18.01.2024 Aufrufe

Balancer Nr. 88, 1/2024

Schwerpunktthema: Fürsorge, soziale Arbeit

Schwerpunktthema: Fürsorge, soziale Arbeit

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ZEITSCHRIFT VON BALANCE LEBEN OHNE BARRIEREN, AUSGABE NR. 88, 1/2024, JAHRGANG 24

Balancer

Thema

Fürsorge

Tanz

Anatomy of

Touch

Kunstwerk von Friedrich Ettenauer

Interview

„Man kann sehr

viel mitnehmen“

Esther Gschweitl,

Inklusive WG, alpha nova


Editorial

Inhalt

Seiten 9, 20, 23, 27 und 30

Thema:

FÜRSORGE

Liebe Leserinnen und Leser,

2

mit großer Freude präsentieren wir Ihnen die

neueste Ausgabe unserer Zeitschrift, diesmal

mit dem Schwerpunktthema „Fürsorge“. Die

Entwicklung von der klassischen Fürsorge hin

zur Sozialen Arbeit wird in einem aufschlussreichen

Beitrag beleuchtet. „Who cares?“

fragt unsere Redakteurin Doris Kallinger

und wirft einen Blick auf die Veränderungen

in der Wahrnehmung von Fürsorge in der

Gesellschaft. Selbstfürsorge ist ein Thema,

dem wir ebenfalls Raum geben. In „Tipps für

den Alltag“ erhalten Sie dann ganz praktische

Vorschläge, wie Sie sich selbst etwas Gutes

tun können.

Ein weiterer Schwerpunkt dieser Ausgabe ist

das ImPuls Tanz Festival vom letzten Sommer.

Zwei einfühlsame und spannende Reportagen

nehmen Sie mit auf eine Reise durch zwei

Workshops dieses einzigartigen Festivals und

machen Lust aufs Tanzen und Bewegen.

In der Kolumne „timeout-Auszeit mit chriz“

knöpft jener sich dann noch „Anglizismen in

der Sprache“ vor. Unter dem Titel „I kenn mi no

more out“ beschreibt Christian Zuckerstätter

selbstkritisch und humorvoll seine ganz persönlichen

Wahrnehmungen zum Thema

Veränderung unserer Ausdrucksweisen und

Sprachentwicklung.

Wir wünschen Ihnen eine anregende Lektüre!

Schauen Sie auf sich und andere!

Herzlichst,

03

Vorgestellt

04

BALANCE Intern

Mit MUV:

Gemeinsam in guter

Nachbarschaft

05– 08

Pinnwand.

09

Thema: Fürsorge

Who cares? Von der

Fürsorge zur Sozialen

Arbeit

12

Thema: Fürsorge

5 Dinge, die man im

Alltag regelmäßig

für sich tun kann

14

Thema: Fürsorge

… sich zu viel

kümmern – geht das??

16

BALANCE Kunst

Friedrich Ettenauer

18

Interbalance

„Man kann sehr viel

mitnehmen“

21

timeout –

Auszeit mit Chris

I kenn me no more out

24

Impulstanz

Anatomy of Touch

Intensive – ein Workshop

26

ImpulstanzAfrofusion

Dance –

60 plus

28

Tagesstruktur

Das Klima- und

Zusammen kommen-Fest

29

Tagesstruktur

20 Jahre Tagesstruktur

Fuchsenfeld

30

Pro & Contra

Pakete für Nachbar:innen

annehmen

31

Impressum

Foto: © A. Berger


Vorgestellt

Johanna

Hausleitner

... ist Diplomierte Gesundheits- und

Krankenpflegerin und Betreuerin

Zur Person: Johanna Hausleitner ist

am 25.03.1994 geboren, seit 2016 bei

BALANCE. Sie mag Bücher/Gedanken

von Stefanie Sargnagel, Raul Aguayo-

Krauthausen, Viktor Frankl, Bars und

den Wald, daheim entspannen und

tanzen gehen, Spaziergänge mit oder

ohne Musik in den Ohren.

Auf meine Bedürfnisse achten kann ich im Job

immer dann besonders gut … wenn ich mir Zeit

schaffe, durchatme und mich ordnen kann.

Am Schönsten ist es in der Arbeit für mich,

wenn … man (kleine) Erfolge wahrnimmt und

diese zusammen, bewusst wertschätzt.

Meine positiven Energiequellen sind … Humor

und Achtsamkeit.

Erfolg in meinem Job habe ich, wenn … ich

zufrieden in den Feierabend gehe und ich mich

auf den nächsten Dienst freue.

Pflege und Fürsorge bedeuten für mich …

Ich behandle mich selbst fürsorglich, dass ich

professionelle Pflege ausführen kann.

Das Erste, was ich mache, wenn ich in die

Arbeit komme, ist … je nach Stimmung, Morgen

oder guten Morgen zu rufen.

Besonders gern pflege ich … in Balance ; )

Rundherum wohl fühle ich mich meistens

dann, wenn … sich mein Umfeld ebenso wohl

fühlt.

Wenn dein Leben ein Buch oder Film wäre, wie

würde der Titel heißen? Wilde Maus

Was mir noch wichtig ist … Balance war/ist

eine großartige Lehrerin! ; )

3

Foto: © Privat


BALANCE Intern

Mit MUV:

Gemeinsam in guter

Nachbarschaft

4

Unser Vereins-Projekt MUV – Mobile Unterstützungs-

Vermittlung ist in vollem Gange und hat seit dem Start im

Herbst bereits zahlreiche positive Entwicklungen erlebt. In

der Wiener Wohnhausanlage in der Käthe-Dorsch-Gasse 17

(14. Bezirk) bringt MUV Menschen zusammen, um eine inklusive

Nachbarschaft zu schaffen.

Ein Highlight war die Teilnahme am gemeinsamen Klimafest,

bei welchem der Pensionisten-Klub, der Bildungscampus

und BALANCE mitmachten. MUV präsentierte nicht nur seine

Dienstleistungen, sondern man konnte sich auch kreativ

betätigen. Kinder bemalten Steine mit netten Botschaften

für ihre Nachbar:innen, während die Erwachsenen Ideen

und Anliegen bei frischen Äpfeln und nachhaltiger Bio-

Schokolade austauschten. Im Dezember lud MUV dann zum

Nachbarschaftsevent und Kartenspielnachmittag „UNO“ ein,

bei dem Jung und Alt gleichermaßen mitmachen konnten.

Das Herzstück des Projekts ist die Vermittlung von

Unterstützung und sozialem Austausch zwischen den

Nachbar:innen. Jede Person kann sich an MUV wenden, wenn

sie Unterstützung sucht oder selbst unterstützen möchte.

Die Vermittlung erfolgt entweder an ehrenamtlich engagierte

Personen, aber auch an professionelle Dienstleister:innen.

Juliana Okropiridse, unsere engagierte Projektkoordinatorin,

steht für Fragen und Anliegen bereit und ist unter muv@balance.at

erreichbar.

Das Projekt wird vom Verein BALANCE – Leben ohne

Barrieren durchgeführt und vom Fonds Gesundes Österreich

gefördert. (heh)

kurz + einfach

Das Vereins-Projekt MUV in Wien

bringt Menschen in der Käthe-

Dorsch-Gasse zusammen.

Ziel ist es, eine Nachbarschaft zu

schaffen, in der alle willkommen

sind.

Das Projekt hat seit dem Herbst

viele Fortschritte gemacht, die

gut sind.

Zum Beispiel:

• Teilnahme am Klima-Fest mit

einfallsreichen Aktionen.

• Erfolgreicher Nachbarschafts-

Event im Dezember.

• Karten-Spielen am

Nachmittag.

MUV unterstützt Bewohner:innen

beim sozialen Austausch.

Wenn Sie Fragen haben,

können Sie eine E-Mail an

muv@balance.at schreiben.

Foto: © BALANCE Archiv


Pinnwand.

Juno

(Hera)

altlatinisch „die Junge“, „die Vitale“, römische Göttin

der Geburt, der Ehe und Fürsorge

Von Pia Wolf

Juno ist mir in einiger Hinsicht ein Dorn im Auge.

Wieso das so ist, werdet ihr euch jetzt fragen. Nun,

wenn ihr euch mit der Götterwelt der Griechen und Römer beschäftigt, werdet ihr

feststellen, dass Juno oft keine rühmliche Rolle spielt.

Wenn man also diese Sachen weiß, wofür steht diese Göttin eigentlich? Nun, sie

steht für die Ehe und die Fürsorge. Fürsorge? Das klingt ironisch, da sie doch so

manche Morde auf dem Gewissen hat. Sie hat zum Beispiel den Helden Herakles

(Herkules) so weit in den Wahnsinn getrieben, dass er seine eigenen Kinder getötet

hat. Ja, diese Göttin! Sie manipuliert und mischt sich zu oft

in die Geschäfte ihres Ehemannes Jupiter ein.

kurz + einfach

In diesem Artikel geht es um die

römische Göttin Juno (Hera).

Die Mythologie zeigt sie auf verschiedene

Weise.

Es wird beschrieben, wie sie dargestellt

wird.

Die Autorin untersucht Junos

Rolle in verschiedenen

Erzählungen genauer.

In vielen Geschichten spielt sie eine sehr charakterlose

Rolle. Auch in der Neuinterpretation der alten Sagen, in

den Geschichten rund um Percy Jackson z. B. ist es fast

noch schlimmer. Ich sage nur Entführung, Erpressung und

Zwang. Aber wie passt dieses Verhalten mit der Fürsorge

zusammen? Ja, gar nicht! Denn es ist ein Unterschied, ob

man für ein Thema nur zuständig ist oder es lebt. Und ich

habe bis heute keine Sage bei den Griechen und Römern

gefunden, die davon erzählt, dass sie besonders durch ihre

Fürsorglichkeit herausgestochen wäre.

Wie wirkt aber Junos Negativität in mir? Sie mischt sich in

meine Gedanken ein, sodass ich mein eigenes Wort nicht

glauben kann. Eine Königin aller Götter und Göttinnen stelle

ich mir anders vor.

Foto: © Wikipedia, Public Domain

Sie diskutiert verschiedene

Meinungen, die von einem

schlechten Ruf bis hin zu anderen

Ansichten reichen.

Juno ist eine Göttin, die viele

Attribute hat.

Sie ist mit dem Monat Juni und

dem Valentins-Tag verbunden.

Sie ist eine Göttin, die Frauen in

verschiedenen Lebenssituationen

unterstützt und sich um sie

kümmert.

Nach intensiver Recherche habe ich aber auch Folgendes

herausgefunden:

Geradegerückt: Das schlechte Image von Juno (Hera)

Lange bevor Zeus in Griechenland bekannt war, verehrten

die Menschen in der Ägäis eine kuhäugige Himmelskönigin

als oberste Gottheit, die sie Hera (später mit Juno gleichgesetzt)

nannten. Die hatte ein völlig anderes Image. Sie

stand für den Rhythmus, den Zyklus, die Verinnerlichung,

Jahreszeiten, Tod und Wiedergeburt.

