wirklich, dass Gott das ganze<br />

Weltall, die Milliarden von Sternen, die Sonne und Planeten mit ihren<br />

Monden und damit auch die Erde mitsamt allen Lebwesen in nur sechs<br />

Tagen erschaffen hat, wie das in <strong>der</strong> Bibel geschrieben steht? Wenn ich<br />

mich richtig erinnere, haben Sie das an Ihrem Vortrag zwar nicht direkt<br />

so gesagt, aber es hat sich fast so angehört, als ob Sie selbst auch<br />

daran glauben würden.“<br />

Hoveneel überlegt eine Weile, dann antwortet er langsam und in<br />

bedächtigem Ton: „Auf diese spezielle Frage kann ich Ihnen auch diese<br />

spezielle Antwort geben, Herr Stettler: Wenn es wirklich einen<br />

allmächtigen und damit auch allwissenden Gott gibt, wie das in <strong>der</strong> Bibel<br />

73


geschrieben steht und immer wie<strong>der</strong> betont wird und wie wir Christen,<br />

die seine Existenz persönlich erfahren haben, fest daran glauben ...<br />

wenn es also wirklich einen solchen Gott gibt, dann ist kein Moment<br />

daran zu zweifeln, dass er all dies auch tatsächlich in sechs Tagen<br />

erschaffen hat. Natürlich ist es mir klar, dass eine solche Antwort Sie in<br />

Ihrer Situation nicht zufriedenstellen kann; darum will ich versuchen,<br />

etwas weiter auszuholen. Dabei will ich als Erstes gleich einen Bibelvers<br />

zitieren, und zwar aus dem zweiten Petrusbrief, Kapitel drei, Vers acht,<br />

in dem geschrieben steht, dass tausend Jahre für Gott wie ein Tag sind.<br />

Wenn wir <strong>uns</strong> jetzt ein wenig in die göttlichen Denkdimensionen<br />

versetzen, soweit <strong>uns</strong> das möglich ist, dann könnte in diesem Bibelvers<br />

genauso gut stehen, dass 10’000 o<strong>der</strong> 100’000 o<strong>der</strong> gar eine Million<br />

o<strong>der</strong> noch mehr Jahre für Gott wie ein Tag sind, da er ja wie schon<br />

gesagt allmächtig und allwissend ist und schon vor <strong>der</strong> Grundlegung <strong>der</strong><br />

Welt da war und sowohl <strong>der</strong> Erste als auch <strong>der</strong> Letzte sein wird. Darum<br />

steht auch an einer an<strong>der</strong>en Bibelstelle, dass er das A und das O ist, das<br />

heißt das Alpha und das Omega, vom ersten bis zum letzten Buchstaben<br />

des griechischen Alphabets, also jener Sprache, in <strong>der</strong> das Neue<br />

Testament geschrieben wurde; damit wird auch ausgedrückt, dass kein<br />

an<strong>der</strong>er als er selbst sowohl <strong>der</strong> Anfang als auch das Ende von allem ist.<br />

- Haben Sie bis hierher verstanden, was ich damit sagen will?“<br />

„Ja, ich denke schon, schließlich weiß ich auch schon einiges über euren<br />

Glauben.“<br />

„Sie brauchen es mir nur zu sagen, wenn Ihnen etwas nicht klar ist; dafür<br />

bin ich jetzt ja für Sie da. Was ich bis hierher ausdrücken wollte, ist also<br />

dies: Gott als <strong>der</strong> Allmächtige und Allwissende hatte die Macht, selber zu<br />

bestimmen, wie viel Zeit er für die Erschaffung des Weltalls, <strong>der</strong><br />

Planeten und Monde, <strong>der</strong> Erde und aller Lebewesen benötigte. Wichtig<br />

ist dabei nicht die Länge <strong>der</strong> Zeitdauer, son<strong>der</strong>n die schlichte und<br />

unumstößliche Tatsache, dass niemand an<strong>der</strong>s als er selbst <strong>der</strong><br />

Schöpfer von allem ist. Gerade aufgrund dieses Bibelverses, den ich<br />

vorher zitiert habe, gibt es aber auch unter den Kreationisten - das heißt<br />

unter denen, die an eine göttliche Schöpfung glauben - nicht wenige, die<br />

es für möglich halten, dass mit den sechs Tagen in Wirklichkeit<br />

verschiedene Zeitperioden über Millionen von Jahren gemeint sind, dass<br />

also die Evolutionisten teilweise Recht haben, auch wenn diese die<br />

Entwicklung <strong>der</strong> Erde und <strong>der</strong> Lebewesen bekanntlich in weitaus mehr<br />

als sechs Zeitperioden einteilen. Bevor wir darauf eine Antwort geben<br />

können, ob nun sechs Tage o<strong>der</strong> sechs verschiedene Zeitperioden über<br />

Millionen von Jahren gemeint sind, müssen wir zuerst untersuchen, was<br />

genau an jedem Tag erschaffen worden ist. Sie können in <strong>der</strong> Bibel<br />

selber nachschauen, wenn Sie wollen, aber wir werden aus Zeitgründen<br />

nicht alles lesen, son<strong>der</strong>n nur überfliegen.<br />

74


Wir lesen also im ersten Buch Mose, dass Gott am ersten Tag den<br />

Himmel, die Erde und das Licht erschuf und dieses von <strong>der</strong> Finsternis<br />

trennte. Schon das zeigt <strong>uns</strong> deutlich seine Allmacht, die vollständig über<br />

<strong>uns</strong>eren menschlichen Denkdimensionen steht: Einerseits hat es ihm<br />

gefallen, <strong>uns</strong>eren Planeten noch vor allen an<strong>der</strong>en und allen Sternen zu<br />

erschaffen und <strong>uns</strong> damit zu zeigen, welche Bedeutung die Erde im<br />

Vergleich zu allen an<strong>der</strong>en Himmelsgeschöpfen hat - gerade auch im<br />

Hinblick zu diesen Meinungen, es könnte auch noch auf an<strong>der</strong>en<br />

Gestirnen Lebwesen geben, doch das wollen wir jetzt beiseitelassen.<br />

An<strong>der</strong>erseits hat es ihm auch gefallen, das Licht zu erschaffen, noch<br />

bevor es die Sonne gab, ohne die bekanntlich kein Lebewesen auf<br />

<strong>uns</strong>erem Planeten existieren könnte. Gerade dieser Vers spricht doch<br />

dafür, dass die Erschaffung nicht in sechs langen Zeitperioden<br />

geschehen sein konnte, son<strong>der</strong>n tatsächlich in sechs Kalen<strong>der</strong>tagen,<br />

weil es auch nach <strong>der</strong> Erschaffung des Lichts die Sonne noch nicht gab<br />

und es nur wegen ihr und dem Lauf <strong>der</strong> Erde um sie <strong>uns</strong>ere Tage und<br />

Nächte gibt. Weiter lesen wir, dass Gott am zweiten Tag die<br />

Himmelsfeste erschuf, am dritten die Pflanzen und Bäume, am vierten<br />

die Sonne und die Sterne und damit wohl auch die an<strong>der</strong>en Planeten<br />

und Monde, obwohl an dieser Stelle nichts Direktes über sie geschrieben<br />

steht, am fünften die Meerestiere und Vögel und erst am sechsten die<br />

Landtiere und Menschen, und am siebten Tag ruhte er schließlich von<br />

allen seinen Werken.<br />

Wenn wir diese Verse ein wenig näher anschauen, fallen zwei Dinge<br />

sofort auf: Erstens wurden die Pflanzen und Bäume am dritten Tag<br />

erschaffen, also einen Tag vor <strong>der</strong> Sonne. Wie wäre es nun möglich<br />

gewesen, dass diese über eine ganze Zeitperiode von vielen Millionen<br />

Jahren hätten gedeihen können, ohne dass sie das Sonnenlicht hatten,<br />

obwohl wir wie gesagt nicht ausschließen dürfen, dass Gott das durch<br />

seine Allmacht ohne weiteres hätte geschehen lassen können?<br />

Ansonsten bestätigen aber sämtliche naturwissenschaftlichen<br />

Untersuchungen, dass es ohne die Sonne auf <strong>uns</strong>erem Planeten kein<br />

Leben für eine längere Zeit geben kann - für einen Tag o<strong>der</strong> allenfalls ein<br />

paar wenige Tage schon, aber sicher nicht für so lange Zeitperioden, wie<br />

sie die Anhänger <strong>der</strong> Evolutionstheorie vorbringen.<br />

Als Zweites fällt <strong>uns</strong> auch <strong>der</strong> Vers auf, dass Gott am siebten Tag von<br />

allen seinen Werken ruhte. Da es ausdrücklich sein Wille war, dass <strong>der</strong><br />

Ruhetag, <strong>der</strong> ja von ihm selber mit den zehn Geboten einge<strong>führt</strong> wurde,<br />

genauso lange dauern sollte wie <strong>der</strong> seinige, könnte doch auch<br />

geschrieben stehen, dass wir anstelle eines Tages auch eine Woche,<br />

einen Monat o<strong>der</strong> gar ein Jahr o<strong>der</strong> noch länger ausruhen sollen, wenn<br />

er selbst tatsächlich so lange ausgeruht hätte. Irgendwann stoßen wir<br />

aber an die Grenzen <strong>der</strong> Vernunft - und schon <strong>der</strong> gesunde<br />

75


Menschenverstand sagt allen, die sich mit diesem Thema ohne die<br />

üblichen Vorurteile beschäftigen, dass wirklich nur ein Tag in <strong>uns</strong>erem<br />

Sinn, also einer mit 24 Stunden, und nichts an<strong>der</strong>es gemeint sein kann.<br />

Es würde auch <strong>der</strong> menschlichen Logik wi<strong>der</strong>sprechen, innerhalb eines<br />

gleichen Buchabschnitts - eben den über die ganze Schöpfung - etwa<br />

zehnmal einen Zeitbegriff, also das Wort „Tag“ zu verwenden, wobei<br />

ausgerechnet beim letzten Mal etwas an<strong>der</strong>es als ein Tag ausgedrückt<br />

werden soll. Dieser Schöpfungsvorgang wird im zweiten Buch Mose,<br />

Kapitel zwanzig, Vers elf, in dem <strong>der</strong> Ruhetag, also <strong>der</strong> israelitische<br />

Sabbat einge<strong>führt</strong> wurde, ausdrücklich noch einmal bestätigt: Da steht<br />

geschrieben, dass Gott all dies in sechs Tagen erschaffen hat. Somit ist<br />

es auch nicht möglich, schon nach dem allerersten Vers in <strong>der</strong> Bibel zu<br />

schließen, es wären Dutzende o<strong>der</strong> gar Hun<strong>der</strong>te von Millionen Jahren<br />

verstrichen, bis er nach dem Himmel und <strong>der</strong> Erde auch den ganzen<br />

Rest erschaffen hat. Diese Lehre wird wie gesagt zum Teil auch von<br />

Kreationisten vertreten, doch wer konsequent gläubig ist, kann sich ihr<br />

nicht anschließen.<br />

Damit kann ich auch Ihre Frage endgültig beantworten: Da ich nicht den<br />

geringsten Zweifel daran habe, dass Gott fähig war, alles in nur sechs<br />

Tagen zu erschaffen - und zwar in Tagen von 24 Stunden -, glaube ich<br />

auch daran, und wenn es auch aufgrund <strong>der</strong> Ähnlichkeit zwischen den<br />

Kontinenten, die sich bekanntlich fast wie ein Puzzle zusammensetzen<br />

lassen, so aussieht, als ob die Schöpfung nicht in sechs Tagen<br />

geschehen wäre, halte ich trotzdem daran fest. Für Gott war es sicher<br />

kein Problem, die einzelnen Kontinente innerhalb des gleichen Tages<br />

auseinan<strong>der</strong>zureißen, ja, die Ähnlichkeiten zwischen den Küsten, vor<br />

allem zwischen Südamerika und Afrika, sprechen viel mehr für eine<br />

kurze Zeitperiode als für eine solche von Hun<strong>der</strong>ten von Millionen<br />

Jahren; allein die natürlichen Gesetze <strong>der</strong> Erosion, also <strong>der</strong><br />

gleichmäßigen Aushöhlung eines Gesteins, sprechen gegen eine solche<br />

Entwicklung. Falls wir noch dazu kommen, <strong>uns</strong> etwas näher mit <strong>der</strong><br />

Sintflut zu befassen, werde ich intensiver darauf eingehen - erinnern Sie<br />

mich aber daran, falls ich das vergesse!<br />

Verstehen Sie also, was ich mit diesen Worten meine? So wie es Gott in<br />

seiner Allmacht und Allwissenheit möglich war, alles in sechs Tagen zu<br />

erschaffen, so war ihm auch alles an<strong>der</strong>e möglich, das in <strong>der</strong> Bibel<br />

beschrieben ist: Einen Menschen in einer Jungfrau heranwachsen zu<br />

lassen o<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Gestalt Jesu Wasser in Wein zu verwandeln; Blinde,<br />

Lahme und Aussätzige sofort zu heilen, zu Fuß auf dem See Genezareth<br />

zu gehen, einen Sturm auf dem gleichen See innerhalb einer Sekunde<br />

zum Schweigen zu bringen und sogar Tote wie den bekannten Lazarus<br />

wie<strong>der</strong> ins Leben zurückzuholen. Erst wenn wir auch diese Geschichten<br />

gelesen haben, wird <strong>uns</strong> seine Allmacht so richtig bewusst - aber eben,<br />

wir müssen auch daran glauben.“<br />

76


Nach diesen klaren Worten kann sich Hans ein leicht spöttisches<br />

Lächeln nicht verkneifen und fast unbewusst schüttelt er den Kopf so<br />

deutlich, dass Hoveneel und Erwin, <strong>der</strong> die ganze Zeit still daneben<br />

gesessen hat, es nicht übersehen können. Sie lassen es sich jedoch<br />

nicht anmerken und schon bald versucht Hans sein Glück auf an<strong>der</strong>e<br />

Weise: „Wenn Sie also glauben, dass Gott tatsächlich alles in nur sechs<br />

Tagen erschaffen hat ... wie alt ist denn <strong>uns</strong>er Planet nach Ihrer<br />

Meinung? Es ist doch schon längst bewiesen worden, dass die Erde<br />

Hun<strong>der</strong>te von Millionen Jahre alt ist. Da passt diese Geschichte mit den<br />

sechs Tagen wirklich nicht gut hinein.“<br />

„Da muss ich Ihnen aber klar wi<strong>der</strong>sprechen, Herr Stettler. Bewiesen ist<br />

bis heute überhaupt nichts, ganz im Gegenteil, sämtliche Altersangaben<br />

beruhen nur auf Spekulationen und zum Teil sogar auf <strong>uns</strong>eriösen<br />

Berechnungen. Dabei wird mit den Zahlen allzu großzügig umgegangen<br />

und manchmal wird sogar geschwindelt, nur um nicht zugeben zu<br />

müssen, dass es vielleicht doch einen göttlichen Schöpfer gibt. Ein klarer<br />

Hinweis darauf, dass mit den Altersangaben bös danebengegriffen wird,<br />

ist zum Beispiel die sogenannte C-14-Datierungsmethode, von <strong>der</strong> Sie<br />

vielleicht auch schon einmal gehört haben.“<br />

„Ja, gehört schon, aber ich weiß nicht genau, was damit gemeint ist -<br />

dafür verstehe ich viel zu wenig von Chemie.“<br />

„Dann will ich versuchen, Ihnen das in groben Zügen zu erklären, soweit<br />

das möglich ist: Es wurde schon vor einiger Zeit entdeckt, dass die Luft<br />

in <strong>der</strong> Stratosphäre - also noch über dem, was wir als Atmosphäre<br />

bezeichnen - von Sonnenstrahlen buchstäblich bombardiert wird, und<br />

dass diese zugleich radioaktiven Kohlenstoff bilden, eben dieses C14,<br />

und mit Stickstoff aus <strong>der</strong> Atmosphäre reagieren, <strong>der</strong> als N14 bezeichnet<br />

wird. Vielleicht erinnern Sie sich noch von den Unterrichtsstunden her,<br />

dass das, was die Menschen und Tiere ausatmen, Stickstoff ist, während<br />

das, was wir einatmen, Sauerstoff o<strong>der</strong> CO2 ist, ohne das wir<br />

bekanntlich nicht leben könnten. Dieser Vergleich kann <strong>uns</strong> helfen, diese<br />

chemischen Vorgänge etwas besser zu verstehen. Nun enthält alles,<br />

was auf <strong>der</strong> Erde lebt, Kohlenstoff, und dazu zählen nicht nur die<br />

Menschen und Tiere, son<strong>der</strong>n auch die Pflanzen und Bäume und sogar<br />

die Gesteinsschichten. Dabei gibt es zwei verschiedene Arten von<br />

Kohlenstoff: Die eine ist das C12, das sich nicht zersetzt, und die an<strong>der</strong>e<br />

das C14, das durch die Bildung von Radioaktivität mit <strong>der</strong> Zeit zerfällt -<br />

genauer die Lebewesen, die dieses C14 einatmen, und die<br />

Gesteinsschichten, die mit ihm in Berührung kommen. Auf die Menschen<br />

und Tiere übertragen heißt dies, dass auf diese Weise ein ständiger<br />

Stoffwechsel stattfindet, solange sie leben, und dass dieses C14 ganz<br />

entscheidend dazu beiträgt, dass <strong>uns</strong>ere Körper altern und<br />

gewissermaßen mit <strong>der</strong> Zeit zerfallen. Interessant ist aber, dass die<br />

77


Zersetzung des C-14-Gehalts auch im toten Gewebe weitergeht, wobei<br />

die Radioaktivität ständig abnimmt, weil ja durch den Tod des Körpers<br />

<strong>der</strong> vorherige Stoffwechsel nicht mehr stattfindet. Haben Sie das alles<br />

bis hierher gut verstanden?“<br />

„Ja, mehr o<strong>der</strong> weniger. Machen Sie ruhig weiter! Ich höre zu.“<br />

„Also gut. Natürlich zerfallen die menschlichen und tierischen Körper<br />

nach dem Tod jedes Einzelnen ziemlich schnell, aber nicht die<br />

organischen Stoffe, zu denen neben Holzstücken eben auch die<br />

Gesteinsschichten gehören. Da entdeckt worden ist, dass <strong>der</strong> Zerfall des<br />

C-14-Gehalts so schnell o<strong>der</strong> auch langsam ist, dass nach ungefähr<br />

5’000 Jahren die Hälfte zersetzt ist, kann das Alter einer Gesteinsschicht<br />

bis zu 10'000 Jahre zurück ziemlich genau bestimmt werden. Der einzige<br />

Haken an dieser Datierungsmethode besteht darin, dass wir nicht mit<br />

absoluter Sicherheit wissen, ob diese kosmische Bestrahlung o<strong>der</strong> eben<br />

Bombardierung immer gleichgeblieben ist, aber die Wahrscheinlichkeit<br />

spricht eher dafür als dagegen. Der zweite wunde Punkt an dieser<br />

Geschichte ist <strong>der</strong>, dass wir ebenfalls nicht genau wissen, ob auch die<br />

Gesteinsschichten, die noch weiter unten liegen, genauso lang dieser<br />

Bestrahlung ausgesetzt waren o<strong>der</strong> nicht. Es gibt jedoch immer<br />

deutlichere Hinweise darauf, dass dies <strong>der</strong> Fall gewesen ist. Genauer<br />

kann ich Ihnen das aber erst erklären, wenn wir auf die Sintflut zu<br />

sprechen kommen.“<br />

«Wollen Sie also damit sagen, dass die Erde am Ende höchstens 10'000<br />

Jahre o<strong>der</strong> vielleicht nur ein bisschen älter ist?»<br />

„Es gibt Kreationisten, die tatsächlich diese Meinung vertreten, weil diese<br />

Altersangaben mit <strong>der</strong> Bibel mehr o<strong>der</strong> weniger übereinstimmen. Gerade<br />

aufgrund <strong>der</strong> hebräischen Denkweise, in <strong>der</strong> ein Nachkomme selbst<br />

dann noch als Sohn bezeichnet wurde, wenn mehrere Generationen<br />

übersprungen wurden, wissen wir heute mit Sicherheit, dass die<br />

biblischen Geschlechtsregister aus <strong>der</strong> Urzeit <strong>der</strong> Menschheit nicht<br />

vollständig überliefert sind, dass die Welt also nicht erst seit ungefähr<br />

6’000 Jahren besteht, wie durch diese Angaben berechnet werden<br />

könnte, son<strong>der</strong>n noch ein paar Tausend Jahre länger. Ich selbst bin<br />

jedoch <strong>der</strong> Ansicht, dass wir diese 10’000 Jahre nicht einfach als<br />

Tatsache hinstellen können, solange keine hieb- und stichfesten<br />

Beweise vorliegen. Allerdings muss ich Ihnen an dieser Stelle eines<br />

deutlich sagen: Es ist zwar nicht eindeutig bewiesen, doch die an<strong>der</strong>en<br />

Altersangaben, die wir in den Schulen und Universitäten hören, sind es<br />

genauso wenig.<br />

Übrigens gibt es in dieser Beziehung noch einen interessanten Hinweis<br />

darauf: Als die ersten Astronauten auf dem Mond gelandet und<br />

ausgestiegen waren, stellten sie übereinstimmend fest, dass die<br />

Staubschicht recht dünn war, wenn man davon ausging, dass auch <strong>der</strong><br />

78


Erdtrabant Hun<strong>der</strong>te von Millionen Jahre alt sein sollte. Auch wenn es ab<br />

und zu gestürmt hätte, wie das einige Naturwissenschaftler behaupten,<br />

hätte es trotzdem nicht so wenig Staub hinterlassen können, und zudem<br />

wäre die Wahrscheinlichkeit, dass die Astronauten dort, wo sie gelandet<br />

waren, irgendwo auch auf eine dicke Schicht hätten treffen müssen, sehr<br />

groß gewesen. Heute sind wir aber inzwischen so weit, dass wir mit fast<br />

absoluter Sicherheit wissen, dass es auf dem Mond dadurch, dass er<br />

keine Wolkenschicht und auch sonst keine eigentliche Atmosphäre hat,<br />

immer windstill gewesen ist. Dazu passt auch besser, dass er sich nicht<br />

wie die Erde auch noch um die eigene Achse dreht, son<strong>der</strong>n unbewegt<br />

seinen Rundlauf um die Erde macht, so dass wir dort, wo wir gerade<br />

sind, immer die gleiche Vor<strong>der</strong>seite sehen.“<br />

Wie<strong>der</strong> legen sie eine kleine Pause ein, die Hoveneel dazu benützt,<br />

Erwin und Hans noch etwas Kaffee nachzuschenken. Der letztere<br />

überlegt sich in dieser Zeit fast krampfhaft, was er auf diese<br />

schlagkräftigen Argumente, die er so noch nie gehört hat, antworten soll.<br />

Schließlich kommt ihm doch wie<strong>der</strong> ein Einfall: „So wie es aussieht,<br />

glauben Sie also anscheinend auch daran, dass <strong>uns</strong>er Planet höchstens<br />

10’000 Jahre alt o<strong>der</strong> vielleicht noch ein bisschen älter ist, auch wenn<br />

Sie das nicht direkt so sagen, weil Sie vorgebracht haben, dass ein<br />

eindeutiger Beweis dafür noch fehlt. Jetzt habe ich aber eine weitere<br />

Frage zu diesem Thema: Wie passt denn das alles zu den Funden <strong>der</strong><br />

Dinosaurier-Knochen, von denen es ebenfalls heißt, sie seien schon<br />

Dutzende von Millionen Jahre alt?“<br />

„Auch das ist ein beson<strong>der</strong>es Kapitel für sich - und es ist gut, dass Sie<br />

jetzt auch mit diesem kommen. Dazu muss ich Ihnen aber deutlich<br />

sagen: Was von den Medien immer wie<strong>der</strong> als eine Riesensensation<br />

verkauft wird, wenn man durch einen glücklichen Zufall wie<strong>der</strong> einmal ein<br />

neues Skelett entdeckt hat, ist in Wirklichkeit nie so heiß, wie es gekocht<br />

wird. Das genaue Gegenteil ist <strong>der</strong> Fall, ja, ich muss sogar betonen,<br />

dass nicht wenigen Kolleginnen und Kollegen von meinem Fach immer<br />

wie<strong>der</strong> die Fantasie durchgeht, wenn sie mit ihren Altersangaben<br />

kommen. Erstens hat es nie so viele Dinosaurier gegeben, wie immer<br />

behauptet wird, und zweitens wurden viele Dinosaurier-Arten sogar<br />

aufgrund unvollständiger Skelette nur mit viel Fantasie und mit Hilfe von<br />

Computern zusammengestellt, von denen die Öffentlichkeit nie weiß, wie<br />

sie programmiert wurden. Drittens ist auch schon bewiesen worden, wird<br />

aber weiter systematisch unterschlagen, dass fast überall dort, wo<br />

Dinosaurier-Knochen gefunden worden sind, vor Tausenden von Jahren<br />

noch keine Menschen gelebt haben. Das ist vor allem darum wichtig zu<br />

wissen, weil zum Beispiel gegen den fünfzehn Meter hohen<br />

Tyrannosaurus Rex, dem gefürchtetsten Fleischfresser, aber auch<br />

79


gegen seine etwas kleineren Verwandten selbst eine ganze Armee von<br />

Menschen kaum eine Chance gehabt hätte, wenn wir daran denken, wie<br />

schwach sie im Vergleich zu den heutigen Waffen ausgerüstet waren.<br />

Selbst da zeigt sich aber Gottes Liebe zu den Menschen, für mich ist das<br />

sogar ein deutlicher Beweis dafür: So wie er nach dem Sündenfall zwei<br />

Tiere tötete und als letzten Akt <strong>der</strong> Gnade Adam und Eva mit ihren<br />

Fellen bekleidete, damit sie außerhalb des Paradieses nicht erfroren, so<br />

sorgte er höchstpersönlich auch dafür, dass die Menschen nie mit den<br />

schlimmsten Fleischfressern in Berührung kamen.<br />

Was übrigens diese Monster betrifft, sind diese wohl <strong>der</strong> deutlichste<br />

Hinweis dafür, dass nach dem Sündenfall nicht nur Adam und Eva ihr<br />

Paradies verloren, son<strong>der</strong>n dass auch die Tierwelt völlig aus den Fugen<br />

geraten ist, und zwar gleichzeitig in <strong>der</strong> ganzen Welt, denn es steht in<br />

<strong>der</strong> Bibel nicht geschrieben, dass sämtliche Tiere nur innerhalb des<br />

Gartens Eden gelebt haben. Außerdem haben wir heute deutliche<br />

geologische Hinweise darauf, dass die Kontinente vor <strong>der</strong> Sintflut noch<br />

eine einzige Erdmasse darstellten und sich noch schneller als das, was<br />

wir in den Schulen und Universitäten zu hören bekommen, voneinan<strong>der</strong><br />

entfernt haben. Das stimmt auch mit den Angaben im Schöpfungsbericht<br />

überein, wo davon die Rede ist, dass Gott zwischen den Wassern eine<br />

einzige große Landfeste schuf, die eine Scheidewand bildete, aber nicht<br />

von einem Zerfall dieser Landmasse in verschiedene Teile. Aber auch<br />

auf dies möchte ich erst dann etwas näher zu sprechen kommen, wenn<br />

ich mit Ihnen die Sintflut behandle, und ich kann Ihnen schon jetzt<br />

garantieren, dass Sie noch über manche neuen Erkenntnisse staunen<br />

werden.<br />

Um wie<strong>der</strong> auf die Tierwelt zurückzukommen: Wenn es also nicht<br />

geschehen wäre, dass diese nach dem Sündenfall ebenfalls aus den<br />

Fugen geriet, würde wohl kaum im 65. Kapitel des Propheten Jesaja<br />

geschrieben stehen, dass in einem zukünftigen Reich unter Gottes<br />

direkter Führung <strong>der</strong> Wolf und das Lamm einträchtig weiden werden,<br />

dass <strong>der</strong> Löwe wie das Rind Stroh fressen wird und dass selbst die<br />

Schlange sich mit Staub begnügen wird, und dann würde auch nicht an<br />

einer an<strong>der</strong>en Bibelstelle stehen, dass ein Kleinkind mit einer Otter<br />

spielen wird. Wenn wir nochmals zum Schöpfungsbericht zurückgehen,<br />

lesen wir im ersten Buch Mose, in den Versen 29 und 30 des ersten<br />

Kapitels, dass ursprünglich alle Tiere Vegetarier waren, weil sie nur von<br />

den Früchten, Pflanzen und Bäumen fraßen, die Gott erschaffen hatte,<br />

und das Gleiche galt natürlich auch für Adam und Eva.<br />

In diesem Zusammenhang ist interessant, dass in diesen gleichen<br />

Versen auch davon die Rede ist, dass selbst die Tiere eine lebendige<br />

Seele hatten, also auch in dieser Beziehung sehr stark mit dem ersten<br />

Menschenpaar verbunden waren. Als dann <strong>der</strong> Sündenfall geschah, riss<br />

80


nicht nur die enge Verbindung zwischen Gott und den zwei ersten<br />

Menschen und nicht nur die zwischen Adam und Eva und den Tieren,<br />

son<strong>der</strong>n auch die untereinan<strong>der</strong>, da sie ja als solche, die lebendige<br />

Seelen hatten, genauso mitbetroffen waren. Wir können das ungefähr<br />

mit einem Königreich vergleichen: Wenn ein König o<strong>der</strong> eine Königin<br />

stirbt, sind alle Bewohner des Reiches davon betroffen, auch jene, die<br />

ihn o<strong>der</strong> sie nicht persönlich kannten und auch nie mit ihnen zu tun<br />

hatten. Genauso verhielt es sich mit Adam und Eva: Sie waren von Gott<br />

dazu ausersehen worden, über die Erde und das Tierreich zu regieren,<br />

aber sie versagten in ihrem Ungehorsam und zogen damit auch ihre<br />

Untertanen ins Elend, und so wie später die Nachkommen des ersten<br />

Menschenpaares übereinan<strong>der</strong> herfielen und sich gegenseitig quälten<br />

und umbrachten, so fielen auch die Tiere übereinan<strong>der</strong> her und töteten<br />

sich gegenseitig, und so begann dieser Kreislauf des Fressens und<br />

Gefressen-Werdens.<br />

Ein deutlicher Hinweis darauf, dass offensichtlich bei verschiedenen<br />

Tieren eine schnelle Metamorphose stattgefunden haben muss, zeigt<br />

sich ausgerechnet bei <strong>der</strong> Schlange, die Eva ver<strong>führt</strong> hat, auch wenn sie<br />

vom Satan, <strong>der</strong> sich in sie versetzte, dafür benützt wurde. Vor dem<br />

Sündenfall war sie noch ein Tier, das nicht nur auf dem Bauch und<br />

allenfalls auch noch auf Bäumen kriecht wie heute, son<strong>der</strong>n auch noch<br />

an<strong>der</strong>s gestaltet war, aber wie genau, wissen wir nicht mit Sicherheit.<br />

Genauso wie also die Schlange als Strafe Gottes sich verän<strong>der</strong>te und<br />

zum Beispiel <strong>der</strong> Löwe zu einem Raubtier mit einem scharfen Gebiss<br />

mutierte, muss das wohl auch mit den Dinosauriern geschehen sein, die<br />

dann zu Fleischfressern wurden.“<br />

Da erhebt Hans eine Hand, um Hoveneel anzuzeigen, dass er etwas<br />

dazwischenfragen will, und sogleich hält dieser inne.<br />

„Sie haben vorhin gesagt, dass die Menschen ziemlich sicher nie mit<br />

diesen Fleischfressern in Berührung gekommen sind, weil Sie meinen,<br />

dass wohl Gott selbst dafür gesorgt hat. Wie steht es nun aber mit den<br />

an<strong>der</strong>en Dinosauriern, die nur Pflanzen und die Blätter von Bäumen<br />

fraßen, zum Beispiel jene, die in den bekannten Little-Foot-Filmen als<br />

‚Langhälse’ bezeichnet werden? Hatten die ersten Menschen o<strong>der</strong><br />

genauer die Nachkommen von Adam und Eva nach Ihrer Meinung auch<br />

keinen direkten Kontakt mit ihnen?“<br />

„Genau darauf wollte ich jetzt auch noch zu sprechen kommen, Herr<br />

Stettler. Was früher in <strong>der</strong> beliebten Comic-Serie ‚Familie Feuerstein’<br />

und in verschiedenen Spielfilmen mit entsprechenden Trickszenen<br />

gezeigt wurde - nämlich Menschen, die mit Waffen aus <strong>der</strong> Steinzeit mit<br />

Dinosaurieren zu tun hatten und teilweise sogar gegen sie kämpften -, ist<br />

nicht nur reine Fantasie, son<strong>der</strong>n entspricht teilweise dem Leben, wie es<br />

81


tatsächlich war, und ohne, dass die betreffenden Regisseure und<br />

Filmproduzenten davon wussten. Einen Beweis dafür hat man schon vor<br />

etwa einem halben Jahrhun<strong>der</strong>t im ausgetrockneten Paluxy-Flussbett in<br />

Texas gefunden, aber natürlich wird auch dieser Fund von den<br />

antigöttlich ausgerichteten Medien bewusst unterschlagen. Da wurden<br />

auf <strong>der</strong> gleichen Gesteinsschicht deutliche Fußspuren eines Menschen<br />

und eines Brontosauriers entdeckt, also eines <strong>der</strong> größten<br />

Pfanzenfresser, <strong>der</strong> immerhin eine Länge von ungefähr dreißig Metern<br />

hatte. Das lässt nur diese Schlussfolgerung zu: Da die letzten<br />

Dinosaurier angeblich vor etwa siebzig Millionen Jahren ausgestorben<br />

sind, die Menschen selbst in ihren primitivsten Vorstufen nach <strong>der</strong><br />

Meinung sämtlicher Evolutionisten in dieser Zeitperiode aber noch nicht<br />

existiert haben, kann dieser Fund nur bedeuten, dass zumindest ein Teil<br />

<strong>der</strong> Dinosaurier tatsächlich in <strong>der</strong> Frühzeit <strong>der</strong> Menschen noch gelebt<br />

hat.<br />

Für diese Theorie, die sich lei<strong>der</strong> nicht zu hun<strong>der</strong>t Prozent beweisen<br />

lässt, sprechen mehrere einleuchtende Tatsachen: Erstens braucht es<br />

enorm viel Fantasie, um ernsthaft daran zu glauben, dass die Fußspuren<br />

von Tieren sich über mehr als siebzig Millionen Jahre hinweg so gut<br />

erhalten konnten, ohne die natürlichen Gesetze <strong>der</strong> Erosion zu<br />

berücksichtigen, die ja auch ohne Wasser wirkt, sogar wenn diese<br />

Spuren während eines großen Teils dieser Zeit von an<strong>der</strong>en<br />

Gesteinsschichten bedeckt waren. Das scheint sogar noch<br />

unglaubwürdiger, wenn wir daran denken, dass nach dem Aussterben<br />

<strong>der</strong> Dinosaurier noch eine Eiszeit dazwischengekommen sein soll.<br />

Zweitens ist zu erwähnen, dass im ersten Buch Mose die Lage des<br />

Gartens Eden zwar genau angegeben ist, dass aber nirgendwo<br />

geschrieben steht, dass gleich alle Tiere <strong>der</strong> Welt dort drinnen gelebt<br />

haben, wie ich Ihnen das schon gesagt habe. Wir können daraus<br />

schließen, dass <strong>der</strong> Sündenfall nicht nur auf die nahöstliche Region<br />

seine Auswirkungen hatte, son<strong>der</strong>n auf die ganze Welt, und das stimmt<br />

wie<strong>der</strong> mit dem überein, was ich vorhin erwähnt habe - dass die<br />

Kontinente vor <strong>der</strong> Sintflut offensichtlich noch eine einzige Landmasse<br />

waren und erst nachher auseinan<strong>der</strong>drifteten.<br />

Das heißt also, dass auch in Amerika, das heute vom Nahen Osten so<br />

weit entfernt liegt, in jener Zeitepoche ohne weiteres Menschen und<br />

friedliebende Dinosaurier, die nur Pflanzen und Blätter von den Bäumen<br />

fraßen, nicht allzu weit vom ehemaligen Garten Eden entfernt<br />

zusammenleben konnten und die Menschen sie teilweise auch jagten,<br />

um sich vom Fleisch dieser Tiere zu ernähren. Ob sie auch Dinosaurier<br />

als Haustiere hielten - wie zum Beispiel <strong>der</strong> bekannte Dino aus <strong>der</strong><br />

Familie Feuerstein, die ich vorhin erwähnt habe -, wissen wir als<br />

Einziges nicht mit Sicherheit, aber wir können es nicht völlig<br />

82


ausschließen. Dass diese Fußspuren eines Menschen und eines<br />

Brontosauriers auf dem gleichen Gestein in Texas gefunden wurden,<br />

erkläre ich damit, dass dieses Gestein im Verlauf <strong>der</strong> Sintflut o<strong>der</strong><br />

vielleicht auch nachher für Jahrtausende bedeckt wurde und erst vor<br />

kurzem wie<strong>der</strong> zum Vorschein gekommen ist - lange nachdem <strong>der</strong><br />

amerikanische Kontinent sich dorthin verschoben hatte.“<br />

„Wenn ich Sie also richtig verstehe“, wirft Hans wie<strong>der</strong> mit einem<br />

schiefen Lächeln ein, „wollen Sie mit diesen Worten sagen, dass außer<br />

dem legendären Noah und seiner Familie und den Tieren, die mit ihm in<br />

<strong>der</strong> Arche waren, neben allen an<strong>der</strong>en auch Tausende von Dinosauriern<br />

in <strong>der</strong> Sintflut umgekommen sind?“<br />

„Genau, Sie sagen es, Herr Stettler!“, antwortet Hoveneel zu seiner<br />

großen Überraschung prompt und setzt dann gleich wie<strong>der</strong> ein: „Nach<br />

allem, was bis heute entdeckt worden ist, kann es nur auf diese Weise<br />

geschehen sein. Klare Beweise gibt es für diese Vermutung lei<strong>der</strong> nicht,<br />

jedenfalls nicht bei den Dinosauriern, aber wenigstens deutliche<br />

Hinweise. Ein bekanntes Beispiel dafür sind ein paar Mammuts, die in<br />

Sibirien gefunden worden sind. Auch diese Tiere haben nach <strong>der</strong><br />

Meinung <strong>der</strong> Evolutionisten vor Dutzenden von Millionen Jahren gelebt<br />

und waren bereits ausgestorben, als <strong>der</strong> heutige sogenannte Homo<br />

sapiens - <strong>der</strong> aus den primitiven, affenähnlichen Vorfahren entwickelte<br />

mo<strong>der</strong>ne Mensch - die Szene betrat. Bei diesen Mammuts hat man aber<br />

im Maul noch Reste von Grasbüscheln gefunden, die von Kühen <strong>der</strong><br />

heutigen Zeit noch hätten gefressen werden können, die sich also über<br />

eine so lange Zeitperiode unmöglich so gut hätten erhalten können. Das<br />

lässt darauf schließen, dass diese Tiere von einer plötzlichen Kältewelle<br />

überrascht wurden und nicht von einer Eiszeit, denn in einem solchen<br />

Fall wären sie auf den Tod vorbereitet gewesen und kaum mit frischen<br />

Grasbüscheln im Maul gestorben.“<br />

„Sie glauben also wirklich im Ernst daran, dass diese Sintflut sich<br />

ereignet hat?“, fragt Hans wie<strong>der</strong> dazwischen, „woher kam denn <strong>der</strong><br />

ganze Regen, um die Erde überall zu bedecken und damit auch die<br />

höchsten Berggipfel, die immerhin mehr als 8'000 Meter hoch sind?“<br />

„Das ist eine gute Frage, Herr Stettler, aber auch darauf kann ich Ihnen<br />

eine Antwort geben: Wenn wir nochmals zur Schöpfungsgeschichte<br />

zurückgehen und die Verse sechs bis acht des ersten Kapitels lesen,<br />

können wir sehen, dass Gott am zweiten Tag eine Feste zwischen den<br />

Gewässern machte, die eine Scheidewand zwischen den Gewässern<br />

nach oben und nach unten bildete, und dass er diese Feste als Himmel<br />

bezeichnete. Dabei bedeckten die unter dem Himmel liegenden<br />

Gewässer den Planeten noch vollständig, weil das trockene Land, also<br />

die noch einzige Landmasse, erst am dritten Tag erschaffen wurde, als<br />

83


Gott diese Gewässer an einem einzigen Ort sammelte, damit diese<br />

Landmasse sichtbar wurde. Wenn wir nun im siebten Kapitel, das von<br />

<strong>der</strong> Sintflut berichtet, den elften Vers anschauen, können wir lesen, dass<br />

alle Quellen <strong>der</strong> großen Tiefe aufbrachen und die Fenster des Himmels<br />

sich öffneten. Das kann nur so geschehen sein, weil offensichtlich über<br />

dem, was seit jeher als Himmel bezeichnet wird, rund um die ganze<br />

Erdkugel eine Art riesige Wasserglocke hing, <strong>der</strong>en Inhalt sich in <strong>der</strong><br />

Sintflut mit den Gewässern <strong>der</strong> großen Ozeane vereinigt hat. Dazu<br />

kommt noch, dass mit dem Aufbrechen <strong>der</strong> Quellen <strong>der</strong> großen Tiefe<br />

offensichtlich gemeint ist, dass durch einen enormen Druck von unten<br />

auch die noch intakte Landmasse auseinan<strong>der</strong>brach und erst während<br />

und nach <strong>der</strong> Flut die Kontinente sich allmählich bildeten. Das heißt aber<br />

auch, dass durch diese Erdbeben nicht nur die Menschen, Landtiere und<br />

Vögel starben, die sich nicht in <strong>der</strong> Arche befanden, son<strong>der</strong>n auch viele<br />

Fische, die ja schwimmen konnten, aber durch diese Beben unter<br />

Wasser ebenfalls völlig überrascht wurden und zu Millionen mit Erde und<br />

Gestein bedeckt wurden, und tatsächlich hat man nicht nur Fossilien von<br />

Menschen und Dinosauriern gefunden, die das gleiche Alter haben,<br />

son<strong>der</strong>n auch solche von Fischen.<br />

Was die mehr als 8'000 Meter hohen Berge betrifft, die Sie vorhin<br />

erwähnt haben, so gibt es heute deutliche geologische Hinweise darauf,<br />

dass die Berge vor <strong>der</strong> Sintflut höchstens zwischen 2’000 und 3'000<br />

Meter hoch waren, also viel leichter vom Regen bedeckt werden<br />

konnten, und dass diese sich erst danach mit <strong>der</strong> Zeit zu solchen Höhen<br />

entwickelten. Das ist auch eine Erklärung dafür, dass es zum Beispiel für<br />

die Inkas möglich war, ihre berühmte Festung Macchu Picchu im<br />

peruanischen Dschungel zu bauen. Falls Sie schon einmal dort waren<br />

wie ich und vom engen Tal unten, wo es neben einer schmalen Straße<br />

nur noch für einen Zug Platz hat, nach oben schauen und erkennen,<br />

dass diese Festung gar nicht gesehen werden kann und gerade deshalb<br />

jahrhun<strong>der</strong>telang unentdeckt geblieben ist, müssen auch Sie sich<br />

ernsthaft fragen, mit welcher Technik all diese zentimetergenau<br />

geschnittenen Steine nach oben transportiert wurden. Halten Sie es also<br />

nicht auch für möglich, dass dieses Bauwerk genauso wie die Pyramiden<br />

in Ägypten und die paar Maya-Monumente in Mexiko im Flachland unten<br />

errichtet wurde, als dieser Bergkamm erst noch am Entstehen o<strong>der</strong><br />

mindestens noch nicht so hoch war?<br />

Einen deutlichen Hinweis darauf, wie es wohl geschehen ist, haben wir<br />

im Vulkan St.Helen’s, <strong>der</strong> in den Rocky Mountains liegt und zu Beginn<br />

<strong>der</strong> achtziger Jahre des letzten Jahrhun<strong>der</strong>ts plötzlich ausbrach und die<br />

umlegende Landschaft innerhalb von wenigen Stunden zu dem<br />

umpflügte, was sich nach <strong>der</strong> immer noch unbewiesenen Meinung <strong>der</strong><br />

Evolutionisten im Verlauf von Hun<strong>der</strong>ten von Millionen Jahren in <strong>der</strong><br />

84


ganzen Welt entwickelt hat. Stellen Sie sich vor, Herr Stettler: Innerhalb<br />

von nur wenigen Stunden durch einen einzigen Vulkanausbruch und ein<br />

Erdbeben, das diesem folgte - als hätte Gott selbst einen deutlichen<br />

Fingerzeig geben wollen! Dabei sind tragischerweise, aber so wie bei<br />

allen bisherigen Katastrophen, auch Menschen umgekommen, die<br />

genauso begraben wurden wie viele während <strong>der</strong> Erdbeben im Verlauf<br />

<strong>der</strong> Sintflut und nie mehr gefunden worden sind. Doch wir können<br />

immerhin sagen, dass man vorher vom unmittelbar bevorstehenden<br />

Vulkanausbruch wusste und all diese Menschen noch rechtzeitig<br />

gewarnt wurden, dass diese es aber vorzogen, statt zu flüchten zu<br />

Hause zu bleiben.<br />

Was nun diese riesige Wasserglocke betrifft, die ich vorher noch erwähnt<br />

habe, geben <strong>uns</strong> zum Beispiel die Altersangaben aus jenen<br />

Jahrhun<strong>der</strong>ten einen deutlichen Hinweis darauf. Dadurch, dass die Erde<br />

vor <strong>der</strong> Sintflut durch diese Wasserglocke besser vor den radioaktiven<br />

Strahlen, die direkt von <strong>der</strong> Sonne kommen, geschützt war als danach,<br />

war es nach <strong>der</strong> C-14-Datierungsmethode auch möglich, viel älter zu<br />

werden als heute. Wenn wir die Zahlen miteinan<strong>der</strong> vergleichen, fällt das<br />

sofort auf: So starb Adam erst mit 930, sein dritter Sohn Seth mit 912<br />

und Methusalah mit 969 Jahren, so dass dieser Mann unter dem Namen<br />

‚Methusalem’ für ein sehr hohes Alter schon sprichwörtlich geworden ist.<br />

Auch Noah zählte bereits 600 Jahre, als die Sintflut kam, und brachte es<br />

noch auf 950 Jahre, und seine Söhne Sem, Ham und Japhet hatten zu<br />

Beginn des Baus <strong>der</strong> Arche, <strong>der</strong> übrigens nicht weniger als 120 Jahre<br />

lang dauerte, auch schon 100 Jahre auf dem Buckel, waren also<br />

offensichtlich Drillinge, und waren immer noch ohne Kin<strong>der</strong>. Sie halten<br />

das für übertrieben hohe Altersangaben? Wer das glaubt, kennt nicht die<br />

außerbiblischen Schriften an<strong>der</strong>er Völker, in denen sogar von noch<br />

höheren Altersangaben die Rede ist; so wird von einem König<br />

behauptet, er sei mehrere Tausend Jahre alt geworden.<br />

Nach <strong>der</strong> Sintflut fällt es aber auf, wie das Alter <strong>der</strong> Menschen sich im<br />

Verlauf <strong>der</strong> Jahrhun<strong>der</strong>te immehr mehr verringert hat. So wurden von<br />

den bekannten Männern aus <strong>der</strong> Bibel Abraham noch 175 Jahre alt,<br />

Isaak 180, Jakob 147 und Josef schon weniger, gerade noch 110, und<br />

so wie es in <strong>der</strong> Bibel geschrieben steht, starb er als erster von allen<br />

Söhnen Jakobs. Da aufgrund <strong>der</strong> Schrift herauszulesen ist, dass Ruben,<br />

<strong>der</strong> Erstgeborene, kaum mehr als dreissig Jahre älter war als Josef,<br />

heißt dies, dass mit Ausnahme Benjamins, des Jüngsten, alle an<strong>der</strong>en<br />

Brü<strong>der</strong> zwischen 110 und 140 Jahre zählten, als Josef starb, und dass<br />

<strong>der</strong> eine o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e wohl noch mehr als 130 Jahre alt wurde. Einen<br />

deutlichen Hinweis darauf gibt <strong>uns</strong> eine Stelle im zweiten Buch Mose, in<br />

<strong>der</strong> geschrieben steht, dass Levi, also <strong>der</strong> dritte Sohn Jakobs,<br />

mindestens 137-jährig wurde. Wenn wir annehmen, dass er etwas mehr<br />

85


als zwanzig Jahre älter war als Josef, hat er nach dem Tod des elften<br />

Bru<strong>der</strong>s also noch mindestens zehn Jahre gelebt; das stimmt ungefähr<br />

mit dem überein, was ich vorhin gesagt habe.<br />

Übrigens ist in diesem Zusammenhang interessant, dass nur von Josef<br />

und Levi deutlich gesagt wird, wie alt sie wurden - von Josef, weil er in<br />

den letzten Kapiteln des ersten Buches Mose eindeutig die Hauptfigur<br />

ist, und von Levi, weil Moses, Aaron und Mirjam direkt von ihm<br />

abstammten und Moses, <strong>der</strong> es schließlich wissen musste, bei <strong>der</strong><br />

Angabe des Stammbaums als eine nützliche Zusatzinformation auch<br />

dessen Alter angegeben hat. Von Ruben, dem Erstgeborenen, ist also<br />

nicht die Rede, aber auch nicht von Juda, von dem immerhin Jesus<br />

abstammte. Auch ein paar Jahrhun<strong>der</strong>te später, als Jakobs<br />

Nachkommen in Ägypten bekanntlich zu einem großen Volk<br />

heranwuchsen, wurden viele Menschen noch älter als heute. So brachte<br />

es Moses, <strong>der</strong> bekannteste Israelit dieser Epoche, immer noch auf 120<br />

und sein Nachfolger Josua auf 110 Jahre, aber von da an ging es schnell<br />

abwärts, bis es sich ungefähr zu <strong>uns</strong>erem heutigen Stand eingependelt<br />

hat - so starb David schon im Alter von siebzig Jahren, also selbst für die<br />

heutige Zeit fast etwas zu früh.“<br />

„Das tönt ja alles gut und recht“, wirft Hans wie<strong>der</strong> ein, als Hoveneel kurz<br />

innehält, „aber ist das Ganze nicht ein bisschen zu viel Spekulation?<br />

Soviel ich weiß, gibt es bis heute nicht den geringsten Beweis dafür,<br />

dass diese weltweite Sintflut wirklich stattgefunden hat, und<br />

Naturwissenschaftler wie Sie arbeiten doch nur mit Beweisen.“<br />

„Direkt bewiesen wie nach einer mathematischen Formel kann es wohl<br />

nicht werden, da muss ich Ihnen recht geben. Es gibt aber deutliche<br />

Hinweise darauf, vor allem das berühmte Gilgamesch-Epos, von dem<br />

Sie vielleicht auch schon gehört haben. Dieses hat mit <strong>der</strong> Bibel<br />

überhaupt nichts zu tun, vor allem wegen seiner Vielgötterei nicht, aber<br />

im Bereich <strong>der</strong> Sintflut stimmt es erstaunlicherweise fast völlig mit dem<br />

biblischen Bericht überein. Zudem gibt es rund um den Planeten<br />

verstreut Geschichten von einer großen Flut, welche die ganze Erde<br />

vollständig bedeckt hat, und die jahrtausendelang bis heute überliefert<br />

worden sind, zum Beispiel in den baltischen Län<strong>der</strong>n, in Afrika, in<br />

Polynesien und auch in Amerika; so waren die Spanier ganz erstaunt,<br />

als sie bei <strong>der</strong> Eroberung Mittelamerikas hörten, dass auch die Mayas<br />

von <strong>der</strong> Sintflut wussten. Umsonst kann sich diese Geschichte nicht um<br />

die ganze Welt verbreitet haben, so viele Zufälle auf einmal kann es<br />

nicht geben - das sagt <strong>uns</strong> schon allein <strong>der</strong> gesunde<br />

Menschenverstand.“<br />

„Okay, nehmen wir mal an, diese Sintflut habe tatsächlich stattgefunden<br />

- aber wie steht es denn mit den Tieren, die angeblich mit Noah und<br />

86


seiner Familie in <strong>der</strong> Arche waren? Hatte es da wirklich genug Platz?<br />

Und wie war es möglich, so viele völlig verschiedene Tierarten, die sich<br />

ja gegenseitig jagten und fraßen, wie Sie selber gesagt haben, unter<br />

dem gleichen Dach unterzubringen?“<br />

„Was den Platz betrifft, müssen wir zuerst einmal schauen, was in <strong>der</strong><br />

Bibel geschrieben steht: Da lesen wir, dass die Arche 300 Ellen lang, 50<br />

Ellen breit und 30 Ellen hoch war. Wenn wir davon ausgehen, dass eine<br />

Elle, also vom Ellbogen bis zum Ende des Mittelfingers, des längsten<br />

Fingers, bei einem durchschnittlich großen Mann ungefähr 45 Zentimeter<br />

misst, war die Arche ungefähr 135 Meter lang, 22,5 Meter breit und 13,5<br />

Meter hoch. Diese Masse kann ich Ihnen deshalb so schnell bringen,<br />

weil ich sie durch meine vielen Vorträge schon im Kopf habe, also nicht,<br />

weil ich ein beson<strong>der</strong>s guter Mathematiker bin. Selbst für die heutige Zeit<br />

war die Arche also ein großes Schiff, vor allem, was die Länge betrifft,<br />

und für die damalige Epoche erst recht. Es war bis zu diesem Zeitpunkt<br />

mit Sicherheit das größte, das es jemals zuvor gegeben hatte, wenn<br />

nicht gar das allererste überhaupt; es ist ja auch nichts von Schiffen in<br />

<strong>der</strong> Urzeit überliefert.<br />

Vielleicht fragen Sie sich jetzt, wie denn diese Arche gebaut wurde und<br />

wie lange <strong>der</strong> Bau gedauert hat. Wie Sie vielleicht wissen, bestand<br />

Noahs Familie vor <strong>der</strong> Sintflut nur aus acht Personen, aus je vier<br />

Männern und Frauen. Da nicht anzunehmen ist, dass Noah und seine<br />

Söhne von den an<strong>der</strong>en, die sie ständig vor einer zukünftigen großen<br />

Flut warnten, Hilfe bekamen, mussten sie also zu viert das Werk<br />

vollbringen. Wenn wir <strong>uns</strong> vor Augen führen, mit welchen Hilfsmitteln sie<br />

arbeiteten, dauerte es sicher nicht nur ein paar Jahre, son<strong>der</strong>n ein paar<br />

Jahrzehnte, bis sie damit fertig waren. Sie hatten aber auch alle Zeit <strong>der</strong><br />

Welt, denn es steht in <strong>der</strong> Bibel noch vor Noah geschrieben, dass Gott<br />

<strong>der</strong> Menschheit eine Frist von 120 Jahren setzte. Stellen Sie sich vor,<br />

Herr Stettler! So viel Zeit hatte die damalige Menschheit, um noch zu<br />

Gott umzukehren, aber sie tat es nicht. Allein <strong>der</strong> Bau <strong>der</strong> Arche hat also<br />

mit Sicherheit ein paar Jahrzehnte gedauert, und dass die Männer durch<br />

diese Arbeit nicht wesentlich älter wurden, haben wir ja vorher bei den<br />

Altersangaben gesehen; es war halt noch eine ganz an<strong>der</strong>e Welt, die wir<br />

<strong>uns</strong> heute fast nicht mehr vorstellen können.<br />

Jetzt kommen wir aber noch auf die Platzverhältnisse in <strong>der</strong> Arche zu<br />

sprechen, schließlich wollen Sie ja auch darauf eine klare Antwort.<br />

Meinen Sie wirklich, es habe nicht genügend Platz für alle Tiere gehabt?<br />

Es steht doch klar geschrieben, dass Noah von den Landtieren und den<br />

Vögeln von je<strong>der</strong> Art nur je ein Paar mitnehmen sollte, also ein<br />

Männchen und ein Weibchen, damit ihre Art erhalten blieb. Steht aber<br />

geschrieben, dass es ausgewachsene Tiere waren, so dass es mit den<br />

Elefanten o<strong>der</strong> den Kamelen, Löwen und Tigern und so weiter<br />

87


tatsächlich hätte eng werden können? Nein, gerade dies steht nicht<br />

geschrieben; also können wir es zwar nicht beweisen, aber doch<br />

annehmen, dass mindestens die Landtiere noch nicht ausgewachsen<br />

waren.<br />

Dazu haben Sie mich noch gefragt, wie es möglich war, so viele<br />

verschiedene Tierarten, die sonst verfeindet waren und sich gegenseitig<br />

jagten und fraßen, in <strong>der</strong> Arche unterzubringen. Auch auf diese Frage<br />

kann ich Ihnen eine Antwort geben, aber ich muss dazu ein wenig<br />

ausholen: Es hat sich immer wie<strong>der</strong> gezeigt, dass Tiere ihre Feindschaft<br />

untereinan<strong>der</strong> vergessen, wenn sie spüren, dass eine Gefahr, wenn<br />

nicht gar eine Katastrophe aufkommt, die sie alle gleichermaßen<br />

bedroht. Dass sie dafür einen sechsten Sinn haben, zum Beispiel vor<br />

einer Überschwemmung o<strong>der</strong> einem Erdbeben, wissen Sie sicher<br />

ebenfalls. Zu diesem Thema kann ich Ihnen gleich ein Beispiel aus<br />

meinem eigenen Leben erzählen: Im Verlauf meines Studiums und<br />

meiner späteren Forschungsarbeiten ergab es sich von selbst, dass ich<br />

immer wie<strong>der</strong> in den Nahen Osten und damit auch in die Wüstengebiete<br />

reiste. Dort fiel mir jedes Mal auf, dass die Hunde und Katzen, die ich<br />

traf, zu den Menschen viel zutraulicher waren als jene, die außerhalb <strong>der</strong><br />

Wüste lebten, und sich sogar ohne weiteres streicheln ließen. Warum<br />

war das wohl so? Da zeigte sich <strong>der</strong> uralte Trieb des Beschütztwerdens<br />

<strong>der</strong> Haustiere, die in <strong>der</strong> Wüste ohne die Menschen nicht leben können,<br />

da sie auf sie angewiesen sind und nur vom Futter leben können, das<br />

diese ihnen geben. So ergibt sich schon fast von selbst ein vertraulicher<br />

Kontakt, auch wenn wir davon ausgehen können, dass die meisten<br />

Reisenden in <strong>der</strong> Wüste keine Abneigung gegen Tiere empfinden, vor<br />

allem auch deshalb nicht, weil sie ja oft auf Kamele und Dromedare<br />

angewiesen sind; diese Einstellung spüren eben auch die Hunde und<br />

Katzen, mit denen sie zu tun haben.<br />

Um jetzt wie<strong>der</strong> auf die Arche und die Sintflut zurückzukommen:<br />

Glauben Sie mir, Herr Stettler! Als es so weit war, hatten auch diese<br />

Tiere keine Angst vor Noah und seiner Familie, zumal sie von ihnen<br />

sicher gut behandelt wurden. Die Angst vor <strong>der</strong> kommenden<br />

Katastrophe, <strong>der</strong> ersten und auch größten in <strong>der</strong> ganzen<br />

Menschheitsgeschichte, ließ sie zudem jede bisherige Feindschaft<br />

untereinan<strong>der</strong> vergessen, und Gott selbst hat sicher auch noch seinen<br />

Anteil dazu beigetragen, dass das Unternehmen Arche gut verlief - das<br />

heißt für jene, die drinnen waren. Da fällt mir in diesem Zusammenhang<br />

noch etwas ein: Wissen Sie, woher <strong>der</strong> Regenbogen kommt, und wann<br />

er zum ersten Mal erschienen ist?“<br />

«Nein, natürlich nicht», antwortet Hans leicht verlegen.<br />

„Das ist es gerade! Es ist schon erstaunlich, dass die meisten Leute<br />

behaupten, die Sintflut sei nur ein Märchen, ohne sich auch nur ein<br />

88


einziges Mal die Mühe zu nehmen, diese Geschichte genau zu lesen.<br />

Wenn sie das täten, würden sie sehen, woher <strong>der</strong> Regenbogen kommt.<br />

Keine einzige naturwissenschaftliche Analyse konnte das bis heute<br />

beweisen, aber in <strong>der</strong> Bibel steht es geschrieben: Er ist das Zeichen des<br />

neuen Bundes, den Gott mit <strong>der</strong> Menschheit geschlossen hat - mit dem<br />

Versprechen, dass es nie mehr eine Sintflut von diesem Ausmaß geben<br />

wird, und sei die Menschheit noch so verdorben, und bis heute hat er<br />

sich an dieses Versprechen gehalten.“<br />

„Okay, gehen wir also davon aus, dass diese Sintflut sich tatsächlich<br />

so ereignet hat, wie Sie glauben. Warum hat man aber die Arche bis<br />

heute nie gefunden? Wenn sie zuoberst auf einem hohen Berg<br />

gestrandet ist, wie es immer geheißen hat, kann sie doch nicht von<br />

Geröll o<strong>der</strong> einem Gletscher vollständig zugedeckt worden sein, sogar<br />

nach so vielen Jahrtausenden nicht.“<br />

„Doch, Herr Stettler, wenn wir das berücksichtigen, was ich vorher in<br />

Bezug auf die Berge gesagt habe: Dass sie vor <strong>der</strong> Sintflut noch nicht so<br />

hoch waren wie heute und erst danach im Verlauf <strong>der</strong> Jahrhun<strong>der</strong>te so<br />

weit aufstiegen. Ein deutlicher Hinweis darauf ist zum Beispiel die<br />

berühmte Inka-Stadt auf Machupicchu, von <strong>der</strong> wir heute wissen, dass<br />

sie ursprünglich nicht auf dieser Höhe errichtet wurde, son<strong>der</strong>n viel<br />

weiter unten, wie ich Ihnen das schon gesagt habe; so müssen wir das<br />

Gleiche auch bei <strong>der</strong> Arche annehmen.<br />

Trotzdem werden Sie jetzt überrascht sein, von mir zu hören, dass sie<br />

bereits entdeckt worden ist, und zwar zu Beginn des letzten<br />

Jahrhun<strong>der</strong>ts. Warum die Welt bis heute fast nichts davon weiß, hängt<br />

mit einer unglücklichen Verkettung von historischen Ereignissen<br />

zusammen, aber natürlich auch damit, dass die antigöttlichen und<br />

antichristlichen Medien seitdem alles unternommen haben, um die<br />

Existenz <strong>der</strong> Arche und ihre Entdeckung zu unterschlagen, und lei<strong>der</strong> ist<br />

ihnen das auch gelungen. - Also, dann erzähle ich Ihnen jetzt in einer<br />

kurzen Zusammenfassung die Geschichte ihrer Entdeckung: Es war<br />

noch während des Ersten Weltkriegs, als eine Einheit von russischen<br />

Militärpiloten ungefähr vierzig Kilometer vom Berg Ararat, auf dem die<br />

Arche nach den biblischen Angaben gestrandet ist, auf armenischem<br />

Gebiet stationiert war, das damals auch noch zu Russland gehörte.<br />

Eines Tages bekamen zwei von ihnen den Auftrag, ein Flugzeug mit<br />

einem neuen Spezialinstrument an Bord zu testen, also einen Probeflug<br />

zu machen. Das war zu jener Zeit noch jedes Mal etwas völlig Neues,<br />

denn die Fliegerei steckte immer noch in den Kin<strong>der</strong>schuhen, auch wenn<br />

schon im Ersten Weltkrieg Luftkämpfe ausgetragen wurden; diese waren<br />

aber vom militärstrategischen Standpunkt aus gesehen völlig sinnlos,<br />

weil auch die sogenannten Spionageflüge zum Auskundschaften <strong>der</strong><br />

feindlichen Stellungen fast nichts einbrachten. Es war viel mehr Bluff und<br />

89


Macho-Angeberei sowie ein noch nicht ausgestorbenes Denken von<br />

Heldentum <strong>der</strong> Piloten, die sie solche Kämpfe austragen ließen, und<br />

dazu gehörte auch, dass bei ihnen nicht einmal <strong>der</strong> Gedanke aufkam,<br />

einen Fallschirm mit sich zu führen; wer getroffen wurde, <strong>der</strong> wurde halt<br />

getroffen und hatte gefälligst abzustürzen.<br />

Da an jenem Tag sehr schönes Wetter herrschte und <strong>der</strong> Berg Ararat in<br />

verlocken<strong>der</strong> Nähe lag, kam dem Piloten plötzlich die Idee, diesen direkt<br />

anzufliegen. Nachdem er ihn erreicht und ein paar Mal umflogen hatte,<br />

entdeckten die beiden auf einmal in einem See etwas, das an ein Schiff<br />

erinnerte und noch erstaunlich gut erhalten war. Sofort kehrten sie<br />

zurück und erzählten ihren Kameraden vom Fund; diese lachten sie<br />

zuerst aus, bis ein Hauptmann, <strong>der</strong> Kommandant <strong>der</strong> Fliegerstaffel, die<br />

beiden dazu auffor<strong>der</strong>te, ihm die Stelle zu zeigen. Also flogen sie noch<br />

einmal hin und nachdem auch <strong>der</strong> Hauptmann das Schiff gesehen hatte,<br />

erklärte er ihnen nach <strong>der</strong> Rückkehr, dass sie mit Sicherheit die Arche<br />

Noah entdeckt hatten. Ob er ein gläubiger Christ war o<strong>der</strong> nicht, wissen<br />

wir nicht, doch mit seiner Aussage trug er entscheidend dazu bei, dass<br />

die beiden Piloten ernsthaft über die Sintflut und damit auch über Gott<br />

nachzudenken begannen und sich später zu Jesus Christus bekehrten;<br />

das wissen wir, weil <strong>der</strong> betreffende Pilot diese Geschichte später erzählt<br />

hat.<br />

Erst jetzt wurde wie<strong>der</strong> daran erinnert, dass die Armenier, die im späten<br />

Altertum noch eine Regionalmacht gewesen waren und auch nach dem<br />

Verlust dieser Stellung noch viele Jahrhun<strong>der</strong>te lang rund um den Berg<br />

Ararat gewohnt hatten, sehr wohl wussten, dass ganz oben etwas lag,<br />

das wie ein Schiff aussah. Da dieser Berg für sie aber heilig war - also<br />

ähnlich wie <strong>der</strong> Uluru für die Aborigines in Australien - und <strong>der</strong><br />

Alpinismus noch nicht Mode war, stieg niemand auf diesen Berg, <strong>der</strong><br />

immerhin auch mehr als 5'000 Meter hoch liegt. So verschwand im<br />

Verlauf <strong>der</strong> Jahrhun<strong>der</strong>te immer mehr von <strong>der</strong> Arche, aber ein Teil davon<br />

konnte immer noch gesehen werden - allerdings offensichtlich nicht von<br />

denen, die diesen Berg schon um das Jahr 1820 zum ersten Mal<br />

besiegen hatten.<br />

Nachdem also <strong>der</strong> Hauptmann seine Untergebenen darüber aufgeklärt<br />

hatte, was sie entdeckt hatten, schickte er einen Bericht an die<br />

Regierung und an den Zaren, <strong>der</strong> nominell sein ranghöchster<br />

militärischer Vorgesetzter und immer noch an <strong>der</strong> Macht war. Dieser<br />

zeigte sich sehr interessiert und ordnete an, dass eine Expedition von<br />

Soldaten ausgerüstet werden sollte, die den Berg ersteigen sollte, um<br />

sich das Schiff näher anzuschauen und Fotografien zu machen. Wie wir<br />

heute wissen, war Nikolaus <strong>der</strong> Zweite zwar ein schwacher Zar, <strong>der</strong><br />

mehrere dumme Fehler machte - vor allem <strong>der</strong> Befehl an seine Truppen,<br />

den Serben beizustehen, was zum Ersten Weltkrieg und später zu<br />

90


seinem Sturz und zur Ermordung <strong>der</strong> ganzen Zarenfamilie <strong>führt</strong>e -, aber<br />

auf dem Gebiet <strong>der</strong> Fotografie, die damals genauso wie die Fliegerei<br />

noch in den Kin<strong>der</strong>schuhen steckte, gehörte er zu den fortschrittlichsten<br />

Pionieren. Gerade aus diesem Grund sind so viele Aufnahmen und auch<br />

Filme mit seinen Familienangehörigen entstanden, und die meisten sind<br />

noch bis heute erhalten geblieben.<br />

So stiegen also ungefähr 150 Mann von zwei Seiten auf und nach einem<br />

Monat erreichten sie tatsächlich die Arche. Sofort machten sie sich<br />

daran, Messungen vorzunehmen, Zeichnungen anzufertigen und<br />

Fotografien zu machen. In <strong>der</strong> Arche selber, die nur etwa zu einem<br />

Viertel unter Wasser stand, entdeckten die Männer Hun<strong>der</strong>te von<br />

verschieden großen Räumen, in denen also ohne weiteres viele Tiere<br />

untergebracht werden konnten, und sie erkannten zudem, dass das<br />

verwendete Holz ein ganz spezielles war, das dem natürlichen Zerfall<br />

noch sehr lange wi<strong>der</strong>stehen konnte. So hat dieses Holz zusammen mit<br />

dem wachsähnlichen Material, das darübergestrichen wurde, und<br />

natürlich mit <strong>der</strong> Kälte dort oben wesentlich dazu beigetragen, dass die<br />

Arche bis zu diesem Zeitpunkt gut erhalten geblieben war. All diese<br />

Erkenntnisse wurden dem Zaren gemeldet, indem das ganze Material<br />

mitsamt den Negativen geschickt wurde, doch bevor dieser dazu kam,<br />

es richtig auswerten zu lassen, wurde er von seinem Thron gestürzt,<br />

allerdings noch nicht von den Bolschewisten, aber auch die Leute unter<br />

Kerenski waren gegen ihn. Das war <strong>der</strong> zweite böse Fehler von Kerenski<br />

- neben dem noch schwerwiegen<strong>der</strong>en, dass er den Krieg gegen<br />

Deutschland und Österreich-Ungarn nicht rechtzeitig beendete, son<strong>der</strong>n<br />

weiter<strong>führt</strong>e und damit <strong>der</strong> Mör<strong>der</strong>bande um Lenin, Trotzi und Stalin<br />

noch zusätzliche Schützenhilfe für den nächsten Sturz lieferte, bei dem<br />

auch er selber am Ende die Macht verlor.<br />

Ein halbes Jahr später kamen also die Bolschewisten an die Macht, und<br />

da diese bekanntlich aggressive Atheisten waren und das auch damit<br />

bewiesen, dass sie in kurzer Zeit Zehntausende von Christen und auch<br />

Moslems erschossen, unternahmen sie alles, um jedes Beweismaterial<br />

zu diesen Funden zu vernichten. So sind <strong>uns</strong> nur noch die mündlichen<br />

Berichte <strong>der</strong> Piloten geblieben, denen nach <strong>der</strong> Russischen Revolution<br />

die Flucht in den Westen geglückt ist - natürlich mit Flugzeugen. Warum<br />

seitdem keine Versuche mehr unternommen wurden, dieser Sache noch<br />

einmal genauer nachzugehen, kann ich auch nicht sagen. Von <strong>der</strong><br />

Türkei aus, die damals von Atatürk und seinen engsten Getreuen und<br />

damit auch von antireligiösen und sogar antiislamischen Kräften regiert<br />

wurde, wäre es schließlich noch möglich gewesen, doch aus<br />

irgendeinem Grund, den die an<strong>der</strong>e, also die satanische Seite, benützt<br />

hat, um die Wahrheit des biblischen Berichts um jeden Preis zu<br />

unterdrücken, hat man es dabei bewenden lassen. Als dann in den<br />

91


Sechziger- und Siebzigerjahren endlich wie<strong>der</strong> Versuche unternommen<br />

wurden, die Arche zu finden, gelang das nicht mehr. Wahrscheinlich<br />

wurde sie nachträglich doch noch im Wasser o<strong>der</strong> noch tiefer begraben,<br />

doch wir wissen das nicht mit Sicherheit. Es kann aber auch sein, dass<br />

die Bolschewisten nachträglich die Zerstörung befohlen und dafür<br />

gesorgt haben, dass sämtliche militärischen Dokumente darüber<br />

verbrannt wurden. Denen konnte ja wirklich alles zugetraut werden,<br />

wenn wir daran denken, wie viele Kirchen, Kapellen und Klöster zerstört<br />

und wie viele Christen massakriert wurden - aber keineswegs nur von<br />

den Kommunisten.<br />

Wie Sie sicher auch wissen, wurden damals im gleichen Jahrzehnt auch<br />

mehr als eine Million Armenier von den sogenannten Jungtürken<br />

abgeschlachtet, zu denen auch Atatürk gehörte. Es passt zum<br />

islamischen Denken, dass die offizielle Türkei sich noch bis heute<br />

weigert, diesen Völkermord anzuerkennen, und allen westlichen Staaten,<br />

die darauf drängen, damit das Land <strong>der</strong> EU beitreten kann, mit<br />

wirtschaftlichen Sanktionen drohen, und lei<strong>der</strong> sind die Türken bis zu<br />

einem Grad dazu fähig; so könnten sie das ganze Schwarze Meer für<br />

den internationalen Schiffsverkehr sperren, und dann könnten nicht<br />

einmal Russland und die Ukraine, die das natürlich als eine<br />

Kriegserklärung auffassen müssten, viel daran än<strong>der</strong>n.<br />

Was aber immer noch zu wenig bekannt wurde, ist die Tatsache, dass<br />

nicht nur mehr als eine Million Armenier, son<strong>der</strong>n auch noch mehrere<br />

100'000 christliche Assyrer, <strong>der</strong>en paar Tausend Nachkommen noch<br />

heute Aramäisch, also die Muttersprache des Herrn sprechen, auf die<br />

gleiche Weise abgeschlachtet wurden. Doch im Gegensatz zu den<br />

Armeniern, die im bekannten Sänger Charles Aznavour noch einen<br />

Vetreter hatten, <strong>der</strong> immer wie<strong>der</strong> auf diesen Völkermord hinwies -<br />

schließlich waren seine Eltern echte Armenier -, hatte dieses Volk nie<br />

eine so bekannte Persönlichkeit, und das hat sich noch bis heute<br />

insofern als verhängnisvoll erwiesen, als in <strong>der</strong> ganzen Welt offiziell noch<br />

nie auch von diesem zweiten massiven Völkermord im gleichen<br />

Jahrzehnt geredet wurde. Stellen Sie sich vor, in welche bedrängte Lage<br />

die Türkei erst recht käme, wenn auch nur einer <strong>der</strong> Politikerinnen und<br />

Politiker, die in <strong>der</strong> vor<strong>der</strong>sten Reihe stehen, endlich einmal den Mut<br />

aufbringen würde, auch darüber zu sprechen! Es wäre wirklich tragisch,<br />

würde aber auch gut zum anpasserischen und feigen Geist dieser Welt<br />

passen, wenn es nochmals ein paar Jahrzehnte dauern würde, bis<br />

endlich auch von den Assyrern gesprochen wird, wenn wir daran<br />

denken, dass es bei den Armeniern und dazu auch bei den Tibetern, die<br />

bekanntlich von einem an<strong>der</strong>en mächtigen Staat unterdrückt wurden, so<br />

lange gedauert hat.<br />

Ich spreche darum von Anpassertum und Feigheit, weil von den<br />

92


Armeniern und Tibetern offiziell nie die Rede sein durfte, solange die<br />

Türkei während des sogenannten Kalten Kriegs ein strategisch wichtiger<br />

NATO-Partner war und solange die Kommunisten und Sozialisten einen<br />

auffallend großen Teil <strong>der</strong> westlichen Presse kontrollierten und China als<br />

ein rotes Vorzeige-Paradies galt. Erst als im Jahr 1989 das<br />

Friedensnobelpreis-Komitee in Oslo ausnahmsweise die<br />

opportunistische Fahne nicht in den Wind hängte wie so viele Male<br />

vorher und auch nachher und diesen Preis dem Dalai Lama zusprach,<br />

<strong>der</strong> bekanntlich immer für einen gewaltlosen Kampf eingetreten war,<br />

wurde dieses Land auch für die linke Szene salonfähig, und dazu hat<br />

sicher auch beigetragen, dass innerhalb von nur wenigen Wochen zuerst<br />

die Mauer in Berlin fiel und kurz darauf eine kommunistische Regierung<br />

nach <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en in Osteuropa gestürzt wurde - Gott sei Dank, können<br />

wir da nur sagen, und ich bin sicher, dass <strong>der</strong> Allmächtige damals noch<br />

höchstpersönlich mitgeholfen hat.<br />

Was jetzt dieses doppelte Abschlachten <strong>der</strong> Armenier und Assyrer und<br />

teilweise auch noch <strong>der</strong> Griechen betrifft, die in Kleinasien lebten,<br />

müssen wir wissen, dass es nicht nur Türken waren, denn es haben sich<br />

auch auffallend viele Kurden daran beteiligt. Das scheint heute seltsam,<br />

wenn wir daran denken, dass diese beiden Völker schon seit<br />

Jahrzehnten verfeindet sind und dass in <strong>der</strong> Region, die als ‚Kurdistan’<br />

bezeichnet wird - also von <strong>der</strong> Türkei über Syrien, Nordirak und Westiran<br />

-, noch heute kein Friede herrscht. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass<br />

die meisten Kurden genauso wie die Türken Moslems sind, und so<br />

rechneten sich ihre Anführer aus, dass das Beseitigen <strong>der</strong> Armenier und<br />

Assyrer ihnen mehr Lebensraum verschaffen würde, und sie bekamen<br />

damit tatsächlich Recht. Die Kurden waren und sind also nicht nur Opfer,<br />

wie das seit Jahrzehnten in <strong>der</strong> ganzen Welt verbreitet wird, son<strong>der</strong>n es<br />

hat sich ein Teil von ihnen auch schuldig gegenüber zwei an<strong>der</strong>en<br />

Völkern gemacht.»<br />

Dann legt er eine kurze Verschnaufpause ein, setzt aber sogleich wie<strong>der</strong><br />

ein: «Jetzt bin ich etwas ausgeschweift, aber ich denke, dass ich es<br />

diesen beiden christlichen Völkern, die sich neben den Georgiern als<br />

Erste zum Christentum bekehrt haben, ganz einfach schuldig bin, diesen<br />

Völkermord bei je<strong>der</strong> sich bietenden Gelegenheit zu erwähnen. Ich wollte<br />

aber auch noch diese Geschichte vom Fund <strong>der</strong> Arche zu Ende<br />

erzählen, und wenn ich mich richtig erinnere, bin ich bei diesen Piloten<br />

und den übrigen Mitglie<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Fliegerstaffel und <strong>der</strong> Expedition stehen<br />

geblieben. Wir können davon ausgehen, dass fast allen zwar noch die<br />

Flucht gelungen ist, dass sie aber wahrscheinlich aus Angst<br />

jahrzehntelang geschwiegen haben, und wenn sie doch versucht hätten,<br />

darüber zu berichten, wären sie wohl totgeschwiegen o<strong>der</strong> gar<br />

93


umgebracht worden. Sie wissen ja sicher auch, dass früher die<br />

kommunistischen Geheimdienste genauso wie heute die Islamisten in<br />

<strong>der</strong> ganzen Welt gewirkt und viele noch im Exil ermordet haben, so auch<br />

Trotzki, dem es nichts genützt hat, dass er sich in Mexiko versteckte.<br />

Immerhin können wir von diesem sagen, dass er im Gegensatz zu Lenin,<br />

Stalin und Mao, die einen natürlichen Tod erleben konnten, nachträglich<br />

doch noch seine Strafe bekommen hat, wenn wir daran denken, wie<br />

viele Morde allein auf sein Konto gehen. So wissen wir, dass er <strong>der</strong><br />

eigentliche Grün<strong>der</strong> <strong>der</strong> Roten Armee war, und da diese zu Beginn zu<br />

wenige gut ausgebildete Offiziere hatte, zwang er Tausende, die nach<br />

dem Ersten Weltkrieg noch unversehrt in die Heimat zurückgekehrt<br />

waren, zum Eintritt. Wer sich weigerte, wurde natürlich sofort und<br />

mitsamt seinen Angehörigen und oft auch Verwandten bis zu allen<br />

Kleinkin<strong>der</strong>n und Babys erschossen, und wenn es herauskam, dass <strong>der</strong><br />

eine o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e sich den sogenannten Weißen angeschlossen hatte,<br />

die gegen die Bolschewisten kämpften, mussten ihre Angehörigen und<br />

Verwandten den gleichen Preis bezahlen. Trotzki war also keineswegs<br />

dieser gutmütige Bartträger, <strong>der</strong> gegen den bösen Stalin kämpfte und<br />

dabei den Machtkampf verlor und zur Flucht ins Exil getrieben wurde,<br />

wie er seit Jahrzehnten noch heute von den meisten Linken und auch<br />

bürgerlich gesinnten Leuten dargestellt wird. Das Gleiche betrifft auch<br />

Leute wie Fidel Castro, Che Guevara und HoTschi Minh, die eine ähnlich<br />

gute Presse haben, aber es würde zu weit führen, wenn ich jetzt auch<br />

noch auf diese Massenmör<strong>der</strong> näher eingehen würde.<br />

Was jetzt dieses entdeckte Schiff betrifft, sind das alles natürlich nur<br />

Spekulationen, die <strong>uns</strong> nicht weiterbringen und <strong>uns</strong> im Gegenteil umso<br />

deutlicher vor Augen führen, dass damals eine einmalige historische<br />

Chance verpasst worden ist. Für einmal war es ein fataler Fehler, dass<br />

das ganze Material sofort <strong>der</strong> Regierung geschickt wurde, ohne daran zu<br />

denken, dass diese gestürzt werden könnte. Trotzdem zweifle ich nicht<br />

daran, dass auch die Geschichte von <strong>der</strong> Sintflut und <strong>der</strong> Arche sich<br />

wirklich so ereignet hat, wie sie in <strong>der</strong> Bibel geschrieben steht, und dass<br />

seitdem für die ganze Menschheit ein neuer Abschnitt begonnen hat.“<br />

Nach diesen Worten schweigen sie wie<strong>der</strong> eine kleine Weile, bis Hans<br />

einsetzt: „Okay, Herr Hoveneel, da Sie jetzt gerade dabei waren, von <strong>der</strong><br />

Menschheit als Ganzes zu sprechen, können wir jetzt auch zu dem<br />

Thema kommen, das wir noch nicht behandelt haben, obwohl es im<br />

Grunde genommen das ist, was die Leute am meisten interessiert.“<br />

„Ja, ich weiß“, hakt Hoveneel sofort wie<strong>der</strong> ein, „Sie wollen von mir<br />

endlich auch einmal wissen, ob die Menschen von den Affen abstammen<br />

o<strong>der</strong> nicht o<strong>der</strong> ob wir tatsächlich von einem Gott erschaffen worden sind<br />

- mit an<strong>der</strong>en Worten, ob die Evolutionstheorie überhaupt stimmt. Dazu<br />

94


muss ich aber ein wenig ausholen: Erinnern Sie sich noch daran, was ich<br />

gerade vorhin gesagt habe, als Noah von Gott den Auftrag bekam, von<br />

allen Landtieren und Vögeln je ein Paar nach seiner Art mit in die Arche<br />

zu nehmen? Ich betone ‚nach seiner Art’, wie das im Schöpfungsbericht<br />

so geschrieben steht. Wenn es also schon von Anfang an verschiedene<br />

Tiere nach ihrer eigenen Art gab, ohne dass von einer Evolution die<br />

Rede ist, muss das logischerweise auch noch heute so sein.<br />

Wer sich ernsthaft und ohne Vorurteile damit auseinan<strong>der</strong>setzt, erkennt<br />

schon bald, dass es unmöglich eine Evolution gegeben haben kann. Bis<br />

heute gibt es keinen einzigen klaren Beweis für diese sogenannten<br />

‚missing links’, also Zwischenstufen, die eine Evolution untermauern. So<br />

hat es sich auch beim ausgestorbenen sogenannten Archäopterix, von<br />

dem Sie wahrscheinlich auch schon gehört haben, deutlich gezeigt, dass<br />

er überhaupt kein Bindeglied zwischen einem Reptil und einem Vogel<br />

sein konnte, son<strong>der</strong>n tatsächlich ein Vogel war, weil die Flügel schon voll<br />

ausgebildet und die Knochen so dünn wie bei Vögeln waren, also einer<br />

Evolution völlig wi<strong>der</strong>sprechen. So gibt es bis heute auch keinen<br />

einzigen klaren Beweis dafür, dass die Amphibien wie etwa die Frösche<br />

sich aus den Fischen entwickelt haben, dass die Elefanten direkt von<br />

den Mammuts abstammen o<strong>der</strong> dass die Löwen und Tiger an<strong>der</strong>e<br />

Vorfahren hatten. Das zeigt sich auch darin, dass es fast nie gelingt, eine<br />

Tierart mit einer an<strong>der</strong>en zu kreuzen, um Junge hervorzubringen, und<br />

wenn es durch einen reinen Zufall doch gelingt, sind diese Zwitter nicht<br />

fortpflanzungsfähig. Gott lässt sich eben nicht in sein Handwerk<br />

pfuschen und wenn es noch einen Beweis dafür braucht, dann den, dass<br />

auch die geklonten Tiere sich nicht weiter fortpflanzen können und viele<br />

von ihnen missgebildet zur Welt kommen o<strong>der</strong> sogar vor <strong>der</strong> Geburt im<br />

Mutterleib sterben; nur wird das von den Medien fleißig verschwiegen -<br />

und wir wissen auch warum.<br />

Dass ein solcher Zwitter nicht fortpflanzungsfähig ist, hat man vor Jahren<br />

übrigens auch beim sogenannten ‚Liger’ gesehen, <strong>der</strong> als eine Mischung<br />

zwischen einem Löwen und einem Tiger entstanden ist, aber auch beim<br />

sogenannten ‚Kama’, einer Mischung zwischen einem Kamel und einem<br />

Lama. Selbst diese paar wenigen Kreuzungen waren aber nur deshalb<br />

möglich, weil die Löwen und Tiger als Raubtiere verwandte Gene<br />

aufweisen, genauso wie die Kamele und Lamas, die immerhin<br />

gemeinsam haben, dass sie den Menschen als nützliche Lasttiere<br />

dienen. Ansonsten sind bis heute keine Kreuzungen außerhalb einer<br />

eigenen Art möglich, aber außerhalb einer Tierrasse, die nicht mit einer<br />

Art verwechselt werden darf, alles Mögliche, zum Beispiel unter den<br />

verschiedenen Hunden- und Katzenrassen. Diese strenge Trennung<br />

nach den Arten zeigt sich aber nicht nur bei den Landtieren, son<strong>der</strong>n<br />

auch bei den Vögeln, obwohl diese untereinan<strong>der</strong> noch mehr verwandte<br />

95


Gene aufweisen, und sogar bei den Fischen; jedenfalls hat man bis<br />

heute noch nie feststellen können, dass solche Kreuzungen möglich sind<br />

und deshalb auch vorkommen. Das wäre aber eine klare Bedingung, um<br />

eine Evolution zu belegen, weil alle Meerestiere die gleichen o<strong>der</strong><br />

mindestens ähnliche Gene haben müssten, wenn tatsächlich alle sich<br />

aus dem gleichen Urtier entwickelt hätten.<br />

Das Gleiche gilt übrigens auch für die Dinosaurier, von denen die<br />

Wissenschaft in <strong>der</strong> heutigen Zeit angeblich schon fast alles weiß. Dass<br />

die Pflanzen fressenden Brontosauriere sich mit den Fleisch fressenden<br />

Tyrannosaurus nicht kreuzen konnten, liegt auf <strong>der</strong> Hand, aber es fehlt<br />

bis heute eine Erklärung dafür, warum sie sich zum Beispiel nie mit den<br />

Stegosaurieren gekreuzt haben, die ja ebenfalls Pfanzenfresser waren<br />

und als Markenzeichen ein großes Einhorn hatten und eine Art Kamm<br />

auf dem Kopf trugen. Wenn schon all diese Tiere sich durch eine<br />

Evolution entwickelt haben, hätten solche Kreuzungen doch ohne<br />

weiteres möglich sein müssen, weil gerade diese ja artenverwandt<br />

waren. Es gibt aber keinen einzigen Hinweis darauf, dass so etwas<br />

geschehen ist, im Gegenteil, es ist nichts weiter als dies bekannt, dass<br />

die Saurier genauso wie die heute noch lebenden Tiere immer nur in<br />

ihrer eigenen Art unter sich geblieben sind.<br />

Da ich schon dabei bin, von den Bewohnern <strong>der</strong> Ozeane und Meere zu<br />

sprechen, muss ich auch dies klarstellen: Natürlich haben all jene<br />

überlebt, die von den Geröllmassen, von denen ich vorhin erzählt habe,<br />

nicht bedeckt wurden - damit aber auch sehr viele Dinosaurier, die nur in<br />

den Gewässern lebten. Wenn ich vorhin gesagt habe, dass die Landtiere<br />

mit Ausnahme <strong>der</strong>er, die in <strong>der</strong> Arche waren, umgekommen sind, gilt das<br />

natürlich auch für die Dinosaurier, aber eben nur für jene, die auf dem<br />

Land lebten, und für die Flugtiere - den Namen ‚Vogel’ verwende ich jetzt<br />

bewusst nicht. Dass die Dinosaurier nicht endgültig ausgestorben sind,<br />

zeigen <strong>uns</strong> neben den Riesenechsen, die es auf den Galapagos-Inseln<br />

immer noch gibt, die aber nur als entfernte Verwandte gelten, die sich<br />

weiterentwickelt haben, immer wie<strong>der</strong> neue Entdeckungen von scheinbar<br />

außergewöhnlichen Monstren. Dabei brauchen wir nicht jedes Mal an die<br />

legendäre Nessie vom schottischen Loch Ness zu denken, die vielleicht<br />

doch existiert. Ich kann an dieser Stelle nur bestätigen, was ein<br />

bekannter Naturwissenschaftler schon vor vielen Jahren gesagt hat: Wir<br />

wissen noch längst nicht über alles Bescheid, was sich in den Tiefen <strong>der</strong><br />

Ozeane aufhält. Damit hatte er auch insofern Recht, als <strong>der</strong> Marianenund<br />

<strong>der</strong> Tongagraben, die beiden tiefsten <strong>der</strong> Welt, noch bis heute nur<br />

schwach erforscht worden sind.“<br />

Erneut legt er eine kleine Verschnaufpause ein, bis er fortfährt: „Was nun<br />

eine mögliche Evolution betrifft, muss ich betonen, dass bei <strong>der</strong><br />

96


Datierung von Tieren und damit auch <strong>der</strong> Menschen zum Teil<br />

haarsträubend fahrlässig umgegangen worden ist. Da kam es zum<br />

Beispiel vor, dass ein Insekt, das in einem angeblich Millionen Jahre<br />

alten Gestein gefunden wurde, als ausgestorben galt - dabei lebt es<br />

noch heute. Ebenfalls ist es vor nicht allzu langer Zeit vorgekommen,<br />

dass es bei einem an<strong>der</strong>en Insekt hieß, die an<strong>der</strong>e Farbe als die eines<br />

seiner Vorgänger in <strong>der</strong> Evolution sei ein klarer Beweis für eine<br />

allmähliche Mutation - dabei wurde übersehen, dass es dort, wo es lebte,<br />

allein wegen <strong>der</strong> Luftverschmutzung die an<strong>der</strong>e Farbe bekommen hatte.<br />

Die gleichen haarsträubenden Fehler, die aber oft auch bewusst<br />

gemacht wurden, um eine Evolution um jeden Preis herbeizureden,<br />

haben sich auch bei den Affen und den Menschen wie<strong>der</strong>holt. So wurde<br />

aus den Knochen eines alten Mannes, <strong>der</strong> vor ein paar Jahrzehnten an<br />

Gicht gestorben war, ohne weiteres Diskutieren <strong>der</strong> Nean<strong>der</strong>taler<br />

konstruiert, und in einem an<strong>der</strong>en Fall kam es sogar vor, dass <strong>der</strong> Zahn<br />

einer ausgestorbenen Schweineart als fehlendes Beweisstück<br />

vorgebracht wurde.<br />

Ich will jetzt aber nicht näher auf diese pseudowissenschaftlichen<br />

Schmierenkomödien eingehen, weil das auch Ihnen nichts bringen<br />

würde und weil ich es auch zu blöd finde. Das gilt auch für die Aussage<br />

von Evolutionisten, die als eine kleine Kompromisslösung vorgeschlagen<br />

haben, dass man die Geschichte von Adam und Eva zwar als Ergänzung<br />

noch akzeptieren könne, dass es jedoch schon vorher eine<br />

präadamitische Rasse gab, die sich aus den Affen entwickelt hatte, und<br />

dass Kain mit einer dieser Frauen Nachkommen gezeugt hat. Auch<br />

diese Aussage kann aus zwei Gründen nicht stimmen: Erstens gibt es<br />

keine Beweise dafür, dass in den letzten 10'000 Jahren neben dem<br />

heutigen sogenannten Homo sapiens noch eine an<strong>der</strong>e Menschenart<br />

existiert hat, und zweitens steht im ersten Buch Mose, Kapitel drei, Vers<br />

zwanzig, ebenfalls deutlich, dass Eva die Mutter aller Lebendigen ist.<br />

Damit sind die Menschen gemeint - und wie wir heute sehen können,<br />

hatte Gott seinen ganz bestimmten Grund, warum er diesen Satz von<br />

Moses nie<strong>der</strong>schreiben ließ. So liegt es nahe, dass Kains Frau nur eine<br />

seiner Schwestern sein konnte, die schon damals lebte, als er die<br />

Familie nach dem Mord an seinem Bru<strong>der</strong> Abel verlassen musste, denn<br />

es steht ebenfalls geschrieben, dass Adam und Eva über Jahrhun<strong>der</strong>te<br />

hinweg Söhne und Töchter gezeugt haben, also noch vor diesem<br />

Ereignis. Damals war es noch möglich, mit einer Schwester Kin<strong>der</strong> in die<br />

Welt zu stellen, weil Gott die Inzucht noch nicht verboten hatte - das kam<br />

erst zur Zeit des Mose -, und weil vor <strong>der</strong> Sintflut wie gesagt noch ganz<br />

an<strong>der</strong>e Verhältnisse geherrscht haben ... nicht nur klimatologisch,<br />

son<strong>der</strong>n auch im soziologischen Bereich.<br />

Was ich Ihnen aber noch sagen wollte, ist dies: Es gibt einen klaren<br />

97


Beweis dafür, dass die Menschen unmöglich von den Affen abstammen<br />

o<strong>der</strong> wenigstens die gleichen o<strong>der</strong> ähnlichen Vorfahren haben können,<br />

wie das ab und zu auch noch geheißen hat, auch wenn diese im<br />

Gegensatz zu den meisten Landtieren und Vögel, die bekanntlich vier<br />

Zehen haben, genauso wie wir fünf Finger haben und eine ähnliche<br />

soziologische Hierarchie kennen. Ausgerechnet bei den Tierversuchen,<br />

die auch nur deshalb durchge<strong>führt</strong> werden, weil es aus lauter Glauben<br />

an die Evolution an Gottesfurcht und an Respekt vor seiner Schöpfung<br />

und damit auch den Tieren gegenüber fehlt, hat es sich deutlich<br />

erwiesen, dass die Affen auf sämtliche Forschungsmittel völlig an<strong>der</strong>s<br />

reagieren, als man aufgrund ihrer angeblichen Verwandtschaft mit den<br />

Menschen hätte erwarten können. Der deutlichste Beweis dafür, dass<br />

die Menschen nicht von den Affen abstammen können, liegt aber in <strong>der</strong><br />

Verschiedenheit <strong>der</strong> Blutgruppen. Wie Sie sicher auch wissen, haben wir<br />

Menschen vier verschiedene Blutgruppen - A, B, AB und O -, und dazu<br />

haben die einen noch einen Rhesusfaktor, werden also als solche<br />

bezeichnet, die einen positiven Rhesusfaktor haben, und die an<strong>der</strong>en<br />

haben keinen und gelten damit als solche, die einen negativen<br />

Rhesusfaktor haben.<br />

Diese Verschiedenheiten sind so krass, dass gruppenübergreifende<br />

Bluttransfusionen nicht möglich sind, ja, oft nicht einmal dann, wenn die<br />

Blutgruppen zwischen zwei Menschen zwar identisch sind, die aber zwei<br />

verschiedene Rhesusfaktoren haben - jedenfalls <strong>führt</strong> das so gut wie<br />

immer zu schweren Komplikationen. Wie steht es aber mit den Affen?<br />

Heute wissen wir, dass auch diese verschiedene Blutgruppen haben,<br />

aber ganz an<strong>der</strong>s verteilt als bei den Menschen, und zudem haben sie<br />

nicht zwei verschiedene Rhesusfaktoren. Es wäre theoretisch vielleicht<br />

möglich, das Blut zum Beispiel eines Schimpansen auf einen Gorilla<br />

o<strong>der</strong> das Blut eines Gorillas auf einen Orang-Utan o<strong>der</strong> Pavian zu<br />

übertragen, aber man hat das noch bis heute nie versucht, soviel ich<br />

weiss. Wenn es jedoch tatsächlich möglich wäre, das Blut von Affen auf<br />

Menschen zu übertragen, hätte man das sicher schon längst in alle Welt<br />

hinausposaunt, weil gerade dies nach <strong>der</strong> Meinung <strong>der</strong> Evolutionisten<br />

<strong>der</strong> deutlichste Beweis dafür wäre, dass die Menschen von den Affen<br />

abstammen o<strong>der</strong> mindestens die gleichen Vorfahren haben. Man tut das<br />

aber nicht, weil die zuständigen Leute schon längst entdeckt haben,<br />

dass das ganz einfach nicht möglich ist, dass gerade in diesem Bereich<br />

den menschlichen Fähigkeiten Grenzen gesetzt sind.<br />

Ein weiterer deutlicher Hinweis darauf, dass keine Evolution von Affen<br />

auf Menschen stattgefunden haben kann, zeigt sich auch bei <strong>der</strong><br />

Radioaktivität, von <strong>der</strong> ich vorher schon einmal gesprochen habe. Was in<br />

den Jahren 1945, 1986 und 2011 in Hiroshima, Nagasaki, Tschernobil<br />

und Fukushima geschehen ist, wissen Sie sicher auch, aber es ist in <strong>der</strong><br />

98


Welt fast nicht bekannt und wird von den Medien auch bewusst<br />

verschwiegen, dass die Menschen durch die radioaktiven Strahlen<br />

nachträglich Krebs bekommen, an dem sie noch zu Zehntausenden<br />

sterben, während die Affen schon immer dagegen immun waren. Das<br />

Gleiche gilt auch für Krankheiten wie Grippe, Masern, Röteln und so<br />

weiter, was die Affen nie bekommen, soweit wir bis heute wissen,<br />

während die Krankheiten, welche die Affen bekommen, an den<br />

Menschen abprallen.<br />

Noch ein Hinweis auf eine göttliche Schöpfung ist die Tatsache, dass bei<br />

den Indianern keine Bärte wachsen, und zwar bei allen Hun<strong>der</strong>ten von<br />

verschiedenen Stämmen von Kanada bis Chile, und noch bis heute kann<br />

das wissenschaftlich nicht erklärt werden. Zudem bekam auch das kleine<br />

Volk <strong>der</strong> Ainu, das im Norden Japans lebt, keine Bärte, solange sie sich<br />

mit den echten Japanern im Süden nicht vermischten. Wenn die<br />

Menschen tatsächlich von den Affen abstammen würden, müssten doch<br />

auch bei den Indianern Bärte wachsen, denn es wäre sogar für die<br />

Evolutionisten zu viel Spekulation dabei, wenn sie annehmen müssten,<br />

dass die einen sich zu solchen entwickelt haben, denen Bärte wachsen,<br />

und die an<strong>der</strong>en nicht. Glauben Sie nicht auch, dass Gott die<br />

Verschiedenheit <strong>der</strong> Blutgruppen und auch <strong>der</strong> menschlichen Rassen in<br />

Bezug auf die Bärte bewusst so zugelassen hat, weil er sehr wohl<br />

wusste, dass am Ende <strong>der</strong> Zeiten, in denen wir <strong>uns</strong> heute befinden, ein<br />

ganzes Heer von Spöttern seine einzigartige Schöpfung in Frage stellen<br />

würde?<br />

All diese Tatsachen werden aber aus naheliegenden Gründen von den<br />

Medien systematisch unterschlagen, weil man um keinen Preis zugeben<br />

will, dass es keine Evolution gegeben haben kann, und erst recht nicht<br />

eingestehen, dass bis heute kein einziger Tierversuch auch nur zu einer<br />

einzigen Heilung einer unheilbaren Krankheit ge<strong>führt</strong> hat - wie etwa Aids,<br />

Leukämie, Alzheimer, Parkinson, Multiple Sklerose und die<br />

verschiedenen Arten von Krebs. Im Gegenteil, gerade durch die<br />

Aussage, dass zum Beispiel Aids angeblich von Schimpansen auf die<br />

Menschen übertragen worden ist, wi<strong>der</strong>sprechen sich die Evolutionisten<br />

selber, denn bei den gleichen o<strong>der</strong> mindestens verwandten Genen, die<br />

wir bei einer Evolution zweifellos haben müssten, hätten doch auch<br />

diese Tiere Aids bekommen müssen, aber gerade das ist nie geschehen.<br />

Lei<strong>der</strong> muss zu diesem Thema auch gesagt werden, dass diese<br />

gottlosen Kriminellen, welche die Tierversuche durchführen - einen<br />

an<strong>der</strong>en Ausdruck gibt es dafür wirklich nicht -, auch dafür verantwortlich<br />

sind, dass damals die Contergan-Katastrophe, von <strong>der</strong> Sie sicher auch<br />

schon gehört haben, dazu <strong>führt</strong>e, dass Zehntausende von Kin<strong>der</strong>n ohne<br />

Arme o<strong>der</strong> nur mit Armstümpen versehen auf die Welt kamen, und das<br />

nur aufgrund von Tierversuchen - unter an<strong>der</strong>em auch an Affen -, die<br />

