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Leseprobe_Buland_Flambierte-Dias-Marionetten

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<strong>Flambierte</strong> <strong>Dias</strong>:<br />

<strong>Marionetten</strong><br />

Ein Playing Arts-Projekt über das <strong>Marionetten</strong>theater<br />

Rainer <strong>Buland</strong> und<br />

Fabian Kitzberger


<strong>Flambierte</strong> <strong>Dias</strong>:<br />

<strong>Marionetten</strong>


<strong>Flambierte</strong> <strong>Dias</strong>:<br />

<strong>Marionetten</strong><br />

Ein Playing Arts-Projekt über<br />

das <strong>Marionetten</strong>theater<br />

Texte und Photos: Rainer <strong>Buland</strong><br />

Photos und Buchgestaltung: Fabian Kitzberger<br />

Unter Mitarbeit / Mitspiel von Nurjehan Gottschild


Dieses Buch entstand am Institut (Archiv / Bibliothek / Graphiksammlung) für Spielforschung und Playing<br />

Arts der Universität Mozarteum.<br />

Der Druck dieses Buches wurde aus Mitteln der Universität Mozarteum Salzburg finanziert. Für die<br />

Produktion danken wir weiters einem Privatsponsor, der nicht genannt werden möchte. Danke.<br />

Copyright aller Bilder und Abbildungen: Rainer <strong>Buland</strong>, Spielforschung und Fabian Kitzberger.<br />

Außer:<br />

Das Copyright der <strong>Dias</strong> aus den 1990er-Jahren ließ sich nicht mehr ermitteln.<br />

Zwei Abbildungen im Kapitel Das Salzburger <strong>Marionetten</strong>theater i n s einem kulturellen Umfeld haben wir als<br />

Bildzitate übernommen, aus: Dictionnaire des Jeux und dem Buch Welt des Puppenspiels. In beiden Büchern gibt es<br />

keine Angaben zum Autor.<br />

Das s/w Bild von Rainer <strong>Buland</strong> im Kapitel Making Of: Christoph Riemer.<br />

Im Falle dennoch berechtigter Copyright-Ansprüche wird um Mitteilung des Rechteinhabers ersucht.<br />

Layout und Satz: Fabian Kitzberger, Wien<br />

Hergestellt in der EU<br />

ISBN 978-3-99094-007-5<br />

Alle Rechte vorbehalten<br />

© Hollitzer Wissenschaftsverlag, Wien 2022<br />

www.hollitzer.at


Für Andrea Kitzberger.<br />

Dass wir dieses Buch machen konnten, verdanken wir letztlich ihr.<br />

Von diesem Buch wurde eine auf 25 Stück begrenzte und nummerierte Sonderedition hergestellt.<br />

Bei dieser wurde das Bild vom Dia auf dem Buchcover durch ein Original ersetzt, also ein<br />

tatsächlich flambiertes Diapositiv. Außerdem sind die Bücher der Sonderedition von den beiden<br />

Photographen signiert.


Inhaltsverzeichnis<br />

9 Einleitung und Danksagung<br />

13 <strong>Flambierte</strong> <strong>Dias</strong> Ein Pimp-Up-Verfahren für alte<br />

Diapositive<br />

21 Das Making-Of Entstehung und Verlauf des<br />

Playing Arts Projektes <strong>Flambierte</strong> <strong>Dias</strong>:<br />

<strong>Marionetten</strong><br />

35 Figurenspiel und <strong>Marionetten</strong>theater aus<br />

ludologischer Sicht<br />

69 Das Playing Arts-Projekt <strong>Flambierte</strong> <strong>Dias</strong>:<br />

<strong>Marionetten</strong> als artistic research<br />

75 Über das <strong>Marionetten</strong>theater: ReWriting Kleist<br />

85 Das Salzburger <strong>Marionetten</strong>theater in seinem<br />

kulturellen Umfeld<br />

100 Die Zauberflöte Erster Aufzug Erster Auftritt<br />

116 Die Zauberflöte Erster Aufzug Vierzehnter<br />

Auftritt<br />

128 Die Zauberflöte Erster Aufzug Fünfzehnter<br />

Auftritt<br />

154 Die Zauberflöte Zweyter Aufzug Sechs und<br />

zwanzigster Auftritt<br />

188 Die Zauberflöte Zweyter Aufzug Dreyßigster<br />

Auftritt<br />

202 Die Entführung aus dem Serail Erster Aufzug<br />

Sechster Auftritt<br />

214 Die Entführung aus dem Serail Erster Aufzug<br />

Neunter Auftritt<br />

227 Die Gärtnerin aus Liebe La finta giardiniera<br />

253 Johann Strauss Die Fledermaus<br />

269 Pjotr Iljitsch Tschaikowski Der Nussknacker Dia 1<br />

282 Pjotr Iljitsch Tschaikowski Der Nussknacker Dia 2<br />

294 Pjotr Iljitsch Tschaikowski Der Nussknacker Dia 3<br />

311 Pjotr Iljitsch Tschaikowski Der Nussknacker Dia 4<br />

326 Pjotr Iljitsch Tschaikowski Der Nussknacker Dia 5<br />

343 <strong>Dias</strong> von verschiedenen <strong>Marionetten</strong>-Figuren<br />

354 Salzburger <strong>Marionetten</strong>theater Die Bühne<br />

362 Schäfer<br />

172 Die Zauberflöte Zweyter Aufzug Neun und<br />

zwanzigster Auftritt


Einleitung und Danksagung<br />

Was ist dieses Buch?<br />

Von den meisten Büchern lässt sich bereits beim Lesen der<br />

Titelseite erkennen, ob es sich um ein Photobuch, einen<br />

Kunstband, um eine wissenschaftliche Fachliteratur, oder<br />

einen Lyrikband handelt. Das vorliegende Buch lässt sich<br />

jedoch nicht in die üblichen Fächer einsortieren. Es ist vieles<br />

zugleich:<br />

‐ Photoband und Künstlerbuch<br />

‐ Dokumentation eines kreativschöpferischen<br />

Spielprozesses<br />

‐ Kulturwissenschaftliche und ludologische<br />

Einführung in das Thema <strong>Marionetten</strong><br />

‐ Vorstellung des Salzburger <strong>Marionetten</strong>theaters<br />

‐ Literatur<br />

Anders ausgedrückt könnten wir sagen: Dieses Buch ist<br />

aus einem Konvergenzpunkt entstanden: Das kreativschöpferische<br />

Spiel mit alten Diapositiven traf auf das Thema<br />

Salzburger <strong>Marionetten</strong>. Diese <strong>Marionetten</strong> waren nämlich<br />

auf den <strong>Dias</strong> abgebildet. Ein künstlerischer Prozess schneidet<br />

sich mit einer thematischen Spur. Aus diesem ungeplanten<br />

und auch unplanbaren Zusammenstoß entstand ein<br />

Feuerwerk. Ergebnis ist dieses Buch. Von daher können wir<br />

das Buch als ein artistic book bezeichnen.<br />

Der Titel ist Programm: Es geht einerseits um das früher unter<br />

Photograph*innen weit verbreitete Medium der Diapositive.<br />

Andererseits bilden die Bilder vom <strong>Marionetten</strong>theater in<br />

Salzburg die Inhalte. Die Aktivität nun, die diese beiden<br />

Kulturerscheinungen verbindet ist: Flambieren. Dieses Verb<br />

steht für Mit-Feuer-Überarbeiten respektive wie ich lieber<br />

schreibe Mit-Feuer-Überspielen. Überspielen scheint mir in<br />

diesem Zusammenhang treffender, weil das Projekt mehr<br />

mit kreativ-schöpferischem Spiel zu tun hat als mit Arbeit,<br />

von der wir doch eine Planung und eine nachprüfbare<br />

Zielerreichung erwarten, was hier in keiner Weise der Fall ist.<br />

Playing Arts und Christoph Riemer<br />

Das gesamte Projekt <strong>Flambierte</strong> <strong>Dias</strong>: <strong>Marionetten</strong> ist<br />