Im aufkommenden Patriarchat im Laufe der Jahrhunderte ist

sie von der großen Göttin, die berauschend schön und ebenso

mächtig war, der Himmelskönigin, der paradiesischen

5


Mutter zur eifersüchtigen, ihren Gemahl und dessen Frauen und Kinder verfolgenden,

zänkischen, hasserfüllten Furie degradiert worden. Sie wurde zum Heimchen

am Herd, zur Frau, die voll und ganz in ihrer Ehe aufgeht und dabei ihre eigene

Identität, Kraft und Ausstrahlung mehr und mehr verliert.

Andere Interpretationen gehen von einer Einheit von Juno (Hera) und

Jupiter (Zeus) aus, die Gegensätze bilden und sich dadurch gegenseitig

in einer harmonischen Waage halten. Während Jupiter, der

unersättliche Liebhaber, das Prinzip der grenzenlosen Expansion,

Vermehrung und Verbreitung nach Außen verkörpert, wird

Juno als sein Gegenteil verstanden, der Blick nach innen, das

Innenleben, schützend Grenzen setzend, auch Reflexion.

Juno heute

Der Monat Juni ist nach ihr benannt, zur Sommersonnenwende,

sie verkörpert die Frau in allen Lebensaltern.

Das Universum, „Uni“ (später Juno) leitet sich vom Namen der etruskischen

Göttin „Uni“ ab – „Allmutter“.

Juno ist ein Asteroid des Asteroiden-Hauptgürtels.

14. Februar, der Valentinstag: geht eigentlich auf die Göttin Juno zurück. Der

14. Februar war ein Feiertag für Juno, an welchem junge Frauen und Mädchen

zum Juno-Tempel in Rom pilgerten, um das Liebesorakel zu befragen. Unter den

Junggesellen war es Brauch, Lose zu ziehen, auf welchen ein Name einer dieser

jungen Frauen stand. Aus den so zusammengelosten Paaren entstanden dann

manchmal Liebespaare. Juno wurden zum Feiertag Blumen geopfert, den Frauen

wurden Blumen geschenkt.

Wissenswert

Zu Junos (Heras) Attributen

zählen der Kuckuck, der Pfau, die

Kuh und der Granatapfel.

Ältere Göttinnen von denen sich

Juno (Hera) ableiten lässt: Isis

(Ägypten), Astarte (Phönizier), Uni

(Etrusker).

Pinnwand.

Abschied

von Christa

Wir, der Wohnverbund Sonnenhof, mussten von unserer Bewohnerin, Freundin,

Schwester und Bekannten Elisabeth Schabl, liebevoll von allen Christa genannt,

am 25. Oktober 2023 Abschied nehmen.

6

Sie hat sich entschieden, im Wohnverbund Sonnenhof ihre letzte Lebensphase zu

verbringen, begleitet von den Mitarbeiter:innen und dem Hospiz-Team. Nach langer

schwerer Krankheit ist sie nun im Oktober gestorben.

Ihre größte Leidenschaft in guten Zeiten war das Stricken. So hatte sie das ganze

Jahr über dafür gesorgt, dass die Mitarbeiter:innen im Winter nicht frieren mussten

und hat Schal und Stirnband für jede:n Betreuer:in gestrickt.

Sie hatte bis zuletzt meist ein Lächeln auf ihren Lippen und hat versucht, niemandem

zur Last zu fallen.

Wir alle vom Wohnverbund Sonnenhof vermissen Christas fürsorgliche und engagierte

Persönlichkeit!


Spektakuläre

Ausstellung

Eintauchen in die abenteuerliche Welt von Tutanchamun

(auch Tutenchamun)

Von Pia Wolf

Im Herbst besuchte ich die multimediale Ausstellung über

ägyptische Kunst in der Wiener Marx-Halle. Ich mag solche

Inszenierungen sehr, das bringt mich zum Lächeln und freut

mich. Ich bin gern in verzauberten Welten unterwegs und diese

Ausstellung kommt dem sehr nahe. Es waren sehr viele Leute dort.

Mit einer VR(Virtual Reality)-Brille konnte man das ägyptische

Todesreich kennenlernen. Nach dem Einstieg und Aufsetzen der

Brille erwachte man direkt im Sarkophag als Tutenchamun, im

Kopfhörer ertönte eine Stimme, die darüber erzählte, dass der

Pharao sich jetzt auf die abenteuerliche Reise in die Unterwelt

macht, bis vors Totengericht. Das war unglaublich faszinierend

für mich als großen Ägyptenfan, das alles so bildlich erleben zu

können. Die Tour durchs Totenreich dauerte nur wenige Minuten,

doch es war unglaublich beeindruckend. Für manche sind solche

VR-Brillen allerdings nichts, meine Schwester musste die Tour abrechen,

weil ihr davon schwindelig wurde.

Spannend waren auch die spielerisch-interaktiven Elemente der

Ausstellung. Man nennt so etwas Augmented Reality. Mithilfe eines

Tablets konnte man durch die Grabkammer Tutenchamuns

durchgehen und alles Mögliche entdecken. Man musste das

Tablet nur an einen Gegenstand halten und schon wurde es zum

Leben erweckt, man konnte am Tablet dann sehen, wie es früher

verwendet wurde und welche Bedeutung dieser Gegenstand im

alten Ägypten hatte.

Die gesamte Ausstellung war ein großartiges und fesselndes

Erlebnis, alle Sinne wurden angesprochen, man hatte das

Gefühl, Teil der Geschichte zu sein und nicht nur eine passive

Ausstellungsbesucherin.

Pinnwand.

kurz + einfach

Eine Ausstellung über

Tutanchamun findet in der Marx-

Halle statt. Die Ausstellung war

sehr interessant und hatte Dinge

zum Mitmachen:

• VR-Brillen.

• Augmented Reality.

> > > > > > > > > > > > > > > > > >

Was ist (VR) Virtual Reality?

Virtual Reality (VR) ist Englisch

und bedeutet übersetzt „virtuelle

Realität“. Es ist eine

mit Computern gemachte

Umgebung, die ein:e Benutzer:in

mithilfe einer speziellen Brille

(VR-Brille) erleben kann. Diese

Umgebung unterscheidet sich

von der tatsächlichen Welt. Wenn

man eine VR-Brille trägt, kann

man diese künstlich erschaffene

Umgebung sehen und hören.

Man fühlt sich beinahe so, als ob

man wirklich in dieser Umgebung

wäre.

Was ist Augmented Reality?

Augmented Reality (AR) ist

Englisch und bedeutet „erweiterte

Realität“. Bilder oder

Animationen werden mithilfe eines

Tablets, Smartphones oder

einer Brille in die reale Welt eingefügt

und sichtbar gemacht.

7

Foto: © AdobeStock - shoot4u

„Tutanchamun –

Das immersive

Ausstellungserlebnis“

war von 19. Oktober 2023

bis 21. Jänner 2024 in der

Marx-Halle zu sehen.


Pinnwand.

bildBalance

Ausstellungen

2023

Atelier bildBalance

Wien

In der Reihe „bildBalance Wien im Friseursalon“

stellten 2023 die Künstler:innen Lisi

Hinterlechner, Johannes Gruber und Juka

Istabrak Abdilwahid aus.

Atelier bildBalance

Maria Ponsee

Im Rahmen der Veranstaltung „Schau

Schau“, einem Tag der offenen Tür mit

Einblicken und Begegnungsmöglichkeit

im September 2023, präsentierte die

Künstlerin Barbara Plak eine spektakuläre

Kunstinstallation mit dem Titel „Figuren an

der Frischluft“

Publikum vor einem Gemälde von Lisi Hinterlechner

Die Künstlerin Barbara Plak inmitten ihrerer spektakulären

Installation „Figuren an der Frischluft“

8

Lisi Hinterlechner

Ästhetisches Schwarz-Weiss von Johannes Gruber

Künstlerin Istabrak Abdilwahid

vor Ihren Gemälden

Fotos: BALANCE Archiv; rechts: © AdobeStock


Thema: Fürsorge

Who cares?

Von der

Fürsorge

zur Sozialen

Arbeit

Foto: © BLANCE TAGS SoHo

Das Wort Fürsorge kommt aus dem Lateinischen pro-curare

und bedeutet für etwas Sorge tragen, pflegen, verwalten.

Der Begriff wird heutzutage hauptsächlich im freiwilligen,

privaten Umfeld verwendet.

Von Doris Kallinger »

9


kurz + einfach

Der Artikel von Doris Kallinger

beleuchtet die Entwicklung des

Begriffs „Fürsorge“ von seiner

historischen Bedeutung im

Roten Wien (1919–1934) bis zur

heutigen Verwendung in der

Sozialpädagogik und Sozialen

Arbeit, wobei die traditionelle

Fürsorge zunehmend durch andere

Begriffe wie „Sozialhilfe“ ersetzt

wurde und heutzutage nur noch

wenig Verwendung findet.

Blicken wir zurück:

Im Roten Wien (1919–1934) war die Gesellschaft durch den

vorangegangenen Ersten Weltkrieg von Armut geprägt. Die

Gesellschaftspolitik war gefragt und es entstanden viele

Neuerungen und Errungenschaften in dieser Zeit wie zum Beispiel

neue Wohnarchitektur, Mieterschutz, Arbeitslosenversicherung,

Arbeiterkammer, Wäschepaket usw.

Unter dem damaligen Sozial-und Gesundheitsstadtrat Julius

Tandler entstand unter anderem die soziale Einrichtung Julius-

Tandler-Familienzentrum, welches internationales Aufsehen als

Vorzeigemodell errang. Es diente als Unterbringungsstation für

Säuglinge, Kinder und Jugendliche, darunter waren viele Waisen

oder Kinder aus armen Familienverhältnissen. Ebenso fungierte

dieses Zentrum als Drehscheibe zur weiteren Vermittlung

an Pflegefamilien. Fürsorger:innen hatten damals in dieser

Kinderübernahmestelle die Aufgabe, die Kinder aus der Familie zu

übernehmen.

Julius Tandler führte mit seinem sozialen Weg einen Paradigmenwechsel

ein. Sein Spruch „Wer Kindern Paläste baut, reißt Kerkermauern nieder“

untermauert seinen sozialen Grundgedanken.

Leitgedanken

Mit folgendem Leitgedanken gründete Julius Tandler 1921 das Zentrale

Wohlfahrtsamt: [https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Rotes_Wien

(02.08.2022)]

1.

Die Gesellschaft ist zur Unterstützung hilfsbedürftiger Personen verpflichtet,

die hilfsbedürftige Person ist nicht Bittstellerin.

