ST/A/R 69-70
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Itai Margula<br />
<strong>ST</strong>/A/R Jubiläumsausgabe Nr. <strong>69</strong> - <strong>70</strong><br />
Im selben Jahr eröffnen der Architekturtheoretiker<br />
Henry-Russel Hitchcock und der Architekt Phillip<br />
Johnson im Museum of Modern Art in New York<br />
die Ausstellung Modern Architecture: International<br />
Exhibition. Diese Ausstellung präsentierte zeitgenössische<br />
europäische Architektur und kreierte<br />
den Begriff „International Style“, der zeitgenössische,<br />
moderne Architektur vor allem formal zusammenfassen<br />
möchte.<br />
„Structural Study Associates“ lehnte diese Herangehensweise<br />
allerdings strikt ab. Moderne<br />
Architektur sollte nicht stilistisch kodifiziert werden,<br />
sondern sich an den technischen Mitteln<br />
und an Konstruktionsmöglichkeiten beschreiben.<br />
So kommt es, dass sich in den USA - anhand neu<br />
entwickelter Architekturen - ähnliche Diskussionsansätze<br />
herauskristallisieren, wie sie zur Jahrhundertwende<br />
in Europa geführt wurden.<br />
Während sich nun auf der anderen Seite des Atlantiks<br />
urbane und architektonische Theorien und<br />
Realitäten entwickeln, bricht in Europa der Zweite<br />
Weltkrieg aus. Der Nationalsozialismus diktiert<br />
auch mit seiner architektonischen Sprache Zeugnisse<br />
seiner Macht. 1940 landet Adolf Hitler zum<br />
ersten und einzigen Mal in Paris um seine Macht,<br />
die sich vom Atlantik bis zur sowjetischen Grenze<br />
zog zu demonstrieren:<br />
„In seinem Privatflugzeug saßen aber weder<br />
Generäle noch Parteiführer neben ihm. Erstaunlicherweise<br />
wollte Hitler diesen großen Moment<br />
seines militärischen Triumphes mit zwei Architekten<br />
teilen, mit Albert Speer und Hermann Giesler,<br />
sowie mit Arno Brecker, dem führenden Bildhauer<br />
des Reichs. (...) Diese Szene (...) gäbe, zumindest<br />
theoretisch, ein ebenso überraschendes Bild ab,<br />
wie wenn Georg W. Bush in Anwesenheit von<br />
Jeff Koons, Phillip Johnson und Frank Gehry durch<br />
Bagdad führe.“ 3<br />
Im Europa der Nachkriegszeit ist die Zeit des<br />
Zweiten Weltkrieges weder politisch noch gesellschaftlich<br />
gedanklich fassbar. Der Kontinent,<br />
der sich einst durch langsam entwickelte formale<br />
und räumliche Kontinuitäten definierte, blickt auf<br />
einmal auf eine zerstörte Vergangenheit zurück<br />
und fragt nach einem Zauberstab, der wieder<br />
Vertrauen im unbekannten Land schaffen soll. Die<br />
amerikanische Moderne propagiert im Europa<br />
der Nachkriegszeit eine ähnlich vertraute Zukunft<br />
wie einst der europäische Historismus in Amerika.<br />
Einerseits erhofft sich die europäische Stadt durch<br />
die Restaurierung des Stadtbildes des verloren<br />
gegangenen neunzehnten Jahrhunderts die Revitalisierung<br />
europäischer Identität - während<br />
gleichzeitig Phillip Johnson und Mies van der<br />
Rohe als falsche Freunde 4 nach tagelanger Reise<br />
durch Europa spazieren. Und nur Mies versteht<br />
die Wand als Zauberstab.<br />
(...) „We were making sand castels. Now we<br />
swim in the sea that swept them away.“ (...) 5<br />
1 Erich Mendelson, Amerika - Bilderbuch eines Architekten,<br />
R. Mosse, Berlin, 1925<br />
2 Aus dem Vortrag Unsichtbare Architektur. Die Structural<br />
Study Associates, New York, und die Transformation von<br />
Architektur in Informationsarchitektur von Joachim Krausse<br />
am 12. November 2008 im Rahmen des Entwurfsseminars<br />
OUT OF THE WILD des Lehrstuhls für Architekturtheorie<br />
und in Zusammenarbeit mit aut. architektur und tirol.<br />
3 Dejan Sudjic, Der Architekturkomplex – Monumente<br />
der Macht, Patmos Verlag GmbH & Co.KG, Artemis &<br />
Winkler Verlag, Düsseldorf, 2006 - Seite 19-20 (aus dem<br />
Englischen von Karin Schreiner – im Original: Dejan Sudjic,<br />
The Edifice Complex, How the Rich and Powerful Shape<br />
the World - Alen Lane, Penguin Books, London 2005<br />
4 Falsche Freunde gehören zu den Übersetzungsschwierigkeiten<br />
und Interferenzfehlern. Im Englischen werden<br />
sie als „false friends“ bezeichnet, im Französischen sind<br />
sie unter dem Namen „faux-amis“ bekannt. Es handelt<br />
sich hierbei um Paare von Wörtern oder Ausdrücken aus<br />