99


lindwütig auf die Menschen übertragen worden sind. Interessant ist<br />

dabei zu erwähnen, dass seinerzeit in <strong>der</strong> Türkei einer <strong>der</strong> ranghöchsten<br />

Ärzte, <strong>der</strong> noch gottesfürchtig war und zum Glück gute Beziehungen zur<br />

Regierung hatte, seinen Einfluss so weit geltend machen konnte, dass<br />

das Contergan-Mittel in diesem Land nicht einge<strong>führt</strong> wurde.<br />

Und noch etwas möchte ich Sie in diesem Zusammenhang fragen, Herr<br />

Stettler: Glauben Sie wirklich im Ernst daran, dass die Zehntausenden<br />

von Tierarten, die es noch heute auf <strong>der</strong> ganzen Welt gibt, und erst recht<br />

die Menschen mit ihrer Fähigkeit zum logischen und analytischen<br />

Denken, das sie vom reinen Instinktdenken <strong>der</strong> Tiere deutlich<br />

unterscheidet, mit allen organischen Einzelheiten innerhalb des Körpers<br />

sich durch eine bloße Evolution gebildet haben können? Nur wenn wir<br />

daran denken, wie verschieden die Menschen sind, wie je<strong>der</strong> einzelne<br />

Mensch seinen ganz eigenen charakteristischen Gesichtsausdruck hat -<br />

wenn wir von den eineiigen Zwillingen einmal absehen -, und dass die<br />

Kin<strong>der</strong> ihren Eltern ohne Ausnahme sehr stark gleichen, müssen wir <strong>uns</strong><br />

in <strong>uns</strong>erem Innersten selbst eingestehen, dass ganz klar göttliche<br />

Schöpferhände dahinterstecken müssen. Wie ich es schon gesagt habe:<br />

Wer sich ernsthaft und ohne Vorurteile mit diesem Thema<br />

auseinan<strong>der</strong>setzt, erkennt sehr bald, dass die Evolution nichts an<strong>der</strong>es<br />

als ein mo<strong>der</strong>nes Hirngespinst sein kann, das ausgedacht wurde, um die<br />

Existenz Gottes mit pseudowissenschaftlichen Mitteln zu verleugnen.“<br />

Wie<strong>der</strong> legen sie eine kleine Pause ein, die Hoveneel dazu benützt, um<br />

kurz zu verschnaufen, und zugleich genehmigen sich alle drei einen<br />

weiteren Schluck Kaffee, <strong>der</strong> während ihres intensiven Gesprächs fast<br />

vergessen ging. Obwohl Hans interessiert zugehört und versucht hat,<br />

alles Gesagte auf sich einwirken zu lassen, gibt er sich noch immer nicht<br />

geschlagen. Auch er mag es noch nicht wahrhaben, dass er sein ganzes<br />

bisheriges Laben lang möglicherweise an etwas Falsches geglaubt hat,<br />

von dem nicht einmal ein Stück bewiesen ist. Gerade was die Beweise<br />

betrifft, findet er als mo<strong>der</strong>n eingestellter, rational denken<strong>der</strong> Mensch<br />

immer noch keine Ruhe.<br />

Er muss einfach noch mehr wissen, also fragt er Hoveneel direkt: „Was<br />

Sie mir bis jetzt erzählt haben, ist sicher hochinteressant und müsste in<br />

den Medien noch viel mehr bekannt werden. Aber trotz allem fehlt mir<br />

immer noch ein klarer und unumstößlicher Beweis dafür, dass es Gott<br />

wirklich gibt. O<strong>der</strong> können Sie mir einen liefern? Ich bin gespannt auf<br />

Ihre Antwort.“<br />

Da erlebt Hans eine große Überraschung: Ohne zu zögern greift<br />

Hoveneel nach seinem Handy, das bisher unbeachtet auf seinem<br />

Schreibtisch und in dessen Griffweite gelegen hat, hält es ihm vor die<br />

Nase und sagt lächelnd: „Ich brauche Ihnen wohl nicht zu sagen, was<br />

das ist.“<br />

100


„Ein Handy?“, fragt Hans ungläubig, „was wollen Sie mir damit<br />

beweisen?“<br />

„Genau das, was Sie mich vorher gefragt haben. Was meinen Sie, womit<br />

wir alle rund um die Welt telefonieren, ob mit o<strong>der</strong> ohne Draht?“<br />

„Soviel ich weiß, über <strong>uns</strong>ichtbare Wellen.“<br />

„Genau, Herr Stettler, Sie haben richtig geantwortet. Und jetzt habe ich<br />

eine weitere Frage an Sie: Halten Sie es für möglich, dass eine sichtbare<br />

Materie sich von selbst zu einer <strong>uns</strong>ichtbaren entwickeln kann?“<br />

Da Hans darauf etwas zögert, setzt Hoveneel nach: „Natürlich kann ein<br />

normal denken<strong>der</strong> Mensch so etwas nicht glauben - und wir gehen ja<br />

davon aus, dass wir solche Menschen sind. Wenn es aber wirklich einen<br />

Urknall gegeben hat, wie in <strong>der</strong> Evolutionstheorie gelehrt wird, würde das<br />

bedeuten, dass von Anfang an jegliche Materie sichtbar war. Auch wenn<br />

es unter den Evolutionisten verschiedenartige Theorien gibt, sind sie sich<br />

dennoch darin einig, dass aus einer sichtbaren Materie - etwa einem<br />

Vorfahren <strong>der</strong> Dinosaurier, aber auch aus Gesteinen - immer<br />

verschiedene Formen an<strong>der</strong>er sichtbarer Materie sich entwickelt haben,<br />

aber nie solche aus einer <strong>uns</strong>ichtbaren. Warum können wir trotzdem<br />

miteinan<strong>der</strong> telefonieren o<strong>der</strong> einan<strong>der</strong> Briefe, Dokumente und<br />

Fotografien zufaxen o<strong>der</strong> zumailen, wo auch immer wir <strong>uns</strong> befinden?<br />

Glauben Sie wirklich daran, dass diese Milliarden von Radiowellen, die<br />

diesen <strong>uns</strong>ichtbaren Kontakt ermöglichen, sich von selbst entwickelt<br />

haben?“<br />

Hans überlegt eine Weile, dann antwortet er leise, ohne zu Hoveneel<br />

aufzuschauen: „Wenn ich mir das recht überlege, tönt das alles recht<br />

überzeugend.“<br />

Doch er gibt sich immer noch nicht geschlagen - und so fragt er direkt,<br />

indem er ihm wie<strong>der</strong> in die Augen schaut: „Gibt es sonst noch weitere<br />

Beweise - das heißt Beweise, die von Ihnen aus gesehen als solche<br />

bezeichnet werden können?“<br />

Hoveneel überlegt nur kurz und sagt dann recht entschlossen: „Wenn<br />

Sie also noch mehr wissen wollen, kann ich Ihnen zwei Beispiele geben,<br />

die deutliche naturwissenschaftliche Beweise für die Existenz Gottes<br />

sind und die gerade deshalb von den Medien systematisch<br />

unterschlagen werden. Bevor ich sie vorbringe, möchte ich Sie aber<br />

noch auf zwei weitere naturwissenschaftliche Phänomene hinweisen,<br />

<strong>der</strong>en Ursprung und Entstehung bis heute niemand aus dem Gebiet <strong>der</strong><br />

Naturwissenschaften erklären konnte - es sei denn, er o<strong>der</strong> sie glaube<br />

an eine göttliche Schöpfung. Wie Sie sich wahrscheinlich noch erinnern,<br />

habe ich bei <strong>der</strong> Definition <strong>der</strong> C-14-Datierungsmethode erwähnt, dass<br />

das, was wir einatmen, Sauerstoff ist, ohne den wir nicht leben könnten,<br />

und dass das, was wir ausatmen, Stickstoff ist, <strong>der</strong> allein <strong>uns</strong> alle töten<br />

101


würde. Das Gleiche gilt ausnahmslos auch für alle Tiere, die auf <strong>der</strong><br />

Erde und in <strong>der</strong> Luft leben, und auch ein Teil <strong>der</strong> schwimmenden Tiere<br />

wie zum Beispiel die Delfine muss regelmäßig an die Wasseroberfläche<br />

auftauchen, um frische Luft zu schnappen - auch das zeigt noch einen<br />

Teil <strong>der</strong> Seelenverwandtschaft, die das erste Menschenpaar mit den<br />

Tieren vor dem Sündenfall verbunden hat.<br />

Nun ist es aber erstaunlich, dass es sich bei den Pflanzen und Bäumen<br />

genau umgekehrt verhält, dass also diese zum Überleben auf das<br />

angewiesen sind, was die Menschen und Tiere ausatmen, also auf den<br />

Stickstoff beziehungsweise das Kohlendioxyd, wie <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Name<br />

dafür lautet, und dass diese im Gegenzug gewissermaßen den<br />

Sauerstoff ausatmen, den wir für <strong>uns</strong>er Überleben benötigen. Dieser<br />

gegenseitige Stoffwechselaustausch, für den es wie gesagt keine<br />

einleuchtende Erklärung gibt, wird in <strong>der</strong> Fachsprache als Fotosynthese<br />

bezeichnet - vielleicht haben Sie diesen Ausdruck auch schon einmal<br />

gehört - und zeigt sich sogar dort, wo auf den ersten Blick keine Tiere<br />

und erst recht keine Menschen leben können, zum Beispiel in den<br />

Wüstengebieten wie <strong>der</strong> Sahara- o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Kalahariwüste. Wie Sie aber<br />

sicher wissen, leben selbst dort noch Menschen, wenn auch nur wenige,<br />

so die Berber und Tuareg in <strong>der</strong> Sahara und im Süden die Hottentotten<br />

und Buschmänner, und erst recht viele Tiere, vor allem Skorpione,<br />

Schlangen und Käfer, aber auch Eidechsen und sogar Vögel. Obwohl es<br />

auf den ersten Blick nicht danach aussieht, tragen aber selbst diese<br />

wenigen Menschen und Tiere mit dazu bei, dass die wenigen Pflanzen<br />

und Bäume, die in den Wüstengebieten wachsen, gut gedeihen können,<br />

und dort, wo es wie<strong>der</strong> üppig und fruchtbar ist wie etwa in den Oasen,<br />

aber auch in den Dschungeln, leben logischerweise wie<strong>der</strong> mehr<br />

Menschen und vor allem Tiere. Glauben Sie wirklich im Ernst, dass<br />

dieser phänomenale Stoffwechselaustausch durch eine Evolution<br />

entstanden sein kann?“<br />

Da Hans darauf keine Antwort gibt und tatsächlich auch keine weiß, setzt<br />

Hoveneel fort: „Natürlich ist diese Fotosynthese nicht direkt ein Beweis<br />

für die Existenz Gottes, aber dennoch ein deutlicher Hinweis. Ich habe<br />

sie auch deshalb erwähnt, weil ich Sie gewissermaßen auf die beiden<br />

klaren naturwissenschaftlichen Beweise für seine Existenz vorbereiten<br />

wollte und sie von mir aus gesehen dazu beiträgt. Was übrigens noch<br />

den zweiten klaren Hinweis auf göttliche Schöpferhände betrifft, brauche<br />

ich keine lange Erklärung abzugeben, denn es genügt diese eine Frage:<br />

Können Sie wirklich im Ernst daran glauben, dass das Gesetz <strong>der</strong><br />

Schwerkraft, das bekanntlich alles zu Boden fallen lässt, o<strong>der</strong> das des<br />

Auftriebs, das es den Flugzeugen überhaupt ermöglicht, sich in <strong>der</strong> Luft<br />

oben zu halten, sich ebenfalls von selbst entwickelt haben? Ich könnte<br />

102


da noch mehr hinzufügen, aber ich glaube, dass Sie mit dem bisher<br />

Vorgebrachten schon gut bedient sind und wir <strong>uns</strong> auch so schon gut<br />

genug verstanden haben.<br />

Und jetzt kann ich endlich zu den beiden Beweisen kommen: Der erste<br />

Beweis betrifft die Position <strong>der</strong> Erde und aller an<strong>der</strong>en Planeten <strong>uns</strong>eres<br />

Sonnensystems mitsamt ihren Monden sowie aller Sterne und nicht<br />

zuletzt auch <strong>der</strong> Sonne selbst. Obwohl ich von <strong>der</strong> heutigen<br />

Raumforschung nicht allzu viel halte, solange dafür so viel Geld und Zeit<br />

verschleu<strong>der</strong>t wird und zugleich die materielle und nicht zuletzt auch die<br />

geistliche Not auf <strong>der</strong> Erde immer schlimmer wird, hat sie wenigstens in<br />

einem etwas Positives bewirkt. Sie haben sicher auch schon gesehen,<br />

wie die Astronauten und Kosmonauten im Inneren <strong>der</strong> Raumkapseln und<br />

erst recht draußen herumschweben, weil außerhalb <strong>der</strong> Atmosphäre und<br />

<strong>der</strong> Stratosphäre, die <strong>uns</strong>eren Planeten umgeben, das Gesetz <strong>der</strong><br />

Schwerkraft, das alles zu Boden fallen lässt, nicht mehr wirkt. Wenn aber<br />

diese Menschen außerhalb <strong>der</strong> Raumkapseln ohne eine Leine o<strong>der</strong><br />

einen Motor, <strong>der</strong> freie Bewegungen ermöglicht, durch diesen<br />

schwerelosen Zustand ins Endlose hinunterfallen würden und auch die<br />

Raumkapseln und Satelliten selber sich nur durch ihre ständige<br />

Fortbewegung auf ihren Umlaufbahnen halten können, müsste doch das<br />

gleiche Gesetz auch für die Erde, den Mond und alle an<strong>der</strong>en Planeten,<br />

Monde und Sterne mitsamt <strong>der</strong> Sonne gelten - es ist ja <strong>der</strong> gleiche<br />

Weltraum. Aber warum fallen sie denn nicht ins Endlose hinunter,<br />

obwohl alle physikalischen Gesetze das verlangen würden? Wissen Sie<br />

darauf eine Antwort, Herr Stettler?“<br />

„Nein, sicher nicht, ich bin ja kein Naturwissenschaftler.“<br />

„Ich kann Ihnen aber eine Antwort geben - und ich könnte es auch dann,<br />

wenn ich kein Naturwissenschaftler wäre. Sie steht im<br />

Schöpfungsbericht, in den Versen vierzehn bis achtzehn des ersten<br />

Kapitels, wo von <strong>der</strong> Erschaffung <strong>der</strong> Sonne und aller an<strong>der</strong>en Sterne<br />

die Rede ist, und zu den Sternen werden darin auch die Planeten und<br />

Monde gerechnet. Da heißt es unter an<strong>der</strong>em: ‚Und Gott setzte sie an<br />

die Himmelsfeste, damit sie die Erde beleuchteten und den Tag und die<br />

Nacht beherrschten und Licht und Finsternis unterschieden.’ Haben Sie<br />

gehört? Gott setzte sie, also sind sie bis heute an ihren angestammten<br />

Plätzen o<strong>der</strong> genauer auf ihren angestammten Umlaufbahnen geblieben.<br />

Die gleiche Aussage wird übrigens noch im Buch Hiob bestätigt, von<br />

dem Sie wahrscheinlich auch schon einmal gehört haben.<br />

Zudem ist noch etwas Wichtiges zu beachten, was <strong>uns</strong>eren Planeten<br />

betrifft: Man hat durch Berechnungen herausgefunden, dass die Erde<br />

sowohl in ihrer Position als auch in ihrer Umlaufbahn genau so<br />

angebracht ist, dass es nicht zu heiß wird wie auf dem Merkur und auch<br />

nicht zu kalt wie auf dem Mars und auf den an<strong>der</strong>en äußeren Planeten<br />

103


<strong>uns</strong>eres Sonnensystems, und dass durch ihre schräg angebrachte<br />

Achse sowohl die Nord- als auch die Südhälfte im gleichen Maß je zur<br />

Hälfte mehr von <strong>der</strong> Sonne beleuchtet werden als die an<strong>der</strong>e und damit<br />

die heißen und kalten Jahreszeiten mit Ausnahme <strong>der</strong> Regionen in <strong>der</strong><br />

Nähe des Äquators genau gleich verteilt sind. Glauben Sie wirklich, dass<br />

all dies sich durch einen Zufall einfach so aus dem Nichts durch den<br />

legendären Urknall entwickelt hat? Und abgesehen davon ist die genaue<br />

Position dieses Urknalls bis heute noch von niemandem genau bestimmt<br />

worden, doch das müsste sicher möglich sein, wenn schon seit<br />

Jahrzehnten in aller Welt hinausposaunt wird, dass ein solcher<br />

stattgefunden hat. Ich kann es nur nochmals wie<strong>der</strong>holen: Wer sich das<br />

alles vor Augen <strong>führt</strong> und sich selbst gegenüber ehrlich ist, muss bald<br />

einmal bekennen, dass dies schlicht unmöglich war.“<br />

„Recht beeindruckend“, wirft Hans leise dazwischen, „das ist mir bisher<br />

noch nie aufgefallen, obwohl es eigentlich klar vor <strong>uns</strong>eren Augen liegt.<br />

Also schön, da muss ich Ihnen recht geben, dass über das alles viel zu<br />

wenig nachgedacht wird. Was ist aber nach Ihrer Meinung <strong>der</strong> zweite<br />

deutliche naturwissenschaftliche Beweis für die Existenz Gottes?“<br />

„Das sind die Atome, die <strong>uns</strong>eren Planeten zu Milliarden umkreisen“,<br />

antwortet Hoveneel ohne zu zögern, „man hat schon vor langer Zeit<br />

entdeckt, dass ihre Kerne aus Protonen und Neutronen bestehen.<br />

Verstehen Sie? Nur aus Protonen und Neutronen, also nicht auch aus<br />

Elektronen; diese gibt es in den Atomen zwar auch, aber eben nicht in<br />

den Kernen, son<strong>der</strong>n sie umkreisen sie bloß. Vielleicht erinnern Sie sich<br />

noch aus dem Physik-Unterricht, dass es diese drei verschiedenen<br />

Partikel gibt. Ausgerechnet in den Atomkernen fehlen aber die<br />

Elektronen. Was bedeutet das nun konkret? Da die Neutronen<br />

bekanntlich nicht geladen und damit neutral sind, kommt alles auf die<br />

Protonen an, die positiv geladen sind - im Gegensatz zu den Elektronen,<br />

die negativ geladen sind, aber gerade wie gesagt in den Atomkernen<br />

nicht vorkommen. Nun wissen wir aus <strong>der</strong> Physik, dass die Protonen und<br />

Elektronen sich gegenseitig neutralisieren und dass zwei gleiche<br />

Ladungen sich abstoßen und sogar eine Explosion bewirken. Warum<br />

gibt es denn in den Atomkernen keine Explosion, solange diese nicht<br />

künstlich, also von Menschenhand, erzeugt wird, obwohl nach<br />

sämtlichen physikalischen Gesetzen eine solche schon längst hätte<br />

stattfinden müssen, so dass <strong>der</strong> ganze Planet Erde schon vor<br />

Jahrtausenden explodiert wäre? Wissen Sie warum?“<br />

„Sicher nicht. Sagen Sie es mir!“<br />

„Auch auf diese Frage gibt es eine klare Antwort, die in <strong>der</strong> Bibel<br />

geschrieben steht, und zwar im Brief des Apostels Paulus an die<br />

Kolosser, im Kapitel eins, Verse sechzehn und siebzehn: ‚Denn in ihm ist<br />

alles erschaffen worden, was im Himmel und auf Erden ist, das<br />

104


Sichtbare und das Unsichtbare, seien es Throne o<strong>der</strong> Herrschaften o<strong>der</strong><br />

Fürstentümer o<strong>der</strong> Gewalten. Alles ist durch ihn und für ihn geschaffen,<br />

und er ist vor allem und alles besteht in ihm.’ Verstehen Sie, was mit<br />

diesen Worten ausgedrückt wird?“<br />

„Ehrlich gesagt nicht ganz, Herr Hoveneel.“<br />

„Dann will ich es Ihnen erklären: Wenn Gott etwas so erschaffen hat, wie<br />

er allein es wollte, dann bleibt es auch so; da können auch physikalische<br />

Gesetze nichts daran än<strong>der</strong>n. Die Welt hat eben viel mehr göttliche<br />

Wun<strong>der</strong> vorzuweisen, als Sie ahnen, Herr Stettler. Spätestens seit <strong>der</strong><br />

Entwicklung <strong>der</strong> Relativitätstheorie, von <strong>der</strong> Sie sicher auch schon gehört<br />

haben, also seit <strong>der</strong> Entwicklung des speziellen Verhältnisses zwischen<br />

Raum und Zeit durch Albert Einstein, sollte es eigentlich klar sein, dass<br />

dieses rationale Weltbild, das <strong>uns</strong> seit mehr als zweihun<strong>der</strong>t Jahren,<br />

genauer seit dem Zeitalter <strong>der</strong> sogenannten Aufklärung, in den Schulen<br />

und Universitäten gelehrt wird, so nicht stimmen kann. Eigentlich müsste<br />

die Aufklärung nicht als solche bezeichnet werden, son<strong>der</strong>n viel mehr als<br />

Verfinsterung, denn die sogenannten Denker des 18. Jahrhun<strong>der</strong>ts, die<br />

diese Epoche prägten und zu denen auch etliche berühmte Dichter<br />

gehörten - vor allem Lessing und erst recht Goethe, von dem wir heute<br />

wissen, dass er ein Spiritist war und oft von spiritistischen Sitzungen<br />

inspiriert wurde -, haben wesentlich dazu beigetragen, dass allmählich<br />

<strong>der</strong> Abfall vom Glauben an Gott und an Christus und damit auch vom<br />

Weltbild des Zeitalters <strong>der</strong> frommen Barockdichter eingesetzt hat. Als<br />

schließlich ein Jahrhun<strong>der</strong>t später die Evolutionstheorie entwickelt<br />

wurde, fiel diese bereits auf einen so fruchtbaren Boden, dass ihr<br />

Siegeszug nicht mehr aufzuhalten war. Allein diese Bezeichnung<br />

‚Aufklärung’ zeigt <strong>uns</strong> deutlich, wie verkehrt diese Welt in Wirklichkeit ist,<br />

dass also das, was eigentlich normal ist - eben <strong>der</strong> Glaube an Gott und<br />

an Jesus Christus -, als völlig verkehrt gilt, während das, was im<br />

biblischen Sinn nicht normal ist - eben <strong>der</strong> Unglaube und die<br />

Verleugnung des einen wahren Gottes -, als völlig normal gilt.“<br />

Dann hält Hoveneel wie<strong>der</strong> kurz inne und fragt Hans kurz darauf in<br />

einem fast feierlichen Ton: „Glauben Sie nach all dem, was Sie heute<br />

Abend bis jetzt gehört haben, immer noch daran, dass alles durch eine<br />

Evolution entstanden ist und mit einem Urknall begonnen hat?“<br />

„Was Sie da erzählt haben, ist wirklich sehr beeindruckend“, antwortet<br />

Hans nach kurzem Zögern, „so habe ich das alles noch nie gehört, und<br />

da Sie ja ein Naturwissenschaftler sind und ich nicht, kann ich wohl nicht<br />

behaupten, es stimme nicht. Aber erlauben Sie mir noch eine weitere<br />

Frage, eine sehr fundamentale, ja, sogar die wichtigste überhaupt:<br />

Selbst wenn das alles, was Sie mir erzählt haben, tatsächlich stimmt und<br />

es einen Gott gibt, <strong>der</strong> das alles erschaffen hat, bleibt immer noch die<br />

105


Frage offen, ob es auch für die Auferstehung eures Jesus einen klaren<br />

und unumstößlichen Beweis gibt - ich meine einen wissenschaftlichen.“<br />

„Ja, Herr Stettler, diesen Beweis gibt es“, antwortet Hoveneel<br />

schlagartig, „halten Sie sich aber gut fest! Der deutlichste Beweis für<br />

seine Auferstehung sind wir selbst und das neue Leben, das er <strong>uns</strong><br />

geschenkt hat. Wenn es ihn nicht gäbe, wäre es überhaupt nicht<br />

möglich, dass wir heute sagen können, er habe <strong>uns</strong>er Leben völlig<br />

verän<strong>der</strong>t. Er allein ist es, <strong>der</strong> <strong>uns</strong> einen neuen Geist des Friedens und<br />

<strong>der</strong> Versöhnung gegeben hat, so dass wir einan<strong>der</strong> achten und sogar<br />

lieben können. So werden durch ihn aus traurigen und verbitterten<br />

Menschen fröhliche, aus kaltherzigen werden warmherzige, aus Feinden<br />

werden Freunde und aus rücksichtlosen Egoisten werden Leute, die<br />

gern an<strong>der</strong>en Menschen helfen und dabei erleben, wie herrlich und<br />

glücksbringend es für einen selbst sein kann, an<strong>der</strong>en helfen zu können<br />

- ein Gefühl, das heute immer weniger bekannt ist. Dieser gleiche Geist<br />

Gottes hat bewirkt, dass auch ich heute Abend mir die Zeit nehmen<br />

konnte und wollte, um mit Ihnen über das alles zu reden, und ich habe<br />

es sogar gern getan. Aber ich weiß, dass Ihnen das vielleicht nicht<br />

genügt, weil Sie von klaren und unumstößlichen Beweisen gesprochen<br />

haben.<br />

Doch ich kann Ihnen auch diese liefern - und zwar nicht nur solche, die<br />

in <strong>der</strong> Bibel geschrieben stehen, son<strong>der</strong>n auch außerbiblische, also<br />

weltliche Quellen. Es ist erstaunlich, aber eben auch typisch für diese<br />

Welt, dass es über die biblischen Berichte zwar viel mehr Dokumente<br />

gibt als etwa über die römischen, griechischen und auch altägyptischen,<br />

dass diese jedoch nicht angezweifelt werden und dafür die Bibel immer<br />

wie<strong>der</strong> als ein Märchenbuch hingestellt wird. Wollen Sie nun wissen, wer<br />

über die Auferstehung des Herrn geschrieben hat? Neben einem Teil <strong>der</strong><br />

Männer, die das Neue Testament verfasst haben, waren es auch recht<br />

berühmte Leute, vor allem Flavius Josephus, von dem Sie vielleicht auch<br />

schon gehört haben und <strong>der</strong> für seinen nüchternen Stil bekannt war, also<br />

alles an<strong>der</strong>e als ein verblendeter Schwärmer war und dennoch von <strong>der</strong><br />

Auferstehung geschrieben hat, als wäre das die natürlichste Sache <strong>der</strong><br />

Welt gewesen. Ein weiterer war <strong>der</strong> Grieche Hormisios, <strong>der</strong> damals, als<br />

diese Ereignisse sich abspielten, als Biograf <strong>der</strong> römischen Statthalter<br />

und damit auch des Pontius Pilatus tätig war. Dennoch hat auch er von<br />

<strong>der</strong> Auferstehung so geschrieben, dass keine Zweifel aufkommen<br />

können, vor allem auch deshalb nicht, weil er bezeugt hat, dass er das<br />

leere Grab mit eigenen Augen gesehen hat. Dieses war übrigens schwer<br />

bewacht, so dass es gar nicht möglich war, den Leichnam Jesu zu<br />

stehlen, wie das immer wie<strong>der</strong> behauptet worden ist, was auch im<br />

Matthäus-Evangelium so geschrieben steht. Wenn die römischen<br />

Soldaten dort eingeschlafen wären, hätte das für sie die sichere<br />

106


Todesstrafe bedeutet, und wenn jüdische Wachtleute dort gestanden<br />

wären - was aber aufgrund <strong>der</strong> biblischen Berichte nicht <strong>der</strong> Fall war -,<br />

hätten sie bestimmt auch eine sehr hohe Strafe bekommen, wenn auch<br />

nicht gleich eine solche wie bei den Römern. Was meinen Sie, warum<br />

nach <strong>der</strong> Auferstehung sowohl von den Römern als auch von den Juden<br />

alles versucht worden ist, um diese Geschichte zu verwischen und für<br />

den Lauf <strong>der</strong> nächsten paar Jahre gewissermaßen leerlaufen zu lassen?<br />

Eine Antwort darauf erübrigt sich; jedenfalls fällt es deutlich auf, dass in<br />

den ersten paar Jahren nach <strong>der</strong> Auferstehung nur wenige Dokumente<br />

darüber geschrieben wurden und gerade von dieser Zeit fast nichts<br />

erhalten geblieben ist.“<br />

Wie<strong>der</strong> legt Hoveneel eine kurze Verschnaufpause ein, doch dann setzt<br />

er fort: „Glauben Sie mir, Herr Stettler! Es gibt wirklich einen Gott - und<br />

ebenso sehr ist es wahr, dass Jesus Christus von den Toten<br />

auferstanden ist und noch heute lebt. Unsere Welt besteht aus viel mehr<br />

Wun<strong>der</strong>n, als die rational eingestellten mo<strong>der</strong>nen Menschen es<br />

wahrhaben wollen. So wie es wahr ist, dass Gott alles erschaffen hat, so<br />

ist es auch wahr, dass Christus und nur er allein <strong>uns</strong>er Retter ist und<br />

<strong>uns</strong>er Leben völlig neu- und umgestalten kann.“<br />

Nach diesen Worten machen sie eine weitere Pause - und diesmal fast<br />

eine Minute lang, die sie erneut dazu benützen, um sich mehrere<br />

Schlücke Kaffee zu genehmigen, und obwohl die Zeit inzwischen schon<br />

recht vorgerückt ist, will keiner so unhöflich sein, um als Erster auf die<br />

Uhr zu schauen.<br />

Hans erkennt allmählich, dass sämtliche Argumente, die er gegen den<br />

christlichen Glauben vorgebracht hat, an Hoveneels überzeugenden<br />

Worten abgeprallt sind, und will sich schon fast geschlagen geben, als<br />

sein Gesprächspartner plötzlich wie<strong>der</strong> ein an<strong>der</strong>es Thema anschneidet:<br />

„Ich weiß, dass es für jemanden wie Sie sicher schwer ist, sich neu zu<br />

orientieren. Das ist aber auch nicht erstaunlich, wenn wir <strong>uns</strong> vor Augen<br />

führen, dass wir heute schon in einem nachchristlichen Zeitalter leben,<br />

und damit auch Sie von den Medien so beeinflusst worden sind.“<br />

Da wird Hans sofort wie<strong>der</strong> hellwach; er sah seine Felle schon<br />

davonschwimmen - und jetzt bekommt er völlig unerwartet wie<strong>der</strong> eine<br />

Chance, um mit einem neuen Argument aufzufahren: „Was haben Sie da<br />

gesagt? Dass wir in einem nachchristlichen Zeitalter leben? Mit Verlaub,<br />

Herr Hoveneel, aber da muss ich Ihnen klar wi<strong>der</strong>sprechen. Glauben Sie<br />

etwa im Ernst, es sei früher christlicher zugegangen als heute? Dabei<br />

muss man nicht nur an die Kreuzzüge denken, bei denen im Namen des<br />

Christentums Zehntausende abgeschlachtet wurden, und zwar nicht nur<br />

Moslems, son<strong>der</strong>n auch Christen selber. Auch die Kolonisationsfeldzüge<br />

107


<strong>der</strong> Europäer, bei denen Millionen von Indianern und Schwarzen<br />

massakriert o<strong>der</strong> als Sklaven verschleppt wurden, können nicht gerade<br />

als christlich bezeichnet werden, genauso wenig die Verbrennungen von<br />

Millionen sogenannter Hexen und Ketzer, die unzähligen Folterungen an<br />

Unschuldigen und erst recht die brutale Unterdrückung <strong>der</strong> unteren<br />

Bevölkerungsschichten bis aufs Blut - und das alles im Namen des<br />

Christentums. Als Letztes muss ich auch noch die vielen Kriege allein in<br />

Europa erwähnen, bei denen man sich auf allen Seiten immer wie<strong>der</strong> auf<br />

den Herrgott berufen hat, sogar noch vor und während dem Ersten<br />

Weltkrieg, als im ganzen Kontinent eine Kriegsbegeisterung herrschte,<br />

wie sie die Welt nie zuvor und nachher nie wie<strong>der</strong> so erlebt hat. Kein<br />

Wun<strong>der</strong>, dass heute immer weniger Leute mit dem Christentum noch<br />

etwas zu tun haben wollen, wenn sie nur schon davon hören!“<br />

„Jetzt muss ich Ihnen aber auch wi<strong>der</strong>sprechen, Herr Stettler“, wirft<br />

Hoveneel wie<strong>der</strong> ein, „mit dem Begriff ‚Nachchristliches Zeitalter’ will ich<br />

nicht ausdrücken, dass es in den früheren Jahrhun<strong>der</strong>ten christlicher zuund<br />

hergegangen ist als heute. Vielleicht erstaunt es Sie, wenn ich Ihnen<br />

sogar sage, dass die wirklichen Christen, also jene, die sich von ganzem<br />

Herzen zum Herrn Jesus bekehrt haben und nicht bloß dem Namen<br />

nach Christen waren, weil sie einmal getauft wurden, in allen Zeiten<br />

verfolgt und teilweise auch gefoltert und brutal ermordet wurden, vor<br />

allem in den katholischen Län<strong>der</strong>n, die unter <strong>der</strong> Fuchtel des Vatikans<br />

standen und immer noch stehen, aber zum Teil auch in den<br />

protestantischen Län<strong>der</strong>n. Man braucht da nur an die sogenannten<br />

Wie<strong>der</strong>täufer zu denken, aber selbst <strong>der</strong> Heilsarmee wurden nach ihrer<br />

Gründung viele Hin<strong>der</strong>nisse in den <strong>Weg</strong> gelegt, weil sie als Konkurrenz<br />

zur offiziellen Kirche betrachtet wurden, unter an<strong>der</strong>em auch hier in<br />

Zürich, wie ich einmal gelesen habe.<br />

Ja, das ist klar: All jene, die für diese <strong>uns</strong>eligen Kreuzzüge und auch für<br />

die Sklaverei und alle an<strong>der</strong>en Verbrechen verantwortlich sind, waren<br />

keine wirklichen Christen, son<strong>der</strong>n missbrauchten diesen Namen für ihre<br />

eigenen machtpolitischen und klerikalen Ziele. Ein Mann o<strong>der</strong> eine Frau,<br />

die Jesus Christus persönlich in ihrem Leben erfahren haben, können<br />

unmöglich solche Verbrechen begehen, denn das erste Gebot des Herrn<br />

ist nach <strong>der</strong> Liebe zu Gott die Liebe zum Nächsten, und daran haben<br />

sich die vielen Tausenden von aufrichtigen Männern und Frauen<br />

gehalten, die sich und ihr ganzes Leben buchstäblich geopfert haben,<br />

um in <strong>der</strong> Welt draußen zu missionieren - zum Beispiel David<br />

Livingstone, von dem Sie wahrscheinlich auch schon gehört haben, <strong>der</strong><br />

mitten im afrikanischen Busch gearbeitet hat, o<strong>der</strong> <strong>der</strong> weniger bekannte<br />

Hudson Taylor, <strong>der</strong> seine Lebensaufgabe in China gesehen und erfüllt<br />

hat.<br />

Dazu kommt aber noch etwas Wichtiges, das genau zu dem passt, was<br />

108


ich vorhin gesagt habe: Es ist in <strong>der</strong> Welt viel zu wenig bekannt, dass die<br />

meisten von denen, die von Anfang an gegen die Sklaverei kämpften,<br />

gläubige Christen waren, wie ich sie beschrieben habe, also nicht nur<br />

Namenschristen, die einmal getauft worden sind und das praktisch als<br />

einen Freibrief ausgelegt haben. Darunter gehörten zum Beispiel die<br />

Quäker in den USA, die schon vor <strong>der</strong> offiziellen Abschaffung <strong>der</strong><br />

Sklaverei jahrzehntelang dieses Ziel verfolgt haben, aber auch in<br />

Brasilien, das die Sklaverei sogar noch später und überhaupt als eines<br />

<strong>der</strong> letzten Län<strong>der</strong> offiziell abgeschafft hat, waren es solche Christen, die<br />

an <strong>der</strong> vor<strong>der</strong>sten Front dafür gekämpft haben. Wie Sie sehen, verhält es<br />

sich doch nicht ganz so, wie die meisten Leute das heute sehen wollen.<br />

Was ich mit dem nachchristlichen Zeitalter in erster Linie meine, ist die<br />

allgemeine Gesinnung, die sich im Verlauf <strong>der</strong> letzten paar Jahrzehnte in<br />

auffälliger Weise gewandelt hat. So gibt es heute verschiedene typische<br />

nachchristliche Kennzeichen, die wir genauso gut auch als antichristlich<br />

bezeichnen können. Wollen Sie diese noch hören, bevor wir wie<strong>der</strong><br />

auseinan<strong>der</strong>gehen?»<br />

«Warum nicht?»<br />

«Also, dann beginne ich mal: Das erste nachchristliche Kennzeichen ist<br />

die massive Bibelkritik, vor allem in den theologischen Kreisen, die es<br />

eigentlich viel besser wissen müssten, da sie ja mehr Zeit und mehr<br />

Möglichkeiten als alle an<strong>der</strong>en haben, dieses einmalige Buch <strong>der</strong><br />

Weltgeschichte gründlich zu studieren und darin Gott zu erkennen. Das<br />

hat aber entscheidend dazu beigetragen, dass gerade die<br />

protestantischen Kirchen, in denen am lautesten gegen das Evangelium<br />

gewettert wird, immer leerer geworden sind, während interessanterweise<br />

ausgerechnet jene Säle, in denen das Wort Gottes noch klar verkündigt<br />

wird, fast jedes Mal gerammelt voll sind. Allein dies zeigt, dass die<br />

Sehnsucht und <strong>der</strong> W<strong>uns</strong>ch unter vielen Menschen, an einen Gott<br />

glauben zu können, weitaus tiefer verwurzelt ist, als es gewissen Leuten<br />

lieb ist. Trotzdem hat das Gift, das durch diese Bibelkritiker ausgestreut<br />

worden ist, über die Medien schon eine so weite Verbreitung gefunden,<br />

dass sich das immer mehr bei <strong>der</strong> Erziehung <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> zu Hause und<br />

auch in den Schulen zeigt, vor allem unter denen, die an die Esoterik<br />

glauben. Das hat schon so weit ge<strong>führt</strong>, dass solche Lehrkräfte, die den<br />

Kin<strong>der</strong>n noch vom Evangelium erzählen wollen, größte Schwierigkeiten<br />

bekommen und teilweise sogar vom Unterricht dispensiert worden sind,<br />

vor allem dort, wo auffallend viele Kin<strong>der</strong> von moslemischen Eltern zur<br />

Schule gehen. Heute genügt in fast allen europäischen Staaten und<br />

teilweise sogar in den USA, die eines <strong>der</strong> wenigen Län<strong>der</strong> sind, in denen<br />

man sich offiziell noch auf Gott beruft, dass jemand eine Anzeige wegen<br />

eines Kruzifixes im Schulzimmer o<strong>der</strong> wegen christlichen<br />

Religionsunterrichts macht, und schon bekommen diese Leute von allzu<br />

109


vielen feigen Richterinnen und Richtern Recht - natürlich von<br />

ungläubigen, das versteht sich schon fast von selbst.<br />

Das zweite nachchristliche Kennzeichen sind die millionenfachen<br />

Abtreibungen. Früher galt das noch klar als Mord, unabhängig von <strong>der</strong><br />

jeweiligen delikaten Lage je<strong>der</strong> einzelnen Frau o<strong>der</strong> jedes einzelnen<br />

Mädchens, doch in <strong>der</strong> heutigen Zeit wird das von den meisten als völlig<br />

normal angesehen, und auch die Medien wirken darin mit Hilfe <strong>der</strong><br />

meisten Leute, die in <strong>der</strong> Politik tätig sind, kräftig mit. Das Perfide daran<br />

ist vor allem die Behauptung, dass ein Fötus noch keine Seele haben<br />

kann und damit auch kein Mensch ist, aber handkehrum sind es dann<br />

die gleichen Leute, die vorbringen, die Tiere und in erster Linie die Affen<br />

hätten von Anfang an die gleichen Seelen wie die Menschen. Noch<br />

unglaubwürdiger ist die Behauptung, dass ein Baby im Mutterleib auch<br />

deshalb nicht als Mensch angesehen werden kann, weil es ja nicht<br />

selbständig leben könne - aber ist etwa ein Neugeborenes, das dann<br />

offiziell als Mensch gilt, dazu fähig? Merken Sie, worauf das Ganze<br />

hinausläuft? Im krampfhaften Bemühen, für alles eine Erklärung zu<br />

finden, sind diese Leute nicht einmal fähig zu erkennen, dass sie sich in<br />

ihren eigenen Aussagen ständig wi<strong>der</strong>sprechen.<br />

Das dritte nachchristliche Kennzeichen ist die Homosexualität. Ich weiß,<br />

dass dies ein heißes Eisen ist, vor allem in <strong>der</strong> heutigen Zeit, in <strong>der</strong> fast<br />

alles als normal gilt, was früher als nicht normal angesehen wurde, und<br />

umgekehrt. Was einst undenkbar war, ist heute aber die nackte Realität:<br />

Fast überall treten diese Leute immer aggressiver auf, so dass sie schon<br />

in aller Öffentlichkeit zu einem Hauptgeprächsthema geworden sind, und<br />

wenn diese Entwicklung so weitergeht, werden diese am Ende sogar<br />

noch mehr Rechte als die an<strong>der</strong>en haben. Man kann es jedoch drehen<br />

und wenden, wie man will: In den Augen Gottes bleibt das eine <strong>der</strong><br />

schlimmsten Sünden, auch wenn solche Leute in den Kirchen mit dem<br />

Segen von Pfarrern unter dem Etikett einer falsch verstandenen<br />

Toleranz und Nächstenliebe heiraten dürfen. Wenn das nicht so<br />

schwerwiegend wäre, würde das in <strong>der</strong> Bibel nicht so viele Male<br />

geschrieben stehen. Schließlich hat Gott das erste Menschenpaar als<br />

Mann und Frau füreinan<strong>der</strong> geschaffen und nicht als Mann und Mann<br />

o<strong>der</strong> als Frau und Frau. Es ist sicher kein Zufall, dass die Aggressivität<br />

gegenüber dem Evangelium, also <strong>der</strong> Botschaft vom Kreuz, gerade in<br />

diesen Kreisen beson<strong>der</strong>s ausgeprägt ist, auch wenn diese das immer<br />

wie<strong>der</strong> bestreiten. Sie sprechen zwar viel von Liebe und Toleranz - aber<br />

wehe, wenn Sie versuchen, sie darauf aufmerksam zu machen, was in<br />

<strong>der</strong> Bibel über ihr Tun geschrieben steht! Erst dann lernen sie diese<br />

Leute so kennen, wie sie wirklich sind. Dass die Homosexualität<br />

keineswegs von Natur aus angeboren ist, wie das von denen, aber auch<br />

von vielen an<strong>der</strong>en immer wie<strong>der</strong> als faule Ausrede behauptet wird, dass<br />

110


es also möglich ist, davon loszukommen, bestätigen <strong>uns</strong> ausgerechnet<br />

jene, die das früher betrieben haben und dann zum lebendigen Glauben<br />

an Jesus Christus gekommen sind.<br />

Das vierte nachchristliche Kennzeichen ist die allzu lockere Moral, die<br />

alle hergebrachten Normen über Bord geworfen hat, vor allem die<br />

Institution <strong>der</strong> Ehe. Es wird zwar immer noch viel geheiratet, aber bei<br />

den meisten nur noch mit dem Gedanken im Hinterkopf, dass man sich<br />

ja schnell wie<strong>der</strong> scheiden lassen kann, wenn es nicht klappen sollte. So<br />

ist das Ende vieler Ehen von vornherein vorprogrammiert, doch das ist<br />

nicht das, was Gott für <strong>uns</strong> geplant hat; für ihn selbst bedeutet es noch<br />

etwas, wenn ein Mann und eine Frau sich ein Leben lang lieben und so<br />

zusammenleben. Vom außerehelichen Geschlechtsverkehr, <strong>der</strong> in <strong>der</strong><br />

Bibel Dutzende Male als Unzucht bezeichnet wird, müssen wir dabei gar<br />

nicht erst reden, denn das ist schon immer praktiziert worden, doch<br />

heute noch weitaus mehr. Es hängt sehr eng mit <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen<br />

Ehemoral zusammen, bei <strong>der</strong> die Leute in den meisten Fällen nicht mehr<br />

bereit sind, für eine Ehe auch zu kämpfen, wenn es sein muss, vor allem<br />

auf Seiten <strong>der</strong> Frauen, denn es ist erwiesen, dass diese im Durchschnitt<br />

viel mehr die Scheidung einreichen, wenn es nicht mehr so läuft, wie sie<br />

es wollen. Dabei sind die Ehemänner in vielen Fällen völlig <strong>uns</strong>chuldig,<br />

doch bei den heutigen Ehe- und Scheidungsgesetzen, welche die<br />

Frauen in krasser Weise bevorteilen, können es sich diese sogar leisten,<br />

mit einem Liebhaber zusammenzuleben, und dennoch vom Ex-Mann so<br />

hohe Alimente zu verlangen, dass die meisten von denen in den<br />

finanziellen Ruin getrieben werden. Dass dabei auch Millionen von<br />

Kin<strong>der</strong>n zu leiden haben, ergibt sich fast von selbst, doch das ist<br />

meistens nur noch ein Nebenthema - die Hauptsache ist, die<br />

betreffenden Ehebrecherinnen können sich selbst verwirklichen, wie<br />

einer dieser mo<strong>der</strong>nen Sprüche lautet.“<br />

„Entschuldigen Sie, Herr Hoveneel, wenn ich Sie an dieser Stelle rasch<br />

unterbreche!“, wirft jetzt Hans dazwischen, „ich würde nur gern wissen,<br />

ob Sie selbst auch verheiratet sind.“<br />

„Aber sicher, Herr Stettler“, antwortet dieser ohne Zögern, „ich bin<br />

verheiratet und habe drei Kin<strong>der</strong>.“<br />

„Das habe ich mir gedacht. So ist es für Sie leicht, so zu reden, vor<br />

allem, was die sogenannte Unzucht betrifft, die Sie so hervorheben. Ich<br />

kann für Sie nur hoffen, dass Sie mit Ihrer Frau glücklich bleiben und nie<br />

in die Lage von all denen geraten, die in eine Scheidung verwickelt sind.<br />

Dabei war ich selber noch gut dran: Ich war nur verlobt - und das liegt<br />

schon etliche Jahre zurück. Heute weiß ich nicht einmal, wo diese Frau<br />

jetzt wohnt und was aus ihr geworden ist, ja, es ist mir nicht einmal<br />

bekannt, ob sie überhaupt noch lebt. Ich kenne aber genug an<strong>der</strong>e<br />

Beispiele von Kolleginnen und vor allem von Kollegen, die wegen einer<br />

111


Scheidung fast zugrunde gegangen sind, wie Sie das ja auch erwähnt<br />

haben - nicht nur finanziell, son<strong>der</strong>n auch seelisch. Es ist leicht, von<br />

Ehebruch, Unzucht und Hurerei und ähnlichem zu reden, wenn man<br />

selber glücklich verheiratet ist und so die Probleme, die viele an<strong>der</strong>e<br />

haben, nicht wirklich sehen kann.“<br />

„Man muss aber auch auf Gottes Führung vertrauen, wenn man schon<br />

einen Partner o<strong>der</strong> eine Partnerin fürs Leben sucht“, wendet dann<br />

Hoveneel ein, „und wenn dann das an<strong>der</strong>e Ich gefunden worden ist,<br />

muss man ein Leben lang für sein Glück kämpfen, beson<strong>der</strong>s die<br />

gläubigen Christen, die viel mehr Anfechtungen und Anfeindungen<br />

ausgesetzt werden als die an<strong>der</strong>en.“<br />

„Sicher, wenn man an einen Gott glauben kann, ist das naheliegend.<br />

Aber wie steht es, wenn man diesen Glauben nicht hat und aus<br />

verschiedenen Gründen auch nicht haben kann? Ihr Christen sagt doch<br />

selber, dass je<strong>der</strong> Mensch seinen eigenen Willen haben darf, dass man<br />

also nicht gezwungen ist, an euren Gott zu glauben. Sind alle an<strong>der</strong>en<br />

aber Unzüchtler, solange sie nicht verheiratet sind? Gilt denn eine Liebe,<br />

die im Herzen praktiziert wird und auch ohne Heiratsdokumente echt<br />

sein kann, überhaupt nichts? Dann bin ich selber auch ein Unzüchtler.<br />

Ich habe gegenwärtig zwar keine Frau, aber wenn ich mal eine hatte, bin<br />

ich noch mit je<strong>der</strong> früher o<strong>der</strong> später ins Bett gegangen, ohne dass ich<br />

mir dabei etwas Schlimmes gedacht habe - ganz im Gegenteil, ich habe<br />

es sogar genossen, und es hat mir niemand gesagt, dass daran etwas<br />

nicht recht sein soll.“<br />

„In Gottes Wort steht aber klar geschrieben, dass dies Sünde ist.“<br />

„Jaja, Gottes Wort, wie ihr Christen das nennt - mit all diesen<br />

Gewaltszenen, die in diesem Buch vorkommen, das für euch so heilig<br />

ist. Aber ich will mich mit Ihnen nicht über dieses Thema streiten, dafür<br />

hätten wir auch keine Zeit mehr ... Was wollten Sie mir denn sonst noch<br />

sagen?“<br />

„Gut, Herr Stettler, wenn Sie mich das so direkt fragen. Als weiteres<br />

nachchristliches Kennzeichen muss ich noch eines erwähnen, das von<br />

den vorhin erwähnten direkt abstammt: Es ist die hemmungslose<br />

Vergnügungssucht in einer Art kollektivem Egoismus, und das<br />

eigentliche Tragische ist, dass diese von früh auf schon den Kin<strong>der</strong>n<br />

eingeimpft wird. Die meisten Leute schauen nur noch für sich, stürzen<br />

sich in alle möglichen Feste o<strong>der</strong> lassen irgendwo in <strong>der</strong> Welt draußen<br />

an einem Strand ihre Körper braten, ohne sich weitere Gedanken zu<br />

machen.<br />

Was ich aber das Bedenklichste finde und was vor allem die Konzerte<br />

mit sogenannten Stars und erst recht diese Techno- und Love-Paraden<br />

mit ihrer übertrieben lauten Musik zeigen, ist die Tatsache, dass die<br />

meisten jungen Leute, die daran teilnehmen, sich genauso willig<br />

112


verführen und manipulieren lassen wie ihre Vorgänger in den<br />

Dreißigerjahren bei den nationalsozialistischen Massenveranstaltungen.<br />

Dieser Vergleich scheint auf den ersten Blick wohl übertrieben zu sein,<br />

aber es lässt sich nicht bestreiten, dass <strong>der</strong> Kern <strong>der</strong> Verführung und<br />

Manipulation <strong>der</strong> genau gleiche ist. Das lässt für die weitere Zukunft<br />

nichts Gutes ahnen, vor allem im Hinblick auf das Auftreten des<br />

Antichristen, von dem Sie sicher auch schon gehört haben und <strong>der</strong> in <strong>der</strong><br />

Bibel auch deutlich für die letzten Zeiten angekündigt wird. Dabei ist das<br />

Ganze umso tragischer, als diese Menschen in <strong>der</strong> heutigen Zeit im<br />

Vergleich zu denen in den Dreißigerjahren eigentlich genug aufgeklärt<br />

sein müssten, um diesen ganzen Mechanismus zu durchschauen, doch<br />

das genaue Gegenteil ist <strong>der</strong> Fall - und trotzdem reden sie ständig<br />

davon, frei und unabhängig zu sein.<br />

Dazu kommt auch noch dies: War in früheren Zeiten <strong>der</strong> Sonntagmorgen<br />

bei den meisten Leuten für einen Gottesdienst reserviert, auch wenn<br />

sicher viele nur hingingen, um zu sehen und gesehen zu werden und<br />

nicht ins Gespräch zu kommen, so tummeln sich in <strong>der</strong> heutigen Zeit die<br />

meisten auf den Sportplätzen herum o<strong>der</strong> halten sich sonstwie draußen<br />

auf, ohne auch nur einen einzigen Gedanken an den Herrgott zu<br />

verschwenden, <strong>der</strong> sie schließlich aus lauter Gnade noch leben lässt. Ich<br />

weiß, dass Sie das vielleicht nicht gern hören, weil auch Sie ein Sportler<br />

sind, <strong>der</strong> an jedem Wochenende beschäftigt ist, aber es ist nun einmal<br />

eine Tatsache, dass <strong>der</strong> Sport in <strong>der</strong> heutigen Zeit eine übertrieben<br />

große Bedeutung hat. Es vergeht kein Wochenende, an dem nicht<br />

Hun<strong>der</strong>te von großen Sportveranstaltungen zugleich über die Bühne<br />

gehen, und oft läuft das auch noch unter <strong>der</strong> Woche so, vor allem beim<br />

Fußball.<br />

Natürlich ist dabei auch sehr viel Geld im Spiel, das sich die<br />

Bestverdienenden nicht entgehen lassen wollen - schließlich ist auch die<br />

Wirtschaft mit Milliardeninvestitionen dabei -, aber es geht um noch viel<br />

mehr, nämlich um die Ersetzung <strong>der</strong> alten Werte, zu denen eben auch<br />

die Gottesdienste gehört haben, durch alle möglichen<br />

Ablenkungsmanöver, die ganz klar von unten, das heißt von den<br />

teuflischen Mächten gesteuert werden, um möglichst viele Menschen<br />

vom Glauben an Gott und an Jesus Christus abzubringen. Dazu gehört<br />

vor allem auch <strong>der</strong> Sport - und <strong>der</strong> alte Kreislauf des römischen Spruchs<br />

von ‚panem et circenses’, also ‚Brot und Spiele’, mit dem das Volk billig<br />

unterhalten und von den wirklichen Bedürfnissen abgelenkt werden<br />

konnte, schließt sich immer wie<strong>der</strong>.<br />

Es ist sicher kein Zufall, dass die Sportbewegung etwa in <strong>der</strong> Mitte des<br />

19. Jahrhun<strong>der</strong>ts aufkam, also in <strong>der</strong> gleichen Epoche, als auch <strong>der</strong><br />

allmähliche Abfall vom christlichen Glauben einsetzte und die<br />

Evolutionstheorie immer mehr verbreitet wurde, und nur wer das<br />

113


ewusst nicht erkennen will, übersieht die Tatsache, dass die<br />

Olympischen Spiele, die kurz darauf neu einge<strong>führt</strong> wurden und heute<br />

praktisch mit religiösen Zeremonien als die wichtigsten Ereignisse in <strong>der</strong><br />

ganzen Welt gefeiert werden, eindeutig einen heidnischen und<br />

antigöttlichen und damit auch antichristlichen Ursprung haben. Gerade<br />

die Aussage, dass diese Spiele im antiken Griechenland, die vor mehr<br />

als hun<strong>der</strong>t Jahren im gleichen Geist wie<strong>der</strong>belebt wurden, den Göttern<br />

geweiht waren, beweist eindeutig, dass finstere Mächte dahinterstehen,<br />

denn hinter je<strong>der</strong> einzelnen Kultur, in <strong>der</strong> mehr als ein Gott verehrt<br />

wurde, stand seit jeher ein Götzen- und damit auch Dämonenkult, und<br />

das gilt auch in <strong>der</strong> heutigen Zeit, denn die Welt, aber auch Gott haben<br />

sich seitdem nicht verän<strong>der</strong>t. Jetzt verstehen Sie wahrscheinlich auch,<br />

warum ich seinerzeit die Eisschnelllaufschuhe an den Nagel gehängt<br />

habe, als ich diese Zusammenhänge erkannte.<br />

Dazu kommt auch noch die unglaubliche Aggressivität, die immer wie<strong>der</strong><br />

durchbricht, ganz gleich in welcher Sportart, und die immer feineren<br />

Methoden des Drogenmissbrauchs mit Hilfe sehr vieler Ärztinnen und<br />

Ärzte, um noch bessere Leistungen zu erzielen, bis bald auch noch die<br />

letzten Reste von Anstand über Bord geworfen werden - und jedes Mal,<br />

wenn jemand dabei erwischt wird, häufen sich die verlogenen und<br />

unglaubwürdigen Unschuldsbeteuerungen. Sicher ist gegen eine<br />

regelmäßige körperliche Betätigung nichts einzuwenden und ich möchte<br />

Ihnen selbst auch nicht sagen, dass Sie jetzt Ihre Laufbahn als Fußballer<br />

sofort beenden müssen, aber Sie können nicht bestreiten, dass <strong>der</strong><br />

Sport auch Sie im Grund gefangen hält, weil Sie fast an jedem<br />

Wochenende ein Spiel haben - und meistens gerade dann, wenn Sie an<br />

seiner Stelle einem Gottesdienst beiwohnen könnten -, und dass Sie<br />

auch unter <strong>der</strong> Woche viel Freizeit für das Training opfern müssen. O<strong>der</strong><br />

haben Sie noch nie den Eindruck bekommen, Sie könnten wegen Ihres<br />

Sports nie so richtig frei sein?“<br />

„Doch, manchmal schon, da muss ich Ihnen Recht geben“, antwortet<br />

Hans nach kurzem Zögern, „aber solange es mir noch Spaß gemacht<br />

hat, ist mir nie <strong>der</strong> Gedanke gekommen, dass ich besser damit aufhören<br />

sollte. Da ich aber schon 32-jährig bin, kann ich das sowieso nicht mehr<br />

lange betreiben, im besten Fall noch drei o<strong>der</strong> vier Jahre.“<br />

„Sehen Sie, Herr Stettler! Das ist es, was ich Ihnen sagen wollte.<br />

Vielleicht verstehen Sie jetzt, was ich gemeint habe, als ich vom<br />

nachchristlichen Zeitalter sprach. - Da fällt mir noch etwas ein, das ich<br />

Ihnen zu diesem Thema sagen wollte und das mit dem heutigen Sport<br />

eng zusammenhängt: Das ist die hemmungslose Gier nach viel Geld um<br />

jeden Preis, wobei auch noch <strong>der</strong> letzte Funken Menschlichkeit und<br />

Anstand auf <strong>der</strong> Strecke bleibt. Ich habe selbst ja auch einmal Sport<br />

getrieben und weiß, dass es für einen guten und erfolgreichen<br />

114


Wettkampf immer auch viel Training braucht. Sie werden mir aber<br />

zustimmen, dass es in <strong>der</strong> heutigen Zeit ein Verhältnisblödsinn<br />

son<strong>der</strong>gleichen ist, dass viele Sportlerinnen und Sportler, die ansonsten<br />

nichts leisten und in den meisten Fällen auch nicht beson<strong>der</strong>s intelligent<br />

sind, Millionen scheffeln können, nur weil sie zufälligerweise gut Fußball<br />

o<strong>der</strong> Tennis o<strong>der</strong> was auch immer spielen, und dass diese Leute<br />

bekannter sind als die meisten, die in <strong>der</strong> Politik tätig sind, und fast wie<br />

Nationalhelden gefeiert werden. Was haben sie aber effektiv geleistet,<br />

wenn wir davon absehen, dass ein kleiner Teil von ihnen mit Stiftungen<br />

hilft, für die sie aber nicht wenig von den Steuern absetzen können? Ich<br />

habe noch nie davon gehört o<strong>der</strong> gelesen, dass auch nur einer dieser<br />

Helden zum Beispiel im geistigen Bereich etwas zustande gebracht hat,<br />

dass auch nur eine Sportlerin o<strong>der</strong> ein Sportler fähig war, ohne die Hilfe<br />

von Journalisten ein Buch über das eigene Leben zu schreiben.<br />

Diese Gier zeigt sich jedoch nicht nur im Sport, son<strong>der</strong>n noch mehr in<br />

<strong>der</strong> Wirtschaft, die bekanntlich schon so stark mit dem Sport verflochten<br />

ist, dass gerade aus diesem Grund diese antigöttlichen und<br />

antichristlichen Olympischen Spiele, bei denen nicht umsonst bisher die<br />

meisten Dopingfälle aufgedeckt worden sind, nicht mehr abgeschafft<br />

werden wie damals zur Zeit des christlichen Kaisers Theodosius, <strong>der</strong><br />

diesen Hintergrund erkannt und sie deshalb verboten hat. Was in den<br />

letzten paar Jahrzehnten in <strong>der</strong> Weltwirtschaft mit dem ungehemmten<br />

Drogen- und Waffenhandel und dem gewaltigen Druck <strong>der</strong> Konzerne auf<br />

die kleinen Unternehmen sowie mit den zahlreichen Fusionen von<br />

Banken und vor allem mit <strong>der</strong> weltweiten Korruption geschehen ist, lässt<br />

für die weitere Zukunft nur noch Schlimmes ahnen. Es ist heute zwar<br />

bekannt, dass die internationale Hochfinanz im letzten und vorletzten<br />

Jahrhun<strong>der</strong>t viele Kriege geschürt hat - darunter auch die beiden<br />

Weltkriege -, aber wenn die ganze Entwicklung so weitergeht, kann es<br />

früher o<strong>der</strong> später zu einem weiteren Knall kommen, ohne dass dabei<br />

ein atomares Inferno sich ereignen muss - es kann auch nur ein<br />

wirtschaftliches sein.<br />

Allein die primitivsten soziologischen Gesetzmäßigkeiten, mit denen man<br />

gruppenweise aufeinan<strong>der</strong> angewiesen ist, was in den früheren Zeiten<br />

selbst über alle Schichten hinweg noch funktioniert hat, sagen <strong>uns</strong><br />

deutlich, dass es nicht gut enden wird, wenn eine dünne Oberschicht<br />

immer reicher wird, während die großen Massen unten gerade wegen<br />

dieser Machtgier immer mehr verarmen und immer mehr zu leiden<br />

haben - von <strong>der</strong> Arbeitslosigkeit von Millionen, die damit eng<br />

zusammenhängt, müssen wir da schon gar nicht mehr sprechen. Zwar<br />

hat es auch in den früheren Jahrhun<strong>der</strong>ten immer Reiche und Arme<br />

gegeben, aber noch nie in einem so krassen Missverhältnis wie heute.<br />

All dies zeigt <strong>uns</strong> deutlich, dass wir immer mehr in Richtung einer<br />

115


Welteinheitsbank mit einer Welteinheitswährung zustreben, welche die<br />

ganze Weltwirtschaft kontrolliert, und dass damit auch ohne Rücksicht<br />

auf Verluste das Feld für den zukünftigen Antichristen vorbereitet wird,<br />

von dem in <strong>der</strong> Bibel oft genug die Rede ist.“<br />

Dann hält er wie<strong>der</strong> kurz inne, um einmal durchzuatmen, doch bald<br />

darauf setzt er fort, da Hans nichts einwendet: „Ein weiteres<br />

nachchristliches Kennzeichen <strong>der</strong> heutigen Zeit ist etwas, das ich vorher<br />

schon angedeutet habe: Der immer krassere Missbrauch von Drogen, an<br />

denen schon Millionen von Menschen zugrunde gegangen sind und<br />

noch heute leiden und <strong>der</strong> weite Teile <strong>der</strong> Welt vergiftet hat - von <strong>der</strong><br />

Mafia und an<strong>der</strong>en finsteren Kreisen, die damit ihre Macht noch<br />

zusätzlich ausgebaut haben, müssen wir da auch nicht mehr reden, das<br />

versteht sich schon fast von selbst. Doch die wirklich Schuldigen sind<br />

immer noch jene, die es konsumieren und damit zu dieser weltweiten<br />

Verbreitung beigetragen haben. So gibt es in <strong>der</strong> heutigen Zeit fast keine<br />

private Party mehr, bei <strong>der</strong> nicht alle möglichen Drogen gebraucht und<br />

gemischt werden - o<strong>der</strong> gemixt, wie es so schön mo<strong>der</strong>n heißt -, und es<br />

ist auch kein Zufall, dass gerade überwiegend Leute aus den<br />

sogenannten besseren Gesellschaftskreisen sehr stark vertreten sind,<br />

und keineswegs nur bekannte. Das Gleiche gilt auch für viele, die im<br />

Showbusiness und im sogenannten Jet-Set vertreten sind, denen das<br />

genau gleiche Etikett angehängt werden kann wie vielen aus <strong>der</strong><br />

Sportszene: Viel Geld und wenig Hirn.<br />

Auch wenn heute nicht mehr so stark für den Gebrauch von Drogen<br />

geworben wird, wie das seinerzeit die Beatles, die Rolling Stones und<br />

unzählige an<strong>der</strong>e Musikgruppen getan haben, bleibt es eine Tatsache,<br />

dass das Showbusiness immer noch stark von Drogen infiltriert ist, vor<br />

allem bei denen, die harte Musik spielen wie etwa Rock. Es ist sicher<br />

kein Zufall, dass all diese Gruppen neben dem Gebrauch von Drogen<br />

auch noch eine überlaute Musik spielen - falls das überhaupt noch als<br />

Musik bezeichnet werden kann -, die direkt das Gehör und damit letztlich<br />

auch einen Teil des vernünftigen menschlichen Denkens verletzt. Dass<br />

dabei das Fragen und die Suche nach einem Gott auf <strong>der</strong> Strecke<br />

bleiben, versteht sich da ebenfalls von selbst, aber das ist ja auch das<br />

Ziel dieser Leute, die alles an<strong>der</strong>e als Christen waren o<strong>der</strong> sind. Dazu<br />

gehört auch, dass es noch nie bekannt geworden ist, dass einer dieser<br />

sogenannten Stars auf irgendeine Weise etwas für wohltätige Zwecke<br />

gespendet hat - und wenn doch, waren es fast immer nur mickrige<br />

Beträge, die gemessen an ihrem Vermögen nur ein Butterbrot wert<br />

waren. In dieser Beziehung glichen sie immer stark den etablierten<br />

Leuten, die sie in ihren Lie<strong>der</strong>n zum Teil heftig kritisiert haben. Das<br />

Gleiche gilt auch für viele sogenannte Stars aus dem Filmgeschäft, die<br />

116


für Filme, über <strong>der</strong>en wirklichen Wert diskutiert werden kann und die sich<br />

sicher nicht mit vielen aus <strong>der</strong> Vergangenheit messen können, Millionen<br />

scheffeln und ebenfalls fast alles nur für sich selbst behalten.“<br />

Wie<strong>der</strong> hält er kurz inne, dann fragt er Hans lächelnd: „Mögen Sie noch<br />

weiter zuhören?“<br />

„Ich schon“, antwortet dieser sofort und ebenfalls lächelnd, „aber<br />

vielleicht mögen Sie nicht mehr, eigentlich müssten Sie schon müde<br />

o<strong>der</strong> wenigstens heiser sein.“<br />

„Aber nein, Herr Stettler! Wenn es um den Glauben an Gott und an<br />

Jesus Christus geht, kenne ich keine Müdigkeit mehr; dann kann ich<br />

sogar eine ganze Nacht lang sprechen, wenn es sein muss. Zudem bin<br />

ich es gewohnt, stundenlang zu reden, und zum Glück hat <strong>der</strong> Herr mir<br />

auch eine kräftige Stimme geschenkt, so dass diese eine gute Kondition<br />

hat. Ein weiteres Glück ist, dass ich morgen früh ausnahmsweise etwas<br />

länger schlafen kann, weil ich meinen ersten Vortrag erst am Nachmittag<br />

habe … Also, dann fahren wir fort: Ein weiteres typisches<br />

nachchristliches Kennzeichen <strong>der</strong> heutigen Zeit, das mit den Drogen<br />

ebenfalls eng zusammenhängt, ist die zunehmende Beschäftigung mit<br />

dem Okkultismus. Zwar gab es das auch schon früher in bestimmten<br />

Kreisen, aber nie so wie heute, vor allem nie so öffentlich, jedenfalls<br />

nicht in <strong>uns</strong>erem sogenannten christlichen Kulturkreis. So gibt es heute<br />

fast keine Illustrierte mehr, in denen keine Horoskope vorkommen, und<br />

auch immer mehr Zeitungen machen davon Gebrauch. Es ist bekannt<br />

und wird nicht einmal mehr bestritten, dass zahlreiche Politiker und<br />

Wirtschaftsgeneräle ihre Entscheidungen allein aufgrund von<br />

Horoskopen und an<strong>der</strong>en okkulten Voraussagemethoden treffen, anstatt<br />

direkt den lebendigen Gott um Rat zu fragen, und auch die meisten<br />

Angehörigen des Showbusiness und <strong>der</strong> Filmwelt, ja, des ganzen<br />

sogenannten Jet-Sets sind darin verwickelt, also überwiegend reiche<br />

Leute, was für die Zukunft auch nichts Gutes erahnen lässt. Das<br />

eigentliche Tragische besteht jedoch darin, dass immer mehr<br />

Kirchenführer sich verblenden lassen o<strong>der</strong> aus Furcht und Feigheit<br />

schweigen, statt all dieses Teufelswerk als das zu bezeichnen, was es<br />

effektiv auch ist, und in ihren Kirchen zum Teil sogar Yoga-Kurse<br />

anbieten, die ebenfalls im Okkultismus verstrickt sind, auch wenn das<br />

immer wie<strong>der</strong> bestritten worden ist; dabei wäre das gar nicht mehr nötig,<br />

seitdem das Okkulte in <strong>der</strong> Öffentlichkeit immer mehr salonfähig<br />

geworden ist.“<br />

„Ist Yoga also auch teuflisch?“, fragt Hans dazwischen, „was halten Sie<br />

denn von den östlichen Heilmethoden wie Akupunktur und Akupressur?<br />

Die sollen ja sehr erfolgreich sein und viele geheilt haben.“<br />

„Ja, aber für wie lange? Das wird nirgendwo beantwortet. Dass diese<br />

117


eiden Methoden schon zu Erfolgen ge<strong>führt</strong> haben, wird ja von<br />

niemandem ernsthaft bestritten, aber es bleibt eine Tatsache, dass vor<br />

allem die Akupunktur keinen göttlichen Ursprung hat. Selbst ihre<br />

Benützer betonen immer wie<strong>der</strong>, dass bei ihnen auch magische Kräfte<br />

im Spiel sind - jedenfalls haben sie das nie direkt bestritten, wenn sie<br />

darauf angesprochen wurden. Ob Sie das jetzt glauben wollen o<strong>der</strong><br />

nicht, Herr Stettler: Auch die satanische Seite ist fähig, medizinische<br />

Heilerfolge zu erzielen, mit denen sie die Welt verblenden und von Gott<br />

ablenken kann. Dabei gäbe es auch noch einen an<strong>der</strong>en <strong>Weg</strong>, denn es<br />

steht in einem Bibelvers klar geschrieben, dass Gott selbst sich auch als<br />

Arzt und Helfer offenbart. So ist es schon viele Male vorgekommen,<br />

dass Personen, die sich auf diesen Vers beriefen und den Herrn auf<br />

diese Weise um Heilung baten, auch tatsächlich geheilt wurden o<strong>der</strong> die<br />

Heilung an<strong>der</strong>er Leute unmittelbar miterlebt haben. Es wäre also viel<br />

einfacher als das, was in <strong>der</strong> Welt angeboten wird; es würde genügen,<br />

etwa die Worte aus dem Psalm 50, Vers 15, anzuwenden, <strong>der</strong> unter den<br />

Christen im Scherz als Telefonnummer <strong>der</strong> Bibel bezeichnet wird, und<br />

Gott direkt anzurufen. Die meisten ziehen es jedoch vor, auf den<br />

komplizierten okkulten <strong>Weg</strong>en zu wandeln und sich immer mehr darin zu<br />

verstricken, und wenn sie einmal tief drinnen sind, kommen sie<br />

höchstens noch durch ein göttliches Wun<strong>der</strong> wie<strong>der</strong> heraus - falls sie das<br />

überhaupt wollen, aber das ist immerhin schon etliche Male<br />

vorgekommen.“<br />

Nun legen sie eine weitere kleine Pause ein, die sie zum Nachschenken<br />

von Kaffee benützen. Dann fragt Hoveneel nochmals lächelnd: „Wollen<br />

Sie noch mehr hören, Herr Stettler?“<br />

„Aber natürlich, fahren Sie ruhig fort, wenn Sie noch Zeit haben!“<br />

antwortet dieser ebenso lächelnd, wobei er sich fast dazu hätte hinreißen<br />

lassen, auf die Uhr zu schauen.<br />

„Diese Zeit habe ich schon noch, also gehen wir noch ein wenig weiter ...<br />

Ein weiteres nachchristliches Kennzeichen <strong>der</strong> heutigen Zeit ist das<br />

Auftreten vieler Sekten, die Irrlehren verbreiten, und vieler falscher<br />

Propheten, die sich als Retter bezeichnen o<strong>der</strong> sich noch so gern von<br />

an<strong>der</strong>en so bezeichnen lassen, und wenn sie sich christlich geben,<br />

verbreiten sie ein ganz an<strong>der</strong>es Evangelium, aber nicht das, was<br />

tatsächlich in <strong>der</strong> Bibel geschrieben steht. Vor all denen müssen Sie sich<br />

in acht nehmen, denn Sie wissen ja selbst, wie oft wir immer wie<strong>der</strong><br />

damit konfrontiert werden.“<br />

„Ja, ich erinnere mich, wie Erwin mir einmal gesagt hat, dass das<br />

Kennzeichen einer Sekte darin besteht, dass Jesus und das Kreuz nicht<br />

allein im Mittelpunkt stehen.“<br />

„Wenn Sie sich das gemerkt haben, ist Ihnen aber schon einiges klar -<br />

118


erfreulich vieles, muss ich sagen. Dann könnten Sie auch schon fähig<br />

sein, einen falschen Propheten als solchen zu durchschauen. Jesus<br />

Christus hat ja selbst noch vorausgesagt, dass nach ihm viele falsche<br />

Propheten auftreten werden, die als Engel des Lichts erscheinen, um die<br />

Menschen zu verführen. Dabei ist eines klar festzuhalten: Wenn wir<br />

Christen wirklich daran glauben, dass <strong>der</strong> Herr durch seinen Opfertod<br />

am Kreuz und seine Auferstehung das göttliche Erlösungswerk<br />

vollbracht hat - und daran glauben wir ja -, dann kann es nur logisch<br />

sein, dass es nach ihm keine weiteren Propheten mehr brauchte, dass<br />

also kein Geringerer als er selbst <strong>der</strong> letzte Gesandte Gottes war und ist<br />

und dass damit auch <strong>der</strong> letzte echte Apostel Gottes, <strong>der</strong> von ihm selbst<br />

berufen wurde, <strong>der</strong> Evangelist Johannes war, <strong>der</strong> neben dem<br />

Evangelium, das nach ihm benannt ist, auch noch die Apokalypse, das<br />

letzte Buch <strong>der</strong> Bibel, geschrieben hat und vom Herrn buchstäblich zu<br />

diesem Zweck jahrzehntelang beschützt wurde, damit er nicht auch den<br />

Märtyrertod erlitt wie fast alle an<strong>der</strong>en Apostel vor ihm.<br />

Zudem gibt es noch etwas zu beachten, das sogar unter den Christen<br />

viel zu wenig bekannt ist: Wer auch immer von den Personen, die in <strong>der</strong><br />

Bibel auftreten, prophetische Aussagen machte, die von Gott kamen,<br />

war ein Mann o<strong>der</strong> manchmal auch eine Frau aus dem Volk Israel, und<br />

das Gleiche gilt auch für die ersten Apostel, die mit Jesus zusammen<br />

waren. So kann zum Beispiel nicht einmal Lukas, <strong>der</strong> eines <strong>der</strong><br />

Evangelien und dazu die Apostelgeschichte geschrieben hat, wie Sie<br />

vielleicht wissen, als ein Apostel, geschweige denn als ein Prophet<br />

bezeichnet werden, erstens weil er nicht zu den ersten zwölf Jüngern<br />

des Herrn gehörte und zweitens weil er kein Jude war wie die an<strong>der</strong>en,<br />

son<strong>der</strong>n ein Grieche; das beweist auch seine hervorragende und<br />

gehobene Sprache im Neuen Testament - jedenfalls für all jene, welche<br />

die Ursprache gut beherrschen, so auch ich zum Teil.<br />

Da nun also je<strong>der</strong> Prophet Gottes ein Israelit und in späteren<br />

Jahrhun<strong>der</strong>ten, als es nur noch jene gab, die wir noch heute als Juden<br />

bezeichnen, nur ein Jude sein konnte, ist es klar, dass auch ein<br />

Mohammed nicht von Gott geschickt sein konnte. Das war auch <strong>der</strong><br />

Hauptgrund dafür, dass er von den Juden, die auf <strong>der</strong> Arabischen<br />

Halbinsel lebten, nicht als Prophet anerkannt wurde, und wie Recht sie<br />

hatten, zeigte er gerade in den zehn Jahren, die er nach seiner Flucht<br />

aus Mekka in Medina verbracht hat. Das war keineswegs eine so<br />

ruhmvolle Zeit, wie es in den islamischen Geschichtsbüchern<br />

geschrieben steht, son<strong>der</strong>n eine reine Terrorherrschaft. Wer es wagte,<br />

ihn nicht als Propheten Gottes anzuerkennen, wurde enthauptet, und<br />

genau so geschah das auch in aller Öffentlichkeit mit mehr als<br />

sechshun<strong>der</strong>t Juden - es war also ein regelrechtes Massaker.<br />

Zu diesem Geist, <strong>der</strong> nur von unten sein konnte, gehörte auch, dass die<br />

119


islamischen Heere ihren Glauben in den nächsten paar Jahrzehnten und<br />

Jahrhun<strong>der</strong>ten mit einer auffallenden Aggressivität in die Welt verbreitet<br />

haben - noch viel aggressiver, als das zu Unrecht den Christen<br />

vorgeworfen wird. Kann so einer, <strong>der</strong> diesen Feldzug mit dem Schwert<br />

begonnen hat, obwohl Jesus davon gesprochen hatte, dass kein<br />

Schwert benötigt würde, um an Gott zu glauben, ein Prophet des einen<br />

wahrhaften Gottes sein? Sicher nicht - und erst recht nicht deshalb, weil<br />

es deutliche Hinweise dafür gibt, dass er wahrscheinlich epileptisch<br />

veranlagt war; jedenfalls mutet die Geschichte von <strong>der</strong> Erscheinung des<br />

Engels Gabriel in einer Höhle, die ihn in Verzückungen fallen ließ, allzu<br />

komisch an.<br />

Also, Herr Stettler, merken Sie sich das gut: Wenn Ihnen über Propheten<br />

und Apostel etwas an<strong>der</strong>es gepredigt wird als das, was ich Ihnen jetzt<br />

gesagt habe, ist das eine klare Irrlehre - nicht wegen mir selbst, son<strong>der</strong>n<br />

weil es in <strong>der</strong> Bibel so geschrieben steht, und es wird in <strong>der</strong> Apokalypse,<br />

dem letzten Buch <strong>der</strong> Bibel, auch deutlich davor gewarnt, zu diesen<br />

Worten noch etwas hinzuzufügen o<strong>der</strong> etwas davon wegzunehmen. Die<br />

frühesten Kirchenväter, die im zweiten Jahrhun<strong>der</strong>t nach Christus - o<strong>der</strong><br />

nach <strong>der</strong> heutigen Zeitrechnung, wie das von den mo<strong>der</strong>nen,<br />

atheistischen Kreisen so bezeichnet wird - den Kanon, also die<br />

sogenannten 66 Bücher <strong>der</strong> Bibel, zusammengestellt haben, waren noch<br />

gottesfürchtige Männer, die sich nach vielen Gebeten vom Heiligen Geist<br />

leiten ließen und damit sehr wohl wussten, was von Gott inspiriert war<br />

und was nicht. Sein Wort steht also fest, obwohl immer wie<strong>der</strong> von<br />

verschiedenen Seiten das Gegenteil behauptet wird, so auch von <strong>der</strong><br />

römisch-katholischen Kirche, die bekanntlich auch noch an<strong>der</strong>e Schriften<br />

wie etwa die Apokryphen als göttlich inspiriert anerkennt. Das ist aber<br />

auch nicht erstaunlich, denn sonst könnte sie das Fegefeuer, von dem<br />

im zweiten Makkabäerbrief die Rede ist und <strong>der</strong> übrigens vom<br />

unbekannten Verfasser selbst als ein reines Menschenwerk bezeichnet<br />

wird, nicht als eine ihrer Hauptlehren vorbringen.<br />

Wir können also getrost auf diese Worte vertrauen: Wenn Jesus<br />

verheißt, dass er seine Kirche beziehungsweise Gemeinde bauen wird<br />

und auch die Hölle sie nicht überwältigt, können wir fest damit rechnen,<br />

dass ihm das auch gelingen wird. Nach ihm brauchte es also keine<br />

weiteren Propheten und Apostel mehr, also keinen Mohammed und<br />

keine Stammapostel wie bei den Neuapostolen und den Mormonen,<br />

damit also auch keinen Joseph Smith, den selbst ernannten Propheten<br />

<strong>der</strong> Mormonen und Erneuerer <strong>der</strong> einen wahren Kirche, und auch alles<br />

an<strong>der</strong>e, was von einer Erlösung ohne Jesus Christus allein redet, ist ein<br />

falscher <strong>Weg</strong>, <strong>der</strong> ins Ver<strong>der</strong>ben <strong>führt</strong> - nur Jesus ist die alleinige<br />

Wahrheit.“<br />

„Wie könnt ihr beiden aber so sicher sein, dass Jesus die alleinige<br />

120


Wahrheit ist?“, fragt Hans jetzt dazwischen und setzt dann nach einer<br />

kurzen Pause nach: „Die Moslems und Mormonen, die Sie jetzt erwähnt<br />

haben, und alle an<strong>der</strong>en reden doch auch von Gott, und es ist nicht<br />

anzunehmen, dass sie einen an<strong>der</strong>en meinen.“<br />

„So, das glauben Sie? Die Antwort darauf ist sehr einfach: Jesus ist<br />

tatsächlich die eine und einzige Wahrheit, weil er eben von den Toten<br />

auferstanden ist und <strong>uns</strong>ichtbar noch heute mitten unter <strong>uns</strong> lebt. Alles<br />

an<strong>der</strong>e, was über diesen erwähnten Kanon hinausgeht, ist nur<br />

menschliches Stückwerk o<strong>der</strong> von <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite, also von unten<br />

inspiriert. Schauen wir <strong>uns</strong> zum Beispiel den Koran an! Während in <strong>der</strong><br />

Bibel von Anfang bis zum Schluss, also vom ersten Buch Mose bis zur<br />

Apokalypse, eine klare Linie zu erkennen ist - eben die Heilslinie Gottes<br />

bis zum irdischen Auftreten des Herrn -, sind die 114 sogenannten Suren<br />

ohne ein bestimmtes Schema so durcheinan<strong>der</strong>gewühlt, dass kein klares<br />

Konzept zu erkennen ist.<br />

Da wird einerseits zum Beispiel die Jungfrauengeburt betont, doch<br />

an<strong>der</strong>erseits wird einfach behauptet, Jesus sei nicht gekreuzigt worden,<br />

obwohl mehrere weltliche Quellen das deutlich belegen, son<strong>der</strong>n ein<br />

an<strong>der</strong>er, <strong>der</strong> sein Gesicht hatte, sei an seiner Stelle gehangen, während<br />

<strong>der</strong> wirkliche Jesus, <strong>der</strong> immerhin noch als ein großer Prophet verehrt<br />

wird, von Gott in den Himmel entrückt worden sei. Zudem heißt es im<br />

Koran stets, dass es nur einen Gott gäbe, und an<strong>der</strong>erseits kommt<br />

Dutzende Male die Wir-Form vor, zum Beispiel in Sätzen wie: ‚Wir haben<br />

ihnen die Schrift gegeben’ o<strong>der</strong> ‚Wir haben Moses gesandt’ o<strong>der</strong> ‚Wir<br />

haben für euch das Meer geteilt und euch errettet’ o<strong>der</strong> ‚Wir haben mit<br />

euch den Bund geschlossen’. Wer ist denn wohl mit diesem ‚wir’<br />

gemeint? Das kann doch nichts an<strong>der</strong>es als ein versteckter Hinweis auf<br />

die göttliche Dreieinigkeit sein, die von den Moslems ja immer so heftig<br />

bestritten wird, manchmal sogar noch heftiger als von den orthodoxen<br />

Juden. Entwe<strong>der</strong> ist es dem, <strong>der</strong> dem Propheten dieses Buch angeblich<br />

von oben eingegeben hat, nicht ganz gelungen, dieses göttliche<br />

Geheimnis zu verschleiern, o<strong>der</strong> sonst weiß offenbar <strong>der</strong> linke Teil nicht,<br />

was <strong>der</strong> rechte tut.<br />

Der Hauptzweck dieses sogenannten heiligen Buches kann von denen,<br />

welche die Auferstehung des Herrn Jesus persönlich erfahren haben,<br />

schon bald durchschaut werden: Es soll um jeden Preis verhin<strong>der</strong>t<br />

werden, dass die Botschaft vom Kreuz verbreitet wird, und wenn wir<br />

daran denken, dass im siebten Jahrhun<strong>der</strong>t, als dieser angebliche<br />

Prophet lebte, das Christentum gerade auf <strong>der</strong> Arabischen Halbinsel<br />

immer mehr Erfolg hatte, ist dieser raffinierte Plan von <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite<br />

erst recht zu erkennen. Dazu passen auch die Aussagen im Koran<br />

selbst, in denen Allah, also <strong>der</strong> Gott <strong>der</strong> Moslems, als arglistig, ja, sogar<br />

als <strong>der</strong> größte Listenschmied bezeichnet wird. Da ist offensichtlich von<br />

121


einem an<strong>der</strong>en Gott die Rede, denn <strong>der</strong> Gott <strong>der</strong> Bibel, auf den sich<br />

dieses Buch auch bezieht, bezeichnet sich an keiner einzigen Stelle als<br />

arglistig und damit hinterhältig.<br />

Ebenso wenig findet <strong>der</strong> Gott <strong>der</strong> Bibel, dass all jene, die den Glauben<br />

an ihn verlassen, umgebracht werden sollen o<strong>der</strong> dass ihnen eine o<strong>der</strong><br />

gar beide Hände abgehackt werden sollen, wie das im Koran deutlich so<br />

geschrieben steht. Diese fanatische Intoleranz hat dieser selbst ernannte<br />

Prophet, <strong>der</strong> es offensichtlich nie ganz überwinden konnte, dass er, ein<br />

Sohn aus einer einfachen Familie, <strong>der</strong> es nur dank <strong>der</strong> Heirat mit einer<br />

reichen Witwe nach oben schaffte, nicht von allen als <strong>der</strong> Eine und<br />

Einzige anerkannt wurde, in Medina mit dem Massenmord an den mehr<br />

als sechshun<strong>der</strong>t Juden, den ich vorhin erwähnt habe, auch deutlich<br />

genug bewiesen.<br />

Ob Sie das nun glauben o<strong>der</strong> nicht, dieses systematische Töten und<br />

Abhacken <strong>der</strong> Hände ist in <strong>der</strong> Vergangenheit unzählige Male<br />

vorgekommen, wenn ein Mann o<strong>der</strong> eine Frau, für die es aus den<br />

bekannten Gründen noch viel schwieriger war, sich zu Christus bekehrt<br />

hat, und selbst heute geschieht das noch ab und zu. Auf meinen Reisen<br />

in den Nahen Osten habe ich persönlich einen arabischen und einen<br />

pakistanischen Bru<strong>der</strong> kennen gelernt, denen nicht nur eine Hand<br />

abgehackt wurde, son<strong>der</strong>n gleich beide. All dies zeigt, dass <strong>der</strong> Geist,<br />

<strong>der</strong> aus diesem Buch spricht, nicht von <strong>uns</strong>erem Gott stammt, son<strong>der</strong>n<br />

vom Teufel selbst, dem größten Menschenfeind, direkt inspiriert ist, und<br />

das eigentliche Tragische dabei ist, dass sehr viele Moslems im Grund<br />

gutgläubig und rechtschaffen sind und alles tun, um Gott zu gefallen, und<br />

nicht merken, dass sie sozusagen den Falschen erwischt haben. Das<br />

wird auch dadurch unterstrichen, dass bekannt ist, dass die Kaaba, also<br />

<strong>der</strong> große schwarze Stein in Mekka, <strong>der</strong> für die Moslems eine so enorme<br />

Bedeutung hat, schon vor dem Auftreten Mohammeds wie ein Götze<br />

verehrt wurde. Erkennen Sie die Parallelen, Herr Stettler? Aber wie Sie<br />

ja selbst wissen, dürfen wir all diese Tatsachen nicht laut und in aller<br />

Öffentlichkeit sagen o<strong>der</strong> schreiben, wenn wir <strong>uns</strong>er eigenes Leben und<br />

das <strong>uns</strong>erer Familien nicht gefährden wollen.<br />

Ins gleiche Kapitel gehört auch dies: Einerseits werfen die fanatischen<br />

Moslems den Christen, die an die göttliche Dreieinigkeit glauben, immer<br />

wie<strong>der</strong> Vielgötterei und wegen <strong>der</strong> Heiligenbil<strong>der</strong> auch noch<br />

Götzendienst vor, und handkehrum betreiben sie den gleichen<br />

Reliquienkult und verehren ihren heiligen Propheten <strong>der</strong>art, dass von<br />

ihm, <strong>der</strong> von sich selbst gesagt hat, er sei auch nur ein Mensch, kein<br />

einziges Bild gezeichnet o<strong>der</strong> angefertigt werden darf. Ich erinnere<br />

daran, dass damals, als in den Siebzigerjahren des letzten Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />

ein internationaler Spielfilm über ihn gedreht wurde, an dem sich auch<br />

Moslems beteiligten, nach massiven Drohungen darauf verzichtet<br />

122


werden musste, ihn durch einen Schauspieler darstellen zu lassen.<br />

Grenzt das nicht auch an Götzendienst? Zudem werden auch ihm<br />

Heilungen nachgesagt, die Jesus vollbrachte, ja, es wird sogar<br />

behauptet, dass auch er in den Himmel aufgefahren sei, und zwar vom<br />

Felsendom in Jerusalem aus. Vor allem aus diesem Grund gilt auch<br />

dieser Bau zusammen mit <strong>der</strong> ebenso weltbekannten Al-Aksa-Moschee<br />

als heilig und Jerusalem nach Mekka und Medina als drittheiligste Stadt,<br />

obwohl diese im Koran keine wichtige Rolle spielt. Der Hauptzweck ist<br />

aber leicht zu durchschauen: Auch damit soll unterstrichen werden, dass<br />

nicht die Juden das auserwählte Volk Gottes sind, son<strong>der</strong>n die Moslems<br />

und beson<strong>der</strong>s die Araber, in <strong>der</strong>en Sprache <strong>der</strong> Koran ja geschrieben<br />

worden ist.<br />

Dazu passt auch, dass einfach behauptet wird, die Bibel und vor allem<br />

das Neue Testament wimmle von Übersetzungsfehlern, nur damit <strong>der</strong><br />

Vers im Johannes-Evangelium, in dem von einem ‘Parakletos’, also von<br />

einem Tröster Gottes, die Rede ist, auf Mohammed bezogen werden<br />

kann, weil ein griechisches Wort, das mit ‘Parakletos’ fast identisch ist,<br />

im Arabischen angeblich genau diesen Namen bedeutet. Wie weit dieser<br />

ganze Kult geht, zeigt sich nicht nur darin, dass es rund um den ganzen<br />

Mittelmeerraum fast keine Moschee gibt, in <strong>der</strong> nicht behauptet wird,<br />

dass eines seiner Haare dort drinnen aufbewahrt sei, und dass in<br />

Istanbul, dem früheren Konstantinopel, sogar das Grab eines Mannes<br />

verehrt wird, nur weil er viele Jahre lang <strong>der</strong> Fahnenträger des<br />

Propheten war.<br />

Und noch etwas möchte ich vorbringen, das deutlich beweist, dass <strong>der</strong><br />

Koran unmöglich das Wort Gottes sein kann, jedenfalls nicht des Gottes,<br />

den wir Christen kennen: Wie Sie vielleicht auch schon gehört haben,<br />

steht im Neuen Testament geschrieben, dass wir durch den Glauben an<br />

den gekreuzigten und auferstandenen Herrn Jesus von allen bisherigen<br />

religiösen Gesetzen befreit worden sind. Was aber hat dieser heilige<br />

Prophet <strong>der</strong> Moslems gemacht? Er hat eine Unmenge neuer Gesetze<br />

wie<strong>der</strong> einge<strong>führt</strong>, Jahrhun<strong>der</strong>te nachdem <strong>der</strong> biblische Kanon von<br />

gottesfürchtigen Männern zusammengestellt worden war, und zwar nicht<br />

durch eine sogenannte Vision in einer Höhle, son<strong>der</strong>n nach vielen<br />

innigen Gebeten in ihrem Kreis. Dabei hat er, <strong>der</strong> sein ganzes Leben<br />

lang nie Lesen und Schreiben gelernt hat und damit keinen richtigen<br />

Einblick hatte, einfach behauptet, alles Frühere sei nicht mehr gültig, weil<br />

die Übersetzungen sowieso falsch seien. Merken Sie, von welcher Seite<br />

diese Behauptung inspiriert ist?<br />

Von den vielen Gesetzen, mit denen die Moslems sogar fast den<br />

orthodoxen Juden, die auch noch heute mehr als 600 einhalten müssen,<br />

Konkurrenz machen könnten, möchte ich nur zwei hervorheben: Wie Sie<br />

sicher auch schon gehört haben, ist es einem Moslem erlaubt, bis zu vier<br />

123


Frauen zu heiraten, ja, ich kannte mal einen, <strong>der</strong> sogar behauptet hat, es<br />

seien bis zu sieben erlaubt. Einerseits hat ein solcher Mann die Pflicht,<br />

für diese zu sorgen, doch an<strong>der</strong>erseits kann er je<strong>der</strong>zeit eine Frau<br />

verstoßen, wenn es ihm beliebt, und dabei jede noch so erstunkene<br />

Lüge vorbringen. So ist das auch schon unzählige Male vorgekommen,<br />

vor allem dann, wenn es einer Frau gelungen war, diese Ketten <strong>der</strong><br />

Sklaverei hinter ihrem Schleier zu durchbrechen, und sich zu Christus<br />

bekehrte. Meistens wurden sie dann wegen angeblichen Ehebruchs und<br />

damit wegen Verletzung <strong>der</strong> Familienehre o<strong>der</strong> sogar wegen angeblicher<br />

Beleidigung des heilligen Propheten gesteinigt o<strong>der</strong> enthauptet, und<br />

auch heute kommt das immer wie<strong>der</strong> vor. Sicher haben auch Sie schon<br />

vom Begriff ‘Ehrenmord’ gehört, <strong>der</strong> vor allem dann verwendet wird,<br />

wenn eine Frau o<strong>der</strong> ein noch sehr junges Mädchen, das sogar noch in<br />

<strong>der</strong> Pubertät steckt, den Mut aufbringt, nicht den Mann heiraten zu<br />

wollen, den ihre Eltern für sie ausgesucht haben. Die Frauen haben also<br />

überhaupt keine Möglichkeit, sich zu wehren. Das einzige Recht, das<br />

ihnen zusteht, ist eine finanzielle Abfindung nach einer Scheidung, aber<br />

Sie können sich ja selbst gut genug vorstellen, wie dieses Recht<br />

umgangen werden kann, vor allem gerade bei einer Frau, die eine<br />

Christin geworden ist, und erst recht in den Wüstengegenden o<strong>der</strong><br />

abgelegenen Bergdörfern irgendwo im Atlas-Gebirge, im Jemen o<strong>der</strong> in<br />

Afghanistan.<br />

Dazu kommt noch dies: Es steht nirgendwo im Koran deutlich<br />

geschrieben, dass auch die Frauen ins Paradies kommen; es ist<br />

praktisch immer nur von den Männern die Rede, so dass <strong>der</strong> Islam<br />

tatsächlich eine Männer-Religion ist, wie es einmal jemand so formuliert<br />

hat. Nicht umsonst ist es den Frauen und Mädchen in den Moscheen<br />

nicht erlaubt, sich im Hauptteil aufzuhalten, weil angeblich die Männer<br />

allein ihre Famlien vertreten; nur in Nebenräumen dürfen sie mitbeten.<br />

Wenn wir <strong>uns</strong> aber vor Augen führen, wie dieser Mohammed selbst<br />

gelebt hat, brauchen wir <strong>uns</strong> nicht zu wun<strong>der</strong>n, warum die Frauen bei<br />

ihm so schlecht wegkamen. Es ist zwar in <strong>der</strong> islamischen Tradition wie<br />

in einer Art Alibifunktion immer wie<strong>der</strong> davon die Rede, wie wichtig seine<br />

erste Frau Chadidscha, die ihm erst den sozialen Aufstieg ermöglicht<br />

hat, sowie seine spätere Lieblingsfrau Aischa und seine Lieblingstochter<br />

Fatima für ihn waren, doch es ist ebenso bekannt, dass er selbst sich<br />

nicht an die Gebote hielt, was die Anzahl <strong>der</strong> Ehefrauen betrifft, denn er<br />

hatte mindestens elf davon und dazu noch mehrere Nebenfrauen. Aber<br />

auch dies dürfen wir in <strong>der</strong> Öffentlichkeit nicht laut sagen, wenn wir nicht<br />

um <strong>uns</strong>er Leben fürchten wollen, denn so komisch es auch klingt, so wie<br />

die Moslems sich aufführen und ausdrücken, bekommt man fast den<br />

Eindruck, dass dieser Mohammed für sie noch heiliger ist als Gott selbst.<br />

Was sagt nun aber die Bibel zur Stellung <strong>der</strong> Frauen? Da steht deutlich<br />

124


geschrieben, dass die Frauen gegenüber den Männern gleichberechtigt<br />

sind, dass sie zwar an<strong>der</strong>e Aufgaben und Pflichten, aber eben die<br />

gleichen Rechte haben. So durften sie zum Beispiel auch nicht<br />

übergangen werden, wenn ein Israelit mehrere Kin<strong>der</strong> hinterließ, von<br />

denen eines eine Tochter war; alles musste genau gleich unter alle<br />

verteilt werden. Dazu kommen auch noch die recht strengen Gesetze,<br />

was das Scheiden sogar im Neuen Testament betrifft, aber auch diese<br />

dienten und dienen vor allem als Schutz für die Frauen.<br />

Und jetzt komme ich auch noch auf ein ganz beson<strong>der</strong>es islamisches<br />

Gesetz zu sprechen, das wohl am deutlichsten zeigt, wie verkehrt diese<br />

Religion ist: Wie Sie vielleicht auch schon gehört haben, ist es den<br />

Moslems verboten, mit <strong>der</strong> linken Hand zu essen, weil mit dieser <strong>der</strong><br />

Hinterteil nach dem Stuhlgang gereinigt werden muss. Allein die<br />

Tatsache, dass die meisten Menschen Rechtshän<strong>der</strong> sind und damit von<br />

Natur aus fast alles mit <strong>der</strong> rechten Hand ausführen, spricht dafür, wie<br />

unnatürlich <strong>der</strong> Koran ausgerichtet ist, obwohl es immer wie<strong>der</strong> geheißen<br />

hat, er komme den sogenannten Naturvölkern mehr entgegen als die<br />

Bibel. Es ist doch nichts Verwerfliches dabei, wenn jemand sich den<br />

Hinterteil mit <strong>der</strong> Hand putzt, die er o<strong>der</strong> sie sonst immer benützt;<br />

schließlich gibt es dafür auch noch Papier. Nachher kann man sich die<br />

Hände ja mit Seife waschen, bevor man essen geht. So ein Gesetz<br />

spricht doch gegen jeden gesunden Menschenverstand. Was soll denn<br />

jemand tun, <strong>der</strong> keinen linken Arm o<strong>der</strong> keine linke Hand o<strong>der</strong> nur einen<br />

gelähmten linken Arm hat? Da erübrigt sich je<strong>der</strong> weitere Kommentar.<br />

Der Witz <strong>der</strong> Sache ist jedoch, dass selbst <strong>der</strong> allerfrömmste Moslem,<br />

<strong>der</strong> sein Leben lang alle Gebote getreulich und gewissenhaft erfüllt hat,<br />

nie die Gewissheit haben kann, dass er einmal in den Himmel kommt,<br />

denn es gibt im Koran mehrere Stellen, die klar aussagen, dass die<br />

Prädestination vorherrscht, also die Vorbestimmung, dass es also von<br />

vornherein feststeht, wer am Ende in den Himmel kommt und wer nicht,<br />

und von den Frauen ist in diesem Zusammenhang wie schon erwähnt<br />

überhaupt nicht die Rede. So ist es sicher kein Zufall, dass in diesem<br />

Buch kein einziges Mal von einem Gott <strong>der</strong> Liebe und einem Vater im<br />

Himmel gesprochen wird, zu dem je<strong>der</strong> einzelne Mensch kommen kann,<br />

wenn er o<strong>der</strong> sie es will.<br />

Wie viel an<strong>der</strong>s ist es doch bei <strong>uns</strong> Christen, die wir persönlich erfahren<br />

haben, dass Jesus <strong>uns</strong> alle liebt und er allein <strong>der</strong> <strong>Weg</strong> zurück zum Vater<br />

ist! Aber gerade dies ist wohl <strong>der</strong> krasseste Gegensatz zwischen dem<br />

Evangelium, das Christus verkündigt, und dem Islam: Während im<br />

Neuen und an vielen Stellen auch im Alten Testament viel von <strong>der</strong> Liebe<br />

Gottes zu den Menschen und zur Welt die Rede ist, wird im ganzen<br />

Koran vom Anfang bis zum Ende nur Hass gepredigt; es ist also eine<br />

regelrechte Hass-Religion, jedenfalls kommt das Wort ‚Liebe’ im Sinn<br />

125


von göttlicher Liebe kein einziges Mal vor. So ist es kein Zufall, dass die<br />

