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Sickte 02/24

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Februar 2<strong>02</strong>4<br />

7<br />

AUS DEN ORTSCHAFTEN<br />

Unter dem Motto „Tag der offenen<br />

Tür der Heinrich-Büssing-Schule -<br />

Schule und Ausbildungsbetriebe<br />

stellen sich vor“ öffnet die Heinrich<br />

Büssing-Schule - Berufsbildende<br />

Schulen Technik ihre Türen für Interessierte<br />

und Gäste<br />

Am 7. Februar von 10 bis 16 Uhr<br />

lädt die Heinrich-Büssing-Schule an<br />

der Salzdahlumer Straße in Braunschweig<br />

Interessierte zu einem Tag<br />

der Offenen Tür ein.<br />

Die Gäste erwarten Informationen<br />

zu den Möglichkeiten, die<br />

Schulabschluss – was dann?<br />

BRAUNSCHWEIG Tag der offenen Tür der Heinrich-Büssing-Schule<br />

sich nach dem Abschluss der allgemeinbildenden<br />

Schule bieten,<br />

wenn man sich für technische Berufe<br />

in den Berufsfeldern Kraftfahrzeugtechnik,<br />

Metalltechnik, Elektrotechnik<br />

oder Informationstechnik<br />

interessiert.<br />

In den Fachabteilungen erlangen<br />

die Besucher und Besucherinnen<br />

einen umfangreichen Einblick<br />

in technische Berufe, die modernste<br />

Technologien nutzen, wie zum<br />

Beispiel Robotertechnik, 3-D Druck,<br />

Fahrassistenzsysteme und vieles<br />

mehr. Außerdem stellen in der Region<br />

ansässige Betriebe interessante<br />

Ausbildungsberufe vor. Schulabgänger<br />

und Schulabgängerinnen<br />

können sich vor Ort über ihren<br />

Traumberuf informieren und Kontakte<br />

zu den Betrieben knüpfen.<br />

Im Rahmen des „Richtigen Wegs“<br />

können sich die Gäste ab 18 Uhr<br />

über die verschiedenen Vollzeitschulformen<br />

informieren. Diese<br />

reichen von der Berufseinstiegsschule<br />

über die Berufsfachschulen<br />

und die Fachoberschule bis hin<br />

zum Beruflichen Gymnasium Technik,<br />

das zur allgemeinen Hochschulreife,<br />

dem Abitur, führt.<br />

Darüber hinaus gibt es verschiedene<br />

Mitmachangebote und ein<br />

kleines Cateringprogramm, sodass<br />

auch für das leibliche Wohl gesorgt<br />

wird. Über das Programm im Detail<br />

können sich die Besucher und Besucherinnen<br />

unter www.buessing.<br />

schule informieren.<br />

Karin Langner<br />

Glück und gute Vorbereitung<br />

SICKTE Vor 50 Jahren gelang acht Menschen die Flucht über die innerdeutsche Grenze<br />

Diese Geschichte sollte eigentlich<br />

nie erzählt werden. Noch 2019, als<br />

der NDR wegen einer Dokumentation<br />

an die Protagonisten herantrat,<br />

winkten diese entschieden ab:<br />

„Das Fernsehen wollte zum Jahrestag<br />

der Grenzöffnung richtig groß<br />

berichten und auch Details aus<br />

unserer Stasi-Akte veröffentlichen“,<br />

berichtet Uwe Kiel. „Das hätten unsere<br />

Eltern aber nicht überstanden,<br />

wir lehnten das ab.“<br />

So wäre es wohl geblieben, wenn<br />

der <strong>Sickte</strong>r Uwe Schäfer das Ehepaar<br />

nicht im November kennengelernt<br />

hätte – der CDU-Politiker<br />

sprach als stellvertretender Landrat<br />

bei der Eisernen Hochzeit (65<br />

Jahre) der beiden. „Heute bin ich<br />

dankbar, dass sie nun einer Veröffentlichung<br />

zugestimmt haben“,<br />

sagte Schäfer jetzt vor geladenen<br />

Gästen im Sportheim des SV Roklum.<br />

Gleich nebenan, am Ortsrand im<br />

Großen Bruch, hatte sich vor exakt<br />

50 Jahren eine spektakuläre Flucht<br />

abgespielt, von der die Eheleute Edgar<br />

(heute 84) und Helene Kiel (83)<br />

sowie ihre Söhne Uwe (65) und Mario<br />

(58) erzählten.<br />

„Wir wohnten damals in Edersleben<br />

bei Sangerhausen. Als Selbständige<br />

musste meine Familie<br />

Landwirtschaft, Fleischerei, Gaststätte<br />

und Milchgeschäft früh in die<br />

Verstaatlichung abgeben, und auch<br />

mein Berufswunsch Förster wurde<br />

mir durch die Situation in der DDR<br />

unmöglich gemacht“, berichtete Edgar<br />

Kiel. Ein Lehrer habe dem Gymnasiasten<br />

damals gesagt, „Kinder<br />

von Kapitalisten kommen nicht<br />

auf unsere Hochschulen“. Von diesem<br />

Moment an gab es für den jungen<br />

Mann nur ein Ziel: Flucht in die<br />

Bundesrepublik.<br />

Die vier Mitglieder der Familie Kiel (von links): Helene, Edgar, Uwe und Mario mit dem Organisator des Treffens beim SV Roklum, Uwe Schäfer. Vorn auf dem Tisch liegt ein selbstgebauter<br />