zwei Sprachen, die orthografisch oder phonetisch ähnlich<br />
sind, jedoch unterschiedliche Bedeutungen haben. Auch<br />
Scheinentsprechungen zwischen zwei Dialekten derselben<br />
Sprache bzw. zwischen einem Dialekt und der Standardsprache<br />
gelten als Falsche Freunde. Dabei können<br />
die Wörter entweder ursprungsverwandt sein, sich aber<br />
verschieden entwickelt haben (etwa durch Pejoration in<br />
nur einer der beiden Sprachen), oder eine rein zufällige<br />
Ähnlichkeit aufweisen. Außerdem werden häufig Wörter<br />
als „falsche Freunde“ bezeichnet, die wie gewöhnliche<br />
Fremd- oder Lehnwörter anmuten, aber in ihrer vermeintlichen<br />
Ursprungssprache keine oder eine andere Bedeutung<br />
besitzen. Die Leuchtschrift in der Fotografie mit<br />
den Worten „FA<strong>ST</strong> SENSIBLE WAND“ möchte als Satz<br />
sowohl im Englischen als auch im Deutschen lesbar sein:<br />
FA<strong>ST</strong> bedeutet im Englischen „schnell“ – SENSIBLE ist mit<br />
„spürbar“ übersetzbar – während WAND im Englischen<br />
der „Zauberstab“ ist.<br />
5 Rem Koolhaas, What Ever Happened to Urbanism?<br />
(1994), in S,M,L,XL, OMA, (with Bruce Mau), The Monicelli<br />
Press, New York, 1995, pp. 959/971.<br />
.<br />
M<br />
M A R G U L A<br />
A TORASCHREIN<br />
R C H I T E C T S<br />
Toraschrein einer Nachkriegssynagoge<br />
ITAI MARGULA | CEO<br />
Architekt, Für die DI Gestaltung Mag. Art. des Toraschreins einer Nachkriegssynagoge<br />
befugter und in einem Wohnhaus im ersten<br />
Staatlich<br />
beeideter Ziviltechniker<br />
Wiener Gemeindebezirk dienten textlich überlieferte<br />
Beschreibungen der Bundeslade als Entwurfsgrundlage.<br />
im [at] margula-architects.com<br />
0043 <strong>69</strong>9 111 <strong>69</strong>8 33<br />
Predigergasse 5 | 2 | 9 | A-1010 Wien<br />
margula-architects.com<br />
Seite 78<br />
MARGULA ARCHITECTS<br />
Die Bundeslade war eine Truhe, die laut biblischer<br />
Darstellung auf göttliche Anweisung hin angefertigt<br />
wurde, um darin die beiden Steintafeln<br />
mit den zehn Geboten aufzubewahren. Während<br />
der Wüstenwanderung des Volkes Israel<br />
stand sie für die Gegenwart Gottes und auch<br />
heute noch steht sie für den Bund Gottes mit dem<br />
Volk Israel. Den Anweisungen in der Tora zufolge<br />
sollte die Truhe aus Akazienholz gefertigt und innen<br />
wie außen mit Gold überzogen werden. Sie<br />
lag auf zwei Tragestangen auf, die durch zwei<br />
goldene Ringe an der Lade befestigt waren. Auf<br />
dem abnehmbaren sogenannten Versöhnungsdeckel<br />
ruhten zwei Cherubim, die ihre Flügel über<br />
der Truhe ausbreiteten.<br />
Demnach wurde der Toraschrein ebenso aus<br />
Akazienholz gefertigt, während das Gold der<br />
Bundeslade hier als Messing uminterpretiert wurde.<br />
Zwei Hammerschlagbleche, eines unter und<br />
eines in der Gebetsnische, werden beleuchtet<br />
und lassen ihn so in goldenem Glanz erstrahlen.<br />
Auch der mobile Gedanke der Bundeslade wurde<br />
auf den Toraschrein übertragen. So wurde er<br />
nicht fest in seiner Nische verbaut, sondern ruht<br />
als mobile Truhe auf zwei Stangen. Bei Veranstaltungen<br />
außerhalb der Synagoge kann der<br />
Schrein andernorts aufgestellt werden.<br />
Der traditionell außenliegende Vorhang (Parochet)<br />
wurde nach innen verlagert wobei die<br />
außenliegende Tür den textilen Charakter sowohl<br />
in Materialität als auch in Funktionalität beibehält.<br />
Als Falttür lässt sie sich wie ein Vorhang aufziehen<br />
und Messingstreifen auf jeder Lamelle verstärken<br />
den textilen Eindruck. Im Inneren befindet sich der<br />
von einer Textilkünstlerin mit Goldfäden bestickte<br />
Vorhang (Parochet).<br />
Die Gebetsnische stellt hier nicht wie weit verbreitet<br />
eine eigenständige Einheit dar, sondern ist<br />
in den Schrein inkorporiert. Ihre funktionalen und<br />
rituellen Bestandteile sind auf engem Raum vereint.<br />
So sorgen indirekte Lichtquellen gleichzeitig<br />
für die atmosphärische Beleuchtung der sakralen<br />
Elemente und ermöglichen dem Vorbeter das Lesen<br />
der Gebetstexte ohne geblendet zu werden.<br />
Von der Nischendecke hängt ein aus dem 19.<br />
Jahrhundert umfunktionierter Shabbatluster als<br />
Ewiges Licht (Ner Tamid)