im Kontext von Playing Arts entstanden und zu einem<br />

vorläufigen Endpunkt, diesem Buch, gebracht worden.<br />

Dieses Buch kann und will keine Einführung in Playing Arts<br />

sein. Dennoch kann dieser Aspekt nicht einfach umgangen<br />

werden, weswegen ich hier einige Sätze darüber schreibe und<br />

vor allem auch über den, wenn wir dies einmal so nennen<br />

wollen, Gründervater, Christoph Riemer.<br />

Dieser war im evangelischen Bildungszentrum<br />

Burckhardthaus in Gelnhausen bei Frankfurt Dozent<br />

für kulturelle Bildung und leitete eine umfangreiche<br />

Ausbildung unter dem Titel „Spiel- und Theaterpädagogik“.<br />

Zunächst ging es darum, eine seit den 1980er-Jahren<br />

existierende Ausbildung in Spielpädagogik um eine Facette<br />

zu erweitern, die weggeht vom angeleiteten Spiel und<br />

hinführt zu einem kreativ-schöpferischen Spiel, bei dem<br />

jede und jeder nach eigenen Spielregeln kreativ tätig ist.<br />

In einer professionalisierten Form hätte man daraus eine<br />

Kunstklasse in der Tradition von Beuys machen können,<br />

aber genau dies war nicht die Absicht von Christoph Riemer.<br />

9


Es sollte eben nicht wieder eine spezialisierte Kunstklientel<br />

befriedigt werden, sondern es sollten in sozialen und<br />

pädagogischen Berufen tätige Menschen für das kreative<br />

Spiel begeistert werden. Der Grund, warum dies so wichtig<br />

ist: Im spielerischen Kreativ-Sein umgehen die Menschen<br />

die Hemmungen, die mit dem deutschen Überbegriff Kunst<br />

verbunden sind (ich kann nicht in Kunst) und können in<br />

spielender Weise ihre eigene Lebenskunst entwickeln. Dies<br />

ist eine Kurzbeschreibung auf einer abstrakten Ebene. Im<br />

Spiel geht es jedoch immer um sehr konkrete Dinge. Dieses<br />

Buch ist insofern auch eine ganz konkrete Beschreibung eines<br />

Beispiels für einen kreativ-schöpferischen Spielprozess. Um<br />

die Terminologie zu vertiefen, wird jeweils an entsprechender<br />

Stelle auf bereits existierende Publikationen verwiesen.<br />

Noch ein paar Sätze zu meiner Rolle in der Entwicklung.<br />

Ab 1995 wurde ich von Christoph Riemer als Gastdozent ins<br />

Burckhardthaus eingeladen. Der erste Kurs – damals noch<br />

nicht unter dem Namen Playing Arts – fand 1995 statt:<br />

„Die Arbeitsgemeinschaft Spiel in Kooperation mit dem<br />

Burckhardthaus, Gelnhausen, und dem Institut für Spielforschung<br />

bietet erstmals den 3. Ausbildungsteil (Erweiterung) in der<br />

Ausbildung zur Spiel- und Theaterpädagogik an. Federführend<br />

ist Christoph Riemer, Dozent für kulturelle Bildung am<br />

Burckhardthaus. Im Rahmen von zwei Jahren sind insgesamt drei<br />

fünftägige Kolloquien geplant. Hinzu kommt die Teilnahme an<br />

zwei externen Kursangeboten zur eigenen Praxiserprobung durch<br />

regionale Supervisionstreffen. Das Einstiegskolloquium findet<br />

vom 22. bis 26.Mai 1995 in Gelnhausen (...) statt.“ 1<br />

Die Kurse waren so erfolgreich, dass immer mehr<br />

Teilnehmer*innen kamen und immer mehr<br />

Gastdozent*innen hinzugezogen werden mussten. Mit der<br />

Zeit kam die Notwendigkeit auf, diese andere Form der<br />

Spielpädagogik, die nicht auf die Vermittlung von Spielregeln<br />

ausgerichtet ist, mit einem neuen Namen zu versehen. Nach<br />

einiger Überlegung erfand ich die Bezeichnung Playing<br />

Arts, die sich in der Folge durchsetzte. Im Jahr 2000 fand das<br />

internationale Symposion schon unter diesem Namen statt.<br />

Im weiteren Text dieses Buches werde ich Christoph<br />

Riemer nicht mehr gesondert erwähnen. Auch die vielen<br />

anderen Gastdozent*innen, die jeweils ihren Anteil an der<br />

Entwicklung dieser Spielbewegung hatten, kann ich hier<br />

aus Platzgründen nicht erwähnen. Dies muss einer größeren<br />

Publikation vorbehalten bleiben. Ich werde auch nicht<br />

weiter auf Geschichte und Terminologie von Playing Arts<br />

eingehen. Dazu stehen weiterführende Publikationen und<br />

auch websites zur Verfügung, die an entsprechender Stelle<br />

angegeben sind.<br />

Weiterführung des Projektes im<br />

Internet:<br />

Im Internet gibt es auf der Website www.<strong>Buland</strong>.eu weitere<br />

Beispiele zu sehen.<br />

1 Spielforschung aktuell, Nr.1, 1995, o.S. (fünfte Seite).<br />

10


Danksagung<br />

Besonderer Dank gilt meiner Frau, Nurjehan Gottschild, die<br />

auf vielfältige Weise mitgearbeitet respektive mitgespielt hat.<br />

Genaueres darüber ist in den Kapiteln Making-Of und Ein<br />

Pimp-Up-Verfahren für alte Diapositive zu erfahren.<br />

Ein großer Dank für die Finanzierung gilt der Rektorin<br />

des Universität Mozarteum, Frau Prof. Elisabeth Gutjahr<br />

und Frau Vize-Rektorin Anastasia Weinberger. Ohne diese<br />

finanzielle Grundlage wäre der Druck dieses Buches nicht<br />

möglich gewesen.<br />

Wenn wir schon bei der Finanzierung sind: Hierbei gilt unser<br />

Dank auch einem Privatsponsor, der nicht erwähnt werden<br />

will. Hilfe ohne darüber zu reden, ist in der heutigen Zeit<br />

der umfassenden public relations eine Seltenheit, die wir zu<br />

schätzen wissen. Danke.<br />

Wenn die Texte kaum mehr sprachliche Mängel und Tippfehler<br />

aufweisen, so ist dies das Verdienst von Edith Leitner,<br />

nebenbei stv. Bibliotheksleiterin (in ihrer Bescheidenheit<br />

möchte sie nicht als Bibliotheksdirektorin bezeichnet werden).<br />

Vielen herzlichen Dank!<br />

Für den literarischen Teil ist Heinrich von Kleist und meiner<br />

Tochter Pia Lohfeld zu danken. Dem ersteren danke ich<br />

wegen seiner Schrift über das <strong>Marionetten</strong>theater, die sehr<br />

viel Interessantes enthält, aber auch einzelne Aspekte, die<br />

mich einfach nur wütend gemacht haben und so einen<br />

Text evozierten, den ich Rewriting Kleist nannte. Zweiterer<br />

möchte ich danken, weil sie mich inspiriert hat. Hier darf ich<br />

verraten, dass sie es ist, die hinter der Abkürzung P. steht.<br />

Ganz besonderer Dank gilt unserem Verleger, Michael<br />

Hüttler und dem Hollitzer Verlag. Es ist wahrlich nicht<br />

selbstverständlich, dass die Autoren eines Buches die volle<br />

Freiheit der Gestaltung bekommen. Fabian und ich, wir<br />

haben nicht nur die Inhalte produziert, sondern auch das<br />

Layout bis in die kleinsten Details gestaltet und gestalten<br />

dürfen. Ob dahinter auch ein Können steht, wird dieses Buch<br />

erweisen, aber das Vertrauen des Verlegers, uns machen zu<br />

lassen, ist nicht hoch genug einzuschätzen und dafür wollen<br />

wir einen ganz speziellen Dank abstatten.<br />

Zuletzt möchte ich mich bei meinem Sohn und Mitstreiter,<br />

Fabian Kitzberger, bedanken. Wir haben seit seiner Kindheit<br />

ständig die verschiedensten Projekte unternommen. Es<br />

kursiert unter den Kindern der Witz, dass sie gerne einmal<br />

nichts tun und sich gerne einmal nur langweilen würden,<br />

wenn wir zusammen sind. Letztlich setzt sich dann aber<br />

sehr schnell das Spiel durch und das nächste Projekt<br />

wird angegangen. Eines der größeren Projekte 2 , das wir<br />

durchgeführt haben, ist hier zu einem Endpunkt – naja,<br />

sag niemals nie – zumindest zu einem Zwischenergebnis<br />

gekommen.<br />

Schauen wir einmal, welches Projekt als nächstes zu einem<br />

Buch heranreift.<br />

2 Ein anderes größeres Projekt war und ist zusammen mit Pia Lohfeld: D-E-K-Z, Die Elfen kehren zurück. Dieses Projekt hat sogar einen Playing Arts Award in Frankfurt<br />

