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Andreas Müller (Hrsg.): Streitkulturen in der Kirchengeschichte (Leseprobe)

Christentum ist ein plurales Phänomen. Daher hat es innerhalb desselben immer auch Auseinandersetzungen gegeben, die in unterschiedlichen Kontexten ausgetragen worden sind. Streitkulturen sind im Kontext diskursiver Identitätsbildung im Christentum von zentraler Bedeutung. Im vorliegenden Band werden solche Streitkulturen in den Handlungsfeldern Synoden, Politik und theologische Wissenschaft beleuchtet. Dabei werden Epochen der Kirchengeschichte von der Antike bis in die Neuzeit behandelt. Die Beiträge wurden auf der Fachgruppentagung Kirchengeschichte der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie vorgestellt, die vom 22. bis 24. April 2022 im Bonifatiushaus in Fulda stattfand.

Christentum ist ein plurales Phänomen. Daher hat es innerhalb desselben immer auch Auseinandersetzungen gegeben, die in unterschiedlichen Kontexten ausgetragen worden sind. Streitkulturen sind im Kontext diskursiver Identitätsbildung im Christentum von zentraler Bedeutung. Im vorliegenden Band werden solche Streitkulturen in den Handlungsfeldern Synoden, Politik und theologische Wissenschaft beleuchtet. Dabei werden Epochen der Kirchengeschichte von der Antike bis in die Neuzeit behandelt. Die Beiträge wurden auf der Fachgruppentagung Kirchengeschichte der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie vorgestellt, die vom 22. bis 24. April 2022 im Bonifatiushaus in Fulda stattfand.

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26 Thomas Graumann<br />

nischem Zusammenklang (συφωνοσι), f<strong>in</strong>det sich bei Athanasius von Alexandrien<br />

<strong>in</strong> se<strong>in</strong>em ungefähr 30 Jahre nach dem Konzil geschriebenen Traktat<br />

De Decretis Nicaenae Synodi. 2 Se<strong>in</strong>e Bemerkungen werfen e<strong>in</strong> Schlaglicht auf die<br />

Beschlüsse des Nizänischen Konzils, welche diese Merkmale für sich beanspruchen<br />

können, und stellt diese gegen die Kritiker des Konzils und des von<br />

ihm verabschiedeten Bekenntnisses <strong>in</strong>s helle Licht. Denn bei den Kritikern muss<br />

im Kontrast eben jenes φισβητεν diagnostiziert werden, wie man es auch bei<br />

den Heiden antrifft, und das den Kennzeichen <strong>der</strong> Wahrheit entgegensteht. 3<br />

Damit greiftAthanasius e<strong>in</strong>en Topos<strong>der</strong> Apologetik auf, <strong>der</strong> die Vielstimmigkeit<br />

und Konkurrenz <strong>der</strong> philosophischen Schulen zum Erweis nutzte, dass bei ihnen<br />

Wahrheit nicht anzutreffen sei, und solchem Dissens die – angebliche – christliche<br />

E<strong>in</strong>stimmigkeit gegenüberstellte. Tatsächlich waren aber auch für das<br />

christliche Denken die zubeobachtenden Me<strong>in</strong>ungsvielfalt und Konflikte e<strong>in</strong><br />

potentiell verheeren<strong>der</strong> Kritikpunkt, dem es sich zu stellen galt, und auf den<br />

antihäretische Diskurse vielfältig antworteten. Der hier von Athanasius aufgerufene<br />

apologetische Topos vom Me<strong>in</strong>ungsstreit <strong>der</strong> griechischen Philosophenschulen<br />

zeigt die Alternative auch für die Entscheidungsf<strong>in</strong>dung und die Glaubensäußerungen<br />

auf e<strong>in</strong>er Synode an: Wahrheit ist nicht pluriform o<strong>der</strong> gar<br />

kontrovers. Me<strong>in</strong>ungsstreit disqualifiziert.<br />

Athanasius entfaltet den Gedanken von Harmonie undÜbere<strong>in</strong>stimmung<strong>der</strong><br />

wahren Lehrer und <strong>der</strong> wahren Lehren <strong>in</strong> den auf den zitierten Passus folgenden<br />

Abschnitten von De Decretis zuerst im H<strong>in</strong>blick auf die diachrone Übere<strong>in</strong>stimmung<br />

<strong>der</strong> biblischen Zeugen (<strong>der</strong> »Heiligen« 4 ); aber natürlich ist dieser bruch-<br />

2<br />

3<br />

4<br />

Vgl. zum Traktat und den unterschiedlichen Datierungsvorschlägen, Uta Heil, De decretis<br />

Nicaenae synodi, <strong>in</strong>: Athanasius Handbuch, hg.v. Peter Geme<strong>in</strong>hardt, Tüb<strong>in</strong>gen<br />

2011, 210–14: 211.Von <strong>der</strong> E<strong>in</strong>stimmigkeit ihrer Beschlüsse gegen Arius berichtet auch<br />

das Synodalschreiben <strong>der</strong> Synode an die Ägypter, Urkunde 23,3 (= Dokument 25; AW<br />

III.1/1, 48,1 Opitz): παψηφ δοξεν [sc. die Synode]. Die Verurteilung nur zweier namentlich<br />

genannter Gegner (Urk. 23,5; AW III.1/1, 48,8–10 Opitz) im direkten Anschluss<br />

konterkariert diesen E<strong>in</strong>druck nicht; die Genannten bilden ke<strong>in</strong>e M<strong>in</strong><strong>der</strong>heit <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Synode, son<strong>der</strong>n s<strong>in</strong>d aufgrund ihrer Heterodoxie von ihr ausgeschlossen; s.u.<br />

Das hier den falschen Lehrern zugeschriebene φισβητεν bezeichnet allgeme<strong>in</strong> das<br />

Disputieren und den streitigen Me<strong>in</strong>ungsaustauch zwischen zwei Personen o<strong>der</strong> Parteien<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Debatte, aber nicht zuletzt auch vor Gericht; s. Diccionario Griego-Español<br />

en línea, s. v. φισβητω.Vgl. spezifisch für den philosophischen Zweifel ferner Stefan<br />

Lorenz/Redaktion, Art. Zweifel, <strong>in</strong>: Historisches Wörterbuch <strong>der</strong> Philosophie 12 (2004),<br />

1520–27.<br />

Dass Athanasius mit den Heiligen hier die biblischen Autoren me<strong>in</strong>t, ist evident. Vgl. zur<br />

Interpretation dieser Stelle und ihrem (hier zu vernachlässigenden) möglichen Traditionsh<strong>in</strong>tergrund<br />

Mart<strong>in</strong> Tetz, Zur Theologie des Markell von Ankyra II. Markells Lehre<br />

von <strong>der</strong> Adamssohnschaft Christi und e<strong>in</strong>e pseudoklement<strong>in</strong>ische Tradition über die<br />

wahren Lehrer und Propheten, <strong>in</strong>: ZKG 79 (1968), 3–42: hier 5–15.

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