Moslems als Ganzes bis zum heutigen Tag immer die schlimmsten und<br />

aggressivsten Feinde des Christentums gewesen sind, obwohl sie die<br />

Bibel ebenfalls als göttlich inspiriert anerkennen, und dass es in keiner<br />

an<strong>der</strong>en Region <strong>der</strong> Welt schwerer zu missionieren ist als in den<br />

islamischen o<strong>der</strong> islamisch beeinflussten Staaten.<br />

Dazu ist auch noch zu erwähnen, dass nicht die Christen zuerst mit den<br />

Kriegen gegen die Moslems begonnen haben, wie das noch heute in <strong>der</strong><br />

Welt behauptet wird, son<strong>der</strong>n es verhielt sich gerade umgekehrt. So wie<br />

die islamischen Heere ihren Glauben mit dem Schwert überallhin<br />

verbreiteten und damit schnell bis nach Indien vordrangen, so taten sie<br />

das auch in Europa. Wer sich die Weltgeschichte einmal etwas genauer<br />

anschaut, entdeckt in <strong>der</strong> Chronologie, dass als erste europäische Stadt<br />

Konstantinopel in den Jahren 668 und 669 belagert wurde, aber damals<br />

noch nicht eingenommen werden konnte, und auch nachher waren es<br />

immer und immer wie<strong>der</strong> diese, die einen Krieg gegen die Christen vom<br />

Zaum rissen. War es deshalb so abwegig, dass man hier in Europa eine<br />

Furcht bekam, die noch heute nicht ganz überwunden ist? Fragen Sie<br />

mal einen geschichtskundigen Griechen o<strong>der</strong> Armenier! Die können<br />

Ihnen am besten Auskunft geben, wie viele Verbrechen die an<strong>der</strong>e Seite,<br />

die eben auch die Religion <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite ist, sich geleistet hat. Ist<br />

aber in <strong>der</strong> Welt davon die Rede? Natürlich nicht! Man spricht immer nur<br />

von den Kreuzzügen, die angeblich von den Christen begonnen wurden,<br />

und von <strong>der</strong> Sklaverei, die von falschen Christen, die diesen Namen gar<br />

nicht verdienten, für alle Zeiten einen schwarzen Flecken auf das<br />

Evangelium geworfen haben.<br />

Natürlich können wir nicht bestreiten, dass die Kreuzzüge ein gewaltiger<br />

Fehler waren, doch dieser war nicht wie oft behauptet die Ursache dafür,<br />

dass die Pest, die später mehr als einen Viertel <strong>der</strong> europäischen<br />

Bevölkerung dahinraffte, von den zurückkehrenden Kriegern einge<strong>führt</strong><br />

wurde, was von vielen Moslems noch heute als eine Strafe Gottes<br />

bezeichnet wird. Nach dem heutigen mo<strong>der</strong>nen Wissensstand kam die<br />

Pest nicht über die Ratten, die sich auf die Schiffe geschlichen hatten,<br />

nach Europa, son<strong>der</strong>n von China über die sogenannte Seidenstrasse,<br />

die damals einer <strong>der</strong> wichtigsten Handelswege war. Es muss aber<br />

ebenso festgehalten werden, dass diese Kreuzzüge von den Moslems<br />

provoziert wurden, weil es damals Anzeichen dafür gab, dass<br />

Zehntausende von Christen, die im Nahen Osten lebten, kurz zuvor<br />

standen, massakriert zu werden, und die Moslems auch die zahlreichen<br />

Pilgerfahrten, die damals in Europa noch mehr Mode waren als heute,<br />

immer weniger hinnahmen und die <strong>Weg</strong>e radikal absperren wollten, und<br />

es musste sogar damit gerechnet werden, dass die Heiligtümer zerstört<br />

würden.<br />

126


Die gleiche einseitige Darstellung <strong>der</strong> Geschichte zeigt sich auch bei <strong>der</strong><br />

Sklaverei. Noch heute ist es im Westen fast nicht bekannt, dass es<br />

früher nicht nur Sklaventransporte von Afrika nach Amerika gab, son<strong>der</strong>n<br />

auch solche innerhalb Afrikas in Richtung Norden und von Afrika nach<br />

Asien, und zwar haben diese schon Jahrhun<strong>der</strong>te vorher begonnen.<br />

Dabei bekamen sowohl die Europäer als auch die moslemischen<br />

Sklavenhändler auch noch Hilfe von afrikanischen Häuptlingen selber,<br />

die ganze verfeindete Stämme verkauften. Das passt auch zum<br />

Gesamtbild: Es ist vor allem bei den europäischen Seefahrern<br />

unvorstellbar, dass sie an den afrikanischen Küsten ohne weiteres<br />

einfach landen und Tausende von Leuten einfangen konnten, ohne dass<br />

die Afrikaner sich dagegen hätten wehren können. Dazu kommt noch,<br />

dass es auch die sogenannten weissen Sklaven gab, also europäische<br />

Männer und vor allem Frauen, die von moslemischen Piraten von <strong>der</strong><br />

Küste weg geraubt wurden, weil die europäischen Mächte nicht jeden<br />

einzenen Küstenabschnitt kontrollieren und beschützen konnten.<br />

Eigentlich waren die Moslems keine Seefahrer, aber wenn es darum<br />

ging, eine solche Beute zu fangen, kannten sie keine Hemmungen mehr;<br />

dabei sollen sie sogar Reisen bis nach Island geschafft haben.<br />

Das ist aber noch längst nicht alles, denn während die Sklaverei in den<br />

westlichen Län<strong>der</strong>n schon im 19. Jahrhun<strong>der</strong>t abgeschafft wurde, gibt es<br />

diese in den meisten islamischen Län<strong>der</strong>n noch heute, wenn auch nur im<br />

Versteckten. So ist es erwiesen, dass noch heute Menschen vor allem<br />

im Sudan und in an<strong>der</strong>en Län<strong>der</strong>n dieser Region von spezialisierten<br />

Banden geraubt und über Tausende von Kilometern nach Nordafrika und<br />

in die islamischen Staaten in Asien verschleppt werden, doch dagegen<br />

erhebt sich keine einzige Stimme, we<strong>der</strong> in <strong>der</strong> UNO noch in einem<br />

an<strong>der</strong>en weltlichen Gremium. Ebenso wenig ist davon die Rede, dass<br />

die radikalen Moslems sich in immer mehr europäischen Staaten<br />

einnisten und verbreiten und es als selbstverständlich betrachten, dass<br />

ihre Religion überall zu einer Staatsreligion erklärt werden soll, und wenn<br />

auch nur ein einziges islamisches Ehepaar sich an den Kruzifixen stört,<br />

die in Schulzimmern hängen, haben sie das Recht, sich darüber zu<br />

beschweren, wie ich Ihnen das schon gesagt habe, und immer mehr<br />

feige Behörden, Richter und Politiker schlagen sich auf ihre Seite.<br />

Wird aber irgendein Gegenrecht gehalten, dürfen irgendwo im<br />

islamischen Machtbereich neue Kirchen und Kapellen für die Christen<br />

gebaut werden? Ganz sicher nicht, im Gegenteil, die Repressalien und<br />

teilweise sogar Verfolgungen nehmen immer mehr zu, und in Pakistan ist<br />

es sogar offiziell erlaubt, einen Christen aus irgendeinem nichtigen<br />

Grund anzuklagen - mit <strong>der</strong> billigen Begründung, <strong>der</strong> heilige Prophet sei<br />

beleidigt worden. Auch das ist in <strong>der</strong> UNO bis heute noch nie zur<br />

Sprache gekommen, ebenso wenig die Tatsache, dass mehr als neunzig<br />

127


Prozent aller bisherigen Terroranschläge in <strong>der</strong> ganzen Welt von<br />

fanatischen Moslems verübt worden sind, und nicht nur von<br />

Palästinensern. Verstehen Sie jetzt diese ganzen Zusammenhänge und<br />

wer in Wirklichkeit diese Welt beherrscht, was ja nicht einmal vom Herrn<br />

Jesus bestritten wurde, als er in <strong>der</strong> Wüste vom Teufel versucht wurde<br />

und dieser ihm die Herrschaft über die ganze Welt anbot, falls er vor ihm<br />

nie<strong>der</strong>knien und ihn anbeten würde?“<br />

Erst jetzt legt Hoveneel wie<strong>der</strong> eine längere Pause ein, die er tatsächlich<br />

nötig hat, um ein wenig zu verschnaufen. Obwohl er spürt, dass seine<br />

Stimme nicht mehr lange trägt, möchte er Hans doch noch etwas<br />

weitergeben, das ihm zusätzlich eingefallen ist und ihm ebenso wichtig<br />

vorkommt.<br />

Da dieser nichts entgegnet, setzt er nach einem weiteren Schluck Kaffee<br />

fort: „Schauen wir kurz auch noch ins Buch Mormon hinein, das<br />

bekanntlich für die Mormonen das ist, was für die Moslems <strong>der</strong> Koran ist!<br />

Da wird zwar die Gottessohnschaft Jesu nicht bestritten, ja, es wird<br />

immer wie<strong>der</strong> betont, dass <strong>der</strong> Glaube an ihn das Wichtigste ist. Die<br />

Irrlehren liegen jedoch auf einer an<strong>der</strong>en Ebene. Als Erstes wird<br />

behauptet, dass das ganze Buch Mormon von Gott inspiriert ist, die Bibel<br />

dagegen nur dort, wo sie richtig übersetzt wurde; es wird also genau<br />

gleich argumentiert, wie es die islamischen Gelehrten mit dem Koran<br />

tun. Es fehlen aber deutliche Hinweise darauf, was nun richtig und was<br />

falsch übersetzt worden ist - eben weil die Mormonen genauso wie die<br />

Moslems diesen Beweis nie erbringen können. Ich betone es nochmals,<br />

Herr Stettler, und merken Sie sich das gut! Wenn irgendjemand<br />

behauptet, die Bibel sei falsch übersetzt worden, ist das eine deutliche<br />

und krasse Lüge, und erst recht dann, wenn sie von mo<strong>der</strong>nen<br />

Theologen verbreitet wird. Die vielen Tausenden von Männern und<br />

zumeist Mönchen, die dieses Buch über Jahrhun<strong>der</strong>te hinweg und in<br />

jahrelanger Knochenarbeit übersetzt haben, waren allesamt<br />

gottesfürchtige Männer, die es nie gewagt hätten, an Gottes Aussagen<br />

irgendetwas zu verän<strong>der</strong>n. Aber auch hier verhält es sich genauso wie<br />

mit <strong>der</strong> Auferstehung des Herrn: Während die griechischen, römischen,<br />

ägyptischen, persischen, indischen o<strong>der</strong> chinesischen Schriften aus<br />

dieser Epoche o<strong>der</strong> aus noch früheren Zeiten nie im Geringsten<br />

angezweifelt werden, wird gegen die Bibel alles nur Mögliche ins Feld<br />

ge<strong>führt</strong>, um das Evangelium abzuschwächen - dabei gibt es kein<br />

an<strong>der</strong>es Werk in <strong>der</strong> ganzen Welt, das durch Augenzeugen besser<br />

dokumentiert ist.<br />

Um jetzt wie<strong>der</strong> zum Buch Mormon zurückzukommen: Abgesehen von<br />

dieser mehr als seltsamen Entstehungsgeschichte mit dem Engel Moroni<br />

und <strong>der</strong> sogenannten Leserbrille wird zum Beispiel behauptet, die<br />

128


Menschen könnten Gott wie<strong>der</strong> gleich werden, so wie sie es einst<br />

gewesen seien, und es sei möglich, sich anstelle von Toten taufen zu<br />

lassen, damit diese auch im Jenseits das Heil erlangen können, sofern<br />

sie sich dafür entscheiden wollen. Gerade deshalb betreiben sie einen<br />

solchen übertriebenen Ahnenkult mit <strong>der</strong> Registrierung von Millionen von<br />

Toten bis auf Hun<strong>der</strong>te von Jahren zurück; dabei steht es im Neuen<br />

Testament, das auch sie als göttlich inspiriert anerkennen, ganz deutlich<br />

geschrieben, dass es nach dem Tod keine weitere Möglichkeit zur<br />

Rettung mehr gibt. Daneben gibt es noch weitere Son<strong>der</strong>lehren, auf die<br />

ich aber nicht mehr näher eingehen muss, zum Beispiel das Bestreiten<br />

<strong>der</strong> Erbsünde und die übertriebene Bewertung eines Mannes namens<br />

Melchisedek, <strong>der</strong> mit Abraham zu tun hatte und als ein beson<strong>der</strong>er<br />

Hohepriester verehrt wird - aber eben nur von den Mormonen, weil sie<br />

ihn für ihre ganz spezielle Tempellehre brauchen.<br />

Der klarste Beweis dafür, dass dieses Buch nicht von oben inspiriert sein<br />

kann, obwohl es vom Stil und vom Inhalt her gut nachgemacht ist, liegt<br />

aber in <strong>der</strong> fantastischen Behauptung, dass ein Teil des Volkes, das von<br />

den zehn verlorenen Stämmen Israels abstammen soll und sich nach<br />

Amerika eingeschifft hatte, aus Ungehorsam gegen Gott dadurch<br />

bestraft wurde, dass sie die Gesichter bekamen, die heute die Indianer<br />

haben. Das ist klarer Rassismus und hat nichts mit dem wahrhaften<br />

göttlichen Geist zu tun, denn in <strong>der</strong> Bibel ist nirgendwo von Rassen die<br />

Rede, weil vor Gott alle gleich sind. Vielleicht sind die verschiedenen<br />

Rassen nach dem Turmbau von Babel entstanden, als Gott aus einer<br />

einzigen Sprache auf einen Schlag viele Tausende erschuf und die<br />

Völker, die sich dadurch bildeten, in alle Welt zerstreute und mit dieser<br />

Sprachenverwirrung noch zusätzlich nachhalf und zum Beispiel auch<br />

dafür sorgte, dass den Indianern nachher keine Bärte mehr wuchsen,<br />

aber wir wissen es nicht mit Sicherheit und können es wohl auch nie<br />

beweisen, doch das hat auch seine Vorteile: Wir wissen ja nicht einmal,<br />

welche Rasse Jesus selbst hatte; umso mehr ist er für alle da. Darum ist<br />

es umso verantwortungsloser, so etwas zu behaupten. Nicht ohne Grund<br />

besteht die Kirche <strong>der</strong> Mormonen noch heute fast nur aus Weißen - das<br />

allein sagt schon genügend aus. Der eigentliche Witz an <strong>der</strong> ganzen<br />

Geschichte ist aber <strong>der</strong>, dass es schon längst erwiesen ist, dass das<br />

Buch Mormon auf dem fiktiven Roman eines Autors beruht, <strong>der</strong> eine<br />

Urgeschichte Amerikas geschrieben hat, aber aus irgendeinem Grund,<br />

den wir heute nicht mehr nachvollziehen können, nie veröffentlicht hat.<br />

Ein weiterer deutlicher Hinweis auf die wirkliche Herkunft dieses<br />

Buches besteht darin, dass auch für die Mormonen Israel und die Juden<br />

keine Bedeutung mehr haben, ja, dass nach ihrer Lehre das neue<br />

Jerusalem nur auf dem amerikanischen Kontinent stehen kann und eines<br />

Tages dort errichtet wird. Auch dies ist ein menschliches Stückwerk und<br />

129


hat nichts mit dem Geist Gottes zu tun, <strong>der</strong> <strong>uns</strong> deutlich davor gewarnt<br />

hat, solche Son<strong>der</strong>lehren zu verbreiten.<br />

Das Gleiche gilt auch für alle an<strong>der</strong>en wie etwa die Neuapostolischen,<br />

die genauso wie die Mormonen ihre sogenannten Stammapostel haben,<br />

o<strong>der</strong> die Zeugen Jehovas, die zwar die Auferstehung Jesu nicht<br />

bestreiten, aber anstelle eines Kreuzes einen Pfahl in den Mittelpunkt<br />

stellen, und das begründen auch sie damit, dass falsch übersetzt wurde,<br />

obwohl das griechische Urwort ‘staurós’ eindeutig ein Kreuz und nichts<br />

an<strong>der</strong>es bedeutet. So versteht es sich von selbst, dass sie ihre eigenen<br />

Übersetzungen verwenden, aber noch schlimmer ist, dass sie die<br />

Erlösung von <strong>der</strong> Zugehörigkeit zu ihrer Wachtturmorganisation zur<br />

Hauptbedingung machen, damit man ins 1’000-jährige Reich einziehen<br />

kann.<br />

Dazu gehört auch die Frechheit und die Arroganz - an<strong>der</strong>s kann ich es<br />

wirklich nicht ausdrücken -, mit <strong>der</strong> sie behaupten, dass die Voraussagen<br />

von den Verfolgungen <strong>der</strong> Gläubigen sich nur auf sie beziehen. Alle<br />

an<strong>der</strong>en - so auch die Reformatoren und die evangelischen<br />

Wie<strong>der</strong>täufer, von denen es auch bei <strong>uns</strong> in Holland immer viele gab -<br />

werden davon ausgeschlossen. Am schlimmsten ist jedoch die falsche<br />

Auslegung des Bibelverses, dass man nichts Blutiges zu sich nehmen<br />

soll, weil auch die Menschen und eben auch die Tiere, wie ich das vorhin<br />

gesagt habe, eine Seele haben. Deshalb lassen sie lieber ihre eigenen<br />

Leute sterben, statt Bluttransfusionen zuzustimmen, die Leben retten<br />

können. Dabei bezieht sich dieser Bibelvers nur auf das Essen und<br />

Trinken, aber nicht auf solche Transfusionen, die vor 2'000 Jahren<br />

sowieso noch nicht möglich waren. - Was übrigens noch die Zahl<br />

144’000 betrifft, von <strong>der</strong> Sie sicher auch schon gehört haben und die<br />

praktisch ihr Markenzeichen war, wurde diese von ihren Mitglie<strong>der</strong>n<br />

schon vor dem Jahr 1914 erreicht, als nach ihrem Glauben beim<br />

Ausbruch des Ersten Weltkriegs die Endzeit <strong>der</strong> Welt eingeläutet wurde,<br />

und dann wurde diese Zahl immer wie<strong>der</strong> nach hinten verschoben, was<br />

natürlich nicht glaubwürdig ist.<br />

Auch die römisch-katholische Kirche, die sich seit mehr als einem<br />

Jahrtausend so gern als die allein seligmachende ausgibt, ist nicht das,<br />

was sie zu sein vorgibt. Abgesehen davon, dass allein die unzähligen<br />

Märtyrer und die vielen Kriege, die von Rom aus befohlen worden sind,<br />

deutlich beweisen, dass es den Vertretern dieser Kirche immer mehr um<br />

Machtpolitik als um das wahre Evangelium gegangen ist, zeigen auch<br />

verschiedene Doktrinen, dass bewusst Irrlehren hinzugefügt worden<br />

sind.<br />

Die ersten drei betreffen die Stellung Marias, <strong>der</strong> Mutter Jesu: Wie Sie<br />

sicher auch wissen, wird sie neben Jesus als Miterlöserin, ja, oft sogar<br />

als alleinige Erlöserin verehrt; dabei steht im Neuen Testament deutlich<br />

130


geschrieben, dass in keinem an<strong>der</strong>en Namen das Heil ist als nur in<br />

Jesus. Weiter wird behauptet, Maria sei ihr ganzes Leben lang eine<br />

Jungfrau geblieben, obwohl ebenso deutlich geschrieben steht, dass<br />

Jesus auch noch leibliche Schwestern und Brü<strong>der</strong> hatte, von denen<br />

Jakobus und Judas sogar je einen Brief verfasst haben. Dabei wird diese<br />

Behauptung nicht nur von katholischen, son<strong>der</strong>n auch noch von<br />

protestantischen Kirchenleuten dadurch untermauert, dass mit den<br />

Schwestern und Brü<strong>der</strong>n, die erwähnt werden, Cousinen und Cousins<br />

gemeint sind, obwohl es im Griechischen für diese beiden eindeutig<br />

an<strong>der</strong>e Wörter gibt. Die dritte Irrlehre, die allerdings erst im letzten<br />

Jahrhun<strong>der</strong>t erfunden wurde, ist noch die von <strong>der</strong> Himmelfahrt Marias;<br />

dabei steht im Neuen Testament deutlich geschrieben, dass niemand<br />

an<strong>der</strong>s zum Himmel hinaufgefahren ist als nur <strong>der</strong> Menschensohn, mit<br />

dem <strong>der</strong> Sohn Gottes gemeint ist. Daneben gibt es noch weitere<br />

Irrlehren, zum Beispiel die Verehrung und Anbetung <strong>der</strong> Heiligen, was<br />

einem Götzendienst gleichkommt, o<strong>der</strong> die Lehre vom Fegefeuer o<strong>der</strong><br />

das Beten für Verstorbene, also ähnlich wie bei den Mormonen sowie bei<br />

den Hindus und Buddhisten.<br />

Übrigens ist die Religion <strong>der</strong> letztgenannten wohl die paradoxeste von<br />

allen, wenn wir daran denken, dass sie eigentlich atheistisch<br />

ausgerichtet ist und genauso wie <strong>der</strong> Hinduismus eine Selbsterlösung<br />

predigt, und es trotzdem weltweit von Buddha-Statuen nur so wimmelt,<br />

obwohl dieser genauso wie seinerzeit Mohammed gesagt hat, dass auch<br />

er nur ein Mensch sei. Aber auch dies passt zum Bild dieser haltlos<br />

gewordenen Welt, dass immer mehr Leute im Westen vor lauter<br />

Begierde, möglichst viel Östliches in sich aufzusaugen, diesen<br />

Wi<strong>der</strong>spruch in sich nicht erkennen. Da ist <strong>der</strong> Hinduismus insofern<br />

weitaus ehrlicher, als bei dieser Religion nicht bestritten wird, dass in <strong>der</strong><br />

Verehrung und Anbetung <strong>der</strong> mehr als 330 Millionen Götter auch ein<br />

großes Stück Dämonismus dahintersteckt.<br />

Um wie<strong>der</strong> auf die römische Kirche zurückzukommen: Auch die hohe<br />

Stellung <strong>der</strong> Päpste entspricht einer Irrlehre, wobei ich ihnen noch<br />

zugutehalten kann, dass sie die Welt immer wie<strong>der</strong> auf den Glauben an<br />

Christus hinweisen und wenigstens in dieser Beziehung einen nützlichen<br />

Dienst erweisen. Trotzdem bleibt es dabei, dass nicht <strong>der</strong> Papst <strong>der</strong><br />

Stellvertreter Christi auf Erden ist, wie in dieser Kirche behauptet wird,<br />

son<strong>der</strong>n einzig und allein <strong>der</strong> Heilige Geist, durch den wir an Christus<br />

gläubig werden, <strong>der</strong> <strong>uns</strong> durch das ganze Leben hindurch beisteht und<br />

<strong>uns</strong> durch eine innere Stimme sagt, was sündig ist und was nicht. Wenn<br />

die strenggläubigen Katholiken sich darauf berufen, dass Jesus<br />

schließlich Petrus als ersten Papst eingesetzt hat, entspricht das nicht<br />

ganz dem, was <strong>der</strong> Herr gemeint hat, als er sagte, er wolle auf dem<br />

Felsen, also Petrus, seine Gemeinde bauen. Das war mehr symbolisch<br />

131


auf die Person bezogen gemeint, also mehr auf einen Geist, wie ihn<br />

Petrus hatte, und abgesehen davon ist bis heute noch nie bewiesen<br />

worden, dass er jemals in Rom gewesen ist.<br />

Das Letzte, das ich zum Katholizismus noch hinzufügen möchte, ist das<br />

ganze Theater um diese Selig- und Heiligsprechungen. An<strong>der</strong>s kann ich<br />

das nicht bezeichnen, denn es steht in manchem neutestamentlichen<br />

Brief deutlich geschrieben, dass alle, die Jesus Christus als ihren<br />

persönlichen Erlöser kennen gelernt haben, Heilige sind - nicht weil sie<br />

besser sind als die an<strong>der</strong>en, son<strong>der</strong>n weil die durch die Vergebung ihrer<br />

Sünden vor Gott geheiligt worden sind. Nicht umsonst gibt es unter den<br />

wie<strong>der</strong>geborenen Christen, also unter denen, die sich persönlich zum<br />

Herrn bekehrt und durch den Heiligen Geist ein neues Leben bekommen<br />

haben, den scherzhaften Spruch, dass sie zwar nicht besser sind, aber<br />

besser dran. Diese Heiligung entspricht auch <strong>der</strong> biblischen Lehre: Es<br />

steht nur Gott allein zu, Sünden zu vergeben, und nicht Menschen, also<br />

auch nicht den Priestern. Folglich ist die Lehre vom Beichten, bei dem<br />

die Priester Sünden vergeben können, eine weitere klare Irrlehre, und<br />

zudem auch die Behauptung, dass man die Bibel ohne die persönliche<br />

Anwesenheit eines Priesters, geschweige denn eines Bischofs o<strong>der</strong><br />

Kardinals, gar nicht lesen und versehen könne, obwohl das Latein heute<br />

nicht mehr die alleinige Kirchensprache ist, die viele Jahrhun<strong>der</strong>te lang<br />

als Ausrede dafür herhalten musste, dass man die Gläubigen bewusst<br />

ungebildet und damit ganz unten halten wollte.<br />

Das hat sich bekanntlich erst dann geän<strong>der</strong>t, als die Reformation<br />

aufkam, und damit meine ich auch Luther und Zwingli, die bei <strong>uns</strong> in<br />

Holland genauso verehrt werden wie <strong>der</strong> eine in Deutschland und<br />

Nordeuropa und <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e in <strong>der</strong> Schweiz. Heute ist es bei den<br />

Katholiken zwar erlaubt, die Bibel zu Hause auch ohne die persönliche<br />

Anwesenheit eines Geistlichen zu lesen, doch das Abendmahl darf<br />

immer noch nur von einem von ihnen ausgeteilt werden, also nicht von<br />

den Pastoralassistenten o<strong>der</strong> sogar Pastoralassistentinnen. Diese sind in<br />

letzter Zeit wegen des allgemeinen Priestermangels immer mehr<br />

aufgekommen und dürfen im Gegensatz zu den Priestern auch<br />

verheiratet sein, aber sie haben immer noch nicht die gleichen Rechte.<br />

Wie weit das gehen kann, zeigt sich auch bei den sogenannten<br />

Lesungen zu Beginn eines Gottesdienstes; noch heute muss ein Priester<br />

persönlich anwesend sein, soweit ich informiert worden bin. Fallls Sie<br />

einmal dazu kommen, einem katholischen Gottesdienst beizuwohnen,<br />

sollten Sie auf diese feinen Unterschiede schauen. Vom Fegefeuer o<strong>der</strong><br />

vom Schlucken einer Hostie, welche angeblich die körperliche<br />

Vereinigung mit dem Herrn bewirkt, aber auch von <strong>der</strong> Firmung, die<br />

ähnlich wie die protestantische Konfirmation durchge<strong>führt</strong> wird, die aber<br />

im Gegensatz zu den Protestanten als eine von mehreren Bedingungen<br />

132


gilt, um in den Himmel zu kommen, will ich hier schon gar nicht mehr<br />

sprechen. All dies zeigt aber auch, warum die Katholiken nach<br />

allgemeiner Erfahrung viel mehr Probleme haben, zum lebendigen<br />

Glauben an Jesus Christus zu finden, als die nominellen Protestanten<br />

o<strong>der</strong> die Angehörigen an<strong>der</strong>er sogenannter christlicher Denominationen.<br />

Übrigens ist gerade dies <strong>der</strong> entscheidende Unterschied zwischen<br />

Holland, das genau genommen nur ein Teil <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>lande ist, und dem<br />

nie<strong>der</strong>ländischsprachigen Teil von Belgien im Norden. Schon seit<br />

Jahrhun<strong>der</strong>ten sind die meisten Hollän<strong>der</strong> o<strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>län<strong>der</strong><br />

Protestanten, während die meisten Belgier ebenso lange Katholiken<br />

sind, weil dieses Land lange ein Kolonialgebiet von Spanien war, das<br />

noch bis vor wenigen Jahrzehnten einer <strong>der</strong> repressivsten katholischen<br />

Staaten gewesen ist. Das zeigt sich sogar bei den zwei Königshäusern:<br />

Bei <strong>uns</strong> müssen die Mitglie<strong>der</strong> protestantisch getauft sein, während die in<br />

Belgien katholisch sein müssen, aber auch in Nordeuropa und England<br />

dürfen sie nicht katholisch getauft sein; dagegen müssen sie es<br />

wie<strong>der</strong>um in Spanien sein. Auch das sind Gründe dafür, dass es mit <strong>der</strong><br />

einzigen Vereinigung nach dem Wiener Kongress von 1815 nicht<br />

geklappt hat und es schon im Jahr 1830 zur Spaltung kam, die noch<br />

heute besteht - auch die gemeinsame Mitgliedschaft in <strong>der</strong> Europäischen<br />

Union und im Schengenraum hat nichts daran än<strong>der</strong>n können.<br />

Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, Herr Stettler! Ich will mit all diesen<br />

harten Worten niemanden verurteilen, doch es ist meine Pflicht, Sie<br />

deutlich darauf hinzuweisen, was für krasse Irrlehren in dieser Welt<br />

herumgeistern, auch wenn sie zum Teil einen christlichen Anstrich<br />

haben; das bin ich Ihnen ganz einfach schuldig, wenn wir jetzt schon hier<br />

zusammen sind. Ich sage es Ihnen noch einmal deutlich: Alles, was nicht<br />

Jesus Christus als den Erlöser bezeugt, kommt nicht von Gott, wie es im<br />

Neuen Testament auch geschrieben steht, dass er <strong>der</strong> einzige <strong>Weg</strong> zum<br />

Vater im Himmel ist und dass je<strong>der</strong> Geist, <strong>der</strong> nicht Jesus als Sohn<br />

Gottes bezeugt, nicht von Gott ist.“<br />

Da Hoveneel wie<strong>der</strong> kurz innehält, benützt Hans die Gelegenheit, um<br />

sich wie<strong>der</strong> zu Wort zu melden, da ihm plötzlich etwas eingefallen ist,<br />

das er auch noch für wichtig hält: „Das tönt zwar alles gut und schön,<br />

aber wenn Sie schon von falschen Propheten reden, würde es mich sehr<br />

interessieren, was Sie zum Beispiel von Nostradamus halten; immerhin<br />

hat sich von dem, was er vorausgesagt hat, schon einiges erfüllt.“<br />

„Es ist gut, dass Sie diesen Mann erwähnen“, entgegnet Hoveneel ohne<br />

Zögern, „gerade von ihm ist schon so viel erzählt und geschrieben<br />

worden, dass es noch heute mehr Missverständnisse über ihn gibt, und<br />

auch unter den gläubigen Christen hat man eine klare<br />

Auseinan<strong>der</strong>setzung immer gescheut.“<br />

133


„Was halten denn Sie selbst von ihm?“, fragt Hans sofort, indem er ihn<br />

ziemlich scharf anschaut.<br />

„Das kann ich Ihnen ohne weiteres sagen. Einerseits hat er in seinen<br />

persönlichen Schriften festgehalten, dass auch er an Gott glaube und für<br />

das Christentum einstehe, doch an<strong>der</strong>erseits musste er das auch so<br />

schreiben, um nicht als ein Ketzer angeklagt zu werden. Wie Sie sicher<br />

auch wissen, war es nicht nur im Mittelalter, son<strong>der</strong>n auch noch zu<br />

Beginn <strong>der</strong> Neuzeit oft lebensgefährlich, etwas an<strong>der</strong>es als das zu<br />

verkünden, was die katholische Kirche vorschrieb - deshalb können wir<br />

nicht mit Sicherheit wissen, inwieweit er tatsächlich ein gläubiger Christ<br />

war. Wir müssen eher das Gegenteil annehmen, weil es erwiesen ist,<br />

dass er ziemlich aktiv Astrologie und Okkultismus betrieb, was Gott in<br />

<strong>der</strong> Bibel ausdrücklich verboten hat. So erstellte er als königstreuer<br />

Untertan jahrzehntelang verschiedenen Königen und Hun<strong>der</strong>ten von<br />

Adligen Horoskope, mit denen er natürlich sehr viel Geld verdiente;<br />

dabei hat Gott gerade auch das Wahrsagen ausdrücklich verboten.<br />

Genauso wenig erlaubt <strong>der</strong> Herr Spiele und Rechnereien mit Zahlen und<br />

damit auch Jahreszahlen, aber gerade dies hat Nostradamus intensiv<br />

getan. Ob er am Ende tatsächlich als ein gläubiger Christ in die Ewigkeit<br />

eingegangen ist, weiß nur Gott allein; es ist jedoch eine Tatsache, dass<br />

er dadurch, dass er tief in <strong>der</strong> Astrologie und im Okkultismus verstrickt<br />

war, nicht umsonst gerade in <strong>der</strong> heutigen Zeit eine Hochkonjunktur<br />

erlebt wie nie zuvor.<br />

Was nun seine Prophezeiungen betrifft, so hat sich tatsächlich schon<br />

sehr vieles erfüllt, wie Sie es richtig sagen und was auch von den<br />

Christusgläubigen nicht bestritten werden kann, zum Beispiel die<br />

Französische Revolution und den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs.<br />

Allerdings muss ich dazu dies festhalten: So wie die an<strong>der</strong>e, also die<br />

satanische Seite, dazu fähig ist, mit magischen Heilmethoden wie etwa<br />

<strong>der</strong> Akupunktur Erfolge zu erzielen, kann sie bis zu einem gewissen<br />

Grad auch Ereignisse über Jahrzehnte und sogar Jahrhun<strong>der</strong>te hinweg<br />

voraussagen, vor allem solche, die sie auch selbst vorbereiten und<br />

steuern kann - deshalb gibt es unter den Christen nicht umsonst die<br />

Aussage, dass auch <strong>der</strong> Teufel die Bibel gut kennt. So wissen wir heute,<br />

dass die Französische Revolution nicht einfach mit dem Sturm auf die<br />

Bastille am 14. Juli 1789 begann, wie <strong>uns</strong> das seit mehr als 200 Jahren<br />

gelehrt wird, son<strong>der</strong>n jahrzehntelang vorher von bestimmten<br />

einflussreichen okkulten Kreisen in die <strong>Weg</strong>e geleitet worden war, und<br />

das Gleiche trifft auch auf die beiden Weltkriege zu. Es ist auch bekannt,<br />

dass kein Geringerer als <strong>der</strong> Führer des Dritten Reiches, <strong>der</strong> die<br />

Voraussagen über sich selbst kannte, die Schriften dieses Mannes<br />

benützte, regelmäßig Astrologen konsultierte und an spiritistischen<br />

Sitzungen teilnahm.<br />

134


Es ist sicher kein Zufall, dass die satanische Seite, die von den<br />

biblischen Prophezeiungen von <strong>der</strong> Rückkehr <strong>der</strong> Juden ins verheißene<br />

Land am Ende <strong>der</strong> Zeiten natürlich auch wusste, gerade in den letzten<br />

paar Jahrzehnten ihre menschlichen Gefolgsleute und damit auch die<br />

Nazis, <strong>der</strong>en Ideologie eindeutig teuflisch inspiriert war, dazu benützt<br />

hat, um noch möglichst viele Juden abzuschlachten, bevor <strong>der</strong> Staat<br />

Israel gegründet wurde. Gerade die Tatsache, dass Nostradamus unter<br />

an<strong>der</strong>em auch die Gasöfen vorausgesagt hat, muss eigentlich allen, die<br />

glauben, er sei ein Prophet Gottes gewesen, sehr zu denken geben. Ich<br />

möchte ihn zwar nicht direkt als einen Propheten des Teufels und damit<br />

<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite bezeichnen, aber es lässt sich nun einmal nicht<br />

bestreiten, dass <strong>der</strong> allergrößte Teil seiner sogenannten Zenturien, die<br />

aus mehreren Hun<strong>der</strong>t Versen mit je vier Zeilen bestehen, Ereignisse<br />

vorausgesagt hat, die mit dem christlichen Glauben wenig bis nichts zu<br />

tun haben.<br />

Bei <strong>der</strong> Beschäftigung mit seinem Werk ist mir am meisten aufgefallen,<br />

dass all jene, die sich in seinen Schriften gut auskennen und sie<br />

teilweise auch entschlüsseln können, an die Wirksamkeit <strong>der</strong> Astrologie<br />

und des Okkultismus selbst glauben und natürlich begierig jede<br />

Einzelheit herausfischen, die sie davon überzeugt, dass die Bibel nicht<br />

die alleinige Wahrheit sein kann. Um ein Prophet o<strong>der</strong> Seher, wie er sich<br />

selbst bezeichnete, zu sein, <strong>der</strong> seine Eingebungen von Gott bekam,<br />

sind aber gerade seine Angaben über Israel und auch den Antichristen,<br />

<strong>der</strong> einmal mit Sicherheit auftreten wird, recht spärlich. Das spricht also<br />

nicht dafür, denn alle biblischen Propheten sprachen in erster Linie von<br />

Israel und erst danach von den an<strong>der</strong>en Völkern, weil nun einmal das<br />

Heil von den Juden kommt, wie Jesus das selbst gesagt hat.<br />

Bei Nostradamus verhält es sich nicht nur umgekehrt, son<strong>der</strong>n das<br />

Verhältnis ist sogar völlig umgekippt. So ist von <strong>der</strong> Gründung des<br />

Staates Israel in ziemlich verdeckter Form - was sonst nicht immer so ist<br />

- auf einer einzigen Zeile die Rede, und auch <strong>der</strong> Antichrist wird auf eine<br />

ziemlich wirre Weise auch nur einmal kurz erwähnt. Das ist umso<br />

erstaunlicher, als es bekannt ist, dass seine Familie ursprünglich jüdisch<br />

war und erst nach <strong>der</strong> Bekehrung seines Vaters zum Katholizismus den<br />

Namen ‚Nostradame’ annahm, <strong>der</strong> damit auf ‚Notredame’ und wohl auch<br />

auf die Jungfrau Maria anspielte. Dass gerade die jüdischen Proselyten,<br />

also jene, die sich von ihrem alten Glauben lossagten, von ihren<br />

ehemaligen Glaubensgenossen, die sie natürlich als Verräter ansahen,<br />

oft nichts mehr wissen wollten, ja, manchmal gar noch antisemitischer<br />

wurden als die sogenannten Christen, zeigt sich gerade auch bei ihm.<br />

Immerhin müssen wir ihm aber noch zugutehalten, dass seine Zenturien<br />

keinen antisemitischen Inhalt haben, und dass er im Gegensatz zu vielen<br />

an<strong>der</strong>en sogenannten Propheten und Sehern keine eigene Heilslehre<br />

135


verbreitet hat, son<strong>der</strong>n seine Schriften sogar als Ergänzung zur Bibel<br />

verstanden wissen wollte.<br />

Dass er jedoch neben <strong>der</strong> Astrologie auch noch tief im Bereich des<br />

Okkultismus und <strong>der</strong> Magie verstrickt war, zeigt auch noch dies: All jene<br />

Juden, die von einem <strong>der</strong> zehn verlorenen Stämme Israels abstammen -<br />

also von denen, die schon Jahrhun<strong>der</strong>te vor dem Auftreten Jesu in den<br />

Nachbarvölkern des Nahen Ostens aufgegangen o<strong>der</strong> sonstwie<br />

verschwunden sind -, können heute nicht mit Sicherheit sagen, aus<br />

welchem sie kommen, ja, nicht einmal jene, die entwe<strong>der</strong> Juda o<strong>der</strong><br />

Benjamin zum Urahn haben, also einen <strong>der</strong> beiden Söhne Jakobs, die im<br />

Südreich noch etwa ein Jahrhun<strong>der</strong>t länger unabhängig gelebt haben.<br />

Das wird erst zu einem späteren Zeitpunkt offenbar werden, in <strong>der</strong> Zeit<br />

<strong>der</strong> sogenannten Großen Trübsal, wenn Jesus Christus persönlich<br />

144’000 Juden auserwählen wird, die noch einmal in <strong>der</strong> ganzen Welt<br />

missionieren werden, und denen er die Abstammung, die er natürlich bei<br />

allen kennt, enthüllen wird - aber wie, können wir natürlich noch nicht<br />

wissen. Diese 144’000, von denen Sie sicher auch schon gehört haben,<br />

beziehen sich also nur auf Juden und nicht auf die Zeugen Jehovas, wie<br />

diese meinen, o<strong>der</strong> auf an<strong>der</strong>e.<br />

Wie verhält es sich aber bei Nostradamus? Genau umgekehrt. So heißt<br />

es von ihm, er stamme genauso wie die Propheten Jesaja, Jeremia und<br />

Maleachi von Issaschar ab, habe also schon von daher Prophetenblut in<br />

sich gehabt. Wenn schon alle an<strong>der</strong>en Juden von ihrer genauen<br />

Abstammung nichts wissen, weil Gott ihnen das aus bestimmten<br />

Gründen, die natürlich nur er selbst kennt, nicht offenbaren will, ist nicht<br />

mehr schwer zu erraten, von welcher Seite Nostradamus diese<br />

Information hatte - falls er das tatsächlich so aufgeschrieben hat.<br />

Abgesehen davon, dass <strong>der</strong> Vergleich mit diesen drei großen biblischen<br />

Propheten völlig vermessen ist, zeigt die Behauptung, dass diese drei<br />

ebenfalls von Issaschar abstammten, sehr deutlich, dass die<br />

Nostradamus-Ausleger entwe<strong>der</strong> die Bibel nicht kennen o<strong>der</strong> dann<br />

bewusst lügen, um die Ungläubigen in die Irre zu führen. Aufgrund <strong>der</strong><br />

Angaben in <strong>der</strong> Schrift ist <strong>uns</strong>chwer zu erkennen, dass Jesaja ein<br />

Verwandter des Königs Hiskia war, und da die Könige des Südreiches, in<br />

dem er lebte, alle von Juda abstammten, konnte also auch er nur vom<br />

Stamm Juda sein. Bei Jeremia ist die Fälschung sogar noch klarer: Da er<br />

sich selbst als Sohn eines Priesters vorgestellt hat, konnte er nur von<br />

Levi abstammen, denn nur wer ein Levit war, konnte auch ein Priester<br />

werden. Nur bei Maleachi, <strong>der</strong> seinerzeit Johannes den Täufer<br />

vorausgesagt hat, ist die Herkunft nicht klar, doch diese beiden Beispiele<br />

zeigen wohl deutlich genug, dass rund um diesen Nostradamus einiges<br />

faul läuft, obwohl er ohne Zweifel einiges auch richtig vorausgesagt hat.<br />

Gerade die Prophezeiungen, bei denen er völlig daneben lag, sind<br />

136


aber ein weiterer klarer Hinweis darauf, dass dieser Mann unmöglich ein<br />

Prophet Gottes sein konnte, denn was die biblischen Propheten<br />

voraussagten, hat sich immer richtig erfüllt. Ja, auch solche falschen<br />

Prophezeiungen des Nostradamus gibt es, was von den Medien<br />

natürlich fleißig unterschlagen wird. So setzte er die Wie<strong>der</strong>vereinigung<br />

<strong>der</strong> beiden deutschen Staaten auf einen Zeitpunkt nach dem Dritten<br />

Weltkrieg an - aufgrund verschiedener verschlüsselter Angaben lässt<br />

sich etwa das Jahr 2050 berechnen. Was nun diesen imaginären Dritten<br />

Weltkrieg betrifft, dem später noch ein vierter folgen soll, hätte er gemäß<br />

seinen Aussagen bereits im Jahr 1987 ausbrechen sollen; zudem hätte<br />

1989 in Frankreich und Italien das Christentum verboten werden sollen,<br />

und 1998 hätte die Erdachse kippen sollen, was zu einer<br />

entsprechenden Verlagerung <strong>der</strong> beiden Pole und damit zu einem völlig<br />

neuen Himmelsbild ge<strong>führt</strong> hätte. Der Höhepunkt seiner Fehlprogrosen<br />

war jedoch <strong>der</strong> August 1999, als er sogar ein genaues Datum nannte,<br />

und zwar den elften dieses Monats, an dem wegen <strong>der</strong> totalen<br />

Sonnenfinsternis, die sich schon in seinem Zeitalter vorausberechnen<br />

ließ, riesige Katastrophen hätten ausbrechen sollen. Das war ja mit ein<br />

entscheiden<strong>der</strong> Grund dafür, dass fast die ganze Welt damals Kopf<br />

stand und von einem Weltuntergang geredet hat.<br />

Wie wir heute wissen, ist außer <strong>der</strong> Sonnenfinsternis nichts von all dem<br />

geschehen. Wir sind immer noch hier, doch das ist für die Ausleger <strong>der</strong><br />

Nostradamus-Verse typischerweise kein Problem. Ähnlich wie bei den<br />

Zeugen Jehovas, die das Ende des heutigen Zeitalters für das Jahr 1914<br />

vorausgesagt und später ihre Angaben immer wie<strong>der</strong> korrigiert haben,<br />

werden diese Ereignisse einfach auf einen späteren Zeitpunkt verlegt.<br />

Allein dies zeigt, wie wenig seriös mit diesen Voraussagen umgegangen<br />

wird, das heißt, dass man es zu genau nehmen will, um ja nicht zugeben<br />

zu müssen, dass in <strong>der</strong> Bibel über die letzte Zeit ganz an<strong>der</strong>e<br />

Prophezeiungen geschrieben stehen, gerade auch in Bezug auf Israel<br />

und Jerusalem. Es gibt mehrere Verse, die eindeutig voraussagen, dass<br />

die Wie<strong>der</strong>kunft des Herrn nach dem Beginn <strong>der</strong> Sammlung <strong>der</strong> Juden in<br />

Israel nicht mehr allzu fern liegt. Bei Nostradamus gehen die<br />

Voraussagen aber bis über das Jahr 3700 hinaus; das zeigt doch klar,<br />

dass er sich vielleicht unbewusst auch von <strong>der</strong> satanischen Seite<br />

benützen ließ, die es nur darauf abgesehen hat, unter <strong>der</strong> Menschheit<br />

möglichst viel Verwirrung zu stiften und sie von den viel wichtigeren<br />

bibilischen Prophezeiungen abzulenken. Zu diesem Kapitel gehören<br />

auch die sogenannten UFOs und ähnliche fantastische Geschichten,<br />

aber das lassen wir jetzt lieber beiseite, ob Sie selbst daran glauben<br />

o<strong>der</strong> nicht.<br />

Um das Thema Nostradamus noch einmal kurz zusammenzufassen:<br />

Auch wenn etliche seiner Voraussagen sich tatsächlich erfüllt haben,<br />

137


sind sie für jene, die an den auferstandenen Herrn Jesus glauben,<br />

letztlich völlig unwichtig, vor allem auch deshalb, weil die meisten von<br />

ihnen nicht auf die Bibel und damit auf das Volk Israel und Jerusalem<br />

Bezug nehmen, son<strong>der</strong>n rein weltliche Ereignisse waren. Für <strong>uns</strong><br />

Christen ist viel mehr von Bedeutung, dass viele biblische<br />

Prophezeiungen sich schon erfüllt haben und dass <strong>der</strong> ganze Rest sich<br />

auch noch erfüllen wird, und auch wenn Nostradamus ebenfalls von<br />

einer Auferstehung, einem 1’000-jährigen Reich und einem Jüngsten<br />

Gericht gesprochen hat, kann ich Ihnen versichern, dass das<br />

letztgenannte nicht erst nach dem Jahr 3700 stattfinden wird. Allein<br />

diese Zahlenspielerei zeigt <strong>uns</strong> deutlich genug, welche Voraussagen<br />

ernster zu nehmen sind - die göttlichen o<strong>der</strong> die an<strong>der</strong>en, die von den<br />

ungläubigen Astrologen bis zu den Grenzen des Erträglichen<br />

ausgeschlachtet werden. Nicht ohne Grund haben die Schriften des<br />

Nostradamus bei den wirklich gläubigen Christen keinen Wert und<br />

hattten ihn auch nie, und das ist auch richtig so, obwohl es nicht schaden<br />

kann, sich einmal mit ihnen zu befassen. Es kann <strong>uns</strong> im Gegenteil<br />

sogar helfen und <strong>uns</strong> erst recht davon überzeugen, dass die Bibel den<br />

Schriften dieses Mannes immer noch turmhoch überlegen und <strong>uns</strong>er<br />

Glaube an Jesus Christus halt doch <strong>der</strong> richtige ist. Übrigens ist es auch<br />

kein Zufall, dass seit <strong>der</strong> Jahrtausendwende, als fast die ganze Welt<br />

gerade auch wegen <strong>der</strong> Schriften dieses Mannes buchstäblich Kopf<br />

stand, von ihm nur noch spärlich die Rede ist.“<br />

Wie<strong>der</strong> legt Hoveneel eine kurze Pause ein, die er zum Verschnaufen<br />

benützt, und da auch er auf einmal zögert, ein weiteres Thema<br />

vorzubringen, spüren alle drei wie auf Absprache, dass ihr Gespräch<br />

sich allmählich dem Ende zuneigt; im Grund haben sie das Wichtigste,<br />

das zu sagen war, ja bereits behandelt. So nützt Hans das aus, um als<br />

Erster fast wie verstohlen auf seine Uhr zu schauen.<br />

„Himmel noch mal!“, ruft er halb entsetzt aus, „es ist ja schon fast halb<br />

elf.“<br />

„Das macht nichts“, beruhigt ihn Hoveneel, „ich habe mir heute Abend ja<br />

extra diese Zeit für Sie genommen, um mit Ihnen über das alles zu<br />

sprechen. Es hat mir auch deshalb Freude bereitet, weil Sie auf mich<br />

den Eindruck vermitteln, dass Sie im tiefsten Grund echt interessiert und<br />

auf <strong>der</strong> Suche nach Gott sind, auch wenn Sie das selbst vielleicht nicht<br />

einmal wissen.“<br />

„Das hat mir Erwin auch schon gesagt“, entgegnet Hans, „trotzdem<br />

müssen wir jetzt langsam aufbrechen. Ich habe schon viel zu viel von<br />

Ihrer kostbaren Zeit in Anspruch genommen, vor allem auch, wenn ich<br />

an Ihre strapazierte Stimme denke.“<br />

„Ich habe das aber überlebt wie schon so vieles an<strong>der</strong>e auch“, sagt<br />

138


Hoveneel darauf lächelnd, „ich bin es mir von den Vorträgen her<br />

gewöhnt, dass ich stundenlang reden muss; allerdings habe ich dann<br />

meistens ein Mikrofon vor mir. Das än<strong>der</strong>t aber nichts daran, dass ich<br />

meine Stimme auch dann in Anspruch nehmen muss. Übrigens wollte<br />

ich Ihnen noch dies sagen, da Sie vorher ‚Himmel noch mal!’ ausgerufen<br />

haben: Ist Ihnen auch schon aufgefallen, wie viele Male die meisten<br />

Leute ein Wort, das auf irgendeine Weise mit Gott zu tun hat, in den<br />

Mund nehmen, ohne sich dabei etwas zu denken? So wie Sie gerade<br />

‚Himmel noch mal!’ ausgerufen haben, hört man doch ständig auch<br />

‚Herrgott noch mal!’, ‚Jesses nei!’, ‚Gott sei Dank!’ und ähnliches, und<br />

auch bei <strong>uns</strong> in Holland benützen wir fast die gleichen Wörter und<br />

Ausdrücke wie hier im deutschen Sprachraum. Solange es aber noch<br />

keine Flüche sind, die ebenfalls viel zu häufig vorkommen, ist es nicht<br />

allzu schlimm, auch wenn in <strong>der</strong> Bibel deutlich geschrieben steht, dass<br />

man den Gottesnamen nicht missbrauchen soll. Wenn all diese Leute<br />

sich einmal darüber Gedanken machen würden, was sie damit sagen,<br />

wäre das schon ein erster Schritt zur Umkehr.“<br />

Darauf erheben sie sich endlich nach so langer Zeit - auch Erwin, <strong>der</strong> die<br />

ganze Zeit ihres Gesprächs danebengesessen hat und auch jetzt den<br />

beiden an<strong>der</strong>en das Wort überlässt.<br />

„Ich danke Ihnen vielmals, Herr Hoveneel, dass Sie sich für mich so viel<br />

Zeit genommen haben, um mit mir über all diese Themen zu reden“, sagt<br />

Hans, indem er seinem Gesprächspartner die Hand hinstreckt, „es war<br />

wirklich sehr interessant und teilweise sogar echt spannend. In dieser<br />

Form habe ich das alles noch nie gehört.“<br />

„Es hat mich aber ehrlich gesagt auch gefreut, mit Ihnen zu sprechen“,<br />

gibt Hoveneel dieses Kompliment zurück, während er ihm die Hand<br />

drückt, „vor allem wenn ich spüre, dass auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite ein<br />

wirkliches Interesse da ist, bin ich wie gesagt sogar bereit, eine ganze<br />

Nacht dafür zu opfern. Versprechen Sie mir, über alles, was wir jetzt<br />

besprochen haben, nochmals gründlich nachzudenken?“<br />

„Sicher, aber ich brauche dafür auch eine gewisse Zeit - das werden Sie<br />

wohl verstehen.“<br />

„Das ist mir klar, Herr Stettler. Deshalb schenke ich Ihnen auch diese<br />

zwei Bücher, die ich extra für Sie besorgt habe. Darin ist vieles von dem<br />

aufgeschrieben, was wir an diesem Abend behandelt haben.“<br />

Dann begibt er sich zum Schreibtisch, auf dem die zwei erwähnten<br />

Bücher stehen, und überreicht sie Hans.<br />

„Oh, vielen Dank, Herr Hoveneel!“, entgegnet Hans echt erfreut, aber<br />

ohne die Bücher etwas genauer anzuschauen, „so habe ich wohl genug<br />

Zeit, um mich mit allem nochmals gründlich zu befassen - vor allem auch<br />

139


mit dem, was ich heute Abend nicht mehr speichern konnte.“<br />

„Da haben Sie recht, Herr Stettler, und ich wünsche Ihnen von ganzem<br />

Herzen, dass diese Bücher dazu beitragen, dass Sie erkennen, wer<br />

Jesus Christus wirklich ist. Ich würde mich sehr freuen, wenn ich eines<br />

Tages hören könnte, dass auch Sie zum Herrn gefunden haben;<br />

jedenfalls werde auch ich dafür beten, so wie auch Erwin das sicher tut.“<br />

„So schnell geht das aber nicht.“<br />

„Die Hauptsache ist aber, dass Sie sich im Gegensatz zu den meisten<br />

an<strong>der</strong>en Leuten überhaupt damit auseinan<strong>der</strong>setzen. Übrigens kann ich<br />

Ihnen noch meine Adresse und Telefonnummer von zu Hause geben,<br />

und wenn ich nicht dort bin, kann man auch mich immer über ein Handy<br />

erreichen. Sie müssen aber damit rechnen, dass es nicht einfach sein<br />

wird, weil ich bekanntlich immer viel unterwegs bin und während meiner<br />

Vorträge das Handy natürlich ausgeschaltet lasse; zudem dürfen Sie<br />

auch die enormen Zeitunterschiede zwischen den Kontinenten nicht<br />

vergessen.“<br />

„Natürlich vergesse ich das nicht, ich habe auf <strong>der</strong> Bank bei den vielen<br />

Transaktionen ja genug damit zu tun. Wir werden ja sehen, wie lang es<br />

dauert, bis ich zu Ihnen den ersten Kontakt aufnehme.“<br />

Dann hält Hans kurz inne und ergänzt nach kurzem Zögern, indem er<br />

Hoveneel offen in die Augen schaut: „Also nochmals vielen Dank für<br />

dieses Gespräch und auch für die Bücher! Ich werde Sie bei Gelegenheit<br />

sicher lesen.“<br />

„Das will ich hoffen“, entgegnet Hoveneel nochmals lächelnd, „Sie haben<br />

es ja versprochen.“<br />

„Hoffentlich kann Ihre Stimme sich schon bald wie<strong>der</strong> erholen.“<br />

Noch einmal schütteln sie sich die Hände, bevor ihre <strong>Weg</strong>e sich wie<strong>der</strong><br />

trennen. Hans hat den Kopf immer noch so voll von all den Eindrücken,<br />

die er an diesem Abend mitbekommen hat, dass er fast meint, er müsste<br />

bald platzen. Zugleich fühlt er sich auch etwas erleichtert, weil er endlich<br />

einmal mit jemandem über alles Grundlegende, das ihn im Innersten<br />

schon immer interessiert und für ihn das menschliche Leben schlechthin<br />

ausmacht, in aller Ruhe sprechen konnte, und zur Abwechslung auch<br />

einmal eine an<strong>der</strong>e Version gehört hat, als sie in den Medien verbreitet<br />

wird.<br />

Da es in <strong>der</strong> Zwischenzeit schon fast elf Uhr geworden ist, trennen sich<br />

auch Hans und Erwin bald voneinan<strong>der</strong>. Nachdem er sich auch bei ihm<br />

für die Kontaktaufnahme zu Jan Hoveneel bedankt hat, steht Hans<br />

wie<strong>der</strong> allein auf <strong>der</strong> Straße wie schon so oft zuvor. Zu seinem eigenen<br />

Erstaunen fühlt er sich diesmal jedoch nicht allein, als wäre jemand<br />

<strong>uns</strong>ichtbar bei ihm. Ist es am Ende dieser Gott <strong>der</strong> Bibel?, fragt er sich<br />

selbst, allerdings ohne diese Frage ernst zu nehmen.<br />

140


Erst zu Hause nimmt er sich eine kurze Zeit, um die beiden Bücher, die<br />

Hoveneel ihm noch mitgegeben hat, etwas unter die Lupe zu nehmen.<br />

Schon auf den ersten Blick kann er erkennen, dass es sich um zwei<br />

naturwissenschaftliche Werke handeln muss, die von Christen verfasst<br />

worden sind, so dass er sich ungefähr schon vorstellen kann, wie <strong>der</strong><br />

Inhalt aussieht. Irgendwann wird er sicher einmal beginnen, sie zu lesen,<br />

aber nicht heute - dafür fühlt er sich nach dem langen Arbeitstag und<br />

diesem intensiven Gespräch mit Hoveneel natürlich viel zu müde und<br />

ausgelaugt. So stellt er denn die Bücher gut sichtbar auf seinen<br />

Schreibtisch, also nicht ins Büchergestell, wo sie leicht untergehen<br />

könnten, und legt sich kurz darauf schlafen.<br />

9<br />

Nachdem Hans und Erwin sich von Jan Hoveneel und sie sich auch<br />

voneinan<strong>der</strong> selbst verabschiedet haben, bleibt er für den Rest <strong>der</strong><br />

Woche mit seinen vielen neuen Eindrücken allein, und er nimmt sich<br />

genügend Zeit, um diese allmählich zu verarbeiten und über das<br />

Gespräch mit dem gläubigen Naturwissenschaftler intensiv<br />

nachzudenken. Das tut er auch mit <strong>der</strong> Lektüre einiger Büchlein, die<br />

Erwin ihm für diesen beson<strong>der</strong>en Abend mitgebracht hat und die sich<br />

kapitelweise mit ganz bestimmten Bereichen befassen, welche die<br />

göttliche Schöpfung und die Evolutionstheorie betreffen. Zudem hat<br />

Erwin, <strong>der</strong> sich wirklich fast rührend um ihn kümmert, ihm auch noch ein<br />

dickeres Buch gekauft, das all dies und noch ein paar Einzelheiten mehr<br />

zusammenfasst, doch dafür braucht er natürlich viel mehr Zeit. Er hat<br />

sich jedoch fest vorgenommen, dieses Buch und auch die beiden, die<br />

Hoveneel ihm geschenkt hat, zu einem späteren Zeitpunkt<br />

durchzuarbeiten, aber vorläufig lieber noch nicht.<br />

Je mehr er liest, desto mehr muss er sich tatsächlich eingestehen, dass<br />

er von dieser ganz an<strong>der</strong>en Version über die Entstehung <strong>der</strong> Welt und<br />

aller Lebewesen fasziniert ist, weil er diese noch nie auf eine so klare<br />

und geradezu einleuchtende Weise gehört hat. Wenn das alles wirklich<br />

stimmt, sagt er sich, ist nicht nur die ganze Evolutionstheorie falsch,<br />

son<strong>der</strong>n es steht noch viel schlimmer: Dann sind sie alle von A bis Z in<br />

den Schulen und höheren Lehrstätten systematisch belogen worden,<br />

und das schon seit mehr als 150 Jahren. Dank <strong>der</strong> Tatsache, dass<br />

dieser Jan Hoveneel ja nicht irgendwer ist, son<strong>der</strong>n ein versierter<br />

Naturwissenschaftler, <strong>der</strong> in seinen Kreisen einen festen und<br />

anerkannten Stand hat, beginnt er sich zu seiner eigenen Überraschung<br />

zu fragen, ob die biblische Schöpfungsgeschichte vielleicht doch nicht<br />

141


völlig abwegig ist und zumindest ein Teil davon sich tatsächlich so<br />

zugetragen haben könnte. Da er jedoch nicht nur zur Evolutionstheorie<br />

und zu einer möglichen göttlichen Schöpfung, son<strong>der</strong>n noch zu vielen<br />

an<strong>der</strong>en Themen Fragen hat, und da Erwin selbst ihm sagte, er sei auf<br />

diesen Gebieten nicht kompetent genug, entschließt er sich, dieses<br />

Kapitel vorläufig auf <strong>der</strong> Seite zu lassen. Er hat ja genügend Zeit, um<br />

sich in die zwei kleinen Bücher, die Hoveneel ihm geschenkt hat, und<br />

erst recht später in das dicke Buch zu vertiefen.<br />

So begibt er sich am nächsten Samstag, also nur drei Tage nach seinem<br />

Gespräch mit Hoveneel, direkt an die Feldeggstraße, also ohne Umweg<br />

über den Bellevueplatz. Diesmal muss er sich nicht nach einem langen<br />

inneren Kampf dazu überwinden, son<strong>der</strong>n er geht zum ersten Mal aus<br />

echtem Interesse dorthin, denn er will und muss nach allem, was er in<br />

den letzten paar Tagen gehört und gelesen hat, einfach noch viel mehr<br />

über den Glauben dieser Christen wissen. Wenn sie mit allem, was sie<br />

verkünden, auch nur teilweise recht haben, würde das ganz konkret<br />

auch seine eigene Existenz betreffen, aber um das herausfinden zu<br />

können, sieht er vorerst keinen an<strong>der</strong>en Ausweg, als an <strong>der</strong><br />

Feldeggstraße mit ihnen über alles Mögliche zu sprechen und zu<br />

diskutieren.<br />

Als er die Teestube betritt, erscheint auf den ersten Blick alles wie<strong>der</strong><br />

genau gleich wie bei seinen zwei ersten Besuchen. Die einen sind noch<br />

dabei, die letzten paar Tische mit Kaffeetassen, Untertellern und allerlei<br />

Gebäck zu bedecken, während die an<strong>der</strong>en gruppenweise miteinan<strong>der</strong><br />

plau<strong>der</strong>n. Das eine o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Gesicht kommt ihm bekannt vor; nur<br />

Erwin und auch Ulrike, nach <strong>der</strong> er heimlich ebenfalls Ausschau hält,<br />

kann er nirgendwo entdecken. Während er bei Erwin damit rechnet, dass<br />

er vielleicht wie<strong>der</strong> etwas später auftaucht, hat er bei Ulrike schon jetzt<br />

das dunkle Gefühl, dass sie heute nicht kommt, auch wenn sie vor <strong>der</strong><br />

ersten direkten Begegnung mit ihm ebenfalls etwas später erschienen<br />

ist. Er nimmt es jedoch für einmal nicht so tragisch, denn einerseits wird<br />

er sicher noch die Gelegenheit bekommen, sie noch näher kennen zu<br />

lernen, und an<strong>der</strong>erseits ist er heute nicht in erster Linie wegen ihr<br />

gekommen.<br />

Er steht keine zwei Minuten in <strong>der</strong> Nähe <strong>der</strong> Eingangstür, wo Bücher<br />

ausgestellt sind und er so tut, als wolle er sich jeden einzelnen Titel fest<br />

einprägen, als er plötzlich eine Stimme, die ihm irgendwie bekannt<br />

vorkommt, von hinten ihn rufen hört. Er dreht sich um und erkennt ...<br />

nein, nicht Erwin, son<strong>der</strong>n jemanden, mit dem er auch schon gesprochen<br />

hat. Ja, richtig, jetzt erinnert er sich: Es ist Bruno <strong>Weg</strong>mann, <strong>der</strong> jetzt<br />

142


geradezu freudestrahlend auf ihn zukommt und ihm fast zuruft: „Guten<br />

Abend, Hans! Wie schön, dass du wie<strong>der</strong> gekommen bist!“<br />

„Hoi Bruno“, grüßt Hans artig zurück, „es freut mich ebenfalls, dass ich<br />

dich wie<strong>der</strong>sehe. Seit dem Abend, als wir mit Erwin zusammen waren,<br />

haben wir <strong>uns</strong> ja nicht mehr gesehen.“<br />

„Genau - und heute siehst du ihn nicht.“<br />

„Kann er denn heute nicht kommen?“<br />

„Lei<strong>der</strong> nein, er ist krank geworden, aber er hat mich angerufen und mich<br />

gebeten, mich um dich zu kümmern, falls du wie<strong>der</strong> kommst.“<br />

„Dann legt ihr anscheinend einen beson<strong>der</strong>en Wert auf meine Besuche<br />

hier, dass ihr zwei euch so stark um mich kümmert.“<br />

„Ja, sicher, und du weißt auch warum.“<br />

„Ich bin aber eine harte Nuss, das solltest du schon wissen“, entgegnet<br />

Hans lächelnd.<br />

„Das ist mir klar, so weit kenne ich dich auch schon. Aber wenigstens<br />

hattest du die Geduld, um dich mit Jan Hoveneel über alles Mögliche zu<br />

unterhalten. Erwin hat mich natürlich darüber in Kenntnis gesetzt.“<br />

Dann setzen sie sich an einen <strong>der</strong> gedeckten Tische und sobald sie<br />

bequem sitzen, fragt Hans sogleich: „Wer predigt denn heute Abend?“<br />

„Wie<strong>der</strong> Rabi Mavendran wie vor zwei Wochen.“<br />

„Schon wie<strong>der</strong>? Ihr habt doch gesagt, er sei ständig unterwegs, wenn ich<br />

mich richtig erinnere.“<br />

„Ja, aber heute ist er trotzdem wie<strong>der</strong> bei <strong>uns</strong>.“<br />

„Ich weiß noch, wie ihr gesagt habt, er habe hier eine zweite Heimat.“<br />

„Ja, das stimmt, aber vor allem seine geistliche Heimat.“<br />

„Was bedeutet dieser Ausdruck?“, fragt er diesmal ohne spöttischen<br />

Hinterton, was auch Bruno auffällt.<br />

Ohne Zögern anwortet dieser: „Das bedeutet, dass er seinen<br />

entscheidenden Werdegang als Prediger hier absolviert und von hier die<br />

meisten Impulse und Ideen geschöpft hat, vor allem auch darum, weil<br />

<strong>der</strong> Anfang dieser Teestubenarbeit eigentlich auf <strong>der</strong> Bahnhofstraße und<br />

im Shop-Ville unten begonnen hat, als er mit drei an<strong>der</strong>en Männern<br />

Freiversammlungen durch<strong>führt</strong>e. So hat es begonnen; diese vier waren<br />

die Pioniere, nachdem jahrelang in dieser Beziehung fast nichts mehr<br />

gelaufen war - unter an<strong>der</strong>em auch darum, weil es offiziell eigentlich<br />

verboten war und die meisten Gläubigen sich davon abschrecken ließen.<br />

Die einzige Ausnahme ist immer noch die Heilsarmee, bei denen drückt<br />

die Polizei immer noch ein Auge zu o<strong>der</strong> auch beide. So dürfen sie noch<br />

heute am Auffahrtstag ihren traditionellen Marsch durchführen.»<br />

Nun schweigen sie wie<strong>der</strong> eine Weile und benützen diese Pause, um<br />

sich erst einmal Kaffee einzuschenken. Dann knüpft Hans wie<strong>der</strong> an:<br />

143


„Bruno, ich habe zwar damit gerechnet, dass heute Abend Erwin kommt,<br />

aber das, was mich stark beschäftigt, kann ich ja auch mit dir<br />

besprechen. Wenn er dir schon telefoniert hat, weißt du sicher, über<br />

welche Themen ich mit Hoveneel ausführlich diskutiert habe, vor allem<br />

über die Evolutionstheorie und das, was für euch Evangelikale <strong>der</strong><br />

Schöpfungsbericht ist.“<br />

„Natürlich hat er mir das gesagt und mir auch erzählt, wie lebhaft du dich<br />

daran beteiligt hast.“<br />

„Ich muss sogar zugeben, dass er ein Mann von Format ist, <strong>der</strong> sehr viel<br />

weiß und in ein ganz an<strong>der</strong>es Licht stellen kann, als es über die Medien<br />

möglich ist.“<br />

„Ja, du hast Recht. Wir Gläubigen können wirklich froh sein, dass wir<br />

auch noch solche Männer haben. Lei<strong>der</strong> gibt es von denen viel zu wenig,<br />

weil die meisten Naturwissenschaftler Anhänger <strong>der</strong> Evolutionstheorie<br />

sind.“<br />

„Du kannst dir wahrscheinlich vorstellen, warum ich heute wie<strong>der</strong><br />

gekommen bin. Im Zusammenhang mit seinem Vortrag am letzten<br />

Sonntag und auch mit <strong>uns</strong>erem Gespräch sind neue Fragen aufgetaucht,<br />

die mich sehr stark beschäftigen. Sie haben aber nicht direkt mit <strong>der</strong><br />

Evolutionstheorie zu tun, so können wir <strong>uns</strong> getrost darüber unterhalten.“<br />

„Welche Probleme beschäftigen dich denn so stark?“<br />

„Ich halte es für besser, erst nach <strong>der</strong> Predigt darüber zu reden, weil<br />

diese bald anfängt und die Zeit ganz einfach nicht mehr reicht.“<br />

„Willst du also nachher darüber reden? Das lässt sich schon einrichten,<br />

wenn du es so vorziehst.“<br />

„Vielleicht wäre es aber besser, an einem an<strong>der</strong>en Ort zu reden. Da<br />

drinnen ist es für meinen Geschmack immer ein bisschen zu laut.“<br />

„Wo willst du denn nachher hingehen?“<br />

„Für ein Café ist es dann wahrscheinlich schon zu spät und wir wären<br />

auch so mitten unter an<strong>der</strong>en Leuten, aber du kannst zu mir nach Hause<br />

kommen, wenn es dir nichts ausmacht. Ich habe mein Auto in <strong>der</strong> Nähe,<br />

so sind wir schnell dort. Du musst dann aber nicht erschrecken, es ist<br />

eine typische Junggesellenbude.“<br />

„Keine Angst, Hans! Ich habe schon viel in meinem Leben gesehen und<br />

weiß schließlich auch noch, wie mein eigenes Junggesellenleben war.<br />

Also gut, das lässt sich einrichten; ich muss dann nur noch meiner Frau<br />

Bescheid sagen.“<br />

„Du bist verheiratet?“<br />

„Ja, seit einem Jahr. Übrigens kommt sie heute Abend auch noch,<br />

manchmal macht sie eben bei den Straßeneinsätzen mit. Jetzt ist sie<br />

noch nicht da, aber sie kommt sicher noch mit jemandem; dann kannst<br />

du sie kennen lernen. In dieser Beziehung ist sie ziemlich hartnäckig,<br />

aber in positivem Sinn: Sie versucht immer, eine Person mitzubringen;<br />

144


vorher kommt sie nicht - und wenn es ihr für einmal nicht gelingt, lässt<br />

sie sich auch nicht blicken. Bis jetzt hatte sie aber immer Glück; sie<br />

strahlt halt etwas Bestimmtes aus, das von <strong>uns</strong>erem Glauben<br />

herkommt.“<br />

„Hm, dann hast du wirklich eine außergewöhnliche Frau.“<br />

„Ja, das ist sie - darum habe ich sie auch geheiratet.“<br />

„So habt ihr also noch keine Kin<strong>der</strong>, wenn sie heute Abend auch dabei<br />

ist und auch sonst bei den Einsätzen mitmacht, wie ihr dem sagt?“<br />

„Nein, vorläufig noch nicht, und solange wir noch keine haben, ist sie<br />

nach Möglichkeit immer dabei.“<br />

Nach einer weiteren kurzen Pause, die sie dazu benützen, um sich einen<br />

ersten Schluck Kaffee zu genehmigen, sagt Hans: „Übrigens, Bruno,<br />

könntest du das für mich arrangieren, dass ich nachher mit diesem Rabi<br />

kurz reden darf? Ich weiß, dass das bei so vielen Leuten schwierig ist,<br />

aber wir können es ja probieren. Es reizt mich einfach, mit ihm ein paar<br />

Worte zu wechseln.“<br />

„Das kannst du sicher. Er ist ja genauso ein einfacher Diener Gottes wie<br />

wir, auch wenn es nicht so aussieht. Ich werde das nachher in die <strong>Weg</strong>e<br />

leiten, da kannst du dich auf mich verlassen - schließlich kennt er mich ja<br />

auch schon ziemlich gut.“<br />

Kurz bevor es dann leise wird und das Vorprogramm beginnt, tritt noch<br />

schnell eine Frau herein, und hinter ihr kommt noch eine ältere Frau.<br />

Bruno stubst Hans leicht und sagt lächelnd: „Schau, das ist jetzt meine<br />

Frau!“<br />

So hat sie es also tatsächlich erneut geschafft, jemanden von <strong>der</strong> Straße<br />

herzubringen, wie sie es vorhatte. Beide Männer erheben sich, und<br />

nachdem Bruno seine Frau kurz umarmt und auf die Lippen geküsst hat,<br />

wie das unter glücklichen Paaren üblich ist, stellt er Hans seine Frau und<br />

ihn zugleich ihr mit Namen vor: „Das ist Marianne - und das ist Hans.“<br />

Während sie sich die Hand geben, steht Hans einer hübschen Frau mit<br />

langen, dunkelblonden Haaren gegenüber, die mindestens einen Kopf<br />

kleiner ist als Ulrike, aber die gleiche außergewöhnliche Anmut<br />

ausstrahlt.<br />

Nachdem sich alle wie<strong>der</strong> gesetzt haben, merkt Hans an <strong>der</strong> Art, wie<br />

Bruno und Marianne sich während <strong>der</strong> Predigt des In<strong>der</strong>s<br />

aneinan<strong>der</strong>schmiegen und er sie noch einmal küsst, wie sehr die beiden<br />

sich lieben, und er stellt sich erneut vor, wie schön es wäre, wenn er das<br />

Gleiche auch mit Ulrike erleben könnte, von <strong>der</strong> er seit seiner direkten<br />

Begegnung mit ihr nicht mehr loskommt.<br />

Kaum hat Rabi Mavendran seine Predigt und seinen damit verbundenen<br />

145


Aufruf zur Bekehrung beendet, erhebt sich Bruno und geht langsam<br />

nach vorn zum Rednerpult. Währenddessen bleibt Hans <strong>uns</strong>chlüssig<br />

sitzen, doch als er sieht, dass Bruno ihn nach vorn zu Mavendran winkt,<br />

steht er entschlossen auf und begibt sich ebenso entschlossen nach<br />

vorn. Dann geben sich die beiden zum ersten Mal die Hand - und Hans<br />

erkennt, dass es sich bei diesem indischen Prediger tatsächlich um<br />

einen gewöhnlichen Menschen aus Fleisch und Blut handelt, auch wenn<br />

er bei seinen Vorträgen manchmal außergewöhnlich wirkt.<br />

„Ich habe Sie heute schon zum zweiten Mal predigen gehört“, sagt er zu<br />

ihm auf Englisch, weil er immer in dieser Sprache predigt und sich von<br />

jemandem übersetzen lässt, obwohl er eigentlich gut genug Deutsch<br />

spricht, doch das weiss Hans nicht o<strong>der</strong> genauer noch nicht.<br />

Mavendran antwortet ihm lächelnd: „Das freut mich, also haben Sie auch<br />

von Jesus Christus mindestens schon zweimal gehört, jedenfalls in<br />

diesem Raum.“<br />

„Nicht nur zweimal, son<strong>der</strong>n noch viel mehr. Ich wollte von Ihnen nur<br />

eines wissen: Wie ist es möglich, dass ein Hindu wie Sie, <strong>der</strong> zudem<br />

noch ein Brahmane war, seinen alten Glauben aufgibt und sich zum<br />

Christentum bekehrt? Ich finde das außergewöhnlich.“<br />

„So außergewöhnlich ist das nicht, denn <strong>der</strong> Herr wirkt auf <strong>der</strong> ganzen<br />

Welt. Auch in Indien, <strong>der</strong> Heimat meiner Vorfahren, kommen immer mehr<br />

Menschen zum Glauben an ihn.“<br />

„Wie ich gehört habe, sind Sie nicht dort aufgewachsen, son<strong>der</strong>n in<br />

Trinidad.“<br />

„Ja, das stimmt, aber ich habe immer noch Verwandte, die in Indien<br />

leben, und ein paar von denen haben sich auch schon bekehrt.“<br />

„Sind Sie heute eigentlich eine Art Pfarrer?“<br />

„Nein, auch ich bin nur ein einfacher Arbeiter im Werk des Herrn. Ich<br />

kann aber verstehen, dass jemand, <strong>der</strong> eine kirchliche Prägung hat, wie<br />

Sie es vielleicht haben, sofort denkt, ich sei ein Pfarrer. So haben auch<br />

schon an<strong>der</strong>e mir die genau gleiche Frage gestellt.“<br />

„Das klingt recht demütig, aber Sie hatten es ja auch leichter, um zu<br />

dieser Haltung zu kommen; schließlich verlangt man im Hinduismus<br />

auch eine Demut bis zum Geht-nicht-mehr.“<br />

„Ja, aber das ist eine ganz an<strong>der</strong>e Demut. Bei den Hindus und auch bei<br />

den Anhängern <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en bekannten östlichen Religionen ist es eine<br />

Demut, die von Menschen verlangt wird, um in erster Linie an<strong>der</strong>en<br />

Menschen zu gefallen und nicht etwa einem Gott, wie es immer wie<strong>der</strong><br />

so heißt. Bei Jesus Christus ist es aber eine Demut, die vom Innersten<br />

und vor allem aus freiem Willen kommt und nur durch ihn selbst bewirkt<br />

werden kann - eben durch den Heiligen Geist, den nur jene persönlich<br />

erfahren, die ihr Leben dem Herrn übergeben und mit ihm völlig neu<br />

beginnen.“<br />

146


„Das ist recht interessant, wenn ein ehemaliger Hindu so redet, und erst<br />

recht einer, <strong>der</strong> aus einer Brahmanen-Familie stammt wie Sie. Jedenfalls<br />

wirkt das glaubwürdiger, als wenn jemand von hier das tut.“<br />

„Wir sind aber trotzdem alle gleich vor Gott. So kommt es nicht darauf<br />

an, wer Jesus Christus als Erlöser bezeugt; die Hauptsache ist, dass<br />

überhaupt jemand es tut.“<br />

Da halten sie kurz inne; Mavendran schaut sich ein wenig um, fängt<br />

plötzlich an zu strahlen, zeigt auf einen Mann und geht geradewegs auf<br />

diesen zu, wobei er Hans fast am Ärmel mitzieht.<br />

„Ich will Ihnen zeigen, wie ich das meine, was ich Ihnen jetzt gesagt<br />

habe“, sagt er immer noch auf Englisch zu Hans, als sie beim<br />

Betreffenden angekommen sind, und dann wechselt er in die deutsche<br />

Sprache, die er ebenfalls gut spricht, wovon Hans sich jetzt überzeugen<br />

kann: „Darf ich vorstellen? Das ist Albert, <strong>der</strong> sich hier vor zwei Wochen<br />

bekehrt hat. Auch er kann heute bezeugen, dass Jesus Christus wirklich<br />

lebt und <strong>uns</strong>er Leben verän<strong>der</strong>n kann.“<br />

„Ja, ich erinnere mich, dass ein paar sich bekehrt haben“, entgegnet<br />

Hans ruhig und ebenfalls wie<strong>der</strong> in <strong>der</strong> hiesigen Sprache, „ich habe das<br />

schließlich miterlebt.“<br />

Darauf werden die beiden Männer, die etwa gleich alt sind, einan<strong>der</strong> kurz<br />

vorgestellt, und <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e, eben dieser Albert, an dessen Gesicht sich<br />

Hans aber nicht mehr erinnern konnte, sagt zu ihm so strahlend wie<br />

zuvor Mavendran: „Ja, auch ich kann bezeugen, dass Jesus wirklich<br />

noch heute lebt und <strong>uns</strong> vor dem ewigen Ver<strong>der</strong>ben erretten kann.“<br />

„Ah, Sie sind also auch einer von denen, die sich vor zwei Wochen hier<br />

bekehrt haben?“, fragt Hans sofort, indem er ihm offen in die Augen<br />

schaut.<br />

„Ja - und ich habe es nicht bereut. Heute weiß ich, dass es einen Gott<br />

gibt und dass Christus die Wahrheit ist.“<br />

„Das freut mich für Sie, dass Sie jetzt auch daran glauben können.“<br />

Schon will er mit Bruno, <strong>der</strong> die ganze Zeit still hinter ihnen gestanden<br />

hat, wie<strong>der</strong> zum Tisch zurück, an dem sie vorher gesessen haben, doch<br />

da nimmt Mavendran ihn wie<strong>der</strong> beim Arm und <strong>führt</strong> ihn zu einer Frau,<br />

die Hans beim ersten Hinsehen zwischen zwanzig und dreißig Jahre alt<br />

schätzt. Als er aber noch einmal genauer hinschaut, trifft ihn fast <strong>der</strong><br />

Schlag: Es ist die gleiche Frau, die sich vor zwei Wochen mit einem<br />

Strahlen, das er nie zuvor gesehen hatte, in die Arme einer gewissen Iris<br />

gestürzt hat, nachdem sie sich bekehrt hatte, und damit jenen Tumult<br />

auslöste, dem er sich schleunigst und fluchtartig entzogen hat.<br />

„Und das ist Claudia“, setzt <strong>der</strong> Prediger munter fort, „auch sie hat sich<br />

hier vor zwei Wochen bekehrt und kann heute bezeugen, dass Jesus<br />

Christus lebt.“<br />

147


Hans gibt auch ihr die Hand und wechselt mit ihr ein paar Worte, dann<br />

begeben sie sich zum Rednerpult.<br />

„Verstehen Sie jetzt, was ich gemeint habe?“, fragt Mavendran dann<br />

wie<strong>der</strong> auf Englisch und antwortet gleich selbst: „Wichtig ist also nicht,<br />

wer das Evangelium predigt, aber wichtig ist, dass überhaupt jemand es<br />

tut. Ich wünsche mir von ganzem Herzen, dass auch Sie bald erkennen,<br />

wer Jesus Christus ist, und werde für Sie beten.“<br />

„Ich danke Ihnen dafür, aber das ist bei mir nicht so einfach“, entgegnet<br />

Hans auch wie<strong>der</strong> auf Englisch, „ich muss noch viel mehr über euren<br />

Glauben wissen, bevor ich mich für etwas entscheiden kann, das ich<br />

noch nicht genügend kenne.“<br />

„Das ist auch richtig, aber wenn Sie Gott aufrichtig und von ganzem<br />

Herzen suchen, werden Sie ihn auch finden, so wie das auch in einem<br />

Bibelvers versprochen wird. Ich wünsche Ihnen dabei viel Glück - und<br />

wie ich schon gesagt habe, werde ich für Sie beten.“<br />

Damit trennen sich wie<strong>der</strong> ihre <strong>Weg</strong>e; Mavendran kümmert sich fortan<br />

um einen Bekehrungskandidaten, <strong>der</strong> während ihres Gesprächs dicht<br />

daneben gewartet hat, und geht mit ihm in den Keller hinunter. Da Hans<br />

nicht wie<strong>der</strong> eine so wilde Bekehrungsszene erleben will wie vor zwei<br />

Wochen, bittet er Bruno, möglichst bald aufzubrechen.<br />

„Macht es dir nichts aus, wenn ich mit Hans noch für eine Weile<br />

weggehe?“, fragt dann Bruno seine Frau, „er will eben an einem an<strong>der</strong>en<br />

Ort noch über ein paar Probleme mit mir reden, aber da drinnen ist es<br />

ihm zu laut.“<br />

„Aber sicher, Schatz, das kann ich verstehen“, antwortet diese lächelnd,<br />

indem sie ihn lieb anschaut, „wenn es nicht gleich für die ganze Nacht<br />

ist, macht es mir nichts aus. Wie du siehst, habe ich ja auch noch ein<br />

Gespräch vor mir.“<br />

Darauf küsst und umarmt Bruno seine Frau nochmals auffallend zärtlich,<br />

und die beiden Männer verabschieden sich von Marianne und <strong>der</strong> Frau,<br />

die diese hierhergebracht und von <strong>der</strong> Hans für einmal keinen Namen<br />

erfahren hat.<br />

10<br />

Als sie in seiner Wohnung angekommen sind, verlieren sie nicht viel Zeit.<br />

Er zeigt Bruno rasch den Saal, die beiden Zimmer, sein großes<br />

Büchergestell und die Küche, wo er einen Kaffee aufsetzt, und schon<br />

setzen sie sich auf sein Sofa.<br />

„Worüber willst du denn mit mir reden, Hans?“, beginnt Bruno sogleich<br />

das Gespräch.<br />

148


„Das ist ein bisschen schwierig zu formulieren“, entgegnet dieser<br />

langsam, „weißt du, so wie Hoveneel am letzten Mittwoch in seinem<br />

Hotelzimmer von <strong>der</strong> Evolutionstheorie und <strong>der</strong> Schöpfungsgeschichte<br />

und allem an<strong>der</strong>en, das damit zusammenhängt, erzählt hat, war es<br />

sicher sehr interessant, aber ich hätte noch ein paar Fragen auf Lager<br />

gehabt, für die nachher die Zeit gefehlt hat.“<br />

„Welche Frage zum Beispiel? Wenn es nicht gerade allzu<br />

naturwissenschaftlich ist, will ich gern versuchen, jede zu beantworten,<br />

soweit ich es kann.“<br />

„Keine Angst, Bruno! Die Naturwissenschaften können wir heute beiseite<br />

lassen, Hoveneel hat mich ja schon genug über alles informiert. Was<br />

mich viel mehr beschäftigt, sind Fragen, die zwar damit<br />

zusammenhängen, aber trotzdem für sich einzeln im Raum stehen. Zum<br />

Beispiel ist mir das nicht klar: Angenommen, es stimmt alles, was im<br />

ersten Buch Mose steht, also die Geschichten vom sogenannten<br />

Sündenfall bis zur Sintflut und zum Turmbau von Babel, und nehmen wir<br />

an, die Geschichte vom Volk Israel bis zu Jesus sei tatsächlich kein<br />

Märchen - warum hat euer Gott einen so komplizierten Heilsweg<br />

gewählt, den Hoveneel ein paar Mal erwähnt hat? Allerdings ist er nicht<br />

näher auf dieses Thema eingegangen, weil die Zeit dafür gefehlt hat.<br />

Verstehst du, was ich meine? Wäre es nicht einfacher gewesen, sich<br />

einen solchen <strong>Weg</strong> über das Kreuz zu ersparen?“<br />

Bruno überlegt eine ganze Weile, was er darauf antworten soll. Mit einer<br />

so tiefschürfenden Frage gleich zu Beginn ihres Gesprächs hat er nicht<br />

gerechnet; und trotz seiner vielen Jahre, die er schon gläubig ist, kann<br />

auch er nicht auf jede Frage sofort eine geeignete Antwort aus dem<br />

Ärmel schütteln.<br />

„Um das beantworten zu können, muss ich ein bisschen weit ausholen“,<br />

beginnt er schließlich, „versetzen wir <strong>uns</strong> einmal in die Lage, in <strong>der</strong> sich<br />

Adam und Eva kurz nach dem Sündenfall befanden! Es war total trostlos<br />

für sie, weil <strong>der</strong> <strong>Weg</strong> zurück ins Paradies für immer versperrt war, und<br />

sie mussten sich für den Rest ihres Lebens vom harten Boden ernähren,<br />

wie Gott ihnen das verordnet hatte. Trotzdem hatte er schon damals,<br />

also von Anfang an, einen ganz bestimmten Heilsplan, um die zerstörte<br />

Verbindung zwischen ihm und <strong>der</strong> Menschheit wie<strong>der</strong>herzustellen. Dafür<br />

gab er schon kurz nach dem Sündenfall die Verheißung, dass ein<br />

Samen von Eva, das heißt einer ihrer Nachkommen, <strong>der</strong> Schlange, in<br />

<strong>der</strong> sich <strong>der</strong> Satan versteckt hatte, um Eva zu verführen, den Kopf<br />

zertreten würde. Das war schon <strong>der</strong> erste Hinweis auf Jesus Christus,<br />

aber bis es so weit war, dass <strong>der</strong> Herr in Menschengestalt auf die Erde<br />

kam, dauerte es eben seine Zeit, und schon in diesen paar wenigen<br />

Jahrtausenden wurden die Menschen auf ihre Tauglichkeit für eine<br />

149


Rückkehr ins verlorene Paradies geprüft. Ich weiß, das tönt für dich<br />

alles ein bisschen kompliziert, vor allem wenn ich daran denke, dass<br />

auch du wahrscheinlich noch daran glaubst, dass die ersten Vorfahren<br />

<strong>der</strong> Menschheit schon vor mehr als einer Million Jahren gelebt haben,<br />

aber es ist halt eines <strong>der</strong> schwierigsten Kapitel überhaupt.“<br />

„Mach ruhig weiter, ich komme schon mit!“, beruhigt ihn Hans.<br />

„Gut, dann mache ich also weiter. Bald kamen Kain und Abel, also die<br />

ersten zwei Söhne von Adam und Eva, auf die Welt, und die Geschichte<br />

vom Bru<strong>der</strong>mord und damit auch vom allerersten Mord <strong>der</strong> Menschheit<br />

kennst du ja sicher. An dieser Stelle kann ich dir gleich auch erzählen,<br />

wie es nachher mit Kain weiterging und vor allem wer seine Frau war,<br />

von <strong>der</strong> in <strong>der</strong> Bibel überhaupt nicht die Rede ist, so dass gerade darum<br />

unzählige Spötter behauptet haben, die biblische Geschichte könne gar<br />

nicht stimmen, weil Kain mit keiner Frau habe Kin<strong>der</strong> zeugen können -<br />

ganz einfach, weil es keine gab. Dabei muss man nur ein bisschen<br />

genauer lesen, um den ganzen Zusammenhang zu begreifen. O<strong>der</strong> hat<br />

dir das nicht schon Jan Hoveneel erzählt?“<br />

„Doch, das hat er, und erst noch ziemlich überzeugend.“<br />

„Dann weißt du also schon Bescheid. Nach dem Mord an Abel gab es<br />

zwei verschiedene Linien von Vorfahren, die sich sehr stark voneinan<strong>der</strong><br />

unterschieden: Die eine war die von Kain, die eben darum möglich war,<br />

weil er sich mit einer seiner Schwestern intim verbunden hatte, was in<br />

diesem Zeitalter von Gott ja noch nicht verboten war. Von dieser Linie<br />

stammt alles Schlechte ab, so unter an<strong>der</strong>em das Kriegshandwerk und<br />

<strong>der</strong> Götzenkult, aber auch <strong>der</strong> übertriebene Hang zu allen Künsten, die<br />

eben dann, wenn sie von Gott ablenken, als übertrieben bezeichnet<br />

werden müssen.<br />

Die an<strong>der</strong>e Linie war die von Seth, dem dritten Sohn von Adam und Eva,<br />

<strong>der</strong> an die Stelle des frommen Abel trat, <strong>der</strong> gerade aus diesem Grund<br />

von Kain umgebracht worden war. Von ihm, <strong>der</strong> sich natürlich ebenfalls<br />

mit einer seiner Schwestern intim verbunden hat, und seinen<br />

Nachkommen stammt überwiegend alles Gute ab, vor allem auch das,<br />

was wir heute als Gottesdienst bezeichnen. Das alles steht in groben<br />

Zügen im ersten Buch Mose so geschrieben. Den Rest kennst du ja<br />

schon: Dann kamen die Sintflut und <strong>der</strong> Turmbau zu Babel, an dem wir<br />

noch heute leiden müssen. Wer sich in den Sprachen ein bisschen<br />

auskennt und noch nicht ganz von <strong>der</strong> Evolutionstheorie verblendet ist,<br />

die auch für die Entwicklung <strong>der</strong> Sprachen benützt wird, kann dir<br />

je<strong>der</strong>zeit bestätigen, dass die verschiedenen Sprachgruppen o<strong>der</strong><br />

Sprachfamilien sich so stark voneinan<strong>der</strong> unterscheiden, dass sie sich<br />

unmöglich aus <strong>der</strong> gleichen Ursprache entwickelt haben können, und<br />

das müsste ja so sein, wenn die Evolutionstheorie tatsächlich stimmen<br />

würde.<br />

150


Übrigens hat man vor nicht allzu langer Zeit die Nachricht verbreitet,<br />

dass es schon vor Jahrtausenden möglich war, die Ozeane auf<br />

einfachen Booten zu überqueren, und ohne dass es den betreffenden<br />

Leuten bewusst war, haben sie mit diesem Bericht die biblische<br />

Geschichte bestätigt. Dabei kommt es nicht einmal beson<strong>der</strong>s darauf an,<br />

wie weit die Kontinente nach <strong>der</strong> Sintflut bereits auseinan<strong>der</strong>gedriftet<br />

waren, wie Hoveneel dir das wahrscheinlich auch gesagt hat; wichtig ist<br />

hier nur, dass diese Geschichte von <strong>der</strong> Zerstreuung in die ganze Welt<br />

mit dieser Meldung bestätigt worden ist.»<br />

«Glaubst du denn wirklich daran, dass so viele Tausend Sprachen mit<br />

einem einzigen Knall entstehen konnten?»<br />

«Aber Hans, jetzt ersta<strong>uns</strong>t du mich mit dieser Frage! Wenn wir wirklich<br />

daran glauben können, dass Gott das ganze Weltall und alle Lebewesen<br />

erschaffen hat, können wir sicher auch daran glauben, dass diese<br />

Sprachenverwirrung für ihn ein Kin<strong>der</strong>spiel war. Auch diese Geschichte<br />

lässt sich zwar nicht beweisen, aber es gibt gute Hinweise. Nach <strong>der</strong><br />

Berechnung verschiedener Geschichtsforscher und Völkerkundler haben<br />

vor ein paar Tausend Jahren dort, wo sich diese Babel-Geschichte<br />

abspielte, etwa eine Million Menschen gelebt. Wenn wir davon<br />

ausgehen, dass die Zahl von fast 20'000 Sprachen, die von<br />

verschiedenen Sprachforschern schon angegeben worden ist,<br />

tatsächlich stimmt, kamen also auf jede Sprache fünfzig Köpfe, die eine<br />

einzige Sprache redeten. Wie gnädig Gott sogar an diesem tragischen<br />

Tag war, zeigte sich darin, dass er dafür sorgte, dass die gleichen<br />

Familien und Sippen zusammenbleiben konnten. Ein kleiner Hinweis<br />

darauf ist <strong>der</strong> Vers, dass die Sippschaft von Jakob, dem dritten<br />

israelitischen Erzvater, zusammen mit seinen Angehörigen siebzig Köpfe<br />

zählte, als sie ins Land Gosen kamen, um fortan dort zu wohnen. Sicher<br />

hast du auch von dieser Geschichte schon gehört.»<br />

«Natürlich - wer schon nicht? In meiner Schulzeit war es ja noch erlaubt,<br />

biblische Geschichten sogar in <strong>der</strong> Schule zu erzählen.»<br />

«Also gut, dann fahren wir weiter. - Von allen Völkern und Sippen, die<br />

sich seit <strong>der</strong> Babel-Geschichte herausgebildet haben, hat Gott Abraham<br />

erwählt, damit dieser <strong>der</strong> Stammvater des Volkes wurde, aus dem später<br />

<strong>der</strong> verheißene Erlöser für die ganze Menschheit hervorging. Warum<br />

Gott ausgerechnet ihn erwählt hat, können wir nicht beantworten,<br />

genauso wenig wie die Frage, warum er den Heilsweg über das Kreuz<br />

geplant hat. Er hat sich eben so entschieden - und wir können genauso<br />

wenig darüber diskutieren wie über die Dreieinigkeit, die den meisten<br />

Leuten ebenfalls viele Probleme bereitet, darunter auch gläubigen<br />

Christen selbst.“<br />

„Wie erklärst du dir denn diese?“<br />

„Sie lässt sich nicht in <strong>uns</strong>eren menschlichen Denkdimensionen erklären,<br />

151


aber ich kann dir einen guten Anhaltspunkt geben: Wenn wir davon<br />

ausgehen, dass es tatsächlich einen allmächtigen und allwissenden Gott<br />

gibt, <strong>der</strong> das ganze Weltall, alle Sterne, Planeten und Monde und alle<br />

Lebewesen und wie gerade gesagt auch alle Sprachen erschaffen hat,<br />

sollte es ihm doch auch möglich sein, sich in drei Personen zu<br />

offenbaren. Um sich das ungefähr vorstellen zu können, müssen wir<br />

eben <strong>uns</strong>ere beschränkten menschlichen Denkdimensionen verlassen<br />

und versuchen, <strong>uns</strong> ein bisschen in die göttlichen zu versetzen. Natürlich<br />

können wir das nur beschränkt, aber wenn wir <strong>uns</strong> den Bibelvers vor<br />

Augen führen, dass für Gott tausend Jahre wie ein Tag sind, dann hilft<br />

das <strong>uns</strong>, seine Denkweise mindestens teilweise zu begreifen. Ich nehme<br />

an, dass Jan Hoveneel diesen Vers im Zusammenhang mit <strong>der</strong><br />

Schöpfung ebenfalls zitiert hat.“<br />

„Ja, das hat er.“<br />

„Ich bin noch nicht ganz fertig mit dem, was ich dir erklären wollte, weil<br />

wir ein bisschen abgewichen sind. Gott hat also Abraham zum<br />

Stammvater <strong>der</strong> Heilslinie erwählt, von <strong>der</strong> am Schluss <strong>der</strong> Erlöser kam.<br />

Auch diese Wahl zeigt übrigens Gottes wun<strong>der</strong>bare Führung, die so<br />

ganz an<strong>der</strong>s als <strong>uns</strong>ere Denkweise ist. Als er Abraham das Versprechen<br />

gab, dass durch ihn alle Geschlechter <strong>der</strong> Erde gesegnet würden, hatte<br />

dieser überhaupt noch keine Kin<strong>der</strong>, weil seine Frau Sara noch<br />

unfruchtbar war. Mit neunzig Jahren gebar sie aber noch Isaak, den<br />

zweiten Stammvater <strong>der</strong> Israeliten. Das scheint für heutige Begriffe<br />

unmöglich - aber erinnerst du dich noch daran, was ich dir gerade vorhin<br />

gesagt habe? Wenn Gott so allmächtig und allwissend ist, dass er alles<br />

erschaffen hat und sich erst noch in drei Personen offenbaren kann, war<br />

es ihm doch sicher auch möglich, im Bauch einer so alten Frau noch ein<br />

Kind heranwachsen zu lassen. Übrigens waren neunzig Jahre damals<br />

noch nicht viel, wenn wir lesen, dass viele Stammväter auch nach <strong>der</strong><br />

Sintflut bis zu zweihun<strong>der</strong>t Jahre alt wurden, und so können wir<br />

annehmen, dass auch Frauen dieses Alter erreicht haben. Natürlich tönt<br />

das alles für dich fantastisch, aber ich will dir eben auf diese Art den<br />

Heilsweg bis zu Jesus zeigen, wie er in <strong>der</strong> Bibel beschrieben ist.<br />

Nach Isaak kam dann Jakob, <strong>der</strong> dritte Stammvater <strong>der</strong> Israeliten, <strong>der</strong><br />

gleich zwölf Söhne von vier verschiedenen Frauen hatte - von den zwei<br />

bekannten Ehefrauen Lea und Rahel und dazu von Silpa und Bilha, den<br />

beiden Mägden dieser Frauen -, und nach ihnen lebten ihre Nachfolger<br />

ein paar Jahrhun<strong>der</strong>te in Ägypten, was übrigens auch in altägyptischen<br />

Schriften verzeichnet ist, und dann kehrten die Israeliten unter Moses<br />

nach Kanaan zurück. Dort eroberten sie unter Josua, dem Nachfolger<br />

des Moses, fast das ganze Land; später kamen die Richter wie die<br />

bekannten Gideon und Simson und dann die Könige mit David und<br />

Salomo, die diese Heilslinie fortgesetzt haben, und so ging es<br />

152


Jahrhun<strong>der</strong>te weiter, bis schließlich Jesus aufgetreten ist. Das ist in<br />

groben Zügen das, was ich dir erklären wollte, und das ist es auch, was<br />

Jan Hoveneel mit dem Heilweg gemeint hat, denn in diesem Punkt sind<br />

sich alle Bibelgelehrten einig.“<br />

„Es ist unglaublich, wie viel Bescheid du darüber weißt, als ob du ein<br />

Pfarrer wärst.“<br />

„Das bin ich aber nicht - und man muss auch nicht Theologie studieren,<br />

um das zu begreifen. Je<strong>der</strong> Mann und jede Frau, die dafür Interesse<br />

haben, können sich dieses Wissen zu einem großen Teil allein<br />

erarbeiten, weil es dafür auch gute Begleitbücher gibt und natürlich auch<br />

<strong>der</strong> Herr selber <strong>uns</strong>eren Verstand erhellen kann, wenn wir es nur<br />

wollen.“<br />

„Wenn ich das Ganze richtig verstehe, waren also die Israeliten das<br />

auserwählte Volk, aus dem <strong>der</strong> Erlöser kommen musste - also eben<br />

dieser Messias, wie es auch heißt. Dann ist wohl das <strong>der</strong> Grund, warum<br />

die Ultraorthodoxen in Israel sich so aufführen, als ob es immer noch so<br />

wäre, dass die Juden etwas Beson<strong>der</strong>es sind.“<br />

„Vergiss aber eines nicht, Hans! Ich weiß, worauf du jetzt anspielen<br />

willst, aber das Versprechen, das Gott damals Abraham gegeben hat, ist<br />

auch heute noch gültig, ob das jetzt den radikalen Palästinensern und<br />

allen an<strong>der</strong>en Feinden Israels passt o<strong>der</strong> nicht. Übrigens ist es immer<br />

wie<strong>der</strong> interessant zu beobachten, dass praktisch alle Leute, die gegen<br />