bekommen. Das Buch dazu ist noch in der Entwicklungsphase.<br />

11


<strong>Flambierte</strong> <strong>Dias</strong><br />

Ein Pimp-Up-Verfahren für alte Diapositive<br />

Persönliche Vorbemerkung<br />

Eine formale Photographen-Ausbildung habe ich nicht. Ich<br />

bin jedoch mit Photographie aufgewachsen. Mein Onkel,<br />

Karl Wimmer, war Photograph und Weltreisender. Wenn er<br />

wieder einmal von einer Reise zurückkam, gab es einen Dia-<br />

Vortrag im privaten Rahmen. Später ist mir klar geworden,<br />

dass er diese Gelegenheit gleichsam als Generalprobe benutzte,<br />

bevor er öffentliche Vorträge hielt. Photographie bedeutete<br />

in den 1970er-Jahren: Diapositive (slides) im Kleinbildformat<br />

(24 x 36 mm). Die lichtempfindliche Beschichtung war<br />

damals zu einer Qualität herangereift, dass mit einem guten<br />

Projektor und einer entsprechenden Leinwand Bilder von<br />

einer Leuchtkraft und einem Farbenreichtum gezeigt werden<br />

konnten, die unglaublich und faszinierend waren.<br />

Es gab lediglich eine Steigerung: <strong>Dias</strong> im Mittelformat.<br />

Diese waren wesentlich größer und brachten eine noch viel<br />

größere Detailzeichnung und Leuchtkraft auf die Leinwand.<br />

Dies benötigte jedoch eine vollkommen andere Ausrüstung<br />

(sowohl Kamera als auch Projektor), die wegen ihrer Größe<br />

und wegen der geringen Verfügbarkeit von entsprechendem<br />

Filmmaterial (und auch wegen der höheren Kosten) für<br />

Reisereportagen nicht geeignet war. Mein Onkel, mein Vater<br />

und ich, wir blieben beim Kleinformat, was auch den Vorteil<br />

hatte, dass wir uns die Ausrüstung gegenseitig ausleihen<br />

konnten.<br />

Der Wert von analogem Filmmaterial<br />

Für jüngere Leserinnen und Leser möchte ich noch paar Sätze<br />

über analoges Filmmaterial schreiben. Zu photographieren<br />

heißt heute: Finger auf den Auslöser und knipsen, was das<br />

Zeug hält. Dann suche ich mir aus den Digitalbildern aus,<br />

was ich brauche und lösche die anderen, respektive ich<br />

verwende eine neue SD-Karte, weil mir irgendwann das<br />

Löschen zu lästig wird. Ein Digitalbild aufzunehmen, kostet<br />

praktisch nichts.<br />

Heute ist es fast unvorstellbar, dass Photographieren einmal<br />

teuer und zeitaufwändig war. Ein Papierbild, ein Dia war<br />

auch materiell etwas wert!<br />

Neben der Kamera brauchte man einen Film. Allein die<br />

Frage, zu welchem Film man greift, war ein Thema für<br />

endlose Diskussionen. Jeder Hersteller hatte seine Stärken<br />

und Schwächen und daneben musste man auch noch<br />

eine Vorstellung davon haben, welche Lichtsituation dort<br />

sein wird, wo das Bild entstehen soll, denn je nachdem<br />

musste ein mehr oder weniger lichtempfindlicher Film<br />

angeschafft werden. (ISO oder ASA-100 war die gängigste<br />

Lichtempfindlichkeit, die für die meisten Erfordernisse ein<br />

guter Durchschnitt war, aber es gab auch für Situationen<br />

mit weniger Licht ASA-200, ASA-400, ASA-800 und<br />

sogar ASA-1600-Filme.) Ein Film mit einer höheren ASA-<br />

Zahl war lichtempfindlicher, man konnte also bei weniger<br />

Licht, z.B. am Abend sehr gute Bilder machen, aber dies<br />

ging zu Lasten der Körnigkeit. Diese Bilder waren dann<br />

nicht so scharf, Photograph*innen sprechen davon, dass das<br />

Bild körnig sei. In die andere Richtung geht es umgekehrt:<br />

13


Es gab auch Filme unter ASA-100. Diese brauchten dann<br />

noch mehr Licht, boten jedoch eine noch höhere Schärfe und<br />

Auflösung. Damit habe ich jedoch keine eigene Erfahrung.<br />

Heute, da kaum jemand mehr auf Film photographiert,<br />

kann ich den ultimativen Trick meines Onkels verraten: Ein<br />

Fuji-100-Film belichtet auf 120 ASA! Das klingt für Nicht-<br />

Eingeweihte harmlos, rein technisch, war für mich damals<br />

jedoch emotional aufgeladen, als wäre ich gerade im Begriff<br />

ein Verbrechen zu begehen. Dazu muss man wissen: Eines<br />

der unumstößlichen Gesetze der Photographie lautete: Film<br />

einlegen und die vom Hersteller vorgeschriebene ASA-Zahl<br />

in der Kamera einstellen. Eine falsche ASA-Zahl einzustellen,<br />

führte dazu, dass ich mich umdrehte um zu schauen, ob<br />

nicht ein Agent des Herstellers mich beobachtete. Einen<br />

100-ASA-Film auf 120 belichten, das konnte nur meinem<br />

Onkel einfallen. Und natürlich haben sowohl mein Vater<br />

als auch ich diesen Trick angewendet, mit durchwegs gutem<br />

Erfolg.<br />

Nicht ganz einer Meinung war ich mit meinem Onkel<br />

bei der Wahl des Herstellers. Die Fuji-Filme brachten die<br />

besten Ergebnisse im Grün-Bereich. Unglaublich, welche<br />

Abstufungen sie wiederzugeben vermochten. Für Reise- und<br />

Landschaftsphotographie gab es (zumindest für uns) nichts<br />

anderes. Ich verlegte mich jedoch schon recht bald auf die<br />

eher künstlerische Photographie und dabei gefiel mir gerade<br />

die etwas höhere Körnigkeit. Auch die Nicht-Farbechtheit<br />

respektive die Fehl-Farbigkeit brachte erstaunliche Effekte<br />

hervor. So wurden der Ektachrome-200 und besonders der<br />

Ektachrome-400 zu meinen absoluten Lieblingsfilmen. Was<br />

nicht heißt, dass ich ausschließlich diese verwendet hätte,<br />

aber ich freute mich jeweils ganz besonders, wenn ich einen<br />

dieser Filme einlegte.<br />

Da sind wir nun beim nächsten Schritt: Das Einlegen des<br />

Films. Dies war nicht wirklich kompliziert, aber es musste<br />

mit Geschicklichkeit und Sorgfalt unternommen werden.<br />

Man musste jedoch einen Film nicht nur einlegen können,<br />

sondern man musste dies unter allen möglichen widrigen<br />

Bedingungen tun können. Während heute Hunderte<br />

von Aufnahmen gemacht werden können, ohne dass eine<br />

SD-Karte gewechselt werden muss, so waren damals 36<br />

Aufnahmen möglich, mehr nicht, dann musste der Film<br />

gewechselt werden. Das bedeutete unter Umständen:<br />

Filmwechseln auch mitten im Trubel eines indischen<br />

Festes mit Tanz und Musik und tausend dicht gedrängten<br />

Menschen. Dann waren wieder 36 Aufnahmen möglich.<br />

Ich habe mir damals sehr genau überlegt, wann ich auf<br />

den Auslöser drücke. Während ich heute, wenn ich digital<br />

photographiere, eher einmal mehr auf den Auslöser<br />

drücke, um ein gutes Bild womöglich nicht zu verpassen, so<br />

drückte ich damals eher einmal weniger auf den Auslöser,<br />

um kein Filmmaterial zu verschwenden. Auch wenn die<br />

Verschlusszeiten heute wie damals gleich sind, so war damals<br />

das Photographieren doch eine eher langsame Angelegenheit.<br />

Vorher wurde genau geschaut und überlegt.<br />

Ein weiterer großer Unterschied: Es war nicht möglich,<br />

die Bilder gleich einmal anzusehen. Erst musste der Film<br />

aus der Kamera herausgenommen werden und in ein<br />

Photofachgeschäft zum Entwickeln gebracht werden. (Mein<br />

Onkel konnte auch selbst entwickeln und ich habe die<br />

Grundzüge gelernt, aber der Aufwand sprach überhaupt<br />

14


nicht dafür, das selbst zu machen.) Nach etwa einer Woche<br />

bekam man den entwickelten Film zurück. Nebenbei noch<br />

ein Tipp von meinem Onkel: Bei jedem neu eingelegten<br />

Film als erstes Bild die eigene Visitenkarte photographieren.<br />

Falls im Labor etwas durcheinandergeht und der Film nicht<br />

mehr der richtigen Hülle zugeordnet werden kann (was<br />

gelegentlich vorkam), dann kann der Besitzer am Film selbst<br />

eruiert werden.<br />

Wenn ich die entwickelten Filmstreifen im Geschäft abholte,<br />

konnte ich sie immer noch nicht groß betrachten. Ich konnte<br />

sie mir zwar mit einer Lupe, oder einem speziellen Betrachter<br />

ansehen, aber mehr als eine ungefähre Beurteilung, ob das<br />

Bild gelungen ist oder nicht, war dadurch nicht möglich. Der<br />

Diafilm musste erst in Einzelbilder geschnitten werden (eine<br />

durchaus heikle Angelegenheit, weil jeder Fehlschnitt nicht<br />

mehr zu korrigieren war). Dann musste das Einzelbild in<br />

einem Diarahmen gerahmt und in einen Schlitten gesteckt<br />

werden, der in einen Projektor eingelegt wurde. Wenn nun<br />

der Raum dunkel genug war, dann konnte man die Bilder<br />

projizieren und erstmals richtig betrachten.<br />

Von analogen Kameras<br />

Heute, da wir mit allen möglichen Geräten Bilder von<br />

erstaunlich guter Qualität machen können, bedenken wir<br />

kaum noch, dass früher eine Kamera die einzige Möglichkeit<br />

der Bildproduktion war – und eine Kamera war etwas<br />

Besonderes!<br />

Ende der 1980er-Jahre bekam ich die alte Kamera von<br />

meinem Vater geschenkt (eine Pentax ME mit einem 50 mm<br />

Festbrennweitenobjektiv), weil er sich eine neue kaufte (er<br />

stieg damals auf Nikon um). So habe ich zu photographieren<br />

begonnen.<br />

Anfang der 1990er-Jahre habe ich mir meine erste eigene<br />

Kamera gekauft, eine Pentax Z-1. Die größte Neuerung<br />

damals war, dass ich den Film nicht selbst mit einem kleinen<br />

Hebel weiterspulen musste, sondern dass dies ein kleiner<br />

Motor automatisch für mich erledigte. Damit waren nun<br />

mehrere Bilder in der Sekunde möglich. Es klickte wie ein<br />

kleines Maschinengewehr, wenn ich schnell einige Bilder<br />

hintereinander schoss.<br />

Mir geht es hier jedoch nicht um eine Photographen-<br />

Biographie, sondern ich musste dies erzählen um deutlich<br />

zu machen, wie wertvoll ein einzelnes Dia war, sowohl<br />

finanziell, vom Zeitaufwand her als auch emotional.<br />

<strong>Dias</strong> und ihre Lagerung<br />

Um das Jahr 2000 herum kam mein beträchtlich<br />

angewachsener Bestand an <strong>Dias</strong> von zwei Seiten unter<br />

Druck – und wie ich durch Gespräche weiß, ging es vielen<br />

anderen ebenso. Die vielen Tausend <strong>Dias</strong> stellten langsam<br />

aber sicher ein Lagerungsproblem dar. Einerseits entstand<br />

ein Platzproblem, andererseits kamen auch konservatorische<br />

Fragen auf. Über Jahrzehnte verblassen die Farben, schlechtes<br />

Filmmaterial bekommt zudem einen Rotstich.<br />

Wenn es sich um gutes Filmmaterial handelt und dieses<br />

einigermaßen gut gelagert ist, kann es noch einige<br />

15


Jahrzehnte die volle Farbfrische erhalten. Ein Dia ist jedoch<br />

konservatorisch gesehen kein Langzeitträgermedium (wie<br />

z.B. ein Ölbild).<br />

Was tun mit alten <strong>Dias</strong>?<br />

Die Frage wurde also virulent: Was mache ich mit meinen<br />

vielen <strong>Dias</strong>?<br />

Die guten <strong>Dias</strong> hebe ich natürlich auf, aber was mache ich<br />

mit denen, die des Archivierens eigentlich nicht würdig<br />

sind? Im Grunde ist dieses Problem einfach zu lösen: Ab<br />

damit in den Müll, Problem beseitigt. <strong>Dias</strong> waren und sind<br />

jedoch für mich in jeder Beziehung wertvoll. Es ist völlig<br />

ausgeschlossen, sie einfach zu entsorgen.<br />

Von ganz unerwarteter Seite kam eine Lösung. Allerdings<br />

stellte sich heraus, dass auch diese Lösung Folgeprobleme mit<br />

sich brachte, die durchaus nicht kleiner waren. Die Lösung<br />

war das Playing Arts Projekt <strong>Flambierte</strong> <strong>Dias</strong>. Weil ich diesem<br />

