6 Goethe im RheingauGoethe 1749 – 1832Die Reise auf dem Rhein führt an Assmannshausen mit dem steilen Weinberg Assmannshäuser Höllenberg vorbei (Sven Arndt, Gemälde 2008).Von der Jacht aus bestaunt Goethe die Brömserburg in Rüdesheim und das hoch im Weinberg stehende Benediktinerinnen Kloster in Eibingen.
Goethe 1749 – 1832Goethe im Rheingau7eine seiner wichtigen Lebensmaximenbeschreibt: Es ist eine sehr angenehmeEmpfindung, wenn sich eine neueLeidenschaft in uns zu regen anfängt,ehe die alte noch ganz verklungen ist.So sieht man bei untergehender Sonnegern auf der entgegengesetztenSeite den Mond aufgehn und erfreutsich an dem Doppelglanze der beidenHimmelslichter. Doch das Liebesglückder beiden Sonnenkinder währt nichtlange. Die Max, wie Goethe sie nennt,heiratet kurz nach dieser glücklichenBegegnung den Frankfurter KaufmannPeter Anton Brentano, dessen Familieein großes Anwesen in Winkel imRheingau besitzt, auf dem Goethe vieleJahre später zu Gast sein wird. ZuWen du nicht verlässest, Genius,Nicht der Regen, nicht der SturmHaucht ihm Schauer übers Herz.Wen du nicht verlässest, Genius,Wird dem Regengewölk,Wird dem SchlossensturmEntgegen singen,Wie die Lerche,Du da droben.Goethe, aus:Wandrers Sturmlied, 1772dieser Zeit wird Maximiliane Brentanoallerdings bereits lange tot sein.Doch zurück in den September desJahres 1772. Nach einigen Tagen desgeselligen Aufenthaltes und der vielfältigstenVergnügungen in Ehrenbreitsteinreist Goethe mit seinem FreundJohann Heinrich Merck und dessenFamilie auf einer Jacht den Rhein aufwärtsin Richtung Mainz und siehtzum ersten Mal in seinem Leben denRheingau. Vorbei an den reifendenWeinbergen von Lorch, Assmannshausen,Rüdesheim, Bingen, Johannisberg,Winkel, Elfeld (Eltville), Biberich(Biebrich). Der Schiffer wird ersucht,obwohl die Fahrt schon sehr langsamgeht, sich ja nicht zu übereilen.Maximiliane Brentano, geborene von La Roche (1756 bis 1793)ist die Tochter der Schriftstellerin Sophie von La Roche. Im Elternhaus in Ehrenbreitstein wird sie weltoffen gebildetund frei erzogen. Sie interessiert sich für Literatur; sie zeichnet vorzüglich. Ihre körperliche Schönheit, die schwärzestenAugen und eine Gesichtsfarbe, die nicht reiner und blühender sein konnte, wie Goethe später schreibt, machensie begehrenswert. Natürlich auch wegen ihrer hohen Herkunft. 1774 wird sie mit dem über 20 Jahre älteren reichenKaufmann Peter Anton Brentano (1735 bis 1797) vermählt. Zwölf Kinder bringt sie zur Welt. Ihr Sohn Clemens undihre Tochter Bettine, beide mit Goethe persönlich bekannt, erlangen schriftstellerischen Ruhm.Maximiliane Brentano stirbt jung im Frankfurter Domizil der Brentanos.Johann Heinrich Merck (1741 bis 1791)ist Schriftsteller, Jurist und Unternehmer. Seit 1771 ist er Goethes gebildeter und welterfahrener Jugendfreund. Merckhat Goethe in literarischen Fragen beraten. Gemeinsam haben sie auf Reisen gezeichnet und gemalt – wohl auch1772 während ihrer Fahrt auf dem Rhein.Nach der Rückkehr Goethes aus Italien 1788 entfremden sich die einstigen Jugendfreunde. Merck scheidet durchSelbstmord 50-jährig aus dem Leben.Goethe nennt Merck wegen dessen produktiven und zugleich zerstörerischen Kräfte Mephistopheles Merck.Das Wetter ist herrlich, die abwechslungsreicheRheingau-Landschaft wirdgenossen, bestaunt und von Goethe inihrer tausendfältigen Abwechslung gezeichnet.Diese Reise trägt wohl dazubei, dass Goethe passioniert die Naturin der Kunst sucht – vor allem beiden Niederländern in den FrankfurterSammlungen – und er einfache Stillebennach dem Wirklichen malt.Der werdende Dichter, 1772 zurückgekehrtins Elternhaus in Frankfurt, beginntschon bald seinen ihm Weltruhmverschaffenden Briefroman Die Leidendes jungen Werther zu schreiben (Erst-Veröffentlichung 1774 zur LeipzigerBuchmesse mit zierlichen Vignettendes Leipziger Malers Friedrich Oeser)– seine künstlerische Auseinandersetzungmit seiner Liebe zu Charlotte Buffund Maximiliane, die ihn gleichsamvon seelischer Pein befreit. Später, inTorquato Tasso und in der MarienbaderElegie hat er es selbst großartig aufden Punkt gebracht: Und wenn derMensch in seiner Qual verstummt, gabmir ein Gott zu sagen, was ich leide.42 Jahre vergehen bis Goethe denRheingau wieder sieht.