Gott sind, auch gegen Israel eingestellt sind, und in diesem Punkt sind<br />

sich in <strong>der</strong> Politik sogar die Linken mit den Rechtsextremen und den<br />

Islamisten einig.<br />

Genau diese Feindschaft, die von <strong>der</strong> satanischen Seite bewusst<br />

geschürt wird, ist ein klares und untrügliches Zeichen dafür, dass es Gott<br />

halt immer noch gibt und dass Israel für die ganze Welt immer noch eine<br />

enorme Bedeutung hat. Das wird sich in <strong>der</strong> näheren Zukunft noch mehr<br />

zeigen, aber darauf können wir jetzt nicht näher eingehen, sonst reden<br />

wir noch die ganze Nacht - die Bibel ist halt eine unerschöpfliche<br />

Fundgrube ... Übrigens fällt mir an dieser Stelle wie<strong>der</strong> ein, dass Erwin<br />

dir beim letzten Mal gesagt hat, was das typische Kennzeichen einer<br />

Sekte ist. Erinnerst du dich noch? Sobald Jesus Christus und das Kreuz<br />

nicht mehr im Mittelpunkt stehen, son<strong>der</strong>n eine an<strong>der</strong>e Lehre und sogar<br />

an<strong>der</strong>e Personen, ist <strong>der</strong> Fall bereits klar, aber es gibt noch ein zweites<br />

typisches Kennzeichen, und zwar in Bezug auf Israel und das jüdische<br />

Volk. Eine feindliche Einstellung gegenüber diesem Land und Volk kann<br />

nicht von Gott gewirkt sein, son<strong>der</strong>n kommt von <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en, also von<br />

<strong>der</strong> satanischen Seite, aber das lässt sich erklären: Die Wut <strong>der</strong><br />

Teufelsschar auf die Israeliten und später auf die Juden bis zum<br />

heutigen Zeitalter und damit auch die Beeinflussung <strong>der</strong> Menschheit,<br />

dieses Volk jahrhun<strong>der</strong>telang zu verfolgen und abzuschlachten, kommt<br />

153


eben daher, weil <strong>der</strong> Erlöser für die ganze Welt von diesem Volk<br />

abstammt, das Gott für seinen Heilsweg erwählt hat. Wer Jesus Christus<br />

wirklich in seinem Leben persönlich erfahren hat, kann unmöglich<br />

antisemitisch und antijüdisch eingestellt sein, weil ja Jesus, ihr Erlöser,<br />

selber ein Jude war - und erst noch ein sehr religiöser, <strong>der</strong> in seinen<br />

Reden immer wie<strong>der</strong> auf die alten Schriften hingewiesen hat, also auf<br />

das, was wir heute als Altes Testament bezeichnen. Darum fühlen sich<br />

alle, die ihn als Erlöser kennen, in irgendeiner Form auch mit Israel und<br />

den Juden verbunden, auch wenn viele von ihnen Jesus immer noch<br />

nicht als ihren Messias sehen; alles an<strong>der</strong>e wäre ja nicht logisch.“<br />

„Jetzt muss ich dich aber doch einmal etwas Wichtiges fragen: Willst du<br />

mit dieser angeblichen Auserwählung <strong>der</strong> Israeliten als beson<strong>der</strong>es Volk<br />

auch sagen, dass sie besser waren als die an<strong>der</strong>en, und dass damit<br />

auch die heutigen Juden besser sind, weil sie unter dem Schutz Gottes<br />

stehen - abgesehen davon, dass mir auch gewisse Zweifel kommen,<br />

wenn ich an die unzähligen Pogrome und vor allem an das denke, was<br />

während des Zweiten Weltkriegs mit ihnen geschehen ist? Bekanntlich<br />

geht ja auch in Israel nicht alles mit rechten Dingen zu, vor allem<br />

gegenüber friedliebenden Palästinensern, denen einfach von einem Tag<br />

auf den an<strong>der</strong>en <strong>der</strong> Boden und das Haus weggenommen werden, damit<br />

für neue jüdische Siedler Platz geschaffen wird, und wenn ich mich<br />

richtig erinnere, wurden damals in Kanaan nicht wenige Völker im<br />

Namen Gottes vollständig ausgelöscht. Soll das alles etwa mit einer<br />

göttlichen Liebe zu tun haben?“<br />

„Moment, Hans, misch nicht alles durcheinan<strong>der</strong>! Wir müssen bei den<br />

Fakten bleiben, wie sie in <strong>der</strong> Bibel beschrieben sind. Dort steht an<br />

keiner einzigen Stelle, dass die Israeliten als Ganzes charakterlich<br />

besser waren als die an<strong>der</strong>en Völker, und das Gleiche gilt auch für die<br />

heutigen Nachkommen. Wir müssen <strong>uns</strong> einmal in die Lage versetzen,<br />

als die Israeliten sich darauf vorbereiteten, ins verheißene Land Kanaan<br />

einzudringen. Damals herrschte dort praktisch in je<strong>der</strong> Stadt und in<br />

jedem Dorf ein schlimmer Götzenkult son<strong>der</strong>gleichen, zum Teil noch viel<br />

schlimmer als heute; so wurden alle möglichen Statuen in aller<br />

Öffentlichkeit angebetet, was nicht einmal in <strong>der</strong> heutigen verdrehten und<br />

verrückten Zeit vorkommt. Was Gott aber noch viel mehr in Zorn versetzt<br />

hat, waren die unzähligen Menschenopfer, die gebracht wurden, denn<br />

das war in seinen Augen das Allerschlimmste; wer sich auch nur ein<br />

bisschen in <strong>der</strong> Bibel auskennt, sieht das sofort. Somit bekamen die<br />

Israeliten nicht nur den Auftrag, das Land zu erobern, son<strong>der</strong>n auch<br />

diese Völker und damit auch diesen Götzenkult mit den Menschenopfern<br />

zu vernichten. Sicher kamen im Verlauf dieser Eroberungen auch viele<br />

Unschuldige ums Leben, wie das lei<strong>der</strong> in jedem Krieg so passiert, aber<br />

Gott weiß auch heute noch sehr wohl, wer damals von Herzen an ihn<br />

154


glaubte, und wird sie sicher dementsprechend belohnen.<br />

Übrigens ist es immer wie<strong>der</strong> auch vorgekommen, dass ein Volk<br />

verschont blieb, wenn es den Götzenkult mit den Menschenopfern<br />

aufgab und sich zum einen wahren Gott bekehrte, zum Beispiel die<br />

Bevölkerung von Ninive. Sicher hast du auch schon vom Propheten Jona<br />

gehört, <strong>der</strong> den Auftrag hatte, diesen Leuten zu predigen, <strong>der</strong> aber Gott<br />

davonlaufen wollte und erst in einem großen Fisch zu ihm<br />

zurückgefunden hat - auch darin zeigt sich die Allmacht des Herrn, dass<br />

seine Augen sogar bis dorthin gereicht haben.“<br />

„Ja, ich erinnere mich knapp an eine solche Geschichte mit einem Mann<br />

in einem großen Fisch; also muss es wohl diese sein.“<br />

„Richtig, das ist sie, aber ich weiß natürlich, dass dir auch das vorläufig<br />

noch fantastisch vorkommt. Um wie<strong>der</strong> auf das eigentliche Thema<br />

zurückzukommen: In <strong>der</strong> ganzen Geschichte <strong>der</strong> Menschheit hat es sich<br />

immer wie<strong>der</strong> gezeigt, dass alle Völker, die einen solchen Götzenkult mit<br />

Menschenopfern betrieben, früher o<strong>der</strong> später schwer bestraft wurden.<br />

Das hat sich zum Beispiel auch bei den Inkas und Azteken gezeigt, die<br />

von all denen zu den bekanntesten gehören und in <strong>der</strong> Welt wegen ihrer<br />

Hochkultur so hochgejubelt werden, während die Spanier, die sie besiegt<br />

und unterworfen haben, immer nur als kultur- und hirnlose Schlächter<br />

hingestellt werden. Wie viel war diese Hochkultur aber am Ende wert,<br />

wenn auf ihren Altären Menschenopfer gebracht wurden, und zwar zu<br />

Tausenden und Abertausenden mit Gefangenen von an<strong>der</strong>en Völkern,<br />

vor allem im heutigen Mexiko, und natürlich auch mit unzähligen<br />

Jungfrauen und sogar mit Kin<strong>der</strong>n, wie das in <strong>der</strong> ganzen Welt üblich<br />

war? Dazu kam noch, dass ihre sogenannten heiligen Priester den<br />

Opfern die Herzen bei lebendigem Leib herausschnitten und frassen,<br />

damit sie so den Göttern nahe sein konnten. Abartiger geht es wirkllich<br />

nicht mehr.<br />

Natürlich hört die antichristlich eingestellte Welt das nicht gern, aber wir<br />

müssen <strong>uns</strong> auch einmal in die Lage <strong>der</strong> Spanier versetzen, die direkt<br />

schockiert waren, als sie von diesen Menschenopfern hörten. So ist es<br />

auch nicht erstaunlich, dass sie von den Völkern, die von den Inkas und<br />

Azteken buchstäblich bis aufs Blut unterdrückt wurden, als Befreier<br />

empfangen wurden und dass diese bei <strong>der</strong> Eroberung dieser Län<strong>der</strong><br />

mitgeholfen haben, vor allem in Mexiko. Übrigens ist es ebenso bekannt,<br />

dass auch Spanier, die den Azteken in die Hände fielen, ihren Göttern<br />

geopfert wurden, und das passt auch zum Gesamtbild, denn die Azteken<br />

waren noch um einiges blutrünstiger als die Inkas. Wenn wir <strong>uns</strong> das vor<br />

Augen führen, können wir diese Reaktion <strong>der</strong> Spanier auch ein bisschen<br />

verstehen. Sicher ging es auch um viel Gold und damit auch um Macht,<br />

sicher wurden auch viele Verbrechen begangen und Tausende von<br />

Unschuldigen nie<strong>der</strong>gemetzelt, wie das auch bei <strong>der</strong> Eroberung Kanaans<br />

155


durch die Israeliten vorgekommen ist, aber wenn wir diese Ereignisse mit<br />

denen in <strong>der</strong> Bibel vergleichen, können wir bald einmal sehen, dass auch<br />

diese beiden Völker, die in <strong>der</strong> Welt so übertrieben hoch angesehen<br />

sind, letztlich von Gott gerichtet worden sind, so hart das auch tönt.<br />

Übrigens gelten die göttlichen Gerichte heute noch genauso wie zur<br />

Zeit des Alten Testaments, wenn auch auf an<strong>der</strong>e Weise. Heute werden<br />

nicht mehr ganze Völker vernichtet, aber überall dort, wo <strong>der</strong> Götzenkult<br />

stark verbreitet ist, drückt sich die Strafe von oben darin aus, dass es<br />

den Völkern viel schlechter geht; das zeigt sich am deutlichsten in<br />

Indien, in Afrika und in Haiti mit seinem wi<strong>der</strong>lichen Voodoo-Kult. In<br />

diesem Zusammenhang ist auch noch das interessant: Ist es dir nicht<br />

auch schon aufgefallen, dass eines <strong>der</strong> typischen Kennzeichen <strong>der</strong><br />

afrikanischen Musik, die heute nicht ohne Grund in hohem Ansehen<br />

steht, ein starkes Schlagen <strong>der</strong> Trommeln ist, genauso wie die mo<strong>der</strong>ne<br />

Pop- und Rockmusik, die ja wirklich nichts Christliches an sich haben?<br />

Es wird natürlich weitgehend unterschlagen, dass die Naturvölker in<br />

Afrika und in den an<strong>der</strong>en Kontinenten die Trommeln nicht nur dazu<br />

benützt haben und zum Teil immer noch benützen, um gegenseitig<br />

Botschaften zu übermitteln, son<strong>der</strong>n sie waren und sind ebenso ein<br />

wichtiger Teil ihres Götzenkults, denn damit wurden und werden auch<br />

die Dämonen gerufen.<br />

Es gibt aber nicht nur göttliche Strafen, son<strong>der</strong>n auch Segnungen, denn<br />

überall dort, wo <strong>der</strong> Name Gottes hochgehalten wird, geht es den<br />

Völkern insgesamt besser als dort, wo <strong>der</strong> Götzenkult stark verbreitet ist.<br />

Auch aus diesem Grund ist es in Europa und Nordamerika vielen<br />

Menschen lange Zeit gut gegangen, und er hat sicher auch eine Rolle<br />

dafür gespielt, dass die Schweiz zweimal von Weltkriegen verschont<br />

worden ist. Es lag also nicht nur an einem billigen Opportunismus und<br />

Anpassertum, wie heute viele Unwissende das behaupten, son<strong>der</strong>n auch<br />

an <strong>der</strong> einfachen Tatsache, dass damals noch Tausende von Christen in<br />

diesem Land regelmäßig gebetet haben, und zwar nicht nur in Notzeiten.<br />

Was jetzt aber diese göttlichen Segnungen betrifft, so galten sie<br />

natürlich beson<strong>der</strong>s für Israel, und das war spätestens von dem<br />

Zeitpunkt an verheißen, als Moses sein fünftes Buch geschrieben hatte,<br />

das sich überwiegend mit Segen und Fluch befasst. Solange die<br />

Israeliten sich auf Gott beriefen und die Gesetze befolgten, ging es dem<br />

Land so gut, dass nicht einmal die stärkste Militärmacht <strong>der</strong> Welt sie<br />

hätte besiegen können, und das zeigte sich vor allem in <strong>der</strong> Blütezeit<br />

unter David und Salomo. Sobald sie Gott aber verließen und zum<br />

größten Teil den Götzen anhingen, die sie von den heidnischen<br />

Nachbarvölkern übernahmen, ging es mit ihnen abwärts. Das hat sich<br />

bereits bei Salomo gezeigt; wer in <strong>der</strong> Bibel liest, was über ihn<br />

geschrieben steht und was er selber auch geschrieben hat, kann es fast<br />

156


nicht glauben, dass <strong>der</strong> große Abfall ausgerechnet unter ihm begonnen<br />

hat, als er sich mit immer mehr heidnischen Frauen einließ und ihren<br />

Aberglauben mit dem israelitischen Glauben vermischte.<br />

Wenn schon ihr König sich so benahm, sahen auch allzu viele<br />

Untertanen nichts Schlechtes darin, ihn nachzuahmen; diese Haltung hat<br />

sich in <strong>der</strong> Geschichte dieses Volkes auch in den späteren Zeiten immer<br />

wie<strong>der</strong> gezeigt. So blieben aber auch die Israeliten von den göttlichen<br />

Gerichten nicht verschont, so sind auch sie schwer bestraft worden:<br />

Zuerst mit <strong>der</strong> Teilung des Landes in zwei Hälften und dann mit <strong>der</strong><br />

Verschleppung des übriggebliebenen Restes <strong>der</strong> zehn Stämme, die in<br />

<strong>der</strong> nördlichen Hälfte wohnten, nach Assyrien, und wir wissen bis heute<br />

nicht mit absoluter Sicherheit, was aus diesen geworden ist - bis heute<br />

ist alles immer nur Spekulation geblieben. Nur Gott kennt die ganze<br />

Wahrheit - und es ist verheißen, dass irgendwann einmal auch diese<br />

wie<strong>der</strong> ans Tageslicht treten wird, denn im letzten Buch <strong>der</strong> Bibel, das<br />

wir als Apokalypse bezeichnen, ist plötzlich wie<strong>der</strong> von zwölf Stämmen<br />

die Rede; also kann das nur bedeuten, dass Gottes Allmacht und<br />

Allwissenheit sich auch darin zeigt, dass er noch heute die Abstammung<br />

jedes einzelnen Juden kennt.<br />

Das ist aber immer noch nicht alles: Als mit <strong>der</strong> Zeit auch die Stämme<br />

Juda und Benjamin, die im südlichen Teil des ehemaligen Reiches<br />

wohnten und insgesamt noch frommer waren als die im Norden und zum<br />

Glück für sie ab und zu auch einen frommen König hatten, immer mehr<br />

dem Götzenkult anhingen, wurden auch sie militärisch besiegt und zum<br />

größten Teil verschleppt. Sicher hast auch du schon von <strong>der</strong><br />

siebzigjährigen Gefangenschaft in Babylon gehört, aber sogar in dieser<br />

elenden Lage hat Gott sein Versprechen gegenüber Abraham wie<strong>der</strong><br />

eingehalten. Es hat ja in Israel immer auch tiefgläubige Leute gegeben -<br />

nicht nur die Propheten, son<strong>der</strong>n auch an<strong>der</strong>e -, und als Gott sah, wie in<br />

<strong>der</strong> Gefangenschaft immer mehr zu ihm flehten, begann er so zu wirken,<br />

dass sie schon bald wie<strong>der</strong> nach Jerusalem zurückkehren konnten.<br />

Sobald sie aber wie<strong>der</strong> eingerichtet waren, sobald die Hauptstadt wie<strong>der</strong><br />

neu aufgebaut war und wie<strong>der</strong> eine Mauer rundherum hatte und sogar<br />

ein neuer Tempel stand, wichen ihre Nachkommen teilweise schon<br />

wie<strong>der</strong> von Gott ab, ohne dass sie dafür mit einer weiteren<br />

Verschleppung bestraft wurden - wohl auch darum, weil die Götzenkulte<br />

in den letzten 500 Jahren vor Christus nicht mehr im gleichen Ausmaß<br />

verbreitet waren.<br />

Die Abkehr von Gott drückte sich in dieser Epoche bei vielen mehr darin<br />

aus, dass sie zwar die Gesetze mehr o<strong>der</strong> weniger einhielten, dass aber<br />

ihre Herzen verhärtet waren, wie das auch heute bei allzu vielen Leuten<br />

zutrifft: Man gibt sich zwar fromm - vor allem in <strong>der</strong> Weihnachtszeit und<br />

in <strong>der</strong> Karwoche -, aber man öffnet sich im Innersten trotzdem nicht<br />

157


gegenüber <strong>der</strong> Heilsbotschaft. Diese harte Haltung hat damals auch<br />

entscheidend dazu beigetragen, dass Jesus von den meisten<br />

Pharisäern, Sadduzäern und Schriftgelehrten abgelehnt worden ist,<br />

obwohl sie aufgrund <strong>der</strong> vielen Prophezeiungen über ihn sehr wohl<br />

wussten o<strong>der</strong> sich wenigstens hätten denken können, dass gerade er<br />

<strong>der</strong> verheißene Messias war, auch wenn er nicht zum bewaffneten<br />

Wi<strong>der</strong>stand gegen die Römer ausrief. In den Schriften steht nämlich<br />

geschrieben, dass dieser Retter des Volkes nicht nur ein militärischer<br />

Anführer sein wird, son<strong>der</strong>n auch ein sanftmütiger Diener <strong>der</strong><br />

Menschheit, und gerade diese Voraussetzung hat Jesus bei seinem<br />

ersten irdischen Auftreten erfüllt.<br />

Das an<strong>der</strong>e kommt auch noch, aber erst bei seinem zweiten Auftreten,<br />

wenn er in aller Herrlichkeit wie<strong>der</strong> erscheinen wird, um die Welt vor dem<br />

sicheren Untergang zu retten und eine neue Weltherrschaft unter ihm<br />

selber zu errichten. Wahrscheinlich hast du auch schon von dieser<br />

legendären letzten Schlacht bei Harmageddon gehört, genau diese wird<br />

sich dann ereignen. Wer also bei seinem ersten Auftreten sein Herz<br />

gegenüber Jesus nicht öffnete, war nicht fähig zu erkennen, dass es sich<br />

bei ihm um ein und denselben handelte, also um den sanftmütigen<br />

Gottessohn, <strong>der</strong> sich für das Heil <strong>der</strong> Menschheit kreuzigen ließ, und<br />

zugleich um den zukünftigen großen Weltherrscher. Viele Bibelausleger<br />

meinen, dass später die Zerstörung des zweiten Tempels und des<br />

größten Teils von Jerusalem und die Zerstreuung <strong>der</strong> Juden in die ganze<br />

Welt für fast 2’000 Jahre damit zusammenhing, dass die meisten von<br />

ihnen Jesus als ihren Messias abgelehnt haben, aber ich selber halte<br />

diese Aussage für gewagt; darum würde ich mich darin nie festlegen.“<br />

Erst jetzt hält er kurz inne, um genauso wie Hoveneel vor drei Tagen<br />

wie<strong>der</strong> einmal durchzuatmen. Während sie sich beide einen Schluck<br />

Kaffee genehmigen, nimmt Hans schon bald den Gesprächsfaden<br />

wie<strong>der</strong> auf, indem er leise sagt und Bruno dabei offen in die Augen<br />

schaut: „Ich muss schon sagen, das ist hochinteressant, was du da<br />

erzählt hast. So habe ich das bis heute noch nie gehört.“<br />

„Trotzdem bin ich aber immer noch nicht fertig“, hakt dieser sofort wie<strong>der</strong><br />

ein, „denn ich muss dir über den göttlichen Heilsweg noch ein bisschen<br />

mehr erzählen. Hast du das auch noch nie gehört? Noch bevor Jesus<br />

auf die Welt kam, wurde seine Ankunft und sein Wirken jahrhun<strong>der</strong>telang<br />

vorher in vielen Einzelheiten prophezeit, und zwar nicht nur durch einen<br />

einzigen Propheten, son<strong>der</strong>n durch mehrere stückweise, das heißt so,<br />

dass fast je<strong>der</strong> einen Teil voraussagte, so dass das Ganze sich am<br />

Schluss zu einem Puzzle zusammensetzen ließ. David zum Beispiel, <strong>der</strong><br />

ja nicht nur ein König und Dichter war, son<strong>der</strong>n auch eine prophetische<br />

Gabe hatte, die natürlich von Gott selber geschenkt war, sagte die<br />

158


Todesart voraus, und zwar beschrieb er sie so, dass wir daraus<br />

schließen können, dass eine Kreuzigung gemeint war, die zu seiner Zeit<br />

noch nicht einmal bekannt war - genauso wenig hat auch das Römische<br />

Reich existiert, das diese Hinrichtungsart praktisch als Markenzeichen<br />

hatte. Es geht aber noch weiter: Jesaja sagte voraus, dass ein gerechter<br />

Mann verachtet und geschlagen und leiden wird, dass wir aber durch<br />

seine Wunden geheilt werden, und damit konnte wie<strong>der</strong> nur Jesus<br />

gemeint sein. Zugleich kündigte er auch die Geburt eines Sohnes durch<br />

eine Jungfrau an und meinte auch damit Jesus, und als Zugabe sprach<br />

er auch noch von einem beson<strong>der</strong>en Propheten, <strong>der</strong> kurz vor diesem<br />

Einen auftreten wird, um seinen <strong>Weg</strong> vorzubereiten, und meinte damit<br />

eindeutig Johannes den Täufer. Micha kündigte den Geburtsort<br />

Bethlehem an; Hosea sagte voraus, dass Gott seinen Sohn aus Ägypten<br />

zurückrufen wird, und Jeremia prophezeite den Kin<strong>der</strong>mord in<br />

Bethlehem. Scharja sagte voraus, er würde auf einer Eselin in Jerusalem<br />

einziehen, und Joel kündigte die Aussendung des Heiligen Geistes an.<br />

Daniel sagte sogar die Jahre voraus, in denen er auftreten wird, und<br />

gab auch noch eine Rechnung mit, so dass es möglich ist, die Jahre bis<br />

zum irdischen Auftreten des Herrn ziemlich genau auszurechnen.<br />

Allerdings is eine ganz genaue Jahresangabe darum nicht möglich, weil<br />

damals zur gleichen Zeit verschiedene Kalen<strong>der</strong> im Umlauf waren, und<br />

ich bin sicher, dass <strong>der</strong> Herr diese Verwirrung bewusst zugelassen hat.<br />

Das Einzige, das sicher scheint, ist das Todesjahr von Herodes, <strong>der</strong><br />

nach <strong>der</strong> Überlieferung den Kin<strong>der</strong>ord in Bethlehem befohlen hat - es<br />

war das Jahr 4 vor Christus. Dazu ist heute ebenfalls bekannt, dass es<br />

kurz vorher eine Planetenkonstellation gab, wie sie vorher nie<br />

vorgekommen war und nachher auch nie mehr vorgekommen ist. Es<br />

waren nicht nur <strong>der</strong> Jupiter und <strong>der</strong> Saturn, die beiden grössten<br />

Planeten, son<strong>der</strong>n auch ein Teil <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Planeten, die zueinan<strong>der</strong><br />

so standen, dass sie alle zusammen so leuchteten, als ob ein neuer<br />

Stern aufgetaucht wäre - das erklärt auch die Geschichte mit dem Stern<br />

von Bethlehem, von dem du sicher auch schon gehört und gelesen hast.<br />

Wie wichtig all diese Prophezeiungen in ihrem ganzen Puzzle waren,<br />

zeigt sich auch noch bei Maleachi, <strong>der</strong> als letzter <strong>der</strong> Propheten des<br />

Alten Testaments etwa 400 Jahre vor Christus genauso wie vorher<br />

Jesaja die Ankunft von Johannes dem Täufer ankündigte. Auch dieser<br />

spezielle Auftritt des Täufers zeigt <strong>uns</strong>, welche enorme Bedeutung Jesus<br />

im göttlichen Heilsplan hatte, wenn sein Kommen nicht nur von einem,<br />

son<strong>der</strong>n sogar von zwei Propheten aus Fleisch und Blut angekündigt<br />

wurde.<br />

Natürlich kann ich jetzt nicht auf alle Einzelheiten eingehen, aber wenn<br />

du willst, kann ich dir all diese Bibelverse aufschreiben; so kannst du sie<br />

nachher in aller Ruhe für dich allein durchlesen und dir selber ein Bild<br />

159


über die Genauigkeit und Treffsicherheit dieser Prophezeiungen<br />

machen. Übrigens ist das, was ich dir jetzt gesagt habe, nur ein kleiner<br />

Teil aller Prophezeiungen über Jesus. Insgesamt gibt es mehr als 300<br />

von ihnen, darunter auch solche, die sich auf den ersten Blick scheinbar<br />

wi<strong>der</strong>sprechen. Wie war es zum Beispiel möglich, dass jemand, <strong>der</strong> am<br />

Kreuz wie ein Verbrecher hingerichtet wurde, nachher ausgerechnet in<br />

ein Grab gelegt wurde, das einem Reichen gehörte und noch nie vorher<br />

benützt worden war? Genau das ist aber mit Jesus geschehen - und<br />

beides war viele Jahrhun<strong>der</strong>te vorher ebenfalls angekündigt worden.<br />

Auch <strong>der</strong> Verrat an Jesus durch Judas mit dreißig Silberstücken ist<br />

genau so vorausgesagt worden, das heißt die Anzahl Silberstücke.“<br />

„Es ist gut, dass du gerade von diesem Judas redest, denn darüber<br />

wollte ich dich etwas ganz Bestimmtes fragen. Wenn es wirklich so ist,<br />

wie ihr sagt, wenn es also stimmt, dass euer Gott von Anfang an einen<br />

genauen Heilsplan hatte und zu diesem Zweck das Volk Israel<br />

auserwählte, aus dem <strong>der</strong> Erlöser <strong>der</strong> ganzen Welt kommen musste, und<br />

wenn ihr zugleich davon redet, dass je<strong>der</strong> einzelne Mensch seinen freien<br />

Willen hat ... wie reimt sich das denn zusammen, dass Gott seinen Sohn<br />

ans Kreuz schickte, um ihn für die Sünden <strong>der</strong> ganzen Menschheit<br />

sterben zu lassen? Das würde doch heißen, dass dieser Judas, <strong>der</strong> ja<br />

immer nur als ein Bösewicht dargestellt wird, gar keinen freien Willen<br />

hatte, son<strong>der</strong>n von Gott praktisch als eine Marionette benützt wurde,<br />

damit dieser Heilsplan am Kreuz in die Tat umgesetzt werden konnte.<br />

O<strong>der</strong> siehst du das etwa an<strong>der</strong>s?“<br />

„Ich weiß, mit dieser Geschichte haben auch viele Gläubige Mühe.<br />

Soweit ich selber das begreife, kann ich das nur so erklären und dabei<br />

wie<strong>der</strong> auf die erwähnten göttlichen Denkdimensionen hinweisen: Da<br />

Gott alles weiß und darum auch alles voraussieht, konnte er sicher auch<br />

wissen, dass Judas seinen Sohn verraten würde, und damit auch den<br />

Tod am Kreuz über Jahrhun<strong>der</strong>te hinweg vorausplanen. Das heißt jetzt<br />

aber nicht, dass er unbedingt wollte, dass Judas ihn verraten würde; er<br />

hätte immer noch seinen freien Willen gehabt, um Jesus nicht zu<br />

verraten, aber auch wenn er das nicht getan hätte, wäre Jesus sicher<br />

über einen an<strong>der</strong>en <strong>Weg</strong> an seine Henker ausgeliefert worden, wenn wir<br />

daran denken, wie viele an<strong>der</strong>e gegen ihn eingestellt waren.<br />

Warum aber waren sie gegen ihn? Weil die meisten Pharisäer,<br />

Sadduzäer und Schriftgelehrten wie schon gesagt nicht fähig waren und<br />

offensichtlich auch nicht den Willen aufbrachten, um zu erkennen, dass<br />

die alten Schriften nicht nur einen mächtigen irdischen König für das<br />

Volk Israel voraussagten, son<strong>der</strong>n gleichzeitig auch einen demütigen<br />

Knecht Gottes, <strong>der</strong> in mehreren Bibelversen als das Lamm Gottes<br />

bezeichnet wird, wie Jesus das tatsächlich gewesen ist. Diese<br />

Bezeichnung kommt nicht von ungefähr, denn von allen Tieren sind<br />

160


eindeutig die Lämmer am meisten geopfert worden, und zwar so viele,<br />

dass nur Gott allein sie zählen könnte. Aufgrund <strong>der</strong> Prophezeiungen,<br />

die bis zum irdischen Auftreten des Herrn bis in alle Einzelheiten in<br />

Erfüllung gegangen waren, wussten diese an sich gebildeten Leute in<br />

ihrem Innersten sehr genau, dass er <strong>der</strong> verheißene Messias war, aber<br />

sie wollten sich nicht dazu überwinden, sich zu ihm zu bekennen, weil<br />

sie nur an ein irdisches Königreich dachten. Jesus selber sagte aber<br />

ganz klar, dass sein Reich nicht von dieser Welt sei, aber sogar wenn er<br />

ein irdisches Königreich gegründet hätte, wären die meisten immer noch<br />

gegen ihn gewesen, weil er ihnen zu gefährlich war. Wenn schon<br />

Johannes <strong>der</strong> Täufer das für gewisse einflussreiche Kreise war und<br />

darum schon bald hingerichtet wurde, dann erst recht auch Jesus.<br />

Als einzige zwei Ausnahmen werden von diesen Leuten Nikodemus und<br />

Josef von Arimathia erwähnt. Der Erste fragte seinerzeit Jesus, wie es<br />

nur möglich war, dass jemand von neuem wie<strong>der</strong>geboren werden könne,<br />

weil Jesus von einer Wie<strong>der</strong>geburt redete, damit jemand ins Gottesreich<br />

einziehen könne, und bekam dann von ihm zu hören, dass diese durch<br />

den Geist geschehen müsse, und darauf sagte Jesus diesen berühmten<br />

Satz, <strong>der</strong> als einer <strong>der</strong> Schlüsselverse <strong>der</strong> ganzen Bibel gilt und von dem<br />

du sicher auch schon einmal gehört hast: ‚Denn Gott hat die Welt so<br />

sehr geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit je<strong>der</strong>, <strong>der</strong> an<br />

ihn glaubt, nicht verloren geht, son<strong>der</strong>n ewiges Leben hat.’ Der Zweite,<br />

Josef von Arimathia, war nach <strong>der</strong> Überlieferung gerade <strong>der</strong> reiche<br />

Mann, <strong>der</strong> sein Grab für Jesus zur Verfügung stellte. Sicher standen<br />

auch noch ein paar an<strong>der</strong>e auf <strong>der</strong> Seite des Herrn, aber sie hielten sich<br />

mehr zurück und werden darum in <strong>der</strong> Schrift gar nicht erwähnt.<br />

Um wie<strong>der</strong> auf das zurückzukommen, was ich gerade gesagt habe: Auch<br />

darum, weil Gott das alles ebenfalls vorausgesehen hat, konnte er den<br />

Tod am Kreuz so planen, aber es verhält sich mit all denen, die Jesus<br />

abgelehnt haben, genau gleich wie mit Judas: Auch sie hätten immer<br />

noch die Möglichkeit zur Umkehr gehabt, aber sie haben sich genauso<br />

wie fast alle an<strong>der</strong>en dafür entschieden, weiter auf ihrem alten <strong>Weg</strong> zu<br />

bleiben. So waren sie auch nicht fähig zu erkennen, dass Jesus sehr<br />

wohl auch noch <strong>der</strong> König Israels war, aber erst zu einem späteren<br />

Zeitpunkt, wenn er einmal in aller Herrlichkeit zurückkehren wird. Dann<br />

wird er aber nicht nur als König, son<strong>der</strong>n auch noch als Richter <strong>der</strong> Welt<br />

erscheinen; auch das ist ganz klar an mehreren Stellen verheißen.<br />

Gerade das ist aber das Paradoxe und zugleich Tragische in <strong>der</strong> Welt:<br />

Die meisten dieser Menschen, die über die Weihnachtstage und in <strong>der</strong><br />

Karwoche plötzlich wie<strong>der</strong> fromm werden und von Jesus reden, wissen<br />

nicht o<strong>der</strong> wollen es auch nicht wissen, dass zum Christsein und damit<br />

auch zum Status des Erlöstseins viel mehr gehört als nur ein frommes<br />

Getue mit dem Herunterleiern von Versen und mit dem Schlucken einer<br />

161


Hostie, son<strong>der</strong>n dass eine ganz persönliche Beziehung zu ihm<br />

notwendig ist - eben eine neue geistliche Wie<strong>der</strong>geburt, die <strong>der</strong> Herr<br />

dem Nikodemus erklärt hat, und die nur durch eine bewusste persönliche<br />

Bekehrung zu ihm möglich wird. Sie reden viel von Jesus und erkennen<br />

nicht, dass sie ihren eigenen zukünftigen Richter feiern, wenn sie an den<br />

Weihnachtstagen das Kind in <strong>der</strong> Krippe anschauen und die<br />

entsprechenden frommen Lie<strong>der</strong> singen.“<br />

Nach diesen Worten legen sie wie<strong>der</strong> eine kleine Pause ein, die sie zu<br />

einem weiteren Schluck Kaffee benützen, und dann sagt Hans langsam<br />

und sichtlich bewegt: „Das ist alles schon fast unglaublich, wenn man es<br />

einmal so hört, wie du es mir gerade gesagt hast.“<br />

„Das kann ich gut verstehen, vor allem wenn ich an mein eigenes Leben<br />

nach <strong>der</strong> Bekehrung zurückdenke. Ich habe mehrere Jahre gebraucht,<br />

bis ich so weit war, um das alles zu erkennen. Das kommt nicht von<br />

selber; dazu braucht es viel Bibelstudium, aber auch einen direkten<br />

Kontakt mit dem Herrn durch regelmäßiges Beten und beson<strong>der</strong>s auch<br />

ein aufrichtiges und demütiges Herz. Gott weiß und sieht eben alles, so<br />

sieht er auch in mein und in dein Herz hinein.“<br />

„Das ist ja direkt unheimlich, so stehen wir praktisch ständig unter<br />

Überwachung.“<br />

„So musst du das aber nicht sehen. Betrachte es auch einmal von <strong>der</strong><br />

an<strong>der</strong>en, also von <strong>der</strong> positiven Seite: Wenn Gott auch dich in- und<br />

auswendig kennt, kennt er doch auch deine Sorgen und Nöte, so dass er<br />

dir sofort helfen kann, wenn du ihn darum bittest, aber er möchte das<br />

eben gern von dir selber hören. - Ja, es ist wirklich so einfach, Hans. Du<br />

musst ihn nur um seine Hilfe bitten und er wird dir mit Sicherheit helfen,<br />

auch wenn du seine Hilfe nicht sofort siehst; das habe ich selber schon<br />

viele Male so erfahren. Du kannst es mir wirklich glauben: Gott ist eine<br />

real existierende Macht und wartet auch auf dich.“<br />

„Angenommen, es stimmt alles, was du mir bis jetzt erzählt hast, bleibt<br />

aber immer noch ein Problem: Wie ist es möglich, dass Gott einen Sohn<br />

haben soll, <strong>der</strong> als eine Art Gott-Mensch auf die Erde gekommen ist, und<br />

dass dieser zugleich auch noch Gott selber sein soll, wie ihr das immer<br />

wie<strong>der</strong> betont? Du musst doch auch zugeben, dass die meisten Leute<br />

mit dieser Definition nicht klarkommen und das auch nicht können,<br />

darunter auch solche, die im Grund gern an einen einzigen Gott glauben<br />

wollen, wie zum Beispiel die orthodoxen Juden und die Moslems. Wie<br />

lässt sich diese biblische Botschaft, die für euch ja klar ist, aber eben<br />

nicht für die an<strong>der</strong>en, unter einen einzigen Hut bringen?“<br />

„Auch das hat wie<strong>der</strong> mit dem Geheimnis <strong>der</strong> Dreieinigkeit zu tun.<br />

Nehmen wir gerade das deutlichste Beispiel: An einer Stelle sagte<br />

Jesus, er und sein Vater seien eins, also offensichtlich ein einziges<br />

162


Wesen, und trotzdem betete er immer wie<strong>der</strong> zum Vater im Himmel und<br />

fragte ihn noch am Kreuz, warum er ihn verlassen hatte. Ich kann bei<br />

dieser Gelegenheit nur wie<strong>der</strong>holen, was ich schon einmal versucht<br />

habe, dir zu erklären: Wenn Gott tatsächlich allmächtig und allwissend ist<br />

und das ganze Weltall, die Sterne, die Sonne, die Planeten und Monde<br />

und alle Lebewesen erschaffen hat, dann ist es ihm doch auch möglich,<br />

sich in drei Personen zu offenbaren; dann konnte sich die Kreuzigung<br />

auch wirklich so ereignen, dass praktisch Gott selber das Sühneopfer für<br />

die Menschheit vollbracht hat. Indem er zu einem Menschen wurde und<br />

damit alle menschlichen Leiden am eigenen Leib mit den Mitmenschen<br />

teilte, konnte er den <strong>Weg</strong> zurück ins eigene Vaterhaus selber<br />

vorbereiten, und zugleich wartete <strong>der</strong> Vater im Himmel darauf, dass<br />

dieses Werk vollbracht wurde. Es ist mir schon klar, dass du das alles<br />

nicht sofort begreifen kannst; auch ich selber kann manchmal nicht<br />

immer alles erfassen.“<br />

Wie<strong>der</strong> schweigen sie eine Weile, dann setzt Hans fort: „Wenn ich mich<br />

richtig erinnere, redet ihr in euren Predigten ständig davon, dass man<br />

ohne Jesus verloren geht, wenn man sich nicht zu ihm bekehrt. Gilt das<br />

aber auch für all jene, die von ihm nie gehört haben? Eure Botschaft ist<br />

ja schon schwer genug zu verstehen, wenn man sie hört - wie ist es erst<br />

für die an<strong>der</strong>en? Wenn du dir zum Beispiel vorstellst, dass es vor 2’000<br />

Jahren noch nicht möglich war, bis zu den entferntesten Inseln zu reisen,<br />

um diese Botschaft hinzubringen, wäre es ja total ungerecht, wenn all<br />

diese Menschen, die nie davon gehört haben, verloren gegangen sind,<br />

so wie ihr euch immer ausdrückt. Wo bleibt denn da die Gerechtigkeit?“<br />

„Ich weiß, das ist nicht leicht zu beantworten, und diese Frage wird ja<br />

auch mit einem guten Recht gestellt. Eines kann ich dir aber mit<br />

Sicherheit sagen: Ich zweifle nicht im Geringsten daran, dass Gott bei<br />

jedem einzelnen Menschen gerecht urteilen wird. Es hat sich nämlich in<br />

<strong>der</strong> Geschichte <strong>der</strong> Menschheit immer wie<strong>der</strong> gezeigt, dass jemand, <strong>der</strong><br />

ihn aufrichtig und von ganzem Herzen suchte, ihn auch wirklich<br />

gefunden hat, auch wenn er o<strong>der</strong> sie nie direkt von Jesus gehört hat.<br />

Das bestätigen <strong>uns</strong> immer wie<strong>der</strong> ehemalige Moslems und Hindus und<br />

Anhänger an<strong>der</strong>er Religionen, die eine Art innere Vision bekamen und<br />

dabei den Namen ‚Jesus’ hörten, ja, auch ehemalige orthodoxe Juden,<br />

bei denen es aus den bekannten Gründen zeitweise noch schwieriger ist<br />

als bei den Moslems, haben <strong>uns</strong> solche Geschichten schon erzählt. Ich<br />

möchte mich aber nicht allzu stark auf die Äste hinauslassen, weil ich<br />

mich für dieses Thema nicht kompetent genug fühle, um eine<br />

Endaussage abzugeben. Eines ist aber klar: Wenn es nicht auf die<br />

persönliche Bekehrung zu Jesus Christus ankäme, wäre sein Opfertod<br />

am Kreuz gar nicht nötig gewesen, und <strong>der</strong> ganze Aufwand, um in den<br />

163


letzten 2’000 Jahren in <strong>der</strong> Welt zu missionieren, wäre umsonst<br />

gewesen.“<br />

„Ja, das leuchtet ein, wenn man euren Standpunkt begreift. Wie steht es<br />

aber mit all denen, die vor dem Auftreten eures Jesus gestorben sind?<br />

Diese hatten ja gar keine Möglichkeit, sich zu ihm zu bekehren, auch die<br />

allerfrömmsten Israeliten nicht.“<br />

„Auch das ist ein schwieriges Thema, aber ich will versuchen, es dir zu<br />

erklären, soweit ich selber das sehen kann: Wenn man die Bibel richtig<br />

auslegt, gab es vor dem irdischen Auftreten des Herrn zwar eine Art<br />

Jenseits, wie die meisten Menschen das verstehen, aber schon damals<br />

auch eine klare Trennung zwischen Geretteten und nicht Geretteten.<br />

Das sehen wir in einer <strong>der</strong> Reden des Herrn, als er davon sprach, dass<br />

<strong>der</strong> arme Lazarus in Abrahams Schoß getröstet wurde, während auf <strong>der</strong><br />

an<strong>der</strong>en Seite ein Reicher, <strong>der</strong> sein ganzes Leben lang nur in Saus und<br />

Braus gelebt und niemandem geholfen hatte - also auch diesem Lazarus<br />

nicht -, gern herüberkommen wollte und nicht konnte.<br />

An einer an<strong>der</strong>en Stelle steht geschrieben, dass Jesus nach seinem Tod<br />

am Kreuz in <strong>der</strong> Unterwelt gepredigt hat; die einen legen diese Aussage<br />

so aus, dass er dort unten seinen Sieg über alle satanischen Mächte<br />

verkündet hat, während an<strong>der</strong>e meinen, er habe dort unten allen toten<br />

Seelen noch einmal eine Chance zur Bekehrung geben wollen. Ich<br />

persönlich glaube, dass die erste Version die richtige ist; wenn es<br />

tatsächlich noch einmal eine Chance gäbe, hätte <strong>der</strong> Herr sicher keinen<br />

Befehl zum Missionieren in <strong>der</strong> ganzen Welt erteilt, und zudem steht in<br />

einem Vers im Hebräerbrief deutlich geschrieben, dass je<strong>der</strong> Mensch nur<br />

ein einziges Leben hat und darum nur einmal stirbt, dass dann aber das<br />

Gericht auf jeden Einzelnen wartet.“<br />

„Wenn ihr aber ständig davon redet, dass es einmal ein Endgericht<br />

geben wird - eben dieses legendäre Jüngste Gericht -, vergesst ihr<br />

offensichtlich jedes Mal, was für einen ungeheuren Aufwand das<br />

brauchen wird. Habt ihr schon einmal daran gedacht, wie viele<br />

Menschen in <strong>der</strong> ganzen Menschheitsgeschichte jemals gelebt haben?<br />

Ich habe einmal irgendwo gelesen, dass es schätzungsweise schon<br />

mindestens siebzig Milliarden sind, wahrscheinlich sind es aber noch<br />

mehr. Angenommen, nur etwa ein Viertel von denen wäre gerettet, so<br />

wie ihr euch ausdrückt, wären immer noch mehr als fünfzig Milliarden zu<br />

richten. Findest du nicht auch, dass es an Wahnsinn grenzt, so etwas<br />

auch nur ansatzweise für möglich zu halten? Das würde ja endlos<br />

dauern.“<br />

Jetzt überlegt Bruno eine kleine Weile, bis er langsam, aber in<br />

bestimmtem Ton sagt: „Das ist eine gute Frage, die viel zu wenig gestellt<br />

wird. Darum hast du mich ein bisschen überrascht, aber auch das lässt<br />

164


sich beantworten. Ich habe doch vorher von den göttlichen<br />

Denkdimensionen geredet, dass für Gott tausend Jahre wie ein Tag sind;<br />

also könnten es auch eine Million Jahre sein und es wäre für ihn immer<br />

noch ein einziger Tag. Du kannst es mir glauben, Hans, wenn es einmal<br />

so weit ist, wird auch dafür genug Zeit vorhanden sein - es bleibt dann ja<br />

nichts an<strong>der</strong>es mehr zu tun. So wie Gott es dem Apostel Johannes in<br />

seiner Allmacht und Allwissenheit ermöglicht hat, all diese zukünftigen<br />

Ereignisse in mehreren gewaltigen Visionen zu sehen, so wird auch<br />

dieses Jüngste Gericht so schnell vorbeigehen, als wäre es nur ein<br />

einziger Tag, weil es dann den Begriff ‚Zeit’, wie wir ihn noch heute<br />

kennen, nicht mehr geben wird.“<br />

„Und wo werden denn alle landen, die verurteilt werden? Etwa in <strong>der</strong><br />

Hölle, falls es eine solche überhaupt gibt? Ist nicht schon dieser Planet<br />

auch ohne das Jüngste Gericht manchmal eine einzige Hölle, so dass<br />

wir schon genug damit bestraft sind, dass wir hier leben müssen?“<br />

„Das mit <strong>der</strong> Hölle ist so eine Sache, mit <strong>der</strong> schon viel Schindlu<strong>der</strong><br />

getrieben worden ist, und wenn sie nicht richtig erklärt wird, kann es<br />

passieren, dass es so gründlich missverstanden wird wie in ein paar<br />

Teilen Afrikas, als gewisse Stämme von einer Feuerhölle hörten und aus<br />

diesem Grund meinten, es wäre viel besser, in diese warme Hölle zu<br />

gehen als in den kalten Himmel da oben. Aber auch hier können solche<br />

Missverständnisse vorkommen, um es einmal so auszudrücken. So<br />

kenne ich einen gläubigen Bru<strong>der</strong>, <strong>der</strong> einen Vater hat, an dem alle<br />

Worte von Bekehrung und Erlösung abprallen. Wenn es jemand bei ihm<br />

versucht, lacht er jedes Mal und sagt, er freue sich sogar auf die Hölle,<br />

weil er dort dann immer warm habe. Ich selber halte die Aussage eines<br />

Pfarrers, <strong>der</strong> im Gegensatz zu vielen mo<strong>der</strong>nen Theologen tatsächlich<br />

tiefgläubig war und genau gleich hieß wie <strong>der</strong> bekannte Humorist<br />

Wilhelm Busch, für die bestmögliche: Unabhängig davon, ob es dort<br />

warm o<strong>der</strong> kalt sein wird, es ist einfach <strong>der</strong> Ort, wo Gott nicht mehr<br />

hinschauen wird, genauso wenig wie die Menschen, die dort sein<br />

werden, in ihrem irdischen Leben nach ihm Ausschau gehalten haben.<br />

Er hat es nicht direkt mit diesen Worten so formuliert, aber ungefähr dem<br />

Sinn nach.“<br />

Dann hält Bruno wie<strong>der</strong> kurz inne und setzt dann etwas lebhafter fort:<br />

„Wir müssen aber nicht nur von dem reden, was die erwartet, die<br />

verurteilt werden, son<strong>der</strong>n auch von dem, was die Geretteten erleben<br />

werden, weil das halt ein viel erfreulicheres Thema ist. Wir werden nicht<br />

nur einen verherrlichten und unverweslichen Körper haben, nein, es wird<br />

auch einen neuen Himmel und eine neue Erde mit einer neuen<br />

Hauptstadt Jerusalem geben, wie das <strong>der</strong> Apostel Johannes ebenfalls<br />

vorausgesehen hat, und zwar wird die Stadtmauer rund herum<br />

165


quadratisch und jede Seite nicht weniger als 1’200 Kilometer lang sein.<br />

Stell dir mal diese Größe vor! Von hier bis ungefähr nach Kreta, ich habe<br />

das einmal nachgemessen; es wird also sicher für alle Platz haben, auch<br />

wenn es viele Millionen Gotteskin<strong>der</strong> sind. Es wird in <strong>der</strong> Ewigkeit auch<br />

keine Greise, keine Kleinkin<strong>der</strong> und auch keine Gebrechen mehr geben,<br />

son<strong>der</strong>n wir werden so sein wie <strong>der</strong> Herr selber nach seiner<br />

Auferstehung, also in seinem Alter, ein bisschen mehr als 30-jährig - ihm<br />

gleich, wie es verheißen ist. Es wird aber auch keine Männer und Frauen<br />

mehr geben, wie wir das noch heute sind, son<strong>der</strong>n wir werden nach<br />

seinen Worten wie die Engel sein, also geschlechtslose Wesen in einem<br />

neuen, verklärten und unverweslichen Körper; allerdings können wir <strong>uns</strong><br />

dann immer noch erkennen, wie auch <strong>der</strong> Herr nach seiner Auferstehung<br />

noch erkannt worden ist. Dazu wird es auch keine Erinnerungen mehr an<br />

alles Leiden von früher geben, auch wenn das bedeutet, dass wir dann<br />

sogar die eigenen Angehörigen, Verwandten und Freunde, die nicht<br />

gerettet wurden, vergessen werden, weil Gott selber alle Tränen<br />

abwischen wird, wie es wörtlich so verheißen ist, und alles völlig neu<br />

sein wird.<br />

Es steht sogar noch geschrieben, dass es dann auch keine Sonne mehr<br />

geben wird, weil Gott selber die Sonne sein wird. Ich weiß, das alles tönt<br />

für dich sicher fantastisch, aber ich zitiere nur aus <strong>der</strong> Bibel, die sich<br />

immer wie<strong>der</strong> als wahr herausgestellt hat, und wenn ich daran denke,<br />

dass ein Mensch, eben dieser Johannes, das alles schon gesehen hat,<br />

aber wahrscheinlich nicht alles richtig verstehen und deuten konnte,<br />

zeigt mir das deutlich, dass <strong>uns</strong>er Gott wirklich allmächtig ist und darum<br />

schon jetzt alles weiß, was sich in <strong>der</strong> Zukunft noch ereignen wird -<br />

sowohl das Schlechte mit allen Kriegen und Katastrophen, die noch über<br />

diese Welt hereinbrechen werden, als auch das Gute, und über das<br />

dürfen wir <strong>uns</strong> sicher schon jetzt freuen. So steht es auch in einem <strong>der</strong><br />

Briefe des Apostels Paulus sogar im Befehlston deutlich geschrieben,<br />

dass wir <strong>uns</strong> freuen sollen, weil wir Erlöste im Herrn Jesus sind. Als<br />

Erstes können wir <strong>uns</strong> mit Sicherheit auf ein Ereignis freuen, das <strong>uns</strong><br />

schon bald bevorsteht - vielleicht in ein paar Jahren, vielleicht aber auch<br />

erst ums Jahr 2030 herum, wenn wir davon ausgehen, dass die<br />

angekündigten 2’000 Jahre, die das Ende dieses Zeitalters bedeuten,<br />

sich auf das irdische Auftreten des Herrn beziehen und nicht auf seine<br />

Geburt. Das würde dann bedeuten, dass auch ein großer Teil <strong>der</strong><br />

Christenheit, die vom Jahrtausendwechsel zu viel erwartete, sich<br />

gewaltig geirrt hat.“<br />

„Was für ein Ereignis meinst du denn?“<br />

„Es ist das, was wir Gläubigen als ‚Entrückung’ bezeichnen. Das ist<br />

eines <strong>der</strong> größten und auch bestgehüteten Geheimnisse <strong>der</strong> Menschheit,<br />

das nur die verstehen können, die sich persönlich zum Herrn Jesus<br />

166


ekehrt haben. Das ist <strong>der</strong> Tag, an dem alle Geretteten aus allen Zeiten<br />

und Kontinenten, die schon gestorben sind, in ihren neuen und<br />

unverweslichen Körpern auferstehen werden, und alle an<strong>der</strong>en, die dann<br />

noch leben, bekommen diese Körper ebenfalls und müssen nie mehr<br />

sterben, weil sie alle zusammen vom Herrn heimgeholt und ihm in den<br />

Wolken begegnen werden. Natürlich tönt das für dich fantastisch und<br />

völlig unmöglich, aber wenn wir daran denken, dass bisher fast alles,<br />

was die Bibel über die Zukunft voraussagt, sich erfüllt hat, können wir<br />

getrost darauf vertrauen, dass auch dieser Tag irgendwann einmal<br />

kommen wird. Nach <strong>der</strong> Meinung <strong>der</strong> meisten Bibelausleger wird das<br />

noch vor dem Auftreten des viel zitierten Antichristen geschehen, wenn<br />

dieser seine satanische Weltherrschaft unter einer einzigen Regierung<br />

mit einer Welteinheitswährung errichten wird und alle, die etwas kaufen<br />

o<strong>der</strong> verkaufen wollen, ein bestimmtes Malzeichen annehmen müssen,<br />

das mit <strong>der</strong> Ziffer 666 symbolisiert wird. Ob es dann tatsächlich diese<br />

Zahl sein wird, wissen wir nicht, aber sie wird bestimmmt damit<br />

zusammenhängen.<br />

Sicher hast du von diesem zukünftigen Diktator auch schon gehört. Wer<br />

meint, eine solche Weltherrschaft sei völlig unmöglich, vergisst völlig,<br />

dass wir technisch schon jetzt so weit sind, dass wir alles einer totalen<br />

elektronischen Kontrolle unterstellen können, wie George Orwell das vor<br />

mehr als einem halben Jahrhun<strong>der</strong>t in seinem berühmten Roman ‚1984’<br />

ansatzweise schon vorausgesehen hat; nur politisch und zum Teil auch<br />

noch moralisch sind wir noch nicht so weit, aber das wird sich auch noch<br />

ergeben. Wenn wir daran denken, wie wenig das christliche<br />

Gedankengut sogar hier in Europa, dem ehemaligen sogenannten<br />

christlichen Abendland, noch wert ist, können wir das nicht mehr<br />

ausschließen. Merk dir das also gut, Hans, falls du dich nicht zum Herrn<br />

bekehrst: Dieser Tag <strong>der</strong> Entrückung wird mit Sicherheit einmal kommen<br />

- und wenn dann auf einen Schlag plötzlich Millionen von Menschen, von<br />

denen bekannt war, dass sie gläubige Christen waren, nicht mehr da<br />

sind, weißt du, was ich heute Abend gemeint habe, und musst dich<br />

zugleich auf eine schlimme Zeit vorbereiten, die in <strong>der</strong> Bibel sogar als die<br />

schlimmste von allen bezeichnet wird: Die sogenannte ‚Große<br />

Trübsalszeit’. Dann werden noch einmal unzählige Märtyrer für Jesus<br />

Christus hingerichtet, vor allem darum, weil sie das Malzeichen nicht<br />

annehmen und das Bildnis des neuen Weltherrschers nicht anbeten<br />

wollen - aber nur solche, die bei <strong>der</strong> Entrückung nicht dabei waren und<br />

sich erst später bekehrt haben, die aber bei einer zweiten Auferstehung<br />

am Ende dieser Trübsal genauso wie die an<strong>der</strong>en vorher auferstehen<br />

werden.<br />

Vielleicht erinnerst du dich noch daran, dass Erwin von einer<br />

kanaanitischen Sprache geredet hat, die unter <strong>uns</strong> Gläubigen zirkuliert<br />

167


und die nur die verstehen können, die sich zu Christus bekehrt haben;<br />

auch diese Ausdrücke gehören dazu. Ja, das kann <strong>uns</strong> wirklich trösten:<br />

Auch wenn die allgemeine Weltlage manchmal zum Verzweifeln ist,<br />

können wir <strong>uns</strong> tatsächlich auf dieses große Ereignis freuen, das<br />

je<strong>der</strong>zeit passieren kann, weil alle Voraussetzungen, die dafür notwendig<br />

sind, sich bereits erfüllt haben - aber um näher darauf eintreten zu<br />

können, fehlt <strong>uns</strong> heute Abend ein bisschen die Zeit. Wenn du mehr<br />

davon hören willst, können wir sicher ein an<strong>der</strong>es Mal darüber reden.“<br />

Jetzt legt Bruno wie<strong>der</strong> eine kleine Pause ein, die diesmal nur er dazu<br />

benützt, um sich einen weiteren Schluck Kaffee zu genehmigen. Hans ist<br />

so stark mit seinen Aussagen beschäftigt, dass er das für einen<br />

Augenblick völlig vergisst. Es ist ja auch sehr viel auf einmal, was er an<br />

diesem Abend von Bruno zu hören bekommen hat, und erst recht nach<br />

dem Gespräch mit Jan Hoveneel, das noch nicht lange zurückliegt und<br />

das er auch noch nicht völlig verarbeitet hat.<br />

Schließlich fällt ihm wie<strong>der</strong> etwas ein, das er ebenfalls wie so vieles<br />

an<strong>der</strong>e einmal loswerden wollte, und so sagt er in einem recht rauen<br />

Ton: „Das alles könnt ihr ja schon erzählen; euch geht es allen gut,<br />

soweit ich das an <strong>der</strong> Feldeggstraße gesehen habe, und die meisten von<br />

euch sind jung und gesund. Da fällt es einem wirklich leicht, von einem<br />

lieben Gott und einer Entrückung und allem Möglichem zu reden. Wie<br />

steht es aber mit all denen, die ihr Leben lang invalid sind, zum Beispiel<br />

die geistig Behin<strong>der</strong>ten, die gar nie die Chance haben, sich mit vollem<br />

Verstand zu eurem Jesus zu bekehren? O<strong>der</strong> was sagst du zu den<br />

vielen Kin<strong>der</strong>n und vor allem Babys, die schon gestorben sind und immer<br />

wie<strong>der</strong> sterben und teilweise auch ermordet wurden und immer noch<br />

werden? Auch diese hatten doch nie die Möglichkeit zu einer bewussten<br />

Bekehrung.“<br />

„Es ist gut, dass du auch mit diesen Fragen kommst“, entgegnet Bruno<br />

erstaunlich sicher, „ich habe sie schon fast erwartet. Auch zu diesem<br />

Thema kann ich dir nur diese Antwort geben: Da Gott wie schon gesagt<br />

nicht nur allmächtig, son<strong>der</strong>n auch allwissend ist, weiss er somit auch,<br />

wie jedes einzelne Kind, das vorzeitig gestorben ist, sich später<br />

entschieden hätte, auch wenn es die effektive Chance zu einer<br />

Bekehrung tatsächlich nie bekommen hat. Noch intensiver in dieses<br />

Thema einzudringen, halte ich aber für ein heißes Eisen, weil wir gerade<br />

dort, wo auch persönliche Emotionen im Spiel sind, zu stark ins<br />

Spekulieren geraten könnten. Eines scheint mir aber sicher: Es ist<br />

anzunehmen, dass bei all diesen Kin<strong>der</strong>n und auch bei denen, die<br />

wegen irgendeiner Behin<strong>der</strong>ung das Evangelium gar nie richtig begreifen<br />

konnten, nicht die gleichen Maßstäbe angelegt werden wie bei den<br />

an<strong>der</strong>en.<br />

168


Da wir aber schon dabei sind, von den Invaliden zu reden: Bei mir bist du<br />

genau beim Richtigen, um solche Fragen zu stellen, weil ich ein<br />

Krankenpfleger von Beruf und damit auch ein bisschen kompetent bin,<br />

um auf diese Fragen eine Antwort zu geben. Es stimmt wirklich, dass<br />

man in den Krankenhäusern zum Teil unglaubliches Leid und Szenen zu<br />

sehen bekommt, die nicht für alle geeignet sind, und manchmal hat es<br />

auch mir schon fast das Herz abgedrückt, vor allem dann, wenn ich es<br />

mit krebskranken Kin<strong>der</strong>n zu tun hatte. Ich habe aber nicht immer nur<br />

Leid gesehen, son<strong>der</strong>n auch Freude, gerade auch bei Behin<strong>der</strong>ten und<br />

erst recht bei denen, die an Jesus Christus glauben. Erinnerst du dich<br />

noch daran, was ich dir vorher über den neuen Himmel gesagt habe, von<br />

dem in <strong>der</strong> Bibel die Rede ist? Es wird dort keine Greise und Kleinkin<strong>der</strong>,<br />

aber auch keine Gebrechen mehr geben, also auch keine Invalide mehr;<br />

alle werden dann gesund sein, und zwar so gesund wie jene, die Jesus<br />

im Verlauf seines irdischen Auftretens geheilt hat - das ist immerhin ein<br />

kleiner Trost, gerade auch für gläubige Behin<strong>der</strong>te, und ich kenne selber<br />

ein paar davon persönlich.<br />

Wenn du aber meinst, es gehe <strong>uns</strong> allen nur gut, muss ich dir klar<br />

wi<strong>der</strong>sprechen. Auch unter <strong>uns</strong> Christen gibt es viel Leid, auch unter <strong>uns</strong><br />

gibt es behin<strong>der</strong>te Kin<strong>der</strong>; so habe ich es nicht nur einmal, son<strong>der</strong>n<br />

sogar zweimal miterlebt, dass ein behin<strong>der</strong>tes Kind in zwei<br />

verschiedenen gläubigen Familien auf die Welt kam und dass beide<br />

nach wenigen Monaten schon wie<strong>der</strong> starben; dabei meinten nicht<br />

wenige, es sei so für alle Beteiligten besser gewesen, auch wenn das<br />

Ganze natürlich nicht leicht zu verkraften war. Dazu habe ich auch eine<br />

gläubige Frau gekannt, die verheiratet war und mit ihrem Mann und den<br />

drei gemeinsamen Kin<strong>der</strong>n glücklich schien und trotzdem plötzlich Krebs<br />

bekam und starb. Aber auch ein Ehepaar habe ich gekannt, das einen<br />

fünfjährigen Sohn hatte und sich schon auf die Ausreise nach<br />

Südamerika vorbereitete, wo sie noch heute als Missionare tätig sind, als<br />

das Kind plötzlich starb, interessanterweise kurz nachdem es sich zu<br />

Jesus Christus bekehrt hatte. Da kann man sich bestimmt immer wie<strong>der</strong><br />

fragen, warum Gott so etwas sogar bei gläubigen Familien zulässt, und<br />

es ist meistens nicht leicht, sich sagen zu müssen, dass alle Dinge zum<br />

Besten dienen, wie das in <strong>der</strong> Bibel geschrieben steht. Die seelischen<br />

Schmerzen sind ja trotzdem noch da und bleiben bei den einen o<strong>der</strong><br />

an<strong>der</strong>en sogar ihr Leben lang.»<br />

„Gerade das <strong>führt</strong> mich zu einer beson<strong>der</strong>en Frage, die immer wie<strong>der</strong><br />

gestellt wird und die auch ich dir jetzt stelle: Wie reimt sich das alles<br />

zusammen, dass euer Gott ein Gott <strong>der</strong> Liebe sein soll und trotzdem<br />

dieses ganze Leiden in <strong>der</strong> Welt zulässt? Wir müssen da zum Beispiel<br />

nur an die Erdbeben und Überschwemmungen und an an<strong>der</strong>e<br />

Katastrophen denken, die meistens die Ärmsten allein treffen, während<br />

169


die Reichen meistens davonkommen.“<br />

„Ich begreife, dass viele Leute sich das manchmal fragen, aber auch da<br />

kann ich dir nur diese Antwort geben: Wenn jemand Gott wirklich mit<br />

aufrichtigem Herzen sucht, wird er o<strong>der</strong> sie ihn früher o<strong>der</strong> später auch<br />

finden, und dann kann die betreffende Person auch getrost darauf<br />

vertrauen, dass er immer hilft, sogar bei einer Katastrophe o<strong>der</strong> in einem<br />

Krieg. Das hat sich immer wie<strong>der</strong> gezeigt, wie das einmal ein Pfarrer so<br />

formuliert hat: ‘Gott ist mitten in <strong>der</strong> Katastrophe.’ Um gerade bei <strong>der</strong><br />

Frage zu bleiben, warum er dieses ganze Elend zulässt, erinnere ich<br />

mich wie<strong>der</strong> an die Worte eines an<strong>der</strong>en Pfarrers, <strong>der</strong> auf diese Frage<br />

die Gegenfrage stellte: Warum schauen wir weg, wenn er <strong>uns</strong> ruft?<br />

Wenn wir nicht so viele Male wegschauen würden, gäbe es mit<br />

Sicherheit auch keine o<strong>der</strong> wenigstens viel weniger Katastrophen und<br />

erst recht keine Kriege, und wenn es überhaupt keinen Gott gäbe, würde<br />

es mit <strong>uns</strong> sogar noch viel schlimmer stehen. Dann wären wir alle von<br />

vornherein heimatlos und verloren, ja, wir würden auf dieser Erde ohne<br />

einen wirklichen Sinn leben, und ich bin sicher, dass die Menschheit sich<br />

schon längst selber vernichtet und diesen Planeten mit Atomraketen in<br />

die Luft gesprengt hätte, wenn nicht er da wäre, um seine schützenden<br />

Hände über <strong>uns</strong> zu halten, ob wir das jetzt glauben o<strong>der</strong> nicht.“<br />

„Willst du also tatsächlich behaupten, Gott würde <strong>uns</strong> vor einer<br />

Katastrophe o<strong>der</strong> vor einem Krieg bewahren, wenn noch viel mehr<br />

Menschen an euren Jesus glauben würden? Und meinst du das wirklich<br />

so, dass er einem sogar mitten in einer Katastrophe o<strong>der</strong> in einem Krieg<br />

helfen kann?“<br />

„Ja, das glaube ich, Hans, und ich kann dir dafür zwei Beispiele bringen.<br />

Das erste betrifft eine Frau, die ich vor vielen Jahren persönlich kannte<br />

und die in <strong>der</strong> Zwischenzeit hochbetagt, mit mehr als neunzig Jahren,<br />

gestorben ist. Diese war früher die Frau eines Pfarrers, <strong>der</strong> im Zweiten<br />

Weltkrieg mit seinem Bataillon als Feldprediger in Stalingrad dabei war,<br />

und es schien hoffnungslos, dass er jemals aus diesem Kessel<br />

herauskommen würde. Nun gibt es in <strong>der</strong> Bibel, genauer im Buch Hiob,<br />

eine ganz bestimmte Stelle, wo geschrieben steht, dass Gott <strong>uns</strong> sogar<br />

aus einem Krieg herausretten kann. Genau auf diesen Vers berief sich<br />

diese Frau, und sie betete monatelang buchstäblich Tag und Nacht für<br />

ihren Mann, und tatsächlich ist dieser kurz nach <strong>der</strong> Rückeroberung<br />

dieser Stadt durch die Rote Armee als einziger seines Bataillons und erst<br />

noch unversehrt zurückgekommen. Er hatte es durch irgendein Wun<strong>der</strong><br />

geschafft, mit dem letzten Haufen von Verwundeten in das letzte<br />

Flugzeug zu steigen, und so wurde er noch rechtzeitig hinausgeflogen.<br />

Das zweite Beispiel, das ich dir erzählen kann, ist die Geschichte<br />

einer an<strong>der</strong>en gläubigen Frau, die ich selber nie persönlich kennen<br />

gelernt habe, die aber ein kleines Buch über ihre Kriegserlebnisse<br />

170


geschrieben hat. In den letzten Monaten des Zweiten Weltkriegs gehörte<br />

auch sie zu den vielen Millionen von Zivilpersonen, die aus dem Osten<br />

Deutschlands in Richtung Westen flohen o<strong>der</strong> es mindestens<br />

versuchten, und zwar aus Ostpreußen, und östlicher ging es wahrhaftig<br />

nicht mehr. Ausgerechnet von dort wollte sie fliehen - und dazu noch mit<br />

vier Kin<strong>der</strong>n. Sie war ganz allein, weil ihr Mann irgendwo als Soldat im<br />

Krieg war, und alle an<strong>der</strong>en Angehörigen und Verwandten waren<br />

entwe<strong>der</strong> schon tot o<strong>der</strong> ebenfalls irgendwo auf <strong>der</strong> Flucht. Nur ihr Vater<br />

hat sie zu Beginn ihrer Flucht begleitet, doch er ist schon bald an den<br />

Strapazen gestorben; sie hat zwar nichts davon geschrieben, aber das<br />

lässt sich herauslesen, weil von ihm plötzlich nicht mehr die Rede ist,<br />

und sie wollte aus irgendeinem Grund wohl bewusst nichts davon<br />

schreiben. Auch diese Frau verließ sich Tag und Nacht auf die Hilfe<br />

Gottes, und das Unglaubliche geschah tatsächlich: Während rund herum<br />

unzählige Menschen an Hunger und Erschöpfung starben o<strong>der</strong><br />

umkamen, weil sie auf einmal zwischen die Fronten gerieten, blieb sie<br />

mit ihren Kin<strong>der</strong>n von all dem verschont. Natürlich mussten auch sie<br />

leiden und hungern, und zwischendurch wurde das eine o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e<br />

Kind und auch die Frau selber krank, aber <strong>der</strong> Herr brachte sie alle fünf<br />

unversehrt durch und <strong>führt</strong>e sie bis nach Dänemark, wo sie gerade<br />

rechtzeitig ankamen, also kurz nach dem Kriegsende, und dort wurden<br />

sie in einem Internierungslager für Deutsche untergebracht. Das war<br />

darum so, weil dieses Land als eines <strong>der</strong> ganz wenigen sogar bis zum<br />

Kriegsende vollständig von den Deutschen besetzt war, doch nachher<br />

hat sich <strong>der</strong> Spieß gedreht.<br />

Dort in Dänemark mussten sie nicht weniger als zwei Jahre lang warten,<br />

bis sie den Bescheid bekamen, dass alle, die in Süddeutschland<br />

Angehörige und Verwandte hatten, bald entlassen wurden. Warum<br />

gerade solche Leute gesucht wurden, stellte sich schnell heraus, denn<br />

auch darin zeigte sich Gottes Führung für diese Frau: Dort wohnte<br />

nämlich eine Schwester, die den Krieg ebenfalls überlebt hatte, aber<br />

obwohl diese sich nach einem Brief dieser Frau, die zum Glück noch ihre<br />

Adresse kannte, schon bald meldete, wurden sie vorläufig nicht<br />

entlassen, son<strong>der</strong>n in ein weiteres Übergangslager in <strong>der</strong> Nähe von<br />

Bremen transportiert. Unterdessen war ihr Mann, <strong>der</strong> den ganzen Krieg<br />

als Soldat mitgemacht und erst noch unverletzt überstanden hatte und<br />

mehr als zwei Jahre lang in englischer Kriegsgefangenschaft gewesen<br />

war, durch seine Schwägerin über den Aufenthaltsort seiner Familie in<br />

Kenntnis gesetzt worden, und bald darauf wurden sie wie<strong>der</strong> vereinigt.<br />

Stell dir vor, mitten in diesem Krieg war so etwas möglich, und das nur<br />

darum, weil diese Menschen an Jesus Christus geglaubt und ihm ihr<br />

Leben anvertraut haben!“<br />

„Unglaublich, wirklich unglaublich!“, kann Hans darauf nur entgegnen,<br />

171


und er unterstreicht sein Erstaunen zusätzlich mit einem Kopfschütteln.<br />

„Du kannst mir glauben, Hans, ich habe nicht übertrieben“, setzt Bruno<br />

sofort nach, „diese beiden Geschichten haben sich tatsächlich so<br />

ereignet - und ich könnte dir noch mehr solche Erlebnisse von Christen<br />

erzählen, wenn wir viel mehr Zeit hätten, aber wir können das an einem<br />

an<strong>der</strong>en Tag nachholen. Glaub mir, Gott existiert wirklich und kann auch<br />

heute noch Wun<strong>der</strong> bewirken, wenn wir ihm <strong>uns</strong>er volles Vertrauen<br />

schenken! Wenn du erst einmal erkennst, wer Jesus Christus tatsächlich<br />

ist, wirst du sehen, in was für eine wun<strong>der</strong>bare, ja, fantastische neue<br />

geistige und geistliche Welt du eindringst. Es gibt wirklich nichts<br />

Grossartigeres auf <strong>der</strong> ganzen Welt als dieses Wissen, dass Gott <strong>uns</strong><br />

liebt und wie<strong>der</strong> zu sich holen möchte, dass er <strong>uns</strong> aber auch immer hilft,<br />

wenn wir ihn darum bitten, obwohl es nicht immer sofort so aussieht und<br />

auch wir ab und zu leiden müssen.“<br />

Nach diesen Worten schweigen sie wie<strong>der</strong> eine Weile und während sie<br />

beide den letzten Rest des inzwischen kalt gewordenen Kaffees<br />

austrinken, spüren sie, dass ihr Gespräch sich allmählich dem Ende<br />

zuneigt, weil die wichtigsten Punkte besprochen worden sind, und<br />

zudem ist auch eine gewisse Erschöpfung nicht mehr wegzudenken.<br />

Doch da fällt Hans noch etwas ein, das er Bruno schon lange fragen<br />

wollte: „Ich habe noch etwas, bevor wir <strong>uns</strong>er Gespräch für heute<br />

abschließen: Glaubst du wirklich daran, dass es auch Engel gibt, wie das<br />

unter euch Christen immer wie<strong>der</strong> zu hören ist? Ich frage dich das im<br />

vollen Ernst. Hoveneel hat das schon angedeutet, aber es hat ihm<br />

nachher die Zeit gefehlt, um noch tiefer in dieses Thema einzudringen.“<br />

„Wenn du mich das so direkt fragst, will ich dir auch direkt so<br />

antworten: Ja, ich glaube an die Existenz <strong>der</strong> Engel, aber ich möchte das<br />

nicht überbewerten, weil auch das ein großes göttliches Geheimnis ist<br />

und weil es <strong>uns</strong> in erster Linie darauf ankommt, den Leuten den Erlöser<br />

Jesus Christus nahe zu bringen und sonst niemanden; darum gehen die<br />

Engel fast ein bisschen unter, wenn es um die Verkündigung des<br />

Evangeliums geht. Ich kann dir aber garantieren, dass <strong>der</strong> Ausdruck<br />

‚Schutzengel’ nicht umsonst entstanden ist, weil schon sehr viele fast<br />

unglaubliche Geschichten passiert sind, die wir mit dem menschlichen<br />

Verstand allein nicht erklären können.<br />

So behaupte ich, dass auch du einen solchen Schutzengel hast, ohne<br />

dass du es weißt, ob du jetzt daran glaubst o<strong>der</strong> nicht, ja, vielleicht hast<br />

du sogar mehr als einen. Ein Beweis dafür ist doch, dass du bis heute<br />

dank Gottes Gnade und auch durch diesen beson<strong>der</strong>en Schutz am<br />

Leben geblieben bist, um noch rechtzeitig die frohe Botschaft von <strong>der</strong><br />

Errrettung durch Jesus Christus zu hören. Meinst du etwa, ich scherze<br />

damit? Dann möchte ich dir zwei Geschichten erzählen, die sich<br />

172


tatsächlich so ereignet haben: Die erste geschah mit einem Jungen von<br />

etwa zehn Jahren, <strong>der</strong> eines Tages unter die Zwillingsrä<strong>der</strong> eines<br />

Lastwagens geriet. Schon glaubten alle, er sei plattgefahren worden, wie<br />

das mit an<strong>der</strong>en vorher passiert war, doch plötzlich tauchte er unter dem<br />

Lastwagen wie<strong>der</strong> auf - und erst noch unverletzt. Da sagte jemand zu<br />

ihm: ‚Du musst aber einen Schutzengel gehabt haben.’ Weißt du, was<br />

<strong>der</strong> Junge darauf geantwortet hat? ‚Nein, es waren zwei.’ Kannst du dir<br />

vorstellen, dass jemand, <strong>der</strong> gerade von einem Lastwagen überfahren<br />

worden ist und nach allen Regeln des menschlichen Überlebens<br />

eigentlich tot sein müsste, spontan eine solche Antwort gibt? Später, als<br />

alle sich ein bisschen beruhigt hatten, erzählte er, wie die beiden<br />

son<strong>der</strong>baren Figuren, die er aber schon im ersten Augenblick für Engel<br />

hielt, gerade in dem Augenblick, als <strong>der</strong> Lastwagen ihn hätte überfahren<br />

sollen, die Zwillingsrä<strong>der</strong> so hochhielten, dass er nicht überfahren wurde,<br />

und es ist anzunehmen, dass sie das so getan haben, dass keiner <strong>der</strong><br />

Umstehenden das sehen konnte.<br />

Die zweite Geschichte geschah mit einem Missionarsehepaar, das<br />

irgendwo im Busch eine Missionsstation aufbauen wollte. Von Anfang an<br />

verhielten sich die Eingeborenenstämme, die in <strong>der</strong> Nähe wohnten,<br />

ihnen gegenüber feindselig, und eines Tages kam <strong>der</strong> Häuptling bei<br />

ihnen vorbei und rief ihnen über den Palisadenzaun hinzu, den die<br />

beiden errichtet hatten, dass sie am nächsten Sonntag umgebracht<br />

würden - also genau an dem Tag, <strong>der</strong> nach dem Wissen <strong>der</strong><br />

Eingeborenen für das Ehepaar ein heiliger Tag war. Darauf taten die<br />

beiden nichts weiter, als für ihre Feinde und auch für sich selber zu<br />

beten, und zwar begannen sie damit schon einen Tag vorher. Sie<br />

zitterten zwar die ganze Nacht bis zum Sonntagabend, aber es geschah<br />

nichts, und sie konnten es sich auch nicht erklären, warum sie verschont<br />

geblieben waren. Ein paar Monate darauf bekehrte sich ausgerechnet<br />

<strong>der</strong> Häuptling zusammen mit einer ganzen Gruppe von Männern, und<br />

erst dann kam das Geheimnis an den Tag. Der Häuptling erzählte dem<br />

Ehepaar, was sich an jenem Samstagabend ereignet hatte. Sie waren<br />

tatsächlich bereit, die beiden umzubringen, und hatten sich schon<br />

kriegsmäßig ausgerüstet, doch als sie sich dem Palisadenzaun<br />

näherten, sahen sie Dutzende von erleuchteten und groß gewachsenen<br />

Gestalten, die rund um den Zaun das Haus bewachten und mit feurigen<br />

Schwertern ausgerüstet waren. So hielten sie es für besser, keinen<br />

Angriff zu wagen, und verschoben diesen auf später - doch dazu ist es ja<br />

wegen <strong>der</strong> Bekehrung des Häuptlings und <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Männer nicht<br />

mehr gekommen. Du siehst also, Hans, dass es auch in diesem Bereich<br />

immer wie<strong>der</strong> Wun<strong>der</strong> gibt, die wir mit einem rein rational geschulten<br />

Verstand nicht erklären können.<br />

Es tönt zwar makaber, aber es sind ausgerechnet die Spiritisten und<br />

173


Satanisten, welche die Welt immer wie<strong>der</strong> darauf aufmerksam machen,<br />

dass es tatsächlich auch eine übersinnliche Welt gibt und dass dieses<br />

materialistische Weltbild, das <strong>uns</strong> schon seit mehr als 200 Jahren<br />

eingetrichtert wird, schon längst überholt ist. Es versteht sich aber von<br />

selber, dass diese Leute immer noch eine große Presse bekommen,<br />

während diese wahren Geschichten mit wahrhaftigen Engeln in keiner<br />

einzigen Zeitung veröffentlicht werden, und natürlich wird auch im<br />

Fernsehen und im Radio nie darüber berichtet.»<br />

Mit diesen Worten ist Hans endlich zufriedengestellt, doch dann wird es<br />

unumgänglich, dass er wie<strong>der</strong> einmal auf seine Armbanduhr schaut und<br />

erschrocken feststellt: „Du liebe Zeit! Es ist schon halb eins.“<br />

„Das macht nichts“, beruhigt ihn Bruno sofort, „ich bin gern so lange<br />

hiergeblieben, wenn es dazu gedient hat, dir Jesus Christus<br />

nahezubringen. Er wäre es sogar wert, dass man die ganze Nacht von<br />

ihm erzählt.“<br />

„So ähnlich hat vor drei Tagen auch Hoveneel geredet. Trotzdem<br />

müssen wir jetzt aufhören, deine Frau wartet sicher schon auf dich - und<br />

ich habe heute ja wie<strong>der</strong> ein Spiel.“<br />

„Ach ja, das auch noch! Das habe ich fast vergessen.“<br />

Dann erheben sie sich vom Sofa, begeben sich langsam zur Tür, geben<br />

sich die Hand und bleiben so eine Zeit lang stehen. Hans ist nach<br />

diesem langen Gespräch, in dem er genauso wie vor drei Tagen so viel<br />

Neues erfahren hat, immer noch etwas mitgenommen und kann nur<br />

noch sichtlich müde sagen: „Ich danke dir vielmals, Bruno, dass du dir so<br />

viel Zeit genommen hast, um mit mir über das alles zu reden - das war<br />

wirklich flott von dir.“<br />

„Wie schon gesagt habe ich das gern getan. Versprichst du mir aber,<br />

über alles noch einmal gründlich nachzudenken?“<br />

„Ja, aber du musst verstehen, dass ich dafür eine gewisse Zeit brauche.<br />

Ich muss das alles erst einmal richtig verarbeiten, schließlich liegt das<br />

Gespräch mit Hoveneel auch noch nicht lange zurück.“<br />

„Sicher, du musst nichts überstürzen. Ich weiß ja aus eigener Erfahrung,<br />

wie es ist; ich habe mich ja auch nicht von einem Tag auf den an<strong>der</strong>en<br />

bekehrt. Wenn du es willst, kann ich dir alle Bibelstellen, die ich heute<br />

erwähnt habe, noch auf einen Zettel schreiben und dir diesen schicken;<br />

erst dann kannst du alles, über das wir heute Abend gesprochen haben,<br />

in aller Ruhe überprüfen.“<br />

„Vielen Dank, dieses Angebot nehme ich gern an.“<br />

„Ich werde für dich beten, damit auch du bald zum Herrn findest.“<br />

Erst als sie draußen sind, fällt Hans wie<strong>der</strong> ein, dass Bruno seinen<br />

174


Wagen nicht hier hat, weil er ihn bei <strong>der</strong> Feldeggstraße zurückgelassen<br />

hat und seine Frau mit diesem wahrscheinlich schon nach Hause<br />

gefahren ist, da sie auch Auto fahren kann. So bringt Hans ihn selbst<br />

nach Hause und da dieser nicht weit weg wohnt, sind sie schon nach<br />

wenigen Minuten dort.<br />

Noch einmal drücken sie sich die Hand und noch einmal dankt Hans<br />

dem an<strong>der</strong>en aufrichtig für das lange Gespräch, bevor sich ihre <strong>Weg</strong>e für<br />

heute trennen.<br />

Tatsächlich fühlt sich Hans zum ersten Mal nach einem Gespräch mit<br />

einem dieser Christen wohl und er beginnt sich zu überlegen, ob an<br />

ihrem Glauben vielleicht doch etwas Wahres dran ist, wenn nach Erwin<br />

Gisler und Jan Hoveneel jetzt auch noch Bruno <strong>Weg</strong>mann sich für ihn so<br />

viel Zeit genommen hat, und zwar mit einer Geduld, die er bisher<br />

nirgendwo und bei niemandem erlebt hat - auch nicht in seinem<br />

Fußballverein mit dem Trainer. Er fühlt sich sogar auf eine so eigenartige<br />

und ihm unerklärliche Weise zu diesen Frommen hingezogen, dass er<br />

insgeheim für sich selbst die Entscheidung trifft, sich fortan regelmäßig<br />

bei ihnen blicken zu lassen; dabei denkt er nicht einmal allzu stark an<br />

Ulrike, die er natürlich auch noch etwas besser kennen lernen möchte.<br />

Er muss einfach herausfinden, ob dieser Jesus Christus wirklich so<br />

allgegenwärtig ist und mitten unter ihnen lebt, wie diese Evangelikalen<br />

das immer wie<strong>der</strong> betonen, aber um das zu erkennen, kommt er nun<br />

einmal nicht darum herum, das an Ort und Stelle zu erkunden und zu<br />

überprüfen.<br />

Diese Wandlung, die sich allmählich in ihm von einer anfänglichen<br />

Abneigung zu einem immer wacheren Interesse vollzieht, ohne dass er<br />

sich dessen vorerst recht bewusst wird, zeigt sich auch darin, dass seine<br />

Mannschaft das nächste Spiel am nächsten Tag gewinnt, ohne dass er<br />

sich diesmal beson<strong>der</strong>s darüber freut, im Gegenteil, er nimmt es mit<br />

einer erstaunlichen Gelassenheit, wenn nicht gar Gleichgültigkeit hin.<br />

Zum Glück hat er insgesamt wie<strong>der</strong> gut gespielt, so dass es vorläufig<br />

noch keinem auffällt, was allmählich und immer stärker in ihm vorgeht.<br />

11<br />

Die nächsten paar Wochen gehören mit zum Seltsamsten, was eine<br />

menschliche Beziehung prägen und eine bisher feste und<br />

unerschütterliche Weltanschauung umstürzen kann, wenn auch die<br />

Gefühlswelt davon betroffen wird und zwei Menschen durch irgendeine<br />

geheimnisvolle Macht dafür bestimmt zu sein scheinen, selbst über<br />

175


verschlungene <strong>Weg</strong>e zueinan<strong>der</strong> zu finden. Das zeigt sich deutlich bei<br />

Hans und Ulrike. Obwohl er mit dem, was die Gläubigen an <strong>der</strong><br />

Feldeggstraße verkünden, nach wie vor nicht viel anfangen kann, lässt<br />

er sich wie vorgenommen regelmäßig dort blicken, wann immer es ihm<br />

möglich ist. Er muss es auch tun, denn er will Ulrike ja um jeden Preis<br />

etwas näher kennen lernen, und so bleibt ihm vorläufig nur dieser eine<br />

<strong>Weg</strong>. Natürlich könnte er versuchen, ihre Telefon- o<strong>der</strong> Natelnummer<br />

ausfindig zu machen und mit ihr ein Treffen zu vereinbaren, doch dafür<br />

scheint es ihm noch etwas zu früh. Wenn er es sich nicht von vornherein<br />

mit ihr ver<strong>der</strong>ben will, muss er behutsam vorgehen.<br />

So ergibt sich die recht seltsame Ausgangslage, dass er wegen einer<br />

Frau, die zu gewinnen er sich zum Ziel gesetzt hat, obwohl er sie immer<br />

noch fast nicht kennt, regelmäßig an einen Ort geht, zu dem er noch vor<br />

wenigen Wochen nicht hingehen wollte, ja, richtiggehend hingeschleppt<br />

werden musste. Da er für seinen Geschmack das Wichtigste aus <strong>der</strong><br />

Bibel bereits gehört hat, würde er es nicht für nötig halten, sich immer<br />

wie<strong>der</strong> an die Feldeggstraße zu bemühen, doch weil es um Ulrike geht,<br />

ist ihm dafür kein Preis zu hoch. Er will und muss sie einfach kennen<br />

lernen, und wenn das bedeuten sollte, dass er immer mit diesen<br />

Frommen zusammensein muss.<br />

Das <strong>führt</strong> dazu, dass er in den nächsten vier Wochen so regelmäßig<br />

dorthin geht, als wäre er ein festes Mitglied <strong>der</strong> Gemeinde, obwohl er<br />

dafür auch noch an jedem Sonntag, <strong>der</strong> ihm möglich ist, hingehen<br />

müsste. Dabei ist er nicht einmal <strong>der</strong> Einzige, denn noch zwei an<strong>der</strong>e<br />

Männer, die ungefähr sein Alter haben und von denen <strong>der</strong> eine erst noch<br />

ein Moslem ist, lassen sich dort ebenfalls ständig blicken. Da es jedoch<br />

das Ziel <strong>der</strong> Christen ist, möglichst viele Menschen zur Bekehrung zu<br />

führen, und dieses auch ein <strong>Weg</strong> dafür sein kann, lassen sie die drei<br />

gewähren und akzeptieren sie in ihrer Mitte, als gehörten sie schon fest<br />

zu ihnen. Natürlich ist die Gefahr immer da, dass die drei das ausnützen<br />

und nur erscheinen, um irgendwo eine Nestwärme zu finden, die sie<br />

sonst nie erhalten, aber solange sie sich nichts zuschulden kommen<br />

lassen und zum Beispiel etwas aus <strong>der</strong> Gemeindekasse stehlen, wie das<br />

früher bei einem an<strong>der</strong>en Gast dieses Typs schon einmal vorgekommen<br />

ist, hat niemand etwas gegen ihre regelmäßigen Besuche einzuwenden,<br />

selbst wenn sie manchmal ohne ein wirkliches Interesse kommen und<br />

sich deshalb mit <strong>der</strong> Bekehrung Zeit lassen - zu viel für den Geschmack<br />

<strong>der</strong> einen. Trotzdem ist es schon ein paar Mal vorgekommen, dass<br />

solche Gäste sich mit <strong>der</strong> Zeit doch noch bekehrt haben, und so<br />

spekulieren die Gläubigen auch bei diesen dreien darauf, sogar beim<br />

Moslem, obwohl sie wissen, dass es gerade bei denen beson<strong>der</strong>s<br />

schwer ist.<br />

176


Gerade auch bei Hans zeigen sich in diesen Wochen gewisse<br />

Auswirkungen: Hatte er früher noch gegen Verschiedenes eine fast<br />

instinktive Abneigung, wenn er das Evangelium hörte, so ist das jetzt<br />

vorbei. Er lässt die Christen gewähren und diskutiert nicht mehr heftig,<br />

auch nicht mit Erwin und Bruno, und das wird ihm auch insofern leichter<br />

gemacht, als diese beiden die Zeit selbst an ihm arbeiten lassen wollen<br />

und ihn deshalb nicht weiter bedrängen. Sein Hauptziel ist und bleibt<br />

aber die Eroberung Ulrikes, und so nimmt er diese biblischen<br />

Berieselungen, wie er sie trotz seiner beiden guten und ausführlichen<br />

Gespräche mit Jan Hoveneel und Bruno <strong>Weg</strong>mann zum Teil immer noch<br />

so empfindet, gern in Kauf.<br />

Obwohl Ulrike wegen ihrer unregelmäßigen Arbeitszeiten nicht an jedem<br />

Samstagabend und auch nicht an jedem zweiten Sonntagabend<br />

erscheinen kann, gelingt es Hans dank seiner früheren Erfahrungen mit<br />

an<strong>der</strong>en Frauen und auch wegen seines Alters, aber auch dank seines<br />

wachen Instinkts, <strong>der</strong> ihn schon oft im Leben die richtigen<br />

Entscheidungen treffen ließ, die Aufmerksamkeit seiner Angebeteten<br />

allmählich auf sich zu lenken. Irgendwie schafft er es immer wie<strong>der</strong>, zu<br />

ihr einen Kontakt herzustellen, und wenn es auch nur ein kurzer<br />

Wortwechsel ist.<br />

Dabei kommt ihm etwas Entscheidendes zugute, das nicht zu<br />

unterschätzen ist: Da es in dieser Gemeinde außer ihm nur noch zwei<br />

verhältnismäßig groß gewachsene Männer gibt, die aber beide<br />

verheiratet und damit schon vergeben sind, und Hans es versteht, sich<br />

als attraktiv auszugeben, und das mit einer echten, nicht vorgespielten<br />

Freundlichkeit sowie einem gentlemanartigen Verhalten und sogar mit<br />

einem gewissen Charme verbindet, erwachen in Ulrike allmählich jene<br />

uralten weiblichen Instinkte, die in fast je<strong>der</strong> Frau schlummern, von<br />

denen sie selbst aber höchstens ahnen konnte, da sie schon seit Jahren<br />

keine nähere Männerbekanntschaft mehr gehabt hat - aber natürlich<br />

weiß er das noch nicht. So überwindet Ulrike ihre anfängliche Abneigung<br />

gegen ihn wegen seines kaum versteckten Werbens allmählich, ja, sie<br />

fühlt sich sogar immer mehr zu ihm hingezogen, auch wenn sie sich<br />

dessen zunächst nicht bewusst ist und dann, als sie das erkennt, noch<br />

versucht, sich dagegen zu sträuben. Die Tatsache, dass er nun einmal<br />

nicht gläubig ist, wiegt für sie immer noch zu schwer, als dass sie es<br />

über sich bringen könnte, sich auf einen näheren Kontakt einzulassen;<br />

da än<strong>der</strong>t auch nichts daran, dass sie ihn im Grund schon gern mag.<br />

------------------------------------------------------------------------------------------<br />

177


An einem Samstagabend, als sie wie<strong>der</strong> einmal in <strong>der</strong> Teestube dabei<br />

sein kann, ist es aber dennoch so weit: In einem günstigen Augenblick,<br />

den Hans bewusst abgewartet hat, befindet er sich draußen plötzlich<br />

allein mit ihr. Sobald er beobachtet hat, dass sie daran war, sich von den<br />

an<strong>der</strong>en zu verabschieden, brach er unter einem Vorwand ein<br />

belangloses Gespräch mit irgendjemandem, den er nicht einmal näher<br />

kennt, ab und stellte sich ganz in die Nähe des Ausgangs, und zwar so,<br />

dass sie ihn zwar sehen konnte, aber nicht unbedingt daran denken<br />

musste, dass er ihr sofort nach draußen folgen würde. Da es ihr vor <strong>der</strong><br />

Versammlung durch einen weiteren glücklichen Zufall gelungen ist,<br />

genügend weit, aber doch nicht allzu weit von <strong>der</strong> Teestube entfernt<br />

einen Parkplatz für ihren Wagen zu finden, muss er ihr nicht verdächtig<br />

viele Meter lang folgen, son<strong>der</strong>n kann sie gleich außerhalb ansprechen.<br />

„Ulrike!“, ruft er ihr zu, noch bevor sie in den Wagen steigt.<br />

Darauf erschreckt sie etwas und dreht sich überrascht um, beruhigt sich<br />

dann jedoch, als sie Hans erkennt; immerhin ist es trotz <strong>der</strong><br />

Straßenbeleuchtung schon ein wenig dunkel geworden.<br />

„Ulrike“, sagt er dann etwas leiser, während er näher an sie herantritt,<br />

„ich möchte dir etwas sagen.“<br />

Obwohl sie die einheimischen Dialekte größtenteils versteht, spricht er<br />

aus Gewohnheit fast als Einziger immer noch in <strong>der</strong> Hochsprache mit ihr,<br />

einerseits weil er weiß, dass sie das schätzt, und an<strong>der</strong>erseits auch aus<br />

einem gewissen Eigeninteresse, weil er selbst an seinem Arbeitsplatz<br />

auf <strong>der</strong> Bank dazu nur wenig Gelegenheit hat - dabei spricht er es im<br />

Vergleich zu den meisten an<strong>der</strong>en in diesem Land sogar ziemlich gut<br />

und fast akzentfrei.<br />

„Ja, was denn, Hans?“, fragt sie, als wüsste sie trotz all seiner bisherigen<br />

Annäherungsversuche immer noch von gar nichts, und schaut ihn<br />

prüfend an. Worauf will er denn jetzt hinaus?, fragt sie sich im Stillen<br />

halb ärgerlich, aber auch halb neugierig.<br />

„Ich weiß, du wirst es komisch finden“, antwortet er etwas verlegen,<br />

„aber ich wollte dich schon lange einmal zu einem Essen einladen.“<br />

„Tatsächlich?“, fragt sie echt überrascht und setzt dann hinzu: „Wozu<br />

denn?“<br />

Obwohl sie Mühe hat, sich das selbst einzugestehen, freut sie sein<br />

Angebot im Innersten dennoch.<br />

„Ich will ehrlich sein“, antwortet er jetzt etwas sicherer, indem er ihr offen<br />

in die Augen schaut, „ich tue es, um einmal ungezwungen mit dir allein<br />

zu sein und dich näher kennen lernen zu können.“<br />

Da sie darauf etwas zögert, setzt er nach: „Du musst nicht, wenn du<br />

nicht willst, und ich würde das auch verstehen. Aber es würde mich<br />

riesig freuen ... Bitte!“<br />

178


Bei vielen an<strong>der</strong>en Frauen würde er mit einem solchen Angebot, das er<br />

aber wenigstens frei heraus und ohne versteckte Hintergedanken<br />

ausgesprochen hat, vielleicht abblitzen, auch wenn sie sich denken<br />

können, dass es wirklich nur bei einem Essen bleibt. So überlegt sich<br />

auch Ulrike ein paar Sekunden, die Hans aber elend lang vorkommen,<br />

wie sie reagieren soll. Einerseits spürt sie keine Lust, sich auf eine<br />

nähere Beziehung mit einem Mann einzulassen, <strong>der</strong> in den letzten paar<br />

Wochen deutlich genug gezeigt hat, dass er von ihrem Glauben nichts<br />

wissen will und ihn vielleicht auch nie richtig akzeptieren wird, und<br />

an<strong>der</strong>erseits beginnt es in ihr zu hämmern. Durch ihre extrem<br />

unregelmäßigen Arbeitszeiten ist es ihr in den letzten Jahren fast nie<br />

möglich gewesen, nähere Bekanntschaften mit gläubigen Männern zu<br />

pflegen, von denen <strong>der</strong> eine o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e möglicherweise als Ehemann<br />

in Frage hätte kommen können, so dass sie oft und für ihren Geschmack<br />

viel zu oft allein gewesen ist. So schmeichelt es ihr, dass jetzt ein Mann,<br />

<strong>der</strong> zwar nicht o<strong>der</strong> genauer noch nicht gläubig, aber nett und<br />

offensichtlich auch anständig ist, sie zu einem Essen einladen will.<br />

Trotzdem will sie nicht so recht zusagen, aber da fällt ihr ein, auf welche<br />

fast flehentliche Weise er am Schluss dieses „Bitte!“ hinzugefügt hat, und<br />

so lässt sie sich doch noch erweichen.<br />

„Ich weiß nicht so recht“, sagt sie schließlich zögernd, „aber wir können<br />

ja sehen. Wann und wo soll es denn sein? Morgen zum Beispiel geht es<br />

nicht, da muss ich wie<strong>der</strong> arbeiten - so wie fast jeden Sonntag.“<br />

„Natürlich nicht bei mir zu Hause“, antwortet er erfreut, „ich kann sowieso<br />

nicht gut kochen, aber ich kenne ein gutes Restaurant, in dem ich<br />

Stammgast bin, und zwar das ‚Select’. Weißt du, wo das ist?“<br />

„Natürlich - beim Bellevueplatz.“<br />

„Den Tag musst aber du bestimmen, weil ich ja nicht weiß, wann wie<strong>der</strong><br />

dein nächster freier Tag ist.“<br />

Noch einmal denkt sie nach, bis ihr einfällt, dass sie ausgerechnet für<br />

den nächsten Dienstag, also in drei Tagen, frei bekommen hat, weil sie<br />

diesen beantragt hat, doch in <strong>der</strong> Zwischenzeit hat sich das, was einst so<br />

wichtig schien, von allein erledigt, aber <strong>der</strong> freie Tag ist ihr geblieben.<br />

Schon hört sie sich selbst sagen: „Am nächsten Dienstag wäre es<br />

möglich, dann habe ich frei.“<br />

„Das ist ja fantastisch!“, ruft er noch erfreuter aus, „wenn das kein<br />

glücklicher Zufall ist! Dann habe ich kein Training. Also dann am<br />

Dienstag um sechs Uhr vor dem Eingang des ‚Select’. Einverstanden?“<br />

„Einverstanden“, antwortet sie ihm zum ersten Mal mit einem kaum<br />

versteckten Lächeln, weil ihr seine entschlossene und zielbewusste Art<br />

langsam zu gefallen beginnt.<br />

„Aber du kommst dann wirklich?“, fragt er nochmals zur Sicherheit.<br />

179


„Mal sehen“, antwortet sie listig, um ihn zu prüfen, und schon sagt er<br />

wie<strong>der</strong> dieses herzerweichende „Bitte!“.<br />

„Gut, ich komme dann um sechs Uhr“, sagt sie schließlich offen lächelnd.<br />

„Vielen Dank, Ulrike!“, entgegnet er hocherfreut und sichtlich erleichtert,<br />

„ich danke dir wirklich.“<br />

Dann steigt sie endlich ein und fährt weg, ohne ihn nochmals<br />

anzuschauen, und er kann den nächsten Dienstag kaum erwarten, ja, er<br />

ist die ganzen nächsten Tage aus lauter Vorfreude so nervös, dass die<br />

Mitspieler auf dem Fußballplatz sowie die Bankkolleginnen und -kollegen<br />

sich schon fragen, was denn nur mit Hans los ist. Zum Glück gewinnt<br />

seine Mannschaft trotzdem, so dass kein Schaden entsteht, und auch<br />

beim Training am Montagabend, das wegen <strong>der</strong> Sonntagsspiele immer<br />

etwas lockerer zu sein pflegt, ist er voll bei <strong>der</strong> Sache.<br />

---------------------------------------------------------------------------------------------<br />