Projekt ein eigenes Kapitel in diesem Buch gewidmet habe,<br />

kann ich hier auf die Beschreibung des Projekt-Verlaufes<br />

verzichten und gleich auf das Ergebnis eingehen.<br />

Das Verfahren geht über folgende Schritte:<br />

1. Man nehme alte <strong>Dias</strong> (Diapositive, slides) und<br />

flambiere sie über einer Kerzenflamme.<br />

2. Die flambierten <strong>Dias</strong> digitalisieren.<br />

3. Die Digitalbilder elektronisch überarbeiten<br />

/ überspielen (Filterspiele).<br />

Sehen wir uns diese Überarbeitungen – ich spreche in<br />

diesem Fall gerne von Überspielungen – genauer an:<br />

Erstens: Flambieren<br />

Der Begriff ist nicht ganz korrekt. Flambieren heißt: eine<br />

alkoholisch hochprozentige Flüssigkeit über eine Süßspeise<br />

zu leeren und anzuzünden. Dieses Vorgehen war auch<br />

tatsächlich die erste Versuchsreihe, die ich anstellte. Ich<br />

tropfte reinen Alkohol auf die Filmschicht und entzündete<br />

sie. Ich erwartete, dass das Dia vollkommen durch- und<br />

verbrennen werde, schließlich ist Zelluloid dafür bekannt,<br />

leicht brennbar zu sein. Zu meinem großen Erstaunen<br />

passierte gar nichts. Der Alkohol verbrannte einfach in einer<br />

blauen Flamme und das war es auch schon wieder. Wenn<br />

man sich dies in Ruhe überlegt, ist dieses Ergebnis nicht<br />

erstaunlich: Die Hitzeentwicklung geht nach oben, nach<br />

unten entwickelt sich kaum Hitze. Auf diesem Effekt basiert<br />

auch der Zaubertrick, eine Flamme in der Hand zu halten<br />

– aber bitte nicht ausprobieren, der Trick ist noch etwas<br />

komplexer!<br />

Was ich aus diesen ersten Versuchen lernte: Das Feuer darf<br />

nicht auf dem Dia sein, sondern das Dia muss über dem<br />

Feuer sein. So entstand die naheliegende Idee mit einer<br />

Kerze. Ich hielt die <strong>Dias</strong> über die Kerzenflamme. Das ist nun<br />

eigentlich der umgekehrte Vorgang wie beim Flambieren,<br />

aber dafür gibt es keinen rechten Begriff, sodass die<br />

Bezeichnung flambierte <strong>Dias</strong> beibehalten wurde.<br />

16


Ein Dia über eine Kerzenflamme zu halten, ist ein überaus<br />

spannender Vorgang. Zunächst passiert erstaunlich lange<br />

Sekunden gar nichts. Dann plötzlich schlägt die Filmschicht<br />

Blasen und beginnt zu rauchen und einen Moment später<br />

brennt das ganze Dia durch. Die Kunst besteht nun darin,<br />

das Dia in der Sekunde bevor es durchbrennt von der<br />

Kerzenflamme wegzuziehen. Naturgemäß weiß man erst<br />

dann, wenn das Dia durchgebrannt und hoffnungslos<br />

verloren ist, dass die Sekunde davor der richtige Zeitpunkt<br />

gewesen wäre. Es bleibt also spannend.<br />

Wenn man allerdings den richtigen Zeitpunkt erwischt, dann<br />

ergibt dies erstaunliche Ergebnisse. Die Filmschicht schlägt<br />

Blasen in allen erdenklichen Farben und Formen. Dadurch<br />

entstehen völlig neue Bildräume.<br />

Es sind auch verschiedene Modifikationen möglich: Säure auf<br />

die Filmschicht aufgebracht, ergibt wieder andere Effekte als<br />

Wassertropfen. Zusätzlich kann die Filmschicht mechanisch<br />

(z.B. mit einem Schnitzmesser) bearbeitet werden. Dem<br />

Experimentieren sind hierbei keine Grenzen gesetzt.<br />

Zweitens: Digitalisieren<br />

So einfach das „Digitalisieren“ klingt, so liegt die Tücke<br />

doch im Detail. Nach dem Vorgang des Flambierens haben<br />

wir gewellte und halb verbrannte, manchmal mit Ruß<br />

überzogene <strong>Dias</strong> vor uns, mitunter ist auch der Rahmen<br />

total verzogen. Eine automatisierte Digitalisierung kommt<br />

also nicht in Frage. Wir haben folgendes ausprobiert: Wir<br />

haben die mit einem Projektor auf Leinwand projizierten<br />

<strong>Dias</strong> abphotographiert. Die Ergebnisse wurden sogar<br />

ziemlich gut, jedoch war die Schärfeneinstellung ein nicht zu<br />

bewältigendes Problem. <strong>Dias</strong> haben generell die Eigenschaft,<br />

dass sie „springen“ während sie projiziert werden. Das<br />

heißt: Die heiße Luft des Projektors führt dazu, dass sich<br />

das Zelluloid ausdehnen will, das kann es jedoch nicht,<br />

weil es in einem Rahmen fest eingespannt ist. Dadurch<br />

baut sich eine Spannung auf, die plötzlich dazu führt, dass<br />

sich das Dia wellt, wodurch die Schärfe auf der Projektion<br />

verloren geht und nachgestellt werden muss. Wenn nun,<br />

wie bei flambierten <strong>Dias</strong> durchwegs der Fall, das Dia<br />

obendrein bereits gewellt ist, haben wir es mit zwei oder<br />

17


drei Schärfeeinstellungen zu tun. Wir haben diesen Weg<br />

schließlich aufgegeben.<br />

Die nächsten Versuche haben wir mit der Handykamera<br />

gemacht. Wir haben uns dazu extra eine Vorrichtung gebaut,<br />

damit das Dia von hinten gleichmäßig beleuchtet wird.<br />

Die Ergebnisse wurden relativ gut, aber eine befriedigende<br />

Auflösung, die wir für Bilder in einem Buch brauchen,<br />

haben wir auf diesem Wege nicht erreicht.<br />

Schließlich haben wir einen Weg gefunden, der sich<br />

bewährt hat: Auf meine Pentax K1 Digitalkamera mit einem<br />

50 mm‐Festbrennweitenobjektiv schraubte ich einen Vorsatz<br />

mit integrierter Nahlinse und Halterung für die <strong>Dias</strong>. Als<br />

Lichtquelle hat sich ein bewölkter Himmel bewährt.<br />

Obwohl ich mit dieser Methode sehr gute Ergebnisse<br />

erzielte, war es dennoch notwendig, zwei mit verschiedener<br />

Belichtung und manchmal auch zwei mit verschiedener<br />

Schärfentiefe aufgenommene Digitalbilder zu einem<br />

einzigen druckfähigen Bild zusammenzufügen.<br />

Drittens: Filterspiele<br />

Manche Digitalbilder unterzogen wir noch einem weiteren<br />

Überarbeitungsschritt, den wir Filterspiele nannten. Für<br />

das Bildbearbeitungsprogramm GIMP gibt es eine Vielzahl<br />

von sehr komplexen Filtern. In vielen Fällen machten<br />

wir eine Kopie des Ausgangsbildes, wendeten auf beide<br />

Bilder verschiedene Filter an und fügten die Bilder durch<br />

Überlagerung zusammen. Dazu kommen noch verschiedene<br />

Farbkorrekturen, Kontrasterhöhungen, Farbdrehungen,<br />

Korrekturen der Belichtungswerte und vieles andere mehr.<br />

Insgesamt war dies ein sehr komplexer Vorgang und wir<br />

können von den meisten Bildern gar nicht mehr sagen, durch<br />

welche Operationen sie letztlich tatsächlich entstanden<br />

sind. Bei diesen Filterspielen war uns wichtig, nicht einfach<br />

einen lustigen Effekt zu erzielen, sondern neue Bild- und<br />

Farbräume zu finden.<br />

Wenn wir auch die meisten Ergebnisse wieder verworfen<br />

haben, so hatten wir doch sehr viel Spaß bei der Bildproduktion.<br />

Die schwierige Auswahl<br />

Nach einiger Zeit hatten wir Hunderte von Digitalbildern<br />

auf unseren verschiedenen Festplatten. Wir standen vor der<br />

schwierigen Aufgabe der Auswahl. Welche Bilder sollen in<br />

das Buch aufgenommen werden?<br />

Wieder einmal war uns Nurjehan Gottschild eine große<br />

Hilfe. Zu dritt saßen wir vor einem großen Bildschirm und<br />

gingen Kapitel für Kapitel und Bild für Bild durch. Jedes<br />

Bild wurde einer Abstimmung unterworfen. Dabei war<br />

es durchaus hilfreich, dass wir drei Personen waren, weil<br />

dadurch sofort eine Mehrheit hergestellt werden konnte.<br />

Viele meiner Lieblingsbilder fanden keine Aufnahme<br />

ins Buch, aber es gibt schließlich noch andere Wege der<br />

Veröffentlichung. Meine aussortierten Lieblingsbilder habe<br />

ich auf meiner Homepage veröffentlicht.<br />

Viel Freude mit den Bildern in diesem Buch oder beim<br />

Besuch meiner Homepage!<br />

18


20


Das Making-Of<br />

Entstehung und Verlauf des Playing Arts Projektes<br />

<strong>Flambierte</strong> <strong>Dias</strong>: <strong>Marionetten</strong><br />

