THE NEW INSIDER, No. LVIII, #487, Februar 2024
Die neue Februar-Ausgabe 2024 von Osnabrücks größtem Stadtmagazin!
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WAS BLEIBT<br />
NACH DER DEMO?<br />
Für die Osnabrückerin Ulrike<br />
S. ist es eine Premiere:<br />
„Ich bin zum ersten Mal<br />
auf einer Demo“, erklärt die<br />
68-Jährige, während sie den<br />
Rednern auf der Bühne im<br />
Schlossgarten folgt.<br />
„Aber das<br />
liegt daran,<br />
dass es bislang<br />
nicht<br />
nötig war.<br />
Jetzt ist es<br />
das aber“,<br />
sagt sie.<br />
Zusammen<br />
mit rund<br />
25.000 offensichtlich<br />
Gleichdenkenden<br />
setzt die Seniorin ein Zeichen<br />
gegen Rassismus. Es brechend<br />
ist voll und das Erstaunlichs-<br />
DAS SAGT<br />
DER EXPERTE<br />
mit Prof. Dr.<br />
Christoph A. Rass<br />
Professor für Neueste<br />
Geschichte und Historische<br />
Migrationsforschung<br />
an der Uni Osnabrück<br />
<strong>THE</strong> <strong>NEW</strong> <strong>INSIDER</strong>: Herr<br />
Prof. Dr. Rass, in vielen Städten<br />
fanden große „Gegenrechts-Demonstrationen“<br />
statt. War eine solche Bewegung<br />
überfällig?<br />
Prof. Dr. Christoph A. Rass:<br />
Ich glaube schon. Gerade mit<br />
Blick auf die deutsche Geschichte<br />
sollten wir ein Leben in<br />
Foto: Simone Reukauf<br />
te und Wichtigste an diesem<br />
Samstagmorgen (28.01.24): Die<br />
bunte Mischung Jungen und<br />
Älteren aus allen gesellschaftlichen<br />
Schichten. „Ich hätte<br />
nicht gedacht, dass so viele<br />
kommen“, erklärt eine junge<br />
Mutter, die mit ihren beiden<br />
Söhnen etwas abseits des Pulks<br />
steht. Ihr neunjähriger Filius<br />
weiß offensichtlich auch, warum<br />
er hier ist. „Weil sonst die<br />
Hälfte meiner Fußballmannschaft<br />
bald nicht mehr mit mir<br />
spielen darf“, erklärt der Nachwuchskicker<br />
im BVB-Trikot.<br />
Den meisten Menschen geht es<br />
an diesem Tag um die schlichte<br />
Präsenz und eine klare Botschaft.<br />
„Ich möchte zeigen,<br />
dass mir der Rechtsruck in<br />
Deutschland nicht egal ist“,<br />
erklärt Andre W., der auch<br />
ein Plakat angefertigt hat. „Eigentlich<br />
wollte ich das nicht<br />
machen, weil man schnell als<br />
Linksradikaler eingestuft wird.<br />
Aber dann habe ich mir gesagt:<br />
Scheiß drauf, was die anderen<br />
denken!“ Die friedliche<br />
und dennoch deutliche Kundgebung<br />
dürfte ihn bestärkt haben.<br />
Es gibt auch kaum Sprechchöre<br />
abgesehen von ein paar<br />
gut gelaunten VfL-Fans, die<br />
sich auf das Duell mit dem SC<br />
Paderborn einstimmen. „Es<br />
war gut, hierher zu gehen. Ich<br />
sehe, dass fast alle Leute hier<br />
aus der Mitte der Gesellschaft<br />
kommen“, meint ein älterer<br />
Mann.<br />
Die Frage, die bei der Demo<br />
über allem schwebt: Was bleibt<br />
von den Protesten für die Zukunft<br />
hängen? „Wenn es sein<br />
muss, komme ich jedes Wochenende<br />
hierher“, erklärt<br />
Melanie aus Hagen a.T.W. Peter<br />
D. aus Osnabrück hingegen<br />
ist skeptisch: „Ich habe schon<br />
die Befürchtung, dass das hier<br />
alles schnell wieder verpufft.“<br />
Auch Boris Pistorius, der von<br />
liberalen, rechtsstaatlichen und<br />
demokratischen Verhältnissen<br />
schätzen, ohne diesen Zustand<br />
für selbstverständlich zu halten.<br />
Es muss normal sein, dass sich<br />
