13.10.2023 Aufrufe

PIPER Reader Frühjahr 2024

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

87<br />

JENNY COLGAN<br />

LESEPROBE<br />

versuche ich normalerweise, nicht zu viel zu verbrauchen.<br />

Haben Sie Hunger?«<br />

»Vermutlich haben Sie Eier da, oder?«<br />

Wieder das Stirnrunzeln. »Woher wissen denn …?<br />

Oh, Gott, ist mit den Hühnern alles in Ordnung?«<br />

»Ich hatte sogar den Eindruck, dass sie begeistert<br />

sind«, antwortete ich. »Aber ich bin auch nur einem<br />

von ihnen begegnet.«<br />

»Ah, das war wahrscheinlich Barbara. Die nörgelt immer<br />

rum und zieht dann allein los.«<br />

»Ja, das passt.«<br />

Der Mann trug eine uralte Hose aus Baumwolle und<br />

einen Fair-Isle-Pullover, der eigentlich mehr Loch als<br />

Pullover war. Daher konnte man darunter ein altes<br />

Karohemd erkennen, an dem mehrere Knöpfe fehlten.<br />

Er hätte dringend mal zum Friseur gemusst, und auch<br />

der wuchernde Bart hätte mal gestutzt werden können.<br />

Und sein Gesichtsausdruck wirkte genauso genervt<br />

wie bei dem Flug, als wir ihn hier abgesetzt hatten.<br />

Er bemerkte, dass ich ihn musterte. »Heute hatte ich<br />

eigentlich nicht mehr mit Besuch gerechnet«, sagte er<br />

zu seiner Verteidigung.<br />

»Ich bin mir sicher, dass ich auch schon besser ausgesehen<br />

habe«, erwiderte ich.<br />

Er schnaubte, was ich nun nicht sehr hilfreich fand.<br />

»Ich bin übrigens Morag«, sagte ich.<br />

»Gregor«, kam von ihm zurück, dann wandte er sich<br />

ab und lief den Flur entlang.<br />

Das Innere der ehemaligen Abbey war alt und sehr,<br />

sehr schäbig. Da hier heutzutage immer nur vorübergehend<br />

Leute wohnten, war ihnen wohl egal, ob das<br />

Gebäude nett eingerichtet war oder nicht, ob es adrett<br />

und gepflegt aussah. Im Rest des Hauses gab es den<br />

gleichen Steinfußboden und Lampen aus Messing.<br />

Leider hing die Hälfte davon an Kabeln schlaff an der<br />

Wand, und alle waren voller Staub und Spinnweben.<br />

Keine Bilder zierten die Wände, und der Flur war insgesamt<br />

kalt und freudlos.<br />

Gregor entging mein fassungsloser Gesichtsausdruck<br />

nicht. »Soll ich Sie vielleicht lieber in den Ostflügel<br />

führen?«<br />

»Was?«<br />

»Oh, Sie sahen gerade so aus, als wären Ihnen die<br />

Räumlichkeiten nicht genehm.«<br />

»Es ist bloß …« Ich sah mich um. »Sorry, von außen<br />

wirkt es einfach so majestätisch.«<br />

»Aye, na ja, es ist, wie es ist«, sagte er. »Und nein, der<br />

Aufenthalt hier wird nun wirklich nicht als Luxusurlaub<br />

angepriesen.«<br />

»Hm, immerhin ist es dann nicht so schlimm, wenn<br />

ich Ihnen alles volltropfe.«<br />

»Oh, aye. Stimmt.«<br />

Das Badezimmer war grauenhaft, mit avokadogrünen<br />

Einbaumöbeln, die Jahrzehnte alt waren, und eiskaltem,<br />

rissigem Linoleumfußboden.<br />

Hier und da lagen Reste von rosafarbener Seife herum,<br />

und der Wind zerrte mit unheilvollem Rattern am<br />

Fenster mit der großen Milchglasscheibe. Das alles<br />

störte mich längst nicht mehr so, als Gregor einen<br />

altmodischen und vermutlich furchtbar gefährlichen<br />

Wärmestrahler einschaltete, der in einer Ecke unter<br />

der Decke hing und in einem alarmierenden Orange<br />

erglühte. Aber wenigstens heizte er den Raum schnell<br />

auf.<br />

Die großen Handtücher waren schon zigmal gewaschen<br />

und geflickt worden, wodurch sie aber ganz<br />

weich geworden waren. Und zu meiner Überraschung<br />

füllte sich die Wanne mit Klauenfüßen sogar schnell<br />

mit dampfend heißem Wasser. Na ja, wenn man sich<br />

den Wasserdruck nicht mit anderen zu teilen brauchte<br />

… Oder vielleicht nahm dieser Typ auch einfach<br />

nie ein Bad. Ich wusste zumindest, dass Fraser darauf<br />

keinen besonderen Wert gelegt hatte.<br />

Gregor verschwand, kehrte nach ein paar Minuten<br />

wieder zurück und klopfte sanft an die alte Badezimmertür,<br />

die kein Schloss hatte, da Priester so etwas<br />

wohl nicht brauchten. Mit entschuldigendem Lächeln<br />

kam er herein.<br />

»Tut mir leid«, sagte er. »Ich hab ein bisschen herumgesucht.<br />

Es gibt hier im Haus jede Menge Sachen<br />

zum Anziehen, aber die sehen alle ungefähr so aus.«<br />

»Die stammen also von … äh, einem toten Mönch?«

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!