Der Rahmen – das Setting<br />

Ab 1995 wurden im Burckhardthaus bei Frankfurt von<br />

dem dortigen Dozenten Christoph Riemer Kurse und<br />

Sommerateliers in der neuen Form der kreativ-schöpferischen<br />

Spielpädagogik – für die ich später die Bezeichnung Playing<br />

Arts erfunden habe – abgehalten. Immer wieder war ich<br />

dort als Gastdozent eingeladen, ich war jedoch auch immer<br />

wieder als Teilnehmer dabei. Dies machte ich bewusst,<br />

um auch die andere Seite des spielpädagogischen Settings<br />

kennen zu lernen und selbst zu spielen. Außerdem gab mir<br />

dies Gelegenheit, an meinen eigenen Projekten zu arbeiten<br />

respektive zu spielen.<br />

Die Stimmung, die damals in den Kursen herrschte, war<br />

geprägt vom Geist des Forschens mit ästhetischen Mitteln.<br />

Wir besetzten im Bildungshaus verschiedene Räume und<br />

nannten sie Labore. Weil wir uns als Forscher respektive<br />

Forscherin in einem künstlerischen Kreativ-Labor fühlten,<br />

haben wir weiße Labor-Kittel angezogen, uns gegenseitig<br />

mit „Frau Kollegin“ und „Herr Kollege“ angesprochen, und<br />

uns gegenseitig bei jeder Begegnung gefragt „woran forschen<br />

sie gerade?“.<br />

Ich führte damals auch ein Labor-Buch, in das ich kurze<br />

Bemerkungen zu meinen Spiel-Erfahrungen und allgemeine<br />

Beobachtungen eintrug und Photos einklebte. In dem<br />

Labor-Buch vom Jänner 1999 findet sich ein Bild, auf<br />

dem ich in weißem Kittel zu sehen bin, wie ich gerade die<br />

ersten überarbeiteten beziehungsweise überspielten <strong>Dias</strong><br />

projizierte. Übrigens waren die damaligen Ergebnisse in<br />

keiner Weise überzeugend – noch nicht.<br />

Neben den Laboren, in denen jede und jeder für sich forschte<br />

und spielte, gab es auch Räume, in denen gemeinsam an<br />

Projekten gearbeitet und gespielt worden ist. Das war<br />

vor allem dann der Fall, wenn sich Themen und Spuren<br />

(das spielend-kreative Verfolgen eines Themas) sinnvoll<br />

ergänzten: Jemand will mit Photographie experimentieren<br />

und jemand anderer möchte mit Verkleidungen spielen und<br />

braucht davon Bilder. So kann es für beide Seiten lohnend<br />

sein, wenn sie sich zusammentun. Die eine macht Photos<br />

und der andere stellt sich in Verkleidungen als Modell zur<br />

Verfügung.<br />

An ein eindrückliches, ziemlich handfestes gemeinsames<br />

Experimentieren erinnere ich mich heute noch gerne. Dazu<br />

muss man Folgendes wissen: Vor allem die männlichen<br />

Teilnehmer aus den ehemaligen ostdeutschen Gebieten<br />

haben damals sehr körperbezogene Themen eingebracht.<br />

Häufig wurde thematisch zu Körper, Haut, Männlichkeit<br />

und dergleichen geforscht und gespielt. Ein Teilnehmer<br />

wollte die Erfahrung machen, wie es sich anfühlt, wenn<br />

sich Männer balgen und raufen wie es junge Knaben tun.<br />

Dies konnte er naturgemäß nicht alleine machen. So hat<br />

er Mitspieler gesucht. Es war nicht schwer. Kurze Zeit<br />

später tobte im Gruppenraum eine Horde von Männern,<br />

jeder gegen jeden. Dies ist für mich auch heute noch ein<br />

eindrückliches Beispiel für den Unterschied zwischen rein<br />

gedanklicher Erinnerung und tatsächlicher Erfahrung.<br />

Natürlich kann ich mich an meine Zeit als Kinder erinnern<br />

und wie es war, als ich mit Freunden gerauft habe. Natürlich<br />

weiß ich (aufgrund meiner Erinnerung) wie das war, und ich<br />

weiß auch, dass dies Erwachsene nicht tun und nicht zu tun<br />

21


auchen, weil sie ohnehin schon wissen, wie das ist. Es als<br />

Erwachsener dann tatsächlich zu tun (zu spielen im Sinne<br />

von rough and tumble play), hat jedoch eine ganz andere<br />

Qualität und führt zu neuen Erfahrungen. Dies lediglich als<br />

Beispiel.<br />

In den meisten Fällen ging es viel ruhiger und gesitteter<br />

zu, aber die innere Dynamik war auch in den nach außen<br />

hin weniger spektakulären Spielen gleich dringlich. Es ging<br />

jeweils um etwas persönlich Wesentliches.<br />

Die ersten Überarbeitungen /<br />

Überspielungen von <strong>Dias</strong><br />

Um richtig zu verstehen, was damals passierte, muss ich<br />

etwas weiter ausholen.<br />

In normalen Bildungskursen gibt es eine klare Trennung<br />

und Rollenverteilung zwischen den Kursleiter*innen und<br />

den Teilnehmer*innen. Die ersteren sagen, was zu tun ist, sie<br />

geben die Regeln vor. Die zweiteren führen aus, machen mit<br />

und lernen. In Playing Arts Kursen ist diese Rollenverteilung<br />

obsolet. Wir alle sind Forschende und Spielende. Von Playing<br />

Artists wird ausdrücklich gefordert, dass sie auch selbst<br />

spielen. Die Leiter*innen eines Playing Arts Kurses verstehen<br />

sich mehr als Mentor*innen. Sie garantieren den Rahmen<br />

und begleiten kreativ-schöpferische Prozesse. Daneben,<br />

oder manchmal auch hauptsächlich, spielen sie selbst und<br />

sind damit auch für die anderen anregend. Es entsteht ein<br />

gemeinsames kreatives Feld, das untereinander Kreativität<br />

fördert, indem z.B. aus den Augenwinkeln wahrgenommen<br />

wird, was eine Spiel-Kollegin macht und mich dies auf eine<br />

eigene Idee bringt. Diese gegenseitigen Anregungen sind<br />

kaum zu dokumentieren und damit nicht zu analysieren, sie<br />

stellen jedoch eine wichtige Quelle des Schöpferischen dar.<br />

Dies zum Verständnis meiner Rolle als Gastdozent.<br />

Es stand wieder ein Kurs im Burckhardthaus an, zu dem ich<br />

als Dozent geladen war. Meine Vorbereitung bestand eben<br />

nicht darin, dass ich mir überlegt hätte, was die anderen<br />

spielen könnten und sollten, sondern sie bestand darin,<br />

genau dasselbe zu tun, wie alle anderen Teilnehmer*innen<br />

auch. Diese Vorbereitung sah folgendermaßen aus:<br />

Einige Wochen vor jedem Atelier bekommen die<br />

Teilnehmer*innen einen Brief, in dem um die Bekanntgabe<br />

eines Themas gebeten wird und die Aufforderung: Nehmen<br />

Sie alles mit, was Ihnen in den nächsten Wochen auffällt und<br />

irgendwie mit Ihrem Thema zu hat, ohne dass Sie dafür eine<br />

Begründung geben müssen. Weiters: Nehmen Sie darüber<br />

hinaus alles mit, was zwar nichts mit ihrem Thema zu tun<br />

hat, aber ein Material darstellt, mit dem Sie immer schon<br />

einmal ins Spiel kommen wollten.<br />

Soweit der Brief zur Vorbereitung.<br />

In den Wochen vor dem Atelier ist mir eine Schachtel mit<br />

alten <strong>Dias</strong>, die ich aussortiert habe, in die Hände gefallen.<br />

Ohne großartig darüber nachzudenken, habe ich sie<br />

eingepackt.<br />

Dies war der eigentliche Beginn des Projektes <strong>Flambierte</strong><br />

<strong>Dias</strong>: <strong>Marionetten</strong>, es war Jänner 1999 und es sollte noch 20<br />

Jahre dauern, bis daraus ein Buchprojekt entstand.<br />

Ich kann den Beginn des Dia-Projektes genau datieren: Das<br />

Playing Arts Atelier fand vom 25. bis 31.Jänner 1999 statt.<br />

22


Warum ich dies so genau weiß? Weil ich wie ein Forscher und<br />

Wissenschafter – der ich in einer witzigen Verdopplung von<br />

Spiel und Leben ja auch tatsächlich bin – das schon erwähnte<br />

Laborbuch führte, in das ich alle Ergebnisse und Erkenntnisse<br />

eintrug, die ich durch das kreative Spiel gewonnen hatte.<br />

Das Laborbuch habe ich noch und darin fand ich die<br />

entsprechende Eintragung, wie ich unten noch erklären<br />

werde.<br />

Bei der Zusammenkunft werden dann die einzelnen Ateliers<br />

(wir können auch sagen Forschungs-Labore) mit den<br />

mitgebrachten Gegenständen und Geräten eingerichtet.<br />

Dies bildet in der Folge den Ausgangspunkt für das kreative<br />

Spiel. Die mitgebrachten Gegenstände können aufgegriffen<br />

werden, sie können sich jedoch auch als unwichtig und<br />

unbrauchbar herausstellen.<br />

Ich hatte also – unter anderem – diese <strong>Dias</strong> dabei. Während<br />

des Kurses habe ich die <strong>Dias</strong> als Spielmaterial verwendet,<br />

als Ausgangmaterial für verschiedene Dekonstruktionen,<br />

Formveränderungen, Überlagerungen, Überarbeitungen,<br />

Überspielungen, wie auch immer wir das bezeichnen wollen.<br />

Ich kratzte mit einer Nadel in die Filmschicht. Ich zerkratzte<br />

die Filmschicht mit einem Schnitzmesser. Ich leerte<br />

Terpentin über das Dia. Ein anderes Diapositiv tauchte ich<br />

in Petroleum. Ich probierte alle möglichen Säuren und Basen<br />

aus (Essigsäure, Putzmittel, Möbelpolitur, Fensterreiniger).<br />

Ich leerte Farben darauf. Das Ergebnis war immer nur<br />

langweilig. So verletzlich mir die <strong>Dias</strong> früher erschienen sind<br />

(schon ein Staubkörnchen konnte in der Projektion den<br />

Gesamteindruck stören und erst recht ein Fingerabdruck!),<br />

so unkaputtbar stellten sie sich nun heraus. Sie veränderten<br />

weder Form noch Farbe. Die zerkratzten <strong>Dias</strong> sahen einfach<br />

nur zerkratzt aus. Sie nehmen auch keine Farbe an, diese<br />

perlt von ihnen ab ohne eine Spur zu hinterlassen.<br />

Enttäuscht und deprimiert wendete ich mich einem anderen<br />

Material zu.<br />

In mein Laborbuch machte ich eine kurze Eintragung: Die<br />

Umrisse eines <strong>Dias</strong> und die Unterschrift: Eine Bearbeitung.<br />