Minenschuh, außerdem ein Schweißdraht, mit dem während der Flucht 1974 die Hindernisse ertastet wurden.<br />

Foto: Regio-Press<br />

Um dieses Ziel richtig einordnen<br />

zu können, führe man sich die damaligen<br />

Gegebenheiten vor Augen:<br />

Im August 1961 wurde in Berlin<br />

die Mauer errichtet, ab sofort verlief<br />

mitten durch Deutschland die<br />

bestbewachte Grenze Europas, der<br />

Eiserne Vorhang. In den folgenden<br />

Jahren entwickelten die Grenztruppen<br />

der DDR ein perfides System<br />

aus Zäunen, Drahtsperren, Minenfeldern,<br />

Selbstschussanlagen und<br />

Signaldrähten. Das Leben des Einzelnen<br />

zählte nichts, Hauptsache,<br />

die „Republikflucht“ wurde verhindert.<br />

Die Zahl der Fluchtversuche, ob gescheitert<br />

oder geglückt, lässt sich<br />

nicht genau ermitteln. Fest steht,<br />

dass mehrere hundert Menschen<br />

ihren Drang nach Freiheit mit dem<br />

Leben bezahlten. Die Sache wollte<br />

also gut überlegt sein. „Zudem<br />

war klar, dass wir niemandem etwas<br />

erzählen durften, denn selbst<br />

nach erfolgreicher Flucht hätte es<br />

für Mitwisser üble Folgen gehabt.“<br />

Die Eltern ließen sogar ihre Kinder<br />

zunähst im Unklaren.<br />

Vor 1974 hatten die Kiels schon<br />

mehrere Fast-Fluchten gestartet:<br />

In Bratislava wollten sie einen Ausflugsdampfer<br />

kapern und über die<br />

Donau aus der damaligen CSSR fliehen.<br />

„Erst wenige Minuten vor dem<br />

entscheidenden Schritt stellte sich<br />

heraus, dass es durch die Sicherungen<br />

an Bord nicht möglich war, das<br />

Kommando zu übernehmen.“ Eine<br />

Flucht im Motorboot über die Ostsee<br />

wurde wochenlang auf der Unstrut<br />

geübt. „Wir wollten lernen,<br />

das Boot möglichst schnell, aber<br />

leise zu fahren.“ Engmaschige Kontrollen<br />

verhinderten den Transport<br />

des Bootes an die Küste.<br />

Die Reise ans Große Bruch bei Roklum<br />

war also der dritte Anlauf.<br />

„Durch einen befreundeten Grenzer<br />

hatten wir erfahren, dass dieser<br />

Abschnitt etwas veraltet war.“<br />

Zudem war die Lage günstig: „Aus<br />

dem Fallstein hatten wir einen guten<br />

Blick auf Grenze und Sicherungsanlagen.“<br />

Nachdem eine erste<br />

Erkundung fast aufgeflogen wäre<br />

(zum Glück war der beteiligte Förster<br />

unbewaffnet), wurde schließlich<br />

der 1. Januar 1974 als Tag der<br />

Flucht festgelegt. „Wir wussten,<br />

dass die Grenztruppen über die Feiertage<br />

nur halbe Stärke hatten.“ Außerdem<br />

ideal: Kein Mond, Frost, trocken.<br />

Acht Personen trafen um 22 Uhr<br />

im Fallstein ein, neben den Kiels<br />

noch zwei befreundete Familien,<br />

allesamt mit Rucksäcken. Zunächst<br />

ging es mehrere Kilometer<br />

über gefrorenen, gepflügten Acker<br />

– zum Glück hatte Vater Kiel diese<br />

Anstrengung mit den Kindern trainiert.<br />

„Je näher wir der Grenze kamen,<br />

desto angespannter waren<br />

unsere Sinne“, erzählte Uwe Kiel.<br />

„Mir ist heute noch das Leuchten<br />

der Suchscheinwerfer in Erinnerung.<br />

Das werde ich nie vergessen.“<br />

Erste Hürde war ein kniehoher Signaldraht,<br />

den die Männer mit Hilfe<br />

eines Schweißdrahts erfühlten,<br />

den sie vorsichtig in zwei Fingern<br />

hielten. Dann kam ein breiter Wassergraben.<br />

„Die Männer standen<br />

bis zum Bauch im eiskalten Wasser<br />

und haben die anderen ans andere<br />

Ufer getragen.“ Letzte Hürde war<br />

das mit Stacheldraht eingezäunte<br />

Minenfeld. „Der Stacheldraht wurde<br />

mit einer Zange zerschnitten,<br />

