Junia Magazin 6/2023
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Heiligabend, die Heilige Nacht, die nächtliche Christmette –<br />
wenn wir heute Weihnachten feiern, hat das viel mit Dunkelheit<br />
zu tun. Mit Dunkelheit, die durch ein Licht erhellt wird –<br />
die Geburt Jesu, der als Licht in die Welt kommt. Aber: Steht überhaupt<br />
etwas von „Nacht“ in der biblischen Weihnachtsgeschichte? Claudia<br />
und Simone Paganini, sie Professorin für Medienethik an der Hochschule<br />
für Philosophie München, er Professor für Biblische Theologie<br />
an der RWTH Aachen, haben gemeinsam das Buch „Von wegen Heilige<br />
Nacht“ geschrieben, in dem sie die Weihnachtsgeschichte einem<br />
Faktencheck unterziehen. „Zunächst einmal muss man festhalten, dass<br />
überhaupt nur zwei Evangelien von Jesu Geburt erzählen – Matthäus<br />
und Lukas. Während Matthäus sich ausführlich mit den Sterndeutern<br />
aus dem Morgenland beschäftigt, berichtet nur Lukas von der Szenerie<br />
der Geburt im Stall“, sagt Simone Paganini. „Und nur einmal fällt ein<br />
Hinweis darauf, dass es Nacht ist: Die Hirten hüteten des Nachts ihre<br />
Herde.“ Dieser Satz werde seither als Anlass genommen, das Geschehene<br />
in der Nacht zu verorten. „Tatsächlich muss man aber sagen: Die<br />
Weihnachtsgeschichte ist keine Wiedergabe von realen Ereignissen.<br />
Die Geschichte wurde geschrieben zu einer Zeit, als man keine Erinnerungen<br />
mehr an die Tatsachen rund um Jesu Geburt hatte. Stattdessen<br />
hat man eine Geschichte voller Symbolik komponiert, und für diese<br />
Symbolik ist es wichtig, dass es Nacht ist“, so der Theologe.<br />
Denn: Den Hirten erscheinen Engel. Und deren Ankunft mit Licht<br />
und Lärm wirkt in der Szene sehr viel besser, wenn es dunkel und still<br />
ist. „Wir befinden uns außerhalb der Stadt, mitten in der Nacht, es ist<br />
ruhig. Der Auftritt der Engel macht so den größten Eindruck“, erklärt<br />
Paganini. Auch die Geburt Jesu im Winter ist komponiert: Er kommt<br />
in der Zeit größter Dunkelheit zur Welt. „In der Nacht ist der Alltag<br />
unterbrochen. In der Stille, im leeren Raum schaut der Mensch die<br />
eigene Vergänglichkeit. Das macht Angst, die Nacht ist durchaus bedrohlich.<br />
Auch existenziell. In diese Szenerie erscheint Jesus als Licht<br />
der Welt“, sagt Claudia Paganini. „Es ist kalt, still und dunkel. In dieser<br />
Zusammenstellung wirkt die Ankunft Jesu am besten. Obwohl es vermutlich<br />
vor 2000 Jahren in Palästina auch im Dezember nicht gerade<br />
kalt war – wobei wir davon ausgehen können, dass Jesus auch zu jeder<br />
anderen Jahreszeit geboren sein könnte. Wir wissen es nicht“, ergänzt<br />
Simone Paganini.<br />
Mit der Heiligen Nacht zog man übrigens (auch liturgisch) eine<br />
Verbindung zur anderen großen Nacht des Christentums: der Osternacht.<br />
Gott beginnt in der Nacht, die Menschheit zu retten: indem<br />
er seinen Sohn zu den Menschen schickt und indem dieser Sohn für<br />
die Menschen stirbt und aufersteht. Doch das sind nicht die einzig bedeutenden<br />
Nächte: „Gott agiert in den Texten der Bibel häufig nachts“,<br />
erklärt Simone Paganini. „Abraham bricht nachts mit seinem Sohn<br />
auf, Mose verbringt ausdrücklich nicht nur 40 Tage, sondern auch 40<br />
Nächte auf dem Berg Sinai, Jakob erkennt die Verbindung von Himmel<br />
und Erde im Traum.“<br />
Für eine weitere Symbolik ist es wichtig, dass die Weihnachtsgeschichte<br />
nachts und zur dunklen Jahreszeit im Winter spielt: für den<br />
Stern. Matthäus beschreibt die Geschichte der Heiligen Drei Könige –<br />
in der Bibel ist von Magiern die Rede. Es sind Astrologen aus dem Perserreich,<br />
über ihre Anzahl steht nichts in der Bibel, nur von drei Gaben.<br />
Sie sehen einen Stern, der sich bewegt und dann über Judäa stehen<br />
bleibt. „Sternkonstellationen haben in der Geschichte der Menschheit<br />
stets größte Bedeutung bei der Geburt wichtiger Persönlichkeiten. Zur<br />
Zeit von Jesu Geburt gab es tatsächlich eine besondere Planetenkons-<br />
Ein wichtiges Nacht-Motiv in der Bibel<br />
rund um die Weihnachtsgeschichte sind<br />
die Träume. Auch hier handelt Gott und<br />
beeinflusst das Tun der Menschen.<br />
Die Magier träumen, nicht zu Herodes,<br />
sondern in ihr Land zurückzukehren. Josef<br />
begegnet einem Engel „wie in einem Traum“,<br />
der ihn darin bestärkt, Maria zur Frau<br />
zu nehmen. In einem zweiten Traum<br />
fordert der Engel ihn auf, sich mit Maria<br />
und Jesus nach Ägypten zu retten.<br />
tellation, mit der sich der ,bewegliche Stern‘ erklären lassen könnte,<br />
so Simone Paganini. „Im Jahr 7 vor Christus gab es eine so genannte<br />
,Große Konjunktion‘, in der die Planeten Jupiter, Mars und Saturn sich<br />
am Himmel zu begegnen schienen. Sie reflektierten das Sonnenlicht,<br />
so dass sie hell strahlten und sich eben als Planeten auch bewegten.“<br />
Übrigens: Die Magier aus Persien kamen nicht wenige Tage nach Jesu<br />
Geburt am 6. Januar nach Betlehem, wie wir es heute feiern, sondern<br />
bis zu zwei Jahre danach. „In der Bibel steht bei Matthäus, dass Herodes<br />
aus Angst vor der Geburt eines neuen Königs alle Jungen im Alter<br />
bis zu zwei Jahren ermorden ließ. Das zeigt, mit welchem Abstand zu<br />
Jesu Geburt die Sterndeuter eintrafen. Sie besuchten Jesus demnach<br />
auch nicht im Stall an der Krippe, sondern im Haus der Familie“, so<br />
Paganini. „Und wir können außerdem davon ausgehen, dass Jesu Geburt<br />
nicht im Jahr 0, sondern 6 oder 7 vor Christi stattfand.“<br />
In unseren Krippendarstellungen heute kommen all diese Traditionen<br />
zusammen: die Engel, der Stern, der Stall, die Heiligen Drei<br />
Könige. Eine schöne Szenerie – auch, wenn alles womöglich ganz anders<br />
war.<br />
WEITERLESEN<br />
Von wegen Heilige Nacht!<br />
Der große Faktencheck<br />
zur Weihnachtsgeschichte<br />
Von Simone und Claudia Paganini<br />
Gütersloher Verlagshaus,<br />
160 Seiten, 14 Euro<br />
ISBN: 978-3-579-02397-7<br />
WEIHNACHTEN<br />
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