Als <strong>der</strong> für ihn historische Tag endlich gekommen ist, sorgt Hans dafür,<br />

dass er bereits um Viertel vor sechs beim Eingang des ‚Select’ steht. Er<br />

ist viel zu nervös, um erst um sechs Uhr vor diesem Restaurant<br />

aufzukreuzen, und zudem will er auf sicher gehen. Ulrike hat zwar<br />

gesagt, dass es in <strong>der</strong> Nähe des Bellevueplatzes liegt, aber das heißt<br />

noch lange nicht, dass sie den genauen Standort auch wirklich kennt. So<br />

ist es immer noch möglich, dass sie noch etwas suchen muss, und da<br />

hält er es für besser, draußen nach ihr Ausschau zu halten.<br />

Seine Befürchtungen sind jedoch unbegründet, denn sie erscheint<br />

tatsächlich und erst noch fast pünktlich um sechs Uhr; schließlich ist sie<br />

es als Krankenschwester ja gewöhnt, immer pünktlich erscheinen zu<br />

müssen. Es fällt ihm sofort auf, dass sie zwar einfach gekleidet, aber<br />

dennoch hübsch anzusehen ist, und dass sie ihre Haare wie<strong>der</strong> offen<br />

trägt. Offensichtlich hat sie sich auf diesen Abend gut vorbereitet und<br />

zeigt ihm damit, dass sie auch ihn schätzt.<br />

Es kommt ihr zwar immer noch recht son<strong>der</strong>bar vor, dass sie sich auf<br />

diese Einladung eingelassen hat, doch sobald die beiden sich lächelnd<br />

die Hand gegeben haben, die Treppe zum ersten Stockwerk<br />

hinaufgestiegen sind und sich an einen <strong>der</strong> noch freien Ecktische<br />

hingesetzt haben, verfliegen ihre letzten Zweifel. Nach so vielen Jahren,<br />

in denen sie nie mehr mit einem Mann allein ausgegangen und in ihrer<br />

Arbeit für an<strong>der</strong>e voll aufgegangen ist, hat sie bestimmt das Recht, sich<br />

einmal von jemandem zu einem Essen einladen zu lassen. Bei Hans<br />

kann sie ja davon ausgehen, dass nichts Weiteres passieren wird, weil<br />

sie ihn auch schon ein wenig kennt und damit rechnen kann, dass er<br />

sich ihr heute nicht allzu sehr aufdrängen wird, wenn er schon etwas von<br />

180


ihr will - dass er diese Einladung nicht ohne einen bestimmten Zweck<br />

ausgesprochen hat, ist ihr natürlich klar.<br />

Während <strong>der</strong> Hauptmahlzeit sprechen sie nicht viel miteinan<strong>der</strong>, son<strong>der</strong>n<br />

tauschen lediglich Belangloses über Leute aus, die sie von <strong>der</strong><br />

Feldeggstraße her kennen - schließlich ist das auch <strong>der</strong> einzige<br />

Treffpunkt, den sie gemeinsam haben. Sie fühlen beide, dass sie sich<br />

dem wirklich Wichtigen erst nachher widmen können, wenn <strong>der</strong><br />

Nachtisch aufgetragen ist und sie sich eine Tasse Kaffee genehmigen,<br />

weil dann die Stimmung dafür viel besser ist.<br />

Während sie essen, lässt er es sich jedoch nicht nehmen, sie zu<br />

betrachten, indem er alles versucht, es sich nicht anmerken zu lassen,<br />

aber er weiß natürlich, dass er ihr nichts vorspielen kann. Er genießt es<br />

geradezu, ihr feines und anmutiges Gesicht, an dem auch die etwas<br />

große Nase nichts än<strong>der</strong>n kann, und ihre ebenso feinen und langen<br />

Hände anzuschauen, da er jetzt ja viel mehr Zeit dafür hat als an jenem<br />

Samstagabend, als sie zum ersten Mal miteinan<strong>der</strong> gesprochen haben.<br />

So sehr fühlt er bereits, dass sie gut zu ihm passen würde, dass er sich<br />

in diesen Minuten nichts mehr auf Erden wünscht, als ihr Herz für sich<br />

gewinnen zu können, obwohl er weiß, dass gerade dies wegen ihres<br />

Glaubens sehr schwer werden wird. Sie kann sich natürlich gut<br />

vorstellen, was er von ihr denkt, aber in einem gedenkt sie hart zu<br />

bleiben: Mag sie ihn noch so sympathisch finden und er ihr wirklich<br />

gefallen, er ist und bleibt für sie nichts als nur eine nette Bekanntschaft -<br />

mehr kommt für sie vorläufig nicht in Frage.<br />

Als es schließlich so weit ist, dass sie ausführlich miteinan<strong>der</strong> plau<strong>der</strong>n<br />

können, fragt Ulrike ihn denn auch direkt: „Sag mal, Hans, was ist <strong>der</strong><br />

wirkliche Grund, dass du mich für heute Abend eingeladen hast? Sei<br />

ehrlich!“<br />

„Gut, ich will ehrlich sein“, antwortet er ebenso direkt, indem er ihr fest in<br />

die Augen schaut, „ich wollte dich tatsächlich etwas kennen lernen. Du<br />

hast mir eben vom ersten Tag an gut gefallen, als ich dich zum ersten<br />

Mal sah.“<br />

„Wirklich?“<br />

„Ja, du kannst es mir glauben, ich meine es ehrlich. An <strong>der</strong><br />

Feldeggstraße ist es mir ja nie möglich, mit dir allein zu sprechen; also<br />

musste ich mir diese Einladung einfallen lassen. Zum Glück konnte ich<br />

mich mit dir am letzten Samstagabend auf <strong>der</strong> Straße unterhalten, es<br />

war direkt ein historischer Moment.“<br />

„Aber warum willst du mich denn näher kennen lernen? Genügt es dir<br />

nicht, dass du mich dort immer wie<strong>der</strong> siehst?“<br />

„Ehrlich gesagt nein, dafür gefällst du mir viel zu sehr. Ich finde dich<br />

nämlich sehr attraktiv.“<br />

181


„Oh Danke!“, entgegnet sie und fühlt sich echt geschmeichelt, doch dann<br />

besinnt sie sich nach kurzem Zögern wie<strong>der</strong> an<strong>der</strong>s und sagt zu ihm in<br />

einem etwas raueren Ton: „Hans, ich will und muss etwas von<br />

vornherein klarstellen: Du hast einen sehr direkten Stil, mit dem du<br />

offensichtlich bei an<strong>der</strong>en Leuten gut ankommst. Wenn du aber schon so<br />

direkt bist, möchte ich es auch sein und dir sagen, dass du dir keine<br />

falschen Hoffnungen machen musst.“<br />

„Was meinst du damit?“, fragt er etwas ver<strong>uns</strong>ichert, obwohl er ahnt,<br />

worauf sie anspielt.<br />

„Kannst du dir das nicht vorstellen? Du bist doch schon oft bei <strong>uns</strong><br />

gewesen; also müsstest du eigentlich wissen, dass für mich nur ein<br />

gläubiger Mann in Frage kommt, und das bist du nun einmal nicht.“<br />

„Doch, ich kann mir das gut vorstellen“, entgegnet er darauf etwas<br />

gereizt, „ich weiß schon, dass ihr Gläubigen meint, ihr seid etwas<br />

Beson<strong>der</strong>es und die sogenannten Ungläubigen nicht. Aber ich möchte<br />

jetzt nicht über dieses Thema diskutieren, nicht an diesem schönen<br />

Abend mit dir.“<br />

Dann hält er kurz inne, bis ihm etwas Bestimmtes einfällt, das er sie<br />

schon lange einmal fragen wollte: „Wenn du schon dieses Thema<br />

angetönt hast, interessiert es mich aber, warum du bis heute nie<br />

geheiratet hast. Du bist schließlich wie gesagt attraktiv und siehst auch<br />

noch gut aus; zudem lässt sich deine Größe auch sehen, viele Männer<br />

schauen auch auf sowas.“<br />

„Danke nochmals, Hans“, entgegnet sie etwas gerührt, „es hat sich<br />

einfach nie ergeben.“<br />

„Bei einer Frau, wie du es bist?“<br />

„Du darfst nicht vergessen, dass ich eine Krankenschwester mit extrem<br />

unregelmäßigen Arbeitszeiten bin. So hatte ich nicht viele<br />

Gelegenheiten, einen geeigneten Mann kennen zu lernen. Dazu kommt<br />

noch, dass ich eine Auslän<strong>der</strong>in bin - zwar aus dem gleichen<br />

Sprachraum, aber immer noch eine Auslän<strong>der</strong>in, und es gab immer<br />

wie<strong>der</strong> Leute, die mich das deutlich genug spüren ließen und zum Teil<br />

sogar noch mit den alten Geschichten von früher kamen, obwohl diese<br />

tragischen Ereignisse jetzt schon mehr als ein halbes Jahrhun<strong>der</strong>t<br />

zurückliegen. Das alles hat mit dazu beigetragen, dass es eine gewisse<br />

Zeit dauerte, bis ich hier genügend persönliche Kontakte fand und mir<br />

ein neues Beziehungsnetz aufbauen konnte. Falls du das meinst, geht<br />

auch unter <strong>uns</strong> Gläubigen nicht immer alles so schnell, aber wenigstens<br />

schneller als an<strong>der</strong>swo.“<br />

„Unglaublich, sogar bei einer so lieben Frau wie dir haben diese<br />

Primitivlinge provoziert!“<br />

„Viele Schweizer mögen <strong>uns</strong> Deutsche halt nicht, da können wir auch<br />

182


nichts än<strong>der</strong>n. Wir können noch so nett und korrekt sein, es nützt alles<br />

nichts, vor allem bei älteren Leuten nicht. Auch wenn die meisten es<br />

nicht direkt zeigen, lassen sie es <strong>uns</strong> immer noch deutlich genug spüren.<br />

Natürlich gilt das aber nicht für jene Landsleute, die hier aufgewachsen<br />

sind und sich somit von <strong>der</strong> Sprache her gut verstecken können. Wer<br />

aber nicht hier aufgewachsen ist, kann noch so sehr versuchen, eure<br />

Dialekte möglichst gut zu sprechen, man hört halt immer noch heraus,<br />

wer ursprünglich fremd ist und wer nicht.“<br />

„Ich weiß, Ulrike, dass ihr damit Probleme habt, aber das ist nicht nur in<br />

<strong>der</strong> Schweiz so, son<strong>der</strong>n fast in ganz Europa, und nicht nur wegen <strong>der</strong><br />

Vergangenheit, son<strong>der</strong>n wahrscheinlich auch deshalb, weil ihr nun<br />

einmal wirklich die einflussreichste Nation in diesem Kontinent und in<br />

allen Urlaubsgebieten zu Millionen anzutreffen seid. Aber sag mir mal,<br />

diese Haltung ist doch unter euch Frommen sicher nicht anzutreffen,<br />

o<strong>der</strong>?“<br />

„Nein, natürlich nicht, es sind nur die an<strong>der</strong>en.“<br />

„Ah, also jene, die ihr als Ungläubige bezeichnet. Ich gehöre aber nicht<br />

zu denen, das kannst du mir glauben.“<br />

„Das weiß ich, Hans, sonst wären wir jetzt nicht hier zusammen.“<br />

„So gut kennst du mich aber auch wie<strong>der</strong> nicht, man kann sich<br />

schließlich auch ein gutes Stück verstellen.“<br />

„Du aber nicht, ein bisschen Menschenkenntnisse musst du mir schon<br />

zugestehen.“<br />

Da kann er sich ein Lächeln nicht verkneifen; auch er mag ihren Stil und<br />

genießt es, dass sie sich so gut verstehen. Dann fällt ihm wie<strong>der</strong> etwas<br />

Bestimmtes ein, und so fragt er sie direkt: „Sag mal, Ulrike, woher genau<br />

kommst du ursprünglich?“<br />

„Der Name meines Heimatorts sagt dir sicher nichts. Es ist ein Städtchen<br />

in Nie<strong>der</strong>sachsen zwischen Kassel und Hannover, wo es übrigens viele<br />

Gläubige hat. Deshalb habe ich auch schon ziemlich früh vom<br />

Evangelium gehört und mich schon als kleines Mädchen bekehrt,<br />

genauso wie meine Eltern und auch mein Bru<strong>der</strong> und meine Schwester.“<br />

„Also die ganze Familie?“<br />

„Ja, Gott sei Dank. Das war immer ein großer Rückhalt für mich und ist<br />

es natürlich auch noch heute. Übrigens gibt es in <strong>uns</strong>erem Heimatort<br />

noch manche an<strong>der</strong>e Familie, bei <strong>der</strong> alle gläubig sind.“<br />

„Das Gleiche kann ich von <strong>uns</strong> nicht sagen. Wir waren nie beson<strong>der</strong>s<br />

religiös, genauso wie die meisten an<strong>der</strong>en Familien in <strong>der</strong> heutigen Zeit;<br />

es gilt einfach als überholt, auch wenn ihr das an<strong>der</strong>s seht. Übrigens<br />

habe auch ich einen Bru<strong>der</strong> und eine Schwester. Ich bin <strong>der</strong> Älteste,<br />

dann kommt Peter und nach ihm Helga.“<br />

„Das ist aber interessant! Auch bei <strong>uns</strong> bin ich die Älteste, und auch<br />

Manfred kommt nach mir und dann Christa, also die genau gleiche<br />

Reihenfolge.“<br />

183


Dann hält er wie<strong>der</strong> kurz inne und fragt weiter: „Wie hat es dich denn<br />

ausgerechnet hierher verschlagen?“<br />

„So wie das eben ist als Krankenschwester. Plötzlich erhältst du ein<br />

Angebot von irgendwoher und schon gehst du hin. So bin ich eben<br />

hierhergekommen und hier hängen geblieben, aber ich stehe damit nicht<br />

allein. Nicht umsonst hat es hier in Zürich beson<strong>der</strong>s viele<br />

Krankenschwestern und Pfleger und dazu auch noch Ärztinnen und<br />

Ärzte aus an<strong>der</strong>en Län<strong>der</strong>n, wie du vielleicht weißt, aber am meisten aus<br />

<strong>uns</strong>erem Land.“<br />

„Dann hättest du aber erst recht mehr Chancen haben sollen, einen<br />

Mann zu bekommen. Die Krankenschwestern sind nämlich bei vielen<br />

Männern beliebt und begehrt, weil sie ihnen ein Gefühl von Sicherheit<br />

und Geborgenheit geben - mindestens glauben sie, dass es so ist.“<br />

„So leicht ist es auch wie<strong>der</strong> nicht, Hans, denn auch unter den Gläubigen<br />

passt längst nicht je<strong>der</strong> zu jedem, und bei mir kommt noch als kleines<br />

Hin<strong>der</strong>nis dazu, dass ich so groß bin.“<br />

„Ach was, so groß bis du auch wie<strong>der</strong> nicht! Da redest du dir etwas ein.“<br />

„Immerhin messe ich fast eins achtzig. Für dich ist das vielleicht nicht<br />

so groß, aber für viele an<strong>der</strong>e schon, und es gibt unter <strong>uns</strong> Gläubigen<br />

nicht viele Männer mit deiner Größe; deshalb hatten nicht wenige<br />

Männer bei mir immer wie<strong>der</strong> Hemmungen.“<br />

„Ja, ich weiß, die meisten Männer wollen eben lieber eine Frau, die<br />

kleiner o<strong>der</strong> wenigstens nicht größer ist als sie, und umgekehrt<br />

wünschen sich die meisten Frauen einen Mann, <strong>der</strong> größer ist als sie.<br />

Das liegt halt in <strong>der</strong> Natur; da brechen die uralten, jahrtausendealten<br />

Instinkte des Beschützens und des Beschützt-Werdens immer wie<strong>der</strong><br />

durch. Aber sag mir, wenn es schon so steht, dass es unter euch<br />

Frommen nicht viele groß gewachsene Männer gibt und die kleineren<br />

sich immer wie<strong>der</strong> von deiner Größe abschrecken lassen ... kannst du dir<br />

denn vorstellen, noch lange allein zu bleiben? Für eine Frau wie dich<br />

wäre das wirklich schade.“<br />

„Wenn <strong>der</strong> Herr will, dass ich heirate, wird er mir schon noch rechtzeitig<br />

einen geeigneten Mann zuführen.“<br />

„Glaubst du das wirklich? Sorgt euer Gott auch für so etwas?“<br />

„Oh ja, er sorgt für alles, wenn wir ihn darum bitten.“<br />

„Und wenn er dir jetzt doch keinen Traummann zu<strong>führt</strong>, wie du das<br />

bezeichnest? Willst du dann für den Rest deines Lebens allein bleiben?“<br />

«Ich bin nie allein, denn <strong>der</strong> Herr ist immer bei mir. Außerdem<br />

befinden sich noch viele an<strong>der</strong>e Schwestern in <strong>der</strong> gleichen Lage wie<br />

ich, weil es nun einmal viel mehr gläubige Frauen als Männer gibt. So<br />

steht es von vornherein fest, dass nicht alle von ihnen heiraten können<br />

… zumindest nicht einen gläubigen Mann.»<br />

„Das ist schön für dich, wenn du an sowas glauben kannst, aber ob euer<br />

184


Gott nun bei dir ist o<strong>der</strong> nicht, es än<strong>der</strong>t doch nicht daran, dass du<br />

vielleicht für immer ledig bleiben wirst - ausgerechnet eine solche Frau<br />

wie du!“<br />

„Wie gesagt, wenn er es will, schenkt er mir noch einen lieben Mann, <strong>der</strong><br />

zu mir passt.“<br />

Für einen kurzen Augenblick denkt er für sich, dass er noch so gern<br />

dieser Mann wäre, doch dann spricht er weiter recht hart zu ihr: „Aber du<br />

bist doch schon bald dreißig, soviel ich weiß; jedenfalls habe ich das so<br />

nebenbei einmal gehört. So hast du nicht mehr viel Zeit, das ist halt<br />

lei<strong>der</strong> so.“<br />

„Ich weiß, aber ich habe Vertrauen zum Herrn. Ich kenne ihn schließlich<br />

schon seit bald zwanzig Jahren - und er hat mich noch nie enttäuscht.“<br />

„Schon so lange? Ach ja, du hast vorher ja gesagt, dass du dich als<br />

kleines Mädchen bekehrt hast. Willst du damit aber auch sagen ... ich<br />

kann es fast nicht glauben ... heißt das etwa, dass du bis heute noch nie<br />

mit einem Mann zusammen gewesen bist? Du weißt ja wohl, was ich<br />

damit meine. Ich habe ja genug gehört, dass bei euch Frommen je<strong>der</strong><br />

Geschlechtsverkehr außerhalb <strong>der</strong> Ehe verboten ist.“<br />

„Es steht in <strong>der</strong> Bibel so geschrieben, weil es <strong>uns</strong>erem Schutz dient. Es<br />

hat sich immer wie<strong>der</strong> gezeigt, dass solche Menschen, die mit zu vielen<br />

Partnern sexuell verkehren, und erst recht jene, die damit viel zu früh<br />

anfangen, im Herzen nie wirklich treu sein können; also wusste <strong>der</strong> Herr<br />

sehr wohl, warum er dieses Gebot in seinem Wort nie<strong>der</strong>schreiben ließ.“<br />

„So, das soll also zu einem Schutz dienen? Soll es denn nicht normal<br />

sein, miteinan<strong>der</strong> ins Bett zu gehen, wenn man sich liebt? Tut mir leid,<br />

Ulrike, aber ich habe darin nie etwas Verwerfliches gesehen. Ich habe<br />

bis heute zwar nicht viele Frauen gehabt, nicht einmal zehn, aber ich<br />

habe noch mit je<strong>der</strong> intim verkehrt und mir dabei nie etwas Schlechtes<br />

gedacht - ganz im Gegenteil, ich habe es sogar sehr genossen.“<br />

„Aber es ist Sünde.“<br />

„Sünde? Soll eine so attraktive Frau, wie du es bist, sich dafür opfern, ihr<br />

Leben lang allein zu bleiben, nur weil in eurer Bibel etwas von Sünde<br />

steht? Einen solchen Glauben kann ich nicht begreifen, ich fasse das<br />

nicht. Jede normal veranlagte Frau will doch lieben und geliebt werden,<br />

das liegt in ihrer Natur. Ein Mann kann es im Notfall noch aushalten,<br />

ohne Liebe zu leben; er kann es sich immer irgendwie einrichten, aber<br />

eine Frau hat doch von Grund auf einen tiefen W<strong>uns</strong>ch nach Liebe, und<br />

dabei meine ich nicht nur den Sex. Selbst wenn sie nicht geliebt wird,<br />

fühlt sie immer noch das Bedürfnis, wenigstens Liebe zu geben. Es<br />

muss ja nicht immer ein Mann sein, oft ist es auch ein Kind o<strong>der</strong> ein<br />

Haustier, zum Beispiel ein Pferd. Es ist ja bekannt, dass auffallend viele<br />

Frauen, die nicht verheiratet sind, sich ein Pferd halten, doch das<br />

185


leuchtet auch ein, wenn wir <strong>uns</strong> vor Augen führen, dass die<br />

Reitbewegungen auf diesem Tier denen auf einem Mann ähneln, <strong>der</strong><br />

ihnen halt doch irgendwie fehlt ... Entschuldige, Ulrike, aber das ist nun<br />

mal eine Tatsache. Und wenn es nicht an<strong>der</strong>s geht, kommt halt ab und<br />

zu auch eine an<strong>der</strong>e Frau in Frage. Ich habe zwar keinen näheren<br />

Kontakt zur Lesbenszene, aber soviel ich weiß, kann man von denen<br />

sogar noch etwas lernen, denn die Liebe unter ihnen ist oft noch tiefer<br />

und echter als bei vielen sogenannten normalen Paaren.“<br />

„Aber Hans!“, unterbricht ihn darauf Ulrike fast entsetzt - und es fehlte<br />

wenig, damit sie aufsteht und einfach weggeht.<br />

Erst jetzt, da sie auf diese Worte so geschockt reagiert, spürt er, dass er<br />

etwas zu weit gegangen ist. Auch wenn er es mit ihr gut meinte, hätte er<br />

nicht mit einem so schweren Geschütz auffahren und sie damit verletzen<br />

dürfen, nur weil er ihren Glauben nicht begreift und sich zeitweise über<br />

ihn und einige Gebote sogar ärgert.<br />

„Entschuldige, Ulrike, es tut mir leid“, sagt er schließlich aufrichtig, indem<br />

er fast automatisch nach ihren Händen greift, die er am Tisch bisher<br />

noch nie berührt hat, „ich weiß, dass es dumm von mir war, mich so<br />

gehen zu lassen. Dabei wollte ich dich nicht verletzen, gerade dich nicht;<br />

wenn jemand sowas nicht verdient hat, dann bist du es. Es tut mir<br />

wirklich sehr leid. Ich sehe ein, dass du das Recht hast, so zu leben, wie<br />

du es für richtig hältst, und dass ich nicht das Recht habe, mich in dein<br />

Leben einzumischen.“<br />

Dann fügt er nach kurzem Zögern ein paar Worte hinzu, die Ulrike sehr<br />

überraschen: „Bitte vergib mir!“<br />

So zieht sie ihre Hände nicht von den seinen, die sie jetzt zum ersten<br />

Mal so richtig spüren kann, aber sie weiß immer noch nicht, wie sie<br />

reagieren soll. Erst als es ihr so richtig bewusst wird, dass er zu ihr „Bitte<br />

vergib mir!“ gesagt und damit eine Ausdrucksweise gebraucht hat, die<br />

fast nur unter den Gläubigen üblich ist, und als sie aufsieht und erkennt,<br />

dass ihm fast Tränen kommen, lässt sie sich erweichen. Wie um ihn zu<br />

bestrafen, lässt sie sich aber für eine Antwort auffallend viel Zeit und<br />

mustert ihn ziemlich streng.<br />

„Also gut, Hans, ich vergebe dir“, sagt sie schließlich nach ein paar<br />

unendlich langen Sekunden, „aber sprich bitte nicht noch einmal so mit<br />

mir!“<br />

„Danke, Ulrike“, entgegnet er sichtlich erleichtert, „ich verspreche dir,<br />

nicht mehr so mit dir zu reden. Es ist eben so, dass ich dich sehr gern<br />

mag; darum ist das alles so aus mir herausgekommen. Ich will ja<br />

versuchen, deinen Glauben zu verstehen, auch wenn mir vieles immer<br />

noch unbegreiflich ist. Die Gespräche mit Erwin und Bruno und auch mit<br />

186


Jan Hoveneel haben mir zwar in einigen Bereichen geholfen, aber ich<br />

blicke immer noch nicht durch und schaffe den Durchbruch zu eurer<br />

Gedanken- und Gefühlswelt einfach nicht. Kannst du verstehen, wie ich<br />

das meine?“<br />

„Ja, ich weiß, wie du das meinst“, antwortet sie zu seiner Erleichterung<br />

sofort, „und ich will auch versuchen, dich zu verstehen. Es ist nun einmal<br />

für alle, die den Herrn noch nicht persönlich kennen, sehr schwierig, aus<br />

dieser Welt zum lebendigen und einzigen wahren Glauben<br />

durchzudringen - erst recht in <strong>der</strong> heutigen mo<strong>der</strong>nen Zeit, in <strong>der</strong> alle<br />

alten Werte von früher fast nichts mehr gelten. Das sehe ich auch bei dir<br />

sehr klar.“<br />

Hans ist glücklich, dass sie ihm nichts nachträgt, und lernt durch ihr<br />

Verhalten eine weitere Lektion darüber, was Vergeben heißen kann,<br />

auch wenn ihm das nicht sofort bewusst ist. An<strong>der</strong>erseits hat die<br />

kritische Szene zwischen den beiden auch etwas Gutes bewirkt, ohne<br />

dass sie das vorerst sehen können, was aber Ulrike mit <strong>der</strong> Zeit<br />

wohlwollend erkennt: Durch seine sofortige Entschuldigung und sein<br />

aufrichtiges Bedauern hat er ihr gezeigt, dass er einen Fehler auch sofort<br />

einsehen und sich demütigen kann. Das ist nicht zuletzt im Hinblick auf<br />

eine Bekehrung, aber auch auf eine mögliche Ehe - falls sich einmal<br />

doch etwas zwischen ihnen anbahnen sollte, woran er offensichtlich ja<br />

Interesse hat - nicht ohne Bedeutung. So hat er bei ihr einen weiteren<br />

Pluspunkt errungen, obwohl es zunächst nach dem genauen Gegenteil<br />

ausgesehen hat.<br />

Nach etwa einer halben Stunde, in <strong>der</strong> sie gewissermaßen noch einen<br />

Versöhnungskaffee getrunken haben, brechen sie auf, und er bringt sie<br />

bis zu ihrem Wagen. Bevor sie einsteigt, sagt sie zu ihm, indem sie ihm<br />

nochmals die Hand gibt: „Danke, Hans, für die Einladung.“<br />

„Ich möchte mich noch einmal bei dir entschuldigen, Ulrike“, entgegnet<br />

er, ohne auf diese Worte einzugehen, „es wird nicht wie<strong>der</strong> vorkommen,<br />

das verspreche ich dir.“<br />

„Das ist schon vergeben - mach dir keine Sorgen mehr!“<br />

Schließlich fragt er sie nach kurzem Zögern: „Können wir <strong>uns</strong> wie<strong>der</strong><br />

einmal so treffen, genau auf diese Weise?“<br />

„Ich weiß nicht so recht.“<br />

Da er diese Formulierung von ihr schon einmal gehört hat und es<br />

trotzdem zu diesem Treffen gekommen ist, glaubt er daraus schließen zu<br />

können, dass diese Antwort schon fast ein halbes Ja bedeutet.<br />

„Es muss ja nicht bald sein“, fügt er hinzu, „wir können <strong>uns</strong> dafür Zeit<br />

nehmen ... Bitte!“<br />

187


Dieses „Bitte!“ hat sie heute auch schon mehr als einmal gehört - und<br />

obwohl sie sich trotz seiner kleinen Entgleisung immer noch ein wenig zu<br />

ihm hingezogen fühlt, will sie es sich immer noch nicht so recht<br />

eingestehen und vor allem nicht ihm zeigen.<br />

„Wir werden es ja sehen“, sagt sie schließlich langsam und fast wie<br />

nebenbei, als sie schon im Wagen sitzt, und dann lässt sie ihn allein<br />

zurück, aber nicht ohne ihm noch ein kurzes und schwaches Lächeln zu<br />

schenken, das ihn weiter auf eine nähere Beziehung mit ihr hoffen lässt.<br />

12<br />

So wie die beiden es an jenem Abend gefühlt und vorausgesehen<br />

haben, bleibt es nicht bei dieser einen Begegnung im Restaurant. Es<br />

gelingt Hans noch drei weitere Male, Ulrike zu einem Ausgang zu<br />

überreden - allerdings nur zu kurzen -, und jedes Mal sagt sie sich<br />

zuerst, dass es vielleicht besser wäre, ihm abzusagen, und dann kann<br />

sie es doch nicht über sich bringen.<br />

Da er bewusst auf Distanz bleibt und ihr nicht zu nahe kommt, also nie<br />

versucht, sie zu küssen o<strong>der</strong> gar Hand in Hand mit ihr zu gehen, fasst<br />

sie allmählich Vertrauen zu ihm und beginnt ihn immer mehr zu mögen.<br />

Außerdem findet sie ihn wirklich sympathisch und solange ihr Kontakt<br />

nicht zu weit geht, kann ein Ausgang ihnen beiden nicht schaden, nicht<br />

zuletzt auch deshalb, weil sie so jedes Mal eine Gelegenheit bekommt,<br />

ihm stückweise etwas vom Evangelium zu erzählen. Das tut sie nicht,<br />

indem sie Bibelsprüche zitiert, son<strong>der</strong>n indem sie ihm Geschichten aus<br />

ihrem eigenen Leben erzählt, die sie über all die Jahre hinweg immer<br />

mehr in ihrem Glauben gestärkt haben. Es wirkt zwar etwas komisch,<br />

wenn sie so zusammen auf den Straßen spazieren und in den<br />

Restaurants und Cafés sitzen, ohne sich zu berühren, aber ihre<br />

Beziehung ist nun einmal eine beson<strong>der</strong>s delikate, und da Hans sie<br />

sorgfältig aufbauen und Ulrike nicht durch einen weiteren dummen<br />

Fehler wie jenen im Rerstaurant ‚Select’ vielleicht für immer verlieren will,<br />

akzeptiert auch er das so, auch wenn es ihn zeitweise innerlich fast<br />

zerreißt, wenn er so manches an<strong>der</strong>e Paar Hand in Hand o<strong>der</strong> sogar<br />

engumschlungen gehen und sich küssen sieht.<br />

Der Höhepunkt dieser delikaten Beziehung ist die, dass sie einmal sogar<br />

in ein Kino gehen, und zwar bei ihrer vierten Begegnung. Der Film, den<br />

sie zusammen anschauen, ist <strong>der</strong> berühmte und schon fast antike<br />

Cinecittà-Streifen „Quo Vadis“. Angesichts <strong>der</strong> Geschichte, die darin<br />

erzählt wird, ist es für die heutige Zeit, die für das Christentum nun<br />

wirklich nicht mehr viel übrighat, direkt eine Sensation, dass er noch<br />

188


einmal in einem Kino gezeigt wird, und erst recht auch deshalb, weil es<br />

schon längst die entsprechende Video-Kassette und die DVD zu kaufen<br />

gibt. Als Ulrike in einer Zeitung entdeckte, dass dieser Film wie<strong>der</strong><br />

einmal in ein Kino kommen würde, hat sie sich spontan dazu<br />

entschlossen, Hans zu fragen, ob er ihn mit ihr zusammen anschauen<br />

gehen würde.<br />

Sie weiß zwar, dass auch er so wie die meisten an<strong>der</strong>en zu Hause ein<br />

Fernsehgerät hat, aber sie rechnet damit, dass ein gemeinsames<br />

Betrachten eines Filmes ihm eher helfen wird, das Evangelium<br />

stückweise zu begreifen, als wenn er für sich allein die Kassette o<strong>der</strong> die<br />

DVD in seiner Wohnung sehen würde. Zudem wird im Film die<br />

allmähliche Bekehrung <strong>der</strong> Hauptperson, des Trib<strong>uns</strong> Marcus Vinicius,<br />

also eines ranghohen Heereskommandanten, offen gezeigt, und wenn er<br />

nachher bestimmte Fragen hätte, könnte sie ihm diese direkt<br />

beantworten - das würde sicher besser wirken als ein bloßer<br />

telefonischer Kontakt. Natürlich hat er sofort zugesagt, ohne sich<br />

weiteres dabei zu denken, denn ihm ist natürlich alles recht, um mit<br />

Ulrike zusammen sein zu können; also kann auch ein solcher Kinofilm,<br />

den er nach seiner Erinnerung vor vielen Jahren einmal gesehen hat,<br />

nicht schaden.<br />

Er schaut sich den Film zwar mit Interesse an, aber da es eben nur ein<br />

Spielfilm mit bewusst abgedrehten Szenen ist, kann er sich nicht wirklich<br />

in die Zeit vor 2'000 Jahren zurückversetzen und sich nicht vorstellen,<br />

dass so etwas sich tatsächlich im Römischen Reich ereignet haben<br />

könnte, und selbst wenn die Geschichte von <strong>der</strong> allmählich<br />

aufkeimenden Liebe zwischen Marcus Vinicius und <strong>der</strong> Christin Lygia<br />

mitsamt den Horrorszenen in <strong>der</strong> Arena sich wirklich so abgespielt hätte,<br />

würde es ihm nichts sagen. Was geschah, ist nun einmal geschehen und<br />

lässt sich nicht mehr rückgängig machen - für sich selbst sieht er keine<br />

Parallele.<br />

Ulrike hat von vornherein damit gerechnet, dass <strong>der</strong> Film ihn einer<br />

Bekehrung vielleicht nicht entscheidend näherbringen würde, obwohl sie<br />

von einem Mann schon vernommen hat, dass er sich bekehrt habe,<br />

nachdem er genau diesen Film zum ersten Mal in einem Kino geschaut<br />

hatte. Deshalb hat sie vorgesorgt und ihm die DVD von „Quo Vadis“<br />

gekauft; sie hat ihn vorher zwar nicht gefragt, ob er einen<br />

entsprechenden Apparat hat, doch da in <strong>der</strong> heutigen Zeit fast alle über<br />

ein solches Gerät verfügen, hat sie darauf spekuliert und richtig geraten.<br />

Erst jetzt, da sie ihm nach dem Verlassen des Kinos die DVD, die sie<br />

189


isher in ihrer Handtasche versteckt hielt, in die Hand gibt und ihm<br />

zugleich das Versprechen abnimmt, dass er den Film noch einmal in<br />

aller Ruhe zu Hause anschauen wird, fühlt er sich etwas gerührt.<br />

Offensichtlich mag sie mich wirklich ein bisschen gern, sonst würde sie<br />

nicht so viel unternehmen, um mich zu einer Bekehrung zu bringen, sagt<br />

er sich freudig und dankt ihr herzlich, und dabei meint er es auch ehrlich.<br />

Was nun Ulrikes wirkliche Gefühle für ihn betrifft, so schwanken diese<br />

zwischen echter Sympathie und allmählicher Zuneigung, wobei sie sich<br />

immer noch dagegen wehrt, die Beziehung zu Hans allzu<br />

freundschaftlich gedeihen zu lassen. So denkt sie selbst bei <strong>der</strong> vierten<br />

Begegnung nicht im Geringsten daran, dass sie vielleicht auch so etwas<br />

wie Liebe für ihn empfinden könnte, wie er das offensichtlich zeigt und es<br />

auch kaum verbergen kann, dass er sie mindestens sehr gern mag.<br />

Die Spannung in ihr löst sich erst durch ein unerwartetes Ereignis, als er<br />

sie nach dieser geradezu historischen vierten Begegnung wie üblich<br />

wie<strong>der</strong> nach Hause bringt und sich an <strong>der</strong> Haustür von ihr verabschiedet.<br />

Während er ihr die Hand gibt, sagt er zu ihr plötzlich wie aus heiterem<br />

Himmel, was aber angesichts <strong>der</strong> Entwicklung ihrer Beziehung auch<br />

wie<strong>der</strong> nicht völlig überraschend kommt: „Ich kann es nicht mehr länger<br />

für mich behalten, ich muss es dir einfach sagen: Ich liebe dich, Ulrike,<br />

auch wenn ich weiß, dass du mich nicht liebst. Ich fühle es ganz genau,<br />

dass ich dich liebe.“<br />

Nach diesen überraschenden Worten schweigt sie zunächst, da sie nicht<br />

so recht weiß, wie sie darauf reagieren soll. Zum ersten Mal in ihrem<br />

Leben hat ihr ein Mann so direkt gesagt, dass er sie liebt, und so wie sie<br />

ihn schon einschätzen kann, meint er es auch ehrlich. Obwohl sie diese<br />

Worte wie jede an<strong>der</strong>e Frau natürlich auch gern hört, weiß sie nicht, wie<br />

sie ihm antworten soll. Sie mag ihn zwar sehr gern, aber beim Gedanken<br />

an Liebe bremst etwas in ihr; die Tatsache, dass er nun einmal nicht<br />

gläubig ist, wiegt für sie vorerst immer noch schwerer als mögliche tiefe<br />

Gefühle für ihn. So weicht sie aus, indem sie zu ihm leise und mit<br />

unverkennbarer Verlegenheit sagt: „So weit dürfen wir nicht denken,<br />

Hans, das weißt du ganz genau. Lassen wir <strong>uns</strong>eren Kontakt doch so,<br />

wie er ist!“<br />

Kaum hat sie sich von ihm verabschiedet, dessen Enttäuschung auf ihre<br />

Reaktion er nicht verbergen konnte, fühlt sie zwischen ihren eigenen vier<br />

Wänden, wie sich in ihrem Inneren eine Wandlung vollzieht. Plötzlich löst<br />

sich etwas in ihr und sie beginnt, Hans nicht mehr nur als einen guten<br />

Bekannten zu sehen, son<strong>der</strong>n auch als einen Mann, an dem sie<br />

190


eigentlich Gefallen finden könnte, ja, <strong>der</strong> sogar zu ihr passen könnte. Ob<br />

es wohl mit ihr auch so weit ist, dass sie allmählich so etwas wie Liebe<br />

für ihn empfinden kann, wie er offensichtlich das Gleiche für sie<br />

empfindet?<br />

Während sie sich das überlegt, erkennt sie auf einmal, dass sie sich in<br />

einer ähnlichen Lage befindet wie Lygia im Film „Quo Vadis“. Auch diese<br />

Frau wehrte sich zuerst lange dagegen, sich in einen Mann zu verlieben,<br />

<strong>der</strong> ihren Glauben an Gott und an Jesus Christus nicht teilte, und<br />

schließlich tat sie es doch und konnte fortan nur noch darauf vertrauen,<br />

dass auch Marcus Vinicius sich einmal bekehren würde. Das<br />

Interessante dabei ist, dass sie selbst im Kino zwischen Hans und<br />

diesem römischen Heereskommandanten auch ein paar Parallelen<br />

gesehen hat. Ob es wohl auf sie beide zutreffen wird, dass die<br />

Geschichte dieses Liebespaares vor fast 2'000 Jahren sich in <strong>der</strong><br />

heutigen mo<strong>der</strong>nen Zeit zwischen Hans und ihr auf eine ähnliche, wenn<br />

auch weniger tragische Weise - also nicht bei blutigen Kämpfen in einer<br />

Arena vor einer sensationsgierigen Menge -, aber doch in <strong>der</strong> gleichen<br />

Gefühlswelt wie<strong>der</strong>holt?<br />

Stundenlang liegt sie an diesem Abend und bis weit nach Mitternacht<br />

noch wach auf ihrem Bett und grübelt über ihre Beziehung zu Hans<br />

nach, aber auch in den nächsten paar Tagen hat sie keine Ruhe und<br />

bleibt aufgewühlt. Manchmal kommt in ihr <strong>der</strong> Gedanke auf, sie sollte<br />

ihm telefonieren und mitteilen, dass es besser wäre, wenn sie sich nicht<br />

mehr so wie bisher treffen würden, aber dann bringt sie es doch nicht<br />

über sich. So etwas kann sie ihm ganz einfach nicht antun, ausgerechnet<br />

ihm, <strong>der</strong> zu ihr als erster Mann offen gesagt hat, dass er sie liebt, ob er<br />

nun gläubig ist o<strong>der</strong> nicht, und schließlich kann sie für ihn immer noch<br />

eine Hintertür offenlassen. Wer weiß, ob <strong>der</strong> Herr nicht gerade auch sie<br />

benützen will, damit auch Hans den <strong>Weg</strong> des Heils erkennt. Ob es dann<br />

auch mehr werden könnte, ob tatsächlich er ihr zukünftiger Ehemann im<br />

gemeinsamen Glauben an den gleichen Erlöser werden könnte? Sie<br />

wagt es schon fast nicht, so weit zu denken, weil das zu schön erscheint,<br />

als dass dies sich einmal verwirklichen könnte.<br />

Natürlich hat es sich in <strong>der</strong> Gemeinde an <strong>der</strong> Feldeggstraße inzwischen<br />

herumgesprochen, dass Ulrike mit Hans schon mehrmals ausgegangen<br />

ist; sie verbergen es ja auch nicht und stehen offen dazu, wenn sie<br />

darauf angesprochen werden. Es wird manchmal schon nicht gern<br />

gesehen, wenn ein gläubiger Mann mit einer gläubigen Frau ausgeht,<br />

solange sie nicht vor <strong>der</strong> Versammlung als ein Paar buchstäblich<br />

deklariert worden sind, aber dass eine gläubige Frau und erst noch ein<br />

191


anerkanntes Mitglied <strong>der</strong> Gemeinde es wagt, mit einem ungläubigen<br />

Mann auszugehen, gilt schon fast als ein Sakrileg, auch wenn Ulrike<br />

immer wie<strong>der</strong> versichert, dass zwischen ihr und Hans nichts Ernstes ist.<br />

Da hilft es auch nicht, dass er durch seine häufigen und regelmäßigen<br />

Besuche schon fast als Stammgast gilt und nicht wenige ihn persönlich<br />

schätzen gelernt haben, obwohl er sich immer noch nicht bekehrt hat<br />

und diesen entscheidenden Schritt anscheinend auch nicht so bald zu<br />

vollziehen gedenkt.<br />

So wird bald einmal gemunkelt, bis <strong>der</strong> Ältestenrat den Plan fasst, mit<br />

Ulrike über diese neue Beziehung ein paar ernsthafte Worte zu<br />

wechseln. Bevor es dazu kommt, hält es einer von ihnen jedoch für<br />

besser, zuerst Brigitte Frey zu bitten, mit Ulrike zu sprechen, weil diese<br />

Frau, die 32-jährig und verheiratet ist und zwei Kin<strong>der</strong> hat, zu ihr den<br />

besten Zugang findet. Es ist in <strong>der</strong> Gemeinde ja genügend bekannt, dass<br />

die beiden schon seit Jahren enge Freundinnen sind und deshalb auch<br />

eine Zeit lang eine Wohnung zusammen geteilt haben, solange Brigitte<br />

noch ledig war. Ihre Freundschaft wurde auch nie dadurch getrübt, dass<br />

sie heute auf verschiedenen Lebenswegen schreiten, seitdem Brigitte<br />

eine eigene Familie hat und Ulrike immer noch ledig ist. So wird sie<br />

gebeten, mit ihrer Freundin ernsthaft zu sprechen, und sie erklärt sich<br />

dazu bereit, zumal sie selbst auch schon vorhatte, das zu tun.<br />

Dafür gibt es aber noch einen beson<strong>der</strong>en Grund: Da sie eine <strong>der</strong><br />

Leiterinnen <strong>der</strong> sogenannten Frauengruppe ist, <strong>der</strong> nur verheiratete<br />

Frauen angehören dürfen - unabhängig davon, ob die eine o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e<br />

Kin<strong>der</strong> hat o<strong>der</strong> nicht -, fühlt sie sich natürlich erst recht dafür<br />

verantwortlich, dass in <strong>der</strong> Gemeinde auch in dieser Beziehung Ordnung<br />

herrscht. Gerade was diese Frauengruppe betrifft, sind sich die beiden in<br />

diesem einen Punkt nicht einig: Während Ulrike nicht einsieht, warum<br />

ledige Frauen ihr nicht angehören dürfen, findet es Brigitte genauso wie<br />

alle an<strong>der</strong>en Mitglie<strong>der</strong> besser, weil unter ihnen fast immer nur Probleme<br />

behandelt und besprochen werden, die verheiratete Frauen betreffen,<br />

und deshalb würden ledige für ihr Empfinden ein wenig störend wirken.<br />

---------------------------------------------------------------------------------------------<br />

Bevor es jedoch zu dieser Aussprache kommt, geschieht etwas völlig<br />

Unerwartetes, das mit dazu beitragen könnte, die Beziehung zwischen<br />

Hans und Ulrike noch zu vertiefen, auch wenn es zunächst nicht danach<br />

aussieht: Nur drei Tage nach ihrer letzten Begegnung, zu Beginn des<br />

Mittwochtrainings, fühlt Hans während des Einlaufens plötzlich, dass in<br />

seinem rechten Unterschenkel etwas zwickt. Obwohl er den an<strong>der</strong>en<br />

192


nicht mehr folgen kann, nimmt er es vorerst nicht ernst, doch dann kann<br />

er nicht mehr rennen, ja, er muss sich sogar setzen, um sich mit beiden<br />

Händen den rechten Unterschenkel festzuhalten, <strong>der</strong> immer mehr<br />

schmerzt.<br />

Als <strong>der</strong> Trainer das sieht, unterbricht er sofort das Einlaufen mit <strong>der</strong><br />

Pfeife, die auch er so wie fast alle an<strong>der</strong>en mit sich <strong>führt</strong>, und geht auf<br />

ihn zu.<br />

„Was hast du, Hans?“, fragt er echt besorgt, und auch alle an<strong>der</strong>en<br />

kommen herzu und beugen sich über ihn.<br />

„Es geht nicht mehr“, kann er nur noch antworten, weil es noch mehr<br />

schmerzt. Es ist zwar ein Schmerz, <strong>der</strong> sich aushalten lässt, aber<br />

trotzdem unangenehm ist. Er versucht wie<strong>der</strong> aufzustehen, doch er sackt<br />

mit einem Schmerzensschrei wie<strong>der</strong> zusammen und presst die Hände<br />

erneut an den Unterschenkel.<br />

„Verdammt, das sieht nicht gut aus“, meint <strong>der</strong> Trainer.<br />

„Wahrscheinlich ist es eine Zerrung, vielleicht sogar ein Muskelriss“,<br />

stellt Hans gleich selbst die Diagnose.<br />

„Dann musst du sofort ins Spital“, entgegnet einer <strong>der</strong> Umstehenden, als<br />

wüsste Hans das nicht auch gut genug.<br />

„Da muss mich aber einer hinfahren“, sagt er darauf entschieden und<br />

schaut sich schon um, ob sich einer spontan meldet.<br />

„Ich mache das“, meldet sich denn auch sofort einer.<br />

Hans dreht sich nach <strong>der</strong> Richtung, woher diese Stimme gekommen ist,<br />

und erkennt Markus, seinen alten Kumpan, mit dem er jeweils zu den<br />

Auswärtsspielen zu fahren pflegt.<br />

„Du erlaubst es doch sicher, Willi“, sagt dieser dann noch zum Trainer,<br />

worauf dieser kopfnickend antwortet: „Natürlich, du kannst nachher ja<br />

wie<strong>der</strong> kommen.“<br />

Da Hans nicht mehr allein gehen kann, muss er von Markus und Willi,<br />

den alle Spieler duzen, gestützt werden, und so bringen sie ihn zum<br />

Wagen des Kollegen. Zum Glück nimmt dieser den seinen immer zu den<br />

Trainings mit, so dass Hans gleich seine eigene Kutsche zur Verfügung<br />

hat. Bevor sie einsteigen, sagt er noch zu den umstehenden Kollegen:<br />

„Ist nicht so schlimm. Macht ruhig weiter!“<br />

Kurz bevor sie abfahren, ruft er aber noch aus: „Scheiße, dass es mich<br />

doch noch erwischt hat!“<br />

Sein Ärger ist durchaus berechtigt, denn im Verlauf seiner<br />

sechzehnjährigen Laufbahn als Fußballer hat er zwar schon manche<br />

kleinere Verletzung erlitten, aber noch nie eine Zerrung o<strong>der</strong> gar einen<br />

Muskelriss von diesem Ausmaß. An<strong>der</strong>erseits musste er nach so vielen<br />

aktiven Jahren je<strong>der</strong>zeit damit rechnen, dass es einmal geschehen<br />

könnte, in seinem Alter sowieso - und so kurz vor dem voraussichtlich<br />

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aldigen Ende seiner Karriere, gerade auch deshalb regt er sich jetzt so<br />

fürcherlich auf.<br />

Als sie vor <strong>der</strong> Eingangstür des nächstgelegenen Krankenhauses<br />

ankommen, wird Hans bereits erwartet, denn <strong>der</strong> Trainer wollte auf<br />

sicher gehen und hat den Vorfall über sein Handy bereits gemeldet.<br />

Hans bedankt sich kurz bei Markus, <strong>der</strong> ihm noch in den Rollstuhl hilft,<br />

<strong>der</strong> herangefahren wird, und schon ist er drinnen. Die Notfallabteilung, in<br />

die er gebracht wird, befindet sich so wie in fast jedem an<strong>der</strong>en<br />

Krankenhaus aus Gründen des praktischen Transports im Erdgeschoss<br />

und ist voll von Leuten, die alle irgendetwas haben: Der eine hat einen<br />

Verband am Kopf, dort einer an <strong>der</strong> Nase, wie<strong>der</strong> ein an<strong>der</strong>er hat ein<br />

zugedecktes Auge.<br />

Obwohl er seit dem Beginn <strong>der</strong> Bekanntschaft mit Ulrike schon ein paar<br />

Mal in einem Krankenhaus gewesen ist, weil er sich nicht nur für sie<br />

selbst, son<strong>der</strong>n auch für ihren Beruf interessiert und deshalb darauf<br />

angewiesen war, auch einmal selbst hinzugehen und sich umzuschauen,<br />

bekommt er erst jetzt einen direkten Einblick in diesen Alltag. So erkennt<br />

er bald einmal, dass man zuerst jene Patienten behandelt, <strong>der</strong>en Fälle<br />

als schwerwiegen<strong>der</strong> eingestuft werden. Das zeigt sich auch darin, dass<br />

er selbst, <strong>der</strong> nur als leichter Fall gilt, mit <strong>der</strong> Unterhose und dem<br />

Unterleibchen bekleidet auf einem bettartigen Brett liegen bleiben und<br />

große Eiswürfel an die verwundete Stelle pressen muss, ohne dass die<br />

Krankenschwester, die ihm das verordnet hat, geschweige denn ein Arzt<br />

o<strong>der</strong> eine Ärztin sich vorerst bei ihm blicken lassen. Da außer ihm keine<br />

weitere Person mehr als leichter Fall gilt, bleibt er im Raum, in dem er<br />

untergebracht worden ist und in dem sich noch drei an<strong>der</strong>e solche<br />

improvisierte Betten befinden, eine ganze Viertelstunde mit sich und den<br />

Schmerzen allein, bis die gleiche Krankenschwester endlich wie<strong>der</strong><br />

einmal hereinkommt, ihn aber nur für einen kurzen Moment anschaut<br />

und dann fast wie nebenbei sagt: „Der Doktor kommt bald.“<br />

Sofort verschwindet sie wie<strong>der</strong>, noch bevor er sie fragen kann, was<br />

genau mit diesem „bald“ gemeint ist, und dann darf er weitere zehn<br />

Minuten warten, bis <strong>der</strong> angekündigte Mann tatsächlich erscheint. Er<br />

überprüft das Bein und stellt die Diagnose, die ja schon Hans als<br />

medizinischer Laie erkannt hat, nach wenigen Sekunden: „Das ist eine<br />

Zerrung; Sie müssen mindestens drei Wochen pausieren, vielleicht<br />

sogar vier. Wie ist das passiert?“<br />

„Im Training.“<br />

„Ah, Sie betreiben eine Sportart?“<br />

„Ja, Fußball.“<br />

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„Gut, dann müssen Sie mindestens für vier Wochen aussetzen - bei <strong>der</strong><br />

Belastung, die ihr als Spieler immer habt.“<br />

„Ja, da haben Sie wohl recht.“<br />

Dann reibt ihm <strong>der</strong> Arzt den verwundeten Unterschenkel mit einer kühlen<br />

Salbe ein und verbindet ihn dann mit einem kaltbenetzten Verband, und<br />

als er damit fertig ist, sagt er in seinem schon gewohnt sachlichen Ton:<br />

„Sie müssen sich so bald wie möglich bei Ihrem Hausarzt melden und<br />

sich von ihm eine Dispens ausstellen lassen. So können Sie natürlich<br />

nicht arbeiten gehen.“<br />

„Auch wenn ich auf einer Bank tätig bin und keine schweren körperlichen<br />

Arbeiten verrichten muss?“<br />

„Ja, auch dann. Das Bein muss möglichst ruhig bleiben, damit die<br />

Zerrung bald verheilt. Das gilt vor allem für die erste Woche.“<br />

„Oh Schreck! Dass ich mit dem Spielen pausieren muss, ist klar, aber die<br />

vielen Chefs auf <strong>der</strong> Bank hören das sicher nicht gern, dass ich für vier<br />

Wochen ausfalle.“<br />

„So ist es eben, das ist das Leben. Bleiben Sie vorläufig noch ein<br />

bisschen liegen! Die Schwester kommt später noch einmal vorbei und<br />

schaut nach Ihnen.“<br />

Kaum hat <strong>der</strong> Arzt diese Worte gesagt, ist auch er wie<strong>der</strong> verschwunden,<br />

noch bevor Hans sich bei ihm richtig bedanken kann, und es<br />

verstreichen weitere zehn Minuten, bis seine Betreuerin von vorher<br />

wie<strong>der</strong> auftaucht.<br />

„Ah, <strong>der</strong> Arzt ist also schon bei Ihnen gewesen“, sagt auch sie recht<br />

sachlich, als sie den Verband sieht.<br />

„Einmal musste er ja wohl kommen“, gibt er schlagfertig zurück.<br />

„Es ist besser, Sie bleiben noch etwa eine Viertelstunde hier liegen,<br />

bevor Sie nach Hause gehen“, entgegnet sie ruhig, ohne auf seine<br />

versteckte Kritik einzugehen.<br />

„Nach Hause gehen?“, reagiert er fast belustigt, „wie stellen Sie sich das<br />

denn vor? Ruft ihr etwa von hier aus ein Taxi?“<br />

„Das müssen Sie schon allein erledigen.“<br />

„Vielen Dank, das ist wirklich freundlich.“<br />

Allmählich genießt er es, sie zu attackieren; er wird aber auch dazu<br />

provoziert.<br />

„Und wenn ich nicht einmal zu einem Taxi gehen kann?“, fragt er weiter.<br />

„Dann gehen Sie halt mit Stöcken. Wir können Ihnen ein paar geben, die<br />

werden dann über die Krankenkasse verrechnet.“<br />

„Das ist aber wirklich flott von euch.“<br />

Und schon ist auch sie wie<strong>der</strong> verschwunden und er bekommt sie nicht<br />

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mehr zu Gesicht. So bleibt er wie geheißen noch etwa eine Viertelstunde<br />

lang liegen. Seine leichte Verärgerung über diese recht kühle<br />

Behandlung durch die Krankenschwester und den Arzt verfliegt recht<br />

schnell, denn es genügt bereits ein einziger Gedanke an die Leute, die<br />

er draußen mit den Verbänden gesehen hat, und schon kann er sich<br />

sagen, dass er im Vergleich zu denen doch noch gut weggekommen ist.<br />

So ist es also, wenn man eine Zerrung hat, sagt er darauf zu sich selbst.<br />

Jetzt ist es ihm klar, warum ein Fußballer mit dieser Verletzung so lange<br />

mit dem Spielen aussetzen muss. Schon oft hat er von bekannten<br />

Spielern in einer Zeitung gelesen, dass sie wegen einer Zerrung drei bis<br />

vier Wochen ausfielen, und natürlich hat er das manchmal auch selbst in<br />

seinem Verein miterlebt, aber immer nur bei an<strong>der</strong>en Spielern. Erst jetzt<br />

weiß er aus eigener Erfahrung, wie das ist, und es ist ihm sofort klar,<br />

warum eine Heilung so lange dauert. Das eigentlich Interessante an<br />

einer Zerrung, aber auch an den meisten an<strong>der</strong>en Verletzungen, die sich<br />

Spieler zuziehen, ist jedoch die Tatsache, dass sie meistens während<br />

eines Trainings passieren und in den Spielen im Vergleich dazu nur<br />

selten. Liegt es wohl daran, dass die Belastung <strong>der</strong> Muskeln in einem<br />

Training manchmal größer ist als in einem Spiel selbst, weil es dort trotz<br />

des Spieldrucks möglich ist, zwischenzeitlich eine kleine Pause<br />

einzulegen, wenn nicht gerade in <strong>der</strong> Nähe <strong>der</strong> Position gespielt wird, wo<br />

<strong>der</strong> Trainer einen Spieler haben will? Hans hat sich das schon oft gefragt<br />

- und jetzt erst recht, da auch er zu den Verletzten gehört.<br />

Zuerst regt er sich noch ein wenig darüber auf, dass er für vier Wochen<br />

nicht mehr richtig wird gehen können und auch seinem Arbeitsplatz<br />

fernbleiben muss, doch dann sagt er sich, dass auch diese Verletzung<br />

ihre gute Seite hat. Die lange Zeit <strong>der</strong> Heilung gibt ihm schließlich die<br />

Möglichkeit, endlich einmal richtig vom Alltagsstress auszuspannen, und<br />

so kann er sich auch besser auf das konzentrieren, was die Christen an<br />

<strong>der</strong> Feldeggstraße ihm immer wie<strong>der</strong> erzählen. Nicht zuletzt kann er sich<br />

auch noch besser <strong>der</strong> Beziehung zu Ulrike widmen, insoweit sie selbst<br />

das will; er ertappt sich dabei, dass er sich sogar richtiggehend darauf<br />

freut. Vielleicht hat am Ende dieser Christengott ihm die Zerrung<br />

geschickt, damit er sich für einige Zeit besser als bisher um die Botschaft<br />

<strong>der</strong> Bibel und vor allem um die Frau kümmern kann, die er schon jetzt<br />

liebt und von <strong>der</strong> er nicht mehr lassen kann und auch nicht will.<br />

Nach einer Stunde ambulanter Behandlung in <strong>der</strong> Notfallabteilung<br />

verlässt er das Krankenhaus wie<strong>der</strong> und fühlt sich schon wie<strong>der</strong> etwas<br />

besser. Das zeigt sich vor allem darin, dass er gegenwärtig keine<br />

Schmerzen mehr spürt und ohne fremde Hilfe vom improvisierten Bett<br />

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heruntersteigen konnte. Da es ihm nun besser geht, verzichtet er darauf,<br />

ein Taxi zu rufen, son<strong>der</strong>n versucht, die nächstgelegene<br />

Straßenbahnstation zwar mit Stöcken, aber doch allein zu erreichen. Es<br />

geht zwar nur langsam vorwärts, doch er hat jetzt ja viel Zeit. Da die<br />

Praxis seines Hausarztes zu dieser Stunde natürlich schon geschlossen<br />

ist, kann er erst morgen zu ihm gehen und sich von ihm die Dispens<br />

ausstellen lassen.<br />

Als er endlich, nach einer Reise von einer Dreiviertelstunde, in seiner<br />

Wohnung angekommen ist, verliert er keine Zeit und beeilt sich, sowohl<br />

Erwin und Bruno als auch Ulrike telefonisch mitzuteilen, was an diesem<br />

Abend vorgefallen ist, damit sie Bescheid wissen, falls er sich am<br />

nächsten Wochenende nicht blicken lassen sollte. Er hat Glück, denn<br />

alle drei sind gerade zu Hause; sie zeigen echte Anteilnahme - und er<br />

hat insofern noch mehr Glück, als vor allem Ulrike echt besorgt ist, was<br />

ihn am meisten freut und tief bewegt.<br />

13<br />

Als Brigitte Frey, die vom Ältestenrat gewissermaßen auf Ulrike<br />

angesetzt worden ist, diese kurz nach dem Gottesdienst des folgenden<br />

Sonntags, an dem sie wie<strong>der</strong> einmal frei hat, etwas zur Seite nimmt und<br />

ihr sagt, dass sie mit ihr noch über etwas Bestimmtes sprechen wolle,<br />

reagiert sie zuerst etwas überrascht; sie kann sich eben nicht vorstellen,<br />

was sie gerade heute von ihr will. Da die beiden sich aber schon sehr gut<br />

kennen und Brigittes Ton diesmal an<strong>der</strong>s ist, beginnt sie allmählich zu<br />

ahnen, worauf diese hinauswill.<br />

Hans ist zwar erschienen, aber sie sind fast nicht dazu gekommen,<br />

miteinan<strong>der</strong> zu schwatzen - sie sind ja auch zu gut überwacht worden.<br />

So begibt er sich schon bald wie<strong>der</strong> nach Hause, nachdem ein paar sich<br />

noch bei ihm über seinen Gesundheitszustand erkundigt haben; er findet<br />

es äußerst interessant, dass seine Verletzung sich in <strong>der</strong> Gemeinde<br />

schon vor diesem Tag herumgesprochen hat, obwohl er eigentlich immer<br />

noch kein Mitglied ist, weil er sich ja immer noch nicht bekehrt hat. Er ist<br />

zwar leicht enttäuscht, dass er mit Ulrike nicht richtig sprechen konnte,<br />

aber sie haben wenigstens ihren Kontakt warmgehalten, und nicht<br />

zuletzt hat ihn die Art gefreut, wie sie sich bei ihm noch einmal<br />

ausführlich erkundigt hat, wie es ihm geht.<br />

Um sich mit Ulrike in aller Ruhe aussprechen zu können, lädt Brigitte sie<br />

spontan wie<strong>der</strong> einmal zum Mittagessen nach Hause ein, was schon<br />

197


lange nicht mehr vorgekommen ist, selbst nicht an Sonntagen, an denen<br />

Ulrike einen arbeitsfreien Tag hatte - auch das ist ein untrügliches<br />

Zeichen dafür, dass sie etwas Bestimmtes vorhat. Zum Glück herrscht<br />

heute strahlendes Wetter; so kann Brigitte ihren Mann, <strong>der</strong> über ihre<br />

Absicht natürlich schon Bescheid weiß, mit den Kin<strong>der</strong>n zum<br />

Spazierengehen hinausschicken, damit sie mit Ulrike ungestört sprechen<br />

kann.<br />

Sobald die beiden es sich auf einem <strong>der</strong> beiden Sofas im Wohnzimmer<br />

bequem eingerichtet haben, kommt Brigitte gleich zur Sache, ohne dass<br />

sie vorher über die Angelegenheit beten, wie das sonst unter den<br />

Evangelikalen üblich ist, wenn sie etwas Wichtiges zu besprechen<br />

haben. Auch aus diesem Grund ahnt Ulrike noch mehr - und erst recht<br />

dann, als Brigitte in einem recht hart wirkenden Ton beginnt, und zwar im<br />

heimischen Dialekt, weil sie weiß, dass ihre Freundin diesen ohne<br />

weiteres versteht: „Ulrike, ich möchte mit dir über etwas Ernsthaftes<br />

reden; darum habe ich dich heute auch zu <strong>uns</strong> eingeladen.“<br />

„Nur darum?“, fragt diese zurück, als wäre sie ahnungslos.<br />

„Ja, in erster Linie aus diesem Grund, weil es nur hier bei <strong>uns</strong> gut geht.“<br />

„Was willst du mir denn sagen?“<br />

„Kannst du es dir nicht vorstellen? Es ist wegen deiner Beziehung zu<br />

Hans Stettler.“<br />

Gerade die Erwähnung des Familiennamens zeigt Ulrike, dass es<br />

Brigitte offensichtlich bitterernst ist und zu Hans, den sie bisher immer<br />

mit dem Vornamen angeredet hat, wie<strong>der</strong> eine gewisse Distanz zu<br />

halten gedenkt.<br />

„Was soll denn daran beson<strong>der</strong>s sein?“, fragt jetzt auch sie in hartem<br />

Ton.<br />

„Du weißt doch genau, was ich meine. Ich möchte dir klar sagen, dass<br />

du diese Beziehung nicht weiter aufrechterhalten kannst.“<br />

„Warum nicht - und wer sagt das?“<br />

„Das ist doch klar: Du kannst nicht mit einem Ungläubigen gehen, das<br />

weißt du ganz genau.“<br />

Da schweigt Ulrike einen Moment; sie hat zwar etwas in dieser Richtung<br />

geahnt, hat aber nicht mit so knallharten Worten gerechnet, schon gar<br />

nicht von ihrer besten Freundin. Dann erholt sie sich jedoch, schaut<br />

Brigitte fest in die Augen und sagt heftig: „Es stimmt nicht, dass wir<br />

miteinan<strong>der</strong> gehen. Wenn jemand das behauptet, ist es falsch, ja, ich<br />

bezeichne es sogar als eine Lüge.“<br />

„Aber ihr geht doch regelmäßig zusammen aus.“<br />

„Ja, aber es läuft nichts zwischen <strong>uns</strong>; das kannst du mir glauben.“<br />

„Aber warum gehst du denn immer wie<strong>der</strong> mit ihm aus, wenn zwischen<br />

euch nichts läuft, wie du sagst?“<br />

198


„Weil ich ihn gern mag, das gebe ich zu, und weil ich ihm damit auch<br />

vom Evangelium erzählen kann.“<br />

„Muss das denn auf diese Art passieren? Kann es nicht in <strong>der</strong> Teestube<br />

sein? Abgesehen davon hätte es dafür auch noch an<strong>der</strong>e Leute, Erwin<br />

zum Beispiel, <strong>der</strong> schon ein paar Mal mit ihm geredet hat, wie ich gehört<br />

habe.“<br />

„Eine so harte Haltung von dir hätte ich nie erwartet, gerade von dir<br />

nicht. Du kannst mir glauben, dass zwischen <strong>uns</strong> nichts läuft. Wir bleiben<br />

beide auf Distanz - auch von seiner Seite aus -, und er hat noch nie<br />

versucht, mich zu umarmen o<strong>der</strong> sogar zu küssen.“<br />

„Aber es ist doch klar, dass er etwas Bestimmtes von dir will. Sonst<br />

würde er nicht solchen Wert darauflegen, mit dir auszugehen.“<br />

„Er mag mich eben auch, sogar beson<strong>der</strong>s gern, und er hat es mir auch<br />

schon gesagt. Aber es ist wirklich nie etwas gewesen zwischen <strong>uns</strong>, er<br />

ist eben ein anständiger Mann mit guten Manieren.“<br />

„Das kann sich schnell än<strong>der</strong>n, wenn er wirklich etwas von dir will. Warte<br />

es mal ab!“<br />

„Das ist aber gemein, wie du von ihm redest. Du hast doch heute auch<br />

gesehen, dass er fast nicht gehen kann und noch ein paar Wochen<br />

verletzt ist. Meinst du wirklich, ich könnte mich nicht wehren, wenn er zu<br />

weit gehen würde - jetzt mit seiner Verletzung?“<br />

„Die wird aber auch einmal verheilen - und wie wird es dann<br />

weitergehen? Hast du dir das schon mal gründlich überlegt?“<br />

„Du bist ungerecht; du richtest über ihn, ohne ihn näher zu kennen.<br />

Dabei weißt du nicht, wie er wirklich ist. Ich habe Vertrauen zu ihm, dass<br />

er nie zu weit gehen wird, solange ich selbst es nicht will - dazu ist er viel<br />

zu lieb.“<br />

„Lieb? Meinst du das wirklich so?“<br />

„Warum soll ich das nicht sagen? Ich finde ihn wirklich lieb, aber das<br />

muss noch lange nicht heißen, dass zwischen <strong>uns</strong> etwas läuft.“<br />

Nach diesen Worten schweigt Brigitte eine Weile und schaut die an<strong>der</strong>e<br />

prüfend an, die wie<strong>der</strong>um etwas ver<strong>uns</strong>ichert den Kopf senkt. Schließlich<br />

sagt sie langsam, indem sie Ulrike fest in die Augen schaut, als sie diese<br />

wie<strong>der</strong> erhebt: „Weißt du was? So wie du von ihm redest, bekomme ich<br />

immer mehr den Eindruck, dass du ihn nicht nur sehr gern magst,<br />

son<strong>der</strong>n dass deine Gefühle für ihn noch tiefer gehen, auch wenn du das<br />

vielleicht selber nicht weißt.“<br />

„Worauf willst du hinaus?“<br />

„Ich merke es dir doch an, dass du ihn insgeheim liebst, auch wenn du<br />

sagst, dass zwischen euch nichts läuft.“<br />

„Das habe ich aber nicht gesagt!“<br />

„Direkt zwar nicht, aber es ist dir anzumerken. Mach mir doch nichts vor,<br />

199


Ulrike! Dafür kenne ich dich schon viel zu lange. Ich sage es dir ganz<br />

klar: Du liebst ihn.“<br />

Da Ulrike sich völlig überrumpelt fühlt und deshalb nicht gleich antwortet,<br />

setzt Brigitte nach: „Sag mir ehrlich: Liebst du ihn?“<br />

Lange überlegt sich Ulrike eine Antwort, denn sie hat nicht mit einem<br />

solchen Frontalangriff gerechnet. Es dauert mehr als eine halbe Minute,<br />

bis sie sich schließlich zu diesen Worten durchringt: „Wenn du mich<br />

schon so direkt fragst ... ich weiß nicht so recht ... ich glaube ja ... du<br />

hast Recht … ja, ich liebe ihn.“<br />

Sie liebt ihn also doch! Jetzt hat sie es selbst gesagt. Plötzlich fühlt sie<br />

sich von einer Last befreit, jetzt, da das, was sie im Innersten bereits<br />

gefühlt hat und sich selbst nie eingestehen wollte, aus ihr<br />

herausgekommen und in Worte gekleidet worden ist. Sie liebt Hans also<br />

wirklich, auf einmal ist ihr das klar geworden!<br />

Schnell wird sie jedoch auf den Boden <strong>der</strong> Tatsachen zurückgeholt, als<br />

sie wie aus <strong>der</strong> Ferne Brigittes harte Worte hört: „Also doch! Das macht<br />

das Ganze noch schlimmer.“<br />

„Was meinst du damit?“, fragt Ulrike erneut in ebenso hartem Ton.<br />

„Du weißt doch selber gut genug, dass du keinen Ungläubigen heiraten<br />

kannst.“<br />

„Wer redet denn von Heiraten? Du fängst damit an!“<br />

„Mach mir doch nichts vor! Du bist schon bald 30-jährig; da ist es logisch,<br />

dass eine gläubige Frau in deinem Alter ganz konkret an eine Heirat<br />

denkt, wenn sie sich in einen Mann verliebt, und erst recht dann, wenn<br />

<strong>der</strong> Mann sie auch liebt. Er liebt dich doch auch - o<strong>der</strong> etwa nicht? Sonst<br />

wäre er nicht so hinter dir her und es ist ihm auch deutlich anzumerken,<br />

dass er für dich etwas übrighat.“<br />

„Ja, er hat mir schon gesagt, dass er mich liebt, und ich habe es gespürt,<br />

dass er es ehrlich gemeint hat.“<br />

„Siehst du! Das habe ich mir gedacht. Also ist es logisch, dass ihr beide<br />

früher o<strong>der</strong> später von einer Heirat reden werdet. Immerhin würdet ihr<br />

rein äußerlich gesehen nicht schlecht zusammenpassen.“<br />

„Daran habe ich bis heute aber nie gedacht, das kannst du mir glauben.“<br />

„Aber früher o<strong>der</strong> später wird das sicher kommen. Und was dann? Wie<br />

stellst du dir eine Zukunft mit einem Mann vor, <strong>der</strong> nicht an den Herrn<br />

glaubt? Ich kann dir nur raten, diesen Fehler nicht zu machen; du<br />

würdest dein Leben lang nur unglücklich sein. Es gibt schon genug<br />

an<strong>der</strong>e Paare mit einem ungläubigen Mann und einer unglücklichen<br />

Frau.“<br />

„Er kann sich doch auch einmal bekehren.“<br />

„Ja, das schon - aber bist du da so sicher? Und wenn er es nicht tut und<br />

vielleicht sein ganzes Leben lang nicht? Es steht doch im Wort ganz klar,<br />

200


dass wir <strong>uns</strong> nicht mit Ungläubigen zu einer Ehe verbinden sollen, und<br />

das weißt du ganz genau. Ich habe schon zu viele solche Ehepaare<br />

gesehen, bei denen die Frau meinte, ihr Mann würde sich irgendwann<br />

schon einmal bekehren, und er tat es doch nie. Wozu auch? Er hatte es<br />

ja bequem mit einer Frau, die als Gläubige zu ihm stand und sich für ihn<br />

aufopferte. Okay, wenn sie erst nach <strong>der</strong> Heirat zum Glauben kommt, ist<br />

das etwas an<strong>der</strong>es, aber solange sie noch allein ist, sollte sie zuerst<br />

abwarten, bis er sich bekehrt, o<strong>der</strong> lieber nicht heiraten, auch wenn sie<br />

glaubt, sie liebe ihn <strong>uns</strong>terblich. Es ist schon schwer genug, wenn ein<br />

gläubiger Mann eine ungläubige Frau hat, doch das ist weniger<br />

schwerwiegend, weil nach allen Erfahrungen viele dieser Frauen sich<br />

früher o<strong>der</strong> später auch noch bekehren, aber umgekehrt ist es viel<br />

schlimmer. Glaub mir, Ulrike, ich weiß, wovon ich rede! Darum bitte ich<br />

dich: Mach dich nicht unglücklich, auch wenn du ihn liebst! Warte lieber<br />

noch ein bisschen ab, bevor du deine Beziehung zu ihm noch weiter<br />

vertiefst!“<br />

„Du kannst das alles leicht sagen; schließlich hast du einen Mann und<br />

bist erst noch glücklich mit ihm, und dazu hast du noch zwei herzige<br />

Kin<strong>der</strong>. Ich aber bin allein und muss auf all dies verzichten, und an<br />

jedem Wochenende muss ich mitansehen, wie glücklich ihr und an<strong>der</strong>e<br />

Familien seid. Dann wird es mir jedes Mal umso deutlicher bewusst, wie<br />

allein ich bin, je älter ich werde. Kannst du dir nicht vorstellen, wie<br />

schwer das für mich ist, o<strong>der</strong> hast du schon vergessen, wie es war, als<br />

auch du noch ledig warst und dich nach einem lieben Mann gesehnt<br />

hast? Wie viele Male haben wir doch darüber geredet und zusammen<br />

dafür gebetet, dass wir beide in dieser Beziehung glücklich werden!“<br />

Jetzt überlegt auch Brigitte eine ganze Weile, was sie darauf antworten<br />

soll, bis sie schließlich diese Worte findet und langsam vorbringt: „Ich<br />

muss dir etwas sagen, Ulrike: Du hast Recht damit, dass ich es schön<br />

habe, weil ich einen lieben Mann und zwei herzige Kin<strong>der</strong> habe, und ich<br />

bin Gott auch dankbar dafür, dass ich so glücklich sein darf. Allerdings<br />

ist es ein Glück, das einem nicht wie selbstverständlich in den Schoß<br />

fällt, son<strong>der</strong>n eines, das jeden Tag und manchmal auch jede Nacht neu<br />

erkämpft werden muss, auch unter gläubigen Ehepaaren. Das können<br />

nur solche richtig verstehen, die selber auch verheiratet sind.“<br />

„Was meinst du denn mit diesem Erkämpfen, wenn ich schon so<br />

unwissend bin, wie du das ausdrückst?“<br />

„Glaubst du wirklich, in einer Ehe sei alles immer nur ein<br />

Zuckerschlecken, auch wenn man sich liebt und erst noch gläubig ist?<br />

Auch bei <strong>uns</strong> gibt es manchmal Reibereien und ab und zu auch Streit,<br />

aber im Gegensatz zu den Paaren, die den Herrn nicht kennen, können<br />

wir alle <strong>uns</strong>ere Probleme vor ihn bringen und sie mit seiner Hilfe lösen.<br />

201


Das ist sicher <strong>der</strong> Hauptgrund dafür, dass es unter den Gläubigen nicht<br />

zu so vielen Scheidungen kommt wie in <strong>der</strong> Welt draußen, aber auch wir<br />

müssen jeden Tag von neuem für <strong>uns</strong>er Glück kämpfen. Gerade<br />

gläubige Ehepaare haben es in Wirklichkeit noch viel schwerer als<br />

ungläubige, weil wir <strong>uns</strong> nicht einfach scheiden lassen und dann wie<strong>der</strong><br />

verheiraten können wie die an<strong>der</strong>en, und auch das weißt du ja genau,<br />

weil es so geschrieben steht. Der Feind weiß das natürlich ebenfalls und<br />

versucht darum umso mehr, <strong>uns</strong> anzugreifen und zwischen die Männer<br />

und Frauen einen Keil zu treiben, und wenn es ihm tatsächlich einmal<br />

gelingt, ist seine Freude umso größer. Lei<strong>der</strong> kommt es so manchmal<br />

auch unter gläubigen Ehepaaren zu einer Scheidung, aber zum Glück<br />

nur selten.<br />

Zu all dem kommt noch etwas, das immer wie<strong>der</strong> gern vergessen wird:<br />

Auch gläubige Ehepaare haben keinen Garantieschein von oben, dass<br />

sie viele Jahre zusammenbleiben können, auch wenn sie fest<br />

zusammenhalten und dem Herrn treu dienen. Ich habe schon selber<br />

Paare gekannt, bei denen ein Partner monatelang o<strong>der</strong> gar jahrelang<br />

schwerkrank war o<strong>der</strong> frühzeitig starb, und <strong>der</strong> Mann o<strong>der</strong> die Frau<br />

standen dann auf einmal allein da, und oft noch mit Kin<strong>der</strong>n dazu.<br />

Meistens sind sie dann schon in einem Alter, in dem es für eine neue<br />

Ehe schon zu spät ist, und für die Frauen trifft das erst recht zu. Auch<br />

das ist ein schwerer Kampf, <strong>der</strong> auszufechten ist und den die Ledigen<br />

sich gar nicht vorstellen können, weil sie in den meisten Fällen ja nur für<br />

sich selber sorgen müssen.<br />

Und wenn ich schon von Kin<strong>der</strong>n geredet habe, muss ich dir auch noch<br />

das sagen: Solange jemand alleinstehend ist, kann er o<strong>der</strong> sie immer<br />

irgendwie einen <strong>Weg</strong> finden, um sich mit allen Leuten zu arrangieren.<br />

Damit meine ich vor allem die lieben Nachbarn, die wir <strong>uns</strong> eben nicht<br />

aussuchen können. Es ist schon schwer genug, mit allen<br />

zurechtzukommen, wenn man verheiratet ist, weil vor allem wegen <strong>der</strong><br />

Benützung <strong>der</strong> Waschküche oft gestritten wird, aber wenn dann noch<br />

Kin<strong>der</strong> dazukommen, wird es noch viel schwerer. Du kannst dir gar nicht<br />

vorstellen, was da alles auf <strong>uns</strong> zukommt, und vor allem auf die Frauen,<br />

die ja meistens allein für den Haushalt und die Kin<strong>der</strong> sorgen, und die<br />

gläubigen erst recht, weil ja die meisten Männer arbeiten. Immer wie<strong>der</strong><br />

wird ein Kind krank, so dass du manchmal den Mann anrufen und ihn<br />

vom Arbeitsplatz wegrufen musst, und immer wie<strong>der</strong> musst du zu einem<br />

Arzt rennen, in den ersten Jahren mit den vielen Impfungen sowieso.<br />

Aber das ist noch längst nicht alles: Früher o<strong>der</strong> später kommt es zu<br />

einem heftigen Streit mit Nachbarn, weil die Kin<strong>der</strong> halt Lärm machen<br />

o<strong>der</strong> auch nur laut weinen, und schlimm wird es vor allem dann, wenn es<br />

mit bösartigen Kin<strong>der</strong>n von ungläubigen Eltern Streit gibt, weil dann auch<br />

die Eltern plötzlich zu Feinden werden, falls sie es nicht schon vorher<br />

202


waren, und wenn sie einmal in den Kin<strong>der</strong>garten und in die Schule<br />

gehen, wird alles noch viel schlimmer, weil du dann die Kin<strong>der</strong> nicht<br />

mehr den ganzen Tag unter deiner Aufsicht hast und so nie weißt, ob<br />

eines deiner Kin<strong>der</strong> nicht irgendwann von einem Rüpel<br />

zusammengeschlagen wird. Man hört und liest ja allerhand in den<br />

Zeitungen darüber, und das Himmeltraurige am Ganzen ist, dass du in<br />

einem solchen Fall von den Behörden und sogar von <strong>der</strong> Polizei<br />

meistens im Stich gelassen wirst, an<strong>der</strong>erseits aber auch nicht<br />

Selbstjustiz üben darfst, obwohl das manchmal die einzige richtige<br />

Lösung wäre - Glaube hin o<strong>der</strong> her. Ich sehe das ja bei meinem älteren<br />

Kind, das jetzt in den Kin<strong>der</strong>garten geht. Es ist zwar noch nichts<br />

Schlimmes passiert, aber du musst trotzdem jeden Tag zittern, und wenn<br />

ich daran denke, dass meine Kin<strong>der</strong> einmal wegen ihres Glaubens<br />

Schwierigkeiten bekommen, wenn jemand mit einem an<strong>der</strong>en Glauben<br />

o<strong>der</strong> aus dem esoterischen Lager sie unterrichtet, und vielleicht aus<br />

diesem Grund trotz guter Noten keine höhere Schule besuchen dürfen<br />

wie früher in den kommunistischen und noch heute in den islamischen<br />

Staaten, wird mir noch angst und bange. Du weißt ja auch gut genug, in<br />

was für einer Zeit wir heute leben, wie sich das Antichristentum immer<br />

mehr zusammenbraut ... Nein, Ulrike, so leicht, wie du glaubst, ist es<br />

auch unter <strong>uns</strong> Gläubigen nicht, verheiratet zu sein, und erst recht dann<br />

nicht, wenn noch Kin<strong>der</strong> dazukommen.“<br />

Nach diesen Worten schweigen beide eine ganze Weile und es fällt<br />

ihnen erst jetzt ein, dass auf dem Marmortischchen vor ihnen immer<br />

noch zwei bis an den Rand gefüllte Gläser Limonade stehen, die sie vor<br />

lauter Reden noch gar nicht berührt haben.<br />

Nachdem sie beide endlich etwas getrunken haben, nimmt Ulrike den<br />

Faden wie<strong>der</strong> auf: „Ich danke dir, Brigitte, dass du so klar geredet und all<br />

diese Probleme vorgebracht hast. Ich muss zugeben, dass ich viel zu<br />

wenig an all dies gedacht habe. Aber jetzt muss auch ich dir etwas<br />

sagen: Auch wenn so viele Probleme zu lösen sind, haben wir doch<br />

immer noch den Herrn, <strong>der</strong> <strong>uns</strong> dabei hilft, wie du vorher selbst gesagt<br />

hast. Wenn wir <strong>uns</strong> jedes Mal von vornherein von allem abschrecken<br />

lassen, was auf <strong>uns</strong> zukommen kann, auch wenn wir gläubig sind,<br />

müssen wir schon gar nicht erst heiraten; dann hättest auch du nicht<br />

heiraten und Kin<strong>der</strong> haben müssen. Wir haben doch ihn, <strong>der</strong> <strong>uns</strong> immer<br />

treu ist und <strong>uns</strong> aus allem heraushilft, wenn wir ihn nur darum bitten.<br />

Darum bin ich zuversichtlich, dass er mir auch in einer solchen Lage<br />

helfen wird; ja, Brigitte, ich habe keine Angst vor dem, was auf mich<br />

zukommt. In meinen Augen ist ein Glaube, <strong>der</strong> wegen je<strong>der</strong><br />

Schwierigkeit gleich ins Zittern gerät, ohnehin so schwach, dass die<br />

Betreffenden sich mal ernsthaft fragen müssen, ob die Ursachen für ihre<br />

Ängste nicht gerade darin liegen.“<br />

203


Darauf fragt Brigitte nach kurzem Zögern, indem sie Ulrike wie<strong>der</strong> einmal<br />

scharf in die Augen schaut: „Willst du damit etwa sagen, dass du am<br />

Ende doch vorhast, diesen Hans zu heiraten?“<br />

„Wie redest du denn von ihm?“, entgegnet diese denn auch entrüstet, „er<br />

ist nicht ‚dieser Hans’, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Mann, den ich liebe. Du hast das<br />

schließlich selbst gesagt - und erst noch vor mir.“<br />

Wie<strong>der</strong> schweigen beide eine Weile, bis Brigitte langsam sagt, aber ohne<br />

Ulrike offen in die Augen zu schauen: „Ja, ich merke es dir deutlich an,<br />

dass du ihn wirklich liebst. Vielleicht ist er sogar <strong>der</strong> Mann, den <strong>der</strong> Herr<br />

dir noch schenken will, auch wenn er jetzt noch nicht gläubig ist.“<br />

„Er kann es ja immer noch werden“, wirft Ulrike sofort dazwischen, „es<br />

geschehen doch immer wie<strong>der</strong> Wun<strong>der</strong>, gerade was Bekehrungen<br />

betrifft.“<br />

„Das wäre sicher herrlich für dich und natürlich auch für ihn. Trotzdem<br />

möchte ich dich nochmals bitten: Überstürz nichts, warte noch ein<br />

bisschen, bis er sich vielleicht wirklich bekehrt! Versprichst du mir das?<br />

Ich will doch nur dein Glück, das darfst du mir glauben.“<br />

„Meinst du nicht, ich wüsste nicht selbst sehr genau, was ich will? Du<br />

solltest mich besser kennen. Natürlich ist seine Bekehrung die<br />

Bedingung - vorher bekommt er mich nicht, und mag er noch so nett und<br />

sympathisch sein. Ich habe ihm das auch schon deutlich genug zu<br />

verstehen gegeben. Es ist mir klar, dass eine schwere Zeit <strong>der</strong> Prüfung<br />

und Bewährung auf mich zukommt.“<br />

„Das beruhigt mich - also ist doch nicht alles so schlimm, wie es zuerst<br />

ausgesehen hat.“<br />

„Wie meinst du das?“, fragt Ulrike sofort, da Brigitte plötzlich leiser<br />

geworden und auch ihr Ton an<strong>der</strong>s ist; zudem wagt sie es nicht einmal<br />

mehr, sie offen anzuschauen.<br />

„Ulrike, ich muss dir etwas gestehen“, antwortet sie schließlich nach<br />

einer geraumen Weile, „die Idee, mit dir über deine Beziehung zu Hans<br />

zu reden, ist nicht allein von mir gekommen, aber immerhin zum Teil<br />

doch auch von mir.“<br />

„Mit an<strong>der</strong>en Worten heißt das also, dass du vorgeschickt und auf mich<br />

angesetzt worden bist? Und ich habe schon gedacht, es wäre ein<br />

vertrauliches Gespräch, von dem nur wir zwei und dein Mann wissen<br />

und das unter <strong>uns</strong> bleibt. Wirklich, das hätte ich nie von dir erwartet,<br />

dass du dich für sowas missbrauchen lässt!“<br />

„Wenn ich es nicht getan hätte, dann hätte früher o<strong>der</strong> später einer <strong>der</strong><br />

Ältesten mit dir darüber geredet. Mach dir doch nichts vor! In <strong>der</strong> ganzen<br />

Gemeinde wird schon über euch zwei getuschelt und hinten herum<br />

geredet. Weil die Ältesten aber wissen, dass wir zwei gute Freundinnen<br />

204


sind, und weil ich eine <strong>der</strong> Leiterinnen <strong>der</strong> Frauengruppe bin, also auch<br />

schon eine gewisse Position habe, bin ich gebeten worden, als Erste mit<br />

dir zu reden, aber du kannst mir glauben, dass ich das unabhängig<br />

davon auch schon selber vorhatte.“<br />

„Trotzdem ist es nicht freundschaftlich, wie du vorgegangen bist. Du<br />

hättest mir das wenigstens gleich am Anfang sagen müssen.“<br />

„Jetzt weiß ich auch, dass ich einen Fehler gemacht habe, aber ich habe<br />

vorher wirklich nicht gewusst, dass du ihn schon so liebst. Glaub mir,<br />

Ulrike, ich will wirklich nur dein Bestes!“<br />

„Du hast mich aber trotzdem hintergangen, als etwas an<strong>der</strong>es kann ich<br />

das nicht sehen. Und du willst meine beste Freundin sein? Ihr urteilt alle<br />

über Hans, als würdet ihr ihn schon so gut kennen, und vergesst dabei,<br />

dass <strong>der</strong> Herr vielleicht gerade mich benützen will, um ihm den Heilsweg<br />

zu zeigen, auch wenn das auf diese ungewöhnliche Weise geschieht.“<br />

Dann hält sie kurz inne und sagt dann weiter: „Du kannst deinen<br />

Auftraggebern ausrichten, dass ich sehr wohl selbst weiß, was ich zu tun<br />

habe, und wenn ihr mit eurem Gerede nicht endlich aufhört, trete ich aus<br />

<strong>der</strong> Gemeinde aus und suche mir eine an<strong>der</strong>e, wo die Leute toleranter<br />

sind und das Wort ‚Nächstenliebe’ auch wirklich ernst nehmen. Damit<br />

habe ich alles gesagt.“<br />

Jetzt erhebt sie sich entschlossen und will sich schon zur Ausgangstür<br />

begeben, doch da steht Brigitte ebenfalls sofort auf und stellt sich ihr in<br />

den <strong>Weg</strong>, indem sie beide Hände auf ihre Schultern legt.<br />

Dann bittet sie in geradezu flehendem Ton: „Ulrike, bitte geh nicht weg!<br />

Ich weiß, dass ich falsch vorgegangen bin, und es tut mir wirklich leid.<br />

Bitte vergib mir! Du bist doch schon seit vielen Jahren meine beste<br />

Freundin - und ich will dich nicht als Freundin verlieren. Ich kenne dich<br />

schon so lange, schon seit <strong>der</strong> Zeit, als ich noch jung im Glauben war<br />

und du mein Vorbild warst, auch wenn ich älter bin als du, weil du schon<br />

viel länger gläubig bist und ich so viel von dir lernen konnte. Glaub mir,<br />

ich wünsche mir nichts sehnlicher, als dass auch du noch einen lieben<br />

Mann bekommst, mit dem du glücklich werden kannst! Jetzt weiß ich,<br />

wie sehr du Hans liebst, und dass du dich auch darum bemühst, ihn zum<br />

Herrn zu führen. Ich gebe ja auch zu, dass er nett und sympathisch ist,<br />

und man sieht es euch an, dass ihr gut zusammenpassen würdet. Aber<br />

ich bitte dich noch einmal: Warte zuerst, bis er sich wirklich bekehrt,<br />

bevor ihr eure Beziehung vertieft! Ich will dir dabei helfen und gezielt für<br />

ihn beten, damit auch er zum Herrn findet.“<br />

Die beiden haben fast nicht bemerkt, dass ihre Augen sich unterdessen<br />

mit Tränen gefüllt haben. Es wird ihnen erst bewusst, als sie sich fast<br />

nicht mehr sehen.<br />

205


„Du stehst also hinter mir und willst auch für ihn und <strong>uns</strong> beide beten?“,<br />

fragt Ulrike schließlich erleichtert.<br />

„Ja, das will ich tun - ich verspreche es dir.“<br />

„Danke, Brigitte! Du bist halt doch noch meine beste Freundin.“<br />

„Versprichst du mir aber auch das, worum ich dich bitte?“<br />

„Aber natürlich, du solltest mich doch langsam kennen.“<br />

Damit steht einer Versöhnung nichts mehr im <strong>Weg</strong> und bevor Ulrike nach<br />

Hause geht, küssen sich die beiden Frauen mehrmals auf beide Wangen<br />

und umarmen sich so innig, wie nur zwei enge Freundinnen das tun<br />

können, und verharren so mehr als eine halbe Minute lang. Dann knien<br />

sie beide vor dem Sofa nie<strong>der</strong>, auf dem sie gesessen haben, und beten<br />

zusammen ein paar Minuten.<br />

14<br />

Nachdem Ulrike sich von Brigitte verabschiedet hat und in ihrem Wagen<br />

sitzt, ist sie so unruhig und aufgewühlt wie lange nicht mehr, ja, sie fühlt<br />

sich auf einmal nie<strong>der</strong>geschlagen und schrecklich allein, und zwar so<br />

allein, dass sie meint, auch ihr bisher unerschütterlicher Glaube an Gott<br />

und an Jesus Christus könne ihr jetzt nicht mehr weiterhelfen. Noch nie<br />

zuvor hat sie so gründlich über ihr ganzes Leben nachgedacht wie in<br />

diesen Stunden; sie fühlt, dass sie sich in einer so verflixt schwierigen<br />

Lage befindet, aus <strong>der</strong> sie nur befreit werden kann, wenn sie die<br />

richtigen Entscheidungen trifft.<br />

Doch was ist schon eine richtige Entscheidung, wenn eine Frau, die<br />

jahrelang auf einen Mann gewartet hat, <strong>der</strong> sie liebt und den auch sie<br />

lieben kann, jetzt endlich einen solchen gefunden zu haben scheint und<br />

trotzdem noch nicht voll zu dieser Liebe stehen kann? Sobald sie zu<br />

Hause angekommen ist, legt sie sich auf das Bett, starrt bewegungslos<br />

an die Decke und beginnt zu grübeln. Das ist es also, von dem sie so oft<br />

geträumt hat, von dem sie sich jedoch nie etwas Klares vorstellen<br />

konnte, weil sie es bisher nie richtig erlebt hat. Das ist also die Liebe,<br />

dieses son<strong>der</strong>bare Gefühl - diese Schmetterlinge im Bauch, wie viele<br />

an<strong>der</strong>e und vor allem Frauen das so nennen -, das sie sich auch deshalb<br />

nie recht vorstellen konnte, weil sie sich zum Teil auch dagegen<br />

gesträubt hat, solange sie nicht den Mann fand, bei dem sie sicher sein<br />

konnte, dass er <strong>der</strong> Mann ihres Lebens werden könnte. Jetzt, da Brigitte<br />

sie buchstäblich zur Rede gestellt und sie direkt gefragt hat, ob sie Hans<br />

liebt, ist es heraus; jetzt ist <strong>der</strong> noch hemmende Knoten geplatzt und sie<br />

weiß im Innersten ihres Herzens, dass sie ihn wirklich liebt und sich nicht<br />

mehr dagegen wehren kann. Der alte und immer wie<strong>der</strong> gern zitierte<br />

206


Spruch „Wo die Liebe hinfällt ...“ hat sich auch bei ihr bewahrheitet, und<br />

wenn sie sich selbst gegenüber ehrlich sein will, ist sie darüber sogar<br />

erleichtert, weil sie endlich dieses Gefühl und diese Bauchschmetterlinge<br />

auch kennen lernen darf.<br />

Kann sie aber wirklich erleichtert sein, wenn sie bedenkt, dass Hans<br />

ihren Glauben gar nicht teilt, dass er ihn zwar akzeptiert und das auch<br />

schon bewiesen hat, aber eben sich noch nicht zum Herrn bekehrt hat<br />

und keine Anstalten zeigt, es in absehbarer Zeit tun zu wollen? Ist es<br />

nicht ein gewisses Risiko, ihre Liebe ausgerechnet ihm zu schenken?<br />

Wie<strong>der</strong> denkt sie an diesen Spruch und erinnert sich daran, dass sie<br />

schon mannigfaltige Geschichten über Frauen gelesen hat, die sich auf<br />

son<strong>der</strong>barste Weise in Männer verliebten, und dass dies buchstäblich<br />

aus heiterem Himmel geschah. Da las sie einmal von einer Frau, die sich<br />

allein durch das Lesen eines Liebesromans nicht etwa in einen Mann<br />

aus <strong>der</strong> Geschichte verliebte, son<strong>der</strong>n in den Autor, obwohl sie diesen<br />

überhaupt nicht kannte, und darauf alles daransetzte, um ihn persönlich<br />

kennen zu lernen, und es nach monatelangen Geduldsproben auch<br />

tatsächlich schaffte - allerdings stand dann nirgendwo geschrieben, ob<br />

es zwischen ihr und dem Autor tatsächlich eine neue Liebesbeziehung<br />

gab. Dazu hat sie auch von mehreren Frauen gehört, die sich in<br />

Kriminelle und teilweise sogar in mehrfache Mör<strong>der</strong> verliebten, ohne<br />

dass sie das zunächst wollten.<br />

Ja, wenn eine Frau wirklich liebt, tut sie das gründlich, selbst wenn <strong>der</strong><br />

betreffende Mann eine so innige Liebe manchmal gar nicht verdient hat.<br />

Ulrike hat bis heute nie begreifen können, dass einer Frau so etwas<br />

passieren und sie sich in einen unbekannten Autor o<strong>der</strong> gar in einen<br />

Mör<strong>der</strong> verlieben konnte - und erst recht in einen solchen, <strong>der</strong> sich auf<br />

Frauenmorde spezialisiert hatte -, und jetzt befindet sie sich plötzlich<br />

selbst in einer ähnlichen Lage. Dabei besteht natürlich <strong>der</strong><br />

entscheidende Unterschied darin, dass Hans sicher ein rechtschaffener<br />

und ehrlicher Mann ist, <strong>der</strong> sich noch nie etwas gegen Mitmenschen<br />

zuschulden kommen ließ, <strong>der</strong> auch gut und sportlich aussieht, nett und<br />

gebildet ist und gute Manieren hat, die er sich zum Teil wohl auch auf<br />

den Banken angeeignet hat, in denen er arbeitete. Es würde also sehr<br />

viel, wenn nicht gar alles dafür sprechen, dass die beiden füreinan<strong>der</strong><br />

geschaffen sind - aber eben, etwas Entscheidendes steht immer noch<br />

zwischen ihnen. In ihrem Kopf dreht sich alles, während ihr Herz wild<br />

pocht, und auf einmal fühlt sie sich wie<strong>der</strong> in eine tiefe und unendlich<br />

scheinende Trauer versetzt. Kann sie es riskieren, einen Mann zu<br />

heiraten, den sie zwar liebt und <strong>der</strong> sie offensichtlich auch liebt, <strong>der</strong> aber<br />

noch immer ein Ungläubiger ist? Ist es wirklich eine Prüfung für sie, wie<br />

207


ihre beste Freundin das so ausgedrückt hat? Ja, Brigitte hat leicht reden,<br />

sie mit ihrem Ehemann und den beiden Kin<strong>der</strong>n, die ihr Leben ausfüllen<br />

und glücklich machen - und dennoch könnte sie Recht haben.<br />

Noch einmal denkt sie an die Zeit zurück, als sie schon als zehnjähriges<br />

Mädchen sich ganz bewusst zu Jesus Christus bekehrte und ihm ihr<br />

Leben anvertraute, und all die Jahre hindurch hat sie seine Führung und<br />

auch seine Liebe immer wie<strong>der</strong> neu erfahren können. Nein, sie musste<br />

ihre Bekehrung nie bereuen, auch wenn sie bis heute noch nie einen<br />

richtigen Freund hatte und nicht wenige ungläubige Freunde und<br />

Bekannte sowohl in Deutschland als auch in <strong>der</strong> Schweiz ihr mehr als<br />

einmal gesagt haben, sie würde am wirklichen Leben vorbeigehen. Sie<br />

war dem Herrn immer treu verbunden und hat es dabei auch in Kauf<br />

genommen, dass sie allein und immer noch eine Jungfrau geblieben ist,<br />

aber sie hat in Gedanken und oft auch im Gebet fest darauf vertraut,<br />

dass er ihr eines Tages doch noch einen Mann zuführen wird, dem sie<br />

ihre ganze Liebe schenken kann, wenn er den Zeitpunkt für gekommen<br />

hält.<br />

Ist es jetzt tatsächlich so weit o<strong>der</strong> ist es nur eine Prüfung, weil es ihr am<br />

Ende vielleicht doch vorbestimmt ist, ihr ganzes Leben lang ledig und<br />

damit auch eine Jungfrau zu bleiben, wie das schon mit unzähligen<br />

gläubigen Frauen in allen Jahrhun<strong>der</strong>ten so geschehen ist? Gibt es aber<br />

so etwas wie eine Vorbestimmung? Kann es <strong>der</strong> Herr wirklich wollen,<br />

dass eine gesunde und normal empfindende Frau o<strong>der</strong> auch ein Mann,<br />

<strong>der</strong> die gleichen Qualitäten hat, allein bleiben, auch wenn sie sich im<br />

tiefsten Grund ihres Herzens nach einem Lebenspartner<br />

beziehungsweise nach einer Lebenspartnerin sehnen? Hat Gott nicht<br />

<strong>uns</strong> allen auch in dieser Beziehung die freie Entscheidung gelassen, wie<br />

wir <strong>uns</strong>er Leben gestalten sollen?<br />

Da fallen ihr wie<strong>der</strong> die zwei Prediger ein, die seinerzeit die Kühnheit<br />

aufbrachten, das Thema „Ledig bleiben o<strong>der</strong> heiraten“ aufzugreifen,<br />

wobei sie vor allem die Frauen im Visier hatten. Während <strong>der</strong> eine dies<br />

während einer großen öffentlichen Versammlung tat, geschah es beim<br />

an<strong>der</strong>en in einem viel kleineren Kreis, in dem alle einan<strong>der</strong> persönlich<br />

kannten, so dass das Ganze umso peinlicher wirkte. Da meinten die<br />

beiden tatsächlich, gewissen Frauen sei es vorbestimmt, das Opfer zu<br />

bringen und ledig zu bleiben, wobei <strong>der</strong> letztere noch hinzufügte, dass<br />

