PIPER Reader Frühjahr 2024
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50<br />
SANAM MAHLOUDJI<br />
LESEPROBE<br />
MASHALLAH,<br />
BITA<br />
Es war vier Uhr morgens und ich war nicht mehr high.<br />
Auch nicht betrunken. Nur müde und genervt, und<br />
das nicht allein wegen meines in Beschlag genommenen<br />
Zimmers. Ich war sauer, weil ich Shirin gegen<br />
zehntausend Dollar Kaution aus dem Gefängnis<br />
geholt hatte und sie, als der Polizist sie barfuß in den<br />
klammen, leeren Wartebereich geführt hatte, nicht<br />
mehr sagte als »Danke, Bita jan« und »Wie großzügig<br />
von dir« und »Wusste ich doch, dass du rangehst.<br />
Wie unfassbar genial von mir, als Erstes dich anzurufen,<br />
meine kleine angehende Anwältin. Das war<br />
eine gute Übung für dich – wobei, du willst ja eine<br />
von diesen Weltverbesserern werden. Houman wäre<br />
an die Decke gegangen.«<br />
Bevor wir das Gefängnis verließen, drückte mir der<br />
Polizist eine große Plastiktüte und ihre Stiefel in die<br />
Hand.<br />
Tante Shirin lag immer noch auf dem Rücken wie eine<br />
versickernde Pfütze. Aus ihrem Mund stieg Rauch<br />
auf. »Komm ja nicht auf die Idee, bei denen zu klopfen«,<br />
sagte sie jetzt, womit sie unsere Freunde und Familienmitglieder<br />
meinte, die bewusstlos in ihren über<br />
den ganzen dritten Stock verteilten Zimmern lagen.<br />
Ich setzte mich in den geblümten Flauschsessel<br />
neben dem Bett. Im Fernsehen stand der Nachrichtensprecher<br />
in seinem schwarzen Mantel im weißen<br />
Schneegestöber und atmete weiße Luft aus. Ich<br />
schaltete den Ton ab.<br />
»Die haben mich da behandelt wie einen ihrer gewöhnlichen<br />
Kriminellen. Empörend«, sagte Tante<br />
Shirin und füllte ihre Kehle erneut mit Rauch. Ihre<br />
tief dunkelroten Nägel funkelten.<br />
»Haben sie dir deine Rechte vorgelesen? Wurdest du<br />
durchsucht?«, fragte ich.<br />
»Machst du Witze? So eine widerliche Schlampe hat<br />
mir die Hand in den Arsch geschoben. Die verklage<br />
ich, soviel ist sicher.«<br />
»Ich weiß nicht, Auntie. Vielleicht konzentrieren wir<br />
uns lieber darauf, dass die Vorwürfe gegen dich fallengelassen<br />
werden.«<br />
Sie riss die Augen auf, die Asche an ihrer Zigarette<br />
wurde immer länger. »Mashallah, Bita«, sagte sie.<br />
»Für eine Ivy-League-Juristin pisst du dich aber ganz<br />
schön ein.«<br />
Ich wandte den Blick ab, richtete ihn auf den stummgeschalteten<br />
Fernseher, wo jetzt ein anderer Mann in<br />
einem blauen Raum sprach. Immer liefen bei uns die<br />
Nachrichten. Dass sie jetzt mit Allah ankam, fand ich<br />
einigermaßen scheinheilig, wo sich doch eigentlich<br />
niemand von uns als Muslim betrachtete. Obwohl<br />
einer unserer Vorfahren dafür in Erinnerung geblieben<br />
war, dass er den Hadsch gemacht und diese große,<br />
schwarze Kiste umkreist hatte.<br />
»Sprich nicht so mit mir«, sagte ich. »Du schuldest<br />
mir was.«<br />
»Ganz fein hast du das gemacht!«, sagte sie lächelnd.<br />
Ich verdrehte die Augen. »Du bist echt ein Arsch,<br />
Auntie.« Ich seufzte. »Das ist übel, sogar für deine<br />
Verhältnisse. Immerhin hast du es nicht durchgezogen.<br />
Oder?« Ich stellte mir Shirin unter einem Fettkloß<br />
von Mann vor, wie sie sich ihm hingab, willig.<br />
»Dieser Drecksack. So ein dämliches Bullenschwein,<br />
macht einen auf Dallas Playboy«, sagte Tante Shirin<br />
und aschte auf den Fußboden.<br />
»Denkst du, die haben dich gezielt ins Visier genommen?«<br />
»Wie? Weil ich so schön bin?«<br />
Ich schüttelte lachend den Kopf.<br />
Sie starrte mich herausfordernd an. Ich schwieg.<br />
»Er sagt: ›Hey Baby, sei heute Nacht meine Cleopatra.<br />
Ich mach dir den Scheich.‹ Ich habe diese Scheiße sowas<br />
von satt. Also sage ich: ›Okay, Süßer, ich kann<br />
deine Prinzessin Jasmin sein, aber das wird nicht billig.<br />
Gib mir fünfzig Riesen.‹ Bastard.«<br />
Ich lachte. Shirin kniff die Augen zusammen, ihre<br />
öligen schwarzen Wimpern griffen ineinander. »Wie<br />
kamst du denn auf diese Summe?«, fragte ich.<br />
»So eine Ignoranz gehört bestraft.« Gähnend streckte<br />
sie die Arme aus und lehnte die Hand mit der Zigarette<br />
gegen das Kopfteil.<br />
»Achtung!«, rief ich. Hinter ihrem Kopf stob Asche<br />
auf.<br />
Augenrollend versenkte Tante Shirin die Zigarette in<br />
der vollen Wasserflasche. »Die Leute sind so ungebildet«,<br />
sagte sie. »Für die ist jeder ein Scheißaraber.<br />
Die wissen nichts über die Perser und dass wir die bedeutendste<br />
Zivilisation der Welt waren. Er sagt also: