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Andreas Müller (Hrsg.): Streitkulturen in der Kirchengeschichte (Leseprobe)

Christentum ist ein plurales Phänomen. Daher hat es innerhalb desselben immer auch Auseinandersetzungen gegeben, die in unterschiedlichen Kontexten ausgetragen worden sind. Streitkulturen sind im Kontext diskursiver Identitätsbildung im Christentum von zentraler Bedeutung. Im vorliegenden Band werden solche Streitkulturen in den Handlungsfeldern Synoden, Politik und theologische Wissenschaft beleuchtet. Dabei werden Epochen der Kirchengeschichte von der Antike bis in die Neuzeit behandelt. Die Beiträge wurden auf der Fachgruppentagung Kirchengeschichte der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie vorgestellt, die vom 22. bis 24. April 2022 im Bonifatiushaus in Fulda stattfand.

Christentum ist ein plurales Phänomen. Daher hat es innerhalb desselben immer auch Auseinandersetzungen gegeben, die in unterschiedlichen Kontexten ausgetragen worden sind. Streitkulturen sind im Kontext diskursiver Identitätsbildung im Christentum von zentraler Bedeutung. Im vorliegenden Band werden solche Streitkulturen in den Handlungsfeldern Synoden, Politik und theologische Wissenschaft beleuchtet. Dabei werden Epochen der Kirchengeschichte von der Antike bis in die Neuzeit behandelt. Die Beiträge wurden auf der Fachgruppentagung Kirchengeschichte der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie vorgestellt, die vom 22. bis 24. April 2022 im Bonifatiushaus in Fulda stattfand.

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Konziliare Streitkultur 63<br />

mit dem Zusammentreten <strong>der</strong> Synodeund <strong>der</strong> Arbeit an den vorbereiteten Texten<br />

die <strong>in</strong>haltlichen Fragen <strong>der</strong> Theologie wie<strong>der</strong> <strong>in</strong> den Mittelpunkt. Neben <strong>der</strong><br />

Enzyklika und <strong>der</strong> Botschaftdes Konzils waren dies die Texte über die Bedeutung<br />

des Fastens und se<strong>in</strong>e heutige Beachtung, das Dokument über die Beziehungen<br />

<strong>der</strong> orthodoxen Kirche mit <strong>der</strong> übrigen christlichen Welt, sowie die Texte zur<br />

Autonomie und<strong>der</strong> Art und Weise ihrer Erklärung, zur orthodoxen Diaspora,zum<br />

Sakrament <strong>der</strong> Ehe und zur Sendung <strong>der</strong> orthodoxen Kirche <strong>in</strong><strong>der</strong> Welt.<br />

Zu diesen Texten, <strong>der</strong>en Vorarbeiten bis <strong>in</strong> präkonziliare Konferenzen <strong>der</strong><br />

Orthodoxie <strong>in</strong> den 1960er Jahre reichten und die nun nur noch diskutiert und<br />

ergänzt und dann verabschiedet werden sollten,meldetenvor, während und nach<br />

<strong>der</strong> Synode vor allem die akademischen Theologen orthodoxer, katholischerund<br />

protestantischer Konfession zu Wort. 26 Sie arbeiteten die <strong>in</strong>neren Spannungen<br />

<strong>der</strong> Orthodoxie heraus, die sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er jeden ihrer Kirchen und <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e<br />

auch zwischen vielfach progressiver Diasporaexistenz Westeuropas und Nordamerikas<br />

und mehrheitlich noch konservativen Heimatkirchen <strong>der</strong> Län<strong>der</strong> Ostund<br />

Südosteuropas ergeben konnten. 27 Die Rivalitäten zwischen e<strong>in</strong>zelnen Kirchen,<br />

die das politische Narrativ betonte, traten <strong>in</strong> diesen Analysen h<strong>in</strong>ter den<br />

<strong>in</strong>neren Spannungen <strong>der</strong> jeweiligen orthodoxen Kirchen zurück.<br />

Die Orthodoxie, so führte etwa <strong>der</strong> Münsteraner katholische Ostkirchenkundler<br />

Thomas Bremer (geb. 1957) unter <strong>der</strong> – freilich redaktionellen –<br />

Überschrift »Patriarchen mögen’snicht mo<strong>der</strong>n«gegenüber<strong>der</strong> DeutschenWelle<br />

aus »droht den Anschluss zu verlieren an die Mo<strong>der</strong>ne und an die Menschen, die<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne leben«. 28 Diskussionen gebe es etwa, so führte Bremer aus, <strong>in</strong><br />

den USA unter den orthodoxenTheolog<strong>in</strong>nen und Theologen: »Sie sagen. Dasist<br />

nicht das, was wir heute brauchen. Wir brauchen an<strong>der</strong>e Antworten.« 29 Auch<br />

erschwere die Une<strong>in</strong>igkeit <strong>der</strong> Orthodoxie e<strong>in</strong>e Positionierung im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er<br />

Akzeptanz <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne <strong>in</strong> <strong>der</strong> Orthodoxen Kirche. 30<br />

Diese Analyse legt ihren Schwerpunkt auf die Konflikte <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> konziliaren<br />

Texte selbst, die sich im Spannungsfeld von Tradition und Mo<strong>der</strong>ne<br />

bewegen. Stärker als diepolitische Deutung nimmt sie die Arbeit des Konzils an<br />

den Texten selbst ernst. Mit ihrer diachronen Perspektive kann sie die Genese <strong>der</strong><br />

theologischen Leitgedanken seit den ersten präkonziliaren Konferenzen <strong>der</strong> or-<br />

26<br />

27<br />

28<br />

29<br />

30<br />

Vgl. z. B. Makrides, Konzil; Oeldemann, Konzil; Illert, Perspektiven.<br />

Vgl. Makrides, Konzil 12: »Säkularität, Individualität, Selbstverwirklichung und kontextuelle<br />

Hermeneutik – bleiben den Orthodoxen fremd und werden oft attackiert und<br />

verworfen. Es gab und gibt vere<strong>in</strong>zelte Versuche, e<strong>in</strong> an<strong>der</strong>es Verhältnis zur Mo<strong>der</strong>ne zu<br />

entwerfen, zum Beispiel durch die russische religiöse Philosophie im 19. Jahrhun<strong>der</strong>t<br />

und auch später im 20. Jahrhun<strong>der</strong>t«.<br />

Bremer, DW-Interview.<br />

Ebd.<br />

Ebd.

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