die eigentlichen gesellschaftlichen<br />
Mehrheiten – bei allen<br />
Unterschieden und politischen<br />
Positionen – gegen Rassismus<br />
sowie Menschen- und Demokratiefeindlichkeit<br />
solidarisieren<br />
und zeigen, dass sie für die<br />
Werte unserer Gesellschaft einstehen.<br />
Nur die Mobilisierung<br />
fällt uns dabei manchmal etwas<br />
schwer. Wir sind vielleicht ein<br />
wenig bequem geworden.<br />
Kann aus den Protesten Ihrer<br />
Meinung nach etwas Langfristiges<br />
entstehen?<br />
Das wäre schön, denn es ist<br />
klar, dass die politische Auseinandersetzung<br />
um unsere Zukunft<br />
an einem entscheidenden<br />
Punkt ist. Der jetzige Moment,<br />
in dem sich so viele Menschen<br />
gegen Rechtsradikalismus,<br />
Rassismus und – so muss man<br />
es glaube ich sagen – Faschismus<br />
stellen, kann rasch verpuffen.<br />
Nach dem Motto: Wir waren<br />
ja jetzt alle bei einer Demo und<br />
haben Flagge gezeigt. Dauerhaft<br />
wird dieses Einstehen für<br />
unsere Werte auch mit einem<br />
neuen gesellschaftlichen Gespräch<br />
darüber einhergehen<br />
müssen, wie wir als Gesellschaft<br />
sein wollen.<br />
Es heißt, die Populisten profitieren<br />
von der Krise der sozialen<br />
Parteien. Ist es so simpel?<br />
Als Historiker würde ich sagen,<br />
dass ein Blick zurück in unsere<br />
Vertrauen in<br />
Scheinlösungen<br />
Geschichte zeigt, dass Verlustängste<br />
und Verunsicherung sowie<br />
Frustration über scheitern-<br />
der Menge<br />
als einer<br />
der Hauptredner<br />
beinah<br />
frenetisch<br />
gefeiert<br />
wird, stellt<br />
sich in seiner<br />
Rede diese Frage. Für<br />
ihn geht es vor allem darum,<br />
in Zukunft noch mehr Zivilcourage<br />
zu zeigen. Egal, ob in der<br />
Familie, mit Freunden, beim<br />
Sport oder am Arbeitsplatz – die<br />
Menschen müssten Farbe bekennen<br />
und sich gegen rechtsradikale<br />
Äußerungen und Ausgrenzung<br />
klar zur Wehr setzen.<br />
Denn: „Schweigen ist ab heute<br />
vorbei! Es reicht!“<br />
de Problemlösungsversuche<br />
der Politik wichtige Faktoren<br />
für den Aufstieg extremer Parteien<br />
waren. Ich bin aber nicht<br />
der Auffassung, dass sich Geschichte<br />
wiederholt, aber wir<br />
können aus unserer Vergangenheit<br />
lernen, dass Demokratie<br />
auch daran scheitern kann,<br />
dass in Krisen eher radikalen<br />
und vereinfachten Scheinlösungen<br />
Vertrauen geschenkt wird<br />
– Versprechen, die niemals zu<br />
etwas Gutem führen.<br />
Sie sind Migrationsforscher:<br />
Lässt sich ein Zusammenhang<br />
zwischen Migration und<br />
Rassismus herstellen?<br />
Das ist ein komplexes Thema<br />
und ganz knapp heißt die Antwort:<br />
Ja. Es gibt aber natürlich<br />
nicht den Rassismus, weil es<br />
Migration gibt. Migrationsinduziert<br />
wachsende Diversität<br />
einer Gesellschaft ist ein Prozess,<br />
der gestaltet und bewältigt<br />
werden muss, das verläuft<br />
selten spannungsfrei – obgleich<br />
sich Migration für Gesellschaften<br />
mit der Zeit meist sehr positiv<br />
auswirkt. In diesem Prozess<br />
lassen sich, aus vielerlei Gründen,<br />
rassistische Einstellungen<br />
und Ressentiments sehr gut mobilisieren<br />
und verstärken – und<br />
genau das passiert immer wieder.<br />
Es wäre an der Zeit, dass<br />
wir das durchschauen.<br />
4 Anzeigensonderteil