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PIPER Reader Frühjahr 2024

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INTERV<br />

40<br />

EVAN TEPEST<br />

INTERVIEW<br />

Fragen von Lektor Hannes Ulbrich<br />

In deinem Roman begleiten wir Alex bei einem<br />

Heimatbesuch in die westdeutsche Provinz.<br />

Eigentlich ist geplant, die Asche von Opa Kurt<br />

im Kreise der Familie im Meer zu verstreuen,<br />

Alex aber möchte die Zeit für ein Schreibprojekt<br />

nutzen. Was hat es damit auf sich?<br />

Alex ist ziemlich lost – ihre Freundin hat sich von ihr<br />

getrennt, ihr zweites Buch verkauft sich nicht und<br />

ihre Freund*innen haben genug von ihrer Depression.<br />

Sie spürt, dass sie an vielen Stellen in ihrem Leben<br />

feststeckt, aber ist zum Zeitpunkt des Romanbeginns<br />

emotional zu taub, um zu verstehen, was los ist. Und<br />

weil sie zu allem Überfluss noch Geldnot hat, beschließt<br />

sie, anlässlich des Besuches bei ihrer Mutter<br />

eine Essayanfrage für den Sammelband »Schreib den<br />

Namen deiner Mutter« anzunehmen – es soll darin<br />

um Dinge gehen, über die sie mit ihrer Mutter nicht<br />

spricht. Dabei spürt sie aber zunehmend, dass sie eigentlich<br />

über gar nichts wirklich sprechen und dass<br />

Einiges in ihrer Familiensituation – besonders, was<br />

die Mutter anbelangt – sie in ihrem eigenen Leben<br />

blockiert.<br />

Alex stößt beim Recherchieren und Nachdenken<br />

über den Essay deshalb ziemlich schnell<br />

an Grenzen – in der Familie liegt über ganz<br />

vielem der Mantel des Schweigens. Halten<br />

Familien überhaupt nur zusammen, wenn<br />

gewisse Dinge beschwiegen werden?<br />

In den seltensten Fällen sprechen Familienmitglieder<br />

über alles, was sie beschäftigt. Gerade im Falle<br />

von psychischer und/oder körperlicher Gewalt<br />

braucht es häufig eine oder mehrere Personen in<br />

einem Gruppengefüge, die eine Auseinander setzung<br />

erzwingen. Es ist natürlich bequemer, zu verdrängen<br />

und sich der Verantwortung zu entziehen. Besonders,<br />

wenn sich das über Generationen durchzieht.<br />

Wenn Erwachsene behaupten, sie wären nie übergriffig<br />

gewesen, ist das für die betroffenen Kinder extrem<br />

schwierig. Alex fragt sich immer wieder, ob sie<br />

ihren eigenen Erinnerungen überhaupt trauen kann.<br />

Ich glaube aber auch – ohne das Verschweigen zu<br />

entschuldigen – dass das eine Klassenfrage ist. Für<br />

die Boomer-Eltern aus der Arbeiter*innenklasse und<br />

der Mittelschicht ist es meistens gar keine Option,<br />

Therapie zu machen oder Dinge aufzuarbeiten. Als<br />

Kinder der Nachkriegsgeneration haben viele von<br />

ihnen durchgezogen, sich auf materielle Verbesserungen<br />

und den Klassenaufstieg konzentriert. Da<br />

schien keine Zeit für Biografiearbeit. Das alles trifft<br />

auf Alex’ Familie zu.<br />

Das Verhältnis von Müttern und Töchtern ist<br />

eines DER klassischen literarischen Themen –<br />

du hast einen sehr gegenwärtigen und<br />

spielerischen Umgang mit Literatur gewählt<br />

und beziehst dich auch auf alle möglichen<br />

anderen Kunstformen. Wie hast du dich dem<br />

Thema genähert?<br />

Ich hab schon seit ein paar Jahren mit dem Gedanken<br />

gespielt, eine Mutter-Tochter-Beziehung zu beleuchten<br />

und dabei, quasi auf einer Metaebene und<br />

auch humoristisch, einzuflechten, dass das so ein viel<br />

bearbeiteter Topos ist. Da Alex selbst Autor*in ist,<br />

greift sie in den zahlreichen Essayversuchen, die den<br />

Roman durchziehen, immer wieder auf diese Darstellungen<br />

zurück. Ich finde das auch wichtig: Der Topos<br />

von der Mutterliebe und dem Gebot »Du sollst deine<br />

Eltern lieben« ist kulturell so zementiert, dass es gar<br />

keinen Sinn hätte, das nicht miteinzubeziehen.<br />

Apropos »Töchter«: Alex hadert bald mit einer<br />

klaren Geschlechterzuordnung. Vielleicht<br />

auch ein Grund, warum es mit dem Essay nicht<br />

vorangeht… Inwiefern bedingen die gängigen

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