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GESELLSCHAFT<br />
Auf der Suche<br />
DER EHEMALIGE KATHOLISCHE PRIESTER UND NUNMEHR EVANGELISCHE PFARRER GEORG REIDER<br />
ÜBER SEINE WIRKUNGSVOLLE ZEIT ALS FRANZISKANER IN KALTERN, NEUE HERAUSFORDERUNGEN UND<br />
ÜBER ANTWORTEN DER RELIGION AUF DRÄNGENDE FRAGEN UNSERER ZEIT<br />
Mit den Menschen auf der Suche – dieses<br />
Motto begleitet den 68-jährigen Georg<br />
Reider zeitlebens. Immer wieder setzte<br />
er sich neue Lebensziele, die er mit viel<br />
Energie verfolgte und fand Menschen, die<br />
ihn begleiteten. Ein Suchender, der nie<br />
den direkten Kontakt mit den Menschen<br />
und seiner Umgebung gescheut hat. Ein<br />
Fragender, der Spuren hinterließ und mit<br />
seinen eigenen Überzeugungen und seiner<br />
Kirche wiederholt haderte.<br />
<strong>Die</strong> Suche begann mit dem Eintritt in<br />
den Franziskanerordnen im fernen Jahr<br />
1977 und dem Studium der Theologie in<br />
Brixen, Innsbruck und Rom. Eine besonders<br />
schaffensreiche Zeit war für Georg<br />
Reider jene im Kloster von Kaltern zwischen<br />
1993–2012 und als Projektleiter im<br />
„Zentrum Tau“. „Rückblickend war vor<br />
allem die Kalterer Zeit eine der intensivsten<br />
und wohl auch schöpferischsten. <strong>Die</strong><br />
Seelsorge an der Klosterkirche, der Aufbau<br />
des Vereins ‚Projekt Tau‘ und später<br />
der Sozialen Genossenschaft ‚Zentrum<br />
Tau‘ haben mir sehr viel Gestaltungsraum<br />
geboten. Viele Menschen aus dem<br />
Überetsch und aus Südtirol haben die<br />
Realisierung innovativer Ideen unterstützt.<br />
Wichtige Ausdrücke davon waren<br />
das Tau-Gebet, der Friedensweg im Altenburger<br />
Wald und die Umgestaltung<br />
der Räumlichkeiten im Kloster zur Beherbergung<br />
von Menschen, die Rückzug<br />
suchten und psychologisch und geistlich<br />
begleitet wurden.“<br />
Das Jahr 2012 brachte eine entscheidende<br />
Wende im Leben von Georg Reider. Er<br />
trat aus dem Franziskanerorden aus und<br />
wurde Mitglied der Evangelisch-Lutherischen<br />
Kirche. <strong>Die</strong> Soziale Genossenschaft<br />
„Zentrum Tau“ musste das Kloster verlassen<br />
und in die Handwerkerzone nach<br />
Eppan übersiedeln. „Würde die Pflanze,<br />
die hinter den Klostermauern gewachsen<br />
war, in einer Handwerkerzone überleben?<br />
Ich muss sagen, welch Wunder, die Pflanze<br />
hat überlebt.“<br />
VENEDIG UND VERONA<br />
Für Georg Reider begann die Suche<br />
nach einem neuen Lebensschwerpunkt.<br />
Zunächst übernahm er die Pfarrstelle der<br />
Evangelisch-Lutherischen Gemeinde von<br />
Venedig, ab Herbst 2019 jene von Verona.<br />
Georg Reider ist bis heute dankbar, dass<br />
er die Möglichkeit erhielt,<br />
seine seelsorgliche Berufung<br />
als evangelischer<br />
Pfarrer weiterzuführen.<br />
Den Unterschied zwischen<br />
seiner „alten“ und<br />
„neuen“ Kirche fasst er<br />
wie folgt zusammen:<br />
„Eine Evangelisch-Lutherische<br />
Gemeinde ist einer<br />
katholischen Gemeinde<br />
grundsätzlich sehr ähnlich, bis auf den Unterschied,<br />
dass alle Ämter und Funktionen<br />
demokratisch sind und Frauen und Männern<br />
in gleicher Weise zugänglich sind.“<br />
MIT DEN MENSCHEN AUF<br />
DER SUCHE NACH ETWAS<br />
HEILIGEM – AUFTRAG DER<br />
KIRCHEN HEUTE?!<br />
<strong>Die</strong> grundsätzliche Ähnlichkeit der<br />
beiden christlichen Konfessionen drückt<br />
sich im Glaubensbekenntnis aus, wo der<br />
Unterschied nur in einem einzigen Wort<br />
liegt: heilige „katholische“ Kirche und heilige<br />
„christliche“ Kirche. „<strong>Die</strong> Unterschiede<br />
zwischen den Kirchen wie etwa die Anzahl<br />
der Sakramente oder die<br />
Bedeutung der Heiligen<br />
Schrift betreffen nicht das<br />
Wesentliche des Glaubens,<br />
sondern haben mit Traditionen<br />
und menschlichen<br />
Überzeugungen zu tun,<br />
die zu respektieren wir<br />
inzwischen jeweils gelernt<br />
haben.“<br />
<strong>Die</strong> Lutherische Kirche<br />
in Italien hat 15 Gemeinden. Deren Mitglieder<br />
leben vielfach weit voneinander<br />
entfernt. <strong>Die</strong> Gemeinde Verona-Gardone,<br />
wo Georg Reider derzeit als Seelsorger<br />
Quelle: Georg Reider<br />
38 // SEPTEMBER <strong>2023</strong>