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Balancer Nr. 88, 1/2024

Schwerpunktthema: Fürsorge, soziale Arbeit

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Der Artikel von Doris Kallinger

beleuchtet die Entwicklung des

Begriffs „Fürsorge“ von seiner

historischen Bedeutung im

Roten Wien (1919–1934) bis zur

heutigen Verwendung in der

Sozialpädagogik und Sozialen

Arbeit, wobei die traditionelle

Fürsorge zunehmend durch andere

Begriffe wie „Sozialhilfe“ ersetzt

wurde und heutzutage nur noch

wenig Verwendung findet.

Blicken wir zurück:

Im Roten Wien (1919–1934) war die Gesellschaft durch den

vorangegangenen Ersten Weltkrieg von Armut geprägt. Die

Gesellschaftspolitik war gefragt und es entstanden viele

Neuerungen und Errungenschaften in dieser Zeit wie zum Beispiel

neue Wohnarchitektur, Mieterschutz, Arbeitslosenversicherung,

Arbeiterkammer, Wäschepaket usw.

Unter dem damaligen Sozial-und Gesundheitsstadtrat Julius

Tandler entstand unter anderem die soziale Einrichtung Julius-

Tandler-Familienzentrum, welches internationales Aufsehen als

Vorzeigemodell errang. Es diente als Unterbringungsstation für

Säuglinge, Kinder und Jugendliche, darunter waren viele Waisen

oder Kinder aus armen Familienverhältnissen. Ebenso fungierte

dieses Zentrum als Drehscheibe zur weiteren Vermittlung

an Pflegefamilien. Fürsorger:innen hatten damals in dieser

Kinderübernahmestelle die Aufgabe, die Kinder aus der Familie zu

übernehmen.

Julius Tandler führte mit seinem sozialen Weg einen Paradigmenwechsel

ein. Sein Spruch „Wer Kindern Paläste baut, reißt Kerkermauern nieder“

untermauert seinen sozialen Grundgedanken.

Leitgedanken

Mit folgendem Leitgedanken gründete Julius Tandler 1921 das Zentrale

Wohlfahrtsamt: [https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Rotes_Wien

(02.08.2022)]

1.

Die Gesellschaft ist zur Unterstützung hilfsbedürftiger Personen verpflichtet,

die hilfsbedürftige Person ist nicht Bittstellerin.

2.

Die Fürsorge muss präventiv durch Beratungen eingesetzt werden. Jugendfürsorge

galt als das Fundament jeder Fürsorge und wurde als „produktive“

Aufgabe gesehen. Dieser Punkt bringt ihm bis heute Kritik ein:

Altenversorgung galt beispielsweise als unproduktiv.

3.

Die Hilfe muss ausreichend sein und das Ziel haben, die Selbsterhaltungsfähigkeit

zu stärken .

10

Viele weitere Fürsorgestellen sind in der Folge entstanden:

Mutterberatungsstellen, Kindergärten, Eheberatungsstellen,

Trinkerfürsorgestellen, Tuberkolosefürsorgestellen … Viele dieser Einrichtungen

bestehen bis heute, oder haben sich daraus entwickelt.

Das schreckliche Kapitel des Nationalsozialismus erwähne ich, da es zu dieser

Zeit den Begriff „Wiener Fürsorgeanstalt“ gegeben hat, nämlich die Anstalt „Am

Spiegelgrund“, wo Kinder und Jugendliche, die dem Bild der nationalsozialistischen

Volksgemeinschaft nicht entsprachen, mit der Diagnose „asozial“ und

„schwer erziehbar“ zwangsinterniert wurden.

Der Begriff der Fürsorge hat sich also in den Jahren gewandelt von der privaten,

kirchlichen Fürsorge zur Bekämpfung existentieller Armut im 19. Jahrhundert zu

einer sozialpolitischen Fürsorge, wo Leistungen einen Rechtscharakter erhielten.

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