2.

Die Fürsorge muss präventiv durch Beratungen eingesetzt werden. Jugendfürsorge

galt als das Fundament jeder Fürsorge und wurde als „produktive“

Aufgabe gesehen. Dieser Punkt bringt ihm bis heute Kritik ein:

Altenversorgung galt beispielsweise als unproduktiv.

3.

Die Hilfe muss ausreichend sein und das Ziel haben, die Selbsterhaltungsfähigkeit

zu stärken .

10

Viele weitere Fürsorgestellen sind in der Folge entstanden:

Mutterberatungsstellen, Kindergärten, Eheberatungsstellen,

Trinkerfürsorgestellen, Tuberkolosefürsorgestellen … Viele dieser Einrichtungen

bestehen bis heute, oder haben sich daraus entwickelt.

Das schreckliche Kapitel des Nationalsozialismus erwähne ich, da es zu dieser

Zeit den Begriff „Wiener Fürsorgeanstalt“ gegeben hat, nämlich die Anstalt „Am

Spiegelgrund“, wo Kinder und Jugendliche, die dem Bild der nationalsozialistischen

Volksgemeinschaft nicht entsprachen, mit der Diagnose „asozial“ und

„schwer erziehbar“ zwangsinterniert wurden.

Der Begriff der Fürsorge hat sich also in den Jahren gewandelt von der privaten,

kirchlichen Fürsorge zur Bekämpfung existentieller Armut im 19. Jahrhundert zu

einer sozialpolitischen Fürsorge, wo Leistungen einen Rechtscharakter erhielten.


Was verstehen wir heute unter Fürsorge? Gibt es den Begriff noch?

Der Begriff Fürsorge wird innerhalb der Sozialpädagogik und Sozialen Arbeit gegenwärtig

nur noch wenig verwendet. Die starke Ausrichtung der traditionellen

Fürsorge an kontrollierenden und normierenden Zugängen und die Verstrickungen

einer als Fürsorge bezeichneten Sozialen Arbeit im Nationalsozialismus haben

diesen Begriff in der Folge für eine positive Gegenstandsbestimmung weitgehend

unbrauchbar werden lassen [Bauer, Petra, 2017. Sorge und Fürsorge.

In: Fabian Kessl, Elke Kruse, Sabine Stövesand, Werner Thole, Hrsg. Soziale

Arbeit: Kernthemen und Problemfelder. Opladen: Barbara Budrich, S. 211–220.

ISBN 978-3-8252-4347-0]

In den 1970er Jahren wurde der Begriff „Fürsorge“ durch „Sozialhilfe“ ersetzt.

Sämtliche Bundesländer beschlossen eigene Landes-Sozialhilfegesetze. 1973

umfasste die Geschäftsgruppe „Gesundheit und Soziales“ das Sozialamt (MA 12),

das Gesundheitsamt, die Sozialversicherung, Sanitätsangelegenheiten und das

Anstaltenamt. Einige Nutzer:innen bei BALANCE haben bis heute noch eine alte

„Verfügung für Beschäftigungstherapie“, wie es damals hieß.

Die Entwicklung der sozialen Berufstätigkeit ist von der Frauenbewegung

im 19. Jahrhundert nicht zu trennen. Neben den Geschäften des Mannes

suchte die bürgerliche Frau für ihre eigene Berufung frei zu werden. In der

Besorgung von Aufgaben im mitmenschlichen Zusammenleben konnte sie

außer Haus wohltätig sein. Als Armenbesucherinnen, Ordensschwestern,

Diakonissen, Krankenschwestern, Kindergärtnerinnen usw. fanden viele Frauen

Betätigungsfelder, die ihren weiblichen Fähigkeiten und ihrer weiblichen

Kulturaufgabe gemäß schienen. Führende Vertreterinnen der Frauenbewegung

drängten auf eine Ausweitung der sozialen Tätigkeit, beteiligten sich an den

Prozessen der sozialen Reform und erreichten um die Wende zum 20. Jahrhundert

in den USA und in Europa eine berufliche Ausbildung zur Sozialen Arbeit. [Springer

Fachmedien Wiesbaden 2017, W. R. Wendt, Geschichte der Sozialen Arbeit 1, DOI

10.1007/978-3-658-15356-4_12/ S. 432]

Der Begriff Fürsorge kann also als privat geleistete Sorge für die eigenen

Angehörigen verstanden werden, aber auch in Form ehrenamtlich verrichteter

Dienste am Gemeinwesen oder bezahlter Erwerbsarbeit im öffentlichen Sektor.

Fürsorge im berufstätigen Kontext gilt als veraltete Bezeichnung für Sozialhilfe.

Interessantes zum Thema:

Wer sich für die Geschichte

der Entwicklung der sozialen

Errungenschaften im Roten Wien interessiert,

dem kann ich nur die Führung bzw.

das Museum empfehlen:

11

Das Rote Wien

im Waschsalon Karl-Marx-vHof

Waschsalon Nr. 2, Halteraugasse 7

1190 Wien

http://dasrotewien-waschsalon.at

info@dasrotewien-waschsalon.at

Fabian Kessl, Elke

Kruse, Sabine

Stövesand, Werner

Thole, Hrsg. Soziale

Arbeit: Kernthemen und

Problemfelder.

W. R. Wendt,

Geschichte der

Sozialen Arbeit 1

ISBN 9783658153564

ISBN 978-3-8252-4347-0


Thema: Fürsorge – Gelebte Selbstfürsorge

5 Dinge, die

man im Alltag

regelmäßig

für sich tun kann

Für ... Mich!

12

Ein bestimmtes Maß an Selbstfürsorge ist für ein

gesundes und erfülltes Leben sehr wichtig. Ignorieren

wir für längere Zeit unsere Bedürfnisse, kann es zu vielen

Problemen kommen: Unzufriedenheit, Erschöpfung,

Krankheiten etc.

Von Helga Hiebl

Illustration: © Nina Ober


Sich um die eigenen Bedürfnisse zu kümmern,

ist für viele Menschen aber gar nicht so einfach,

weil es im Hinterkopf und im kirchlich-christlich

geprägten Abendland immer noch oft mit Egoismus

verbunden wird.

„Liebe deinen Nächsten wie dich selbst!“

Sollte man nicht den Nächsten an erste Stelle

setzen? Sich selbst zu wichtig nehmen ist verpönt.

Selbstfürsorge hat aber rein gar nichts

mit egoistischen Verhaltensweisen zu tun, im

Gegenteil, wenn man gelernt hat, sich um die

eigenen Bedürfnisse zu kümmern, kann man

auch die der anderen besser wahrnehmen. Das

steckt auch in diesem sehr bekannten obigen

Bibel-Zitat, wobei der Fokus bei der Selbstfürsorge

im zweiten Teil des Satzes „… wie dich

selbst“ steckt und oft ignoriert oder verdrängt

wird. Denn „… wie dich selbst“ setzt voraus,

dass wir bereits ein liebevolles und fürsorgliches

Verhältnis mit uns selbst haben. Was zu

einem gesunden selbstfürsorglichen Umgang

gehört und welche Dinge man täglich tun kann,

um einem selbst Aufmerksamkeit und Fürsorge

zu schenken, kann man mit diesen fünf einfachen

Übungen lernen.

1Die eigenen

Sich

Bedürfnisse

wahrnehmen

Übung: Ein- bis zweimal mal

am Tag kurz für ein paar Sekunden

innehalten und in sich

hineinhorchen mit der Frage:

Wie geht es mir gerade? Bin

ich hungrig, durstig, ist mir kalt,

warm, fühle ich mich zufrieden,

unzufrieden etc.?

2selbst eine

Freude machen

Machen Sie sich selbst regelmäßig

eine Freude. Ein kleines

Geschenk, ein gutes Essen,

ein Blumenstrauß, Musik hören,

ein guter Duft, ein Tag mit

Freund:innen etc., egal was

es ist, es soll zur Gewohnheit

werden, mindestens einmal in

der Woche sich selbst etwas

zu gönnen. Fürsorglich mit

sich selbst heißt auch, etwas

Schönes zu erleben und zu

genießen.

Übung: Überlegen Sie, was

Sie sich diese Woche oder an

diesem Tag gönnen und tun

Sie es!

3 4 5

Die eigenen Grenzen

respektieren

Sich mit sich selbst

befreunden

Interessen pflegen, zur

Entdecker:in werden

Viel zu oft missachten wir unsere

eigenen Grenzen, wir haben Schwierigkeiten,

„nein“ zu sagen. Wenn wir

aber unsere eigenen Grenzen nicht

respektieren, wird das unsere Umgebung

schon gar nicht tun. Selbstfürsorge

bedeutet auch, auf die eigenen

Grenzen zu achten.

Übung: Bevor man automatisch bei

allen Anliegen, die an einen herangetragen

werden, zusagt, sollte man

sich manchmal auch etwas Zeit nehmen

für eine Antwort, dabei in sich

hineinhorchen, ob es sich auch wirklich

gut und stimmig anfühlt.

Ein liebevoller Umgang mit sich selbst

heißt auch, sich nicht selbst gedanklich

zu zerfleischen. Wenn eine sinnvolle

Reflexion von eigenen Fehlern in

Selbstzerfleischung umschlägt, dann

sollte man sich selbst „Stopp“ sagen.

Man könnte stattdessen einen wohlwollenderen

Blick auf sich selbst herzustellen

versuchen, indem man sich

ein Stück weit herausnimmt und einen

Positionswechsel versucht. Wie würde

man auf jemand hinschauen, den

man sehr mag und der in der gleichen

Situation ist? Was würde man diesem

Menschen raten?

Übung: Stellen Sie sich vor, das was

man bei sich selbst gerade so heftig

kritisiert und ablehnt, wäre man nicht

selbst, sondern würde eine:n liebe:n

Freund:in betreffen. Was würden Sie

dieser Person raten? Wie würden Sie

sie trösten, motivieren, Verständnis

entgegenbringen etc.?

Für sich selbst zu sorgen bedeutet

auch, sich ein wenig zu fordern und

Anregungen zu bieten. Ein Quell für

unser Selbstbewusstsein ist es unter

anderem, unsere Interessen zu pflegen

und manchmal auch etwas Neues

auszuprobieren. Seine eigenen

Interessen zu entdecken und immer

wieder zu erforschen, was einem

wirklich Freude macht, ist auch ein

wichtiger Teil der Selbstfürsorge.

Übung: Pflegen Sie regelmäßig Ihre

Hobbys und Interessen, probieren

Sie aber auch regelmäßig etwas

Neues!

13

Pause !


Thema: Fürsorge

… sich zu viel

kümmern – geht

das??

Die im Vorjahr nach Portugal führende Meerstimmig-Singreise

war wiederum zauberhaft schön, hatte aber für mich völlig

unerwartete Folgen.

von Christian Zuckerstätter

14

Schon im vorvorigen Jahr hatte ich von der Meerstimmig-Reise der Lagerfeuermann-

Singrunde, damals nach Kreta, berichtet. Im Vorjahr führte uns die Singreise nach

Portugal. Wiederum hatten Ulli und Ali, Masterminds und Veranstalter:innen der

Singreisen, ein fantastisches Quartier für uns ausfindig gemacht. Es lag zwar auf einer

Anhöhe in einiger Entfernung zum Meer, bot dafür aber einen zauberhaften Rundblick.

Von der Größe her war es wie geschaffen für uns, verfügte außerdem über einen

Swimming-Pool sowie schöne und gemütliche Aufenthaltsbereiche.


kurz + einfach

Die Meerstimmig-Singreise nach

Portugal führte zu unerwarteten

Herausforderungen für den

Autor Christian Zuckerstätter,

der bei seiner Reise mit vermehrter

Hilfsbereitschaft konfrontiert

wurde, was zu einer ungewollten

Beeinträchtigung seiner

Selbstständigkeit im Alltag führte.

Eine auf den ersten Blick nicht ersichtliche Kleinigkeit erschwerte

mir allerdings den Alltag im Quartier erheblich. Die

Trittflächen der Stufen waren extrem kurz – das Verhältnis

von Stufenhöhe zur Tiefe der Trittflächen betrug in etwa

1:1. Zur Orientierung: Otto Wagner, der berühmte Wiener

Architekt, empfahl ein Verhältnis von 1:3. Warum das für

mich von Bedeutung war: ich hatte es in den Monaten zuvor

durch hartnäckiges „immer wieder versuchen“ soweit gebracht,

freihändig – ohne Anhalten am Geländer – Stiegen

steigen zu können. Sogar im dichten Menschengewühl im

öffentlichen Raum. Das war eine große Freude und ich war

mächtig stolz drauf!

Wie gewonnen, so zerronnen

Ja und jetzt, auf diesen viel zu kurzen Stufen, auf denen ich

nur mit den Fußballen – oder abwärts mit den Fersen – Tritt

fassen konnte, war die frisch gewonnene Sicherheit dahin und ich hatte Probleme,

das Gleichgewicht zu halten. Das fiel einigen in der Gruppe auf und sie nahmen

sich meiner fürsorglich an. Ich freute mich sehr darüber und fand es toll, dass

mir schon am Frühstücksbuffet Teller und Müslischale hergehalten wurden, auf

die ich aufladen konnte. Und alles wurde mir zum Tisch getragen, Kaffeeschale,

Fruchtsaft, Müsli und Teller mit Brot, Butter und Käse.

Das war die signifikanteste von mehreren täglichen Aktivitäten, bei denen ich offensichtlich

einen hilfsbedürftigen Eindruck machte. Die Wiederholung desselben

Rituals Tag für Tag wurde mir mit der Zeit allerdings zu viel. Aus Rücksichtnahme

auf die Hilfsbereitschaft meiner Kolleg:innen erhob ich aber keinen Einwand.

Wieder im heimischen Alltag angekommen machte ich dann aber eine völlig überraschende

Entdeckung – ich stellte mich bei allen täglichen Handlungen deutlich

ungeschickter an als vor der Reise. Das hält sogar bis heute an, Monate danach.

Und das ist für mich wirklich nicht erfreulich!

Was tun bei nicht benötigter Hilfsbereitschaft?

Somit ist die Antwort auf die in der Überschrift gestellte Frage schon gegeben. Sie

lautet ganz eindeutig: JA. Und es stellt sich, daran anknüpfend, gleich die nächste

Frage: wie kann ich der von mir nicht erwünschten Hilfsbereitschaft entgegenwirken?

Es ist alles andere als einfach, darauf eine Antwort zu finden. Am einfachsten

ist das anhand eines konkreten Beispiels.

Das konkrete Beispiel liegt auf der Hand – die nächste Singreise steht bevor. Und

ich habe mich im Vorfeld schon intensiv damit auseinandergesetzt, wie ich vorgehe.

Von meiner ursprünglichen Idee, am Beginn eine kurze Rede zu halten, in der

ich die versammelte Gruppe davon in Kenntnis setze, bin ich wieder abgekommen.

Damit würde ich mich und meine Behinderung viel zu sehr in den Mittelpunkt rücken.

Und genau das will ich ja nicht.

15

Somit bleibt, jeweils in kurzen, erklärenden Einzelgesprächen die angebotene Hilfe

dankend, aber bestimmt abzulehnen. Das mag mühsam klingen und ist es höchstwahrscheinlich

auch. Aber die Mühe lohnt sich, wenn ich damit vermitteln kann:

ich fühle mich wohl, es geht mir gut. Auch wenn ich bei vielen Bewegungen deutlich

langsamer bin als alle anderen, auch wenn ich immer wieder unbeholfen und/

oder ungeschickt wirke – so bin ich eben! Das ist meine Art seit dem Herzstillstand

vor 16 Jahren. Und ich komme gut damit zurecht …


BALANCE Kunst


Josef Masterhofer

12 Miniaturen

Atelier Maria Ponsee,

Kreide auf Karton, 2020

Friedrich Ettenauer, 12.4.2023, „Elefantenherde und Vögel“. Acryl und Acrylstift auf Papier, 500 x 350 mm


Interbalance

Esther Gschweitl

„Man kann

sehr viel

mitnehmen“

mich um Erstgespräche und Anmeldungen und begleite

unsere Kund:innen in ihrem Alltag. Etwa im mobilen

Dienst, da kommen wir in der Wohnung vorbei

und besprechen, was in der Wohnung zu tun ist. Weil

es zu zweit viel leichter geht, putzen wir gemeinsam

oder begleiten Kund:innen bei Behördenwegen und

zu Arztterminen.

Nach unserem Konzept wohnen

18

Esther Gschweitl arbeitet für alpha

nova in Graz: Sie ist im Kernteam und

als Co- bzw. Hauptassistentin in den

Inklusiven Wohngemeinschaften

(IWG) von alpha nova tätig.

Interview: David Galko, Jürgen Plank

Welche Aufgaben haben Sie bei alpha

nova ganz konkret?

Esther Gschweitl: Ich bin im Kernteam, das aus

insgesamt sieben Mitarbeiter:innen besteht. Wir

haben unterschiedliche Aufgaben: Ich bin in der

Leitung der Öffentlichkeitsarbeit für unsere

Kund:innen zuständig. Das heißt, ich kümmere

Inklusionsassistent:innen mit unseren Kund:innen

in einer WG, also in einer Wohngemeinschaft zusammen.

Regelmäßiger Austausch findet innerhalb

der Team-Sitzungen statt, zudem sind wir

vom Kernteam die ersten Ansprechpersonen für

Inklusionsassistent:innen.

Damit zu euren Inklusiven Wohngemeinschaften

(IWG), in denen Menschen mit

Behinderungen gemeinsam mit den so genannten

Inklusionsassistent:innen wohnen.

Wie sieht dieses Zusammenleben aus und

wer sind die Assistent:innen?

Inklusionsassistent:innen sind großteils Studierende,

meistens zwischen 19 und 35 Jahren alt. Man muss

aber nicht unbedingt studieren, um bei uns als

Inklusionsassistent:in zu wohnen. Da man rund zehn

Stunden mitarbeitet, bezahlt man keine Miete für das

Zimmer. Wir stehen gerade kurz vor einer Umstrukturierung,

weil wir bemerkt haben, dass es sich seit

Foto: © Esther Gschweitl, privat


Corona gesellschaftlich verändert hat, wie Menschen

wohnen. Jetzt haben wir zum Beispiel die ersten beiden

2er-WGs bezogen, in denen ein:e Inklusionsassistent:in

jeweils mit eine:r Kund:in zusammenwohnt.

Sonst sind es eher 4er-WGs.

Was ist bei IWGs im Vergleich zu anderen

Wohngemeinschaften zu beachten, damit

das Zusammenleben gelingt?

Ich lebe selbst in einer WG, nicht in einer IWG, aber

ich bemerke viele Parallelen und dass es um ähnliche

Themen geht: du hast mir meinen Pudding weggegessen,

zum Beispiel. Ein Putzplan funktioniert nicht

oder die anderen sind zu laut. Der Unterschied liegt im

Verständnis und der Geduld, die man in einer IWG

mitbringen muss. Geht es darum, dass ein Lichtschalter

nie ausgeschaltet wird, wird an dieser Veränderung

gearbeitet. Das heißt, wenn man etwas sagt,

wird es vielleicht nicht gleich am nächsten Tag umgesetzt.

Das hängt auch mit der Diagnose der

Kund:innen zusammen. Aber sonst sind die Themen

ähnlich.

Weil Sie gesagt haben, dass Wohnen in Veränderung

begriffen ist. Was wäre vielleicht

auch räumlich günstig?

Wichtig wäre es, wenn das Wohnen ein bisschen individueller

angepasst wird. Jetzt haben wir hauptsächlich

4er-WGs, manchen ist das zu groß, einige genießen

regelrecht die 2er-WG. Man merkt einfach: Je

mehr Menschen in einer Wohngemeinschaft leben,

desto mehr Probleme gibt es. Bei manchen IWGs

könnten wir uns vorstellen, dass vielleicht ein:e

Inklusionsassistent:in für zwei Kund:innen reichen

könnte, weil diese nicht viel Unterstützung brauchen.

kurz + einfach

Esther Gschweitl von alpha nova

in Graz spricht über Inklusive

Wohngemeinschaften (IWG), wo

Menschen mit Behinderungen

mit nichtbehinderten Personen

zusammenleben. Sie betont

die Vorteile dieser Art des

Zusammenwohnens und teilt

Erfahrungen, die zeigen, dass

man viel lernen kann, sowohl als

Bewohner:innen mit als auch ohne

Behinderung.

Es ist wichtig, den Fokus darauf zu legen und zu

schauen, wie sich die jeweilige Situation entwickelt.

Selbstständigkeit als Voraussetzung

Wie kommt man nun zu euch in die IWG, als

behinderter bzw. als nicht-behinderter

Mensch?

Als Mensch mit Behinderung: man findet erste Informationen

auf unserer Website. Grundsätzlich kommt

es zu einem Kennenlern-Termin, bei dem wir uns vorstellen

und erzählen, wie das Wohnen bei uns aussieht.

Manchmal möchten Menschen bei uns wohnen,

die haben aber nicht die nötige Selbstständigkeit oder

können nicht alleine sein. Das ist bei uns aber schon

eine Voraussetzung, weil die Studierenden am Wochenende

auch mal nicht da sind oder mal bei

Freund:innen übernachten. Beim Kennenlernen geht

es auch darum, ob wir uns das gegenseitig vorstellen

können. Dann wird die Wohnung hergezeigt, weil es

auch wichtig ist, dass sich die potenziellen

Mitbewohner:innen alle untereinander verstehen,

wenn sich die Zusammensetzung der

Mitbewohner:innen verändert. Wir sprechen darüber

auch meistens schon in der Teamsitzung, wohin die

Person passen könnte. Und dann gibt es den Bescheid

zum Wohnen in Inklusiven Wohngemeinschaften

und wenn man den bekommt, kann man bei uns

einziehen.

Gibt es Voraussetzungen für die

Inklusionsassistent:innen?

Ja. Voraussetzungen sind auf jeden Fall ganz grundsätzliche

Dinge: Verlässlichkeit etwa. Es ist auch die

Frage: mit welcher Motivation ziehen die

Inklusionsassistent:innen in die IWG? Nur weil es kostengünstig

ist oder steckt eine andere Motivation dahinter?

Es gibt einen Probemonat, da schauen wir, ob

das Zusammenleben passt. Wenn ein:e Assistent:in

ihre Stunden nicht macht, nicht absagt oder keine

Vertretung sucht, dann können wir so nicht zusammen

arbeiten. Das würde unseren Anforderungen an

Assistent:innen nicht entsprechen.

Wie oft kommt ihr vom Kernteam in einer

IWG vorbei?

Das ist sehr individuell. Denn die Kund:innen sind sehr

unterschiedlich. Meistens ist es so, dass sie jeweils

eine Haupt- und eine Co-Assistent:in haben. Das ist

auch von den Zeiten abhängig. Anfangs, wenn Personen

einziehen, ist es wichtig, dass mehr Betreuung da

ist. Ich persönlich sehe die Kund:innen grundsätzlich

ein bis zwei Mal pro Woche. Wenn eine Krise ansteht

natürlich auch öfters.

>>

19


Bewohner:innen der inklusiven WG

20

Gibt es für euch bzw. für die

Inklusionsassistent:innen die Möglichkeit

zur Supervision?

Ja. Wir vom Kernteam haben regelmäßig Supervisionen,

für die Inklusionsassistent:innen gibt es diese je

nach Bedarf. Es gibt auch Team-Sitzungen mit ihnen

und alle zwei Monate setzen wir uns in der IWG zusammen

und besprechen aktuelle Probleme.

Ausflug: Schokoladenfabrik

Wie sieht es in Bezug auf Freizeitunternehmungen

aus?

Auch das ist von IWG zu IWG unterschiedlich und

individuell. Wir haben Wohngemeinschaften, die regelmäßig

ein Gemeinschaftswochenende machen. Da

werden unterschiedliche Ausflüge gemacht, wie etwa

nach Wien oder zu einer Schokoladenfabrik.

Sie wohnen selbst in einer WG, könnten Sie

sich vorstellen, auch mal in einer IWG zu

leben?

Ich habe mir das überlegt, als ich bei alpha nova angefangen

habe. Ich bin jetzt 28 Jahre alt und habe schon

alleine und in WGs gewohnt und ich glaube, dass ich

eher alleine wohnen möchte, weil es mir zu anstrengend

ist, in einer WG zu wohnen. Aber ich glaube

auch, dass ich mir eine IWG mit 20 Jahren schon vorstellen

hätte können. Ich brauche für mich meine Ruhe

und mir ist es selbst in meiner aktuellen WG manchmal

zu laut.

Von welchen Erfahrungen berichten die

Inklusionsassistent:innen einer IWG?

Es ist grundsätzlich eine tolle Erfahrung, in einer IWG

zu wohnen, für viele ist es die erste WG. Sowohl für

die Kund:innen als auch die Inklusionsassistent:innen.

Manche der Assistent:innen mit pädagogischem Hintergrund

kommen mit einem anderen Blick in die IWG

als Studierende von der Musikuniversität oder der WU

(Wirtschaftsuniversität). Da habe ich schon oft beobachten

können, dass Inklusionsassistent:innen, die

etwas ganz anderes machen, rasch merken: wow, das

ist richtig cool! Die haben einen ganz anderen Blick

und gehen mit mehr „Normalität“ in die IWG. Da geht

es mehr darum, miteinander zu wohnen. So eine IWG

ist wie eine zweite Familie, man weiß viel voneinander

und alleine das ist sehr bereichernd.

Einer meiner Arbeitskollegen hat während seiner Ausbildung

als Inklusionsassistent in der IWG gewohnt.

Das hat ihm dann so gut gefallen, dass er nach der

Ausbildung in unserem Kernteam als Fachassistent zu

arbeiten begonnen hat, jetzt arbeitet er seit über zehn

Jahren mit uns zusammen. Ich glaube also, dass man

sehr viel mitnehmen kann.

Zur Person

Esther Gscheitl (28) ist seit rund fünf

Jahren bei alpha nova. Nach ihrer Lehre als

Tapeziererin und Dekorateurin hat sie ein freiwilliges

soziales Jahr absolviert und danach

die Ausbildung zur Diplom-Sozialbetreuerin

in Behindertenbegleitung bei der Caritas gemacht.

Bei der Suche nach Arbeit ist sie auf die

Inklusiven Wohngemeinschaften (IWG) gestoßen

und seitdem mit großer Begeisterung im

Team von alpha nova.

www.alphanova.at

Foto: © Christopher Mavric


timeout –

Auszeit mit Chris

I kenn me no more out

Die zunehmende Anglifizierung sprengt für mich

mittlerweile das Maß des Erträglichen

von Christian Zuckerstätter

Etwas, das mich schon länger beschäftigt, bekam

bei einer der letzten Redaktionssitzungen

neue Nahrung. Als wir das Thema der aktuellen

Ausgabe – Fürsorge – begannen abzuhandeln, fiel

die Bemerkung, das sei kein zeitgemäßer Begriff

mehr. Da stecke „für jemanden sorgen“ drin. In meinem

Kopf bildete sich eine lange Reihe riesengroßer

Fragezeichen: Wie? Was? Wieso? Ist es „nicht

mehr cool“, für jemanden Sorge zu tragen? Und der

genannte aktuelle Begriff „Take care“ setzte meiner

Fragezeichen-Reihe gleich ein paar weitere hinzu:

Was soll das? Take care bedeutet laut Wörterbuch

sorgen, achtgeben, somit genau dasselbe. Warum

also die Transformation ins Englische? Wahrscheinlich

mit derselben sachlichen Begründung wie die

Umbenennung von Preiselbeeren in Cranberrys. Eben

mit keiner. Es klingt einfach moderner. Und ist den

Strömungen der Zeit unterworfen. So verschwanden

in letzter Zeit – im selben Maß, wie die englischen

Wörter zugenommen haben – die aus dem

Französischen übernommenen Wörter fast völlig aus

unserem Sprachgebrauch.

English juheeee – Französisch ade

In meiner Kindheit gehörten für mich Worte wie

Plafond (ausgesprochen: Plafoo) oder Trottoir (ausgesprochen:

Trottoaa) zur alltäglichen Sprache. Das

Wort Plafond findet heute nur noch gelegentlich

Verwendung und wird zumeist durch Zimmerdecke

ersetzt. Aber kein Mensch sagt mehr Trottoir zum

Gehsteig.

Auch im Lebensmittel- und Gastronomiebereich

sucht man heute weitgehend vergeblich nach französischen

Vokabeln. So sucht man etwa im Supermarkt

erfolglos nach Gervais (ausgesprochen: Scherwee)

und muss sich auf Frischkäse umstellen. Und auf den

Speisekarten in Gasthäusern findet man heutzutage

statt Pommes frites (ausgesprochen: Pomm fritt) nur

noch die deutschsprachige, für mich unschön klingende,

Abkürzung Pommes.

Tja, so geht eben alles seinen Lauf. Alles ändert sich.

Nichts bleibt, wie es einmal war. So werde wohl auch

ich mich eines Tages von „meiner“ Topfentorte verabschieden

(snief), nach der ich noch immer beharrlich

verlange, auch wenn mich die Verkäuferinnen in der

Bäckerei schon mehrmals drauf hingewiesen haben,

dass das ein Cheesecake sei. Das heißt wortwörtlich

übersetzt Käsekuchen. Und ich finde es abartig, zur

Topfentorte Käsekuchen zu sagen. Ja, ich weiß, dass

das kindisch ist …

Inzwischen erinnert mich das stark an die Zeit, in

der sich meine Eltern über die „Invasion“ englischer

Wörter, wie Hit, Disco, Song und einiges mehr aufgeregt

haben. Inzwischen sind diese Worte schon

lang fixer Bestandteil unserer Sprache. Und es ist

heute natürlich gaaaanz was anderes, weil es jetzt

„meine“ Worte sind, die ich mein ganzes bisheriges

Leben gewohnt bin. Und es ist alles andere als

leicht, sich von Gewohntem zu trennen. Auch wenn es

Nebensächlichkeiten sind.

Eindeutschung, Verballhornung …

Mit besonders großer Skepsis stehe ich dem gegenüber,

was allzu oft der nächste Schritt ist – die

„Verwurschtung“ eines fremdsprachigen Wortes nach

den Regeln unserer Sprache. Aktuelles Beispiel dafür

ist für mich das Wort „Test“. Seit ich denken kann, hat

dieser Terminus seinen fixen Platz in unserer Sprache.

Und ist nicht mehr wegzudenken. Jetzt auf einmal,

insbesondere im Zuge der Anti-Corona-Maßnahmen

war auf einmal von Testungen die Rede. Testung? –

mir tut das richtiggehend weh. Was soll das auf

einmal?

Ja, und Ähnliches ist natürlich auch bei „Take care“

zu befürchten. Vor allem die Umwandlung des englischen

Wortes in ein deutsches Zeitwort, wie etwa

caretaken, gecaretaket oder gar „wir taken care“. Da

stellen sich mir die Haare auf. Und da tun sich sprachliche,

grammatikalische und linguistische Probleme

auf. Weiter kann und will ich nicht denken …

21


Anatomy of

Touch Intensive

Ein Workshop im Rahmen des 40. ImPuls Tanzfestivals im Sommer

2023. Beim diesjährigen Gewinnspiel aus der Kooperation

von BALANCE mit dem ImPuls Tanz Festival Wien habe ich zwei

Karten für Workshops gewonnen. Und konnte es kaum glauben!

Glücklicherweise erlaubte auch der Dienstplan die Teilnahme.

Von Alexandra M. Kocher, BALANCE-Mitarbeiterin in der

Persönlichen Betreuung

Sabine Parzer hatte zum Workshop Anatomy of Touch Intensive eingeladen und

beschreibt diese Arbeit während der fünf Tage:

„Berührung ist der erste unserer Sinne, der sich im Uterus entwickelt, ist direkt mit

unserem Nervensystem verbunden und der effektivste Mechanismus für Kommunikation.

Die Haut, unser wichtigstes Sinnesorgan, enthält eine Fülle von Informationen

über unseren Seinszustand, unsere Bewegungen, Berührungen, Grenzen

und persönlichen Bedürfnisse. Berührung kann zutiefst befriedigend und zutiefst

erschreckend sein und wir werden die Freude und den Schmerz hinter dem Thema

betrachten. Als Tänzer:innen haben die meisten von uns eine selbstverständliche

Beziehung zu Berührung, die ein natürlicher Bestandteil der Beziehung zwischen

Körper und Bewegung ist ...“

Wir widmeten uns Solotänzen, kreativem Schreiben und Authentic Movement,

Duetten mit Körperarbeit, Angewandter Anatomie und Integrativer Contact Improvisation,

Gruppenarbeit mit Scores und inhaltsbezogenen Sharings. Die zweieinhalbstündigen

Workshops von Montag bis Freitag folgten in etwa diesem Ablauf:

22

• Warm-up am Boden – wir bewegen uns fei am Boden liegend, sitzend, stehend,

wir dehnen, strecken uns, folgen unseren Impulsen in der freien Bewegung

• Einzel- und Gruppenübungen aus Authentic Movement, Angewandter Anatomie,

Integrativer Contact Improvisation

• Teilen und Abschließen im Kreis

Als Menschen, die andere Menschen begleiten und pflegen, berühren wir immer

wieder in unserer Arbeit, wir lesen an der Haut, wir deuten Atem, Mimik, Gestik,

Bewegungen, Berührungen, auch wenn Menschen nicht verbal kommunizieren,

sprechen sie über ihre Körper, ihr Nervensystem an und sie erzählen uns einen Teil

ihrer Geschichten … »


kurz + einfach

Der Artikel beschreibt die Teilnahme

an einem Workshop mit dem

Titel „Anatomy of Touch Intensive“

im Rahmen des 40. ImPuls Tanz

Festivals Wien, der von Sabine Parzer

geleitet wurde und sich auf die

Bedeutung und Erforschung von

Berührung konzentrierte, insbesondere

im Kontext von Tanz, Authentic

Movement und Contact Improvisation.

Authentic Movement: ist ein Fachbegriff

aus der Tanztherapie, ist

Englisch und bedeutet wörtlich

übersetzt authentische Bewegung.

Dabei bewegt sich eine Person frei

oft mit geschlossenen Augen im

Raum und eine zweite Person beobachtet

sie dabei, danach tauschen

sich beide darüber aus.

23

Contact Improvisation: ist ein englisches

Wort und bedeutet frei

übersetzt aus dem Stehgreif Bewegungen

gemeinsam mit anderen

auszuführen. Es bezeichnet einen

zeitgenössischen Tanzstil, bei dem

es um die aktive Entdeckung aller

Bewegungsmöglichkeiten geht, die

zwei oder mehr menschliche Körper

ausführen können.


Sabine Parzer fasst ihre Arbeit mit dem Namen „Holistic Dance“ zusammen und

teilt mit uns kurz Theorie zu Authentic Movement und Contact Improvisation und

Integrative Contact Improvisation: Authentic Movement ist ein stark nach innen

gerichteter Bewegungsansatz, es wird als unbeabsichtigt, echt oder „authentisch“

beschrieben, eine Art „Freies Bewegen“. Es ist eine Form ausdrucksstarker

Bewegungspraxis, in diesem Prozess gibt es zumeist zwei Rollen:

• Eine Person bewegt sich frei mit geschlossenen Augen instinktiv, folgt inneren

Impulsen. Unverzüglich verbinden wir uns dabei, ohne viel nachzudenken, mit unserem

Unbewussten.

• Eine andere Person fungiert als „Zeug:in“, beobachtet, hält den Raum, ohne zu

urteilen oder zu analysieren, spürt nach, empfindet und nimmt wahr, welche Bilder

auftauchen (könnten).

Contact Improvisation ist ein mittlerweile etablierter zeitgenössischer Tanz stil, es

geht dabei um das Erforschen und aktive Entdecken von Bewegungs möglich keiten,

die zwei oder mehrere Körper ausführen können. Ausgangspunkt für Contact Improvisation

ist die Begegnung von zwei Personen, die Berührung in Improvisations bewegungen

teilen. Dreidimensionale Bewegungen entstehen durch das Zusammenspiel

der Tanzelemente wie Gewicht, Kraft, Geschwindigkeit und Impuls.

Die Workshopleiterin beschreibt die von ihr angewandte Methode der „Integrative

Contact Improvisation“ als „eine achtsame Form der Contact Improvisation, die

sich auf die heilsamen, emotional verbindenden Elemente im Tanzen konzentriert.

Wir spielen, forschen und testen unsere physischen und emotionalen Grenzen in einem

Setting, in welchem Verletzlichkeit, Verbundenheit und Begegnung genauso

Raum haben wie Körperlichkeit, Wildheit und künstlerischer Ausdruck. Empathie,

Selbstverantwortung, Berührungsqualitäten sind Kernelemente der Integrative

Contact Improvisation …“

Dies sind sehr persönliche Prozesse, die Offenheit und Achtsamkeit erforderten.

Sabine stellte nach einem kurzen freien Bewegen die folgenden Fragen:

• Von wem genieße ich es, berührt zu werden? Wann und wo?

• Wen berühre ich gerne und wann und wo?

• Wo liegt der Unterschied, zu berühren oder berührt zu werden?

• Was nehme ich wahr, was empfinde ich, wenn ich berühre und berührt werde?

• In welchem Kontext mag und genieße ich Berührung?“

Mir fielen dabei auch die Menschen ein, mit denen wir arbeiten, die, die verbal kommunizieren

und die, die nicht oder kaum sprechen (können) … Berührung ist Teil unserer

Arbeit. Im besten Fall sind wir im Dialog, im somatischen Dialog.

24

Auf Seite 25 sind einige Übungen, die wir gemeinsam gemacht haben, beschrieben.

Wir haben noch viele weitere Berührungs- und Bewegungssequenzen miteinander

durchgespielt, erforscht. Am Ende der Einheiten teilten wir unsere Erfahrungen und

Wahrnehmungen im Kreis. Der Workshop war ein intensiver Prozess, der mich sehr

berührte und für meine Arbeit inspirierte. Vielen lieben Dank dafür, dass die Teilnahme

an derartigen Workshops durch Kooperationen von BALANCE möglich war.

Die Autorin dieses Textes, Alexandra

M. Kocher, D.SB arbeitet seit

April 2020 als Diplomierte Sozialbetreuerin

in der Persönlichen

Betreuung für BALANCE.

Sabine Parzer unterrichtet an

ihrem Holistic Dance Institute

in Sankt Andrä-Wördern, in verschiedenen

Ländern Europas und

in den USA. Sie hat einen Teil der

Übungen in einem illustrierten

Kartenset veröffentlicht, das an

ihrem Institut erhältlich ist.

Weiter Informationen

www.holistic-dance.at


Übungen, die wir im Workshop

gemeinsam ausführten

(eine kleine Auswahl)

In Kontakt kommen:

Ein:e Partner:in liegt am Boden am Bauch.

Der:die andere Partner:in nimmt Kontakt mit dem

Rücken auf, zwischen den Schulterblättern, dann die

andere Hand, der Wirbelsäule entlang, nähe Steißbein:

Beobachten des Atems, Lauschen

In der Rückenlage:

Haare nach hinten streifen und beide Hände

bilden eine Schale für den Hinterkopf

Spüren der Pulsation am Hinterkopf

Dann in der Rückenlage: eine Hand am Rücken auf

Höhe des Herzens, andere Hand auf der Vorderseite auf

Höhe des Herzens direkt am Körper oder ohne direkte

Berührung

Berühren I

Eine Person steht mit geöffneten

Armen, die andere rollt sich mit weit geöffneten

Armen an der Rückseite entlang: Finger

an Finger, Arm an Arm, Schulter an Schulter,

Herz an Herz … und gleitet dann in ein freies

Bewegen, kehrt aber immer wieder zurück zur

Person, die den Raum hält.

Berühren II –

Angewandte Anatomie

Um das Schultergelenk besser kennenzulernen

und zu erforschen, berührt und klopft

eine Person das Schulterblatt der anderen ab,

Lungenflügel, Gelenke, Arme an der Vorderseite,

dann beginnt sie, die Arme zu bewegen, den Arm

bis zur Hand abzuklopfen

Dieses Berühren setzt sich dann in einem

freien Bewegen derjenigen Person fort, die

zuvor gestanden ist. Die andere Person

begleitet das Bewegen ohne zu berühren.

Grenzen erkennen

(fortgeschritten)

Wesentlich dafür ist ein vorhergehender

und gut vorbereiteter Prozess des einander

Kennenlernens:

Authentic

Movement Plus

Freier Bewegungsprozess, der

bezeugt und begleitet wird

Gruppenübung

Eine Gruppe von circa fünf

Teilnehmer:innen steht in einer Reihe, eine

Person steht circa zehn Schritte weit entfernt und

bewegt sich zuerst auf die erste, dann die zweite,

dann den dritte … usw. Person zu.

Aufgabe: Die Person legt ihre rechte Hand auf die

rechte Schulter, der:die erste Empfangende nimmt die

Hand der:des Gebenden und sagt „Nein, danke …“, das

„Nein“ sollte klar und überzeugend, laut und kräftig

genug klingen! In der nächsten Übungen versuchen

alle Teilnehmer:innen durch Hüpfen, tief Atmen

oder tief Tönen wirklich in ihre Mitte zu kommen,

um das „Nein“ zu vertiefen!

25

Eine Person bewegt sich frei.

Eine andere nimmt beobachtend teil, bezeugt und greift

nicht ein. Jemand beobachtet, bezeugt und antwortet im

somatischen Dialog, d. h. nimmt durch Berührung oder

Bewegung in einer Bewegungssituation instinktiv teil.

Foto: Olga Berdikyan


Afrofusion Dance –

60 plus

… ImPuls Tanz war auch heuer wieder vom ersten bis zum

letzten Atemzug vollgepackt mit freudvollen Überraschungen …

Von Christian Zuckerstätter

26

kurz + einfach

Der Artikel berichtet über den

Afrofusion Dance-Workshop für

Teilnehmer:innen über 60 im Rahmen

des ImPuls Tanz Festivals,

geleitet von Futurelove Sibanda,

einem Tanzpädagogen aus Simbabwe,

der durch seine dynamische

Choreografie und die positive

Atmosphäre in der Gruppe

beeindruckte, wobei die Sprachbarriere

und das hohe Tempo für

den Autor herausfordernd waren.