Gott schließlich wisse, was für sie alle das Beste sei. Dabei waren sie<br />

selbst natürlich verheiratet und mussten sich somit nicht in die<br />

verzweifelte seelische Lage versetzen, in <strong>der</strong> Ulrike selbst und viele<br />

an<strong>der</strong>e Frauen sich befanden o<strong>der</strong> immer noch befinden. Sie erinnert<br />

208


sich noch daran, dass an diesen beiden Abenden nicht nur sie selbst,<br />

son<strong>der</strong>n auch noch manche an<strong>der</strong>e Frau bleich wurde und sie alle<br />

auffallend bedrückt den Saal verließen, ein paar davon sogar mit Tränen<br />

in den Augen. Es ist nun einmal eine traurige Tatsache, dass <strong>der</strong> harte<br />

Kampf in <strong>der</strong> Mission draußen, in <strong>der</strong> es seit jeher viel zu wenige<br />

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gibt, die bereit sind, in die weite Welt<br />

hinauszuziehen, nicht wenige Prediger zu hartherzigen Pharisäern und<br />

Schriftgelehrten gemacht hat, denen es meistens selber gut geht und die<br />

diese seelische Notlage, in <strong>der</strong> sich viele Männer und vor allem Frauen<br />

befinden, nicht o<strong>der</strong> nicht mehr kennen. Dabei sind die meisten von<br />

ihnen ja durchaus bereit, dem Herrn von ganzem Herzen zu dienen und<br />

ihm nachzufolgen, wohin auch immer er sie führen will - aber muss auf<br />

diese harte, wenn nicht gar brutale Weise nachgeholfen werden, als<br />

brauchte es Gott dazu nicht mehr? Es sollte doch jedem Mann und je<strong>der</strong><br />

Frau gestattet sein, diese wichtigen Entscheidungen für sich selbst und<br />

nicht für die an<strong>der</strong>en zu treffen, so wie es jedem einzelnen<br />

Menschenwesen auch freisteht, sich zum Erlöser zu bekehren o<strong>der</strong><br />

nicht.<br />

Wie auch immer <strong>der</strong> o<strong>der</strong> die Einzelne sich dazu stellen mag, eines steht<br />

aber dennoch fest: Selbst wenn es keine solchen hartherzigen Predigten<br />

gäbe, könnten immer noch nicht alle gläubigen Frauen einen gläubigen<br />

Mann heiraten. Das sagen schon die verschiedenen Statistiken aus, die<br />

eindeutig belegen, dass schon seit jeher viel mehr Frauen als Männer<br />

sich zu Gott und zu Jesus Christus bekehrt haben, und ein Blick in die<br />

Gemeinden zeigt das auch deutlich: Fast überall gibt es mindestens<br />

doppelt so viele Frauen wie Männer, ja, in nicht wenigen Gemeinden<br />

kommen ausgerechnet bei den jüngeren Leuten sogar drei bis vier<br />

Frauen auf einen Mann, so dass es manchmal wie eine Lotterie wirkt,<br />

welche denn nun einen bekommt und welche nicht. Deshalb gibt es<br />

unter den Gläubigen auch fast keinen Mann mehr über dreißig, <strong>der</strong> nicht<br />

verheiratet ist, weil sie es sich leisten können, unter den Frauen<br />

auszuwählen, und es bis dahin meistens auch schon getan haben. Auf<br />

jeden Fall wären solche Predigten vom Opferbringen gar nicht<br />

notwendig, wenn die betreffenden Herren sich diese Tatsachen vor<br />

Augen <strong>führt</strong>en, weil ohnehin schon eine Art natürliche Auslese<br />

stattfindet; dabei klingt dieser Ausdruck auch für Ulrike sicher hart, doch<br />

er entspricht <strong>der</strong> Wirklichkeit.<br />

Wie so viele an<strong>der</strong>e hat auch sie sich schon manchmal gefragt, woran es<br />

liegen mag, dass so viel mehr Frauen als Männer sich zum Herrn<br />

bekehren, so dass von vornherein nicht jede damit rechnen kann, einen<br />

gläubigen Ehepartner zu bekommen. Liegt dieses Missverhältnis wohl<br />

209


darin, dass die ganze Bekehrung an sich mit sehr vielen und auch tiefen<br />

Emotionen verbunden ist und deshalb Jesus Christus, <strong>der</strong> nun einmal als<br />

ein Mann auf <strong>der</strong> Erde gewandelt ist, auf die Frauen insgesamt den<br />

tieferen Eindruck vermittelt als auf die Männer? Sie weiß zwar, dass in<br />

<strong>der</strong> Geschichte <strong>der</strong> Christenheit auch viele Tausende von Männern sich<br />

für Christus als Märtyrer geopfert haben und dass auch heute viele von<br />

ihnen den Herrn lieben und bereit sind, ihm überallhin nachzufolgen, und<br />

ein paar von ihnen hat sie selbst schon persönlich kennen gelernt - es<br />

bleibt jedoch dabei, dass die Frauen sich insgesamt für ihn viel mehr<br />

öffnen als die Männer.<br />

Ein Hinweis auf diese eigenartige Mann-Frau-Beziehung könnte auch die<br />

Tatsache sein, dass unter all denen, die glauben, dass auch die<br />

Jungfrau Maria für die Rettung <strong>der</strong> Menschheit eine beson<strong>der</strong>e Rolle<br />

spielt, überdurchschnittlich viele Männer vertreten sind - zwar immer<br />

noch in <strong>der</strong> Min<strong>der</strong>heit gegenüber den Frauen, aber nicht im gleichen<br />

Ausmaß wie unter den christusgläubigen Evangelikalen. Offensichtlich<br />

fühlen sich diese Männer genauso zu einer überirdischen und<br />

himmlischen Mutterfigur hingezogen, wie es Christus als Vaterfigur für<br />

die Frauen ist, die auch aus diesem Grund die große Mehrheit stellen.<br />

Da än<strong>der</strong>t auch nichts daran, dass im Neuen Testament klar<br />

geschrieben steht und Jesus selbst das gesagt hat, dass niemand in den<br />

Himmel hinauffährt als nur <strong>der</strong> Sohn Gottes, und dass Maria, <strong>der</strong>en Kult<br />

um sie bekanntlich erst später von Vor<strong>der</strong>asien aus einge<strong>führt</strong> worden<br />

ist, nach <strong>der</strong> Geburt des Herrn noch mehrere an<strong>der</strong>e Kin<strong>der</strong> hatte, die<br />

dann auf natürliche Weise auf die Welt kamen, dass Jesus also noch<br />

leibliche Brü<strong>der</strong> und Schwestern hatte, so auch Jakobus und Judas, die<br />

je einen Brief im Neuen Testament verfasst haben. Allerdings kursiert<br />

nicht nur in den Landeskirchen, son<strong>der</strong>n zum Teil auch in den<br />

evangelikalen Gemeinden die an<strong>der</strong>e Version, wonach Maria tatsächlich<br />

immer eine Jungfrau geblieben ist, obwohl in den Evangelien deutlich<br />

geschrieben steht, dass Jesus mehrere Brü<strong>der</strong> und Schwestern hatte.<br />

Da jedoch nicht deutlich davon die Rede ist, dass diese wirklich leibliche<br />

Geschwister sind, haben verschiedene Bibelausleger sie einfach zu<br />

Cousins und Cousinen gemacht. Das hält auch Ulrike nicht für seriös,<br />

obwohl sie nur wenige Brocken Griechisch kann und sich deshalb für zu<br />

wenig befugt hält, um über so knifflige theologische Fragen ein Urteil<br />

abzugeben.<br />

Interessant findet sie aber in diesem Zusammenhang, dass in <strong>der</strong> Bibel<br />

überall dort, wo tiefe Emotionen im Spiel sind, die Hauptrollen von<br />

Frauen gespielt werden. Vom Alten Testament kommt ihr immer wie<strong>der</strong><br />

Ruth in den Sinn, die nach dem Tod ihres Ehemanns ihre moabitische<br />

210


Heimat verließ, um stets bei Naemi, ihrer israelitischen Schwiegermutter,<br />

bleiben zu können, und dabei die berühmt gewordene Aussage machte:<br />

«Dein Volk ist mein Volk und dein Gott ist mein Gott.» Für ihre Treue und<br />

ihren Glauben wurde sie dadurch belohnt, dass sie eine <strong>der</strong><br />

Stammesmütter von David und damit auch von Jesus werden durfte und<br />

im Geschlechtsregister, das <strong>der</strong> Evangelist Matthäus an den Beginn<br />

seines Evangeliums stellte, auch namentlich erwähnt wird. Noch mehr<br />

solcher Geschichten sind natürlich im Neuen Testament zu finden, da<br />

durch das irdische und sichtbare Auftreten des Herrn selber auf ganz<br />

natürliche Weise viel mehr Emotionen aufkamen. Von Maria, seiner<br />

Mutter, einmal abgesehen, denkt Ulrike vor allem an eine an<strong>der</strong>e Maria,<br />

die eine Schwester des Lazarus war und so herzergreifend vom Tod<br />

ihres Bru<strong>der</strong>s und vom Glauben an seine Auferstehung sprach, die<br />

Jesus ohne weiteres bewirken lassen könnte, wenn er es nur wollte,<br />

dass dieser weinte, und dies war das einzige Mal, dass er das in <strong>der</strong><br />

Öffentlichkeit tat, und zugleich ist <strong>der</strong> darin nie<strong>der</strong>geschriebene Satz<br />

„Jesus weinte“ auch <strong>der</strong> kürzeste in <strong>der</strong> ganzen Bibel.<br />

Nicht zuletzt fällt Ulrike auch immer wie<strong>der</strong> die dritte Maria ein, von <strong>der</strong><br />

regelmäßig die Rede ist: Die berühmte Maria Magdalena, die nach<br />

verschiedenen Auslegungen die Gleiche war, die vom Herrn mit dem<br />

weltberühmt gewordenen Satz «Wer unter euch ohne Sünde ist, werfe<br />

den ersten Stein!» von <strong>der</strong> Steinigung wegen Ehebruchs praktisch<br />

freigesprochen wurde, und ebenfalls die Gleiche war, die seine Füsse<br />

küsste und diese mit ihren Tränen benetzte und auch noch wusch. Auch<br />

hier will sich Ulrike nicht festlegen, welche Auslegung korrekt ist und<br />

welche nicht; es genügt ihr das Wissen, dass diese dritte Maria das<br />

Vorrecht hatte, den auferstandenen Herrn als allererstes<br />

Menschenwesen erblicken zu dürfen, wie es geschrieben steht.<br />

Ja, solche Geschichten zeigen tatsächlich vieles von <strong>der</strong> weiblichen<br />

Seele, und sie erklären eben auch ein Stück weit, warum viel mehr<br />

Frauen als Männer und parallel dazu im Jugendalter viel mehr Mädchen<br />

als Burschen sich zu Gott und zu Jesus Christus bekehren. Wenn es nun<br />

aber so steht und nicht jede gläubige Frau damit rechnen kann, dass sie<br />

später einmal einen gläubigen Ehemann bekommt, weiß Ulrike sehr<br />

wohl, dass auch sie zu denen gehören könnte, die ledig bleiben müssen.<br />

Immerhin ist sie vor wenigen Monaten schon 29-jährig geworden - und<br />

von da an wird sie schnell einmal 30 sein, also jene ominöse Grenze<br />

erreicht haben, von <strong>der</strong> es immer wie<strong>der</strong> heißt, dass eine Frau darüber<br />

nur noch schwer einen Ehemann bekommt, wenn überhaupt gar nicht<br />

mehr. Sie hat zwar selbst schon mehrere Frauen gekannt und darunter<br />

sogar zwei gläubige, die diese Aussage Lügen straften und an ihren<br />

211


Hochzeitstagen zum Teil weit über 30 waren, doch die allgemeine<br />

Statistik spricht auch in dieser Beziehung eine deutliche Sprache.<br />

Tatsächlich heiraten die meisten Frauen, bevor sie das dritte<br />

Lebensjahrzehnt vollendet haben, und wer es bis dahin nicht geschafft<br />

hat, einen Ehemann zu finden, bleibt in den meisten Fällen allein, und<br />

das ist nach ihrem Wissen in <strong>der</strong> ganzen Welt zu beobachten. Dabei trifft<br />

dieses Los keineswegs nur gläubige Frauen, son<strong>der</strong>n auch solche, die<br />

unter den Evangelikalen als ungläubige bezeichnet werden; Ulrike selbst<br />

kennt ein paar von denen persönlich. Das eigentlich Interessante dabei<br />

ist, dass zu all diesen ledig gebliebenen Frauen auch solche gehören,<br />

die man als hübsch zu bezeichnen pflegt, während viele an<strong>der</strong>e, die als<br />

weniger hübsch gelten, ihre Ehemänner gefunden haben und mit ihnen<br />

sogar glücklich leben und Kin<strong>der</strong> haben.<br />

Obwohl Ulrike versucht, mögliche Gedanken an eine Torschlusspanik<br />

gar nicht erst aufkommen zu lassen, beschäftigt es sie dennoch sehr<br />

stark, warum sie bis heute allein geblieben ist, obwohl sie schon vor<br />

Hans immer wie<strong>der</strong> zu hören bekommen hat, sie sei hübsch und<br />

attraktiv. Wie schon so oft denkt sie darüber nach, was denn alles<br />

passiert o<strong>der</strong> eben gerade nicht passiert ist, dass sie bis heute keinen<br />

geeigneten Ehemann gefunden hat, obwohl sie die eine o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e<br />

Bekanntschaft hatte, aber nie etwas Festes. Es erging ihr eben so wie<br />

vielen an<strong>der</strong>en: Da sie sich schon früh bekehrte und sich deshalb<br />

jeglichen außerehelichen Geschlechtsverkehrs enthielt und die Orte<br />

mied, in denen sie in Versuchung hätte geraten können, konzentrierte<br />

sie sich von Anfang an auf ihren Beruf als Krankenschwester und ging<br />

buchstäblich darin auf, zuerst in <strong>der</strong> Lehre und dann in <strong>der</strong> Praxis in<br />

verschiedenen Krankenhäusern. Sie arbeitete zwar regelmäßig auch in<br />

mehreren Jugendgruppen mit und pflegte genügend Kontakte zu<br />

Mitchristen, so gut es ging, aber durch ihre extrem unregelmäßigen<br />

Arbeitszeiten war es ihr nie möglich, die gleichen Kontakte über einen<br />

längeren Zeitraum zu pflegen.<br />

Dazu kam noch, dass es sowohl in <strong>der</strong> Gemeinde, <strong>der</strong> sie heute<br />

angehört, als auch in jener, in <strong>der</strong> sie früher verkehrte, immer wie<strong>der</strong><br />

Wechsel und dementsprechend neue Gesichter gab. So kam es immer<br />

wie<strong>der</strong> vor, dass ein Mann, an dem sie vielleicht Gefallen finden konnte,<br />

auf einmal nicht mehr da war o<strong>der</strong> ... ja, dass er eine an<strong>der</strong>e Frau<br />

heiratete. Diese Erfahrung hat sie bereits ein paar Mal machen müssen -<br />

und immer wie<strong>der</strong> freute sie sich zwar für die betreffenden Schwestern,<br />

die heiraten konnten und nachher meistens auch glücklich wurden, aber<br />

zugleich wurde es ihr jedes Mal umso deutlicher bewusst, dass sie selbst<br />

erneut allein blieb. Wenigstens erging es ihr nicht so schlimm wie einer<br />

212


an<strong>der</strong>en gläubigen Frau, die sie persönlich kannte und die sich schon<br />

Hoffnungen auf eine Heirat machte, bis <strong>der</strong> betreffende Mann plötzlich<br />

eine Kehrtwende vollzog, einer an<strong>der</strong>en tief in die Augen schaute und<br />

kurz darauf diese heiratete. Obwohl er vorher nie direkt von einer Heirat<br />

gesprochen hatte und sie nicht einmal verlobt waren, ging diese abrupte<br />

Kehrtwendung zu einer an<strong>der</strong>en dieser Frau, die für ihn alles geopfert<br />

hätte und auch <strong>der</strong> zukünftigen Schwiegermutter sehr gefiel, so nahe,<br />

dass sie nie mehr richtig glücklich wurde und ein paar Jahre später an<br />

gebrochenem Herzen starb, wie nachher gesagt wurde; dabei war sie<br />

keineswegs unhübsch und strahlte dazu eine Wärme wie nur wenige<br />

an<strong>der</strong>e aus. Obwohl Ulrike die genaueren Umstände ihres Todes nie klar<br />

erfuhr und immer davon ausgegangen ist, dass sie trotz dieser bitteren<br />

Erfahrung mit einem Mann dem Herrn bis zum Ende treu geblieben ist,<br />

erinnerte sie sich bei <strong>der</strong> Nachricht von ihrem Ableben wie<strong>der</strong> an die<br />

Worte einer an<strong>der</strong>en Schwester. Diese hatte ihr einmal gesagt, dass ein<br />

Mann, <strong>der</strong> mit den Gefühlen einer Frau nur spiele, damit die ganze<br />

weibliche Gefühlswelt, die nun einmal ganz an<strong>der</strong>s ist als die männliche,<br />

durcheinan<strong>der</strong>bringen und es sogar schaffen könne, diese vom Glauben<br />

an Gott und an Jesus Christus abzubringen.<br />

So zogen denn die Jahre dahin, bis Ulrike auf einmal 29-jährig wurde,<br />

und schon nähert sie sich mit Riesenschritten dieser ominösen 30er<br />

Grenze. Vielleicht hat es ihr immer auch ein wenig an Aktivität gefehlt,<br />

doch sie war nun einmal vom Charakter her immer zurückhaltend, dafür<br />

aber zuverlässig, was in ihrem anstrengenden und exponierten Beruf in<br />

<strong>der</strong> Öffentlichkeit ja auch nötig war. Wenn sie jedoch daran denkt, dass<br />

an<strong>der</strong>e Frauen auch so veranlagt waren und dennoch von einem Mann<br />

im wahrsten Sinn des Wortes entdeckt wurden, muss sie sich sagen,<br />

dass es auch noch an<strong>der</strong>e Gründe dafür gegeben haben muss, dass sie<br />

bis heute allein geblieben ist. Lag es wohl auch daran, dass es ihr<br />

vorbestimmt war, fast bis zur Vollendung des dreißigsten Lebensjahres<br />

zu warten und bis dahin geprüft und geläutert zu werden ... ja, bis sie<br />

eines Tages doch noch dem Mann ihrer Träume begegnen würde, ob<br />

dieser nun Hans ist o<strong>der</strong> nicht? Solche Prüfungen nennen nicht wenige<br />

Gläubige ein Stahlbad Gottes, aus dem aber alle gestärkt hervorgehen.<br />

Im tiefsten Grund ihres Herzens hat sie jedoch nie aufgehört, sich nach<br />

einem lieben Mann zu sehnen, wie es eben nur Frauen mit einer solchen<br />

Tiefe tun, viel tiefer als Männer das jemals können, auch wenn die<br />

meisten von denen, die noch allein und noch nicht allzu alt sind, sich<br />

ebenso tief nach einer Frau sehnen. Diese Sehnsucht ist nun einmal in<br />

den meisten Menschenseelen tief verankert, wie Gott schon kurz nach<br />

<strong>der</strong> Schöpfung sagte, es sei nicht gut, dass <strong>der</strong> Mensch allein sei. Da in<br />

213


den gläubigen Kreisen die Aufgaben des Predigens und Verkündens fast<br />

nur den Männern vorbehalten bleiben, während die Frauen, die<br />

eigentlich nur unter ihresgleichen wie in den Frauengruppen völlig frei<br />

reden können, zwar nicht direkt ein Redeverbot haben, aber vor allem für<br />

die Arbeiten im Hintergrund und natürlich für die eigenen Familien da<br />

sein sollen, wie das von ihnen erwartet wird, ist <strong>der</strong> W<strong>uns</strong>ch nach einem<br />

Ehemann und nach Kin<strong>der</strong>n und damit auch nach einer<br />

hingebungsvollen Aufgabe bei den allermeisten gläubigen Frauen<br />

natürlich umso ausgeprägter.<br />

Das ganze mo<strong>der</strong>ne Gerede feministischer Kreise und später auch von<br />

an<strong>der</strong>en Gesellschaften, die sich als aufgeschlossen sehen, von einer<br />

Selbstverwirklichung <strong>der</strong> Frauen und allenfalls mit einem Kind, aber ohne<br />

Ehemann zu leben, und den ganzen Rummel um die millionenfachen<br />

Abtreibungen und die gefor<strong>der</strong>te Straffreiheit hat Ulrike nie begreifen und<br />

nachvollziehen können. Sie konnte sich nie etwas Schöneres vorstellen,<br />

als von einem lieben Mann, bei dem sie sich geborgen fühlen kann,<br />

umarmt und geküsst, von ihm geheiratet zu werden und mit ihm<br />

zusammen Kin<strong>der</strong> zu haben. Das Tragische ist aber gerade dies, dass<br />

allzu viele von denen, die sich diesen urweiblichen W<strong>uns</strong>ch erfüllen<br />

könnten, es gar nicht wollen, während sie selbst und viele an<strong>der</strong>e<br />

gläubige Frauen, die sich im tiefsten Grund danach sehnen, es nie<br />

haben können, weil es nun einmal zu wenig gläubige Männer für alle<br />

gibt.<br />

Lange, allzu lange hat sie all diese Gefühle unterdrückt und beiseite<br />

geschoben, ja, sie hat sich teilweise schon damit abgefunden, dass es<br />

ihr vielleicht doch vorbestimmt ist, allein zu bleiben, aber jetzt, da sie<br />

Hans kennen gelernt hat, von dem sie fühlt, dass er <strong>der</strong> Richtige für sie<br />

sein könnte und für den sie schon jetzt eine echte Liebe hegt, bricht alles<br />

umso heftiger aus ihr hervor. Ihre Sehnsucht nach Liebe und Zärtlichkeit,<br />

aber auch nach Geborgenheit ist sogar so stark geworden, dass sie fast<br />

glaubt, sie werde noch den Verstand verlieren. Ach, wie gern würde sie<br />

erleben, wie es ist, von einem Mann, den sie innig liebt und <strong>der</strong> sie nicht<br />

weniger innig liebt, in die Arme genommen und geküsst zu werden! Und<br />

was danach kommt … daran wagt sie schon fast nicht zu denken. Wie<br />

oft hat sie sich schon vorgestellt, mit einem Mann das zu erleben, was<br />

immer und immer wie<strong>der</strong> als das Schönste im Leben beschrieben wird!<br />

Stattdessen blieb sie all die Jahre über allein und musste immer wie<strong>der</strong><br />

miterleben, wie eine Schwester nach <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en heiratete und dieses<br />

Glück genießen konnte, und genauso wie es Hans bei ihrem ersten<br />

Treffen im Restaurant gesagt hat, kann sie es manchmal selbst auch<br />

nicht glauben, dass sie bis heute noch keinen einzigen Mann gehabt hat,<br />

214


obwohl sie schon manchmal zu hören bekam, sie sei hübsch und auch<br />

attraktiv, zuletzt auch noch von Hans.<br />

In einer Beziehung fühlt sie sich jedoch erleichtert, wenn sie daran denkt,<br />

dass das Ledigsein auch seine Vorteile haben könnte: Wenn sie sich vor<br />

Augen <strong>führt</strong>, wie viele gläubige Ehepaare schon bald nach ihrer<br />

Hochzeit, also noch bevor sie ihr Eheleben ausgiebig und für sich allein<br />

genießen konnten, zwei bis vier und in ein paar Fällen sogar noch mehr<br />

Kin<strong>der</strong> haben, wie viel Arbeit und Aufwand sie das kostet und wie viel<br />

Kraft und Geduld erfor<strong>der</strong>lich sind, um die ganze Kin<strong>der</strong>schar im Zaum<br />

zu halten und zudem zu rechtschaffenen Christenmenschen zu erziehen,<br />

fragt sie sich manchmal tatsächlich, ob es vielleicht nicht doch besser ist,<br />

allein zu bleiben. Ob sie selbst so viel Kraft und Geduld aufbringen<br />

könnte wie die an<strong>der</strong>en, von denen sie ein paar näher kennt und ab und<br />

zu sogar nach Hause eingeladen wird, weiß sie nicht so recht - sie<br />

zweifelt eher daran. Vielleicht hatten die beiden Prediger zumindest in<br />

dieser Beziehung nicht ganz Unrecht, als sie vom Opfer sprachen, das<br />

gewisse Frauen bringen sollten. Es ist zwar hart, allein zu bleiben, vor<br />

allem dann, wenn eine Frau das Familienglück an<strong>der</strong>er Christen sieht,<br />

doch an<strong>der</strong>erseits ist sie von Familienpflichten befreit und kann deshalb<br />

dem Herrn tatsächlich besser dienen und nachfolgen, und wenn Ulrike<br />

zudem daran denkt, wie kurz das irdische Leben ist und dass am<br />

Schluss die ewige Herrlichkeit in einem unverweslichen und<br />

geschlechtslosen Auferstehungsleib wartet, kommt es letztlich<br />

tatsächlich auf das Gleiche heraus, ob jemand ledig geblieben ist o<strong>der</strong><br />

geheiratet hat. Wäre es für sie aus all diesen Gründen vielleicht nicht<br />

doch besser, ledig zu bleiben? Kann es denn nicht sein, dass sie<br />

tatsächlich dazu berufen ist?<br />

Ja, wenn nur nicht diese Sehnsucht nach Liebe tief in ihr verankert wäre<br />

und ihr Herz fast zerreißen lässt! So viele Jahre hat sie warten müssen -<br />

und jetzt, da sie endlich einen Mann gefunden hat, den sie liebt und <strong>der</strong><br />

ihr auch schon gesagt hat, dass er sie liebt, soll sie wie<strong>der</strong> kein Glück<br />

haben und darauf verzichten? Sie ist doch kein seelenloser Roboter, <strong>der</strong><br />

nur für den Glauben dazusein hat und keine eigenen Gefühle haben<br />

darf, ja, nicht einmal daran zu denken hat! Sie liebt doch trotz allem den<br />

Herrn immer noch aufrichtig und möchte ihm ihr ganzes Leben lang<br />

dienen und nachfolgen - aber eben nicht allein, son<strong>der</strong>n mit einem lieben<br />

Mann, <strong>der</strong> gewillt ist, mit ihr auf dem gleichen <strong>Weg</strong> zu gehen.<br />

Sie fühlt, wie ihre Augen sich mit Tränen füllen, und könnte ihren<br />

Kummer geradezu mit Händen greifen, <strong>der</strong>art schwer drückt dieser.<br />

Ausgerechnet jetzt, da sie möglicherweise den Mann ihres Lebens<br />

215


gefunden hat, soll sie auf ihn verzichten! Dabei spricht doch so vieles<br />

dafür, dass sie gut zusammenpassen würden. Ja, wenn auch er sich zu<br />

Christus bekehrte, würde nachher alles plötzlich ganz an<strong>der</strong>s aussehen!<br />

Dann hätte wohl niemand mehr etwas gegen eine Heirat einzuwenden,<br />

im Gegenteil, es gäbe dann wohl niemanden auf <strong>der</strong> ganzen Welt, <strong>der</strong><br />

sich nicht mit ihnen freuen würde! Dass Hans jedoch einen harten<br />

Schädel hat, was den Glauben betrifft, hat sie bereits zur Genüge<br />

erfahren. Das muss aber nicht heißen, dass es auch so bleiben muss -<br />

so sind schon viele Bekehrungen von Leuten vorgekommen, die noch<br />

hartköpfiger waren als er und teilweise sogar an<strong>der</strong>e ermordet hatten,<br />

und so ist die Möglichkeit, dass auch er sich eines Tages zu diesem<br />

Schritt entschließen kann, sicher gegeben.<br />

In diesem Zusammenhang erinnert sich Ulrike wie<strong>der</strong> an die Aussage<br />

eines Predigers, wonach oft gerade solche, die vorher zu den<br />

hartnäckigsten Gegnern des Herrn gehört hatten, nach ihrer Bekehrung<br />

zu den mutigsten und unerschütterlichsten Zeugen wurden und teilweise<br />

bis ans an<strong>der</strong>e Ende <strong>der</strong> Welt gingen, um ihren neuen Glauben zu<br />

bezeugen. Was also Saulus wi<strong>der</strong>fuhr, <strong>der</strong> unter dem neuen Namen<br />

Paulus zu einem <strong>der</strong> größten Befreier <strong>der</strong> Menschheit im geistigen und<br />

geistlichen Bereich wurde, geschah in späteren Zeiten noch mit<br />

Tausenden von an<strong>der</strong>en. Warum also nicht auch mit Hans, dem sie<br />

durchaus zutraut, dass er nach einer Bekehrung dank seiner Neigung,<br />

keine Kompromisse einzugehen, ebenfalls auf einem solchen <strong>Weg</strong><br />

schreiten könnte?<br />

Dabei denkt sie erneut an Marcus Vinicius, die Hauptfigur <strong>der</strong><br />

Geschichte „Quo Vadis“, und kommt nochmals zum Schluss, dass Hans<br />

ihm in auffallen<strong>der</strong> Weise gleicht. Zuerst wollte auch dieser nichts von<br />

einem persönlichen Glauben an Jesus Christus wissen, dann wollte er<br />

ihm nicht ohne spöttische Hintergedanken in seinem Anwesen eine<br />

Statue errichten lassen, aber dank <strong>der</strong> Liebe zu Lygia konnte er mit <strong>der</strong><br />

Zeit seinen Stolz überwinden und sich in einem dramatischen Moment<br />

zum Herrn bekehren. Warum sollte das Gleiche nicht auch mit Hans<br />

geschehen? Damit dieses Wun<strong>der</strong> geschehen kann, muss aber auch sie<br />

etwas dafür tun, und zwar unablässig für ihn beten. Sie hat zwar schon<br />

vorher für ihn gebetet, aber wohl noch nicht intensiv genug - das wird ihr<br />

erst jetzt so richtig klar. Ja, das will sie fortan für ihn und damit letztlich<br />

auch für sich selbst tun: Eine ganz bestimmte Zeitspanne soll nur für ihn,<br />

den Mann, den sie jetzt so innig liebt, reserviert sein, damit sein Herz<br />

geöffnet wird und auch er den Herrn in seiner ganzen Herrlichkeit<br />

erkennen kann.<br />

216


Mit diesem Gedanken schöpft sie wie<strong>der</strong> Zuversicht. So steigt sie<br />

entschlossen vom Bett, indem sie sich ihre Tränen abwischt, und tut<br />

erneut das, was sie in ihrem Leben schon ein paar Tausend Mal getan<br />

hat: Sie geht auf dem Teppich, <strong>der</strong> vor dem Bett liegt, auf die Knie, lehnt<br />

sich mit ihren Armen auf dasselbe, faltet die Hände, schließt die Augen<br />

und spricht darauf langsam und leise, aber immer noch deutlich genug<br />

diese Worte: „Lieber Herr Jesus! Bitte vergib mir, dass ich oft so<br />

eigensinnig denke und auch jetzt zu wenig auf dich vertraue! Dabei weißt<br />

du ja sehr genau, was mir fehlt und was mich bedrückt. Ich möchte dir<br />

weiter von ganzem Herzen dort dienen, wo du mich haben willst, und dir<br />

überallhin nachfolgen. Ja, das will ich, Herr, denn du bist mein Erlöser<br />

und hast mich vom ewigen Tod freigekauft. Darum liebe ich dich auch so<br />

sehr und möchte immer für dich da sein, so wie auch du immer für mich<br />

da gewesen bist ... Trotzdem bitte ich dich darum, dass du mir zeigst, ob<br />

Hans wirklich <strong>der</strong> Mann meines Lebens sein kann o<strong>der</strong> nicht. Ich liebe<br />

ihn so sehr, aber ich habe auch meine Zweifel, wie du sehr wohl weißt.<br />

Darum brauche ich dich umso mehr, mein Herr und Erlöser. Zeig mir<br />

bitte den <strong>Weg</strong>, den ich gehen soll, doch dein Wille soll geschehen und<br />

nicht meiner! Wenn du Hans wirklich für mich bestimmt hast, dann führe<br />

<strong>uns</strong> zusammen, so wie du es geplant hast, wenn aber nicht, dann zeig<br />

mir auch das! Ich will dich wirklich nicht verlassen und weiter fest an dich<br />

glauben und auf deine Führung vertrauen. Darum bitte ich dich innig:<br />

Zeig auch Hans den <strong>Weg</strong> und hilf ihm, damit auch er dich als Erlöser<br />

findet! Öffne ihm die Augen und das Herz, damit er seine Blindheit und<br />

auch seinen Stolz überwinden und dich in deiner ganzen Herrlichkeit<br />

erkennen kann! Bitte, Herr, ich flehe dich an, wirke in ihm und lass ihn<br />

nicht los, bis er bereit ist, dich wirklich zu suchen! ... Ich danke dir, Herr,<br />

dass du mir immer so treu gewesen bist und dass ich auch jetzt darauf<br />

vertrauen kann, dass du das Richtige tun wirst - Amen.“<br />

Als sie mit dem Gebet fertig ist, steht sie langsam wie<strong>der</strong> auf, und dann<br />

fühlt sie sich plötzlich <strong>der</strong>art erleichtert, dass sie fast nicht merkt, wie ihr<br />

erneut Tränen über beide Wangen rinnen, sogar noch mehr als vorher.<br />

15<br />

Dass das Sprichwort, wonach die Liebe oft seltsame <strong>Weg</strong>e geht, sich<br />

immer wie<strong>der</strong> dann bewahrheitet, wenn nicht damit gerechnet wird, zeigt<br />

sich gerade auch bei Hans und Ulrike. Da sie am folgenden Sonntag<br />

wie durch einen glücklichen Zufall - o<strong>der</strong> ist es doch keiner? - wie<strong>der</strong><br />

einmal frei hat, dafür aber am Samstag arbeiten muss, hat er diesen<br />

Glücksfall dazu benützt, um sie für den zweiten Teil des Wochenendes,<br />

217


eben an diesem Sonntag, zu einem kleinen Ausflug ins Grüne<br />

einzuladen. Das tat er gerade rechtzeitig genug, noch bevor sie etwas<br />

an<strong>der</strong>es abmachen konnte, und da er jetzt, während <strong>der</strong> Ausheilung<br />

seiner Zerrung, natürlich genügend Zeit hat, konnte er auch<br />

höchstpersönlich ins Krankenhaus gehen und kurz mit ihr sprechen,<br />

obwohl sie zu diesem Zeitpunkt noch arbeitete.<br />

Warum sie ihm zugesagt hat, kann sie sich auch nicht erklären -<br />

genauso wenig wie an jenem Tag, als sie sich von ihm zum ersten Mal in<br />

ein Restaurant einladen ließ. Eigentlich wollte sie mit einem solchen<br />

Ausflug noch abwarten, solange ihre Beziehung zu ihm noch <strong>der</strong>art in<br />

<strong>der</strong> Schwebe hängt, aber da sie nun die Gewissheit gewonnen hat, dass<br />

sie ihn liebt und er sie auch, und da sie zudem wegen seiner Verletzung<br />

auch noch etwas Mitleid empfindet und ihn etwas trösten möchte, hat sie<br />

sein Angebot angenommen. Allerdings hat diese Einladung insofern eine<br />

kleine Einschränkung, als im Grund nicht er eine Einladung aussprechen<br />

konnte, son<strong>der</strong>n sich bestenfalls einladen lassen musste. Solange seine<br />

Zerrung noch nicht ganz verheilt ist, kann er seinen Wagen natürlich<br />

nicht selbst steuern. Es wäre theoretisch zwar schon möglich, aber das<br />

Risiko wäre zu groß, und falls etwas passieren würde, käme die<br />

Versicherung für keinen Schaden auf. Zum Glück hat Ulrike auch einen<br />

eigenen Wagen, weil sie als Krankenschwester schon aus beruflichen<br />

Gründen auf einen angewiesen ist. Es ist einer <strong>der</strong> kleineren Kaliber mit<br />

nur zwei Türen, wie auffallend viele alleinstehende Frauen einen solchen<br />

haben, was Hans schon mehrmals festgestellt hat.<br />

So übernimmt jetzt also Ulrike das Ru<strong>der</strong> und sie fahren bis etwa dreißig<br />

Kilometer außerhalb von Zürich, wo es noch viel Wald und Grünflächen<br />

gibt, die er von früheren Ausflügen her kennt. Sowohl vor als auch<br />

während <strong>der</strong> Fahrt haben sie sich immer noch nicht geküsst, aber sie<br />

schauen sich immer wie<strong>der</strong> halb verstohlen von <strong>der</strong> Seite und halb direkt<br />

an, als wollte keiner den an<strong>der</strong>en erwischen, und ab und zu lächeln sie<br />

sich auch schwach an. Sie sprechen fast kein Wort miteinan<strong>der</strong>, denn<br />

sie spüren beide, dass <strong>der</strong> geeignete entscheidende Moment zwar noch<br />

nicht gekommen ist, aber vielleicht bald kommen wird.<br />

Zum Glück ist heute ein strahlen<strong>der</strong> Tag, <strong>der</strong> genau zu ihrer Stimmung<br />

passt; es ist zwar noch Anfang Mai, aber doch schon genügend warm<br />

und zudem nicht mehr so feucht von den regnerischen Apriltagen her, so<br />

dass viele Leute diesen Sonntag dazu benützen, um draußen zu<br />

spazieren und zu picknicken, wie Hans und Ulrike das auch vorhaben.<br />

Da die Parkplätze mehr als hun<strong>der</strong>t Meter vom Ort entfernt sind, wo er<br />

sie hinzuführen gedenkt, müssen sie noch ein gutes Stück zu Fuß<br />

218


gehen. Während sie aussteigen, hilft sie ihm dabei; er braucht zwar<br />

keine Stöcke mehr, doch er ist immer noch etwas gehbehin<strong>der</strong>t. Darauf<br />

geschieht etwas Unerwartetes und Überraschendes, das aber auch nicht<br />

mehr so unerwartet und überraschend ist: Plötzlich streckt er seine<br />

rechte Hand aus und greift nach ihrer linken, die sie ebenso bereitwillig<br />

ausstreckt, und schaut sie lächelnd an. Er genießt es zutiefst, ihre Hand<br />

zum ersten Mal auf eine an<strong>der</strong>e Art zu spüren, als wenn sie sich die<br />

Hände zum Gruß geben, und da Ulrikes Hände ja fast so groß und lang<br />

sind wie die seinen, kann er dieses Gefühl umso mehr genießen.<br />

Während er sie so viel sagend anschaut, lächelt sie zurück, und mit einer<br />

Erleichterung und einem Glücksgefühl, das sie noch nie so gekannt hat,<br />

schlen<strong>der</strong>n sie in Richtung einer Waldlichtung, vor <strong>der</strong> es auch noch<br />

zwei Sitzbänke hat. Natürlich kommen sie nicht schnell vorwärts, doch er<br />

ist froh, dass er überhaupt ein wenig gehen kann. Eigentlich wäre es<br />

schon zu viel bis zu dieser Waldlichtung; um aber mit Ulrike ein paar<br />

Stunden verbringen zu können, nimmt er das Risiko eines Rückschlags<br />

bewusst in Kauf. So viel Glück wie heute hat er schließlich nur selten<br />

gehabt: Erstens hat sie frei, zweitens kommt sie mit ihm ins Grüne,<br />

drittens geht sie mit ihm schon Hand in Hand, und viertens herrscht auch<br />

noch strahlendes Wetter. Was will er also noch mehr? Zudem ist er ja<br />

ein durchtrainierter Sportler, so dass er einiges mehr ertragen kann.<br />

Als sie endlich an einem guten Plätzchen angekommen sind, muss er<br />

zuerst etwas auf <strong>der</strong> Bank ausruhen; die Anstrengung war halt doch<br />

etwas groß und er spürt auch wie<strong>der</strong> Schmerzen. Bald hat er sich aber<br />

erholt und sie spannen etwa zwanzig Meter von <strong>der</strong> Bank entfernt das<br />

mittelgroße Tuch aus, das er mitgebracht hat, und legen die paar<br />

Picknickkleinigkeiten darauf, die sie ebenfalls mitgenommen haben:<br />

Einen Kuchen, den Ulrike sogar selbst gebacken hat, sowie zwei rote<br />

Äpfel und eine Flasche Traubensaft, also recht bescheiden.<br />

Sobald sie sich gesetzt haben, schauen sie vorerst ein paar Momente<br />

um sich und genießen den Frühlingsduft <strong>der</strong> Blumen und Bäume, <strong>der</strong> um<br />

ihre Nasen weht. Sie spüren beide, dass dieser Tag wie für sie<br />

geschaffen ist, wenn auch auf verschiedene Weise. Es ist ihnen aber<br />

auch klar, dass in den nächsten paar Stunden eine Weichenstellung in<br />

ihrem Leben erfolgen wird und muss, dass es sich entscheiden wird, wie<br />

es mit ihrer Beziehung weitergehen soll.<br />

„Tut es dir immer noch weh?“, fragt sie ihn schließlich und schaut ihn fast<br />

mitleidig, aber auch liebevoll an.<br />

„Danke, es geht jetzt wie<strong>der</strong> besser“, antwortet er und schaut ebenso<br />

219


liebevoll zurück, als er ihren Blick wahrnimmt.<br />

„Wie herrlich ist es da draußen!“, sagt sie schließlich nach einer weiteren<br />

kurzen Pause, „du hast wirklich einen guten Ort ausgewählt. Und herrlich<br />

warm ist es auch noch.“<br />

Dann schaut sie ihn wie<strong>der</strong> liebevoll an - und das ist zu viel für ihn. Er<br />

spürt, dass bald etwas geschehen muss; sonst kann er diese Spannung,<br />

die sich zwischen ihnen aufgebaut hat, nicht länger aushalten. Aber wie<br />

soll er vorgehen, damit sie sich bald gegenseitig ihre Liebe erklären<br />

können, was ja nur so in <strong>der</strong> Luft liegt? Da kommt ihm eine glänzende<br />

Idee: Plötzlich legt er sich nie<strong>der</strong>, wobei er seinen Kopf ganz in <strong>der</strong> Nähe<br />

ihres Schoßes platziert, und sagt leise: „Ich bin ein bisschen müde.“<br />

Dabei ist das nicht einmal gelogen, denn die Hinfahrt und vor allem <strong>der</strong><br />

anstrengende Spaziergang bis hierher haben ihn wirklich etwas<br />

geschafft.<br />

Da er spürt, dass eine ihrer Hände sich ganz nahe beim Kopf befindet,<br />

während Ulrike sich mit <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en abstützt, gibt er sich einen weiteren<br />

innerlichen Ruck wie schon ein paar Mal, seit er diese Frau zum ersten<br />

Mal gesehen hat und auf Anhieb von ihr fasziniert wurde, und tut wie<strong>der</strong><br />

etwas Unerwartetes und Überraschendes, das aber auch nicht mehr so<br />

unerwartet und überraschend ist: Er hebt seinen Kopf ein wenig und legt<br />

ihn dann direkt in ihren Schoß, noch bevor sie reagieren kann. Einerseits<br />

gefällt ihr diese Spontaneität und Entschlossenheit, doch an<strong>der</strong>erseits<br />

wird sie wie<strong>der</strong> etwas <strong>uns</strong>icher. Sie sind schließlich kein Liebespaar -<br />

mindestens vorläufig noch nicht -, und zudem steht noch etwas zwischen<br />

ihnen, über das sie eigentlich an diesem Nachmittag mit ihm sprechen<br />

wollte. Obwohl es ihr klar ist, dass er sie kaum für heute zu diesem<br />

Ausflug überredet hat, um nur über Religiöses zu reden, wie er das<br />

nennt, hält sie es dennoch für angemessen, auch dieses heikle Thema<br />

anzuschneiden, ob ihm das nun passt o<strong>der</strong> nicht. Da es ja offensichtlich<br />

ist, dass er ihr Herz langsam und sachte erringen möchte, bleibt ihm<br />

auch nichts an<strong>der</strong>es übrig.<br />

Als sie jedoch sieht, wie ruhig und friedlich er vor ihr liegt, wie er zuerst<br />

die Augen ein paar Sekunden geschlossen hält und auf diese Weise die<br />

Sonnenstrahlen auf seinem Gesicht einwirken lässt, und wie er dann<br />

seine Augen wie<strong>der</strong> öffnet und sie liebevoll von unten nach oben<br />

anschaut und sie nochmals vielsagend anlächelt, kann sie sich fast nicht<br />

mehr beherrschen und würde ihm am liebsten mit <strong>der</strong> freien Hand<br />

langsam und sachte, so wie er ihr Herz zu erringen gedenkt, über die<br />

Haare fahren. Sie kann sich aber noch unter Kontrolle halten, auch wenn<br />

es sie innerlich fast zerreißt und sie am liebsten seinen Kopf ergreifen<br />

und diesen mit mehreren Küssen bedecken würde.<br />

220


Das ist also <strong>der</strong> Mann, nach dem ich mich so viele Jahre lang gesehnt<br />

und um den ich so lange gebetet habe, sagt sie dann innerlich zu sich<br />

selber. Eigentlich sollte sie jetzt glücklich sein, aber sie fühlt stattdessen<br />

wie<strong>der</strong> eine bedrückende Stimmung aufkommen, und sie weiß auch<br />

warum. Es ist <strong>der</strong> gemeinsame Glaube an den gleichen Erlöser, <strong>der</strong><br />

ihnen für ihr vollkommenes Glück noch fehlt. Wie wun<strong>der</strong>bar wäre es,<br />

Herr, wenn er dich auch kennen würde!, sagt sie sich, und vor allem<br />

wenn er es nur wollte, wäre das schon <strong>der</strong> erste Schritt.<br />

Während sie im Stillen für ihn betet, genießt er es, weiter mit seinem<br />

Kopf in ihrem Schoß zu liegen, auch wenn sie ihn immer noch nicht<br />

berührt, und so fühlt er sich noch inniger zu ihr hingezogen. Wenigstens<br />

in einer Beziehung hat seine Zerrung auch einen großen Vorteil: Da er<br />

mit einem Bein behin<strong>der</strong>t ist und dieses immer noch nicht zu viel bewegt<br />

werden sollte, kann er erst gar nicht in Versuchung geraten und plötzlich<br />

die Beherrschung verlieren. Doch er könnte es auch nicht, dafür liebt er<br />

sie schon viel zu sehr; nein, er könnte ihr nie etwas antun. Zudem<br />

respektiert er ihren W<strong>uns</strong>ch, unberührt in die Ehe zu gehen, auch wenn<br />

ihm das immer noch etwas son<strong>der</strong>bar vorkommt.<br />

So vergehen ein paar ruhige Minuten, bis er wie<strong>der</strong> einmal zu ihr<br />

hinaufblickt, und dann tut er endlich das, was er schon längst tun wollte:<br />

Er beginnt von unten ihr Haar zu streicheln, bis er leise zu ihr sagt: „Du<br />

bist so lieb - wie ein Engel.“<br />

„Das ist aber interessant“, entgegnet sie mit einem breiten Lächeln, „du<br />

glaubst nicht an die Existenz von Engeln - und trotzdem soll ich einer<br />

sein.“<br />

„Ja, Ulrike, wenn es wirklich einen auf Erden gibt, dann bist du es.“<br />

„Aber nein, Hans, ein Engel bin ich nicht. Auch ich bin nur eine arme<br />

Sün<strong>der</strong>in, die jeden Tag neu die Vergebung von oben braucht.“<br />

„Das hast du doch nicht mehr nötig, nach deinem Glauben ist dir ja<br />

schon vergeben worden.“<br />

„Ja, aber das heißt noch lange nicht, dass wir nicht jeden Tag wie<strong>der</strong><br />

neu sündigen, solange wir noch auf dieser Erde leben.“<br />

„Ach ja, jetzt verstehe ich. Du hast wie<strong>der</strong> einmal Recht.“<br />

Dann fährt er wie<strong>der</strong> sachte über ihr Haar und beide schweigen eine<br />

weitere Weile, während <strong>der</strong> sie spüren, dass etwas Entscheidendes in<br />

<strong>der</strong> Luft liegt. Sie finden es seltsam, dass sie sich bis jetzt noch nicht ihre<br />

Liebe erklärt haben, obwohl es beiden schon seit Tagen klar ist, was sie<br />

füreinan<strong>der</strong> empfinden. Die Lage ist aber auch außergewöhnlich und<br />

kommt auf diese Weise nicht oft vor: Da Ulrike eine gläubige Frau ist,<br />

kann und will sie sich nicht jedem Erstbesten, <strong>der</strong> ihr über den <strong>Weg</strong> läuft,<br />

221


an den Hals werfen, ohne tief davon überzeugt zu sein, dass er für sie<br />

<strong>der</strong> Richtige ist. Er wie<strong>der</strong>um ist aufgrund seiner Enttäuschungen mit<br />

an<strong>der</strong>en Frauen vorsichtiger geworden und will sich nicht mehr auf<br />

oberflächliche Liebschaften einlassen, son<strong>der</strong>n seiner und ihrer Liebe<br />

ganz sicher sein, bevor er weiter vorgeht. Trotz ihrer noch bestehenden<br />

Unsicherheit ertappt sich Ulrike dabei, dass sie sich innerlich fragt, wie<br />

lange Hans noch zuwarten will, bis er sie endlich in die Arme nehmen<br />

und küssen wird.<br />

Als hätte er diesen Gedanken erraten, öffnet er nochmals die Augen,<br />

und wie er sieht, dass Ulrike ihn weiter liebevoll anschaut und sich seine<br />

Streicheleinheiten gefallen lässt, tut er endlich das, was schon überfällig<br />

war: Er richtet sich langsam auf und schaut ihr direkt in die Augen, wobei<br />

er die Hand stillhält, die ihre Haare gestreichelt hat. In diesem Moment<br />

spüren sie beide, dass es nichts mehr zu sagen gibt, dass ihre Liebe<br />

ineinan<strong>der</strong> übergegangen ist und nichts sie daran noch hin<strong>der</strong>n kann.<br />

Eine Weile schauen sie sich noch tief in die Augen, wobei sie beide<br />

lächeln, und darauf streichelt er ihr nochmals langsam und sachte die<br />

Haare und darauf gar das Gesicht, wie sie das vorher schon bei ihm tun<br />

wollte, sich aber noch nicht dazu überwinden konnte. Schließlich kann er<br />

sich nicht mehr beherrschen und schließt sie fest in die Arme, und zu<br />

ihrer eigenen Überraschung tut sie dasselbe. Eine kurze Weile<br />

verbleiben sie so, dann schauen sie sich wie<strong>der</strong> von ganz nahe in die<br />

Augen, und endlich kommt <strong>der</strong> große Moment, von dem Ulrike schon seit<br />

vielen Jahren und Hans immerhin auch schon seit ein paar Wochen<br />

geträumt haben: Sie küssen sich zuerst auf den Mund, dann ein paar<br />

Mal auf die Wangen und dann wie<strong>der</strong> auf den Mund, wobei sie nicht<br />

aufhören, einan<strong>der</strong> fest umarmt zu halten, und zuletzt finden sich ihre<br />

Lippen endlich zu einem langen, festen Kuss.<br />

Das ist es also, das ist die Liebe, nach <strong>der</strong> ich mich so sehr gesehnt<br />

habe, sagt sich Ulrike, und es ist nahe liegend, dass vor allem sie diese<br />

innigen Momente des Glücks genießt. Trotzdem werden sie nicht allzu<br />

intim und geben sich noch keine Zungenküsse, wie das meistens <strong>der</strong><br />

Beginn zu noch mehr ist. Sie können sich noch beherrschen, weil es<br />

ihnen klar ist, dass die Zeit für mehr noch nicht reif ist.<br />

Schließlich bringt er es doch noch über sich, ihr die paar Worte, die er<br />

schon seit so langer Zeit loswerden wollte, ihr so leise in ein Ohr zu<br />

sagen, dass es schon fast ein Flüstern ist: „Ich liebe dich - ich liebe dich,<br />

so wie ich noch keine an<strong>der</strong>e Frau geliebt habe, ja, ich liebe dich über<br />

alles.“<br />

„Ich liebe dich auch“, sagt sie darauf fast automatisch und ein wenig<br />

lauter. Das überrascht sie zuerst selbst, versetzt jedoch ihn in eine fast<br />

222


unglaubliche Glückseligkeit, wie er es noch nie zuvor erlebt hat, auch<br />

nicht mit den an<strong>der</strong>en Frauen, mit denen er früher zusammen war.<br />

„Du liebst mich wirklich?“, fragt er trotz des gerade Erlebten noch etwas<br />

<strong>uns</strong>icher, während diesmal er sie lange liebevoll anschaut.<br />

„Ja, Hans, ich liebe dich wirklich“, antwortet sie und drückt ihre Lippen<br />

nochmals an die seinen, „ich liebe dich schon seit langem, aber jetzt ist<br />

es mir endgültig klar geworden.“<br />

„Mir aber schon viel früher, Ulrike. Du hast mir schon vom ersten<br />

Augenblick an gefallen, als ich dich das erste Mal sah. Schon damals an<br />

<strong>der</strong> Feldeggstraße habe ich gespürt, dass etwas zwischen <strong>uns</strong> werden<br />

könnte, doch an jenem Abend hast du nicht einmal Notiz von mir<br />

genommen.“<br />

„Trotzdem hast du es richtig gespürt“, entgegnet sie und umarmt ihn<br />

nochmals so fest, als wollte sie ihn nie mehr loslassen. Er ist schließlich<br />

<strong>der</strong> Mann, nach dem sie sich jahrelang gesehnt hat, und zugleich <strong>der</strong><br />

Eine, den kein an<strong>der</strong>er als Gott selbst zu ihr ge<strong>führt</strong> hat - davon ist sie<br />

jetzt bis ins Innerste überzeugt.<br />

Nachdem sie sich noch einmal fest in die Arme genommen und auf die<br />

Lippen geküsst haben, kommen sie endlich dazu, ihr kleines Picknick zu<br />

verzehren, das sie mitgebracht haben und das bisher unberührt und<br />

ungeöffnet daneben gelegen ist; dabei haben sie Glück, dass kein Insekt<br />

das ausgenützt hat. Während sie die Kuchenstücke genießen und aus<br />

den beiden Pappbechern, die sie ebenfalls mitgebracht haben, den<br />

Traubensaft trinken, denken die beiden nochmals über ihre neue Lage<br />

nach. Dabei erinnert sich Ulrike wie<strong>der</strong> daran, dass sie eigentlich<br />

vorhatte, mit ihm auch noch über den Glauben zu sprechen, bevor sie<br />

ihre Gefühle füreinan<strong>der</strong> nicht mehr im Zaum halten konnten.<br />

Während sie noch überlegt, auf welche möglichst behutsame Weise sie<br />

dieses heikle Thema, das jetzt natürlich noch heikler geworden ist,<br />

anschneiden sollte, bringt jetzt er etwas vor, das ihm schon lange auf <strong>der</strong><br />

Zunge gebrannt hat: „Weißt du, Liebling, wenn ich mir so überlege, wie<br />

es jetzt zwischen <strong>uns</strong> steht, dass wir <strong>uns</strong> jetzt lieben ... du weißt doch<br />

schon, was ich meine.“<br />

„Was denn, Schatz?“, fragt sie sofort, als wüsste sie nicht genau, worauf<br />

er anspielen will.<br />

Darauf antwortet er auffallend langsam: „Ich bin eben so lange allein,<br />

das heißt ledig geblieben, weil ich zwar ein paar Frauen kannte, aber nie<br />

eine fand, die auch wirklich zu mir passte und mit <strong>der</strong> ich mir auch eine<br />

gemeinsame Zukunft hätte vorstellen können. Aber mit dir ist es an<strong>der</strong>s,<br />

mit dir kann ich mir das vorstellen. Ich sage dir ganz ehrlich, dass ich<br />

mich schon jetzt darauf freue, mein Leben mit dir zu teilen.“<br />

223


Nach diesen Worten senkt sie ein wenig den Kopf und schweigt eine Zeit<br />

lang, die ihm fast unendlich lange vorkommt. Erneut fühlt sie die gleiche<br />

Bedrücktheit wie zuvor in sich aufkommen und da sie lange nichts mehr<br />

sagt, fragt er sie <strong>uns</strong>icher: „Was hast du denn, Liebling?“<br />

Wie<strong>der</strong> zögert sie eine Weile - und dann sagt sie langsam und leise,<br />

indem sie ihm aber offen in die Augen schaut: „Das ist es gerade, Hans.<br />

Ich habe mich viele Jahre lang nach einem lieben Mann gesehnt und oft<br />

auch dafür gebetet, dass <strong>der</strong> Herr mir einen schenkt, <strong>der</strong> gut zu mir<br />

passt, und jetzt habe ich dich endlich kennen gelernt und kann mich<br />

trotzdem nicht vollständig darüber freuen, dass wir <strong>uns</strong> lieben.“<br />

„Aber warum denn nicht?“, fragt er sofort, indem er sie nochmals in die<br />

Arme nimmt.<br />

„Kannst du dir nicht vorstellen warum?“, antwortet sie, ohne seine<br />

Umarmung zu erwi<strong>der</strong>n.<br />

Dann sagt sie nach kurzem Zögern, indem sie ihm nochmals offen in die<br />

Augen schaut: „Es fehlt eben noch etwas. Ich habe mir doch immer<br />

einen Mann gewünscht, <strong>der</strong> den gleichen Glauben mit mir teilt.“<br />

Da löst er sich sofort von ihr und entgegnet, indem er ihr scharf in die<br />

Augen schaut: „Ach, das ist es also! Das hätte ich mir denken können.<br />

Mit an<strong>der</strong>en Worten heißt das, dass ich für dich doch noch zu wenig gut<br />

bin. O<strong>der</strong> meinst du am Ende etwas an<strong>der</strong>es? Mach mir nichts vor! Dafür<br />

kenne ich die Frauen viel zu gut.“<br />

„Nein, Hans, das ist es nicht“, antwortet sie in einem fast verzweifelten<br />

Ton, „ich liebe dich wirklich und würde noch so gern mein Leben mit dir<br />

verbringen. Aber ich fühle mich trotzdem nicht frei genug, um mit<br />

ganzem Herzen ja zu sagen, solange es mit dir noch so steht.“<br />

„Solange was mit mir noch so steht? Mit dem Glauben? Das muss doch<br />

gar kein Problem sein. Ich respektiere deinen Glauben und habe nichts<br />

gegen ihn. Ich werde nie etwas Negatives dagegen sagen - und wenn es<br />

unbedingt sein muss, kann ich dich ja an eure Gottesdienste begleiten.<br />

Ich habe jetzt doch dich, <strong>der</strong> Rest wird sich schon irgendwie ergeben.“<br />

„Aber das ist doch gar nicht das, was ich wirklich meine“, entgegnet sie<br />

mit traurigen Augen und schüttelt schwach den Kopf, und dann fragt sie<br />

offen: „Kannst du dir denn nicht vorstellen, wie schön wir zwei es<br />

zusammen haben könnten, wenn auch du den Herrn kennen würdest<br />

und wir eine Ehe zu dritt führen könnten?“<br />

„Eine Ehe zu dritt? Was soll denn das wie<strong>der</strong> heißen?“<br />

Hans spürt, wie er langsam wie<strong>der</strong> etwas ärgerlich, ja, gar aggressiv<br />

wird, auch wenn er diesen Ärger nicht aufkommen lassen will. Sie<br />

wie<strong>der</strong>um sieht sogar noch mehr Unheil auf sie beide zukommen, aber<br />

sie gibt noch nicht auf: „Damit meine ich, dass ein gläubiges Paar<br />

224


zusammenlebt und <strong>der</strong> Herr über ihnen steht und ihr Leben leitet und sie<br />

beschützt.“<br />

„Das ist schön für dich, wenn du das glaubst, und ich möchte auch nichts<br />

dagegen sagen. Ich selber kann das aber nicht glauben, das geht über<br />

meinen Verstand.“<br />

„Aber das ist doch nicht so schwer zu verstehen, wenn man sich einmal<br />

bekehrt hat.“<br />

„Jetzt kommst du schon wie<strong>der</strong> damit! Genügt es dir denn nicht, dass ich<br />

deinen Glauben respektiere und dir verspreche, nie etwas dagegen zu<br />

sagen? Nicht viele Männer sind so tolerant wie ich, vergiss das nicht!“<br />

„Ja, das weiß ich, aber es würde mich trotzdem wahnsinnig freuen, wenn<br />

auch zu dich zu diesem Schritt entschließen würdest.“<br />

„Drängt mich doch nicht jedes Mal, wenn ich mit jemandem von euch<br />

zusammen bin! Soll ich mich denn zu etwas bekehren, ohne dass ich<br />

davon überzeugt bin, dass es richtig ist?“<br />

„Nein, sicher nicht, es soll dein freier Wille bleiben. Du könntest es aber<br />

je<strong>der</strong>zeit und überall tun, sogar jetzt und hier bei mir.“<br />

„Bei dir?“<br />

„Ja, auch ich könnte dich zum Herrn führen, wenn du nur willst, obwohl<br />

ich darin nicht viele Erfahrungen gemacht habe. Aber wenn du wirklich<br />

willst, könnte ich es tun.“<br />

„Du könntest mich also zu ihm führen? Diese komischen Ausdrücke, die<br />

ihr Evangelikalen immer auf Lager habt ...“<br />

„Du weißt aber im Grunde genommen sehr genau, was ich meine, und<br />

du weißt ebenfalls, dass wir Recht haben. Ich spüre es doch, dass du im<br />

Innersten unruhig bist und <strong>uns</strong> vielleicht sogar Recht gibst. Wenn es<br />

nicht so wäre, hättest du jetzt nicht so reagiert.“<br />

„Das redest du dir nur ein.“<br />

„Nein, ich spüre es wirklich. Ich kenne dich doch auch schon ziemlich gut<br />

- und erst recht, seit ich dich liebe. Ich spüre sogar, dass du dem Herrn<br />

schon viel näherstehst, als du selbst es glaubst und weißt. Nur sperrst<br />

du dich noch, um ihn als deinen persönlichen Erlöser kennen zu lernen,<br />

aber das kann auch noch kommen - darauf vertraue ich fest und<br />

natürlich werde ich dafür auch beten.“<br />

„Was macht dich denn da so sicher?“<br />

„Dein Verhalten und auch das, was die an<strong>der</strong>en mir schon erzählt<br />

haben.“<br />

„Welche an<strong>der</strong>en?“<br />

„Du weißt sicher, wen ich meine: Erwin zum Beispiel und Bruno, aber<br />

auch die an<strong>der</strong>en, die mit dir über den Glauben schon geredet haben.“<br />

„Tauscht ihr eigentlich Informationen über mich aus?“<br />

„Du darfst dir dabei nichts Schlechtes denken. Im Gegenteil, wir meinen<br />

es nur gut mit dir. Es ist <strong>uns</strong> allen ein Anliegen, dass du Jesus Christus<br />

225


als deinen persönlichen Erlöser findest. Da ist es doch natürlich, dass wir<br />

einan<strong>der</strong> erzählen, wie es mit dir steht.“<br />

„Ihr <strong>führt</strong> ja genau Buch über mich.“<br />

„Versteh das bitte nicht falsch, Liebling! Wir wollen wirklich nur das Beste<br />

für dich. Darum haben die an<strong>der</strong>en sich auch so viel Zeit für dich<br />

genommen, um dir den <strong>Weg</strong> zu Gott zu zeigen. Sogar Jan Hoveneel und<br />

Rabi Mavendran haben sich dir gewidmet; dabei sind das zwei Männer,<br />

die ständig unterwegs sind und nur wenig Zeit für solche Gespräche<br />

haben.“<br />

„Mit diesem Rabi habe ich aber nur kurz geredet.“<br />

„Trotzdem hat er es getan und ebenfalls seinen Teil dazu beigetragen,<br />

dass du das Evangelium deutlich gehört hast, und von Jan Hoveneel,<br />

<strong>der</strong> sich für dich einen ganzen Abend lang Zeit genommen hat, müssen<br />

wir da schon gar nicht reden. Im Grunde genommen kennst du den <strong>Weg</strong><br />

genau, es ist alles vorbereitet - es fehlt nur noch deine Entscheidung.“<br />

„Wenn ich dich so reden höre, bekomme ich fast den Eindruck, ihr<br />

hättet euch miteinan<strong>der</strong> abgesprochen, dass du mich heute bearbeitest.“<br />

„Nein, das darfst du nicht denken“, sagt sie energisch, indem sie<br />

nochmals die Arme um ihn schlingt und ihm dann einen schnellen Kuss<br />

auf die Lippen gibt, „das ist jetzt alles so spontan aus mir<br />

herausgekommen, eben weil ich dich so liebe und mir innig wünsche,<br />

dass auch du dich zum Herrn bekehrst. Dann wäre <strong>uns</strong>er Glück wirklich<br />

vollkommen.“<br />

„Genügt es dir denn nicht, dass wir <strong>uns</strong> lieben? Viele an<strong>der</strong>e wären froh,<br />

wenn sie schon das hätten.“<br />

„Etwas fehlt aber noch - und du weißt auch genau, was ich meine.“<br />

„Setzt mich doch nicht ständig unter Druck! Immer wenn ich mit euch<br />

zusammen bin, spüre ich das, auch wenn ihr mir nicht direkt ins Gesicht<br />

sagt, ich solle mich zu eurem Jesus bekehren. Genüge ich allein dir<br />

denn nicht, obwohl ich dich über alles liebe und nie etwas Negatives<br />

gegen deinen Glauben sagen werde, wie ich es dir schon versprochen<br />

habe?... Sei ganz ehrlich, Ulrike: Genüge ich allein, so wie ich bin, dir<br />

nicht?“<br />

Da schaut sie ihn lange mit auffallend traurigen Augen an, so dass er<br />

seine harte Haltung ihr gegenüber schon fast bereut, bis sie schließlich<br />

langsam und fast aus <strong>der</strong> Ferne antwortet: „Auch ich liebe dich über<br />

alles, Hans. Ich liebe dich so sehr, dass ich mit dir sogar bis ans an<strong>der</strong>e<br />

Ende <strong>der</strong> Welt gehen würde, wenn es sein muss. Du bist <strong>der</strong> Mann, den<br />

<strong>der</strong> Herr mir geschenkt hat; das weiß ich seit heute ganz genau. Gerade<br />

deshalb ist es mein inniger W<strong>uns</strong>ch, dass auch du zum lebendigen<br />

Glauben an Jesus Christus kommst, damit wir dann gemeinsam und<br />

unter seinem Schutz auf dem weiteren Lebensweg gehen können.“<br />

226


„Ich kann mich dazu aber noch nicht entschließen, obwohl ich mir<br />

ebenfalls nicht an<strong>der</strong>es mehr wünsche, als mein Leben mit dir teilen zu<br />

können. Es ist mir immer noch vieles zu fremd und ich brauche Zeit, um<br />

alle neuen Eindrücke zu verarbeiten, aber wenn ich unter einem solchen<br />

Druck stehe, kann ich mich erst recht nicht entschließen.“<br />

„Hast du unterdessen die DVD von ‚Quo Vadis’ geschaut, die ich dir<br />

geschenkt habe?“<br />

„Ach diese! Ja, das habe ich, aber es hat mir noch nicht geholfen, alles<br />

klar zu sehen, also um mich zu bekehren, wenn du das meinst.“<br />

„Erinnerst du dich noch an diesen Marcus Vinicius, <strong>der</strong> fast die gleichen<br />

Probleme hatte wie du und auch seine Zeit brauchte, bis er Christus als<br />

Erlöser gefunden hat?“<br />

„Ja, sicher. Das war schön für ihn, aber du kannst mich nicht mit ihm<br />

vergleichen. Er ist er und ich bin ich, zudem liegt diese Geschichte schon<br />

2'000 Jahre zurück und ist erst noch erfunden.“<br />

„So wie er haben es aber viele an<strong>der</strong>e in <strong>der</strong> Wirklichkeit erlebt.“<br />

„Dann war es auch für diese schön, aber je<strong>der</strong> hat sein eigenes Leben.<br />

So habe auch ich mein eigenes und will für mich selber entscheiden,<br />

was richtig ist und was nicht.“<br />

„Es sagt ja auch niemand, dass du das nicht tun sollst.“<br />

„Aber es klingt jedes Mal so. Gib mir noch etwas Zeit! Ich kann mich<br />

nicht überstürzt für etwas entscheiden, wenn ich nicht sicher bin, dass es<br />

richtig ist.“<br />

Darauf zögert sie etwas, bis sie in einem auffallend harten Ton, <strong>der</strong> so<br />

gar nicht zu ihr passt, ihm entgegnet: „Ich aber auch nicht, Hans.“<br />

„Was meinst du damit?“, fragt er <strong>uns</strong>icher, weil er schon etwas zu ahnen<br />

beginnt.<br />

Diesmal zögert sie noch länger, bis sie offensichtlich bedrückt antwortet:<br />

„Es tut mir so weh, dass ich dir das sagen muss, aber solange du noch<br />

nicht gläubig bist, kann ich auch keine gemeinsame Zukunft mit dir<br />

sehen, obwohl ich dich liebe und mir eine solche Zukunft mit dir<br />

wünsche.“<br />

„Ach was, das ist doch nur ein religiöser Floh, den die an<strong>der</strong>en dir ins<br />

Ohr gesetzt haben!“, entgegnet er darauf unwirsch, „wenn zwei sich<br />

wirklich lieben, spielt <strong>der</strong> Glaube keine Rolle mehr.“<br />

„In diesem Fall aber schon, weil das ein ganz beson<strong>der</strong>er Glaube ist, <strong>der</strong><br />

sich nicht mit falschen Kompromissen zufriedengeben kann.“<br />

„Falsche Kompromisse, sagst du? Ist das dein voller Ernst?“<br />

„Ja, lei<strong>der</strong> muss ich dir das so sagen.“<br />

„Das habe ich nie für möglich gehalten - nach all dem Schönen, das wir<br />

heute zusammen erlebt haben. Ich dachte schon, ich würde dir alles<br />

bedeuten, so wie auch du alles für mich bist.“<br />

227


Nach diesen Worten, die schon fast einem langen Schlagabtausch<br />

gleichkamen, spüren sie beide, dass sie an einem toten Punkt angelangt<br />

sind und es jetzt besser ist, wie<strong>der</strong> nach Hause zurückzukehren. Es ist ja<br />

auch schon später Nachmittag und merklich kühler geworden, und<br />

wegen seiner Behin<strong>der</strong>ung wird es noch länger dauern, bis sie Ulrikes<br />

Wagen erreichen werden. So räumen sie ihre Sachen schweigend auf<br />

und machen sich langsam auf den Heimweg. Wie sehr sich die Lage<br />

jetzt verän<strong>der</strong>t hat, zeigt sich auch darin, dass Hans diesmal nicht seine<br />

Hand ausstreckt, damit sie wie<strong>der</strong> Hand in Hand zurückgehen, so wie sie<br />

vor wenigen Stunden hierhergekommen sind.<br />

Während <strong>der</strong> Rückfahrt nach Zürich sprechen sie fast kein Wort<br />

miteinan<strong>der</strong>, ja, sie wagen es fast nicht mehr, sich noch anzuschauen.<br />

Tiefbetrübt stellen sie beide fest, dass dieser Tag, <strong>der</strong> für sie so schön<br />

und wun<strong>der</strong>bar begonnen hat, jetzt mit diesen Misstönen endet, obwohl<br />

sich an ihrer Liebe füreinan<strong>der</strong> im Grund nichts geän<strong>der</strong>t hat. Vor allem<br />

Ulrike hat Mühe, ihre Tränen zu unterdrücken; es ist ja auch zu viel über<br />

sie hereingebrochen. Zuerst entdeckte sie ihre Liebe für ihn; dann<br />

erlebte sie zum ersten Mal in ihrem Leben, wie es ist, von einem Mann in<br />

die Arme genommen und geküsst zu werden, und kurz darauf brach ihre<br />

ganze neue Welt, die sie schon zu sehen glaubte, wie<strong>der</strong> zusammen. Es<br />

ist zwar nicht endgültig vorbei mit ihrer Beziehung, aber Ulrike spürt,<br />

dass sie sich einige Zeit nicht mehr sehen werden, ja, sie hält es sogar<br />

für besser. Das will sie ihm denn auch deutlich sagen, als sie an <strong>der</strong><br />

Eingangstür des Hauses, in dem sie wohnt, angekommen sind und er sie<br />

fast bittend fragt: „Können wir <strong>uns</strong> bald wie<strong>der</strong> sehen?“<br />

„Vorläufig lieber nicht“, antwortet sie ihm knallhart, was er auch so<br />

empfindet, „ich liebe dich zwar und will dich nicht verlieren, aber es ist für<br />

<strong>uns</strong> beide besser, wenn wir <strong>uns</strong> eine Zeit lang nicht mehr sehen, das<br />

heißt nicht mehr miteinan<strong>der</strong> ausgehen. Du sagst ja selbst, dass du<br />

deine Zeit brauchst - also will ich sie dir geben.“<br />

Während sie diese Worte sagt, merkt sie fast nicht, wie ihr diesmal<br />

tatsächlich Tränen über die Wangen rinnen. Auch ihm kommen fast die<br />

Tränen, doch er kann sie noch zurückhalten. Wie er sieht, dass sie ihm<br />

nur die Hand entgegenstrecken will, um sich von ihm zu verabschieden,<br />

tritt er einen Schritt nach vorn und drückt sie fest an sich. Da sie darauf<br />

aber nicht reagiert und ihn nicht wie gewünscht umarmt, geschweige<br />

denn küsst, steigert sich seine Verzweiflung noch mehr, und fast<br />

schluchzend sagt er ihr leise ins Ohr: „Ich liebe dich über alles, Ulrike.<br />

Bitte verlass mich nicht!“<br />

Damit trennen sich ihre <strong>Weg</strong>e, ohne dass sie sich zu ihrem<br />

228


ei<strong>der</strong>seitigen Leidwesen noch einmal geküsst haben, und während er in<br />

seine Wohnung fährt und sich wie<strong>der</strong> so einsam vorkommt wie schon<br />

seit langem nicht mehr, wirft sie sich weinend auf ihr Bett und bleibt viele<br />

Minuten so liegen, bis sie sich wie<strong>der</strong> etwas erholt hat. Dann entschließt<br />

sie sich, erneut für ihn zu beten, wie sie das schon viele Male zuvor<br />

getan hat, und während <strong>der</strong> ganzen Zeit ihres Gebets hören die Tränen<br />

nicht auf, ihre Wangen zu benetzen.<br />

16<br />

Wochen vergehen, Wochen <strong>der</strong> Traurigkeit und <strong>der</strong> abgrundtiefen<br />

Verzweiflung - einerseits für Ulrike, die manchmal schon glaubt, sie habe<br />

den Mann, den sie liebgewonnen und <strong>der</strong> ihr deutlich gesagt hat, dass er<br />

sie auch liebt, wie<strong>der</strong> verloren, und dennoch die Hoffnung nicht aufgibt<br />

und jeden Tag und manchmal auch nachts innig für seine Bekehrung<br />

betet … an<strong>der</strong>erseits aber auch für Hans, <strong>der</strong> im Gegensatz zu ihr<br />

tatsächlich glaubt, er habe seine große Liebe wie<strong>der</strong> verloren, und keine<br />

Ruhe mehr findet.<br />

In diesen Wochen <strong>der</strong> Trennung, in denen sie sich nicht mehr sehen und<br />

sogar bewusst aus dem <strong>Weg</strong> gehen, wird es ihm erst recht klar, wie sehr<br />

er Ulrike liebt. Er denkt buchstäblich Tag und Nacht an sie, ja, manchmal<br />

träumt er sogar von ihr und erlebt dann jedes Mal die schönen Momente<br />

an jenem Sonntag auf <strong>der</strong> Wiese wie<strong>der</strong>. Als er ihr sagte, er habe noch<br />

nie eine Frau vorher so geliebt wie sie, war kein einziger Hauch von<br />

Übertreibung o<strong>der</strong> gar Lüge in diesen Worten, son<strong>der</strong>n es entsprach <strong>der</strong><br />

Wirklichkeit, wie er sie empfindet. Das erkennt er erst recht darin, dass<br />

er noch nie so nie<strong>der</strong>geschlagen und traurig war, wenn eine Trennung<br />

von einer Frau wie<strong>der</strong> einmal Tatsache geworden war, wie in diesen<br />

Tagen; es ist nicht mehr er selbst, <strong>der</strong> sein Leben bestimmt, son<strong>der</strong>n<br />

seine tiefe Liebe für Ulrike.<br />

Erst jetzt wird es ihm so richtig klar, was es heißt, an einer Liebe<br />

zugrunde zu gehen. Da nützt auch nicht mehr <strong>der</strong> Trost, dass es noch<br />

viele an<strong>der</strong>e gute und liebe Frauen auf <strong>der</strong> Welt gibt, wie ein Kollege das<br />

meinte, <strong>der</strong> ihn einmal nach dem Grund für seine offensichtliche und<br />

kaum verborgene Nie<strong>der</strong>geschlagenheit fragte. Sicher gäbe es noch<br />

viele an<strong>der</strong>e Frauen, die gut zu ihm passen könnten, aber es gibt eben<br />

nur eine Ulrike, und keine an<strong>der</strong>e ist so wie sie - da gibt es bei ihm nicht<br />

den geringsten Zweifel mehr.<br />

Dass nicht nur Frauen und Mädchen sich wegen einer unerfüllten Liebe<br />

229


zu einem Mann o<strong>der</strong> einem Jungen verzehren und oft daran zugrunde<br />

gehen können, son<strong>der</strong>n dass dies umgekehrt oft auch bei Männern<br />

geschieht, erfährt er jetzt an sich selbst. Früher konnte er nie begreifen,<br />

warum jemand sich aus Liebeskummer o<strong>der</strong> aus an<strong>der</strong>en Gründen das<br />

Leben nahm o<strong>der</strong> nehmen wollte; er sagte sich immer, dass es aus je<strong>der</strong><br />

Lage einen Ausweg geben müsse, und erscheine diese noch so<br />

hoffnungslos. Jetzt kann er die Beweggründe dieser Menschen dagegen<br />

gut verstehen; zumindest vermag er sich eher in die völlig<br />

durcheinan<strong>der</strong>gewühlte, wenn nicht gar zerstörte Gefühlswelt solcher<br />

Leute zu versetzen. Jetzt würde er nicht mehr mit dem Kopf schütteln,<br />

wenn er wie<strong>der</strong> einmal zu hören o<strong>der</strong> zu lesen bekäme, es habe sich<br />

jemand von einer hohen Brücke wie <strong>der</strong> berühmt-berüchtigten Golden-<br />

Gate in San Francisco, vom Eiffelturm o<strong>der</strong> vom Fujiama in den Tod<br />

gestürzt, sich vor einen Zug gelegt, sich eine Kugel in den Kopf<br />

geschossen, sich erhängt, sich die Pulsa<strong>der</strong>n aufgeschnitten o<strong>der</strong> sich<br />

sonstwie das Leben genommen. Er fühlt sich so tief am Boden, dass es<br />

ihm fast den Verstand raubt, und einmal ertappt er sich gar beim<br />

Gedanken, dass auch er das Gleiche wie so viele an<strong>der</strong>e tun könnte -<br />

verzweifelt genug wäre er ja. Da er offiziell immer noch <strong>der</strong> Armee<br />

angehört und dort ein Füsilier-Korporal ist, hat auch er in seinem<br />

Schrank ein ausgeliehenes Sturmgewehr mitsamt <strong>der</strong> Taschenmunition.<br />

Einmal öffnet er sogar diesen Schrank und schaut sich die Waffe kurz<br />

an: Ja, es wäre so leicht und ginge so schnell, und im Gegensatz zu<br />

manchen an<strong>der</strong>en, die aus Mangel an Anatomie-Kenntnissen nicht<br />

einmal richtig trafen und dann für den Rest ihres Lebens invalid im<br />

Gesicht und meistens auch noch geistig wach blieben und sich im<br />

Spiegel buchstäblich ansehen mussten, was sie angerichtet hatten,<br />

würde er mit Sicherheit richtig treffen. In diesem Zusammenhang erinnert<br />

er sich wie<strong>der</strong> an den Nothelfer-Kurs, den er seinerzeit absolvieren<br />

musste, als er Auto fahren lernte, den er aber auch als sehr nützlich und<br />

notwendig betrachtete. Da sprach <strong>der</strong> Arzt, <strong>der</strong> diesen Kurs leitete, in<br />

genügend klaren Worten davon, dass niemand die Garantie habe, dass<br />

er o<strong>der</strong> sie nicht einmal in eine seelische Notlage geraten könnte, doch<br />

dann sagte er warnend: „Erschießen Sie sich ja nicht! Sie würden<br />

sowieso nicht richtig treffen.“<br />

Und dann erzählte er gerade von diesen Invaliden, die es versucht<br />

hatten und gescheitert waren und für den Rest ihres Lebens so furchtbar<br />

gezeichnet blieben.<br />

Nein, das würde bei ihm ganz sicher nicht geschehen - er würde sein<br />

Geschäft verstehen. Ja, es wäre wirklich so leicht und ginge so schnell.<br />

Aber würde er es tatsächlich fertigbringen? Nein, nur das nicht! Um<br />

230


Himmels willen nicht! Er will doch leben, er will nicht einfach aufgeben;<br />

das würde doch gar nicht zu ihm passen, er hat sich bisher doch immer<br />

durchgebissen. Da erinnert er sich wie<strong>der</strong> an die Worte eines Kollegen,<br />

<strong>der</strong> ihm vor vielen Jahren sagte, dass gerade jene, bei denen<br />

Selbstmordgedanken aufkommen und die sich denoch nicht umbringen,<br />

viel mehr Mut haben als jene, die tatsächlich Schluss machen, weil sie<br />

trotz aller Schwierigkeiten nochmals einen Neubeginn wagen. Zudem ist<br />

da noch etwas, das ihn stark beschäftigt und ihm keine Ruhe mehr lässt:<br />

Wenn es stimmt, was diese Christen sagen, wonach <strong>der</strong> einzelne<br />

Mensch für immer verloren ist, wenn er o<strong>der</strong> sie stirbt, ohne an Jesus<br />

Christus als persönlichen Erlöser zu glauben, dann würde auch er zu<br />

denen gehören, und falls ihre Worte, nach denen je<strong>der</strong> Mensch nur ein<br />

Leben hat, ebenfalls <strong>der</strong> Wahrheit entsprechen, hätte er nachher ja keine<br />

Chance mehr, um noch einmal zurückzukehren und sein Leben an<strong>der</strong>s<br />

in die Hand zu nehmen und vor allem um sich zu bekehren.<br />

Ist er wohl schon tiefer mit diesem Gedankengut verbunden, als es ihm<br />

selbst bewusst ist? Sonst hätte er in seinem Innersten wohl kaum diese<br />

Furcht vor einem Selbstmord, auch wenn bei ihm ab und zu solche<br />

Gedanken aufkommen. Dabei wäre es so einfach, seine Ulrike<br />

zurückzugewinnen: Er müsste sich nur bekehren - und schon würde ihrer<br />

Liebe nichts mehr im <strong>Weg</strong> stehen, doch das hört sich einfacher an, als<br />

es ist. Er beschäftigt sich zwar immer wie<strong>der</strong> mit dem, was Ulrike und<br />

alle an<strong>der</strong>en ihm gesagt haben, und er versucht auch, alles richtig<br />

einzuordnen und zu verstehen, aber es gelingt ihm einfach nicht, so sehr<br />

er sich auch bemüht. Das viel zitierte Brett bleibt auch bei ihm vor den<br />

Augen kleben und so sieht er immer noch nicht klar, warum er sich auf<br />

diese Weise bekehren soll, wie diese Christen es von ihm erwarten und<br />

zum Teil auch erhoffen.<br />

Immer wie<strong>der</strong> denkt er an die langen Gespräche zurück, die er zuerst mit<br />

Erwin Gisler und dann auch mit Jan Hoveneel und Bruno <strong>Weg</strong>mann<br />

<strong>führt</strong>e, aber auch an die kurzen Gespräche mit dem Prediger Rabi<br />

Mavendran sowie mit Albert Bachmann und Claudia Meier, die sich bei<br />

einem seiner Besuche in <strong>der</strong> Teestube bekehrt haben, und nicht zuletzt<br />

auch an die Worte seiner geliebten Ulrike. So verschieden diese sieben<br />

Personen auch sind, so einig waren sie sich darin, um zu bezeugen,<br />

dass Jesus Christus wirklich von den Toten auferstanden ist und noch<br />

heute lebt und ihr Leben positiv verän<strong>der</strong>t hat. Ob wohl tatsächlich etwas<br />

Wahres dran ist? Haben sie vielleicht doch Recht? Das würde dann aber<br />

heißen, dass er selbst nicht Recht hätte, dass er sich also bis heute in<br />

seinen verschiedenen Weltanschauungen geirrt hätte und stets auf dem<br />

falschen <strong>Weg</strong> gegangen wäre. Könnte er das sich selbst gegenüber<br />

eingestehen?<br />

231


Vielleicht lohnt es sich doch, sich einmal näher und gründlicher mit<br />

diesem christlichen Gedankengut zu beschäftigen - schaden kann es ja<br />

kaum. Wer weiß, vielleicht hilft ihm das am Ende, die geliebte Frau neu<br />

zu gewinnen. Das könnte sich umso mehr lohnen, als sie ihm ja gesagt<br />

hat, dass sie ihn immer noch liebt und auf ihn wartet, dass sie ihm seine<br />

Zeit zum Nachdenken geben will. Soll er sie aber unnötig lange warten<br />

lassen? Er rechnet zwar nicht damit, dass ihm ein an<strong>der</strong>er Mann<br />

ausgerechnet in dieser schwierigen Zeit für sie beide<br />

dazwischenkommen wird, aber wenn diese Trennung noch allzu lange<br />

anhält, könnte es einmal geschehen, dass sie sich zu sehr voneinan<strong>der</strong><br />

entfremden und ihre Beziehung dann erst recht in die Brüche ginge.<br />

Nein, das will er nicht; er will Ulrike um keinen Preis <strong>der</strong> Welt verlieren.<br />

Für sie würde er alles tun, ja, für sie würde er sich sogar zu diesem<br />

Jesus Christus bekehren, wenn es unbedingt sein muss, auch wenn er<br />

den Sinn dafür immer noch nicht ganz einsieht und zudem nicht die<br />

geringste Ahnung hat, wie er diese Bekehrung bewerkstelligen soll -<br />

jetzt, da <strong>der</strong> Kontakt zu Ulrike vorläufig abgebrochen ist und er sich an<br />

<strong>der</strong> Feldeggstraße auch nicht mehr blicken lässt. Er ist also auf sich<br />

allein gestellt, doch er will es auch so, denn er will seinen <strong>Weg</strong> selbst<br />

finden, und wenn es sein muss auch den <strong>Weg</strong> zu diesem unbekannten<br />

Gott.<br />

So fängt er an, ab und zu in <strong>der</strong> Bibel zu lesen, aber ohne ein<br />

bestimmtes System; manchmal ist es ein Teil aus dem ersten Buch<br />

Mose, das ihn wegen <strong>der</strong> Urgeschichte <strong>der</strong> Menschheit am meisten<br />

interessiert, manchmal ein Stück aus einem <strong>der</strong> Evangelien und hie und<br />

da auch ein Psalm o<strong>der</strong> ein neutestamentlicher Brief, aber nur einer <strong>der</strong><br />

kleineren - für die großen wie dem Römer- und dem Hebräerbrief, die<br />

auch theologisch gesehen viel schwerer als die an<strong>der</strong>en zu verstehen<br />

sind, was er schon zu Beginn erkennen kann, fehlt es ihm vorläufig an<br />

<strong>der</strong> nötigen Geduld. Auch wenn er fast nichts versteht und sich oft sagt,<br />

was für seltsame Typen diese Christen doch sein müssen, wenn sie<br />

behaupten, die Worte <strong>der</strong> Bibel seien lebendig und kämen ihnen bei <strong>der</strong><br />

Lektüre jedes Mal wie<strong>der</strong> neu vor, da er selbst nichts <strong>der</strong>gleichen<br />

empfindet, fühlt er sich nach je<strong>der</strong> Lesestunde zumindest nicht unwohl.<br />

Ob er sich wohl tatsächlich auf dem <strong>Weg</strong> zu Gott befindet, wie es Erwin<br />

Gisler ihm einmal gesagt hat?<br />

---------------------------------------------------------------------------------------------<br />

Da sein Leben sich jedoch nicht nur zwischen den eigenen vier Wänden<br />

abspielt und auch er seine täglichen Kämpfe in <strong>der</strong> Welt draußen<br />

auszufechten hat, kann ein solcher Gemütszustand, in dem er sich<br />

232


wochenlang befindet, gegenüber denen, die näher mit ihm zu tun haben,<br />

natürlich nicht verborgen bleiben. Das betrifft nicht nur seinen<br />

Arbeitsplatz, an dem er sein Pensum wenigstens noch zur Zufriedenheit<br />

seiner Vorgesetzten und Kontrolleure erledigen kann, son<strong>der</strong>n noch viel<br />

mehr den Fußballverein, dem er noch immer angehört.<br />

Drei Wochen nach seinem letzten Treffen mit Ulrike, das so gut<br />

begonnen und so unglücklich geendet hat, ist seine Zerrung ausgeheilt,<br />

so dass sein Hausarzt ihm den Entlassungsschein aus <strong>der</strong> Therapie<br />

aushändigen kann, <strong>der</strong> er sich an jedem zweiten Tag - o<strong>der</strong> an jedem<br />

dritten, wenn ein Sonntag dazwischenkam - unterzogen hat und wegen<br />

gewisser For<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Versicherung, die für seinen Fall zuständig<br />

ist, auch unterziehen musste. Bevor er mit dem Fußballspielen wie<strong>der</strong><br />

beginnt, wartet er auch auf Anraten des Arztes noch eine weitere<br />

Woche. Erst dann lässt er sich im Verein wie<strong>der</strong> blicken; da die Kollegen<br />

wussten, wie schlecht dran er in diesen Wochen war - allerdings wusste<br />

kein Einziger etwas von den näheren Hintergründen -, wurde er in Ruhe<br />

gelassen und bekam nur wenige Telefonanrufe, was ihm aber nichts als<br />

recht war.<br />

In <strong>der</strong> Zeit seiner Verletzung hat sich aber etwas Entscheidendes<br />

verän<strong>der</strong>t: Es wurde natürlich auch ohne ihn weitergespielt - und sein<br />

Vertreter namens Franz Tobler, ein junger, ehrgeiziger Bursche von<br />

knapp unter zwanzig Jahren, <strong>der</strong> ebenso wie er mit beiden Füßen etwa<br />

gleich stark spielt und ebenfalls in einer linken o<strong>der</strong> rechten<br />

Verteidigerposition zu spielen versteht, hat sich in diesen vier Wochen<br />

<strong>der</strong>art gut in die Mannschaft eingefügt, dass Hans vom rein spielerischen<br />

Standpunkt aus gesehen praktisch nicht vermisst wurde. Nicht zuletzt<br />

hatte auch dieser Franz einen entscheidenden Anteil daran, dass <strong>der</strong><br />

Verein gegen das Ende <strong>der</strong> Saison doch noch erstaunlich sicher die<br />

Aufstiegsrunde erreicht hat. Natürlich haben die Kollegen noch nicht<br />

vergessen, dass auch Hans zu diesem Teilerfolg beigetragen hat, aber<br />

eben auch Franz.<br />

In <strong>der</strong> Aufstiegsrunde ihrer Region gibt es drei Gruppen zu je vier<br />

Mannschaften. Jede muss also sechs Spiele bestreiten, je drei zu Hause<br />

und auswärts, und am Ende steigen nur die jeweiligen Gruppensieger<br />

auf. Es werden nachher also keine Barragespiele <strong>der</strong> Gruppenzweiten<br />

gegen Mannschaften aus an<strong>der</strong>en Gruppen ausgetragen, son<strong>der</strong>n<br />

höchstens allenfalls notwendige Entscheidungsspiele um den<br />

Gruppensieg.<br />

Obwohl <strong>der</strong> Trainer gewisse Bedenken hat, Hans so kurz nach <strong>der</strong><br />

Ausheilung seiner Zerrung schon wie<strong>der</strong> auflaufen zu lassen, stellt er ihn<br />

233


im ersten Spiel wie<strong>der</strong> auf und lässt seinen bisherigen Vertreter draußen,<br />

nicht zuletzt auch deshalb, weil er es ihm aufgrund seiner jahrelangen<br />

Verdienste um den Verein schuldig zu sein glaubt und Franz immer noch<br />

am Anfang seiner Fußballerlaufbahn steht, also noch viel Zeit vor sich<br />

hat. Es ist ein Län<strong>der</strong>spiel - und erst noch auswärts und deshalb eine<br />

noch schwierigere Aufgabe, und dies umso mehr, als die<br />

Heimmannschaft genauso wie fast alle an<strong>der</strong>en, die sich fast nur aus<br />

Auslän<strong>der</strong>n zusammensetzen, eine erstaunlich große Anhängerschaft<br />

dabeihat, die sie natürlich lautstark anfeuert und die Gegner mit den<br />

entsprechenden Schimpfwörtern bewirft, wie das ja überall und an jedem<br />

Wochenende zu sehen und vor allem zu hören ist.<br />

Die Tatsache, dass er seinen Stammplatz an den viel jüngeren und auch<br />

konditionell stärkeren Franz verlieren könnte, lähmt Hans viel weniger<br />

als eben sein seelischer Zustand, den er auch auf dem Fusballplatz nicht<br />

verbergen kann; zudem fühlt er sich immer noch etwas müde, da zeigt<br />

sich eindeutig sein Trainingsrückstand von vier Wochen. Wenigstens<br />

kommt es ihm entgegen, dass er es sich als meistens hinterster<br />

Verteidiger leisten kann, mehr hinten zu bleiben und damit weniger<br />

laufen zu müssen, obwohl beim heutigen mo<strong>der</strong>nen Fußball erwartet<br />

wird, dass auch Verteidiger wenn nötig mitstürmen, so wie auch Stürmer<br />

wenn nötig verteidigen.<br />

Der Trainer merkt genauso wie die Mannschaftskameraden, die mit ihm<br />

spielen, natürlich bald, dass mit ihm etwas nicht stimmt, und so nimmt er<br />

ihn in <strong>der</strong> Pause aus <strong>der</strong> Mannschaft und ersetzt ihn durch Franz. Dabei<br />

ist ihm das nicht einmal unangenehm, denn so kann er sich wie<strong>der</strong><br />

etwas erholen, und dafür dankt er dem Trainer auch noch. Da die<br />

Mannschaft das Spiel zwar mit viel Mühe 2:1 gewinnt, aber doch gewinnt<br />

und damit drei enorm wichtige Punkte nach Hause bringen kann, achten<br />

<strong>der</strong> Trainer und auch die an<strong>der</strong>en in ihrer Freude über diesen Sieg nicht<br />

mehr beson<strong>der</strong>s darauf, dass Hans an diesem Tag gar nicht gut drauf<br />

war und sich zeitweise so schlecht fühlte, dass er sich kurz nach seiner<br />

Auswechslung fast übergeben musste.<br />

Beim zweiten Spiel, das zu Hause ausgetragen werden kann, ist ihm<br />

jedoch deutlich anzumerken, dass mit ihm etwas nicht mehr stimmt. Es<br />

läuft ihm zwar besser als vor einer Woche, er spielt auch konzentrierter<br />

und wirkt weniger müde als im ersten Spiel, so dass <strong>der</strong> Trainer ihn<br />

diesmal bis zum Schluss durchspielen lässt. Trotzdem bekommen seine<br />

Mitspieler den Eindruck, er sei nicht ganz bei <strong>der</strong> Sache und zu wenig<br />

aggressiv, vor allem in den Zweikämpfen, die früher immer seine große<br />

Stärke waren. Dass das Spiel mit einem 0:0 endet, ist aber nicht seine<br />

234


Schuld; schließlich müssen sie kein Tor hinnehmen und es gehört nicht<br />

zu seinen Aufgaben, selbst eines zu schießen. Noch einmal ist es für ihn<br />

gut ausgegangen, aber es ist klar, dass <strong>der</strong> Trainer und die meisten<br />

Spieler sauer sind - nicht auf Hans, son<strong>der</strong>n auf sich selbst, weil sie ein<br />

Spiel, in dem sie die meiste Zeit feldüberlegen waren und auch zu ein<br />

paar sehr guten Chancen kamen, nicht gewonnen und damit zwei<br />

wichtige Punkte verschenkt haben, die ihnen bei <strong>der</strong> Endabrechnung<br />

fehlen könnten.<br />

Das dritte Spiel ist wie<strong>der</strong> auswärts gegen einen ähnlich starken Gegner<br />

wie beim ersten und erneut auch gegen einen starken Anhang, und<br />

diesmal läuft es für Hans, <strong>der</strong> noch einmal bis zum Schluss durchspielt,<br />

nicht mehr so gut. Dass seine Mannschaft am Schluss nicht gewinnt und<br />

sich mit einem 1:1 begnügen muss, also nochmals zwei wichtige Punkte<br />

verliert, die hätten gewonnen werden können, liegt zum Teil auch an<br />

ihm, denn <strong>der</strong> Ausgleichstreffer, <strong>der</strong> erst zehn Minuten vor Schluss<br />

gefallen ist, muss in erster Linie er auf seine Kappe nehmen. Er beging<br />

einen <strong>der</strong> typischen Verteidigerfehler, wie sie hin und wie<strong>der</strong> zu<br />

beobachten sind: Anstatt den Ball einem nahe stehenden freien<br />

Mitspieler zuzuschieben, drehschte er ihn aufs Geratewohl in Richtung<br />

Mittelpunkt. Er hatte zwar vor, einen <strong>der</strong> beiden Mittelfeldspieler zu<br />

erreichen, die dort standen, aber so wie er es tat, wirkte es kopflos, nicht<br />

zuletzt auch aus <strong>der</strong> Sicht des Trainers, <strong>der</strong> diesen Lapsus von<br />

außerhalb miterleben musste.<br />

So kam eben, was kommen musste: Da keiner <strong>der</strong> beiden<br />

Mittelfeldspieler dem Ball entgegenlief, wurde dieser von einem<br />

Gegenspieler abgefangen, und aus dem darauffolgenden Angriff<br />

entwickelte sich das Gegentor, das erst recht nicht nötig gewesen wäre,<br />

weil die Mannschaft erneut die meiste Zeit feldüberlegen spielte.<br />

Natürlich wurde <strong>der</strong> Trainer sauer auf Hans, aber da nun einmal je<strong>der</strong><br />

einen spielentscheidenden Fehler begehen kann und zudem nur noch<br />

wenige Minuten zu spielen waren, hat er ihn nicht herausgenommen.<br />

Trotzdem macht er sich seine Gedanken über ihn, aber er will ihm noch<br />

eine Chance geben; deshalb spricht er nach dem Spiel im Umklei<strong>der</strong>aum<br />

nur kurz mit ihm und tut so, als wäre nichts geschehen. Auch von seinen<br />

Mitspielern bekommt er keinen Vorwurf zu hören, vor allem nicht von den<br />

Stürmern, die sich selbst an <strong>der</strong> Nase nehmen müssen, weil sie schon<br />

wie<strong>der</strong> mehrere ausgezeichnete Chancen nicht verwerten konnten.<br />

Dann kommt wie<strong>der</strong> ein Heimspiel, das vierte Spiel insgesamt und<br />

gegen die gleiche Mannschaft, die sie auswärts geschlagen haben.<br />

Obwohl sie in den vorherigen drei Spielen erst fünf Punkte errungen<br />

235


haben, sind sie noch nicht aus dem Rennen, können den Aufstieg<br />

theoretisch also immer noch schaffen. Mit einem weiteren Sieg gegen<br />

diesen Gegner hätten sie acht Punkte und könnten damit sogar bis zur<br />

Tabellenspitze vorstoßen, falls jene Mannschaft, gegen die sie 0:0<br />

gespielt haben und die darauf die beiden nächsten Spiele gewonnen und<br />

damit schon sieben Punkte auf dem Konto hat, heute verliert. Allerdings<br />

spielt sie zu Hause gegen den Tabellenletzten, eben jene Mannschaft,<br />

gegen die Hans und seine Kollegen 1:1 gespielt haben, und so ist die<br />

Wahrscheinlichkeit groß, dass sie eher gewinnt als verliert, obwohl auch<br />

im Fußball immer wie<strong>der</strong> dicke Überraschungen möglich sind.<br />

Wie schon in den drei ersten Spielen läuft es Hans erneut schlecht.<br />

Obwohl er sich darum bemüht, es gelingt ihm einfach nicht, sich richtig<br />

zu konzentrieren; er steht zeitweise sogar <strong>der</strong>art neben den Schuhen,<br />

dass seine Mitspieler schon zu hoffen beginnen, dass die Gegenangriffe<br />

nicht auf seiner Seite ausge<strong>führt</strong> werden. Einmal vergisst er sogar völlig,<br />

in Harmonie mit den an<strong>der</strong>en die Abseitsfalle zu stellen, indem er<br />

zeitgleich mit ihnen nach vorn rennt, und verschuldet damit fast ein Tor.<br />

Er hat es nur <strong>der</strong> guten Reaktion des Tormanns zu verdanken, dass die<br />

Mannschaft ungeschoren davonkommt, doch wenige Minuten später<br />

passiert ihm das Gleiche fast noch einmal, und er rennt buchstäblich erst<br />

in letzter Sekunde mit nach vorn. Was ist denn nur mit Hans los?, fragen<br />

sich einige schon bald. Auch die Spieler <strong>der</strong> gegnerischen Mannschaft<br />

erkennen natürlich seine Schwäche - und so versuchen sie gerade das,<br />

was die an<strong>der</strong>en verhin<strong>der</strong>n wollen, nämlich mehr auf seiner Seite<br />

anzugreifen.<br />

Es scheint wirklich nur noch eine Frage <strong>der</strong> Zeit zu sein, bis <strong>der</strong> erste<br />