Der Umriss bleibt leer, es ist nichts herausgekommen.<br />

Aus Frustration wendete ich mich vom Spiel ab und gab<br />

mich stattdessen der Lektüre von Paul Goodman hin, was<br />

mich allerdings auch nicht sonderlich befriedigte. Noch<br />

heute wirkt dieser Eintrag einfach nur deprimierend auf<br />

mich.<br />

Das ist eben das Wesen des Spiels, dass es scheitern kann,<br />

nichts herauskommt, einfach nur langweilig ist. Zu einer<br />

anderen Zeit ist es wieder spannend und so überraschend,<br />

wie man dies nie erwartet hat. Nach dieser Erfahrung hätte<br />

23


ich niemals gedacht, dass dieses Spiel noch einmal so richtig<br />

zünden würde.<br />

Es kam anders.<br />

Der entscheidende Durchbruch des<br />

Projektes<br />

Anfang 2002 habe ich wieder einmal mit „meinen Buben“<br />

(österreichische Bezeichnung für Knabe, heute noch bei<br />

Kartenspielen üblich, z.B. Herz-Bube) gespielt. Damit<br />

sind meine beiden Neffen, mein Sohn Fabian und sein<br />

Halbbruder Philipp gemeint. Sie sind jeweils zwei Jahre<br />

auseinander und alle im Sternzeichen des Löwen geboren.<br />

Ausnahme ist der Kleinste, Philipp, er ist wesentlich jünger<br />

und ein Krebs-Geborener. Da ich in dieser Zeit alleine<br />

lebte, habe ich viel mit ihnen gespielt. So eine Runde junger<br />

Männer braucht naturgemäß action-reiche und gefährliche<br />

Spiele. Für mich war es naheliegend, das gescheiterte Projekt<br />

mit den <strong>Dias</strong> herauszuholen. Da sich die <strong>Dias</strong>, so dachte ich,<br />

ohnehin nicht überarbeiten lassen, kann ich sie genauso gut<br />

den Buben zum Verbrennen überlassen. Die <strong>Dias</strong> bestehen<br />

schließlich aus Zelluloid, das über einer Kerzenflamme<br />

schnell und spektakulär verbrennen würde. So dachte ich. Es<br />

war noch Winter und bald dunkel. Wir holten Zangen, um<br />

die <strong>Dias</strong> gefahrlos zu halten, zündeten Kerzen an und los ging<br />

das Abenteuer. Es wurde tatsächlich so abenteuerlich, wie<br />

ich es nicht erwartet hatte. Trotz des leicht entflammbaren<br />

Zelluloids wollten die <strong>Dias</strong> nicht so leicht verbrennen, wie<br />

ich mir dies gedacht hatte. Sie hielten lange der Flamme<br />

stand. Erst nach einiger Zeit verbrannten sie, oder besser<br />

gesagt, schmolzen sie sehr schnell zusammen. Es konnte<br />

nicht ausbleiben, dass wir die <strong>Dias</strong> genauer betrachteten, ob<br />

sie bereits Zeichen des baldigen Durchbrennens erkennen<br />

ließen. Als wir die <strong>Dias</strong> betrachteten, stellten wir zu unser aller<br />

und vor allem meinem Erstaunen fest, dass die Filmschicht,<br />

bevor sie verbrennt, Blasen bildet, und zwar nicht einfach<br />

irgendwelche Blasen, sondern farbenprächtige und<br />

formenreiche Blasen und seltsame Gebilde. Aus den alten<br />

Bildern entstanden völlig neue phantastische Bildwelten. Wir<br />

sammelten Erfahrung. Wenn wir die <strong>Dias</strong> lediglich kurz über<br />

die Flamme hielten, passierte gar nichts. Die schönsten Blasen<br />

bildeten sich kurz bevor die Trägerschicht durchbrannte.<br />

Das machte die Sache natürlich sehr spannend. Sobald die<br />

Flamme durch das Zelluloid brennt, ist das Bild verloren.<br />

Wir mussten das Dia also kurz vor dem Durchbrennen von<br />

der Flamme wegziehen, aber auch nicht so früh, dass noch<br />

keine Veränderung stattgefunden hat. Natürlich haben wir<br />

viele <strong>Dias</strong> unwiederbringlich vernichtet, aber es sind auch<br />

viele wundervolle neue Bilder entstanden.<br />

In der Folge habe ich mir von einigen <strong>Dias</strong> im Photogeschäft<br />

Papierbilder nachmachen lassen, damit ich die Ergebnisse<br />

nicht nur im Durchlicht betrachten kann, sondern auch als<br />

Papierbild. Die Ergebnisse waren tatsächlich überaus reizvoll.<br />

Ich nannte das Projekt flambierte <strong>Dias</strong>, was zwar nicht ganz<br />

korrekt ist, weil flambieren bedeutet, eine hochprozentige<br />

alkoholische Flüssigkeit auf eine Speise zu gießen und<br />

diese zu entzünden. Das haben wir mit den <strong>Dias</strong> zwar auch<br />

probiert, jedoch ohne Erfolg. Der Alkohol verbrennt ohne<br />

Rückstände. Mir fiel jedoch keine bessere Bezeichnung ein,<br />

24


weil Kerzenflammen-<strong>Dias</strong>, oder Fast-Durchgebrannte-<strong>Dias</strong><br />

zwar sozusagen methodisch richtig sind, aber man kann<br />

sich trotzdem darunter nichts vorstellen. So schien mir<br />

der Akt des Flambierens doch irgendwie richtiger zu sein.<br />

Das Flambieren ist ein bewusster Akt, Speisen (besonders<br />

spektakulär ist es natürlich, wenn man kalte Speisen wie Eis<br />

nimmt) dem Feuer auszusetzen. Genau das taten wir doch.<br />

Wir setzten ein Material, das unter keinen Umständen mit<br />

Feuer in Berührung gebracht werden sollte, weil es leicht<br />

brennbar ist, der Flamme einer Kerze aus. So hat sich die<br />

Bezeichnung flambierte <strong>Dias</strong> etabliert und sie scheint mir<br />

heute noch treffend zu sein.<br />

Noch ein Satz dazu, warum ich die Weiterentwicklung des<br />

Projektes zeitlich so präzise einordnen kann: In meinem<br />

Tagebuch findet sich unter April 2002 ein Polaroid-Bild (wer<br />

dies nicht mehr kennt: das ist ein Sofort-Bild, das mit einer<br />

speziellen Kamera gemacht wird und das Bild entwickelt<br />

sich innerhalb von ein paar Sekunden selbst, und ist dann<br />

ein Unikat) von der Tür meines Kühlschranks. Mit kleinen<br />

Magneten sind auf der Tür mehrere Bilder angebracht,<br />

unter anderem ein Bild, das von einem flambierten Dia<br />

nachgemacht ist. In der Bildunterschrift ist zu lesen: „Spiel<br />

– Playing Arts: Bild eines flambierten <strong>Dias</strong>.“ Das Polaroid<br />

ist leider zu klein als dass ich es hier als Abbildung bringen<br />

könnte.<br />

Seit dieser Zeit habe ich immer wieder <strong>Dias</strong> flambiert, mit<br />

meinen Kindern, aber auch in verschiedenen Kursen.<br />

Besonders eindringlich war eine Veranstaltung in Berlin, bei<br />

der eine Teilnehmerin so begeistert war, dass sie die ganze<br />

Nacht hindurch hunderte flambierte <strong>Dias</strong> produzierte. Es<br />

gibt die Überlegung, aus diesem Material ebenfalls ein Buch<br />

zu produzieren.<br />

Die <strong>Dias</strong> von den Salzburger<br />

<strong>Marionetten</strong><br />

Von den <strong>Dias</strong>, auf denen die Salzburger <strong>Marionetten</strong> zu<br />

sehen sind, hatte und habe ich viele, sehr viele. Was hat es<br />

damit für eine Bewandtnis?<br />

In den 1990er-Jahren konnte man an der Kasse des<br />

<strong>Marionetten</strong>theaters zur Erinnerung auch Postkarten und<br />

<strong>Dias</strong> von einzelnen Figuren oder von Opernszenen kaufen.<br />

Postkarten gibt es heute noch, aber der Verkauf von <strong>Dias</strong><br />

hat so um das Jahr 2000 in einer Weise nachgelassen, dass es<br />

sich nicht mehr auszahlte, <strong>Dias</strong> herzustellen. Kaum jemand<br />

hatten noch einen Projektor zuhause.<br />

Jetzt muss ich noch erwähnen, dass das Institut für<br />

Spielforschung, an dem ich damals als Assistent beschäftigt<br />

war und das Salzburger <strong>Marionetten</strong>theater im selben<br />

Gebäude untergebracht sind. (Übrigens im ehemaligen<br />

Hotel Mirabell, gleich hinter dem Landestheater, in dem<br />

auch das Spielcasino untergebracht war, bevor es einen noch<br />

mondäneren Standort gefunden hatte, nämlich das Hotel<br />

Winkler auf dem Mönchsberg, mit einem phantastischen<br />

Blick über die Altstadt von Salzburg. Heute hat das<br />

Spielcasino eine noch pompösere Adresse, nämlich Schloss<br />

Kleßheim.)<br />

Ich arbeitete also im selben Gebäude wie das<br />

<strong>Marionetten</strong>theater. Eines Tages fiel mir auf, dass vor dem<br />

25


Gebäude beim Sperrmüll einige graue Schachteln standen.<br />

Eine davon war geöffnet und zeigte den Inhalt: weiß<br />

gerahmte <strong>Dias</strong>. Auf einer Schachtel stand z.B. handschriftlich:<br />

„Z / Priester / Papageno.“<br />

Ich schnappte mir die fünf Schachteln und brachte sie<br />

ans Institut. Auch wenn ich keine Ahnung hatte, was ich<br />

damit machen wollte (meine ersten Versuche mit Dia-<br />

Überspielungen waren kurz vorher gescheitert), so hatte<br />

ich doch das Gefühl, ein wenig beachtetes, aber wertvolles<br />

Kulturgut vor der Vernichtung gerettet zu haben. Die<br />

Schachteln lagen in meinem Zimmer am Institut und<br />

blieben für ungefähr 20 Jahre unangetastet. Gleichsam im<br />

Dornröschen-Schlaf. Die Auferweckung kam, als im Frühjahr<br />

2020 ein Virus Europa und die halbe Welt lahmlegte. Warum<br />

feierten gerade in dieser Zeit die <strong>Dias</strong> von den Salzburger<br />