Bei meinem bisher schon fünften ImPuls-Tanz-Workshop war

ich vorerst einmal gespannt auf die für mich neue Location. Für

einen alteingesessenen Donaustädter ist die Schmelz „fremdes

Territorium“ und ich tat mir schon mit der Anreise nicht

leicht. Zumal ein Totalausfall der Linie U3 mich dazu zwang,

vom Stephansplatz aus ein Taxi zu nehmen. Dies lieferte mich

zwar „direkt vor der Haustüre“ ab, doch tat ich mir am Gelände

des Universitätssportzentrums Schmelz aufgrund der für meine

Begriffe ebenso unzureichenden wie verwirrenden Wegweiser

äußerst schwer, den Saal, in dem der Afrofusion-Dance-

Workshop stattfand, zu finden.

Mit einer Viertelstunde Verspätung hetzte ich in den Saal,

wo der Workshop schon voll im Gang war. Ich wurde von

Futurelove, dem Leiter des Workshops, freundlich empfangen,

ich stellte mich vor und schon war ich Teil der großen Runde.

Und ich fühlte mich vom ersten Moment an wohl im Kreis, der

mich wortlos willkommen hieß. Schon der erste Rundblick

zeigte mir, dass das gewohnte Verhältnis zwischen den

Geschlechtern hier noch auf die Spitze getrieben war – zwanzig

Damen waren anwesend und ich war einer von zwei Herren.

Schnell war mir klar, dass ich mich in einer äußerst munteren,

sehr beweglichen Runde voller Leben befand. Das einzige, was

auf das Alter „über 60“ hindeutete, waren die grauen oder weißen

Haare vieler Teilnehmer:innen. Sie waren fast durchwegs


schlank und sehr gelenkig. Und es war eine große

Freude, Teil dieser Runde zu sein. Geleitet wurde der

Workshop von Futurelove Sibanda, einem 39 Jahre

jungen Mann aus Simbabwe, extrem beweglich und

extrem gut an der Djembe, die er oft parallel zu all seinen

anderen Tätigkeiten anschlug.

Begleitet wurde er noch von Mathias, einem

Schlagzeuger, der geschmeidig und nahtlos das

„westliche“ Schlagzeugspiel mit der afrikanischen

Trommelmusik verband, als wären sie eins. Ich bewunderte

das, weil ich sowohl Schlagzeug als auch

Trommeln spiele. Aber getrennt voneinander in zwei

verschiedenen Musikgruppen.

Movement on high level

(Bewegung auf hohem Niveau)

Vom ersten Moment an war ich im Bilde – hier wurde

kein Wort zu viel gesprochen. Futurelove machte jede

einzelne Bewegung der dann folgenden Choreografie

vor und im nächsten Moment wurde sie schon von

allen nachgemacht. Äähhh, von fast allen, ich kam

da nicht immer mit. Ich war aufs Höchste gefordert,

aber nicht überfordert. Ich fügte mich gerne den

Gepflogenheiten und tat mit, so gut ich konnte.

Speziell an den ersten beiden Tagen war mir das

Tempo, mit dem hier vorgegangen wurde, um einiges

zu hoch. Da hieß es etwa „linker Arm hoch, rechter

Fuß stampft, dabei Schultern nach hinten kreisen“.

Das ganz zwei Mal, dann andere Seite. Ein paar Mal

wurde das durchprobiert, dann hieß es: „Everything

o. k.? … O. k. – second movement …“. Das ging flott so

weiter und nachdem alle sieben oder acht Movements

durchgespielt waren, hieß es gleich: „Now all together“.

Ich hatte nur einen Gedanken: „Uff“. Aber

die meisten Damen um mich herum machten die

komplette Choreografie mit einer Leichtigkeit durch,

Choreografierte Bewegungen der Gruppe beim

Afro-Fusion Dance Workshop im Universitätssport

zentrum auf der Schmelz

als hätten sie sie schon seit Wochen geprobt. Daran

konnte ich mich super orientieren. Und es verlieh

Flügel.

Apropos, die Sprache, mit der beim Workshop

kommuniziert wurde, war durchwegs English.

Das erschwerte es für mich zusätzlich. Meine

Englisch-Kenntnisse sind, wenn überhaupt, auf

Mittelschul-Niveau stehengeblieben. Mein passiver

Wortschatz ist zwar o. k., aber manchmal geht’s mir

einfach zu schnell. Manchmal wurde es witzig – wenn

Futurelove auf Englisch nicht weiter wusste, behalf er

sich auf Wienerisch und sagte zum Beispiel „a bissl

hoit“ …

Aus kulturellen Unterschieden lernen

Unser geplantes Interview führten wir aus

Zeitgründen per Mail durch. Die Antworten, die ich

dabei von Futurelove erhielt, finde ich so interessant,

dass ich sie den Leser:innen nicht vorenthalten möchte.

Als ich ihn zum Beispiel nach seinem wirklichen

Namen fragte, meinte er amüsiert, dass ihm diese

Frage oft gestellt wird. Sein Name IST Futurelove.

Somit wird klar, dass die Namensgebung in Afrika sich

nicht auf althergebrachte Vornamen beschränkt, sondern

der Fantasie der Eltern überlassen bleibt.

Futurelove kam 2010 nach Wien, um am MUK, der

Musik- und Kunst-Privatuniversität der Stadt Wien,

Tanzpädagogik zu studieren. Nach dem Studium beschloss

er, seine Laufbahn von hier aus zu starten

und blieb in Wien. Er ist schon länger im Rahmen

der ImPuls-Tanz-Aktivitäten am Werk, der heurige

Afrofusion-Dance-Workshop ist aber sein erster eigener

Workshop. Bisher war er bei Public Moves und bei

der Zusammenarbeit mit Kindern tätig.

Nachdem ich die Woche unter seiner Leitung seeeehr

genoss, fragte ich ihn, ob er auch künftig Workshops

leiten wird. Er meinte, wenn er wieder eingeladen

wird, sehr gerne. Und als ich ihm sagte, dass ich einige

der Bewegungen, die Teil seiner Choreografien

waren, aus der Physiotherapie kenne (etwa zur

Linderung von Arthrose-Schmerzen) und wissen wollte,

ob er sie bewusst eingesetzt hat, erklärte er: nein,

über diese Zusammenhänge weiß er gar nichts. Das

sind einfache Bewegungen, die er seit seiner Kindheit

zusammen mit seiner Mutter gemacht hat.

Eine vielsagende Antwort, die besagt, dass manche

Menschen in Afrika noch ein instinktives Gefühl dafür

haben, was ihnen guttut. Ein Gefühl, das uns „kultivierten

Westlern“ mehr und mehr abhandengekommen

ist. Soweit abhanden, dass wir Universitäten besuchen,

um das zu lernen, was einige Afrikaner:innen

noch in sich tragen. Einen wunderschönen Satz von

Futurelove Sibanda möchte ich an den Schluss setzen:

dance itself is therapy (Tanz an sich ist eine

Therapie). Danke Futurelove und danke ImPulsTanz!

27


B

A

L

A

N

C

E

T

A

G

E

S

S

T

R

U

K

T

U

R

28

Das Klima- und

Zusammenkommen-Fest

Von Andi Tettinger

Am 19. Oktober hatten wir in der Käthe-Dorsch-Gasse

ein Fest, das Motto war: Klima und Zusammenkommen.

Die Veranstalter:innen waren Klub All in Penzing,

BALANCE und die Schulen und Kindergruppen des

Bildungscampus.

BALANCE hatte drei Stände, den MUV-Stand (Mobile

Unterstützungsvermittlung), einen Info-Stand und einen

Stand auch zum Thema Nachhaltigkeit, der wurde von

uns, dem Team der Tagesstruktur Käthe Dorsch betrieben.

Unter anderem gab es Lose und Preise zu gewinnen.

Ich habe die Lose an den Mann oder die Frau gebracht,

bin herumgefahren und habe sie verteilt und obwohl ich

die Lose zum Spaß um 100 Euro angeboten habe, konnte

ich alle austeilen und ich habe dabei großen Spaß

gehabt!

Es war ein Super-Nachmittag!

kurz + einfach

Der Autor Andi Tettinger

beschreibt ein Klimafest in der

Käthe-Dorsch-Gasse, bei dem

BALANCE mit verschiedenen

Ständen mitmachte, darunter ein

Stand zur Nachhaltigkeit, der von

der Tagesstruktur Käthe Dorsch

betrieben wurde, und bei dem

Lose mit Gewinnmöglichkeiten

angeboten wurden.

Fotos: © BALANCE/h.hiebl


Fotos: © BALANCE/h.hiebl

Jubiläum

20 Jahre

Tagesstruktur

Fuchsenfeld

bei BALANCE!

Im Oktober versammelten sich zahlreiche Gäste

in der Fockygasse im 12. Bezirk, um das 20-jährige

Jubiläum der BALANCE-Tagesstruktur

Fuchsenfeld zu feiern. Die Stimmung war großartig,

und es gab inspirierende Reden unserer

Geschäftsführerin, der Fachstelle Beschäftigung,

der Standortleiter:innen und eines Teilnehmers

der Tagesstruktur.

Diese 20 Jahre waren eine beeindruckende Reise

– von einer Produktionsstätte und Werkstätte

mit Fokus auf Beschäftigung hin zu einem kreativen

und offenen Begegnungsort. Ein besonderer

Dank gilt seitens der Redner:innen den engagierten

Mitarbeiter:innen und Teams, die in diesen

20 Jahren und vor allem in den herausfordernden

Jahren der Pandemie Großartiges geleistet

haben.

Unser größter BALANCE-Standort Fuchsenfeld

feierte mit einer köstlichen Torte, einem Buffet,

einer erfrischenden Cocktailbar und einer tollen

Disko! Für Kreative gab es eine Wandmalaktion,

bei der jede:r seinen Beitrag malen konnte. Alles

in allem eine sehr gelungene und fröhliche Feier,

die das Team Fuchsenfeld für ihre Gäste vorbereitet

hatte! (heh)

by by bettina bettina onderka onderka

by juka

Jubiläums

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Jubiläums

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by steffi wimmer

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Pakete für

Nachbar:innen

annehmen

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Pro

Von Christian Zuckerstätter

Ich verbringe bedingt durch die Behinderung recht

viel Zeit zu Hause. Trotzdem ist es geradezu ein ungeschriebenes

Gesetz, dass ich gerade dann nicht da

bin, wenn ein Paket für mich ankommt. Und das ist,

ebenfalls behinderungs-bedingt, nicht selten der Fall.

Einkaufen online per Knopfdruck ist eben viel einfacher,

als wenn es mit langen Wegen verbunden ist.

Insbesondere dann, wenn es sich um große und/oder

schwere Güter handelt. Und insbesondere auch bei

erschwerten Bedingungen im Winter.

