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Andreas Müller (Hrsg.): Streitkulturen in der Kirchengeschichte (Leseprobe)

Christentum ist ein plurales Phänomen. Daher hat es innerhalb desselben immer auch Auseinandersetzungen gegeben, die in unterschiedlichen Kontexten ausgetragen worden sind. Streitkulturen sind im Kontext diskursiver Identitätsbildung im Christentum von zentraler Bedeutung. Im vorliegenden Band werden solche Streitkulturen in den Handlungsfeldern Synoden, Politik und theologische Wissenschaft beleuchtet. Dabei werden Epochen der Kirchengeschichte von der Antike bis in die Neuzeit behandelt. Die Beiträge wurden auf der Fachgruppentagung Kirchengeschichte der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie vorgestellt, die vom 22. bis 24. April 2022 im Bonifatiushaus in Fulda stattfand.

Christentum ist ein plurales Phänomen. Daher hat es innerhalb desselben immer auch Auseinandersetzungen gegeben, die in unterschiedlichen Kontexten ausgetragen worden sind. Streitkulturen sind im Kontext diskursiver Identitätsbildung im Christentum von zentraler Bedeutung. Im vorliegenden Band werden solche Streitkulturen in den Handlungsfeldern Synoden, Politik und theologische Wissenschaft beleuchtet. Dabei werden Epochen der Kirchengeschichte von der Antike bis in die Neuzeit behandelt. Die Beiträge wurden auf der Fachgruppentagung Kirchengeschichte der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie vorgestellt, die vom 22. bis 24. April 2022 im Bonifatiushaus in Fulda stattfand.

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12 Uta Heil<br />

Über christliche Streitgespräche <strong>der</strong> Spätantike gibt es reichhaltige Quellen:<br />

gelegentlich sogar stenographierte Mitschriften, öfter aber nachträgliche Berichte<br />

(meist von <strong>der</strong> »Siegerseite« veröffentlicht), Nachrichten über Disputationen,<br />

fiktive Disputationen, manchmal als re-dialogisierte Traktate o<strong>der</strong> Berichte,<br />

Thesen für Disputationen, Streit durch Austausch von Streitschriften etc.<br />

Fließend s<strong>in</strong>d auch die Grenzen zwischen Disputationen und Synoden. Das Feld<br />

ist groß!Streit provozierte Literatur wie Apologien, Klarstellungen, Berichteo<strong>der</strong><br />

Aktensammlungen bis h<strong>in</strong> zu Historiographien. Und die Übergänge von historischen<br />

Ereignissen zu literarischer Gestaltung s<strong>in</strong>d fließend. Das obige Zitat<br />

entstammt aus den legendarischen Clemens-Er<strong>in</strong>nerungen, setzt natürlich aber<br />

e<strong>in</strong> vorstellbares Szenario voraus, das dem Leser o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Hörer<strong>in</strong> plausibel<br />

ersche<strong>in</strong>en sollte. Etwa zeitgleiche historische Disputationen aus dem dritten<br />

Jahrhun<strong>der</strong>t s<strong>in</strong>d dagegen von den beiden Alexandr<strong>in</strong>ern Origenes und Dionys<br />

von Alexandrienüberliefert. 4 E<strong>in</strong> großes öffentliches Ereignis aus <strong>der</strong> Spätantike<br />

war ferner die große Disputation zwischen 286 Katholiken und 285 Donatisten<br />

auf dem Konzil <strong>in</strong> Karthago an drei Tagen im Juni 411, woran auch August<strong>in</strong>us<br />

beteiligt war und wovon Akten überliefert s<strong>in</strong>d. Der Sieg <strong>der</strong> Katholiken bestätigte<br />

<strong>in</strong> diesem Fall die Rechtmäßigkeit <strong>der</strong> anti-donatistischen kirchlichen und<br />

kaiserlichen Gesetzgebung. 5 Allerd<strong>in</strong>gs lässt sich bei vielen Debatten <strong>der</strong> tatsächliche<br />

Anlass und Verlauf nur schwer erschließen, da die dom<strong>in</strong>ante Perspektive<br />

<strong>der</strong> »Sieger« den großen Konsens und die E<strong>in</strong>heit im Glauben betonte,<br />

so dass die unterlegene Seite als streitsüchtige Rebellen ersche<strong>in</strong>en, die unbelehrbar,<br />

angestachelt von Dämonen o<strong>der</strong> unter Zuhilfenahme politischer Gewalt<br />

den Frieden und die E<strong>in</strong>tracht <strong>in</strong> <strong>der</strong> Kirchezerstören wollten. Daher ist kritische<br />

Vorsicht geboten, wenn man h<strong>in</strong>ter die Kulissen <strong>der</strong> überlieferten Quellen<br />

schauen möchte, wie Thomas Graumann imvorliegenden Band betont.<br />

Streitgespräche gab es aber nicht nur <strong>in</strong> <strong>der</strong> Epoche <strong>der</strong> Spätantike, son<strong>der</strong>n<br />

aus unterschiedlichen Anlässen undunter sich verän<strong>der</strong>nden Bed<strong>in</strong>gungen auch<br />

im Mittelalter bis h<strong>in</strong> zur Gegenwart. Es ist hier nicht <strong>der</strong> Ort, e<strong>in</strong>e ausführliche<br />

Liste vorzulegen; nur exemplarische Beispiele seien genannt.<br />

E<strong>in</strong>e große Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung auf allen Ebenen mit Streitschriften, Disputationen,<br />

Verhören auf Synoden, Gutachten und Gegengutachten war die<br />

Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung um die Christologie bzw. den sogenannten spanischen<br />

Adoptianismus während <strong>der</strong> Karol<strong>in</strong>gerzeit. Hier wurde Felix von Urgell zunächst<br />

mehrfach verurteilt, und zwar auf e<strong>in</strong>er Synode<strong>in</strong>Regensburg 792;e<strong>in</strong>er<br />

4<br />

5<br />

Vgl. dazu Heil: Art. Streitgespräche; dies.: Streitende Heilige und heilsamer Streit.<br />

Die Edition <strong>der</strong> Akten liegt <strong>in</strong> Collatio Carthag<strong>in</strong>ensis anno 411 (CSEL 104; 2018) vor,<br />

besorgt von Clemens Weidmann; e<strong>in</strong>e ältere Ausgabe mit französischer Übersetzung ist<br />

SChr 194, 195, 224, 373. VonAugust<strong>in</strong>us s<strong>in</strong>d mehrere Disputationen überliefert; er hat<br />

sich für e<strong>in</strong>e entsprechende Bildung <strong>der</strong> Bischöfe e<strong>in</strong>gesetzt.

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