<strong>Marionetten</strong> ihre Auferstehung? Das kam so:<br />

An den Universitäten gab es keine Präsenz-Veranstaltungen<br />

mehr, sondern alles oder jedenfalls fast alles wurde auf<br />

online-Lehre umgestellt. Mein Sohn Fabian, der damals<br />

gerade in Wien an seiner Masterarbeit in Architektur schrieb,<br />

musste und wollte auch nicht in seinem WG-Zimmer in<br />

Wien sitzen. Er kam zu mir und wir verbrachten 6 Wochen<br />

des sogenannten lockdowns gemeinsam. Was sollten wir an<br />

den vielen Abenden tun, da man ohnehin nicht aus dem<br />

Haus gehen durfte und auch möglichst keine Verwandten-<br />

Besuche machen sollte? Wir flambierten <strong>Dias</strong> auf unserer<br />

Loggia. Häufig war auch meine Frau, Nurjehan Gottschild,<br />

dabei. Sie experimentierte in eine etwas andere Richtung.<br />

Als Ärztin ist sie mit Säuren und Basen bestens vertraut und<br />

machte Versuche mit Essigsäure und ähnlichen Substanzen.<br />

Wie das Überspielen der <strong>Dias</strong> genau vor sich geht, habe ich<br />

im Kapitel <strong>Flambierte</strong> <strong>Dias</strong>. Ein Pimp-Up-Verfahren für alte<br />

Diapositive genau beschrieben, wir können uns hier also<br />

darauf konzentrieren, was entstanden ist.<br />

Nurjehans Experimente führten zwar kaum zu brauchbaren<br />

Ergebnissen, aber sie führten zu Anregungen, die wir in der<br />

Folge weiterentwickelten:<br />

26


Flüssige Substanzen auf die Filmschicht getropft oder<br />

gesprüht, bevor man das Dia über die Kerzenflamme hält,<br />

ergeben erstaunliche Linseneffekte. Als würde man ein<br />

Vergrößerungsglas auf das Bild legen.<br />

Weil es doch ziemlich stinkt und raucht, machten wir dies<br />

lieber im Freien. Wir funktionierten die Loggia unserer<br />

Wohnung in eine Flambier-Werkstätte um, vor der<br />

großartigen Kulisse des Salzburger Untersbergs.<br />

Weil wir bei unserer massenhaften Produktion wirklich viele<br />

<strong>Dias</strong> benötigten, holte ich die Schachteln aus dem<br />

<strong>Marionetten</strong>theater hervor. Nun hatten wir also genügend<br />

Material. Als wir uns die Ergebnisse ansahen, stellten wir<br />

fest, dass wir nicht nur eine Methode entwickelt, sondern<br />

auch ein Thema gefunden hatten.<br />

Das Thema <strong>Flambierte</strong> <strong>Dias</strong>:<br />

<strong>Marionetten</strong><br />

Wir haben mit sehr vielen verschiedenen <strong>Dias</strong> experimentiert:<br />

Landschaftsaufnahmen, Reisebilder, Portraits und vieles<br />

andere mehr, aber die Überspielungen der <strong>Marionetten</strong>bilder<br />

hatten etwas ganz Besonderes. Das hängt mit folgendem<br />

Sachverhalt zusammen: Die Faszination der <strong>Marionetten</strong><br />

liegt in ihrer Bewegung. Es ist faszinierend, dass sich ein paar<br />

mit einem Faden verbundene Holzstücke (oder aus welchem<br />

Material sie auch immer gefertigt sind) bewegen können als<br />

ob sie lebendig wären. Wenn sie nicht bewegt werden und<br />

nicht in Körperspannung gehalten werden, dann hängen sie<br />

erbärmlich herum wie Stockfische.<br />

27


<strong>Dias</strong> sahen, waren wir überrascht: Es tat sich eine Wunderwelt<br />

auf, die zu den <strong>Marionetten</strong> nicht nur passte,<br />

sondern es sah aus, als würden die <strong>Marionetten</strong> in dieser<br />

Welt der Farb- und Formexplosionen leben. Durch die<br />

Verformungen verloren die Bilder den dokumentarischen<br />

Charakter (so sehen die Puppen aus) und fügten sich ein<br />

in einen phantastischen Bildraum, der ohnehin nicht mehr<br />

als Dokument einer Wirklichkeit gelesen werden kann. Die<br />

Bilder wurden zu Momentaufnahmen eines dramatischen,<br />

geradezu explosiven phantastischen Geschehens.<br />

Besonders erstaunt waren wir bei der Szene, die ein Liebespaar<br />

zeigt. Die Farbexplosionen zeigen, wie sich die<br />

Emotionen der Liebe in einem Lichtblitz Bahn brechen.<br />

Der letzte Schritt: Digitale Filterspiele<br />

Weil Photos die Bewegung nicht wiedergeben können, fehlt<br />

den Bildern von <strong>Marionetten</strong> die eigentliche Faszination.<br />

Die Bilder, die das <strong>Marionetten</strong>theater früher verkaufte,<br />

sind – zumindest teilweise – wirklich gut photographiert.<br />

Sie sind richtig, sie sind stimmig, aber die Zauberwelt der<br />

<strong>Marionetten</strong> wird nicht lebendig.<br />

Als wir die ersten Ergebnisse von flambierten <strong>Marionetten</strong>-<br />

Wir sind jedoch nicht bei der analogen Überspielung des Dia-<br />

Materials stehen geblieben. Wir haben die flambierten <strong>Dias</strong><br />

digitalisiert (wir brauchten ziemlich viele Versuche, bis wir<br />

befriedigende Ergebnisse erreichten) und die Digitalbilder<br />

durch verschiedene Filter gejagt. Als (mittlerweile kann<br />

man durchaus sagen alte) Linux-Freaks verwenden Fabian<br />

und ich das Bildbearbeitungsprogramm Gimp. Es gibt<br />

viele, sehr interessante Filter für dieses Programm. Es war<br />

uns wichtig, nicht nur einen Effekt zu erzielen, sondern<br />

eine neue Aussage, oder anders ausgedrückt, einen neuen<br />

Bildraum zu (er-)finden. Wir saßen nächtelang an unseren<br />

Schreibtischen im selben Raum oder mitunter auch direkt<br />

nebeneinander, jeder vor seinem Laptop, spielten mit Filtern<br />

28


und anderen Überarbeitungsmöglichkeiten und zeigten<br />

uns gegenseitig die Ergebnisse. Keines der Digitalbilder ist<br />

bloß durch einen Filter entstanden. Alle haben mehrere<br />

Überarbeitungsschritte hinter sich.<br />

Die Auswahl<br />

Nachdem wir über Wochen hunderte von <strong>Marionetten</strong>-<br />

Bildern produziert hatten, standen wir vor der großen<br />

Herausforderung, eine Auswahl für das Buch treffen<br />

zu müssen. Dabei war uns Nurjehan Gottschild eine<br />

unverzichtbare Hilfe, denn wir beide kannten die oft<br />

mühsame Entstehung einzelner Bilder zu gut und konnten<br />

kein distanziertes Urteil abgeben, ob das Bild nun wirklich<br />

spannend sei.<br />

Im ersten Schritt sortierten wir die Bilder nach dem, was<br />

darauf abgebildet war. Wir übernahmen also die Einteilung,<br />

wie wir die <strong>Dias</strong> in den Schachteln vorgefunden hatten.<br />

Im zweiten Schritt sahen wir uns nun zu dritt (mit Nurjehan)<br />

jeweils alle Bilder in einem Kapitel an und diskutierten dann<br />

darüber, welche davon wir aussortieren sollten und wollten.<br />

Es stellte sich heraus, dass drei Personen für diese Tätigkeit<br />

sehr günstig sind, weil sofort klare Mehrheitsverhältnisse<br />

29


entstehen. Nur wenn ein Bild eine Mehrheit bekam, also zwei<br />

Personen dafür stimmten, blieb das Bild in der Auswahl. Wir<br />

hatten jedoch immer noch zu viele Bilder. Wir reduzierten<br />

also sukzessive während der Entstehung des Buches.<br />

Das Layout<br />

Weil wir wollten, dass dieses Buch gleichsam ein<br />

Gesamtkunstwerk wird, haben wir auch das Layout selbst<br />

entwickelt. Schon in einer frühen Phase war uns klar, dass<br />

die <strong>Dias</strong>, die immerhin den Inhalt des Buches ausmachen,<br />

auch die Grundlage für das Layout sein sollen, ja sein<br />

müssen. Die <strong>Dias</strong> sind quadratisch, mit einer Kantenlänge<br />

von 5 x 5 cm, daher sollte auch das Buch ein Quadrat bilden,<br />

mit einer Seitenlänge von 25 cm (5 x 5 = 25). Damit war auch<br />

die Richtung für das Buch-Cover vorgegeben: Es sollte ein<br />

fünffach vergrößertes Dia darstellen.<br />

Im Bildteil wollten wir nicht auf einen letztlich willkürlich<br />

gesetzten Seitenrand begrenzt sein. Manche Bilder sollten bis<br />

zum Seitenrand reichen dürfen.<br />

Wir sind unserem Verleger bei Hollitzer, Herrn Michael<br />

Hüttler, ehrlich dankbar, dass er auf all unsere Vorstellungen<br />

und Wünsche eingegangen ist. Wir möchten uns mit einem<br />

einmalig durchdachten Produkt bedanken.<br />

Was wir bei der Konzeption des Layouts ebenfalls bedachten:<br />

Das Buch wird nicht nur als Printausgabe herausgegeben,<br />

sondern auch als e-book. Das Layout muss also auch in der<br />

Form eines e-books funktionieren. Ein kleiner, mitunter<br />

entscheidender Unterschied, der leider kaum beachtet wird,<br />

besteht in folgender Tatsache: Ein Buch hat, wenn ich es<br />

aufschlage, zwischen linker und rechter Seite einen Falz.<br />

Wenn ein Bild über eine ganze Doppelseite geht, kann ich<br />

die Mitte des Bildes im Bereich des Falzes (ungefähr einen<br />

Zentimeter, wir haben verschiedene Beispiele vermessen)<br />

meist weniger gut erkennen. Häufig sind wichtige<br />

Bildinformationen gerade in der Mitte zu finden. Dies ist<br />

äußerst unbefriedigend.<br />

Im e-book gibt es dieses Problem nicht. Ich kann mir auf dem<br />

meist querformatigen Bildschirm eine Doppelseite anzeigen<br />

lassen und habe ein flaches und vollständiges Bild vor mir. Ein<br />

zusätzlicher Vorteil des e-books besteht darin, dass ich – wenn<br />

die Auflösung hoch genug ist, wofür wir gesorgt haben – in<br />

das Bild hineinzoomen und ich mir Details ansehen kann,<br />

die im Buch gar nicht sichtbar sind.<br />

Wir haben überlegt, zwei verschiedene Layouts zu machen<br />

(dasjenige im Buch mit einem weißen Mittelstreifen)<br />

sind davon jedoch wegen des Arbeitsaufwandes wieder<br />

abgekommen. Fabian Kitzberger, der das Layout<br />

gemacht hat, erfand für Einzelfälle jeweils praktikable<br />

Zwischenlösungen, sodass sowohl das gedruckte Buch, also<br />

auch die elektronische Version wirklich alle Möglichkeiten<br />

des jeweiligen Mediums voll ausreizen.<br />

Die Sonderedition<br />

Zuletzt sind wir auf die Idee verfallen, eine Sonderedition<br />

herzustellen. Das kam so: In der heutigen Welt der<br />

Digitalphotographie, in der jedes Bild endlos vervielfältigt<br />

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werden kann (man nennt dies: geteilt werden kann) muss<br />

daran erinnert werden, dass <strong>Dias</strong> Unikate sind. Sie existieren<br />

lediglich ein einziges Mal und können nicht vervielfältigt<br />

werden. Jede Form der Digitalisierung und Vervielfältigung,<br />

egal wie gut sie gemacht ist, bietet ein lediglich mehr oder<br />

weniger zutreffendes Abbild des Originals. Ein Dia existiert<br />

in einem völlig anderen Lichtraum als ein Digitalbild. Das<br />

Scannen eines <strong>Dias</strong> ist und bleibt eine Kompromisslösung<br />

zwischen der Leuchtkraft, der ausgewogenen Beleuchtungssituation<br />

und der Tiefenschärfe.<br />

Insofern ist das vorliegende Buch mit Bildern von <strong>Dias</strong> nur<br />

ein schwacher Abklatsch von der Leuchtkraft und auch der<br />

reinen Materialität der Diapositive. Gerade die flambierten<br />

<strong>Dias</strong>, mit ihren angekohlten Ecken, der Verzerrung durch die<br />

Hitzeeinwirkung, der mit Blasen überzogenen Filmschicht,<br />

üben mit ihrem einmaligen Charakter eine Faszination<br />

aus, die nicht ins Bild gesetzt werden kann. Wir hatten das<br />

Gefühl: Es ist eigentlich schade, dass die Leserin zwar Bilder<br />

von <strong>Dias</strong> zu sehen bekommt, aber das Dia selbst nicht. Wie<br />

wäre es, – so unser nächster Gedanke – wenn einer kleinen<br />

Sonderedition ein Dia, also ein Original, beiliegen würde?<br />

<strong>Dias</strong> haben wir genug. Da wir ziemlich gut im Basteln<br />

sind, könnten wir die Sonderedition auch selbst herstellen.<br />

Und wenn es nicht allzu viele Exemplare sind, bleibt der<br />

Arbeitsaufwand auch überschaubar. Wie viele Exemplare<br />

sollten wir von der Sonderedition herstellen? Für uns war<br />

dies eine Frage, die eigentlich bereits beantwortet war, als wir<br />

sie stellten: 25.<br />

Das Ende des Projektes – und wie es<br />

weitergehen könnte<br />

In aller gebotenen Kürze habe ich versucht, Entstehung<br />

und Verlauf des Playing Arts-Projektes <strong>Flambierte</strong> <strong>Dias</strong>:<br />

<strong>Marionetten</strong> nachzuzeichnen. Viele Zwischenschritte dabei<br />

mussten naturgemäß unerwähnt bleiben. Das Ergebnis<br />

dieses Projektes, das ich vor 23 Jahren begonnen habe, ohne<br />

auch nur zu ahnen, was dereinst dabei herauskommen<br />

würde, ist das vorliegende Buch.<br />

Das Ende eines Projektes ist natürlich nicht das Ende des<br />

Spiels, höchstens ein vorläufiger Strichpunkt. Wir haben<br />

bereits eine Sammlung von überspielten <strong>Dias</strong>, die Gebäude<br />

zeigen. Einem Buch <strong>Flambierte</strong> <strong>Dias</strong>: Architektur steht also<br />

nichts mehr im Wege. Ein erstes Bild der Architektur-Serie,<br />

das sozusagen den Übergang markiert – eine Marionette ist<br />

an die Stelle, wo das Dia durchgebrannt ist, hineinkopiert –<br />

möchte ich ans Ende dieses Kapitels setzen.<br />

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Ein Rätsel aus Kurzweilige Pfänderspiele:<br />

„Ich bin gestalt’t wie du, ich rede, hüpf’ und lache,<br />

Und thue, was du thust; doch alles, was ich mache,<br />

Das schein ich nur zu thun, ein andrer thut’s durch mich,<br />

Nicht ich.“ 3<br />

3 Kurzweilige Pfänderspiele, 1784, Rätsel Nr.225, S. 57.<br />

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Figurenspiel und <strong>Marionetten</strong>theater<br />

aus ludologischer Sicht<br />

Einführung ins Thema<br />

Was würde uns fehlen, wenn es keine <strong>Marionetten</strong> gäbe!<br />

Dies drückt Otto Höver 1923 unverblümt deutlich aus:<br />

„Wie kommt es doch, daß oft der Puppen stille Seelen tiefer sind<br />

als laute Weisheit plumper Menschen! Uns blieb nur das Kino,<br />

Richard Wagner, Oberammergau.“ 4<br />

Die Kombination der drei Beispiele aus dem resignativen<br />

Seufzer, was uns Menschen als Nahrung der Seele bliebe, ist<br />

doch etwas gewagt. Das Kino als seelentiefes Kulturgut zu<br />

bezeichnen wäre ebenso falsch wie es als laute Kitschmaschine<br />

zu verdammen. Es dürfte wie bei jedem Medium so sein, dass<br />

Menschen gerne zuallererst Müll und Schrott produzieren<br />

(dazu können wir wohl das dritte genannte Beispiel zählen).<br />

Neben dieser Kitsch- und Schundproduktion gibt es<br />

jedoch jeweils wundervolle Sternstunden der menschlichen<br />

Kreativität. Und dazu möchte ich ausdrücklich die Opern<br />

von Richard Wagner zählen. Umgekehrt ist es auch so, dass<br />

wir (leider) nicht quasi automatisch eine tiefe Weisheit vor<br />

uns haben, wenn Puppen im Spiel sind. So einseitig es auch<br />

in der Gegenüberstellung ist, so weist dieses Eingangszitat<br />

doch auf etwas hin, das mir in diesem Buch ein zentrales<br />

Anliegen ist: Das Figurenspiel und das <strong>Marionetten</strong>theater<br />

sind keineswegs Kinderkram, mit dem sich Erwachsene<br />

nicht weiter zu beschäftigen brauchen. Figurenspiel und<br />

<strong>Marionetten</strong>theater sind nicht einfach eine verkleinerte Form<br />

des großen (und erwachsenen) Theaters, sondern sie sind eine<br />

eigene Kunstform. Dies möchte ich durch eine ludologische,<br />

also auf das Spiel konzentrierte Betrachtungsweise,<br />

herausarbeiten.<br />

Das vorliegende Buch kann keine allgemeine Kultur geschichte<br />

des Figurenspiels (wie die Welt der gespielten Puppen<br />

heute in der Fachliteratur genannt wird) sein. Ebenso wenig<br />

kann hier eine Geschichte des Salzburger <strong>Marionetten</strong>theaters<br />

geschrieben werden, auch wenn dieses den Bildteil füllt. Die<br />

balinesische, die japanische, die römische und viele andere<br />

Traditionen sind hier nicht Thema. Ich werde mich auf das<br />

Spiel der <strong>Marionetten</strong> als Kunstform konzentrieren und das<br />

Salzburger <strong>Marionetten</strong>theater soll als Beispiel dienen, das<br />

ich in einem eigenen Kapitel ausführe.<br />

Eine andere Eingrenzung möchte ich noch machen: Ich<br />

verwende fast ausschließlich Literatur und Bildmaterial,<br />

das wir entweder am Institut für Spielforschung haben,<br />

oder sich in meiner Privatsammlung befindet. Diese<br />

Eingrenzung soll erstens einen kleinen Einblick in die<br />

Sammlung der Spielforschung bieten. Zweitens soll die<br />

Aufmerksamkeit auf Literatur gerichtet werden, die nicht<br />

über Internet-Suchmaschinen (wie z.B. Ecosia) auffindbar<br />

ist. Vor allem jüngere Kolleg*innen unterliegen manchmal<br />

dem Irrtum zu glauben, alles relevante Wissen würde sich<br />

im sogenannten Netz befinden. Dem ist nicht so. Gerade<br />

im Bereich der Kulturwissenschaften sind die Texte, die<br />

zuerst von Suchmaschinen gefunden werden von weitaus<br />

schlechterer Qualität als Texte in Büchern, auch wenn diese<br />

vielleicht bereits Jahrzehnte alt sind. Vielleicht ist es in den<br />

Naturwissenschaften so, dass die Neuheit eines Artikels<br />

4 Höver, Javanische Schattenspiele, ohne Seitenangaben, Beginn.<br />

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