dann ging einer der Männer mit<br />

selbst gebastelten Minenschuhen<br />

über das Feld – Gott sei Dank kam<br />

es zu keiner Explosion!“ Dann folgten<br />

die anderen im Gänsemarsch<br />

auf genau dieser Spur. „Noch ein<br />

paar Meter bis zum eigentlichen<br />

Grenzfluss, dann hatten wir es geschafft<br />

und standen auf dem Gebiet<br />

der Bundesrepublik.“<br />

Was sich so schnell liest, dauerte<br />

Stunden. Gegen 7 Uhr stieß die<br />

Gruppe am Ortsrand von Roklum<br />

auf eine Frau, die gerade zur Arbeit<br />

wollte. „Sie erschrak sehr und dachte<br />

bei uns Schlammgestalten wohl,<br />

jetzt kommen die Russen.“ Doch die<br />

Sache war schnell aufgeklärt, und<br />

die Flüchtlinge durften zum Aufwärmen<br />

ins Haus. „Später brachten<br />

uns Busse in die Zollstelle nach<br />

Hornburg. Wir mussten viele Fragen<br />

beantworten, bis die erstaunten<br />

Beamten unsere spektakuläre<br />

Flucht wirklich glaubten. Danach<br />

kam der Verfassungsschutz, und<br />

auch die Engländer wollten einiges<br />

wissen.“<br />

Diesen Teil bestätigte beim Treffen<br />

im SV-Sportheim Bernd Kahnert.<br />

Der Wolfenbütteler war viele Jahre<br />

lang Kommandeur der Grenztruppen<br />

Helmstedt/Wolfenbüttel – auf<br />

westdeutscher Seite. „Man musste<br />

sich bei Flüchtlingen immer vergewissern,<br />

schließlich konnte es sich<br />

auch um eingeschleuste Spione<br />

handeln.“ Im Übrigen sei die Idee<br />

der selbstgebastelten Minenschuhe<br />

richtig gewesen: „Die Sprengladungen<br />

waren recht gering ausgelegt.<br />

Den Grenztruppen genügte es,<br />

wenn Flüchtlingen Fuß oder Bein<br />

abgerissen wurde – das hätten die<br />

Schuhe wohl verhindert.“<br />

„Der Frost war unser Verbündeter“,<br />

meint zudem Edgar Kiel. „Er<br />

hat die Minen etwas unsensibel gemacht.“<br />

Er und seine Familie wurden<br />

nach der Flucht und dem Aufenthalt<br />

im Durchgangslager Friedland<br />

in Niedersickte ansässig. Sie<br />

haben ihren Schritt nie bereut,<br />

auch wenn zunächst kaum Freude<br />

aufkommen wollte. „Nachdem die<br />

Flucht entdeckt wurde, hatten unsere<br />

Verwandten eine harte Zeit.<br />

Es gab schlimme Verhöre bei der<br />

Stasi. „Als Erstes wollten sie meine<br />

Mutter mit einem Schock überrumpeln,<br />

indem sie behauptet haben,<br />

die Kinder wären bei der Flucht erschossen<br />

worden.“<br />

Der Bruder von Helene Kiel und<br />

auch ihr Cousin mit Ehefrau waren<br />

eingeweiht und mussten dreieinhalb<br />

Jahre in Haft. „In <strong>Sickte</strong> tauchten<br />

Stasi-Spitzel auf, befragten uns<br />

und wollten uns zur Rückkehr bewegen.“<br />

Aus der DDR kamen Briefe<br />

einer Tante, sie sollten doch zurüc<br />

kommen. „Von der Stasi diktiert!<br />

Der Staat hat alle Register gezogen,<br />

uns zurückzuholen.“<br />

Doch daraus wurde nichts. „Natürlich<br />

standen wir bei der Flucht<br />

und schon während der Vorbereitung<br />

unter großem Druck“, erzählt<br />

Edgar Kiel. „Wären wir aufgeflogen,<br />

hätte das Gefängnis bedeutet,<br />

obendrein hätte man uns die Kinder<br />

weggenommen.“ Gleichwohl<br />

bereut er diesen Teil seiner Familiengeschichte<br />

nicht, der ja ein Teil<br />

der deutsch-deutschen Geschichte<br />

wurde.<br />

„Gerade in Zeiten schwieriger<br />

Nachrichten kann diese Erzählung<br />

auch Mut machen“, meint Uwe<br />

Schäfer. Nicht die Macht habe das<br />

Recht, sondern das Recht habe die<br />

Macht.<br />

Frank Wöstmann

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