Bei den zahlreichen privaten Zustelldiensten ist es

eine ungeschriebene Selbstverständlichkeit, dass

Pakete bei Nachbar:innen abgegeben werden. Ich

nehme häufig Pakete für Nachbar:innen entgegen,

weil ich untertags zu Hause bin, während die anderen

am Arbeitsplatz sind. Umgekehrt, wenn ich Pakete

erhalte und nicht da bin, werde ich per SMS verständigt,

dass das Packerl vor der Wohnungstür liegt oder

bei dem oder der Nachbarn:in hinterlegt wurde. Alles

simpel, einfach – nicht so bei der Post, da werden die

Pakete wieder abtransportiert und ich muss sie bei

der nächstgelegenen Post-Filiale abholen. Das hat

mitunter fast unüberwindliche Folgen für mich.

Hier ein Beispiel: ein 24 Kilo schweres Paket kam

an und ich war nicht da … im Postkastl fand ich

den Bescheid, wo es abzuholen sei … schon ahnend,

was auf mich zukommt nahm ich ein kleines

Möbeltransport-Wagerl mit … der Transport war kein

Kinderspiel … mit der U-Bahn, mit dem Aufzug – alles

machbar, aber alles anstrengend … vor meinem

Haus blieb ich schließlich in der dort querenden

Straßenbahnschiene mit dem Rad meines Wagerls

stecken … die Straßenbahn hinter mir bimmelte wild

und im verzweifelten Versuch, das Wagerl zu lösen,

brach das Rad ab … das Happy End – eine junge Frau

mit kleinem Kind, die grad des Weges kam, half mir

aus der Patsche, befreite das Wagerl aus der Schiene

und bot sich dann sogar an, mir das Paket bis vor die

Wohnungstür zu tragen!! Somit Ende gut, alles gut,

aber das alles wäre mir erspart geblieben, wenn das

Paket bei Nachbar:innen gelandet wäre …

Für mich ist das „Pakete für Nachbarn übernehmen“

bzw. umgekehrt eine geradlinige, unkomplizierte

Lösung, die ich richtiggehend genieße. Nicht zuletzt

auch deswegen, weil ich dadurch mit Nachbar:innen

in Kontakt komme, die ich vielleicht noch nie zu

Gesicht bekommen habe. Somit ist es für mich nicht

nur zweckmäßig, sondern auch höchst kommunikativ.

Contra

Von Helga Hiebl

Und schon wieder liegen zwei riesige Pakete für unsere

Nachbar:innen bei uns im Vorraum! Seitdem

mein Partner hauptsächlich im Home-Office arbeitet,

hat sich das anscheinend auch bei den diversen

Zustellfirmen und leider auch bei der Post herumgesprochen

und so werden sämtliche Pakete für

das Wohnhaus bei uns abgeladen. Was anfangs als

freundlicher Nachbarschaftsdienst begann, gerät zunehmend

außer Kontrolle und bringt für uns vermehrt

Ärger und Mühsal.

Da liegen sie nun, man weiß nicht wann oder ob sie

je abgeholt werden, oft müssen wir aktiv die Packerl


dann zu den Nachbar:innen bringen, weil sie

vergessen sie abzuholen oder es läutet dann

spät am Abend oder am Wochenende, man

kuschelt entspannt im Pyjama auf der Couch

und plötzlich muss man an die Tür. Es nervt.

Natürlich schreibe ich über die länger bei

uns gelagerten Pakete dann auch in unseren

Hausgruppen-Chat mit der Bitte um

Abholung und manchmal hat man sogar

Glück und derjenige oder diejenge meldet

sich dann rasch. Dennoch, es ist immer aufwändig

und mühsam, die Packerln wieder

loszuwerden oder ständig in Bereitschaft zu

sein, weil jederzeit wer anläuten könnte, um

sein Paket abzuholen. Es ist halt einfach nur

lästig. Besonders wenn der Tag mit Meetings

voll ist und man nicht einfach im Home-

Office den Packerldienstleister spielen kann.

Wir sind ja keine Poststelle!

Die Annahme eines Nachbar:innen-Pakets

im Haus aber abzulehnen ist wegen des sozialen

Drucks der Hausgemeinschaft auch

keine Option, eine gute Nachbarschaft will

man nicht aufs Spiel setzen, außerdem gilt

man dann sehr schnell als unsozial oder eben

nicht nachbarschaftlich. Aber ist das so? Ist

es nicht eher unsozial, von anderen zu erwarten,

dass man laufend für die Nachbar:innen

eine Dienstleistung erbringt?

Umgekehrt ist es nämlich genauso mühsam,

erwarten wir ein Paket, lautet die

Meldung der Zustellfirma oft: „wurde beim

Nachbarn abgegeben“. Das ärgert mich zusehends.

Oft steht nicht einmal dabei bei

welchem, da beginnt dann die Recherche

und das Herumfragen. Wer hat mein Paket

angenommen?

Impressum

Medieninhaber, Herausgeber,

Verleger:

Verein BALANCE – Leben ohne

Barrieren, 1140 Wien,

Käthe-Dorsch-Gasse 17/3 ,

T 01/8248733-8205, F DW 8250

E-Mail: h.hiebl@balance.at

Internet: www.balance.at

Chefredaktion: Mag a . Helga Hiebl

Redaktion: David Galko, Doris

Kallinger, Mag. Jürgen Plank,

Mag. Andrej Rubarth, Andreas

Tettinger, Brigitte Wallner, Pia Wolf,

Christian Zuckerstätter

Weitere Autor:innen dieser

Ausgabe: Alexandra M. Kocher

Versand: Tagesstruktur Standort

Käthe Dorsch

Redaktionsadresse:

Zeitschrift Balancer,

Käthe-Dorsch-Gasse 17/3,

1140 Wien

T 01/824 87 33-8205,

E-Mail: h.hiebl@balance.at

Erscheinungsweise: 2–4 x jährlich

Erscheinungsort: Wien

Offenlegung nach § 25

Mediengesetz, Eigentümer: Verein

BALANCE-Leben ohne Barrieren:

gemeinnützig, überparteilich, nicht

konfessionell

Vorstand: Obmann

OSR Dir. Rudolf Wögerer

Obmann Stellvertreterin

Marianne Kühtreiber

Schriftführer

Dr. Karl Katary

Schriftführer Stellvertreterin

Irmtraut Vaclavik

Kassierin

Brigitte Balic

Weitere Vorstandsmitglieder

Irene Pautsch, Cornelia Renoldner

Geschäftsführung: Marion

Ondricek

Blattlinie: Der „Balancer“ berichtet

als Fach- und Vereinszeitschrift

über die Aktivitäten von BALANCE,

bekennt sich zu dessen Leitbild

und Grundsätzen und thematisiert

besonders relevante Themen

und Ereignisse, die Menschen

mit Behinderungen betreffen.

Der „Balancer“ folgt inhaltlich

dem Bekenntnis des Art. 7 der

Bundesverfassung, nach welchem

es ein Grundrecht aller Menschen

ist, gleichberechtigt und ohne

Diskriminierung zu leben.

Inklusive Redaktion: Als

Grundvoraussetzung für eine zukünftige

inklusive Gesellschaft

werden Selbstbestimmung und

Selbsttätigkeit von Personen,

die von BALANCE begleitet

werden, unterstützt. Gemäß

diesem Anspruch setzt sich

das Redaktionsteam des

„Balancers“ zu gleichen Teilen aus

Bewohner:innen, Tagesstruktur-

Teilnehmer:innen und

Mitarbeiter:innen zusammen.

Kunst am Cover

Illustration: © AdobeStock-aretehertua

Warum bringen die Zustellfirmen die Pakete

nicht einfach zur Poststelle oder in den

Paketshop? Warum wird man nicht gefragt,

ob einem das überhaupt recht ist, dass das

Paket beim Nachbarn landet? Wir haben nette

Nachbar:innen, aber was ist, wenn nicht?

Was ist, wenn die Nachbar:innen dann wegfahren

oder schwer erreichbar sind?

Darum bitte nein!! Ich will weder Pakete von

anderen annehmen, noch möchte ich, dass

meine Pakete bei Nachbar:innen landen. Es

gibt Selbstabholstationen und Paketshops,

dort kann ich in den Öffnungszeiten oder

manchmal sogar rund um die Uhr meine

Pakete nach meinem eigenen Zeitplan

abholen.

Das Cover dieser Ausgabe zeigt das Bild „Krokodil mit

Moos bemalt“ des Künstlers Friedrich Ettenauer aus

dem bildBalance Atelier Maria Ponsee.

Ettenauer wurde 1965 geboren und hat bereits an

zahlreichen Ausstellungen teilgenommen. Im Jahr

2021 fand seine erste Einzelausstellung mit dem Titel

„Ausstellung ohne Namen“ im Integrationslokal in

Maria Ponsee statt.

Ettenauers Kunst wird regelmäßig für Cover und

Kunstseiten der Zeitschrift Balancer ausgewählt. Seine

Motive sind häufig Tiere in Kombination mit handschriftlichen

Beschreibungen.

Titel: Krokodil mit Moos bemalt“ (2023)

Technik: Ölkreide und Graphitstift auf Papier,

Maße: 490 x 235 mm

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BALANCE Design und Handwerk

Kräutersalz

Für dieses Kräutersalz

werden saisonale

Küchenkräuter und

Wildkräuter aus dem

Garten der Tagesstätte

MaPo verwendet: Thymian,

Rosmarin, Oregano,

Schafgarbe, Spitzwegerich,

Brombeerblätter, uvm. Auch

ein Chilisalz haben wir seit

heuer im Sortiment.

Die Herstellung und

Abfüllung des Salzes erfolgt

im Team gemeinsam mit

den Teilnehmer:innen der

Tagesstätte. Wir besprechen

die verschiedenen Kräuter

und deren Wirkung und

die nötigen hygienischen

Standards.

1 Glas (100g): € 4,50

Zu beziehen im Werkverkauf

der Tagesstätte MaPo

BALANCE Produkte

kann man im Werkverkauf

an folgenden Standorten

beziehen:

SoHo Laden

Viktor Kapian Str. 6–8

1220 Wien

01/209 37 31

Fuchsenfeld

Fockygasse 52

1120 Wien

01/817 93 44–13

Tagesstätte MaPo

Maria Ponsee 8

3454 Maria Ponsee

Verein BALANCE – Leben ohne Barrieren

Käthe-Dorsch-Gasse 17/3/Top 1 Büro, 1140 Wien

Österreichische Post AG

SM 08Z0377185 N

Bankverbindung Spendenkonto:

Raiffeisenlandesbank Niederösterreich-Wien AG

UID: ATU38252717

BIC RLNWATWW, IBAN AT96 3200 0000 0747 9868

Spenden an BALANCE sind absetzbar: SO 1482

Ausgabe Nr. 88. 1/2024, Jahrgang 24

Verlagspostamt 1130 Wien

Erscheinungsort Wien

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