Gegentreffer fällt, und so kommt kurz nach einer halben Stunde, was<br />

irgendwann einmal fällig war: Bei einem Flankenball, den er in besseren<br />

Tagen ohne Probleme mit einer Direktabnahme o<strong>der</strong> mit dem Kopf<br />

abgefangen hätte, ja, den er manchmal sogar mit einem kleinen<br />

Gegenvorstoß fast bis zur Mittellinie unterbunden hätte, schlägt er voll<br />

über den Ball, so dass <strong>der</strong> dahinter stehende Stürmer dieses Geschenk<br />

dankbar annehmen kann und keine Mühe hat, diesen im Tor<br />

unterzubringen - da nützt auch die gute Reaktion des Tormanns auf<br />

seinen Schuss nichts mehr. Sicher passieren solche Fehler immer<br />

wie<strong>der</strong> und sogar Verteidigern, die zur Weltklasse zählen, aber da ihm<br />

jetzt schon zum zweiten Mal innert kürzester Zeit ein verhängnisvoller<br />

Lapsus unterlaufen ist, <strong>der</strong> zu einem Gegentor ge<strong>führt</strong> hat, fühlt er sich<br />

tief beschämt, nicht zuletzt auch seinen Mitspielern und dem Trainer<br />

gegenüber, die so viel Zeit investiert und sich <strong>der</strong>art Mühe gegeben<br />

haben, um den heiß ersehnten Aufstieg zu schaffen; es wäre <strong>der</strong> erste<br />

236


überhaupt in <strong>der</strong> noch jungen Geschichte dieses Vereins, den es erst<br />

seit etwa zwanzig Jahren gibt.<br />

Natürlich platzt dem Trainer nach dieser Szene endgültig <strong>der</strong> Kragen. Er<br />

hat bisher lange Geduld gehabt, aber jetzt hat er genug von seiner<br />

Spielweise. Da immer noch fast fünfzehn Minuten bis zur Pause zu<br />

spielen sind und er es für zu riskant hält, Hans noch weiter auf dem Feld<br />

zu lassen, holt er ihn vorzeitig heraus und ersetzt ihn wie<strong>der</strong> durch<br />

Franz, und alle, die von den vereinsinternen Vorgängen eine Ahnung<br />

haben, können sich leicht ausrechnen, dass diese Ersetzung wohl die<br />

definitive Wachtablösung ist und zugleich das Ende einer<br />

Fußballerlaufbahn einläuten könnte. Aus taktischer Sicht erweist sich<br />

diese Maßnahme aber als richtig, denn Franz, <strong>der</strong> seine große Chance<br />

natürlich erkennt und sie fest entschlossen ausnützen will, sprüht<br />

geradezu vor Spielwitz und ist für die Verteidigng sofort eine klare<br />

Verstärkung. So trägt er entscheidend dazu bei, dass die Mannschaft<br />

wie<strong>der</strong> einen Zusammenhalt bekommt und die Fäden von hinten nach<br />

vorn und umgekehrt wie<strong>der</strong> fließend laufen - allerdings gelingt ihnen vor<br />

<strong>der</strong> Pause kein Tor mehr.<br />

Noch vor wenigen Monaten hätte eine solche Auswechslung für Hans<br />

fast das Ende <strong>der</strong> Welt bedeutet. Dass ein Spieler ab und zu aus<br />

taktischen und erst recht aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig vom<br />

Feld genommen und durch einen an<strong>der</strong>en ersetzt wird, ist zwar durchaus<br />

normal und ist mit ihm in den sechzehn Jahren seines Fußballerlebens<br />

auch schon ein paar Mal geschehen, und so musste er es nicht weiter<br />

tragisch nehmen. Was jedoch heute vorgefallen ist, hat er noch nie<br />

erlebt; eine solche Demütigung vor allen an<strong>der</strong>en hat er noch nie über<br />

sich ergehen lassen müssen. Im Gegensatz zu früher, als ihn das tief<br />

gekränkt hätte, kann er das jedoch zu seinem eigenen Erstaunen recht<br />

gelassen hinnehmen. So ist er dem Trainer keineswegs bös, dass er ihn<br />

nicht wenigstens bis zur Pause noch spielen lässt, son<strong>der</strong>n ihn vorzeitig<br />

und unter den Augen aller Spieler und des Publikums aus dem Spiel<br />

genommen hat. Er hat sogar Verständnis für diese Maßnahme;<br />

schließlich hat er tatsächlich schlecht gespielt und <strong>der</strong> Trainer als <strong>der</strong><br />

Hauptverantwortliche für die Mannschaft musste nun einmal danach<br />

handeln, was er für das Beste hielt.<br />

Trotz dieses Verständnisses ist es aber schlimm genug, sich das Spiel<br />

von außerhalb auf <strong>der</strong> Bank ansehen zu müssen, auch wenn Hans<br />

anerkennen muss, dass Franz weitaus besser spielt als er zuvor. Was<br />

ihn aber noch viel mehr schmerzt, ist die eisige Kälte, mit <strong>der</strong> er heute<br />

behandelt wird. Das hat schon damit begonnen, dass <strong>der</strong> Trainer ihn<br />

237


nicht mit einem einzigen Blick würdigte, als er vom Spielfeld kam und<br />

sich direkt neben ihn setzte, ja, dass in <strong>der</strong> Pause kein einziger<br />

Mitspieler auch nur ein einziges Wort mit ihm wechselt, als wäre er<br />

überhaupt nicht da - und vielleicht betrachten sie ihn bereits nicht mehr<br />

als Vereinsmitglied. Am meisten enttäuscht ihn jedoch, dass nicht einmal<br />

Markus Huggler, mit dem er sich persönlich am besten versteht und mit<br />

dem er fast immer an die Auswärtsspiele gefahren ist, sich wenigstens<br />

ansatzweise darum bemüht, mit ihm kurz zu sprechen. Vielleicht lastet<br />

jedoch <strong>der</strong> Druck <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en zu stark auf ihm und zudem denkt er, <strong>der</strong><br />

einer <strong>der</strong> wichtigen Mittelfeldstrategen ist, so wie immer in den Pausen<br />

bereits intensiv darüber nach, wie sie die zweite Halbzeit besser<br />

angehen sollen. Das Schlimmste ist jedoch, dass es seiner Mannschaft<br />

auch nach <strong>der</strong> Pause nicht mehr gelingt, den Rückstand wettzumachen,<br />

den er verschuldet hat; so muss er sich sagen, dass sie wegen ihm das<br />

Spiel und damit wahrscheinlich auch vorentscheidende drei Punkte<br />

verloren haben.<br />

Diese Vorahnung bestätigt sich, als <strong>der</strong> Trainer mit seinem Natel zum<br />

an<strong>der</strong>en Fußballplatz hinüberfunkt, <strong>der</strong> sich ungefähr fünfzehn Kilometer<br />

von hier entfernt befindet. Dort hat die Mannschaft gespielt, die an <strong>der</strong><br />

Tabellenspitze steht, und da er den Platzwart persönlich gut kennt, kann<br />

er ihn rasch fragen, wie das Spiel ausgegangen ist. Das<br />

Schlimmstmögliche ist wie befürchtet eingetroffen: Die an<strong>der</strong>en haben<br />

nicht nur gewonnen und stehen dadurch mit zehn Punkten deutlich oben,<br />

son<strong>der</strong>n haben auch noch hoch gewonnen und damit auch für die<br />

Tordifferenz etwas getan, die bei <strong>der</strong> Endabrechnung auch noch eine<br />

Rolle spielen könnte und sich schon oft fast als ein weiterer Punkt<br />

erwiesen hat, weil es bei einer Punktgleichheit zuerst auf diese<br />

ankommt.<br />

Nachdem schon fast alle sich umgezogen haben und gegangen sind,<br />

ohne sich auch nur mit einem Wort von Hans zu verabschieden, kommt<br />

<strong>der</strong> Trainer auf ihn zu und sagt in einem auffallend harten Ton: „Hans,<br />

ich muss noch mit dir reden.“<br />

Natürlich ist es klar, worüber er mit ihm sprechen will, und auch die<br />

wenigen an<strong>der</strong>en, die sich noch im Umklei<strong>der</strong>aum befinden, können sich<br />

das lebhaft vorstellen. Aber erst als <strong>der</strong> Allerletzte gegangen ist, wobei<br />

Markus sich als Einziger doch noch mit einem Handschlag von ihm<br />

verabschiedet hat, sind sie unter sich allein, und dann kann das<br />

Donnerwetter beginnen.<br />

„Du kannst dir selber ja gut genug vorstellen, warum ich mit dir noch<br />

reden will“, beginnt <strong>der</strong> Trainer sogleich resolut.<br />

238


„Natürlich weiß ich das“, entgegnet Hans, aber keineswegs <strong>uns</strong>icher. Er<br />

hat sich fest vorgenommen, sich nicht wegen eines Fußballspiels<br />

zusammenstauchen zu lassen - das ist es ihm nicht mehr wert.<br />

„Du weißt ja selber, wie katastrophal du heute gespielt hast“, setzt <strong>der</strong><br />

an<strong>der</strong>e fort, „ich verstehe ja, dass du nach dieser Verletzungspause<br />

wie<strong>der</strong> eine gewisse Zeit gebraucht hast, um dich neu in die Mannschaft<br />

einzufügen, und es kann jedem einmal ein Fehler passieren, aber bei dir<br />

ist das jetzt schon zweimal kurz hintereinan<strong>der</strong> vorgekommen, heute und<br />

vor einer Woche, und wegen dir haben wir wichtige Punkte verloren, die<br />

<strong>uns</strong> ziemlich sicher den Aufstieg kosten werden. Ich merke doch, dass<br />

du nicht mehr <strong>der</strong> Gleiche wie früher bist, dass du nicht mehr mit <strong>der</strong><br />

nötigen Konzentration spielst, und ich habe noch nicht vergessen, dass<br />

das zum Teil schon vor deiner Verletzung begonnen hat. Du bist wirklich<br />

nicht mehr <strong>der</strong> Gleiche wie früher - darum habe ich mich entschlossen,<br />

dich für die zwei restlichen Spiele aus <strong>der</strong> Mannschaft zu nehmen. Ich<br />

kann es vor den an<strong>der</strong>en einfach nicht länger verantworten, dich weiter<br />

spielen zu lassen. Du kannst dir ja selber gut genug vorstellen, warum<br />

fast alle dich nach dem Spiel geschnitten haben; ein paar von ihnen sind<br />

sogar richtig wütend auf dich, das habe ich ihnen auch ohne Worte<br />

deutlich angemerkt. Zum Glück gibt es für dich aber einen guten<br />

Ersatzspieler, <strong>der</strong> lang genug draußen auf seine Chance warten musste.<br />

Schon während deiner Verletzungszeit hat sich Franz gut in die<br />

Mannschaft eingefügt und heute hat er auch wie<strong>der</strong> gut gespielt.“<br />

„Sicher ist er ein guter Mann, das streite ich gar nicht ab“, entgegnet<br />

Hans, als <strong>der</strong> Trainer ihn wie<strong>der</strong> einmal zu Wort kommen lässt, „ich habe<br />

heute auch gesehen, wie gut er gespielt hat. Er wird sicher seinen <strong>Weg</strong><br />

machen, er ist ja auch mehr als zehn Jahre jünger als ich.“<br />

„Genau das wollte ich dir auch noch sagen, wenn du diesen<br />

Altersunterschied schon erwähnst: Da er auch in <strong>der</strong> nächsten Saison<br />

bei <strong>uns</strong> spielt und ich ihm weiter eine Chance geben will, wirst von jetzt<br />

an du an seiner Stelle Ersatzspieler sein. Etwas an<strong>der</strong>es kann ich mir im<br />

Moment nicht vorstellen, das musst du verstehen.“<br />

Wenn <strong>der</strong> Trainer geglaubt hat, Hans würde auf diese Mitteilung, die<br />

faktisch das Ende seiner Fußballerlaufbahn bedeutet, beson<strong>der</strong>s<br />

nie<strong>der</strong>geschlagen reagieren, hat er sich gewaltig in ihn getäuscht.<br />

Plötzlich kommt diesem eine Idee, die er seit dem Beginn <strong>der</strong><br />

Bekanntschaft mit den Christen und erst recht mit Ulrike schon seit<br />

Wochen mit sich herumgetragen, aber noch nie zu Ende gedacht und in<br />

klare Worte gekleidet hat.<br />

So entgegnet er gelassen: „Es ist mir gleich, ob ich dann noch in <strong>der</strong><br />

Manschaft dabei bin o<strong>der</strong> nicht. So wie es aussieht, höre ich sowieso mit<br />

dem Fußballspielen auf. Ich bin schon seit sechzehn Jahren in diesem<br />

239


Geschäft und heute 32-jährig, also in einem Alter, in dem schon ganz<br />

an<strong>der</strong>e und sogar viele berühmte Spieler ihre Schuhe an den Nagel<br />

gehängt haben, und nach einer solchen Zerrung muss man vor allem in<br />

diesem Alter je<strong>der</strong>zeit damit rechnen, dass es wie<strong>der</strong> passieren kann.“<br />

Auf diese unerwartete Neuigkeit reagiert <strong>der</strong> Trainer entsprechend,<br />

indem er sogar einen ganzen Schritt zurücktritt: „Das ist es also! Darum<br />

hast du in letzter Zeit so katastrophal gespielt! Natürlich, dir kann es ja<br />

gleich sein, ob wir den Aufstieg schaffen o<strong>der</strong> nicht; <strong>der</strong> Herr hört am<br />

Ende <strong>der</strong> Saison sowieso auf und die Kollegen können für den Schaden<br />

aufkommen, den du angerichtet hast. Wahrhaftig, eine solche<br />

Einstellung hätte ich dir nie zugetraut.“<br />

Darauf reagiert auch Hans energisch: „Jetzt mach aber mal halblang,<br />

Willi! Eine solche Behandlung muss ich mir nicht bieten lassen. Ich habe<br />

immer mein Bestes gegeben, wenn ich gut drauf war. Das solltest<br />

gerade du am besten wissen, du kennst mich doch schon lang genug.<br />

O<strong>der</strong> hast du das alles schon wie<strong>der</strong> vergessen, jetzt, da es mir schlecht<br />

läuft? Du hast wohl das Recht dazu, mich aus <strong>der</strong> Mannschaft zu<br />

nehmen - du bist schließlich <strong>der</strong> Trainer. Ich lasse mir aber keinen<br />

mangelnden Einsatz unterstellen, nicht nach einer so langen Karriere.“<br />

„Karriere sagst du dem? Dafür warst du viel zu wenig ehrgeizig und<br />

viel zu minimalistisch veranlagt. Wenn ich daran denke, was für ein<br />

Talent du früher warst! Ich sage noch heute, dass du einer <strong>der</strong> besten<br />

Verteidiger warst, die ich je gesehen habe, und du weißt ja auch, wie viel<br />

ich herumgekommen bin. Mit ein bisschen mehr Ehrgeiz und weniger<br />

Minimalismus und vielleicht noch besseren Kontakten nach oben hättest<br />

du in deinen besten Zeiten auch in <strong>der</strong> zweithöchsten o<strong>der</strong> sogar in <strong>der</strong><br />

höchsten Liga spielen können, aber für dich hatte <strong>der</strong> Beruf immer<br />

Vorrang. Das kann man ja noch verstehen, aber wenn ich daran denke,<br />

wie du heute spielst, bist du recht tief gefallen. Also komm mir nicht mit<br />

einer Karriere, vor allem jetzt nicht, da wir wegen dir ziemlich sicher den<br />

Aufstieg verpasst haben.“<br />

„Erzähl doch nicht so einen bodenlosen Blödsinn! Ich gebe ja zu, dass<br />

ich Mist gespielt habe; ich stehe zu meinen Fehlern. Aber dass wir<br />

wahrscheinlich nicht aufsteigen, ist nicht allein meine Schuld, und das<br />

weißt auch du sehr genau. Du hast ja selber immer wie<strong>der</strong> gesagt, dass<br />

es auf das ganze Kollektiv ankommt; also betrifft es die ganze<br />

Mannschaft, und wenn eine Mannschaft genug Klasse und Kampfgeist<br />

hat, kann sie einen Rückstand ohne weiteres aufholen, ein Tor erst<br />

recht. Was sagst du denn zu <strong>uns</strong>eren Stürmern, die ausgerechnet in<br />

diesen Aufstiegsspielen so viele dicke Chancen versiebt haben? Aber es<br />

hat jetzt keinen Zweck mehr, über das alles noch viel zu diskutieren. Ich<br />

habe unterdessen eingesehen, dass es im Leben noch Wichtigeres gibt<br />

240


als einen Aufstieg, und sogar dann, wenn wir diesen noch schaffen<br />

würden, hätten wir keine Garantie dafür, dass wir <strong>uns</strong> auch in <strong>der</strong> oberen<br />

Liga halten können und nicht schon nach einer Saison wie<strong>der</strong> absteigen<br />

müssen. Also was soll dieses ganze Gerede?“<br />

„Was sagst du da? Was ist dir denn noch wichtiger?“<br />

„Wie ich es sage: Es gibt noch Wichtigeres als Fußball, Aufstieg o<strong>der</strong><br />

Abstieg o<strong>der</strong> was auch immer. Das ist mir im Verlauf <strong>der</strong> letzten paar<br />

Monate immer klarer geworden - und das ist mit ein Grund, warum ich<br />

mit dem Fußballspielen aufhören will.“<br />

„Mit einer solchen Einstellung hast du in <strong>uns</strong>erem Verein aber nichts<br />

mehr zu suchen, nicht einmal mehr als Ersatzspieler! Da kannst du<br />

gleich die Koffer packen und verschwinden.“<br />

„Das musst du mir nicht zweimal sagen. Wenn du mich so behandelst,<br />

habe ich hier wirklich nichts mehr verloren.“<br />

Schon schickt er sich an, seine Sacken zusammenzupacken und ihm<br />

den Kastenschlüssel zu überreichen, doch da hält <strong>der</strong> Trainer ihn zurück<br />

und sagt darauf mit etwas ruhigerer Stimme und sichtlich darum bemüht,<br />

sich fortan besser zu beherrschen: „Hans, wir wollen nicht weiter<br />

streiten. Wir haben <strong>uns</strong> doch immer gut verstanden und du weißt, dass<br />

ich dich immer beson<strong>der</strong>s gern mochte, und im Grunde genommen mag<br />

ich dich auch jetzt noch gut, obwohl ich wegen dieses Spiels immer noch<br />

sauer bin; das gebe ich auch offen zu. Bevor du gehst, möchte ich dich<br />

nur noch eines fragen: Was hat dich so stark verän<strong>der</strong>t? Du warst doch<br />

vor wenigen Monaten noch ganz an<strong>der</strong>s, du warst ein aufgestellter und<br />

geselliger Typ, <strong>der</strong> sich mit allen gut verstand und den alle gernhatten,<br />

und heute bist du meistens so verschlossen und in dich gekehrt. Das<br />

passt einfach nicht zu dir, irgendetwas muss doch mit dir passiert sein.<br />

Kannst du es mir nicht sagen? Vielleicht kann ich dir helfen, wenn du<br />

schwere persönliche Probleme hast.“<br />

„Nein, Willi, es ist nicht das, was du meinst, jedenfalls nicht direkt das.“<br />

Dann zögert er kurz, bevor er leise hinzufügt: „Es ist wegen einer Frau.“<br />

„Also doch! Das habe ich mir schon halbwegs gedacht. Hast du etwa<br />

schon wie<strong>der</strong> die falsche erwischt und kannst aus diesem Grund nicht<br />

mehr so konzentriert spielen? Früher hast du solche Enttäuschungen<br />

doch locker weggesteckt und du bist immer noch in einem guten Alter,<br />

ganz bestimmt in einem besseren, als ich es bin ... Mach dir keine<br />

Sorgen, Hans! Du findest bald wie<strong>der</strong> eine; wer weiß, vielleicht überlegst<br />

du es dir dann doch noch einmal und kehrst zum Fußballspielen zurück -<br />

ob in diesem Verein o<strong>der</strong> in einem an<strong>der</strong>en, spielt dann auch keine Rolle<br />

mehr.“<br />

Dabei klopft er Hans wohlwollend auf die Schultern und überwindet sich<br />

sogar zu einem Lächeln.<br />

241


„Nein, diesmal ist es an<strong>der</strong>s“, entgegnet Hans sofort, indem er ihm fest in<br />

die Augen schaut, „es ist eine ganz beson<strong>der</strong>e Frau, wie ich noch keine<br />

an<strong>der</strong>e gekannt habe. Ich bin bis in mein Innerstes davon überzeugt,<br />

dass sie die große Liebe meines Lebens ist. Ich liebe sie so tief und fest,<br />

dass ich nicht mehr weiß, was ich machen soll, falls es endgültig zu einer<br />

Trennung kommt; wegen ihr verliere ich noch fast den Verstand.“<br />

„Aha, dann bist du also doch noch im Rennen? Was ist es denn, was sie<br />

so beson<strong>der</strong>s macht, wenn ich dich fragen darf?“<br />

Darauf zögert Hans etwas und antwortet dann umso sicherer: „Sie ist<br />

eine gläubige Frau, die an Jesus Christus glaubt.“<br />

Bei diesen Worten meint <strong>der</strong> Trainer fast, es treffe ihn <strong>der</strong> Schlag; er hat<br />

wohl mit allem Möglichen gerechnet, aber nicht mit einer solchen<br />

Antwort, und was ihn noch mehr überrascht, ist die ruhige Art, mit <strong>der</strong><br />

Hans das gesagt hat, denn auch das passt nicht zu ihm.<br />

„Was sagt du da?“, fragt er schließlich nach einer Erholungszeit von<br />

nicht wenigen Sekunden, „du liebst also eine von diesen Jesus-Leuten?<br />

Da kann ich mir gut vorstellen, dass die dir den Kopf verdreht hat.<br />

Ausgerechnet mit einer solchen hast du dich eingelassen, ausgerechnet<br />

mit einer von diesen superfrommen Stündelern!“<br />

„Red nicht so von ihnen! Sie sind viel besser, als du denkst.“<br />

Hans ist selbst überrascht, dass er jetzt plötzlich so gut von ihnen<br />

spricht. Empfindet er in seinem Innersten wohl schon mehr Sympathien<br />

für sie, als er es sich selbst eingestehen will?<br />

„So, dann gehörst du am Ende auch noch zu ihnen - als verkappter<br />

Jesus-Freak?“<br />

„Nein, aber sie haben in vielem Recht.“<br />

„Spinnst du? Willst du jetzt auch damit anfangen, Sonntag für Sonntag in<br />

die Kirche zu rennen und dort fromme Lie<strong>der</strong> zu singen? Jetzt ist es mir<br />

endgültig klar, warum du in letzter Zeit so hundsmiserabel gespielt hast.“<br />

„Richtig, du sagst es gerade: Sonntag für Sonntag. Hältst du das aber<br />

für ein besseres Leben, das wir da draußen auf den Sportplätzen<br />

führen? Jeden Sonntag o<strong>der</strong> manchmal auch an einem Samstag, aber<br />

doch an jedem Wochenende rennen wir von Spiel zu Spiel und stehen<br />

jedes Mal unter dem gleichen Druck, zu gewinnen o<strong>der</strong> wenigstens nicht<br />

zu verlieren, und meistens genügt auch ein Unentschieden nicht mehr,<br />

seitdem bei einem Sieg die Drei-Punkte-Regel gilt. Dabei wird überall mit<br />

einer solchen Verbissenheit gekämpft, als ob <strong>der</strong> Untergang <strong>der</strong> Welt vor<br />

<strong>der</strong> Tür stehen würde, und das auch in den untersten Ligen, wo die<br />

Spieler nicht nur nichts verdienen, son<strong>der</strong>n gar noch draufzahlen<br />

müssen, um in einem Verein spielen zu können. Du musst doch auch<br />

zugeben, dass es nicht normal ist, fast in jedem Spiel mit einer solchen<br />

Aggressivät zur Sache zu gehen, die auch noch einen Teil <strong>der</strong><br />

242


Zuschauer ansteckt. Dazu kommt auch noch das regelmäßige Training,<br />

das auch ziemlich viel Zeit kostet - eine Zeit, die wir an einem an<strong>der</strong>en<br />

Ort vielleicht sinnvoller einsetzen könnten. Und so geht es Jahr für Jahr,<br />

man spielt und spielt, man steigt auf und wie<strong>der</strong> ab, dann steigt man<br />

wie<strong>der</strong> auf und wie<strong>der</strong> ab, und immer wie<strong>der</strong>holt sich das Gleiche. Es ist<br />

wie ein Kreislauf ohne Ende - und das Tragische dabei ist, dass wir am<br />

wirklichen Leben vorbeigehen. Diese Christen zeigen aber, dass es auch<br />

an<strong>der</strong>s geht, nicht nur im Umgang untereinan<strong>der</strong>, son<strong>der</strong>n auch in dem,<br />

was für sie wirklich zählt. Vor lauter Rennen zu den Fußballspielen an<br />

jedem Wochenende wissen die meisten von <strong>uns</strong> nicht einmal mehr, wie<br />

schön anstelle eines Fußballspiels o<strong>der</strong> eines an<strong>der</strong>en aufgeputschten<br />

Sportanlasses zum Beispiel gerade ein Gottesdienst sein kann.“<br />

„In diesem Fall bist du schon ein paar Mal hingegangen, sonst würdest<br />

du nicht so positiv davon reden.“<br />

„Sicher, schon mehr als zehnmal, und so habe ich auch Ulrike kennen<br />

gelernt.“<br />

„Ulrike? Also ist sie eine Deutsche o<strong>der</strong> Österreicherin? Es gibt ja fast<br />

keine Schweizerinnen mit diesem Namen.“<br />

„Ja, sie kommt aus <strong>der</strong> Nähe von Hannover. Du müsstest sie einmal<br />

sehen; dann könntest du verstehen, warum ich nicht mehr so normal<br />

spielen kann wie früher. Wie ich es dir schon gesagt habe, weiß ich bis<br />

in mein Innerstes, dass sie die Frau meines Lebens ist. Für sie würde ich<br />

alles tun, um sie nicht zu verlieren.“<br />

„Willst du damit etwa sagen, dass du dich wegen ihr am Ende sogar<br />

noch diesen Jesus-Leuten anschließen würdest?“<br />

„Warum nicht?“, entgegnet er lächelnd, „aber du kannst dich beruhigen.<br />

Ich wüsste gar nicht, wie ich das zustande bringen könnte. Zuerst<br />

müsste ich mich einmal richtig bekehren, aber ich tue nichts in dieser<br />

Richtung, ohne bis in mein Innerstes davon überzeugt zu sein, dass es<br />

die richtige Entscheidung ist.“<br />

Dann verabschieden sie sich voneinan<strong>der</strong>. Da sie ihre Diskussion doch<br />

noch zu einem friedlichen Abschluss gebracht haben und sich darin einig<br />

geworden sind, dass er für die beiden letzten Spiele und damit auch für<br />

die Trainings nicht noch extra bei <strong>der</strong> Mannschaft dabeisein muss,<br />

rechnen sie damit, dass sie sich einige Zeit nicht mehr sehen werden.<br />

Als <strong>der</strong> Trainer ihm die Hand gibt und ihm alles Gute und viel Glück für<br />

die Zukunft wünscht und dabei ausdrücklich auch Ulrike miteinschließt,<br />

glaubt Hans zu sehen, dass seine Augen etwas feucht geworden sind.<br />

243


17<br />

Das Gespräch mit dem Trainer, das zur faktischen Trennung von seinem<br />

Fußballverein ge<strong>führt</strong> hat, auch wenn er offiziell noch immer auf <strong>der</strong><br />

Mitglie<strong>der</strong>liste verzeichnet ist, hat für Hans einen entscheidenden Vorteil<br />

gebracht: Im Gegensatz zu den Wochen, in denen er verletzt war und<br />

immer noch darauf achten musste, dass er möglichst bald geheilt würde,<br />

um wie<strong>der</strong> spielen zu können, ist er jetzt völlig frei von diesen<br />

Verpflichtungen, und er genießt diese neu gewonnene unerwartete<br />

Freiheit in vollen Zügen. Zum ersten Mal seit mehr als sechzehn Jahren,<br />

als er noch als Banklehrling einem Fußballverein beitrat - allerdings<br />

einem an<strong>der</strong>en als dem jetzigen, zu dem er erst mit knapp 22 Jahren<br />

gewechselt hat -, muss er nicht mehr buchstäblich Tag für Tag daran<br />

denken, dass er nach <strong>der</strong> Arbeit rechtzeitig zum Training erscheint, und<br />

muss nicht mehr mit dem ernormen Druck leben, Wochenende für<br />

Wochenende eine körperliche Bestleistung zu bringen, die meistens bis<br />

in die Knochen geht.<br />

Wie sehr diese Belastung nicht nur ans Physische mit den<br />

entsprechenden Möglichkeiten, sich immer wie<strong>der</strong> mehr o<strong>der</strong> weniger<br />

schwer zu verletzen, son<strong>der</strong>n auch ans Psychische gehen kann, erkennt<br />

er erst jetzt, da er davon befreit ist, in seinem vollen Ausmaß. Was<br />

jedoch für viele an<strong>der</strong>e, die am Ende ihrer Sportlerlaufbahn stehen, zu<br />

einem Problem werden könnte, weil die regelmäßige große<br />

Herausfor<strong>der</strong>ung an fast jedem Wochenende nicht mehr da ist und<br />

deshalb tiefe Gefühle <strong>der</strong> Leere mit entsprechenden depressiven<br />

Stimmungen sich breitmachen, bedeutet für ihn selbst eine gewaltige<br />

Erleichterung - umso mehr, als er ja sowieso nur noch wenige Jahre als<br />

Fußballer vor sich gehabt hätte. Insgesamt kann er dem Trainer sogar<br />

dankbar sein, dass dieser ein so hartes Machtwort gesprochen hat, und<br />

da mit Ausnahme von Markus, dem besten Kollegen des Vereins, kein<br />

an<strong>der</strong>er sich am Schluss wenigstens noch menschlich anständig von ihm<br />

verabschiedet hat, spürt er keine Lust mehr, auch nur besuchsweise bei<br />

ihnen vorbeizuschauen.<br />

So betrachtet er das Kapitel Fußball endgültig als abgeschlossen - und<br />

zu seinem eigenen Erstaunen bedauert er das nicht im Geringsten. Alles<br />

in allem war es eine schöne Zeit mit vielen interessanten Erlebnissen,<br />

doch dieser Lebensabschnitt ist jetzt vorbei, und er will nur noch nach<br />

vorn schauen. Es war seinerzeit halt doch die richtige Entscheidung,<br />

dass er nicht nur auf die Karte Fußball setzte, son<strong>der</strong>n auch auf den<br />

Beruf, obwohl sein Arbeitsplatz auch nicht mehr zu hun<strong>der</strong>t Prozent<br />

sicher ist. Da er mit seinem Sport kein Geld verdienen konnte, solange<br />

244


er nicht in <strong>der</strong> obersten Liga, geschweige denn in einem bekannten<br />

ausländischen Verein spielte, war es klug, auch noch an die Zeit danach<br />

zu denken, und das hat er getan.<br />

Mit seiner plötzlichen Fülle an Freizeit ist sein Kopf jetzt frei für an<strong>der</strong>e<br />

Dinge des Lebens, denen er sich bisher nie so richtig widmen konnte.<br />

Dabei stellt er mit Erstaunen etwas Beson<strong>der</strong>es fest: Seit er sich im<br />

Verlauf des heftigen Gesprächs mit dem Trainer zum ersten Mal auf die<br />

Seite <strong>der</strong> Christen gestellt hat, fühlt er sich in seiner Beziehung zu ihnen<br />

auf einmal viel lockerer. Hatte er früher noch Vorurteile und manchmal in<br />

seinem Innersten nur Spott, wenn nicht gar Verachtung für ihren<br />

Glauben übrig, <strong>der</strong> so gar nicht in die heutige Zeit zu passen scheint, so<br />

nimmt er jetzt das Ganze viel gelassener hin. Er lässt sich zwar nach wie<br />

vor nicht mehr an <strong>der</strong> Feldeggstraße blicken und schaut auch darauf,<br />

dass er am Bellevueplatz keinem mehr von ihnen unerwartet über den<br />

<strong>Weg</strong> läuft, aber er spürt allmählich, dass ihre Welt und damit auch ihr<br />

Glaube ihn immer mehr interessieren. Sicher spielt dabei eine<br />

entscheidende Rolle mit, dass er sich vor Liebe zu Ulrike fast verzehrt<br />

und sich mit dieser Person Jesus Christus zwangsläufig<br />

auseinan<strong>der</strong>setzen muss, wenn er sie wie<strong>der</strong> zurückgewinnen will, doch<br />

irgendetwas sagt ihm innerlich, dass dies nicht <strong>der</strong> einzige Grund ist.<br />

Irgendetwas beginnt in ihm zu arbeiten, ohne dass er es zunächst<br />

wahrnimmt, dann aber immer spürbarer. Wie soll er jedoch weiter<br />

vorgehen? Sicher wäre es gut, wie<strong>der</strong> diese Christen aufzusuchen und<br />

sie zu bitten, ihm bei seiner Suche nach diesem unbekannten Gott, den<br />

sie persönlich zu kennen vorgeben, behilflich zu sein - vielleicht mit<br />

treffenden Versen aus <strong>der</strong> Bibel, die er ja hinten und vorn nicht kennt,<br />

auch wenn er ab und zu schon darin gelesen hat. Da er jedoch annimmt,<br />

dass sie wissen, wie es um ihn und Ulrike steht, und ihnen nicht <strong>der</strong><br />

Meinung, er würde wie<strong>der</strong> nur wegen ihr kommen, wie<strong>der</strong> Vorschub<br />

geben will, hält er es vorläufig für besser, sich weiter nicht zu zeigen. Er<br />

möchte sich allein auf die Suche begeben und allein herausfinden, ob an<br />

ihrem Glauben wirklich etwas Wahres dran ist o<strong>der</strong> nicht.<br />

Noch einmal denkt er intensiv über die verschiedenen Gespräche nach,<br />

die er mit den Christen ge<strong>führt</strong> hat, und liest auch regelmäßig kleine<br />

Ausschnitte aus <strong>der</strong> Bibel, doch es gelingt ihm immer noch nicht, klar<br />

durchzublicken. Er fühlt, dass irgendetwas ihn immer noch innerlich<br />

blockiert, auch wenn er den festen Willen hat, dagegen anzukämpfen.<br />

Da hat er plötzlich eine glänzende Idee: Er erinnert sich wie<strong>der</strong> an die<br />

DVD von „Quo Vadis“, die Ulrike ihm seinerzeit geschenkt hat und die<br />

immer noch gut sichtbar mit ein paar an<strong>der</strong>en DVDs in seinem<br />

245


Bücherregal steht. Wenn eine Botschaft schon richtig ankommen soll,<br />

helfen Bil<strong>der</strong> oft mehr als bloße Worte, selbst wenn diese direkt aus <strong>der</strong><br />

Bibel stammen, und wenn man einen Film zum zweiten und wie bei ihm<br />

selber schon zum dritten Mal in aller Ruhe anschaut, kann man sicher<br />

noch ein paar wichtige Einzelheiten entdecken, die einem vorher noch<br />

nicht aufgefallen sind. Bei ihm kommt noch dazu, dass er seinen Kopf<br />

damals, als er diesen Film zweimal schaute - zuerst im Kino mit Ulrike<br />

und dann bei sich allein zu Hause -, noch nicht so frei hatte wie heute<br />

und immer noch von den Vorurteilen, welche die meisten Leute<br />

gegenüber <strong>der</strong> Person Jesus Christus haben, ohne sich mit ihm<br />

überhaupt jemals näher befasst zu haben, buchstäblich zerfressen war.<br />

So will er es also auf diesem <strong>Weg</strong> versuchen und legt die DVD ins<br />

entsprechende Gerät, setzt sich auf sein Sofa und lehnt sich gemütlich<br />

zurück, um den Film in aller Ruhe und ohne Vorurteile anzuschauen.<br />

Dabei hat er vor, sich die Geschichte, die er eigentlich schon gut kennt,<br />

weil er sie schon zweimal gesehen hat, so lebhaft wie möglich<br />

vorzuführen, als hätte er selbst vor 2’000 Jahren in Rom gelebt - und<br />

siehe da, er hat sich nicht getäuscht: Jetzt kann er sich viel besser in die<br />

antike römische Welt versetzen als bei den beiden ersten Malen; jetzt<br />

kann er sich viel eher vorstellen, wie schwer es schon damals für die<br />

Christen war, ihren beson<strong>der</strong>en Glauben öffentlich zu bezeugen, und er<br />

erkennt erstaunliche Parallelen, vor allem diese: Die heutigen Christen<br />

werden zwar nicht mehr den wilden Tieren vorgeworfen und sonstwie<br />

gemartert, doch <strong>der</strong> Hass, <strong>der</strong> auf sie prallt, ist <strong>der</strong> genau gleiche<br />

geblieben.<br />

Das erkennt er vor allem darin, dass jedes Mal, wenn jemand offen<br />

davon redet, die Menschen sollten wie<strong>der</strong> zu den biblischen Wurzeln<br />

zurückkehren und erneut an Gott und an Jesus Christus glauben, fast<br />

nur noch mit Hohn und Spott geantwortet wird, wobei nicht wenige<br />

Leute, die im Brennpunkt <strong>der</strong> Öffentlichkeit stehen, also zu den<br />

sogenannten Promis gehören, noch zusätzlich Öl ins Feuer gießen.<br />

Diesen weltlichen Hass, von dem die Christen gesprochen haben, sieht<br />

er auch noch darin, dass für alle möglichen Religionen offen Propaganda<br />

betrieben werden darf und sogar im Fernsehen immer mehr Vertreter<br />

dieser Glaubensrichtungen auftreten können, dass dagegen die<br />

bibelgläubigen Christen immer mehr in ihren Rechten beschnitten<br />

werden und nicht ohne Zufall niemand mehr von einer persönlichen<br />

Bekehrung sprechen darf, auch nicht jene, die sich als Pfarrer<br />

bezeichnen. Diese offensichtliche Diskriminierung geht heute sogar so<br />

weit, dass die Moslems, Hindus und Buddhisten und erst recht die immer<br />

einflussreicheren Esoteriker und Freidenker in den Schulen und<br />

246


Universitäten mehr Rechte haben als die bekennenden Christen und<br />

diese Politik von immer mehr Feiglingen, die auf einem Beamten- o<strong>der</strong><br />

Richterstuhl o<strong>der</strong> in einem politischen Parlament sitzen, bewusst<br />

geför<strong>der</strong>t wird.<br />

Am bedenklichsten findet er jedoch, dass kein Kruzifix mehr in einem<br />

Schulzimmer stehen darf, wenn auch nur ein an<strong>der</strong>sgläubiges Elternpaar<br />

dagegen protestiert, obwohl dieses Land jahrhun<strong>der</strong>telang sich als<br />

christlich bezeichnet hat - in Epochen, als noch keine aggressiven<br />

Moslems sich immer mehr in ganz Mittel- und Nordeuropa einnisteten<br />

und immer unverhohlener, ja, immer frecher für sich Rechte einfor<strong>der</strong>ten,<br />

als würden ihnen diese wie selbstverständlich zustehen; an<strong>der</strong>erseits<br />

wird kein Gegenrecht gehalten, so darf in keinem einzigen islamischen<br />

Land eine neue Kirche, ja, nicht einmal eine neue Kapelle gebaut<br />

werden. In <strong>der</strong> Zwischenzeit haben sie es sogar geschafft, dass ihre<br />

Religion in verschiedenen europäischen Län<strong>der</strong>n bereits als eine<br />

Staatsreligion mit allen steuerrechtlichen Vorteilen anerkannt worden ist.<br />

Haben am Ende Erwin Gisler und Bruno <strong>Weg</strong>mann, aber auch Jan<br />

Hoveneel doch Recht, als sie davon gesprochen haben, dass nicht nur<br />

die gute Seite existiert, also Gott und seine treuen Engel, son<strong>der</strong>n auch<br />

die Gegenseite, also <strong>der</strong> Teufel und die gefallenen Engel, die auch als<br />

Dämonen bezeichnet werden? Hatte er noch vor wenigen Wochen über<br />

solche Aussagen gelacht, hält er es jetzt für immer möglicher, dass sie<br />

doch Recht hatten. Die ganze Weltgeschichte und erst recht die heutige<br />

Zeit, in <strong>der</strong> alle möglichen Satanskulte wie Pilze aus dem Boden<br />

schießen und sogar noch öffentlich geför<strong>der</strong>t werden, scheinen klar dafür<br />

zu sprechen. Zu seinem eigenen Erstaunen entdeckt er bei sich selber<br />

gerade jetzt, da er an all dies denkt, dass er über diese offensichtliche<br />

staatliche Diskriminierung <strong>der</strong> evangelikalen Christen in einem Land, das<br />

sich immer noch als christlich bezeichnet, echt empört ist, und dass er<br />

gerade aus diesem Grund eine gewisse Solidarität mit ihnen und sich<br />

immer mehr zu ihnen hingezogen fühlt.<br />

Obwohl alle Szenen im Film natürlich nur gespielt wurden, kann er sich<br />

jetzt lebhaft vorstellen, wie es vor 2'000 Jahren im antiken Rom<br />

zugegangen sein muss, als die frühesten Christen ihren Glauben<br />

öffentlich zu bezeugen versuchten. So saugt er die Geschichte Stück für<br />

Stück im wahrsten Sinn des Wortes in sich auf - und je mehr er schaut,<br />

desto deutlicher erkennt er, dass Ulrike tatsächlich Recht hatte, als sie<br />

ihn mit <strong>der</strong> Hauptperson Marcus Vinicius verglich. Als dieser zu Beginn<br />

des Films in einem Bad höhnisch lacht, nachdem <strong>der</strong> etwa zwei Meter<br />

große Ursus, <strong>der</strong> Hausdiener <strong>der</strong> Familie, bei <strong>der</strong> er zu Gast ist, gesagt<br />

247


hat, dass er nicht in <strong>der</strong> Arena kämpfen wolle, weil Töten Sünde sei,<br />

erinnert er sich daran, dass auch er zu Beginn nur versteckten Spott<br />

übrighatte, als Erwin ihm zum ersten Mal vom Evangelium erzählte.<br />

Die zweite Szene, die ihn beeindruckt, ist jene, als Lygia und Marcus<br />

Vinicius ihre Liebe füreinan<strong>der</strong> entdeckt haben, und sie vor die<br />

Entscheidung gestellt wird, ob sie mit ihm nach seinem Heim wegziehen<br />

soll o<strong>der</strong> nicht, obwohl er noch nicht gläubig ist, und wie sie es schafft,<br />

dieser Versuchung zu wi<strong>der</strong>stehen. Da erinnert er sich natürlich wie<strong>der</strong><br />

an Ulrike, die vor einer ähnlich schweren Entscheidung gestanden ist,<br />

und er muss gegenüber sich selbst zugeben, dass er sie heute viel<br />

besser versteht. Wenigstens ist sie genauso wie Lygia fest bei ihrem<br />

Glauben geblieben und hat es praktisch zur Bedingung gemacht, dass er<br />

sich bekehrt, wenn er sie wirklich zur Frau bekommen will. Auch das<br />

spricht sicher für die hervorragende Qualität einer Frau - umso mehr, als<br />

sie damit rechnen musste, für immer ledig zu bleiben, wenn ihre<br />

Beziehung in die Brüche gehen würde.<br />

Die dritte Szene, die ihn sogar noch tiefer beeindruckt, ist jene, als<br />

Marcus Vinicus, <strong>der</strong> gehört hat, dass Lygia und ihre Familie genauso wie<br />

viele an<strong>der</strong>e Christen verhaftet und ins Gefängnis geworfen worden sind,<br />

sich sofort dorthin begibt, weil er aufgrund seiner hohen Stellung als<br />

Befehlhaber einer Legion damit rechnet, sie befreien zu können; dabei<br />

wird er aber auch verhaftet und in die gleiche Zelle gesteckt, in <strong>der</strong> sich<br />

Lygia befindet. Unerwartet sieht er sich dort drinnen mit einer Welt<br />

konfrontiert, die nicht die seine ist, in <strong>der</strong> ihm alles, was unter den<br />

Christen geredet wird, immer noch viel zu fremd vorkommt. Da werden<br />

Worte von Erlösung und Verharren im Glauben gewechselt, <strong>der</strong>en Sinn<br />

nur sie selbst verstehen können. Wie<strong>der</strong> fällt ihm ein, dass Erwin bei<br />

einem ihrer Gespräche davon gesprochen hat, sie hätten eine spezielle<br />

Sprache, die nur sie selbst verstehen können - eben die Sprache<br />

Kanaans, des Landes <strong>der</strong> Verheissung.<br />

Eine weitere Schlüsselszene ist jene, als Marcus Vinicius und Lygia<br />

zusammen mit dem Apostel Petrus, <strong>der</strong> etwas abseits steht und still für<br />

sich betet, allein in <strong>der</strong> Zelle übriggeblieben sind und ihre vermeintlich<br />

letzten Stunden damit verbringen, noch einmal über alles Vorgefallene<br />

<strong>der</strong> letzten paar Wochen nachzudenken, in denen sie sich kennen<br />

gelernt und sich bald ineinan<strong>der</strong> verliebt haben. Als er ihr sagt, er wisse<br />

jetzt, dass er in seinem Leben viel unnützes und dummes Zeug geredet<br />

habe, antwortet sie ihm in beeindrucken<strong>der</strong> Weise, dass er Christus<br />

schon viel näherstehe, als er selbst es glaube. Trifft das wohl nicht auch<br />

ein wenig auf ihn zu? Wie gern würde er jetzt mit Ulrike zusammensitzen<br />

248


und mit ihr gemeinsam diesen Film nochmals anschauen, wie sie es<br />

damals im Kino getan haben! Dann könnten sie nachher darüber<br />

sprechen und würden vielleicht zum Schluss kommen, dass sie beide<br />

sich in einer ähnlichen Lage befinden und <strong>der</strong> einzige Unterschied darin<br />

besteht, dass sie nicht unmittelbar vom Tod bedroht sind.<br />

Der eigentliche Höhepunkt des Films kommt jedoch gegen den Schluss:<br />

Da muss Marcus Vinicius in <strong>der</strong> Nähe des Kaisers und dessen<br />

intrigenhafter Ehefrau an einem Pfahl angebunden miterleben, wie seine<br />

Lygia in <strong>der</strong> Arena unten ebenfalls an einem Pfahl angebunden von<br />

einem riesigen Stier tödlich bedroht und lediglich von Ursus verteidigt<br />

wird, <strong>der</strong> sein Leben lang eine Art Leibwächter für sie gewesen ist, weil<br />

sie ursprünglich die Tochter eines Königs gewesen und als Sklavin nach<br />

Rom verschleppt worden ist. Da Ursus keine Waffe bei sich haben darf,<br />

sieht es zu Beginn des Kampfes nicht gut aus für den Hünen; so wird er<br />

vom Tier zweimal auf die Hörner genommen und zur Seite geschleu<strong>der</strong>t.<br />

Obwohl Marcus Vinicius verzweifelt versucht, sich vom Le<strong>der</strong>riemen zu<br />

lösen, um Ursus und Lygia zu Hilfe eilen zu können, gelingt es ihm nicht.<br />

Kurz darauf schafft es Ursus jedoch, den Stier am Hals zu packen und<br />

diesen zu umschlingen, aber um ihn brechen zu können, braucht er jetzt,<br />

da er vom Kampf schon etwas mitgenommen und müde ist, enorm viel<br />

Kraft. Da geht Marcus Vinicius ein Licht auf: Plötzlich erinnert er sich an<br />

jenen, den die Christen als Erlöser bezeichnen, und so ruft er zuerst<br />

leise und zaghaft „Christus!“, dann aber umso lauter und deutlicher:<br />

„Christus, gib ihm Kraft!“<br />

Das Wun<strong>der</strong> geschieht: Ursus gewinnt den Kampf und schafft es, den<br />

Stier zu töten, auch wenn Hans als Tierfreund sich im Grund darüber<br />

aufregt, dass für diese Filmszene, die man ja nicht direkt hätte zeigen<br />

müssen, extra ein <strong>uns</strong>chuldiger Stier sein Leben lassen musste. Vor ein<br />

paar Jahrzehnten gab es eben noch nicht die heutigen<br />

Tierschutzgesetze, die sogar für die Herstellung von Spielfilmen gelten,<br />

so dass es üblich geworden ist, ganz am Schluss zu erwähnen, dass<br />

kein einziges Tier beim Drehen einen Schaden erlitten hat. Wenn er sich<br />

jedoch in die Zeit vor 2'000 Jahren und damit auch in die Arena versetzt,<br />

als hätte er all dies selbst erlebt, kann er darüber hinwegsehen, denn<br />

immerhin wurden Lygia und natürlich auch Ursus dadurch gerettet. Diese<br />

Worte, die Marcus Vinicius gerufen hat, bedeuten in seinem Leben den<br />

Wendepunkt. Er wird auch zu einem Christen, weil er an sich selbst<br />

erfahren hat, dass dieser Jesus Christus tatsächlich lebt, und Hans<br />

begreift jetzt teilweise auch die Aussage, dass gerade die vielen<br />

Märtyreropfer entscheidend dazu beigetragen haben, dass danach noch<br />

viel mehr Menschen sich zu Christus bekehrten, weil sie von ihrem<br />

249


Todesmut genauso beeindruckt wurden wie dieser Marcus Vinicius.<br />

Gerade die Worte „Christus, gib ihm Kraft!“ kann Hans nicht vergessen,<br />

ja, diese Filmszene beeindruckt ihn sogar <strong>der</strong>art, dass er die DVD<br />

nochmals ein wenig zurückspult, um sie ein zweites Mal zu sehen, und<br />

erst jetzt wird es ihm so recht bewusst, dass seine Augen sich fast mit<br />

Tränen füllen. Steht er Christus wirklich schon so nahe, wie Lygia zu<br />

Marcus Vinicius und auch Ulrike zu ihm gesagt haben? Kann er sich<br />

tatsächlich mit diesem römischen Feldherrn vergleichen, obwohl dieser<br />

sich nachher bekehrt hat und er nicht ... o<strong>der</strong> noch nicht? Stundenlang<br />

liegt er nachher noch wach und versucht, sich in allen Einzelheiten<br />

auszumalen, wie sein Leben sein könnte, wenn auch er einer von diesen<br />

Christen wäre. Er erinnert sich wie<strong>der</strong> an die Freude und an die Ruhe,<br />

die sie austrahlten, an ihre Freundlichkeit untereinan<strong>der</strong> und auch<br />

gegenüber den Gästen wie er, und nicht zuletzt erinnert er sich immer<br />

wie<strong>der</strong> auch an Ulrike, die gesagt hat, dass sie ihn liebt, und vielleicht<br />

immer noch auf ihn wartet. Wäre nicht schon die Aussicht, sein weiteres<br />

Leben mit dieser wun<strong>der</strong>baren Frau, die so gut zu ihm passt, teilen zu<br />

können, eine Bekehrung wert? Auch wenn er von ihrem Glauben immer<br />

noch nicht viel versteht, könnte er mit <strong>der</strong> Zeit ja hineinwachsen und<br />

immer mehr lernen, Jesus nachzufolgen, wie die Christen sich<br />

ausdrücken.<br />

Es scheint sich wirklich zu lohnen, einmal ernsthaft zu prüfen, ob dieser<br />

Glaube nicht nur ein Hirngespinst ist, das sich zwar schon seit zwei<br />

Jahrtausenden hält, sich aber über alle Wi<strong>der</strong>stände hinweg als<br />

erstaunlich wi<strong>der</strong>standsfähig erwiesen hat. Wie soll er jedoch vorgehen?<br />

Gegenwärtig hat er zu keinem dieser Christen noch Kontakt, nicht einmal<br />

zu Erwin und Bruno, die sich am meisten um ihn gekümmert haben.<br />

Dass sie ihn nie angerufen o<strong>der</strong> ihm nie geschrieben haben, <strong>führt</strong> er<br />

darauf zurück, dass wahrscheinlich Ulrike selber sie darum gebeten hat,<br />

damit er vorläufig die nötige Ruhe hat, um über alles Gesehene und<br />

Gehörte und vor allem über das, was zwischen ihnen beiden geschehen<br />

ist, gründlich nachzudenken.<br />

Das Lesen <strong>der</strong> Bibel und <strong>der</strong> verschiedenen Bücher, die sich mit dem<br />

Glauben und <strong>der</strong> Evolutionstheorie auseinan<strong>der</strong>setzen, bringt ihn aber<br />

auch nicht weiter, obwohl er sich ernsthaft darum bemüht. Vielleicht<br />

durch Beten? Aber das hat er doch nie gelernt - nicht einmal in <strong>der</strong><br />

Kirche, in die er als Kind noch ging, ist ihm das richtig beigebracht<br />

worden, und selbst wenn er es wollte, also nicht auf die Hilfe durch<br />

irgendjemanden angewiesen wäre, wüsste er nicht wie. Er spürt, wie er<br />

immer unruhiger wird und das gewisse Etwas, das er sich selbst nicht<br />

250


erklären kann, erneut in seinem Inneren arbeitet. Ist es am Ende wohl<br />

die Stimme Gottes, von dem die Christen ständig erzählen? Ist es<br />

tatsächlich dieser Jesus, von dem es heißt, er sei von den Toten<br />

auferstanden, und <strong>der</strong> ihn jetzt zu sich rufen will?<br />

Er versucht sich vorzustellen, wie es wäre, wenn er ihn wirklich als<br />

Erlöser erkennen und finden könnte, wie Ulrike und alle an<strong>der</strong>en davon<br />

gesprochen haben, dass er ins Leben jedes Menschen kommt, <strong>der</strong> ihn<br />

darum bittet. Ist das wirklich so einfach o<strong>der</strong> steckt nicht doch ein Haken<br />

dahinter? Noch kann er sich aber nicht endgültig zu diesem Schritt<br />

überwinden. Vielleicht hilft es mir, wenn ich mich doch wie<strong>der</strong> bei den<br />

Christen blicken lasse, sagt er zu sich selbst. Diese können ihm sicher<br />

helfen, den <strong>Weg</strong> zu Gott zu finden, und er ertappt sich dabei, dass er<br />

plötzlich den Wünsch in sich spürt, ihn kennen zu lernen, und darüber<br />

keine Ruhe mehr findet und schlecht schläft, was das sicherste Zeichen<br />

dafür ist.<br />

So hält er die Zeit tatsächlich für gekommen, um ernsthaft zu prüfen, ob<br />

es diesen Gott wirklich gibt und ob dieser auch auf ihn mit offenen<br />

Armen wartet. Ja, er will und muss es einfach wissen! ...<br />

18<br />

Zum Glück ist <strong>der</strong> nächste Samstagabend nicht mehr fern - und es<br />

passiert Hans zum ersten Mal, dass er es kaum erwarten kann, wie<strong>der</strong> in<br />

die Teestube an <strong>der</strong> Feldeggstraße zu gehen. Zeitweise ist er so nervös,<br />

dass er sich überlegt, ob es nicht besser wäre, vorzeitig Erwin o<strong>der</strong><br />

Bruno o<strong>der</strong> sogar Ulrike anzurufen und ein Treffen abzumachen. Dann<br />

än<strong>der</strong>t er wie<strong>der</strong> seine Meinung und hält es am Ende doch für besser, so<br />

wie ursprünglich geplant erst am Samstagabend hinzugehen; nicht<br />

zuletzt spekuliert er auch darauf, dass er dann vielleicht Ulrke<br />

wie<strong>der</strong>sehen und sie mit seiner Anwesenheit überraschen könnte.<br />

Als es tatsächlich so weit ist und er sich dazu überwunden hat, die<br />

Teestube wie<strong>der</strong> zu betreten, scheint sich auf den ersten Blick nichts<br />

verän<strong>der</strong>t zu haben. Es ist gleich voll wie früher und auch die meisten<br />

Gesichter scheint er schon einmal gesehen zu haben. Nur seine Ulrike<br />

kann er nirgendwo entdecken, so sehr er sich auch darum bemüht; es<br />

sieht fast so aus, als wäre sie heute nicht gekommen und als würde sie<br />

auch nicht mehr kommen. Zuerst ist er etwas enttäuscht, doch dann sagt<br />

er sich, dass es vielleicht besser ist, weil er so unbeeinflusst von ihrer<br />

Anwesenheit in aller Ruhe überprüfen kann, ob dieser Glaube an Jesus<br />

251


Christus tatsächlich etwas für ihn und ob er selbst dafür auch reif genug<br />

ist.<br />

Kaum hat er sich an einen <strong>der</strong> noch freien Plätze gesetzt, spricht ihn<br />

jemand, den er nicht sehen kann, auch schon von <strong>der</strong> Seite her an: „Ja,<br />

sali Hans, bist du auch wie<strong>der</strong> da?“<br />

Er dreht sich nach <strong>der</strong> Richtung um, von <strong>der</strong> die Stimme gekommen ist,<br />

und erkennt ... seinen alten Bekannten Erwin Gisler, <strong>der</strong> soeben in<br />

Begleitung eines an<strong>der</strong>en Mannes hereingekommen ist und sich mit<br />

diesem noch nicht einmal gesetzt hat. Er sieht an ihm ein solches<br />

Strahlen, wie er es schon früher gesehen hat, aber im Gegensatz zu<br />

damals kommt es ihm nicht mehr gekünstelt und gestellt vor, son<strong>der</strong>n er<br />

hält es für echt und von innen heraus. Auch darin fühlt er, wie sehr auch<br />

er sich verän<strong>der</strong>t hat, dass er nicht mehr mit so vielen Vorurteilen<br />

behaftet ist.<br />

Wie seine alte Schule es von ihm erfor<strong>der</strong>t, erhebt er sich nicht nur bei<br />

einer Frau, son<strong>der</strong>n auch bei einem Mann zur Begrüßung, gibt zuerst<br />

Erwin die Hand und dann auch noch dem an<strong>der</strong>en, <strong>der</strong> sich mit dem<br />

Namen Konrad vorstellt.<br />

„Wie lang ist es schon her, dass du das letzte Mal hier gewesen bist?“,<br />

fragt Erwin sogleich, nachdem alle drei sich gesetzt haben.<br />

„Schon fast zwei Monate“, antwortet Hans, „ich habe eben eine gewisse<br />

Zeit gebraucht, um über alles gründlich nachzudenken.“<br />

«Ja, ich weiß, Ulrike hat es mir gesagt. Übrigens war sie es, die mich<br />

gebeten hat, vorläufig zu dir keinen Kontakt aufzunehmen, weil du ihr<br />

gesagt hast, du würdest deine Ruhe brauchen. Nur darum habe ich dir<br />

nie telefoniert o<strong>der</strong> geschrieben und nicht etwa, weil ich kein Interesse<br />

mehr hatte. Das Gleiche gilt auch für Bruno, jedenfalls hat er mir das<br />

gesagt.»<br />

Dann hält er kurz inne und fügt leise hinzu, so dass außer diesem<br />

Konrad, den er mitgebracht hat, nur noch Hans es hören kann: „Übrigens<br />

vermisst sie dich sehr, sie hat schon ein paar Mal nach dir gefragt. Man<br />

spürt, dass du ihr viel bedeutest.“<br />

Bei diesen Worten durchfährt Hans ein Glücksgefühl, wie er es seit dem<br />

letzten Treffen mit Ulrike nicht mehr erlebt hat. Sie liebt mich also doch<br />

noch, sagt er zu sich innerlich gelöst; sie hat also bis heute auf mich<br />

gewartet.<br />

„Wie ich sehe, ist deine Verletzung unterdessen auch ausgeheilt“, setzt<br />

Erwin wie<strong>der</strong> ein.<br />

„Ja, schon lange, und ein paar Mal habe ich auch wie<strong>der</strong> gespielt. Aber<br />

jetzt spiele ich nicht mehr, endgültig nicht mehr.“<br />

252


„Wirklich nicht? Das ist ja fast nicht zu glauben!“<br />

„Ja, <strong>der</strong> Fußballer Hans Stettler hat seine Karriere beendet und sich vom<br />

Verein sogar mehr o<strong>der</strong> weniger im Krach getrennt.“<br />

„Da muss aber allerhand passiert sein, dass es so weit gekommen ist.“<br />

„Allerdings, aber das spielt jetzt keine Rolle mehr. Für mich ist das schon<br />

Vergangenheit; zu einem späteren Zeitpunkt kann ich dir vielleicht<br />

einmal erzählen, was vorgefallen ist, wenn du dann noch Interesse hast.<br />

Vorläufig genieße ich es intensiv, endlich frei zu sein und nicht an jedem<br />

Wochenende unter dem gleichen Druck zu stehen, und das mehr als<br />

sechzehn Jahre lang - abgesehen von <strong>der</strong> Zeit, als ich in London und<br />

New York ein paar Monate auf <strong>uns</strong>erer Bank gearbeitet habe.“<br />

„Diesen ständigen Druck kann ich mir lebhaft vorstellen“, entgegnet<br />

Erwin und ergänzt nach kurzem Zögern wie durch einen Geistesblitz:<br />

„Weißt du übrigens, wer heute wie<strong>der</strong> predigt?“<br />

„Natürlich nicht! Wie soll ich das denn wissen?“<br />

„Stell dir vor, es ist wie<strong>der</strong> Rabi Mavendran, den du auch schon gehört<br />

und kurz persönlich kennen gelernt hast!“<br />

„Ja, ich erinnere mich noch gut an ihn. Das ist jemand, den man nicht so<br />

schnell vergessen kann.“<br />

„Heute ist er wie<strong>der</strong> einmal bei <strong>uns</strong>, auch darum ist die Teestube wie<strong>der</strong><br />

so voll.“<br />

„Ist das denn nicht immer <strong>der</strong> Fall?“<br />

„Nein, lei<strong>der</strong> nicht, aber wichtig ist, dass überhaupt Leute kommen. Das<br />

ist in <strong>der</strong> heutigen antichristlichen Zeit ja nicht mehr so<br />

selbstverständlich.“<br />

„Anscheinend ist dieser Rabi bei euch eine große Nummer, wenn nicht<br />

sogar ein Star; sonst würden nicht jedes Mal, wenn er da unten auftritt,<br />

so viele Leute kommen.“<br />

„Ein Star ist er aber nicht, son<strong>der</strong>n genauso einer wie wir, weil vor Gott<br />

alle Menschen gleich sind, wie ich es dir schon einmal gesagt habe. Es<br />

hat aber nicht je<strong>der</strong> die gleiche Aufgabe. So wie Rabi auf seine Art zum<br />

Predigen bestimmt ist, so haben auch wir alle <strong>uns</strong>ere bestimmten<br />

Aufgaben, wo <strong>der</strong> Herr <strong>uns</strong> hinstellt, zum Beispiel gerade beim<br />

Traktatverteilen und bei Gesprächen auf den Straßen, wo wir zwei <strong>uns</strong><br />

kennen gelernt haben - darin liegt meine Stärke. Übrigens gibt es unter<br />

<strong>uns</strong> Gläubigen für das Predigen zwei ganz beson<strong>der</strong>e Ausdrücke, die<br />

nur die richtig verstehen können, die sich zum Herrn bekehrt haben. Was<br />

Rabi tut, bezeichnen wir als ‚evangelisieren’, und was Jan Hoveneel tut,<br />

den du ja auch gut genug kennen gelernt hast, ist für <strong>uns</strong> ‚verkünden’,<br />

aber wir bezeichnen es auch als ‘verkündigen’, also mit zwei Buchstaben<br />

mehr.“<br />

„Wo liegt denn <strong>der</strong> entscheidende Unterschied zwischen dem<br />

253


Evangelisieren und dem Verkünden o<strong>der</strong> Verkündigen?“<br />

„In <strong>der</strong> Art <strong>der</strong> Verkündigung des Evangeliums. Während Rabi sich jedes<br />

Mal an Ungläubige wendet und sie am Schluss seiner Predigten zur<br />

Bekehrung auffor<strong>der</strong>t, spricht Hoveneel manchmal auch zu einem<br />

gläubigen Publikum, das mehr über die Einzelheiten <strong>der</strong> Schöpfung und<br />

<strong>der</strong> Evolutionstheorie erfahren will; er ist also mehr ein Lehrer als ein<br />

Prediger. Für die Außenwelt sieht es vielleicht so aus, dass die beiden<br />

für <strong>uns</strong> Stars sind, aber das ist nicht <strong>der</strong> Fall. An<strong>der</strong>erseits kann es<br />

sicher nicht schaden, gute Zugpferde zu haben, das heißt bekannte<br />

Leute, damit noch möglichst viele Menschen das Evangelium hören<br />

können.“<br />

„Ja, da hast du vielleicht Recht.“<br />

Erst jetzt kommt es Erwin wie<strong>der</strong> in den Sinn, dass er sich eigentlich<br />

auch noch um Konrad kümmern sollte, den er extra zu diesem Zweck<br />

von <strong>der</strong> Straße mitgebracht hat, doch dann wird es leise im Raum, und<br />

es beginnt wie<strong>der</strong> das, was die Gläubigen als Vorprogramm bezeichnen<br />

und Hans schon ein paar Mal miterlebt hat, also mittlerweile schon gut<br />

kennt, auch wenn er in <strong>der</strong> Zwischenzeit fast zwei Monate lang nicht<br />

mehr hierhergekommen ist.<br />

Während das Vorprogramm mit einem persönlichen Zeugnis eines<br />

jungen Burschen und einem Lied zweier Mädchen, die diesmal ohne<br />

Begleitung einer Gitarre, dafür aber zweistimmig singen, gut über die<br />

Bühne geht, spürt Hans in sich eine eigenartige Wandlung. War er früher<br />

noch verkniffen und hörte er nur wi<strong>der</strong>willig zu, so kann er sich jetzt zu<br />

seiner eigenen Überraschung echt darüber freuen, dass drei junge<br />

Menschen nach langer Suche einen wirklichen Lebenssin in einem<br />

neuen Glauben gefunden haben, <strong>der</strong> doch nicht so schlecht und falsch<br />

zu sein scheint.<br />

Dieses eigenartige Gefühl <strong>der</strong> Hingezogenheit zu diesen Leuten und zu<br />

dem, was sie erzählen, verstärkt sich in ihm noch zusätzlich, als<br />

schließlich Rabi Mavendran das Podium betritt und mit seiner Predigt<br />

beginnt. Trotz seiner guten Deutschkenntnisse lässt er sich auch diesmal<br />

von einem an<strong>der</strong>en Mann übersetzen, aber diesmal ist es nicht mehr <strong>der</strong><br />

Gleiche wie beim ersten und zweiten Mal. Ist es wirklich Gott selbst, <strong>der</strong><br />

zu mir spricht?, fragt sich Hans angesichts seiner deutlichen<br />

Gefühlswandlung. Zum ersten Mal verkrampft er sich nicht mehr,<br />

son<strong>der</strong>n er kann seine Ohren und sein Gemüt dem öffnen, was <strong>der</strong><br />

Prediger verkündet, ja, er entdeckt sogar bei sich selbst, dass er nicht<br />

mehr ironisch von „eurem Gott“ und „eurem Jesus“ denkt, son<strong>der</strong>n das<br />

Possessivpronomen bewusst weglässt und damit für sich selbst<br />

254


andeutet, dass dieser auch für ihn da sein könnte.<br />

Will er mich denn wirklich so, wie ich bin? Ist es am Ende doch so<br />

einfach, ihn zu erkennen und zu finden, wie die Christen das immer<br />

wie<strong>der</strong> sagen? Immer unruhiger wird er, während <strong>der</strong> Mann auf dem<br />

Podium redet; da ist nichts mehr von diesem Gefühl <strong>der</strong> Überlegenheit<br />

und nichts mehr vom verächtlichen Hinunterschauen auf diese<br />

schwachsinnigen Frömmler, das sich früher jedes Mal, wenn er die<br />

Predigten hörte, bei ihm eingeschlichen hat … nein, diesmal fühlt er sich<br />

von den Worten aus <strong>der</strong> Bibel wirklich betroffen.<br />

Zum ersten Mal lässt er es zu, dass eine innere Stimme ihm sagen kann,<br />

er habe sich halt doch sein ganzes bisheriges Leben lang geirrt, er sei<br />

Gott tatsächlich immer ausgewichen und davongelaufen, ja, er habe ihn<br />

oft nicht einmal zur Kenntnis nehmen wollen. Erschien ihm früher die<br />

Botschaft vom Kreuz genauso wie den meisten an<strong>der</strong>en, die davon<br />

hören, als hirnverbrannte Aussage von Leuten aus einer längst<br />

vergangenen Zeit, die nicht mehr in die heutige technisierte Welt passt,<br />

die immerhin fähig ist, Menschen auf dem Mond landen zu lassen,<br />

Satelliten bis zu den entferntesten Planeten des Sonnensystems zu<br />

schicken und noch viele an<strong>der</strong>e technische Wun<strong>der</strong> gelingen zu lassen,<br />

so kommt es ihm heute fast so vor, als wäre das Ereignis auf dem Hügel<br />

Golgatha vor den Stadttoren Jerusalems nicht nur ein bedeutendes<br />

Ereignis gewesen, son<strong>der</strong>n gar das allergrößte in <strong>der</strong> ganzen<br />

Menschheitsgeschichte überhaupt. Umsonst hat es nicht Millionen von<br />

Christen gegeben, die seit 2'000 Jahren behauptet haben, Jesus<br />

Christus sei von den Toten auferstanden, habe ihr Leben verän<strong>der</strong>t und<br />

ihnen ein ewiges Leben geschenkt, und umsonst kann es nicht sein,<br />

dass auch in <strong>der</strong> heutigen Zeit genauso wie in früheren Epochen<br />

Millionen davon sprechen und ihren Glauben zum Teil mit dem eigenen<br />

Leben o<strong>der</strong> mindestens mit jahrelangen Gefängnisstrafen und sogar<br />

Folterungen bezahlen.<br />

Auf einmal geht ihm ein Licht auf: Wenn schon so viele zum Glauben an<br />

ihn gefunden haben, dann könnte es sich ja auch für ihn lohnen, diese<br />

Person kennen zu lernen, wenn es schon so einfach ist, wie diese Leute<br />

sagen. Dabei denkt er in diesen Minuten nicht einmal an Ulrike, für die<br />

allein eine Bekehrung sich früher zu lohnen schien, nein, er spürt in sich<br />

tatsächlich immer mehr den W<strong>uns</strong>ch, Jesus Christus ganz persönlich<br />

kennen zu lernen. Er weiß zwar noch nicht wie, aber irgendein <strong>Weg</strong> wird<br />

sich schon finden lassen, wenn die Predigt erst einmal vorbei ist.<br />

Obwohl es in ihm brennt und er geradezu ungeduldig das Ende <strong>der</strong><br />

255


Predigt herbeisehnt, bringt er es doch nicht über sich, die Hand zu<br />

erheben, als Rabi Mavendran jene aufruft, die sich bekehren wollen ...<br />

o<strong>der</strong> ihr Leben dem Herrn Jesus übergeben, wie sich <strong>der</strong> Prediger<br />

ausdrückt. Dazu fühlt er sich immer noch zu verklemmt, irgendetwas hält<br />

ihn noch zurück.<br />

Sobald die Predigt jedoch vorbei ist und die Leute sich langsam erheben,<br />

tut er etwas Spontanes, das ihn zuerst selbst überrascht, denn er sagt<br />

sich fest entschlossen: Jetzt o<strong>der</strong> nie, jetzt will und muss ich es wissen!<br />

So steht er gleichzeitig mit Erwin auf, nimmt ihn am Arm und <strong>führt</strong> ihn<br />

ein wenig zur Seite. Dort sagt er zu ihm ebenso entschlossen: „Erwin,<br />

kannst du rasch mit mir kommen? Ich muss dir etwas Wichtiges<br />

mitteilen.“<br />

„Ja, natürlich, Hans“, antwortet dieser ebenso spontan, als ahnte er<br />

etwas, und sagt dann zum Mann, den er von <strong>der</strong> Straße mitgebracht hat:<br />

„Entschuldige, Konrad, ich komme gleich wie<strong>der</strong>. Ich muss rasch mit ihm<br />

weg.“<br />

Dieser nickt ihm kurz zu, gibt ihm also zu verstehen, dass er damit<br />

einverstanden ist, dass <strong>der</strong> Mann, <strong>der</strong> ihn hierher gebracht hat, ihn für<br />

kurze Zeit links liegen lässt, und sobald die beiden etwas abseits bei<br />

einer Ecke stehen, wo sie noch ungestört sprechen können, sagt Hans<br />

zu Erwin in einem Ton, als täte ein an<strong>der</strong>er das an seiner Stelle: „Erwin,<br />

ich habe mich entschieden: Ich möchte Jesus Christus persönlich<br />

kennen lernen. Wenn er mir zeigt, dass es ihn wirklich gibt, bin ich bereit,<br />

ihm mein Leben zu übergeben und ihm so nachzufolgen, wie ihr immer<br />

davon geredet habt - und zwar total und kompromisslos, weil ich noch<br />

nie halbherzige Sachen gemacht habe. Wenn ich mich für etwas<br />

entscheide, dann gründlich; so ist das bis jetzt immer in meinem Leben<br />

gewesen.“<br />

Kein an<strong>der</strong>er Mensch hätte jemals so strahlen können wie Erwin in<br />

diesem Moment - und er, <strong>der</strong> sonst immer so nüchtern wirkt, hat<br />

tatsächlich Mühe, einen Jauchzer zu unterdrücken. Jetzt ist es<br />

tatsächlich auch mit ihm so weit!, sagt er sich frohlockend. So hat sich<br />

<strong>der</strong> ganze Aufwand und alles Beten für ihn doch gelohnt. Während er<br />

Gott innerlich dankt, muss er plötzlich auch an Ulrike denken, und er<br />

freut sich auch für sie, die diese Bekehrung nicht einmal miterleben<br />

kann, weil sie heute nicht gekommen ist.<br />

Er ist aber klug genug, sie nicht zu erwähnen, denn er hält es sogar für<br />

besser, dass sie nicht hier ist. Nichts und niemand soll jetzt zwischen<br />

Gott und Hans stehen, wenn die beiden sich begegnen; nichts und<br />

niemand soll ihn daran erinnern, dass zu Hause eine Frau sehnsüchtig<br />

darauf wartet, dass er sich bekehrt, nein, er soll diese Bekehrung ohne<br />

einen Hintergedanken vollziehen - sie soll echt sein. Da Ulrike oft an den<br />

256


Samstagabenden gekommen ist, wurde es offensichtlich durch eine<br />

Führung von oben bewirkt, dass sie ausgerechnet heute nicht hier ist,<br />

damit sie ihn nicht ablenkt.<br />

Dann erinnert er sich aber noch an ein kleines Problem, also sagt er ihm:<br />

„Hans, es freut mich riesig, dass jetzt auch du den Herrn in dich<br />

aufnehmen und dich richtig bekehren willst. Ich würde dich wirklich gern<br />

zu ihm führen, doch das braucht eine gewisse Zeit, und ich muss mich<br />

noch um Konrad kümmern, den ich schließlich von <strong>der</strong> Straße<br />

hierhergebracht habe.“<br />

„Ich kann aber nicht so lange warten, bis dein Gespräch mit ihm fertig<br />

ist“, entgegnet Hans sofort. „O<strong>der</strong> willst du etwa, dass ich es mir wie<strong>der</strong><br />

an<strong>der</strong>s überlege?“<br />

Obwohl er diese Worte nicht ernst gemeint und Erwin dabei sogar<br />

zugezwinkert hat, sieht es dieser an<strong>der</strong>s, und er überlegt eine kurze<br />

Weile, was nun zu tun sei, bis ihm ein Geistesblitz aufgeht: „Weißt du<br />

was? Du kannst zu Rabi gehen. Wir können ihn ja fragen, ob er gerade<br />

frei ist.“<br />

„Okay, gehen wir halt zu ihm!“, sagt Hans in fast gleichgültigem Ton,<br />

obwohl es ihm eigentlich schon lieber gewesen wäre, diesen<br />

entscheidenden Schritt in seinem Leben bei Erwin zu vollziehen, weil er<br />

ihn als ersten von allen Christen getroffen hat und ihn auch viel besser<br />

kennt als Rabi.<br />

Die beiden haben Glück, denn <strong>der</strong> Prediger ist tatsächlich verfügbar, weil<br />

nur eine Frau nach seinem Aufruf zur Bekehrung ihre Hand erhoben hat<br />

und eine an<strong>der</strong>e Frau, die schon gläubig ist, sich um sie kümmern kann.<br />

„Es freut mich, dass du jetzt auch zum Herrn Jesus gehen willst“, sagt<br />

Rabi zu ihm, nachdem Erwin ihn zu ihm hinge<strong>führt</strong> und ihn nochmals<br />

vorgestellt hat - diesmal aber auf Deutsch. Dann öffnet er hinten eine Tür<br />

und for<strong>der</strong>t Hans auf, mit ihm eine kleine Treppe hinunterzusteigen, die<br />

zu einem kleinen Raum <strong>führt</strong>, in dem sie ungestört bleiben können.<br />

Offensichtlich sind die paar Räume, die es da unten gibt, extra für solche<br />

Bekehrungen, aber auch für Gebetsversammlungen vorgesehen, und<br />

Hans muss sich eingestehen, dass sie sich dafür auch hervorragend<br />

eignen.<br />

Das einzige Problem, das ihn jetzt beschäftigt, ist eines, das angesichts<br />

<strong>der</strong> Tragweite seiner festen Entscheidung zur Bekehrung eigentlich<br />

nebensächlich sein sollte: Da er immer damit gerechnet hat, dass er sich<br />

- wenn überhaupt jemals - bei Erwin bekehren würde, den er ja viel<br />

besser kennt als Rabi, den er zwar auch schätzt, <strong>der</strong> ihm aber immer<br />

noch ein wenig fremd ist, weil er ihn im Grund nur zweimal flüchtig<br />

257


kennen gelernt hat, fühlt er sich etwas blockiert. So überlegt er sich, ob<br />

er vielleicht nicht doch besser warten soll, bis Erwin das Gespräch mit<br />

dem an<strong>der</strong>en Mann beendet hat. Dann gibt er sich aber einen Ruck,<br />

indem er sich sagt, dass es letztlich nicht darauf ankommt, wer ihn zu<br />

Gott führen soll, wie die Gläubigen sich auszudrücken pflegen, und<br />

betritt tapfer den Raum, den Rabi geöffnet hat.<br />

Der Prediger scheint zu spüren, dass Hans wie<strong>der</strong> <strong>uns</strong>icher geworden<br />

ist, doch da kommen ihm wie<strong>der</strong> einmal seine Erfahrungen aus vielen<br />

Jahren <strong>der</strong> Evangelisation zugute: Er hat schon mehrere Menschen zum<br />

Herrn ge<strong>führt</strong>, darunter auch solche, die noch weniger pflegeleicht waren<br />

als Hans, und sieht deshalb keine beson<strong>der</strong>en Probleme auftauchen.<br />

Bevor das Ganze beginnt, von dem Hans nicht die geringste Ahnung hat,<br />

wie es vor sich gehen soll, setzen sich die beiden auf ein kleines Sofa,<br />

das im Raum neben zwei Stühlen angebracht ist; angesichts <strong>der</strong><br />

Kleinheit dieses Raumes ist es erstaunlich, dass dafür noch so viel Platz<br />

da ist. Da Rabi noch die Gewissheit haben will, ob Hans tatsächlich die<br />

feste Absicht hat, umzukehren und Buße zu tun, wie die Gläubigen die<br />

Bekehrung auch bezeichnen, hat er vor, an ihn noch zwei prüfende<br />

Fragen zu stellen, und so fragt er denn auch, indem er Hans fest in die<br />

Augen schaut, wie<strong>der</strong> auf Deutsch: „Bist du wirklich bereit, Jesus<br />

Christus, den eingeborenen Sohn Gottes, in dein Leben aufzunehmen<br />

und ihn als deinen Erlöser und Herrn anzuerkennen?“<br />

„Ja, ich bin dazu bereit“, antwortet er resolut, indem er dem an<strong>der</strong>en<br />

ebenso fest in die Augen schaut, und ist darüber selbst immer noch<br />

erstaunt.<br />

Dann fragt Rabi weiter: „Willst du ihm wirklich deine Sünden bekennen,<br />

darüber Buße tun und ihn als deinen persönlichen Erlöser annehmen?“<br />

„Ja, ich will es“, antwortet Hans diesmal etwas leiser, weil er<br />

angesichts dieser klar gestellten For<strong>der</strong>ungen, von denen er immer noch<br />

nicht alles versteht, auch wie<strong>der</strong> etwas <strong>uns</strong>icher wird.<br />

„Gut, Hans, du hast mich überzeugt“, entgegnet Rabi jedoch zu seiner<br />

Überraschung, „ich merke es dir an, dass du den Herrn Jesus wirklich<br />

als deinen Erlöser und Herrn über dein Leben annehmen willst. Und jetzt<br />

wollen wir mit Gott persönlich sprechen.“<br />

Kaum hat er diese Worte gesagt, tut er etwas, mit dem Hans nicht im<br />

Geringsten gerechnet hat - jedenfalls nicht gerade jetzt -, und das<br />

ver<strong>uns</strong>ichert ihn noch einmal etwas: Ohne zu zögern geht er auf die Knie<br />

und stützt seine Ellbogen auf dem Sofa ab. Warum nicht auf den Stühlen<br />

sitzen bleiben, wenn es schon solche hier drinnen hat?, fragt sich Hans<br />

sogleich. Rabi bemerkt seine Unsicherheit, schaut zu ihm herauf und<br />

sagt ruhig: „Knie auch nie<strong>der</strong>, Hans! Du wirst sehen, es geht so viel<br />

leichter.“<br />

258


So geht auch er auf die Knie, aber nur langsam und zögernd, und er<br />

kommt sich dabei ziemlich jämmerlich vor; schließlich hat er so etwas<br />

noch nie zuvor getan - noch vor niemandem ist er auf die Knie<br />

gegangen. Wenn er jedoch daran denkt, dass er in wenigen<br />

Augenblicken möglicherweise mit dem Allerhöchsten sprechen kann, <strong>der</strong><br />

das ganze Weltall, alle Sterne, Planeten und Monde und alle Lebewesen<br />

mitsamt ihm selbst erschaffen hat und zugleich sich auch als Mensch<br />

offenbaren und auf <strong>der</strong> Erde wandeln konnte, ist ihm das Nie<strong>der</strong>knien<br />

dieser Preis wert, ja, dann ist das noch das Geringste, weil dieser<br />

Allmächtige und auch Allwissende, wie Jan Hoveneel und Bruno<br />

<strong>Weg</strong>mann sich ausgedrückt haben, auch wirklich eine solche Verehrung<br />

verdient. Allein <strong>der</strong> Gedanke, dass dieser Gott ihre Stimmen auch hier<br />

unten hören kann, fasziniert ihn geradezu - wenn er tatsächlich dazu<br />

fähig ist, dürfen sie sich ihm getrost anvertrauen.<br />

Kurz nachdem er nie<strong>der</strong>gekniet ist und die Ellbogen ebenfalls auf das<br />

Sofa abgestützt hat, schaut Rabi noch einmal zu ihm herüber und<br />

schließt dann die Augen, und noch bevor Hans das auch getan hat, hört<br />

er den an<strong>der</strong>en diese Worte sagen - und zwar auf Englisch, das ja seine<br />

Muttersprache ist, die Hans nicht nur versteht, son<strong>der</strong>n auch noch sehr<br />

gut spricht, wovon er sich bereits überzeugen konnte: „Lieber Herr<br />

Jesus, ich danke dir von ganzem Herzen, dass du so gnädig bist und<br />

<strong>uns</strong>ere Gebete erhörst und immer bei <strong>uns</strong> bist, auch jetzt da unten. Ich<br />

kann dir nicht genug dafür danken, dass du am Kreuz auf Golgatha das<br />

Heil <strong>der</strong> Welt vollbracht und mit deinem Opfertod auch mich vom ewigen<br />

Tod losgekauft hast. Du hast verheißen, dass alle, die dich von ganzem<br />

Herzen suchen, dich auch finden werden, und dass du jene, die zu dir<br />

kommen, nicht mehr hinausstoßen wirst, und auch dafür danke ich dir<br />

von ganzem Herzen. Herr, wie du siehst, will jetzt auch Hans zu dir<br />

kommen, dich als seinen Erlöser annehmen und um Vergebung seiner<br />

Sünden bitten. Mach auch ihn zu deinem Kind, oh Herr, schenk auch ihm<br />

das ewige Leben, und vergib auch ihm in deiner Barmherzigkeit! Ich<br />

danke dir dafür - Amen.“<br />

Nach einer kleinen Pause öffnet Rabi wie<strong>der</strong> die Augen, schaut zu Hans<br />

hinüber und sagt zu ihm leise und wie<strong>der</strong> auf Deutsch: „So, Hans, jetzt<br />

kannst du mit dem Herrn sprechen.“<br />

„Wie denn?“, fragt dieser sofort, da er es tatsächlich nicht weiß, und<br />

ebenfalls auf Deutsch.<br />

„Sag ihm einfach alles, was dich bedrückt und was dir gerade einfällt! Er<br />

weiß zwar schon alles, aber er würde es gern von dir selbst hören.“<br />

„Ist das wirklich so einfach?“<br />

„Ja, du wirst schon sehen. Sprich einfach mit ihm, so wie du jetzt mit dir<br />

sprichst!“<br />

259


So versucht er es, aber irgendetwas in ihm blockiert ihn wie<strong>der</strong>, obwohl<br />

er dagegen ankämpft. Es gelingt ihm nicht, seine wirren Gedanken in<br />

Worte zu fassen. Schließlich schaut er zu Rabi hinüber und sagt<br />

ebenfalls leise: „Es tut mir leid, aber ich kann nicht beten.“<br />

„Du kannst nicht beten?“, fragt dieser erstaunlich sachlich zurück.<br />

„Nein, ich habe es auch nie gelernt. Ich finde den Draht einfach nicht.“<br />

Auch auf eine solche Lage ist Rabi bestens vorbereitet, denn er hat auch<br />

solche Blockierungen und Verkrampfungen kurz vor einer Bekehrung<br />

schon mehrere Male erlebt. So schlägt er eine Seite aus <strong>der</strong> Bibel auf,<br />

streckt diese Hans hin und sagt ruhig: „Lies einmal aus dem Psalm 25<br />

die Verse eins bis sieben und dann noch die Verse sechzehn bis<br />

achtzehn, und zwar laut!“<br />

„Meinst du, das hilft?“<br />

„Lies einfach einmal in aller Ruhe und lass die Verse auf dich einwirken!“<br />

Also liest er wie geheißen zögernd und langsam diese Worte:<br />

„Zu Dir, oh Herr, erhebe ich meine Seele; mein Gott, ich traue auf Dich.<br />

Lass mich nicht zu Schanden werden, dass meine Feinde nicht<br />

frohlocken über mich!<br />

Gar keiner wird zu Schanden, <strong>der</strong> Deiner harrt; zu Schanden werden, die<br />

ohne Ursache treulos handeln.<br />

Herr, zeige mir Deine <strong>Weg</strong>e und lehre mich Deine Pfade! Leite mich<br />

durch Deine Wahrheit und lehre mich! Denn Du bist <strong>der</strong> Gott meines<br />

Heils; auf Dich harre ich allezeit.<br />

Gedenke, oh Herr, Deiner Barmherzigkeit und Deiner Gnade, die von<br />

Ewigkeit her sind! Gedenke nicht <strong>der</strong> Sünden meiner Jugend und meiner<br />

Übertretungen, gedenke aber meiner nach Deiner Gnade um Deiner<br />

Güte willen, oh Herr!“<br />

Als er am Schluss des siebten Verses angekommen ist, zögert er<br />

nochmals und schaut dann wie<strong>der</strong> zu Rabi hinüber, weil er sich nicht<br />

mehr daran erinnern kann, was er noch zusätzlich lesen soll. Dieser<br />

schaut ebenfalls zu ihm und sagt leise: „Gut, Hans, und jetzt noch die<br />

Verse sechzehn bis achtzehn!“<br />

Und so setzt er fort: „Wende Dich zu mir und sei mir gnädig, denn ich bin<br />

einsam und elend!<br />

Erleichtere die Angst meines Herzens und führe mich heraus aus<br />

meinen Nöten!<br />

Sieh an mein Elend und meine Plage und vergib mir all meine Sünden!“<br />

Kaum hat er den letzten Satz gelesen, schaut Rabi wie<strong>der</strong> zu ihm<br />

herüber und sagt lächelnd:<br />

„So, jetzt hast du gebetet, Hans.“<br />

260


„Ich habe gebetet?“, fragt er ungläubig und fügt dann leise hinzu: „Ich<br />

habe doch nur aus einem Psalm gelesen.“<br />

„Ja, aber was du gelesen hast, ist ein Gebet. Du hast es vielleicht nur<br />

nicht bemerkt.“<br />

„Dann habe ich also schon zu Gott gebetet?“<br />

„Nein, nicht direkt, aber ich wollte dir mit diesem Psalm zeigen, wie<br />

einfach es ist, mit ihm zu sprechen, und zwar je<strong>der</strong>zeit und überall. Es<br />

gibt in <strong>der</strong> Bibel noch viele solche Verse, aber ich habe für dich extra<br />

diese ausgewählt, weil sie gut zu deiner Lage passen.“<br />

„Tatsächlich?“, fragt Hans nochmals ungläubig, aber auch belustigt über<br />

diesen originellen Einfall, ihn ein Gebet lesen zu lassen, ohne dass er<br />

sich dessen bewusst war. Dass Rabi diesen kleinen Trick mit<br />

Bibelversen kurz vor Bekehrungen schon mehrere Male benützt hat,<br />

kann er sich zwar vorstellen, doch er denkt nicht weiter darüber nach.<br />

Dieser kurze Wortwechsel nach dem Lesen des Psalms ist <strong>der</strong><br />

Wendepunkt in seinem Leben. Auf einmal wird ihm alles viel leichter -<br />

und jetzt, da <strong>der</strong> Knoten buchstäblich geplatzt ist, fühlt er sich nicht mehr<br />

blockiert und verkrampft, son<strong>der</strong>n sieht seinen <strong>Weg</strong> erstaunlich klar.<br />

Jetzt fällt es ihm nicht mehr schwer, die direkte Leitung nach oben zu<br />

finden.<br />

So spricht er langsam und zögernd, zuerst leise und dann etwas lauter<br />

und auf Zürichdeutsch, seiner eigentlichen Muttersprache, diese Worte:<br />

„Lieber Gott, ich weiß nicht, was ich dir sagen soll. Es ist ja das erste<br />

Mal, dass ich so zu dir bete, jedenfalls soviel ich weiß. So finde ich keine<br />

richtigen Worte, um dir zu sagen, was ich fühle, ja, ich weiß nicht einmal<br />

so recht, wie ich dich nennen soll. Wenn du aber wirklich <strong>der</strong> allmächtige<br />

und allwissende Gott bist, wie ich immer gehört habe, weißt du das alles<br />

bereits bestens ... Ich weiß, dass ich mein ganzes Leben lang vor dir<br />

davongelaufen bin, dass ich nichts von dir und deiner Heilsbotschaft<br />

wissen wollte, und dass du mir immer völlig gleichgültig gewesen bist.<br />

Heute ist es mir klar, dass ich immer auf dem falschen <strong>Weg</strong> gegangen<br />

bin und dass nur <strong>der</strong> <strong>Weg</strong> mit dir <strong>der</strong> richtige ist ... Wenn du, Jesus<br />

Christus, wirklich <strong>der</strong> Sohn Gottes bist, <strong>der</strong> am Kreuz von Golgatha für<br />

alle Sünden <strong>der</strong> ganzen Welt gestorben ist, <strong>der</strong> dann aber von den Toten<br />

auferstanden ist und noch heute lebt und darauf wartet, dass die<br />

Menschen dich als ihren Erlöser erkennen und sich zu dir bekehren, hast<br />

du alle nur mögliche Verehrung verdient, dann will auch ich zu dir<br />

kommen und mich unter dich beugen ... Bitte vergib mir all meine<br />

Verfehlungen und all meine Sünden, bitte vergib mir! Zeig dich mir bitte,<br />

komm in mein Leben und mach es neu! Lass mich zu dir kommen, Herr<br />

Jesus, und offenbare dich als mein Erlöser in deiner ganzen Herrlichkeit!<br />

Ich will mich dir unterwerfen und den Rest meines Lebens mit dir gehen,<br />

261


ja, von jetzt an will ich kompromisslos auf deiner Seite stehen und für die<br />

Verbreitung deiner Heilsbotschaft mitkämpfen ... Es tut mir so<br />

schrecklich leid, dass ich mein bisheriges Leben ohne dich vergeudet<br />

habe. Erst heute ist es mir endgültig klar geworden, was im Leben<br />

wirklich wichtig ist - die Bekehrung zu dir, Herr Jesus. Aber ich vertraue<br />

auf dich, dass du mir alles vergibst und mir ein neues Leben schenkst.<br />

Vergib mir bitte nochmals all meine Sünden! ...Vergib mir alles! ...“<br />

Es ist ihm fast nicht bewusst geworden, dass seine Augen sich im<br />

Verlauf seines Gebets, das angesichts seines bisherigen Lebens<br />

geradezu historisch ist, mit Tränen gefüllt haben - ausgerechnet bei ihm,<br />

<strong>der</strong> noch vor wenigen Wochen all jene verachtet hat, die beteten und<br />

nachher mit Tränen buchstäblich wie<strong>der</strong> aufwachten. Er beachtet das<br />

jedoch nicht weiter, denn was er jetzt erlebt, könnte er mit Worten nie<br />

richtig beschreiben. Er fühlt, dass in seinem Inneren eine gewaltige<br />

Verän<strong>der</strong>ung vor sich geht. Plötzlich haben eine Freude und ein tiefer<br />

Friede ihn ihm Einzug gehalten, wie er es noch nie zuvor erlebt hat. Das<br />

muss einfach mehr sein als nur eine tiefenpsychologische Einbildung<br />

o<strong>der</strong> ein psychoanalytisches Loch, das jetzt ausgefüllt worden ist; es<br />

kann nicht nur ein Teil einer religiösen Massenpsychose sein, die bis da<br />

unten herabreicht. Nein, nichts von alledem - was er erlebt, ist die<br />

unmittelbare Gegenwart des real existierenden allmächtigen und<br />

allwissenden Gottes, die Gegenwart dessen, an den er noch bis vor<br />

kurzem nicht geglaubt hat, den er jetzt aber höchstpersönlich spüren<br />

kann. Für diese Erfahrung braucht es keine äußerliche Vision mit<br />

gewaltigen Bil<strong>der</strong>n; es genügt auch eine innerliche, die nur <strong>der</strong><br />

betreffende Mensch selbst erfahren kann, wie er o<strong>der</strong> sie auch selbst die<br />

Entscheidung treffen muss, ob Jesus Christus in ihr Leben kommen soll<br />

o<strong>der</strong> nicht.<br />

Als die beiden sich vom Sofa erheben, sagt Hans wie<strong>der</strong> auf Deutsch zu<br />

Rabi, wobei seine Augen immer noch voller Tränen sind und er sie erst<br />

jetzt abzuwischen beginnt: „Jetzt weiß ich, dass es Gott gibt und dass<br />

Jesus Christus wirlich lebt.“<br />

„Siehst du, jetzt hast auch du ihn persönlich erfahren“, entgegnet Rabi<br />

strahlend und ebenfalls wie<strong>der</strong> auf Deutsch.<br />

„Ich danke dir für alles, was du für mich getan hast und dass du mir den<br />

<strong>Weg</strong> zu ihm gezeigt hast“, sagt Hans weiter, „es ist so wun<strong>der</strong>bar zu<br />

wissen, dass ich mit Gott meinen Frieden gefunden habe und dass ich<br />

von jetzt an zu ihm gehören darf.“<br />

„Du musst nicht mir danken, son<strong>der</strong>n dem Herrn. Er allein ist es, <strong>der</strong> das<br />

alles bewirkt; ohne ihn können wir nichts tun, ich bin nur sein Werkzeug.“<br />

„Ja, du hast Recht, Rabi, er allein“, bestätigt Hans, indem er auf ihn<br />

zugeht und ihn dann herzlich umarmt. Rabi erwi<strong>der</strong>t seine Umarmung<br />

262


ebenso und sagt dann eifrig: „Komm, Hans, wir wollen nach oben gehen<br />

und es den an<strong>der</strong>en sagen, dass jetzt auch du ein Kind Gottes geworden<br />

bist!“<br />

Natürlich hat Hans vor lauter Freude nichts dagegen, ja, er erinnert sich<br />

nicht einmal mehr an die Szene vor ein paar Monaten, als er die<br />

Bekehrung einer Frau direkt miterlebte und darüber so erschrak, dass<br />

nicht viel fehlte, um den Kontakt zu den Leuten hier abzubrechen - und<br />

jetzt hat er selbst das auch erlebt. Ja, das sollen alle an<strong>der</strong>en ruhig auch<br />

erfahren!<br />

Als sie oben angekommen sind und Rabi allen an<strong>der</strong>en die Neuigkeit<br />

mitgeteilt hat, spielt sich mit Hans tatsächlich die gleiche Szene ab wie<br />

damals, als er noch als scharfer Skeptiker und Kritiker daneben saß und<br />

alles als Unbeteiligter, als einer von draußen, miterleben und sich<br />

gewaltig ärgern musste. Jetzt ist er selbst einer von denen, die sich zu<br />

Jesus Christus bekehrt haben, und die allgemeine Freude wird noch<br />

dadurch gesteigert, dass kurz darauf auch die betreffende Frau, die sich<br />

gemeldet hat, in einem an<strong>der</strong>en Raum zum lebendigen Glauben<br />

durchgedrungen ist und sich jetzt wie<strong>der</strong> zeigt.<br />

Mitten im ganzen Rummel ist es Hans fast entgangen, dass Erwin, <strong>der</strong><br />

sich natürlich mitfreut, schon seit einiger Zeit wie<strong>der</strong> allein ist, weil<br />

Konrad nach einem Gespräch von nur einer halben Stunde wie<strong>der</strong><br />

gegangen ist. Auch er gehört zu denen, die noch nicht alles verstehen<br />

wie Hans vor einigen Monaten, aber auch er kann weiter auf dem <strong>Weg</strong><br />

wandeln, <strong>der</strong> am Ende direkt zu Gott hin<strong>führt</strong>.<br />

Als Hans seinen alten Bekannten, dem er vieles zu verdanken hat und<br />

<strong>der</strong> tatsächlich eine Art Ziehvater in Bezug auf den Glauben ist, ihn<br />

endlich ausfindig macht, nimmt er ihn etwas zur Seite und sagt zu ihm<br />

mit dem gleichen Strahlen, das ihn seit dem Moment seiner Bekehrung<br />

erhellt: „Du hast Recht gehabt mit allem, was du mir gesagt hast: Jesus<br />

Christus ist wirklich auferstanden und lebt noch heute.“<br />

„Es freut mich riesig für dich, dass jetzt auch du zum Herrn gefunden<br />

hast“, entgegnet Erwin erregt.<br />

„Du und auch die an<strong>der</strong>en, mit denen ich über den Glauben geredet<br />

habe“, sagt Hans dann weiter, „ihr habt von Anfang an mit allem Recht<br />

gehabt; das ist mir jetzt klar. Ich war halt viel zu verblendet und zum Teil<br />

auch zu stolz, um das zuzugeben. Aber jetzt wird alles an<strong>der</strong>s, das<br />

verspreche ich; ab morgen wird die Welt einen ganz an<strong>der</strong>en Hans<br />

Stettler sehen und erleben, als ihr alle mich bis heute gekannt habt.“<br />

«Ich hoffe es für dich, dass du mit dem Herrn vorangehen kannst»,<br />

entgegnet Erwin, «und du hast dafür auch den richtigen Charakter.»<br />

„Übrigens muss ich dir auch noch danken. Du warst mir eine große Hilfe,<br />

263


ohne dich wäre alles viel schwieriger gewesen.“<br />

Da erwi<strong>der</strong>t auch Erwin: „Du musst nicht mir danken, son<strong>der</strong>n Gott. Er<br />

allein ist es, <strong>der</strong> den <strong>Weg</strong> für dich vorbereitet und dich zu ihm<br />

hingezogen hat; wir waren alle nur seine Werkzeuge.“<br />

„Aber gute Werkzeuge - sei doch nicht so bescheiden! Man darf ja<br />

trotzdem noch Danke sagen - o<strong>der</strong> etwa nicht?“<br />

„Ja, natürlich, Hans“, antwortet Erwin, worauf beide kurz lachen müssen.<br />

Darauf geschieht etwas, das unter den oft allzu nüchternen<br />

Deutschschweizern, die ihre Gefühle meistens nicht offen zu zeigen<br />

fähig sind, nur selten vorkommt und allenfalls noch auf Sportplätzen zu<br />

sehen ist: Sie umarmen sich fest.<br />

19<br />

Natürlich kehrt Hans in dieser Nacht fröhlich und fast übermütig nach<br />

Hause zurück, und seine Freude ist sogar so groß, dass er auf <strong>der</strong><br />

Straße und in <strong>der</strong> Straßenbahn laut aufjauchzen und von Jesus Christus<br />

erzählen könnte. Dann jedoch besinnt er sich, weil er sich sagen muss,<br />

dass viele ihn für verrückt halten würden und er im schlimmsten Fall<br />

sogar noch damit rechnen müsste, abgeholt und direkt in eine Klinik<br />

eingewiesen zu werden. Dabei würde er den Leuten diese Denkweise<br />

nicht einmal beson<strong>der</strong>s verübeln, schließlich hat er selbst vor nicht allzu<br />

langer Zeit auch so gedacht und dementsprechend geredet.<br />

Was ihn fast ebenso freut wie die Tatsache, dass er nach monatelangen<br />

inneren Kämpfen zum lebendigen Glauben an Gott und an Jesus<br />

Christus gefunden hat, ist die Aussicht, dass von jetzt an nichts mehr<br />

zwischen ihm und Ulrike steht, weil sie fortan den gleichen Glauben<br />

teilen, und deshalb auch heiraten können. Ja, heiraten und mit <strong>der</strong><br />

geliebten Frau, nach <strong>der</strong> er sich seit Wochen so innig sehnt, auf dem<br />

weiteren Lebensweg schreiten - das ist jetzt das Nächste, das ihm<br />

bevorsteht, und er freut sich schon wahnsinnig darauf. Erwin hat mir ja<br />

gesagt, dass sie immer wie<strong>der</strong> nach mir gefragt hat, sagt er zu sich<br />

selbst fast trunken vor Glück; das zeigt doch, dass sie mich immer noch<br />

liebt und auf mich wartet.<br />

Kaum ist er in seiner Wohnung angekommen, will er sie gleich anrufen<br />

und ihr die Neuigkeit von seiner Bekehrung mitteilen. Doch dann hält er<br />

es für besser, noch bis zum Tagesanbruch, wenn nicht gar bis zum<br />

Nachmittag zu warten, nicht weil sie jetzt vielleicht schon schläft,<br />

son<strong>der</strong>n weil er ihr durch sein plötzliches Auftauchen im Krankenhaus<br />

264


und mit dieser Neuigkeit eine Riesenfreude bereiten kann. Er weiß zwar<br />

nicht mit Sicherheit, ob sie morgen frei hat o<strong>der</strong> nicht; da die<br />

Wahrscheinlichkeit jedoch groß ist, dass dies nicht <strong>der</strong> Fall sein wird, hat<br />

er vor, einfach ins Krankenhaus zu gehen und sie dort zu besuchen, so<br />

wie er das schon ein paar Mal getan hat, als er ihr noch nachging und<br />

um sie warb, bis sie endlich auch ihre Liebe für ihn entdeckt hat.<br />

Was Hans in dieser Nacht unterlässt, tut aber ein an<strong>der</strong>er an seiner<br />

Stelle, ohne ihm das mitzuteilen: Es ist Erwin, <strong>der</strong> es nicht mehr<br />

aushalten kann, ja, darüber nicht einmal Schlaf findet. Schließlich hat er<br />

als Erster Hans auf dem Bellevueplatz getroffen und als Erster ihm vom<br />

Evangelium erzählt, also ist seine Bekehrung in entscheidendem Maß<br />

sicher auch ihm zu verdanken, obwohl er sich selbst immer wie<strong>der</strong><br />

einredet, dass auch er nur ein Werkzeug des Herrn war. Er muss Ulrike<br />

einfach mitteilen, was mit Hans geschehen ist; da kann er nicht mehr<br />

darauf Rücksicht nehmen, ob sie vielleicht schon schläft o<strong>der</strong> nicht, und<br />

er rechnet sowieso damit, dass sie ihm nicht bös sein wird, son<strong>der</strong>n sich<br />

im Gegenteil riesig freuen wird, Schlaf hin o<strong>der</strong> her.<br />

Als er sie anruft und hört, wie jemand kurz darauf den Hörer abnimmt<br />

und deutlich „Ja, da ist Ulrike Rietmann“ sagt, hat er nicht den Eindruck,<br />

eine verschlafene Stimme zu hören.<br />

„Hoi Ulrike, da ist Erwin“, antwortet er, und zwar im Dialekt, denn im<br />

Gegensatz zu Hans und fast allen an<strong>der</strong>en in <strong>der</strong> Gemeinde spricht er<br />

mit ihr nicht Hochdeutsch.<br />

„Erwin Gisler?“, fragt sie vorsichtig.<br />

„Ja, ich bin es. Entschuldige, dass ich dich vielleicht geweckt habe! Es ist<br />

schließlich schon nach Mitternacht.“<br />

„Nein, du hast mich nicht geweckt. Ich habe noch ein wenig gelesen.“<br />

„Ich rufe dich jetzt an, weil ich eine erfreuliche Neuigkeit für dich habe<br />

und damit nicht bis morgen warten wollte. Ich muss es dir einfach jetzt<br />

sagen, vorher kann ich nicht einschlafen. Es ist eine ganz beson<strong>der</strong>e<br />

Neuigkeit, die du sicher gern hören wirst.“<br />

„Was denn?“, fragt sie, als hätte sie von nichts eine Ahnung, und sie<br />

denkt sich jetzt tatsächlich nichts Beson<strong>der</strong>es.<br />

„Stell dir vor, Ulrike: Hans hat sich bekehrt.“<br />

Da trifft sie fast <strong>der</strong> Schlag. Sie hat mit vielem gerechnet, aber nicht mit<br />

einer solchen Nachricht. Sie braucht ein paar Sekunden, um sich zu<br />

fassen, und fragt dann zögernd und mit zittern<strong>der</strong> Stimme: „Ist das<br />

wirklich wahr, Erwin?“<br />

„Und ob es wahr ist!“, antwortet dieser mit triumphieren<strong>der</strong> Stimme, „er<br />

hat sein Leben vor zwei Stunden dem Herrn übergeben und will ganz<br />

265


neu anfangen. Er hat sogar gesagt, dass die Welt von morgen an einen<br />

ganz an<strong>der</strong>en Hans Stettler erleben wird. Wenn das kein Versprechen<br />

für die Zukunft ist!“<br />

Da kann Ulrike nicht mehr an sich halten und stößt einen kaum<br />

verhaltenen Jauchzer aus. Dann beherrscht sie sich wie<strong>der</strong> und fragt<br />

leise, wobei ihr die ersten Tränen über die Wangen rinnen: „Hat er es bei<br />

dir getan?“<br />

„Nein, Ulrike, ich hätte ihn noch so gern zum Herrn ge<strong>führt</strong>, aber ich<br />

musste noch mit einem Mann reden, den ich von <strong>der</strong> Straße gebracht<br />

hatte. So hat er es bei Rabi getan, aber die Hauptsache ist doch, dass er<br />

jetzt auch gläubig geworden ist.“<br />

„Ja, da hast du Recht ... Oh, wie ich mich freue! Das ist die schönste<br />

Nachricht, die ich je bekommen habe! Ich danke auch dir, Erwin, dass du<br />

mit ihm so lange Geduld hattest. Du bist wirklich ein lieber Bru<strong>der</strong>.“<br />

„Aber ich habe es doch gern getan, Ulrike. Es freut mich beson<strong>der</strong>s auch<br />

für dich und für euch beide.“<br />

Dann verabschieden sie sich voneinan<strong>der</strong> und hängen die Hörer<br />

gleichzeitig wie<strong>der</strong> ein. Ulrike kann es immer noch fast nicht fassen,<br />

<strong>der</strong>art taumelt sie vor Glück, und natürlich findet sie nach dieser<br />

sensationellen Neuigkeit lange keinen Schlaf mehr. Endlich hat auch er<br />

sich bekehrt!, sagt sie sich immer wie<strong>der</strong>. Endlich können wir <strong>uns</strong> wie<strong>der</strong><br />

ungezwungen treffen ... ja, und endlich können wir auch heiraten!<br />

Ihre Tränen hören nicht auf zu fließen, aber diesmal sind es keine<br />

Tränen <strong>der</strong> Trauer wie schon so oft, beson<strong>der</strong>s seit <strong>der</strong> Trennung von<br />

Hans, die zu ihrem Glück doch nur eine vorübergehende gewesen ist.<br />

Zuerst kommt auch ihr <strong>der</strong> Gedanke, ihn sofort anzurufen, doch dann<br />

unterlässt sie es, weil sie damit rechnet, dass er morgen ohnehin alles<br />

versuchen wird, um sie zu sehen, auch wenn sie dann im Krankenhaus<br />

arbeitet. So weiß sie, dass sie jetzt nur noch eines zu tun hat: Sie geht<br />

wie<strong>der</strong> auf die Knie, stützt ihre Ellbogen auf das Bett, bedeckt ihr aus<br />

Freude verweintes Gesicht mit beiden Händen und dankt Gott innig<br />

dafür, dass er nicht nur einen weiteren Menschen zu sich geholt,<br />

son<strong>der</strong>n ihr auch einen Mann geschenkt hat, den sie innig liebt und <strong>der</strong><br />

sie auch liebt. Jetzt kann ihrem Glück wirklich nichts mehr im <strong>Weg</strong><br />

stehen, denn wenn <strong>der</strong> Allmächtige und Allwissende es wünscht, dass<br />

es zu einer Heirat kommt, wird sicher auch er höchstpersönlich dafür<br />

sorgen, dass nichts und niemand mehr sie daran noch hin<strong>der</strong>n wird.<br />

Auch Hans braucht genauso wie Ulrike lange Zeit, bis er endlich Schlaf<br />

findet - auch das verbindet sie, ohne dass <strong>der</strong> eine von den<br />

glücksbedingten Schlafstörungen des an<strong>der</strong>en weiß. Im Gegensatz zu<br />

ihr kann er jedoch ausschlafen und als er gegen elf Uhr aufwacht, denkt<br />

266


er als Erstes an sie und verliert keine Zeit, um sich zurechtzumachen<br />

und möglichst bald zum Krankenhaus zu fahren, weil er ja annehmen<br />

kann, dass er sie dort am leichtesten finden wird.<br />

Er genießt diesen freien Sonntag, den ersten seit vielen Monaten, so<br />

sehr und freut sich <strong>der</strong>art auf die Begegnung mit Ulrike, dass er<br />

überhaupt nicht daran denkt, dass er dem Gottesdienst an <strong>der</strong><br />

Feldeggstraße beiwohnen könnte, und zudem fällt es ihm erst beim<br />

Anziehen ein, dass seine ehemalige Mannschaft, <strong>der</strong> er formal eigentlich<br />

noch immer angehört, gerade in diesen Stunden das letzte Spiel <strong>der</strong><br />

Aufstiegsrunde bestreitet. Auch darin zeigt sich seine Wandlung: Nicht<br />

nur wegen des unfeinen Abgangs, <strong>der</strong> ihm bereitet worden ist, son<strong>der</strong>n<br />

in erster Linie auch wegen seiner Hinwendung zu Jesus Christus<br />

interessiert es ihn im Grund überhaupt nicht mehr, welches Ergebnis<br />

seine ehemaligen Vereinskollegen erzielen werden.<br />

Sogar das Wetter scheint es heute gut mit ihm zu meinen und sich über<br />

seine Bekehrung zu freuen: Zum ersten Mal seit vielen Wochen strahlt<br />

die Sonne nicht nur während <strong>der</strong> Woche, son<strong>der</strong>n auch an einem<br />

Sonntag schon seit <strong>der</strong> Morgendämmerung durch alles, und obwohl <strong>der</strong><br />

Hochsommer vor <strong>der</strong> Tür steht, ist es zum Glück noch nicht allzu heiß.<br />

Das macht die Klei<strong>der</strong>wahl etwas leichter: Da er ja nicht gerade in einem<br />

Anzug und mit Krawatte im Krankenhaus erscheinen muss wie morgen<br />

wie<strong>der</strong> auf <strong>der</strong> Bank, aber auch nicht in allzu leichter Kleidung<br />

erscheinen möchte, entschließt er sich für eine gute Kompromisslösung<br />

und zieht sich ein mehrfarbiges, kurzärmliges Sporthemd, ein Paar<br />

lange, weiße Hosen, gelbe Socken und braune Sandalen an. So will er<br />

sich seiner geliebten Ulrike zeigen, bevor er sie fest umarmen und<br />

abküssen wird.<br />

Bevor er aufbricht, vergisst er nicht, was er von heute an zu einem<br />

wichtigen Teil seines Tagesablaufs zu machen gedenkt: Er liest etwa<br />

eine halbe Stunde lang Psalmen und beginnt sowohl mit dem Alten als<br />

auch mit dem Neuen Testament systematisch von ganz vorn; dabei stellt<br />

er bald fest, dass er jetzt schon viel mehr Stellen besser versteht. Das ist<br />

offensichtlich das Wirken des Heiligen Geistes, <strong>der</strong> nach den Aussagen<br />

<strong>der</strong> Gläubigen mit seiner Bekehrung zum Herrn in ihm Einzug gehalten<br />

hat. Anschließend kniet er nie<strong>der</strong>, was ihm jetzt auch viel leichter fällt als<br />

beim ersten Mal gestern Nacht, stützt seine Ellbogen auf dem Bett ab<br />

und spricht ein kurzes Gebet, indem er Gott noch einmal für sein ganzes<br />

Wirken dankt und auch für Ulrike und sich selbst bittet, dass sie sich<br />

wirklich zu einem Paar finden können, das dann nur ihm allein dienen<br />

wird.<br />

267


Nachdem er in einem einfachen Restaurant zu Mittag gegessen hat,<br />

kauft er einen großen und mehrfarbigen Blumenstrauß und fährt dann in<br />

Richtung Krankenhaus, wobei sein Herz immer heftiger klopft, je mehr er<br />

sich ihm nähert. Er kann es fast nicht erwarten, seine Ulrike nach fast<br />

zwei Monaten wie<strong>der</strong> in die Arme schließen zu können. Haben sich ihre<br />

<strong>Weg</strong>e damals nach einer bitteren Diskussion getrennt, so wird es heute<br />

eine umso herrlichere Versöhnung geben - jetzt, da er mit ihr den<br />

gleichen Glauben an den gleichen Erlöser teilt.<br />

Da er von seinen früheren Besuchen her weiß, wann ungefähr sie eine<br />

Pause hat, richtet er es so ein, dass er we<strong>der</strong> kurz nach <strong>der</strong><br />

Mittagspause noch allzu spät im Stockwerk und in <strong>der</strong> Abteilung<br />

erscheint, in <strong>der</strong> sie arbeitet. Zur Sicherheit fragt er bei <strong>der</strong> Auskunft an<br />

<strong>der</strong> Haupteinganstür nochmals nach, ob sie immer noch dort tätig ist, wo<br />

er sie mehrmals kurz besucht hat, und da dies bejaht wird, begibt er sich<br />

gleich nach oben. Spontan geht er zum gut sichtbaren Pausenraum, <strong>der</strong><br />

von zwei Seiten eingesehen werden kann und zu dem natürlich nur das<br />

Krankenhauspersonal Zutritt hat. Er tritt nahe bis an die Eingangstür<br />

heran und muss zu seiner Enttäuschung feststellen, dass Ulrike nicht<br />

hier ist.<br />

„Suchen Sie jemanden?“, hört er eine Stimme fragen, sobald er seinen<br />

Kopf in den Raum hineinstreckt, und er sieht, dass diese von <strong>der</strong><br />

einzigen Krankenschwester herkommt, die sich drinnen aufhält. Von <strong>der</strong><br />

Uniformkleidung her könnte sie eine Art Oberschwester sein, auch ihr<br />

Alter um die fünfzig herum scheint dafür zu sprechen.<br />

„Guten Tag, ich möchte nur fragen, ob Ulrike hier ist“, antwortet er<br />

ausgesprochen höflich, doch er hat angesichts seiner guten Laune auch<br />

allen Grund dazu.<br />

„Meinen Sie Schwester Ulrike Riethmann?“, fragt die Frau in fast<br />

gleichgültigem Ton zurück, wie er das auch an seinem Arbeitsplatz<br />

immer wie<strong>der</strong> auf diese Art zu hören bekommt.<br />

„Ja, genau die meine ich.“<br />

„Dann müssen Sie mindestens eine halbe Stunde warten, sie hat noch<br />

Dienst.“<br />

„Wann hat sie denn ihre nächste Pause ... falls Sie das überhaupt sagen<br />

dürfen?“<br />

Das hat er sie zusätzlich gefragt, weil er auf eine merkwürdige Art zu ihr<br />

einen Kontakt gefunden hat, als wären sie schon gute Bekannte.<br />

„Etwa um vier Uhr“, antwortet sie zu seinem Erstaunen offen.<br />

„Darf ich solange hier auf sie warten?“<br />

„Es ist zwar Besuchszeit, aber es ist besser, Sie warten unten beim<br />

Eingang.“<br />

268


Obwohl ein paar leere Stühle herumstehen und er somit ohne weiteres<br />

Platz nehmen könnte, will er an einem so schönen Tag keine Diskussion<br />

vom Zaun brechen, wie er das früher, das heißt in seinem alten Leben,<br />

in einer solchen Lage mit Sicherheit getan hätte. Seine Ulrike ist es ihm<br />

wert, dass er sich nach den Worten dieser Frau richtet, und so begibt er<br />

sich wie<strong>der</strong> nach unten, wo er sich immerhin eine Tasse Kaffee<br />

genehmigen kann.<br />

Während er noch am Trinken ist und ohne ein wirkliches Interesse in ein<br />

paar Zeitschriften herumblättert, die irgendwo herumliegen, überlegt er<br />

sich noch, ob es vielleicht nicht doch besser wäre, bis zu ihrem<br />

Feierabend zu warten, weil sie dann viel mehr Zeit füreinan<strong>der</strong> hätten.<br />

Dann verwirft er diese Idee wie<strong>der</strong>, weil <strong>der</strong> Überraschungseffekt<br />

während <strong>der</strong> Arbeitszeit nun einmal viel größer ist und es zudem nicht<br />

schaden kann, wenn an<strong>der</strong>e Leute sehen, wie sehr sie sich lieben. Dabei<br />

denkt er vor allem an ihre Arbeitskolleginnen, von denen längst nicht<br />

jede gläubig ist, wie sie ihm einmal gesagt hat.<br />

Kurz vor vier Uhr kann ihn nichts mehr halten. Fest entschlossen steht er<br />

auf, wobei er noch fast den Blumenstrauß vergisst, und schaut dafür,<br />

dass er möglichst schnell wie<strong>der</strong> oben ist. Kaum ist er dort angelangt,<br />

kommt es zu einer Szene, wie sie in Krankenhäusern nicht oft zu sehen<br />

ist: Er erkennt im Pausenraum tatsächlich Ulrike, die mit ein paar<br />

Kolleginnen und einem Mann zusammensitzt, <strong>der</strong> von <strong>der</strong> Kleidung her<br />

wohl ein Krankenpfleger ist, aber da sie ihm den Rücken zugekehrt hält,<br />

kann sie ihn nicht sehen.<br />

So tritt er sachte an die Eingangstür und ruft leise „Ulrike!“ hinein. Da<br />

dreht sie sich verwun<strong>der</strong>t um, erkennt ihn freudestrahlend, vergisst<br />

darüber jedes Protokoll, stößt so etwas wie einen Freudenschrei aus, ruft<br />

dann „Hans!“, erhebt sich vom Stuhl und stürzt sich buchstäblich auf ihn,<br />

so dass er den Blumenstrauß völlig vergisst und zu Boden fallen lässt.<br />

Engumschlungen verweilen sie etwa eine halbe Minute lang, wobei sie<br />

beide ihre Tränen nicht zurückhalten können. Schließlich finden sich ihre<br />

Lippen zu einem ebenso langen Kuss, dann küsst er sie auf die<br />

tränenbenetzten Wangen, auf die Nase sowie auf die Stirn und drückt sie<br />

nochmals fest an sich. Darauf löst sie sich etwas von ihm, ergreift seinen<br />

Kopf mit beiden Händen und bedeckt diesen geradezu mit einem<br />

Kusshagel. Dabei tut sie das mit einer erstaunlichen Kraft, die er ihr gar<br />

nie zugetraut hat; da sie ja fast so groß ist wie er, geht das natürlich<br />

leicht.<br />

Schließlich kommen sie doch noch zum Sprechen - so sagt er ihr ins<br />

Ohr, wobei er sie vor lauter Tränen fast nicht sieht: „Ich liebe dich, Ulrike,<br />

ich liebe dich über alles.“<br />

269


„Und ich erst - ich liebe dich wahnsinnig!“, entgegnet sie, „erst recht seit<br />

dem, was ich in dieser Nacht gehört habe.“<br />

„Du weißt es also schon?“<br />

„Ja, Erwin hat mich angerufen. Ich habe mich so gefreut, dass ich<br />

nachher fast nicht mehr schlafen konnte.“<br />

„Und ich erst!“<br />

Dann umarmt er sie noch einmal fest, löst sich wie<strong>der</strong> etwas von ihr und<br />

sagt lächelnd: „Soso, ist dieser Erwin mir also zuvorgekommen! Dabei<br />

wollte ich dich mit dieser Neuigkeit überraschen. Aber das macht auch<br />

nichts; wer weiß, wenn er es nicht gesagt hätte, dann hättest du mich<br />

vielleicht nicht so stürmisch begrüßt.“<br />

Und wie<strong>der</strong> umarmen sie sich innig und geben sich einen langen Kuss.<br />

Dann sagt er zu ihr nicht einmal leise: „Es tut mir leid, dass du wegen mir<br />

so lange hast leiden müssen. Heute weiß ich, dass du in allem Recht<br />

hattest. Bitte vergib mir, Liebling!“<br />

„Aber so schlimm war das auch wie<strong>der</strong> nicht“, erwi<strong>der</strong>t sie sofort, „die<br />

Hauptsache ist doch, dass jetzt auch du zum Herrn gefunden hast.“<br />

Dann fügt sie nach kurzem Zögern lächelnd hinzu: „Na ja, schließlich<br />

habe ich in all diesen Wochen auch intensiv für dich gebetet.“<br />

Und nach einer kleinen Pause flüstert er ihr endlich die Worte ins Ohr,<br />

die sie schon lange so gern hören wollte, auf sie sie aber ebenso lange<br />

fast bis zur Verzweiflung warten musste: „Willst du jetzt meine Frau<br />

werden?“<br />

Dabei merken sie beide fast nicht, wie sehr er das „jetzt“ betont.<br />

„Ja, natürlich will ich das“, antwortet sie etwas lauter. Dann nimmt sie<br />

seinen Kopf nochmals in beide Hände, zieht ihn zu sich, schaut ihm fest<br />

in die Augen und sagt dann leise, aber in einem sehr bestimmten Ton:<br />

«Du gehörst von jetzt an zu mir, ich lasse dich mir von niemandem mehr<br />

wegnehmen. Hörst du mich - ist das klar?»<br />

Dann drückt sie ihm nochmals einen festen Kuss auf die Lippen.<br />

„Nur keine Angst, Liebling!“, antwortet er ebenso entschlossen, als sie<br />

seinen Mund wie<strong>der</strong> frei gibt, „für mich gibt es fortan nur noch dich. Mein<br />

Leben lang habe ich mich nach einer solchen Frau wie dir gesehnt - und<br />

jetzt habe ich sie gefunden.“<br />

Darauf umarmen sie sich noch einmal innnig.<br />

Während <strong>der</strong> ganzen Zeit ihrer stürmischen Begrüßung haben sie<br />

überhaupt nicht wahrgenommen, dass sich rund um sie herum etwas<br />

bewegt hat, dass ein paar Leute stehen geblieben sind und auch Ulrikes<br />

Kolleginnen sowie <strong>der</strong> Pfleger, <strong>der</strong> bei ihnen saß, von ihren Stühlen<br />

aufgestanden und nach draußen gekommen sind. Es wird zwar nicht<br />

gerade geklatscht, wie das in gewissen Filmen bei solchen Szenen zu<br />

270


sehen ist, aber die Freude o<strong>der</strong> zumindest Rührung darüber, dass<br />

offenbar zwei sich gefunden haben, ist trotzdem groß, selbst wenn das in<br />

einem Krankenhaus geschehen musste. Allein die Oberschwester mit<br />

ihrem Pflichtbewusstsein hat noch etwas Distanz zum Ganzen bewahrt,<br />

aber wenigstens hat sie die beiden nicht daran gehin<strong>der</strong>t.<br />

Endlich hat sich die Lage etwas beruhigt, so dass Ulrike ihren neu<br />

gewonnenen Liebsten an <strong>der</strong> Hand nimmt, bis an die Eingangstür des<br />

Pausenraums <strong>führt</strong> und dort immer noch fast atemlos zur Oberschwester<br />

sagt: „Entschuldigen Sie bitte, aber ich konnte mich einfach nicht mehr<br />

beherrschen! Ich habe ihn fast zwei Monate lang nicht mehr gesehen<br />

und plötzlich stand er wie<strong>der</strong> vor mir.“<br />

„Ist schon recht, es ist ja nichts passiert“, entgegnet sie beruhigend. Der<br />

ruhige Draht, <strong>der</strong> vor einer knappen halben Stunde zwischen ihr und<br />

Hans gespannt worden ist, wirkt offensichtlich auch noch jetzt.<br />

Dann stellt Ulrike ihren Liebsten so zurecht, dass alle Kolleginnen und<br />

<strong>der</strong> Pfleger, die inzwischen wie<strong>der</strong> in den Pausenraum zurückgekehrt<br />

sind und sich gesetzt haben, ihn sehen können, und sagt strahlend zu<br />

ihnen: „Darf ich euch Hans vorstellen? Mein zukünftiger Mann.“<br />

Dabei gelingt es ihr, sich trotz ihrer Größe an ihn anzuschmiegen, indem<br />

sie ihn von einer Seite mit den Armen umschlingt, ihm einen weiteren<br />

festen Kuss auf die ihr zugekehrte Wange gibt und dann ihr Gesicht an<br />

das seine drückt; es ist ihr überdeutlich anzumerken, dass sie in diesen<br />

Minuten unendlich glücklich ist.<br />

„Das ist also <strong>der</strong> Mann, von dem du so viel erzählt hast“, entgegnet<br />

darauf eine <strong>der</strong> zwei Kolleginnen, die neben <strong>der</strong> Oberschwester, dem<br />

Pfleger und Ulrike noch eine kleine Pause haben. Da sie nicht gläubig<br />

ist, nimmt sie diese Neuigkeit ziemlich gleichgültig auf, zumal sie wegen<br />

Ulrikes Glauben schon ein paar Diskussionen hatte, vor allem über<br />

Abtreibungsfragen. Die an<strong>der</strong>e dagegen, die gläubig ist und sich schon<br />

aus diesem Grund mit ihr viel besser versteht, zeigt echte Freude, erhebt<br />

sich strahlend, kommt auf sie beide zu und streckt Hans die rechte Hand<br />

hin.<br />

„Ich freue mich so sehr für euch zwei“, sagt sie lächelnd, „ich heiße<br />

übrigens Daniela.“<br />

Darauf geben sie sich die Hand, aber sie bleibt die Einzige, die ihn<br />

persönlich mit Handschlag begrüßt. Die an<strong>der</strong>en bleiben auf Distanz, es<br />

sind halt sind alle gleich; zudem ist sowieso Vorsicht geboten, weil die<br />

drei, die jetzt stehen, Frömmler sind, wie sie das so sehen.<br />

Da Hans seiner Liebsten doch noch fünf Minuten Pause gönnen will,<br />

verabschiedet er sich vorzeitig. Sobald er gegangen ist, sagt Ulrike zur<br />

271


Kollegin, mit <strong>der</strong> sie wegen ihres Glaubens schon manche zum Teil recht<br />

harte Diskussion ge<strong>führt</strong> hat, mit einem unverkennbar triumphierenden<br />

Hinterton: „Siehst du, Anita: Hans ist ein weiterer deutlicher Beweis<br />

dafür, dass es Gott wirklich gibt und dass Jesus Christus <strong>uns</strong> allen ein<br />

neues Leben schenken kann.“<br />

Dabei meint sie mit diesen Worten nicht nur diese Kollegin und den<br />

Pfleger, son<strong>der</strong>n auch die manchmal mürrisch wirkende Oberschwester,<br />

die aber nicht so ist, wie sie sich oft gibt.<br />

„Für eine solche wie dich würde sich aber noch mancher an<strong>der</strong>e Mann<br />

scheinbar bekehren, nur damit er dich bekommen kann“, meint Anita<br />

achselzuckend und mit einem schiefen Lächeln.<br />

„Du hättest aber sehen müssen, wie er noch bis vor wenigen Wochen<br />

gewesen ist. Da wollte auch er nichts von Jesus wissen, so dass nicht<br />

viel für eine endgültige Trennung gefehlt hat. Heute ist aber auch er ein<br />

gläubiger Christ, Gott sei Dank.“<br />

„So könnt ihr jetzt auch ohne Glaubensprobleme heiraten“, entgegnet<br />

Daniela lächelnd.<br />

„Ja - und ich freue mich schon jetzt wahnsinnig darauf. Ich habe so lange<br />

für einen lieben Mann gebetet, bis <strong>der</strong> Herr mich erhört und mir Hans<br />

geschenkt hat. Er hat den <strong>Weg</strong> wun<strong>der</strong>bar vorbereitet - zuletzt fehlte nur<br />

noch seine Bekehrung, um Gottes Plan vollkommen zu machen, und<br />

genau das hat er jetzt getan.“<br />

20<br />

Bis zum großen Tag ihrer Hochzeit müssen sich Hans und Ulrike noch<br />

drei lange Monate lang in Geduld und Ausdauer üben. Da er den immer<br />

noch vorhandenen W<strong>uns</strong>ch seiner zukünftigen Frau, unberührt in die<br />

Ehe zu gehen, ohne Probleme respektiert, richten sie sich so ein, dass<br />

sie sich in diesen Monaten nicht in einer ihrer Wohnungen treffen, damit<br />

sie erst gar nicht in Versuchung geraten können, son<strong>der</strong>n nur außerhalb<br />

und meistens im Beisein an<strong>der</strong>er Leute, von denen die meisten ebenfalls<br />

Gläubige sind. Natürlich zerreißt sie dieses unendlich lang scheinende<br />

Warten beinahe, aber sie betrachten diese Zeit zugleich als eine Prüfung<br />

und Gelegenheit zur Läuterung - o<strong>der</strong> eben auch als ein Stahlbad<br />

Gottes, aus dem alle gestärkt hervorgehen, wie das immer wie<strong>der</strong> so<br />

gesagt wird.<br />

Während die ganze Prozedur <strong>der</strong> Heirat mit Anmeldung, öffentlicher<br />

Verkündigung, Einladungen und Reservierung eines großen<br />

Speisesaals, <strong>der</strong> zugleich ein Festsaal werden soll, noch voll im Gange<br />

ist, bleibt Hans nicht untätig und lässt praktisch keine Gelegenheit aus,<br />

272


um seinen neuen Glauben an Jesus Christus zu bezeugen. Als Erste<br />

hören natürlich seine Eltern, Geschwister und Verwandten davon, aber<br />

auch an seinem Arbeitsplatz ist er ziemlich aktiv, obwohl die<br />

Vorgesetzten das nicht so gern sehen; sie lassen ihn vorläufig nur<br />

deshalb gewähren, weil sie ihn als einen tüchtigen Mitarbeiter kennen<br />

gelernt haben. Auch seine ehemaligen Kollegen vom Fußballverein und<br />

den Trainer setzt er telefonisch o<strong>der</strong> über das Handy in Kenntnis, soweit<br />

er sie erreichen kann, doch er hat ohnehin vor, sie allesamt zur Hochzeit<br />

einzuladen, und dafür hat er ja genügend Zeit; er trägt ihnen nichts mehr<br />

nach und will es ihnen gerade auch mit dieser Einladung beweisen.<br />

Natürlich reagieren alle, die von seiner radikalen Wandlung hören,<br />

ziemlich überrascht und halten ihn teilweise für verrückt, aber mit<br />

solchen Reaktionen hat er ja schon vorher gerechnet. Schließlich hat er<br />

auch seinen eigenen Werdegang bis zum Tag <strong>der</strong> Bekehrung nicht<br />

vergessen - und gerade die Tatsache, dass die Leute, die vom<br />

christlichen Standpunkt aus gesehen noch vom bösen Geist dieser Welt<br />

gefangen sind, auf diese ablehnende Weise reagieren, zeigt ihm, dass er<br />

sich auf dem richtigen <strong>Weg</strong> befindet.<br />

Dieses Wissen und natürlich vor allem seine Liebe zu Ulrike und das<br />

regelmäßige Zusammensein mit den an<strong>der</strong>en Gläubigen an <strong>der</strong><br />

Feldeggstraße helfen ihm, all diesen Anfeindungen, die ihn früher<br />

verletzt hätten, gelassen entgegenzutreten. So wie vorher Ulrike, Erwin<br />

und Bruno und viele an<strong>der</strong>e dafür gebetet haben, dass er zum Herrn<br />

findet, so kann und will auch er jetzt für sie alle beten.<br />

Nur eine Woche nach seiner Bekehrung wird in <strong>der</strong> Gemeinde an <strong>der</strong><br />

Feldeggstraße, <strong>der</strong> jetzt auch Hans angehört und in die sie beide<br />

regelmäßig hinzugehen gedenken, nach dem Sonntagsgottesdienst eine<br />

kleine Verlobungsfeier abgehalten, und gerade deshalb, weil diese in<br />

einem recht einfachen, ja, fast nur gemeindeinternen Rahmen<br />

durchge<strong>führt</strong> wird, wurden nicht extra ihre Angehörigen und Verwandten<br />

eingeladen. Beson<strong>der</strong>s für Ulrikes Familie wäre es sowieso etwas<br />

schwierig gewesen, extra von Norddeutschland herunterzureisen; das ist<br />

dann für den Tag ihrer Hochzeit vorgesehen.<br />

Zwei Wochen nach dieser kleinen Feier, also nur drei Wochen nach<br />

seiner Bekehrung, findet im Leben von Hans ein weiteres Ereignis statt,<br />

das er sicher nie vergessen wird: Zusammen mit sechs an<strong>der</strong>en - je drei<br />

Männern und Frauen - lässt er sich im Zürichsee taufen, wie <strong>der</strong> Herr<br />

das verordnet hat und von allen durch<strong>führt</strong> werden sollte, denen es zu<br />

ihren Lebzeiten noch möglich ist. Nach dem Glauben, <strong>der</strong> in seiner<br />

Gemeinde verkündigt wird, ist die Taufe zwar nicht die absolute<br />

273


Bedingung zur Rettung, wie das da und dort fälschlicherweise gelehrt<br />

wird, aber als klares Zeugnis zur Bekehrung, als Akt des Gehorsams ihm<br />

gegenüber und des öffentlich verkündeten Willens, fortan ihm<br />

nachzufolgen und ihm zu dienen. Nicht zuletzt wird auch jetzt wie<strong>der</strong><br />

betont, dass <strong>der</strong> Herr selbst sich ebenfalls taufen liess, bevor er seinen<br />

Dienst begann - von keinem Geringeren als von Johannes dem Täufer,<br />

<strong>der</strong> als Einziger von allen biblischen Propheten das Vorrecht hatte, den<br />

Erlöser nicht nur des Volkes Israel, son<strong>der</strong>n auch <strong>der</strong> ganzen Welt<br />

unmittelbar vor dessen irdischem Auftreten anzukündigen. Gerade auch<br />

deshalb hat Jesus gesagt, es gebe von allen Propheten keinen<br />

Grösseren als Johannes.<br />

Diese Taufe wird auf <strong>der</strong> Saffa-Insel durchge<strong>führt</strong>, <strong>der</strong> kleinen Insel<br />

unweit des Strandbads Mythenquai, die mit dem Festland durch eine<br />

niedrige Brücke verbunden ist. Das herrliche Wetter trägt zusätzlich zur<br />

feierlichen Stimmung bei, aber was Hans noch mehr freut, ist die<br />

Anwesenheit Ulrikes, die an diesem Sonntag frei bekommen hat - <strong>der</strong><br />

Tauftag ist ja gerade nach ihrem Arbeitsplan ausgerichtet worden, weil<br />

Hans darauf bestanden hat, sie bei sich zu haben. Bevor er zusammen<br />

mit einem großen und kräftigen Mann, <strong>der</strong> für die Taufe bestimmt wurde,<br />

weil er die Leute am besten halten kann, ins Wasser steigt, wird ihm<br />

noch ein Mikrofon gereicht. Darin spricht er zum ersten Mal in seinem<br />

Leben in <strong>der</strong> Öffentlichkeit in Kurzform über seinen neuen Glauben und<br />

darüber, was alles geschehen ist, bis er sich bekehrt hat, und obwohl die<br />

Leute, die rund um die Christen herumstehen o<strong>der</strong> in ihrer Mehrheit auf<br />

<strong>der</strong> Wiese liegen, so tun, als wäre ihnen diese Botschaft völlig<br />

gleichgültig, vertraut er dennoch darauf, dass auch seine Worte bei<br />

denen einen o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en vielleicht doch auf einen fruchtbaren Boden<br />

fallen und sich später auswirken werden. Hat es schließlich bei ihm<br />

selbst nicht auch so begonnen?<br />

Sein neues Leben zeigt sich auch darin, dass er jetzt genauso wie einst<br />

Erwin und Bruno, die er auf diese Weise als Erste kennen gelernt hat,<br />

manchmal an Straßeneinsätzen teilnimmt, wie das Verteilen von<br />

Flugblättern und die gelegentlichen Freiversammlungen mit Lie<strong>der</strong>n und<br />

Zeugnissen, die eigentlich nur noch für die Heilsarmee bei ihren wenigen<br />

öffentlichen Auftritten noch erlaubt wären, aber nicht bei jedem Auftreten<br />

sofort von <strong>der</strong> Polizei unterbunden werden, im Christenjargon heißen.<br />

Nicht weniger als viermal verteilt er zusammen auch mit Erwin selber auf<br />

dem Bellevueplatz Flugblätter, also ausgerechnet mit dem Mann, <strong>der</strong> ihn<br />

als Erster auf den Glauben an Jesus Christus aufmerksam gemacht hat,<br />

und ausgerechnet auf dem gleichen Platz, wo ihre erste Begegnung<br />

stattgefunden hat. Dabei macht er bei diesen Verteilaktionen die gleiche<br />

274


interessante Erfahrung wie Bruno, <strong>der</strong> bei den Leuten aufgrund seiner<br />

äußerlichen Erscheinung immer ein wenig besser angekommen ist als<br />

Erwin: Jedes Mal, wenn er beson<strong>der</strong>s gut aufgelegt ist und diese Laune<br />

sich offensichtlich auch auf seinen Gesichtsausdruck überträgt und er<br />

dementsprechend strahlt, bekommt er zu viel mehr Leuten Kontakt.<br />

Dann bringt er bedeutend mehr Flugblätter weg und hat ab und zu auch<br />

Gelegenheit zu guten Gesprächen, ja, manchmal kommt es auch bei ihm<br />

vor, dass jemand von seinem Strahlen so beeindruckt wird, dass er o<strong>der</strong><br />

sie fast schüchtern fragt: „Darf ich auch eines haben?“<br />

Der Höhepunkt ist jedoch <strong>der</strong>, als eines Tages ein älterer Mann ihm ein<br />

Flugblatt buchstäblich aus den Händen reißt, <strong>der</strong>art hat es ihm sein<br />

Strahlen angetan. Gerade auch diese Szene bestätigt für ihn, was er<br />

irgendwo im Neuen Testament gelesen hat: «Ist jemand in Christus, ist<br />

er eine neue Kreatur.» Ohne seine Bekehrung könnte er nie so stark von<br />

innen heraus strahlen.<br />

All diese Erfahrungen zeigen ihm, dass im Grund viel mehr Menschen an<br />

diesem einen wahren Glauben Interesse hätten und sich gern auch Zeit<br />

für tiefe Gespräche nähmen, wenn sie dazu mehr Gelegenheit hätten<br />

und noch viel mehr Kontakte ermöglicht würden - die menschliche Seele<br />

schreit nun einmal in ihrem Innersten nach Erlösung. Ein erhebliches<br />

Hin<strong>der</strong>nis sieht er genauso wie fast alle an<strong>der</strong>en Gläubigen, die er kennt,<br />

in <strong>der</strong> Rolle, welche die Medien spielen, weil diese schon seit vielen<br />

Jahrzehnten wie nach einem systematisch vorbereiteten bösen Plan<br />

alles Christliche immer bewusst verzerren und teilweise sogar ins<br />

Lächerliche ziehen, während allen an<strong>der</strong>en Glaubensrichtungen mit<br />

einer erstaunlichen Toleranz begegnet wird. Nicht einmal im Fernsehen,<br />

wenn das „Wort zum Sonntag“ ausgestrahlt wird, wird <strong>der</strong> Name Jesus<br />

mit seiner Erlösungstat am Kreuz noch erwähnt, doch Hans kann sich<br />

allzu gut vorstellen, dass jede Pfarrerin o<strong>der</strong> je<strong>der</strong> Pfarrer, <strong>der</strong> das auch<br />

nur einmal tun würde, das letzte Mal vor dem Bildschirm aufgetreten<br />

wäre. Auch das <strong>führt</strong> ihm klar vor Augen, dass Erwin und Bruno sowie<br />

Jan Hoveneel mit ihren Aussagen über die guten und bösen Mächte<br />

tatsächlich Recht hatten, dass auch auf <strong>der</strong> <strong>uns</strong>ichtbaren Ebene ein<br />

ständiger Kampf, ja, sogar ein Krieg im Gange ist. Gerade deshalb kann<br />

er sich den Vers, in dem von <strong>der</strong> Waffenrüstung Gottes die Rede ist,<br />

beson<strong>der</strong>s gut merken.<br />

Auch durch seine Erlebnisse bei den Straßeneinsätzen wird er in seinem<br />

Glauben gestärkt, so dass er immer mehr im Glauben wächst - ein<br />

weiterer Ausdruck im Christenjargon. Überhaupt muss er sich noch an<br />

viele dieser Spezialausdrücke gewöhnen; erst jetzt kann er so richtig<br />

verstehen, was Erwin mit <strong>der</strong> kanaanitischen Sprache gemeint hat, als er<br />

zum ersten Mal davon sprach. Es ist tatsächlich eine neue Welt, in die er<br />

275


eingedrungen ist - zwar in eine <strong>uns</strong>ichtbare, aber in eine, die ebenfalls<br />

weltweit verbreitet ist. Jetzt kann er auch den tieferen Sinn des<br />

Vergleichs mit <strong>der</strong> Tierwelt verstehen, <strong>der</strong> in jenen Wochen, als er noch<br />

ganz ungezwungen in <strong>der</strong> Gemeinde an <strong>der</strong> Feldeggstraße verkehrte,<br />

einmal an einem Samstagabend im Rahmen eines beson<strong>der</strong>en<br />

Evangelisationsprogramms gezeigt wurde. Da wurde in einem Film des<br />

christlichen Moody-Instituts auf eindrückliche Weise vorge<strong>führt</strong>, dass die<br />

Fische in den Seen, Meeren und Ozeanen für die Menschen, die dort<br />

unten tauchen, scheinbar stumm sind, dass sie aber sehr wohl<br />

miteinan<strong>der</strong> sprechen, diese Sprachen jedoch für die Menschen<br />

unverständlich sind, ja, nicht einmal gehört werden können. Mit Hilfe von<br />

speziell dafür entwickelten Hörgeräten wurde es aber ermöglicht, dass<br />

diese Sprachen hörbar geworden sind, ja, dass sogar deutlich zwischen<br />

Annäherungsversuchen, Liebesgeflüster, Streitereien und Warnrufen vor<br />

gefräßigen Feinden unterschieden werden kann, welcher Fisch auch<br />

immer vor <strong>der</strong> Kamera auftaucht.<br />

Jetzt, da er selbst auch zum lebendigen Glauben an Gott und an Jesus<br />

Christus gefunden hat, ist Hans sogar <strong>der</strong> Ansicht, dass gerade dieser<br />

Vergleich <strong>der</strong> bestmögliche ist, um Menschen verständlich zu machen,<br />

dass sie den Geist Gottes nur wahrnehmen und hören können, wenn sie<br />

sich mit ganzem Herzen zum Herrn bekehren. Gerade diese Sprache<br />

unter den Fischen lässt sich nach seiner Ansicht ohne weiteres mit <strong>der</strong><br />

kanaanitischen vergleichen, von <strong>der</strong> die Gläubigen immer sprechen und<br />

die nur für sie verständlich ist. So leuchtet es ihm jetzt auch ein, warum<br />

diese sich untereinan<strong>der</strong> teilweise Brü<strong>der</strong> und Schwestern nennen, weil<br />

sie sich alle als Angehörige <strong>der</strong> gleichen Gemeinde Jesu, ja, <strong>der</strong><br />

gleichen Familie und des noch <strong>uns</strong>ichtbaren himmlischen Königreichs<br />

fühlen, dessen König Jesus Christus selbst ist und das einmal in <strong>der</strong><br />

Zukunft sichtbar auf Erden sein wird. Mein Reich ist nicht von dieser<br />

Welt, hat <strong>der</strong> Herr während des Verhörs kurz vor seiner Kreuzigung<br />

gesagt - ja, jetzt erscheint es Hans so richtig klar, wie er das seinerzeit<br />

gemeint hat. Wie nichtig und dumm sind angesichts dieser göttlichen<br />

Worte alle irdischen Versuche, oft mit brutalster Waffengewalt Reiche zu<br />

errichten, die früher o<strong>der</strong> später wie<strong>der</strong> in sich zerfallen, wie das einst mit<br />

dem Babylonischen, Persischen und Römischen Reich und in <strong>der</strong><br />

neuesten Zeit auch mit <strong>der</strong> ehemaligen Sowjetunion geschehen ist!<br />

Von allen christlichen Spezialausdrücken, die er mit <strong>der</strong> Zeit verstehen<br />

lernt, haben es ihm vier beson<strong>der</strong>s angetan, <strong>der</strong>en Aussagen auf den<br />

ersten Blick o<strong>der</strong> genauer beim ersten Hinhören völlig wi<strong>der</strong>sprüchlich zu<br />

sein scheinen, <strong>der</strong>en tiefere Bedeutung aber nur die Menschen<br />

verstehen können, die Jesus Christus persönlich kennen gelernt haben.<br />

276


Der erste lautet: „Wir sind in <strong>der</strong> Welt, aber nicht von <strong>der</strong> Welt.“<br />

Das heißt also, dass all jene, die ihn persönlich als Erlöser kennen,<br />

eigentlich nicht mehr zu dieser Welt gehören, obwohl sie noch darin<br />

leben, dass sie im Grund nur Gäste auf Erden sind, bis sie in die<br />

versprochenen himmlischen Wohnungen einziehen werden.<br />

Der zweite Spezialausdruck, <strong>der</strong> ihm so gefällt und <strong>der</strong> für sein<br />

Empfinden noch mehr in die theologische Tiefe geht, lautet so: „Um zu<br />

leben, musst du sterben.“<br />

Auch das versteht er jetzt gut, er hat es ja an sich selbst erfahren.<br />

Obwohl er vorher natürlich auch schon gelebt hat, war er eigentlich tot,<br />

weil er noch verblendet war und so das ewige Leben, das Christus<br />

verheißen hat, noch nicht hatte. Als er jedoch seine angeborene<br />

Trennung von Gott, die durch die Sünde und den damit verbundenen<br />

ewigen Tod - wo auch immer dieser sei - bewirkt worden ist, eingesehen<br />

und sich zu ihm bekehrt hat und damit dem alten Leben abgestorben ist,<br />

hat er dieses neue Leben erhalten.<br />

Der dritte Spezialausdruck, den er so treffend findet, hängt eng mit dem<br />

zweiten zusammen und wurde vom Herrn selber so gesagt: «Wer sein<br />

Leben erhalten will, wird es verlieren, aber wer sein Leben um<br />

meinetwilllen verliert, wird es erhalten.» Jetzt versteht Hans so richtig,<br />

warum seit 2'000 Jahren unzählige Männer und Frauen, von denen viele<br />

gute Berufe hatten, mit denen sie auch zu Hause erfolgreich und<br />

geachtet hätten sein können, in die ganze Welt hinauszogen, um dort<br />

das Evangelium zu verbreiten, und es auch in Kauf nahmen, gefangen<br />

genommen und hingerichtet zu werden. Gerade diese haben am<br />

deutlichsten gezeigt, was für ein Opfer oft damit verbunden sein kann,<br />

wenn jemand das Kreuz auf sich nimmt, um dem Herrn nachzufolgen,<br />

wie das irgendwo im Neuen Testament geschrieben steht. Dazu passt<br />

auch, dass <strong>der</strong> Apostel Paulus im Wissen, dass er von dort nie mehr<br />

zurückkehren würde, bis nach Rom reiste, was vor 2'000 Jahren einer<br />

Weltreise gleichkam, aber auch die Geschichte mit dem Jünger Thomas,<br />

<strong>der</strong> sogar nach <strong>der</strong> Auferstehung des Herrn daran zweifelte und erst<br />

dann daran zu glauben begann, als er ihn persönlich mit den immer noch<br />

sichtbaren Wundmalen an den Händen sah, beeindruckt Hans tief: Nach<br />

<strong>der</strong> kirchlichen Überlieferung soll er nachher sogar bis nach Indien<br />

gereist sein, um dort von Jesus Christus zu erzählen. Dementsprechend<br />

gibt es dort noch heute sogenannte Thomas-Christen, welche die<br />

Gründung ihrer Kirche auf ihn zurückführen.<br />

Der vierte Spezialausdruck, <strong>der</strong> Hans in diesen Wochen beson<strong>der</strong>s<br />

beeindruckt, geht für ihn ebenso tief wie <strong>der</strong> zweite und dritte, und ist wie<br />

277


<strong>der</strong> letztere ebenfalls ein Bibelvers: „Das Blut Jesu Christi reinigt <strong>uns</strong> von<br />

aller Sünde.“<br />

Was in <strong>der</strong> Welt nur Kopfschütteln erregt und alle Jahrhun<strong>der</strong>te hindurch<br />

selbst in den offiziell christlichen Kirchen bei nicht wenigen, die den Sinn<br />

dieser Worte nicht verstanden o<strong>der</strong> auch nicht verstehen wollten, sogar<br />

den Gedanken aufkommen ließ, die wahrhaft gläubigen Christen würden<br />

Kannibalismus o<strong>der</strong> zumindest einen seltsamen Blutkult betreiben, ist in<br />

Wirklichkeit <strong>der</strong> eigentliche Kern <strong>der</strong> biblischen Botschaft. Erst dadurch,<br />

dass das Blut des Herrn am Kreuz vergossen wurde, war es nach Gottes<br />

Plan möglich, sich mit den Menschen wie<strong>der</strong> zu versöhnen - mit all<br />

denen, die diese Botschaft klar hören und für sich persönlich in Anspruch<br />

nehmen. Was Hans in den letzten paar Wochen vor seiner Bekehrung<br />

immer mehr gespürt hat, sieht er jetzt umso klarer: Die Kreuzigung auf<br />

dem Hügel Golgatha vor den Stadttoren des damaligen Jerusalems war<br />

nicht nur einfach ein geschichtliches Ereignis, ja, sie war nicht einmal nur<br />

eines von vielen wichtigen biblischen Ereignissen, son<strong>der</strong>n noch viel<br />

mehr: Sie war das wichtigste und zentralste Ereignis in <strong>der</strong> ganzen<br />

Geschichte <strong>der</strong> Menschheit überhaupt und machte die Auferstehung in<br />

einem neuen verherrlichten und unverweslichen Körper sowohl für den<br />

Herrn als auch für alle, die an ihn geglaubt haben und in diesem<br />

Glauben gestorben sind, erst möglich.<br />

So ist er Gott in tiefer Dankbarkeit dafür verbunden, dass er mit ihm so<br />

viel Geduld hatte, ja, überspitzt ausgedrückt, dass er überhaupt so lange<br />

unter seiner Gnade leben durfte, bis er die wahre Bedeutung dieser<br />

Kreuzigung und auch <strong>der</strong> darauffolgenden Auferstehung erkannt hat und<br />

heute selber <strong>der</strong> Welt davon erzählen darf. Der Symbolwert dieser viel<br />

zitierten biblischen Aussage bedeutet nicht wenigen gläubigen Männern<br />

und Frauen gar so viel, dass sie dann, wenn vom Schutz Gottes die<br />

Rede ist, immer wie<strong>der</strong> sagen, man müsse sich nur unter das Blut Jesu<br />

o<strong>der</strong> bloß unter das Blut stellen, und es könne dann nichts Schlimmes<br />

mehr geschehen; dabei gelte das sogar für Gegenstände, damit diese<br />

nicht gestohlen werden. Er selbst ist allerdings noch nicht so weit, dass<br />

er sich zu solchen Äußerungen verleiten lassen könnte, aber wenigstens<br />

kann er schon verstehen, was gemeint ist.<br />

Allerdings hat er in den paar Wochen seit seiner Bekehrung noch eines<br />

entdeckt: Es geht unter den Christen keineswegs so bitternst und<br />

griesgrämig zu und her, wie er immer geglaubt hat und das von weiten<br />

Kreisen <strong>der</strong> ungläubigen Bevölkerung geglaubt wird. Es wird auffallend<br />

viel gelacht, wie es auch in einem Bibelvers sogar in Befehlsform<br />

geschrieben steht, dass die Gläubigen sich freuen sollen. Es werden<br />

sogar sogenannte christliche Witze erzählt, die den eigenen Glauben auf<br />

278


den Arm nehmen, aber niemanden in seinen religiösen Gefühlen<br />

verletzen sollen. Bei einem musste er sogar laut lachen, als er ihn zum<br />

ersten Mal hörte: Als ein Mann von <strong>der</strong> Heilsarmee vor einer Kneipe<br />

steht, kommt ein Betrunkener von dieser torkelnd auf ihn zu, und als er<br />

ihm eine Hand auf eine Schulter legt, sagt er ihm: «Bru<strong>der</strong>, kehr um!»<br />

Und prompt torkelt dieser in die Kneipe zurück. - Ein an<strong>der</strong>er Witz gefällt<br />

ihm ebenfalls gut: Als jemand fragt, welche Sprache im Himmel wohl die<br />

allgemeine Umgangssprache sein wird, und niemand darauf eine<br />

Antwort hat, gibt er diese gleich selbst: «Englisch - schliesslich sind wir<br />

dann alle Engel.»<br />

Auch die sogenannte Telefonnummer <strong>der</strong> Bibel, von <strong>der</strong> Jan Hoveneel<br />

gesprochen hat, ist ihm unterdessen geläufig geworden, genauso wie die<br />

rätselhafte Frage, die auch die meisten gläubigen Christen nicht sofort<br />

beantworten können: «Wer ist die Grossmutter des Todes?» Die<br />

Antwort: Es ist die Lust, weil irgendwo geschrieben steht, dass die Lust<br />

die Sünde gebiert und dass diese den Tod gebiert.<br />

Eine weitere lustige Szene hat Hans erst vor wenigen Tagen bei einer<br />

Freiversammlung selbst miterlebt. Als bei einem <strong>der</strong> Gitarristen <strong>der</strong><br />

Bändel, <strong>der</strong> mit <strong>der</strong> Gitarre verbunden war und den er beim Spielen um<br />

den Hals legen wollte, plötzlich riss und er diesen auf <strong>der</strong> Strasse o<strong>der</strong><br />

genauer auf dem Gehsteig nicht so schnell wie<strong>der</strong> flicken konnte, sagte<br />

er vor sich hin: «Oh je, ich bin verloren!» Darauf riefen ihm gleich zwei<br />

an<strong>der</strong>e junge Männer zu: «Nein, gerettet bist du - gerettet!»<br />

21<br />

Bevor <strong>der</strong> große Tag für Hans und Ulrike anbricht, gibt es noch ein<br />

kleines Problem zu lösen, das nicht unterschätzt werden darf: Da vor <strong>der</strong><br />

kirchlichen Trauung laut Gesetz zuerst noch eine auf dem Standesamt<br />

erfolgen muss und für Ulrike als typische Frau nur die in <strong>der</strong> Kirche<br />

wirklich zählt, können sie auch nach <strong>der</strong> zivilen Trauung noch nicht wie<br />

ein Ehepaar zusammenleben, wenn sie ihren festen Vorsatz nicht<br />

verletzen wollen. Für einmal kommt ihnen aber auch das Glück zu Hilfe,<br />

denn sie können es so einrichten, dass die zivile Zeremonie nur einen<br />

Tag vor <strong>der</strong> kirchlichen stattfindet, und zwar an einem Freitag. Danach<br />

haben sie vor, zum letzten Mal noch einmal getrennt in ihren<br />

Wohnungen zu schlafen; das sieht für Außenstehende zwar etwas<br />

komisch aus, aber es hätte ja noch schlimmer kommen können, etwa<br />

wenn die zivile Trauung viel früher als die kirchliche angesetzt worden<br />

wäre.<br />

Da Hans im Verlauf seines Berufslebens dank seiner recht sparsamen<br />

279


Lebensweise und vor allem auch des Umstands, dass er nicht so wie<br />

unzählige an<strong>der</strong>e ständig in <strong>der</strong> Welt herumgereist ist und dabei zu viel<br />

Geld ausgegeben hat, das ihm jetzt fehlen könnte, fast 100’000 Franken<br />

auf seinem Konto hat, kann er es sich leisten, für Ulrike und sich selbst<br />

sowohl für die zivile als auch für die kirchliche Trauung je zwei neue<br />

Kleidungsstücke beziehungsweise Anzüge zu kaufen. Zusätzlich hat er<br />

vor, alles an<strong>der</strong>e auch zu finanzieren, und er rechnet sich aus, dass das<br />

Ganze mitsamt dem Fest im Restaurant mindestens 30’000, wenn nicht<br />

sogar 40’000 Franken kosten wird. Das mag für an<strong>der</strong>e, die davon<br />

erfahren werden, wie Verschwendung aussehen, doch er hat schließlich<br />

das ganze Geld auf redliche Weise verdient und angelegt, als hätte er<br />

immer damit gerechnet, dass er einen guten Teil davon einmal für eine<br />

Hochzeit verwenden könnte, und so ist es auch gekommen. Für seine<br />

über alles geliebte Ulrike, die Prinzessin, ja, die Königin, wenn nicht<br />

sogar die Kaiserin des Festes, ist ihm aber nichts zu teuer. Sie ist ihm all<br />

dies wahrhaftig wert; schließlich ist das für sie als typische Frau, <strong>der</strong> eine<br />

Heirat in <strong>der</strong> Kirche viel bedeutet, nach <strong>der</strong> Bekehrung zu Jesus Christus<br />

<strong>der</strong> wichtigste Tag ihres Lebens.<br />

Als Trauzeugen amten bei beiden Zeremonien Erwin Gisler und Brigitte<br />

Frey; das ist nichts als logisch, weil diese zwei sicher am meisten dafür<br />

getan haben, dass Hans und Ulrike ein Paar geworden sind. Ja, auch<br />

Brigitte hat einen großen Anteil geleistet, denn sie hat sich nach jenem<br />

intensiven Gespräch mit Ulrike, das fast mit einem Bruch ihrer<br />

jahrelangen Freundschaft geendet hätte, an ihr Versprechen gehalten<br />

und genauso wie Erwin wochenlang gezielt für die Bekehrung von Hans<br />

gebetet. Während die zivile Hochzeit, an <strong>der</strong> außer den engsten<br />

Familienangehörigen und Verwandten - also auch Ulrikes Eltern und<br />

Geschwister und ein paar Verwandte, die alle extra aus dem<br />

norddeutschen Raum angereist sind und in Hotels untergebracht werden<br />

müssen - nur wenige an<strong>der</strong>e teilnehmen, schnell über die Bühne geht,<br />

wird die in <strong>der</strong> Kirche zu einem einmaligen und denkwürdigen Ereignis,<br />

bei dem schon vor dem Beginn feststeht, dass man noch lange von ihm<br />

sprechen wird. Der Witz <strong>der</strong> Sache ist jedoch, dass es trotzdem keine<br />

eigentliche kirchliche Hochzeit wird, auch wenn sie in einer<br />

protestantischen Kirche stattfindet. Da sowohl Hans als auch Ulrike vor<br />

vielen Jahren aus <strong>der</strong> Landeskirche ausgetreten sind - er aus<br />

Berechnung, weil er keine Steuern mehr für etwas bezahlen wollte,<br />

dessen Sinn er nicht mehr einsah, und sie wegen ihrer Mitgliedschaft in<br />

einer Freikirche -, mussten sie sich erst noch etwas einfallen lassen, um<br />

zumindest ein Gastrecht zu bekommen.<br />

Dank des glücklichen Umstands, dass <strong>der</strong> protestantische Pfarrer, <strong>der</strong><br />

280


die Trauungszeremonie vornehmen wird, im Gegensatz zu vielen seiner<br />

Amtskolleginnen und -kollegen ein wirklich gläubiger Christ ist, kann<br />

diese in einer Kirche stattfinden, wobei sie allerdings unter <strong>der</strong> Obhut <strong>der</strong><br />

Freikirche steht, <strong>der</strong> jetzt beide angehören. Wenn sie jedoch daran<br />

denken, dass sie sowohl beim Festlegen <strong>der</strong> zwei Hochzeitsdaten als<br />

auch bei <strong>der</strong> Gewährung des Gastrechts in den Gemäuern einer<br />

Landeskirche einiges Glück hatten, können sie auch das nur als eine<br />

Führung von oben sehen.<br />

Obwohl die Hochzeit nicht mit dem gleichen Pomp stattfindet, <strong>der</strong> die<br />

Zeremonien vieler sogenannter Prominenter kennzeichnet, die<br />

manchmal Millionen dafür ausgeben und eigentlich auch nur<br />

gewöhnliche Menschen wären wie alle an<strong>der</strong>en, aber von den<br />

sensationslüsternen Medien zu Superleuten und Halbgöttern<br />

hochgejubelt werden und sich teilweise auch selbst so aufspielen, ist sie<br />

immer noch eindrücklich genug. Insgesamt sind mehr als vierhun<strong>der</strong>t<br />

Personen erschienen: Sämtliche Familienangehörigen von Hans und<br />

Ulrike, die meisten Verwandten sowohl von <strong>der</strong> Schweiz als auch von<br />

Deutschland, fast alle Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Freikirche an <strong>der</strong> Feldeggstraße<br />

mitsamt Bruno und Marianne <strong>Weg</strong>mann und sogar Rabi Mavendran, <strong>der</strong><br />

mit seiner jungen Frau extra für diesen Tag frei nehmen konnte; ferner<br />

viele Arbeitskolleginnen und -kollegen von Hans und Ulrike mitsamt vier<br />

Bankdirektoren, fünf Ärzten und drei Ärztinnen. Nicht zuletzt nehmen<br />

aber auch alle ehemaligen Kollegen des Fußballvereins mitsamt dem<br />

Trainer teil, was Hans beson<strong>der</strong>s freut.<br />

Da diese nach seinem abrupten und fast erzwungenen Abgang in den<br />

letzten zwei Aufstiegsspielen nur noch einen Sieg und ein<br />

Unentschieden und damit magere vier Punkte erreicht haben, legte sich<br />

ihre anfängliche Wut auf ihn. Nun konnten sie sich leicht ausrechnen,<br />

dass sie auch ohne diese beiden verhängnisvollen Fehler ihres<br />

ehemaligen Mitspielers, also selbst mit den fünf angenommenen<br />

zusätzlichen Punkten, jene Mannschaft, gegen die sie zuerst 0:0 gespielt<br />

hatten und die nachher bis auf ein Unentschieden alle an<strong>der</strong>en Spiele<br />

gewann, aufgrund <strong>der</strong> weitaus schlechteren Tordifferenz nicht mehr vom<br />

Aufstiegsplatz hätten verdrängen können. Sie mussten sich also selbst<br />

vorwerfen, warum sie vorn nicht mehr Tote geschossen hatten, und das<br />

galt natürlich vor allem für die Stürmer. So bereuten nun etliche ihr<br />

Verhalten ihm gegenüber am letzten Tag, an dem er mit ihnen<br />

zusammen war, und einige, aber eben nicht alle, entschuldigten sich im<br />

Verkauf <strong>der</strong> nächsten paar Tage telefonisch o<strong>der</strong> sogar mit einem Brief<br />

bei ihm.<br />

281


Der Einzige, <strong>der</strong> zum Bedauern des zukünftigen Ehepaars Stettler - dass<br />

Ulrike seinen Familienamen annimmt, also auch in dieser Beziehung<br />

gegen die mo<strong>der</strong>ne Strömung <strong>der</strong> allzu freien Namensgebung<br />

anschwimmt, ist für sie selbstverständlich - nicht teilnehmen kann, ist<br />

Jan Hoveneel, <strong>der</strong> für Hans bei seiner Suche nach Gott ebenfalls eine<br />

wichtige Bezugsperson gewesen ist, auch wenn ihm das damals nicht<br />

bewusst war. Genau in diesen Wochen befindet er sich auf einer<br />

mehrmonatigen Vortragstournee durch ganz Nordamerika, so dass er<br />

unmöglich teilnehmen kann, da diese Vortragsreise mit allen<br />

Einzelheiten schon vor Monaten fest eingeplant war und zu jenem<br />

Zeitpunkt die Hochzeit <strong>der</strong> beiden noch nicht einmal ein Thema war.<br />

Dank <strong>der</strong> Handynummer, die er Hans nach dem Gespräch im<br />

Hotelzimmer gegeben hat, konnte er aber mit ihm höchstpersönlich<br />

Kontakt aufnehmen und ihm gleich selbst von seiner Bekehrung und <strong>der</strong><br />

vorgesehenen Hochzeit mit Ulrike berichten, was Hoveneel natürlich<br />

riesig gefreut hat. Allerdings mussten sie es dabei bewenden lassen,<br />

doch er hat ihnen mit <strong>der</strong> Zusicherung, er würde an diesem Tag an sie<br />

denken und mit dem Herzen bei ihnen sein, doch noch eine beson<strong>der</strong>e<br />

Freude bereitet.<br />

Da die Hochzeit zwar in einer Kirche stattfindet, aber unter <strong>der</strong> Obhut <strong>der</strong><br />

Freikirche steht, <strong>der</strong> Hans und Ulrike angehören, und damit vom<br />

üblichen Protokoll abgewichen werden kann, ist als einer <strong>der</strong><br />

Höhepunkte vorgesehen, dass Hans höchstpersönlich noch vor <strong>der</strong><br />

eigentlichen Hochzeitszeremonie auf die Kanzel steigt, die eher ein<br />

Podium ist, und ein längeres Zeugnis über seinen neuen Glauben an<br />

Jesus Christus geben wird. Er hat selbst darum gebeten, weil er will,<br />

dass alle Anwesenden, von denen die meisten ihn ja persönlich kennen,<br />

von dieser speziellen Wandlung und <strong>der</strong> frohen Botschaft hören. Es ist ja<br />

offensichtlich, dass eine so günstige Gelegenheit auf so konzentrierte<br />

Weise und mit so vielen Leuten, die ihn kennen, sich wahrscheinlich nie<br />

mehr ergeben wird.<br />

Wie feierlich ihre Hochzeit sein wird, zeigt sich bereits darin, dass<br />

Kirchenglocken erklingen und die Orgel gespielt wird, als Hans drinnen<br />

darauf wartet, dass Ulrike nach alter Tradition von ihrem eigenen Vater<br />

zu ihm hereinge<strong>führt</strong> wird; dabei kann sie ihre Tränen fast nicht<br />

zurückhalten, aber auch er hat viel Mühe, sich zu beherrschen. Dann<br />

wird als Erstes das Lied gesungen, das im deutschen Sprachraum schon<br />

seit Jahrhun<strong>der</strong>ten eines <strong>der</strong> beliebtesten und bekanntesten christlichen<br />

Lie<strong>der</strong> über alle Denominationen hinweg ist, von dem auch Hans schon<br />

viel gehört hat, das er jedoch erst heute zum ersten Mal in einer Kirche<br />

so inbrünstig und erst noch vierstimmig gesungen hört und das ihm<br />

282


dementsprechend unter die Haut fährt, vor allem beim Singen <strong>der</strong> ersten<br />

Strophe:<br />

Großer Gott, wir loben Dich,<br />

Herr, wir preisen Deine Stärke.<br />

Vor Dir beugt <strong>der</strong> Erdkreis sich<br />

Und bewun<strong>der</strong>t Deine Werke;<br />

Wie Du warst vor aller Zeit,<br />

So bleibst Du in Ewigkeit.<br />

Nach <strong>der</strong> dritten und letzten Strophe hat <strong>der</strong> Pfarrer seinen ersten<br />

Auftritt, und danach kommt ein Quartett aus je zwei Männern und Frauen<br />

aus <strong>der</strong> Gemeinde an <strong>der</strong> Feldeggstraße nach vorn und singt<br />

vierstimmig zwei lange Strophen eines weiteren schönen Lieds. Erst<br />

nach dieser Einstimmung ist die Reihe an Hans. Er spürt, wie alle Augen<br />

auf ihn gerichtet sind, als er auf das Podium tritt, doch zu seinem<br />

eigenen Erstaunen ist er nicht einmal beson<strong>der</strong>s nervös - allerdings kann<br />

er ein leichtes Zittern nicht vermeiden.<br />

Bevor er mit seinem Zeugnis beginnt, das er wie eine Rede mit<br />

entsprechenden Notizen vor sich vorbereitet hat, damit er auch ja nichts<br />

Wichtiges vergisst, schaut er noch einmal in die weite Runde, um sich<br />

einen Überblick zu verschaffen. Dann beginnt er zu reden, und zwar aus<br />

Rücksicht auf Ulrikes Angehörige und Verwandte auf Hochdeutsch, die<br />

eigentlich immer noch die offizielle Kirchensprache wäre, aber im Verlauf<br />

<strong>der</strong> letzten paar Jahrzehnte selbst in <strong>der</strong> Landeskirche immer mehr dem<br />

Dialekt weichen musste.<br />

Zuerst hat er noch ein wenig Mühe, doch schon bald wird ihm die Zunge<br />

wie durch ein Wun<strong>der</strong> von oben gelöst: „Liebe Festgemeinde, lieber Herr<br />

Pfarrer, liebe Eltern, liebe Geschwister und Verwandte, liebe<br />

Freundinnen und Freunde, liebe Kolleginnen und Kollegen - als Erstes<br />

möchte ich euch allen von ganzem Herzen danken, dass ihr heute so<br />

zahlreich zu <strong>uns</strong>erer Hochzeit erschienen seid; damit habt ihr Ulrike und<br />

mir eine Riesenfreude bereitet. Ich bin froh und glücklich, dass ich an<br />

diesem historischen Tag zu euch sprechen darf, denn was ich euch<br />

sagen will, ist mir ein ganz beson<strong>der</strong>es Herzensanliegen. Wer mich<br />

näher kennt - und das sind sehr viele in diesem Raum, wie ich sehe -,<br />

weiß sicher noch gut, wie ich noch vor wenigen Monaten gewesen bin.<br />

Ich war ein typischer mo<strong>der</strong>ner Mensch <strong>der</strong> heutigen Zeit, machte bei<br />

allen möglichen Modetrends mit, fehlte bei fast keinem Fest und war<br />

nach Ansicht praktisch aller Leute, die mich kannten, ein aufgestellter<br />

Typ, mit dem man alles Mögliche unternehmen konnte - eben ein<br />

mo<strong>der</strong>ner junger Mann, dem es scheinbar an nichts fehlte ... also ein<br />

283


wahres Glückskind, könnte man meinen. Tatsächlich stamme ich von<br />

einem guten Elternhaus, ich komme noch heute gut mit meinen Eltern<br />

und Geschwistern aus, ich habe eine gute Arbeitsstelle mit einem<br />

anständigen Lohn, ich habe sechzehn Jahre lang mit Freude in einem<br />

Fußballverein gespielt, ich hatte recht viele Kollegen und zum Teil auch<br />

gute Freunde, ich hatte ab und zu auch eine Freundin und einmal sogar<br />

eine Verlobte, ich kam also alles in allem bei den Frauen gut an - auch<br />

dann, wenn ich in keiner festen Beziehung lebte. Kurz und gut, ich war<br />

eigentlich immer beliebt und hatte Erfolg in meinem Leben; ich war zwar<br />

nie reich, aber ich hatte immer genug und konnte erst noch einen guten<br />

Batzen auf die hohe Kante legen. Was sollte mir also noch fehlen,<br />

abgesehen davon, dass ich noch keine geeignete Frau zum Heiraten<br />

gefunden hatte, weil ich eben Ulrike noch nicht kannte?<br />

Heute muss ich aber den Worten eines bekannten Milliardärs<br />

zustimmen, <strong>der</strong> einmal von sich selbst gesagt hat: ‘Ich habe alles, aber<br />

eigentlich habe ich nichts.’ Genau in dieser Lage befand auch ich mich,<br />

obwohl ich nie so viel Geld und damit Einfluss hatte wie er. Vor lauter<br />

Erfolg und Selbstzufriedenheit war ich verblendet und damit unfähig zu<br />

erkennen, was mir am meisten fehlte: Es war ausgerechnet das<br />

Wichtigste in <strong>uns</strong>erem Leben überhaupt, nämlich eine persönliche<br />

Beziehung zu <strong>uns</strong>erem Schöpfer, zum allmächtigen und allwissenden<br />

Gott, <strong>der</strong> das ganze Weltall mit allen Sternen, Planeten und Monden und<br />

alle Lebewesen erschaffen hat, <strong>der</strong> sich <strong>uns</strong> aber auch in Jesus Christus<br />

<strong>der</strong> Menschheit offenbart hat und das auch heute noch tut. Als ich vor<br />

etwas mehr als einem halben Jahr zum ersten Mal auf <strong>der</strong> Straße<br />

Christen begegnete, die mir vom Evangelium und von <strong>der</strong> Erlösung<br />

durch Jesus Christus erzählten, gehörte auch ich zur erdrückend großen<br />

Mehrheit <strong>der</strong> Leute, die diese Botschaft lächerlich finden und für etwas<br />

Verstaubtes und längst Überholtes aus dem Altertum halten.<br />

Ausgerechnet ich, ein junger, mo<strong>der</strong>ner, aufgeschlossener und<br />

erfolgreicher Mann, sollte an so etwas glauben? War es denn nicht<br />

schon längst bewiesen, dass die Menschen sich über Hun<strong>der</strong>ttausende<br />

von Jahren aus den Affen entwickelt hatten und damit die Geschichte in<br />

<strong>der</strong> Bibel, die von <strong>der</strong> Schöpfung <strong>der</strong> Welt und aller Lebewesen durch<br />

Gott spricht, nur ein Märchen sein konnte, wie das zum Beispiel in den<br />

ehemaligen kommunistischen Staaten jahrzehntelang gelehrt worden<br />

ist? So hatte ich eine feine Ausrede bereit, aber ohne die absolute<br />

Gewissheit zu haben, dass ich Recht hatte, und so fand auch ich die<br />

biblische Botschaft von <strong>der</strong> Errettung durch Jesus Christus vor dem<br />

ewigen Ver<strong>der</strong>ben lächerlich und musste jedes Mal grinsen, wenn ich<br />

von Adam und Eva und dem Apfel hörte. Sollte wirklich die ganze<br />

Menschheitsgeschichte von diesem einzigen Apfel abhängig sein? Dazu<br />

kam noch etwas scheinbar Absurdes: Ein Gott, <strong>der</strong> zu einem Menschen<br />

284


wird und an einem Kreuz für die Sünden <strong>der</strong> ganzen Welt, die wir seit<br />

dem Sündenfall auf <strong>uns</strong> tragen, stirbt und am dritten Tag nach seinem<br />

Tod aufersteht und in den Himmel auffährt und dort noch heute darauf<br />

wartet, dass wir <strong>uns</strong> zu ihm bekehren - welcher vernünftige, mo<strong>der</strong>ne<br />

Mensch, <strong>der</strong> noch einen halbwegs gesunden Verstand hat, kann schon<br />

an so etwas glauben?<br />

Heute jedoch glaube ich daran, mit ganzem Herzen und mit ganzem<br />

Verstand - mit Betonung auf ‚Verstand’. Ich glaube tatsächlich an den<br />

Wahrheitsgehalt dieser Geschichte von <strong>der</strong> Kreuzigung und<br />

Auferstehung sowie aller an<strong>der</strong>en Geschichten, die in <strong>der</strong> Bibel<br />

beschrieben sind und für die es heute sogar klare naturwissenschaftliche<br />

Beweise gibt, die von den Medien aus naheliegenden Gründen natürlich<br />

fleißig unterschlagen werden, vor allem was die göttliche Schöpfung, die<br />

Sintflut und den Turmbau zu Babel betrifft, aber ich kann jetzt natürlich<br />

nicht näher darauf eingehen. Ich glaube also auch daran, dass Adam<br />

und Eva wirklich gelebt haben - und zwar nicht vor mehr als einer Million<br />

Jahren, son<strong>der</strong>n erst vor ein paar Tausend Jahren -, und dass durch<br />

dieses erste Menschenpaar die Sünde in die Welt gekommen ist, dass<br />

aber Jesus Christus, <strong>der</strong> eingeborene Sohn Gottes, <strong>der</strong>jenige ist, den<br />

<strong>der</strong> allmächtige und allwissende Vater im Himmel auf die Erde gesandt<br />

hat, um <strong>uns</strong> von <strong>der</strong> ewigen Trennung von ihm und damit auch vom<br />

ewigen Tod zu erlösen.<br />

Ich glaube also an all dies mit ganzem Herzen und mit ganzem<br />

Verstand, und so wie ich daran glaube, sage ich euch jetzt an dieser<br />

Stelle, dass die Evolutionstheorie die größte Lüge des 19. und 20.<br />

Jahrhun<strong>der</strong>ts war, die aber mit <strong>der</strong> größten Selbstverständlichkeit überall<br />

gelehrt und als bewiesene Wahrheit verkauft wird, obwohl überhaupt<br />

nichts bewiesen ist. Das Gleiche gilt auch für den viel zitierten<br />

sogenannten Urknall, <strong>der</strong> eng damit zusammenhängt, aber auch dieses<br />

Thema muss ich jetzt beiseitelassen. Gerade was diese beiden<br />

unbewiesenen Theorien betrifft, bezeichne ich sie als die gemeinsten<br />

und fiesesten Lügen in <strong>der</strong> ganzen Menschheitsgeschichte, weil sie <strong>uns</strong><br />

unterstellen, dass wir keine <strong>uns</strong>terbliche Seele haben, die sich nach<br />

einem Gott sehnt, nach einem Vater im Himmel, bei dem wir <strong>uns</strong><br />

geborgen und sicher fühlen können, weil es diesen ja angeblich nicht<br />

gibt und vom Urknall bis zu den ersten Menschen alles sich von selbst<br />

erschaffen haben soll. Auch deshalb ist in letzter Zeit die Idee,<br />

Menschen zu klonen, auf einen so fruchtbaren Boden gefallen - mit <strong>der</strong><br />

billigen und allzu klar durchschaubaren Aussage, die Tiere hätten<br />

schließlich genauso Seelen wie die Menschen und diese könne man<br />

klonen, also sollte das auch bei Menschen möglich sein. Allerdings<br />

vergessen all diese Propagandisten, dass die menschliche Seele etwas<br />

so Einmaliges ist, dass sie mit keiner einzigen eines Tieres verglichen<br />

werden kann.<br />

285


Ihr fragt euch jetzt sicher, wie es bei mir zu diesem Umschwung, ja, zu<br />

dieser totalen Wende in meinem Leben gekommen ist, dass auch ich<br />

heute an eine göttliche Schöpfung und an die Erlösung durch Jesus<br />

Christus glaube. Es begann damit, dass ich mit <strong>der</strong> Zeit erkannte, dass<br />

ich das Gleiche tat wie die meisten von <strong>uns</strong>: Wir sind in <strong>der</strong> gleichen<br />

Lage wie damals Adam und Eva, die sich nach dem Sündenfall vor Gott<br />

versteckten o<strong>der</strong> es wenigstens versuchten. Genau das ist <strong>uns</strong>er<br />

Kennzeichen von Geburt an: Wir verstecken <strong>uns</strong> immer wie<strong>der</strong> vor Gott<br />

und versuchen, vor ihm davonzulaufen; wir wollen von ihm nichts wissen<br />

und leugnen sogar, dass es ihn gibt, und merken dabei nicht, wie sehr<br />

wir von <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en, <strong>der</strong> finsteren Seite - vom Satan und den gefallenen<br />

Engeln, die wir Gläubigen als Dämonen bezeichnen - laufend manipuliert<br />

und angelogen werden. Wenn es nicht so wäre, würde es in dieser Welt<br />

wesentlich an<strong>der</strong>s aussehen. Alles Elend, alles Leiden und alle Kriege<br />

kommen nur daher, weil wir von Geburt an von Gott getrennt sind, eben<br />

unter dem Fluch <strong>der</strong> Erbsünde und damit auch unter dem Einfluss <strong>der</strong><br />

finsteren Mächte stehen. Gerade das Wort ‚Erbsünde’ wird heute von<br />

den meisten nicht mehr gern gehört - noch weniger als in früheren Zeiten<br />

-, weil es <strong>uns</strong> alle an <strong>uns</strong>ere eigene Lage erinnert, weil es <strong>uns</strong>er<br />

Innerstes schonungslos aufdeckt und ans Tageslicht zerrt. Auch deshalb<br />

hatte die Evolutionstheorie einen solchen Erfolg, als sie ausgedacht<br />

wurde, und wird heute noch blind geglaubt, weil sie die Möglichkeit<br />

bietet, sich vor Gott zu verstecken und ihm davonzulaufen, ja, gar seine<br />

Existenz zu verleugnen. Wenn es ihn jedoch nicht gäbe, würden wir<br />

doch nicht ständig von ihm sprechen; gerade die Tatsache, dass wir das<br />

tun, zeigt aber deutlich, dass es ihn gibt und dass ein Reststück <strong>der</strong><br />

Verbindung mit ihm auch nach dem Sündenfall in <strong>uns</strong>eren Herzen übrig<br />

geblieben ist.<br />

Ich muss an dieser Stelle noch etwas hinzufügen, das ein gläubiger<br />

Bru<strong>der</strong> mir vor vielen Wochen gesagt hat, als ich selbst noch nicht<br />

gläubig war, und das all diese Diskussionen um die Existenz Gottes<br />

treffend beschreibt: Wenn es keinen Gott gäbe, hätte sich die<br />

Menschheit schon längst selbst vernichtet, aber gerade seine Existenz<br />

hat eine entscheidende Bremswirkung ausgeübt und das<br />

Allerschlimmste verhin<strong>der</strong>t, auch wenn so viele immer wie<strong>der</strong> Anklage<br />

erheben und die Frage stellen, warum er alles Elend in <strong>der</strong> Welt mit all<br />

diesen Kriegen zulässt. Ihr könnt es mir ruhig abnehmen, dass es mit<br />

<strong>uns</strong> allen noch viel schlimmer stehen würde, wenn es ihn nicht gäbe.<br />

All dies <strong>führt</strong> mich dazu, euch noch kurz zu erzählen, was ich durch die<br />

Kontakte mit Gläubigen bald gelernt habe: Auch wenn wir von Natur aus<br />

versuchen, <strong>uns</strong> vor Gott zu verstecken und ihm davonzulaufen, lässt er<br />

in seiner unendlichen Liebe zu <strong>uns</strong> dagegen nichts unversucht, um <strong>uns</strong><br />

zu sich zurückzuholen, weil er will, dass wir alle in sein ewiges<br />

286


Himmelreich kommen; er ist zwar <strong>uns</strong>ichtbar, aber dennoch<br />

allgegenwärtig und mitten unter <strong>uns</strong>, also auch mitten in dieser Kirche.<br />

Für alle von <strong>uns</strong> hat er dafür verschiedene <strong>Weg</strong>e, was sich auch bei mir<br />

gezeigt hat. Er hatte auch für mich einen perfekten Plan; so sorgte er<br />

dafür, dass jedes Mal die richtigen Leute zum richtigen Zeitpunkt mit mir<br />

über ihn und seine Heilsbotschaft sprachen, und nicht zuletzt hat er mich<br />

auch zu <strong>der</strong> Frau ge<strong>führt</strong>, mit <strong>der</strong> ich in dieser Stunde in den Stand <strong>der</strong><br />

Ehe trete, um von heute an gemeinsam mit ihr ihm nachzufolgen und<br />

ihm zu dienen, wohin auch immer er <strong>uns</strong> senden will. Es war nach dem<br />

Plan Gottes also alles perfekt vorbereitet; das Einzige, was noch fehlte,<br />

war meine persönliche Entscheidung für ihn, meine Bekehrung zu ihm<br />

und zugleich meine Abkehr vom bisherigen Leben. Genau dazu habe ich<br />

mich überwunden - und ich habe es seitdem an keinem einzigen Tag<br />

bereut.<br />

So kann auch ich euch allen heute sagen, so wahr ich hier stehe: Jesus<br />

Christus ist tatsächlich von den Toten auferstanden und lebt noch heute;<br />

er kann <strong>uns</strong> auch noch heute positiv verän<strong>der</strong>n und <strong>uns</strong> einen wirklichen<br />

Sinn im Leben schenken, so dass wir nicht mehr länger suchen müssen.<br />

Es ist allein seine Gnade, die <strong>uns</strong> rettet, so wie irgendwo im Neuen<br />

Testament geschrieben steht, dass wir das Wasser des Lebens umsonst<br />

bekommen. Gute und fromme Werke - und sei <strong>der</strong> Wille noch so gross -<br />

genügen deshalb nicht, weil die persönliche Schuld vor Gott ohne eine<br />

bewusste Bekehrung ja weiter bestehen bleibt. Deshalb möchte ich alle<br />

unter euch, die ihn noch nicht persönlich kennen gelernt haben, nur dazu<br />

ermuntern: Sucht nach Gott mit aufrichtigem Herzen und nehmt die<br />

Heilsbotschaft von Jesus ernst, bekehrt euch zu ihm und vertraut ihm<br />

euer Leben an! Ihr werdet es ganz bestimmt nie bereuen, weil ihr dann<br />

bis ins Innerste wissen werdet, dass er wirklich lebt und tatsächlich <strong>der</strong><br />

<strong>Weg</strong> und die Wahrheit und das Leben ist, wie er das von sich selbst<br />

gesagt hat, als er auf dieser Erde weilte. - Amen.“<br />

Sobald er fertig ist und langsam vom Podium heruntersteigt, geht ein<br />

unüberhörbares Raunen durch die ganze Kirche, und Hans, <strong>der</strong> sich zu<br />

seiner eigenen Überraschung tapfer gehalten und diesmal keine Tränen<br />

<strong>der</strong> Rührung vergossen hat, erkennt bei einem kurzen Blick über die<br />

ganze Runde zu seiner Freude, dass alle fast wie gelähmt sitzen bleiben<br />

und niemand sich empört erhebt, um hinauszugehen. Nachdem er sich<br />

halb benommen wie<strong>der</strong> hingesetzt hat, fühlt er, wie jemand seine rechte<br />

Hand nimmt, an sich drückt und festhält. Er schaut hinüber und erkennt<br />

Ulrike, die ihn selbst hinter dem Schleier mit einem unübersehbaren<br />

Strahlen anlächelt, wobei ihre Augen feucht sind - dabei müssten es<br />

eigentlich die seinen sein, aber die Seele seiner Frau, die er nach vielen<br />

Wochen des Leidens endlich zum Traualtar führen kann, ist nun einmal<br />

so groß wie sie selbst.<br />

287


Nach diesem Zeugnis, das die meisten unter den anwesenden<br />

Gläubigen, die etwas weniger als die Hälfte <strong>der</strong> Eingeladenen stellen,<br />

schon jetzt für den Höhepunkt dieses Hochzeitstags halten, singt die<br />

Festgemeinde zwei Strophen des Lieds „Du meine Seele singe“, eines<br />

ebenfalls traditionellen Kirchenlieds, und erst dann kommt es zum<br />

Hochzeitsritual selber. Dabei zittern Hans die Knie, während Ulrike vor<br />

lauter Glück nicht mehr verhin<strong>der</strong>n kann, dass ihr ein paar Tränen über<br />

die Wangen rinnen, aber sonst halten sich beide tapfer. Das Ganze wird<br />

nicht nur auf Bil<strong>der</strong>n festgehalten, die zwei angeheuerte Berufsfotografen<br />

schießen, son<strong>der</strong>n auch mit einer Video-Kamera, die ein Angehöriger<br />

<strong>der</strong> Freikirche an <strong>der</strong> Feldeggstraße bedient.<br />

Als das ganze Ritual mit den Ja-Worten, die Segnungen, <strong>der</strong> Austausch<br />

<strong>der</strong> Ringe, das Lüften des Schleiers und <strong>der</strong> obligate Kuss schließlich<br />

vorüber sind, wird am Schluss ein weiteres altes Kirchenlied gesungen,<br />

und zwar „Dies ist <strong>der</strong> Tag, den Gott gemacht.“ Dabei steigert sich <strong>der</strong><br />

Gesang im Verlauf <strong>der</strong> drei Strophen immer mehr in eine solche Inbr<strong>uns</strong>t<br />

hinein, dass nicht nur Hans und Ulrike, son<strong>der</strong>n auch noch viele an<strong>der</strong>e<br />

und keineswegs nur Gläubige fast den Eindruck bekommen, die<br />

himmlischen Chöre würden mitsingen ...<br />

22<br />

Vier Monate sind seit ihrer Hochzeit vergangen. Es ist wie<strong>der</strong> Winter,<br />

aber so wie fast immer um die Zeit des Jahreswechsels hat es in Zürich<br />

nur wenig Schnee. Wie bei so vielen an<strong>der</strong>en Paaren, die sich lieben,<br />

geben die langen Abende und Nächte Hans und Ulrike die wun<strong>der</strong>bare<br />

Gelegenheit, noch mehr Stunden zusammen zu verbringen, anstatt<br />

immer an einen Ausgang zu denken, <strong>der</strong> erst noch eine schöne Stange<br />

Geld kostet.<br />

Selbst ohne diese langen Abende und Nächte hätten die beiden aber<br />

genügend Zeit füreinan<strong>der</strong>. Sie genießen es in vollen Zügen, miteinan<strong>der</strong><br />

verheiratet zu sein, und da Hans Ulrikes innigen W<strong>uns</strong>ch, unberührt in<br />

die Ehe zu gehen, respektiert und alles unternommen hat, um <strong>der</strong><br />

Versuchung nicht zu erliegen, ist ihre Liebe zu ihm noch zusätzlich<br />

vertieft worden. Sie lieben sich <strong>der</strong>art fest und tief, dass sie sich nichts<br />

an<strong>der</strong>es mehr vorstellen können, selbst wenn sie daran denken, dass die<br />

eigentliche Zeit <strong>der</strong> Bewährung genauso wie für alle an<strong>der</strong>en Paare erst<br />

nach vielen Jahren kommen wird.<br />

Wenn das Sprichwort von <strong>der</strong> vollkommenen Liebe, <strong>der</strong> es an nichts<br />

288


fehlt, wirklich auf jemanden zutrifft, dann ganz sicher auch auf Hans und<br />

Ulrike. Sie sind <strong>uns</strong>agbar glücklich miteinan<strong>der</strong>, so dass sie darüber oft<br />

die ganze Umwelt vergessen. Vor allem Ulrike ist bis in alle Fasern<br />

glücklich, denn jetzt darf sie endlich, nach so vielen unendlich lang<br />

scheinenden Jahren des Wartens und Hoffens, ohne Gewissensbisse<br />

wegen ihres Glaubens mit einem Mann zusammenleben, <strong>der</strong> gut zu ihr<br />

passt und sie innig liebt, und mit ihm Tisch und Bett teilen, wie sie sich<br />

das im Innersten immer gewünscht und ersehnt hat. Was für viele<br />

an<strong>der</strong>e Frauen in <strong>der</strong> heutigen Zeit wie eine leere Phrase tönt, empfindet<br />

sie als lebendige Wirklichkeit - <strong>der</strong> gemeinsame Tisch und das<br />

gemeinsame Bett bedeuten ihr als Begriff sehr viel.<br />

Daneben nehmen sich die beiden außerhalb <strong>der</strong> Gottesdienste, die sie<br />

regelmäßig und zusammen besuchen, soweit ihnen das aufgrund von<br />

Ulrikes unregelmäßigen Arbeitszeiten möglich ist, und außerhalb <strong>der</strong><br />

Straßeneinsätze mit dem Verteilen von Flugblättern und dem Führen von<br />

Gesprächen mit interessierten Leuten auch viel Zeit, um gemeinsam in<br />

<strong>der</strong> Bibel zu lesen und zu beten. Erst jetzt wird es Hans so richtig klar,<br />

was Ulrike seinerzeit gemeint hat, als sie von einer Ehe zu dritt sprach -<br />

dass <strong>der</strong> Herr über ihnen steht und sie beschützt, spürt er ja an jedem<br />

Tag neu. Das Interessante an <strong>der</strong> gemeinsamen Bibellektüre ist jedoch,<br />

dass Hans, <strong>der</strong> ja immer noch jung im Glauben ist und im geistlichen<br />

Sinn erst noch heranwächst, sich als Mann vieles von Ulrike, einer Frau,<br />

erklären lassen muss, denn bei den gläubigen Paaren ist es meistens<br />

umgekehrt - sie ist aber auch schon seit fast zwanzig Jahren gläubig.<br />

Auch in dieser Beziehung überwindet ihre Liebe alles: Dank ihr ist es ihm<br />

schon nach wenigen Wochen gelungen, etliches aus <strong>der</strong> Bibel zu<br />

verstehen, die er jetzt, da die strenge Zeit <strong>der</strong> Vorbereitung auf die<br />

Hochzeit vorüber ist, in aller Ruhe systematisch von vorn nach hinten<br />

liest. Dabei hat er es so aufgeteilt, dass er sowohl mit dem Alten als<br />

auch mit dem Neuen Testament gleichzeitig begann, und so hat er bis zu<br />

diesem Zeitpunkt schon sehr viel gelesen.<br />

Im Verlauf dieser Bibellektüre, die er durch weitere erklärende<br />

evangelikale Schriften zusätzlich ergänzt, wird es ihm immer deutlicher<br />

bewusst, wie viel er in seinem bisherigen Leben verpasst hat. Hatte er<br />

früher für dieses Buch nur Verachtung übrig, wenn er überhaupt einmal<br />

daran dachte, so findet er es heute hochinteressant, und er entdeckt<br />

jeden Tag neue Schätze darin, auch wenn er nicht immer alles versteht<br />

und selbst Ulrike ihm nicht immer alles erklären kann. Er weiß sehr wohl,<br />

dass er sich immer noch am Anfang seines Glaubenslebens befindet<br />

und noch vieles lernen muss, doch er ist bereit, weiter auf diesem <strong>Weg</strong><br />

zu wandeln, weiter zu lernen und sich wenn nötig auch belehren zu<br />

289


lassen. Mit Ulrike hat er auch dafür die richtige Lebensgefährtin an<br />

seiner Seite - und mit ihr, die deutlich gezeigt und bewiesen hat, dass sie<br />

über Jahre hinweg für ein bestimmtes Ziel verharren und kämpfen kann,<br />

muss er nichts befürchten; er ist Gott unendlich dankbar dafür, das er<br />

ihm diese Frau zuge<strong>führt</strong> und im wahrsten Sinn des Wortes geschenkt<br />

hat. Manchmal kommt es ihnen beiden fast so vor, als wären sie Adam<br />

und Eva selber im Paradies vor dem Sündenfall, <strong>der</strong>art glücklich sind sie<br />

miteinan<strong>der</strong>, und sie bemühen sich darum, gemeinsam auf dem richtigen<br />

Lebensweg zu schreiten und nicht <strong>der</strong> Versuchung durch eine Frucht zu<br />

erliegen.<br />

Da bei den meisten gläubigen Ehepaaren, die keine Verhütungsmittel<br />

nehmen, schon nach wenigen Monaten <strong>der</strong> Nachwuchs an die Tür klopft<br />

und auch sie damit rechnen müssen o<strong>der</strong> dürfen, dass dies bald auch<br />

bei ihnen geschehen könnte, haben sie vorgesehen, dass Ulrike bis zu<br />

dem Zeitpunkt, da sich Anzeichen einer Schwangerschaft zeigen,<br />

weiterhin voll im Krankenhaus arbeitet. Wenn es dann einmal so weit ist,<br />

kann sie immer noch in reduziertem Umfang arbeiten o<strong>der</strong> sogar ganz<br />

aufhören. Da Krankenschwestern immer gebraucht werden, könnte sie<br />

später ja je<strong>der</strong>zeit wie<strong>der</strong> in den Arbeitsprozess einsteigen, je nachdem,<br />

wie viel sie sich selbst zumuten und auch wie viel Zeit sie dafür<br />

aufwenden kann. So hat Ulrike selber schon solche Frauen gekannt, bei<br />

denen es genau so verlaufen ist; deshalb kann sie auch in diesem<br />

Bereich zuversichtlich sein.<br />

Obwohl sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht schwanger ist und auch<br />

keine Anzeichen darauf hindeuten, freut sie sich schon jetzt darauf, dass<br />

sie vielleicht bald einmal Mutter sein kann. Es ist schon wun<strong>der</strong>bar<br />

genug, kurz vor <strong>der</strong> Vollendung des dreißigsten Lebensjahres doch noch<br />

einen lieben Mann bekommen zu haben, den sie vor einem Jahr noch<br />

gar nicht gekannt hat, aber auch noch ein Kind o<strong>der</strong> gar mehr als eines<br />

von Hans haben zu können, übersteigt schon fast ihr<br />

Vorstellungsvermögen, <strong>der</strong>art glücklich ist sie seit dem Tag ihrer<br />

Hochzeit. Obwohl es ihr klar ist, dass ein o<strong>der</strong> zwei o<strong>der</strong> gar noch mehr<br />

Kin<strong>der</strong> auch Pflichten mit sich bringen und Tag für Tag auch eine<br />

unendliche Geduld notwendig sein wird, wie Brigitte, ihre immer noch<br />

engste Freundin, ihr das einmal gesagt hat, freut sie sich auf diese neue<br />

Lebensaufgabe. Schließlich ist auch sie eine Frau, in welcher <strong>der</strong> seit<br />

Jahrtausenden erhaltene Urtrieb des Schenkens von Leben auf eine<br />

natürliche und gesunde Weise noch lebendig geblieben ist.<br />

Was Hans betrifft, ist er für alles Neue offen, das noch auf ihn<br />

zukommen wird. Sie sind zwar immer noch dabei, ihre neue Wohnung<br />

290


fertig einzurichten, was in nur vier Monaten sogar mit seinem<br />

Finanzpolster nicht so einfach zu verwirklichen ist; an<strong>der</strong>erseits rechnet<br />

er stets damit, dass diese Wohnung nicht ihre Bleibe sein muss. Wenn<br />

er so weiterfährt, an seinem Arbeitsplatz bei je<strong>der</strong> Gelegenheit mit<br />

Kolleginnen und Kollegen und teilweise sogar mit Vorgesetzten über<br />

seinen Glauben an Gott und an Jesus Christus zu sprechen, ist es sehr<br />

wohl möglich, dass man ihm eines Tages nahelegen wird, entwe<strong>der</strong><br />

fortan zu schweigen o<strong>der</strong> die Kündigung entgegenzunehmen. Ihm ergeht<br />

es jedoch wie den Aposteln <strong>der</strong> Frühzeit und Millionen von Christen in<br />

den vergangenen 2'000 Jahren seither: Er kann nicht an<strong>der</strong>s als<br />

erzählen, was er selbst erfahren hat und täglich neu erlebt - er muss es<br />

einfach noch möglichst vielen Menschen sagen.<br />

Einen ersten Erfolg, <strong>der</strong> ihn riesig freut, hat er bereits erzielt: Aufgrund<br />

des Zeugnisses, das er an seinem Hochzeitstag in <strong>der</strong> Kirche gab,<br />

haben sich zwar nicht sofort, aber im Verlauf <strong>der</strong> nächsten paar Wochen<br />

nicht weniger als vier Menschen ebenfalls zu Jesus Christus bekehrt - je<br />

zwei Frauen und Männer, darunter auch Markus Huggler, <strong>der</strong> ihn damals<br />

ins Krankenhaus fuhr, nachdem er die Zerrung erlitten hatte, und ihm als<br />

einziger Spieler die Hand zum Abschied gab, als er sein letztes<br />

unglückliches Spiel hinter sich gebracht hatte. Alle vier haben ihn von<br />

ihrer Bekehrung in Kenntnis gesetzt und ihm für sein eindrückliches<br />

Zeugnis nachträglich gedankt. Wie Erwin Gisler aber gesagt hat, dass<br />

alles durch Gott gewirkt wird, als er ihm danken wollte, so leitet jetzt<br />

auch er seinen Dank direkt nach oben an den Allmächtigen und<br />

Allwissenden weiter, weil er allzu gut weiß, dass ohne ihn tatsächlich fast<br />

nichts geht. Abgesehen von diesen vier Bekehrungen haben sein<br />

Zeugnis in <strong>der</strong> Kirche, aber auch sein vorbildlich glückliches Leben mit<br />

Ulrike bewirkt, dass auch seine eigenen Eltern und Geschwister sowie<br />

ein Teil <strong>der</strong> Verwandten, zu denen er bisher nie enge Kontakte hatte, für<br />

das Evangelium offener geworden sind. In ihren täglichen Gebeten<br />

hoffen und vertrauen seine Frau und er darauf, dass auch sie bald den<br />

<strong>Weg</strong> zum Erlöser und zum himmlischen Vater finden werden.<br />

Falls das Schlimmstmögliche tatsächlich geschehen sollte und er seinen<br />

Arbeitsplatz verlassen müsste, könnte Hans immer noch damit rechnen,<br />

dass sich auch dann ein <strong>Weg</strong> für Ulrike und ihn und allenfalls ihre<br />

zukünftigen Kin<strong>der</strong> finden lässt. Dank ihrer innigen und tiefen Liebe<br />

füreinan<strong>der</strong> und vor allem dank des Schutzes durch den Allmächtigen<br />

und Allwissenden, um den sie jeden Tag gemeinsam bitten, wissen sie,<br />

dass sie sich um ihre Zukunft keine Sorgen machen müssen. Wenn er<br />

schon einen perfekten Plan hatte, um sie beide zu einem Paar<br />

zusammenzubringen, hat er sicher noch einen weiteren, um sie zum<br />

291


Zeitpunkt, den er für den richtigen hält, an den Ort zu führen, wo er sie<br />

haben will - auf jeden Fall halten sie sich dafür bereit.<br />

Vielleicht <strong>führt</strong> ihr <strong>Weg</strong> einmal irgendwohin in die Mission, was nicht<br />

einmal eine Überraschung wäre. Mit seinem beson<strong>der</strong>en Talent für<br />

Sprachen und den Erfahrungen, die er auf den Banken gesammelt hat,<br />

und auch dank des Berufs, den Ulrike gelernt und ebenfalls schon viele<br />

Jahre lang ausgeübt hat, wird sich für sie bestimmt ein Platz finden, wo<br />

sie ihre Kenntnisse und Fähigkeiten nützlich einsetzen können. Was<br />

auch immer noch auf sie zukommen und wohin auch immer <strong>der</strong> <strong>Weg</strong> sie<br />

noch führen wird, sie fürchten sich nicht, denn sie vertrauen auf das<br />

Versprechen des Herrn, dass er immer bei ihnen sein wird, wie es am<br />

Schluss des Matthäus-Evangeliums verheißen ist:<br />

„Mir ist alle Gewalt im Himmel und auf Erden gegeben … Ich bin bei<br />

euch alle Tage bis ans Ende <strong>der</strong> Weltzeit.“<br />

Ende<br />

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