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DER WEG ZUM BUCH - Die Landesbibliothek Oldenburg in der Ofenerstraße

Das klassizistische Bibliotheksgebäude am Damm in Oldenburg war im II. Weltkrieg zerstört worden, die geretteten Bücher fanden schließlich einen neuen Platz in dem ehemaligen Arsenalgebäude an der Ofenerstraße. In einem sehr zähen Umbauprozeß über mehr als ein Jahrzehnt erwuchs dieses zu einem Juwel der Fünfziger Jahre Architektur und einer beispielhaften Verbindung von Buch und Gestaltung. Das damals intendierte Konzept wies über die reine "Buchbewahrung" hinaus zu der Bibliothek als Anker in einem Netzwerk kultureller, wissenschaftlicher und Bildungsinstitutionen, der erste Schritt hierzu war die Einrichtung einer "Wärmestube für geistige Arbeiter" und bis in den späten Abend und das Wochenende verlängerte Öffnungszeiten, bereits kurz nach dem Krieg. Das hier vorliegende "Bilderbuch" zu diesem Bau fußt primär auf einer Fotosession kurz vor dem neuerlichen Umzug der Bibliothek in den späten Achtziger Jahren, umfaßt aber auch darüber hinaus greifende Recherchen und Dokumente.

Das klassizistische Bibliotheksgebäude am Damm in Oldenburg war im II. Weltkrieg zerstört worden, die geretteten Bücher fanden schließlich einen neuen Platz in dem ehemaligen Arsenalgebäude an der Ofenerstraße. In einem sehr zähen Umbauprozeß über mehr als ein Jahrzehnt erwuchs dieses zu einem Juwel der Fünfziger Jahre Architektur und einer beispielhaften Verbindung von Buch und Gestaltung.
Das damals intendierte Konzept wies über die reine "Buchbewahrung" hinaus zu der Bibliothek als Anker in einem Netzwerk kultureller, wissenschaftlicher und Bildungsinstitutionen, der erste Schritt hierzu war die Einrichtung einer "Wärmestube für geistige Arbeiter" und bis in den späten Abend und das Wochenende verlängerte Öffnungszeiten, bereits kurz nach dem Krieg.

Das hier vorliegende "Bilderbuch" zu diesem Bau fußt primär auf einer Fotosession kurz vor dem neuerlichen Umzug der Bibliothek in den späten Achtziger Jahren, umfaßt aber auch darüber hinaus greifende Recherchen und Dokumente.

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<strong>DER</strong> <strong>WEG</strong> <strong>ZUM</strong> <strong>BUCH</strong><br />

<strong>Die</strong> <strong>Landesbibliothek</strong> <strong>Oldenburg</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Ofenerstrasse<br />

2005


<strong>DER</strong> <strong>WEG</strong> <strong>ZUM</strong> <strong>BUCH</strong><br />

<strong>Die</strong> <strong>Landesbibliothek</strong> <strong>Oldenburg</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Ofenerstrasse<br />

Burckhardt Fischer<br />

Isensee Verlag<br />

<strong>Oldenburg</strong>


Bibliografische Information <strong>der</strong> Deutschen Bibliothek<br />

<strong>Die</strong> Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten<br />

s<strong>in</strong>d im Internet über abrufbar.<br />

ISBN 978-3-7308-1493-2<br />

© 2018 Isensee Verlag, Haarenstraße 20, 26122 <strong>Oldenburg</strong> –<br />

Alle Rechte vorbehalten<br />

Gedruckt bei Isensee <strong>in</strong> <strong>Oldenburg</strong>


<strong>DER</strong> <strong>WEG</strong> <strong>ZUM</strong> <strong>BUCH</strong><br />

<strong>Die</strong> <strong>Landesbibliothek</strong> <strong>Oldenburg</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Ofenerstrasse<br />

E<strong>in</strong> Bil<strong>der</strong>-Lesebuch. Den Kern und Ausgangspunkt bildet<br />

e<strong>in</strong> Foto-Rundgang durch das Gebäude <strong>der</strong> <strong>Landesbibliothek</strong><br />

<strong>Oldenburg</strong> an <strong>der</strong> Ofener Straße kurz vor ihrem Umzug <strong>in</strong> e<strong>in</strong><br />

neues Domizil 1987, ergänzt durch historische Aufnahmen und<br />

Dokumente.<br />

In dieser Bil<strong>der</strong>-Folge wird versucht nachzuspüren, wie hier<br />

se<strong>in</strong>erzeit <strong>der</strong> Besucher zum Buch geführt, geleitet wurde <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

Gebäude, dass für e<strong>in</strong>e öffentliche Nutzung nicht eigentlich<br />

gedacht - das Haus gleichsam als wun<strong>der</strong>barer E<strong>in</strong>band für se<strong>in</strong>e<br />

Bewohner: die Bücher.<br />

<strong>Die</strong>se Kunst, die verloren ist, bediente sich sehr bewusst <strong>der</strong> Mittel<br />

jener Zeit, <strong>der</strong> Fünfziger Jahre, <strong>in</strong> denen sie hier an diesem Ort<br />

e<strong>in</strong>en Platz fand. Das alte Gebäude und se<strong>in</strong>e Qualitäten bildeten<br />

den Kern dieser Inszenierung um das Buch herum, gaben den<br />

Rahmen für e<strong>in</strong>en Neuanfang nach den vorausgegangenen<br />

dunklen Jahren: Tradition und neuer Blick, Perspektive fanden hier<br />

zusammen, für e<strong>in</strong>e Zeit. Solche Qualitäten wurden nicht von allen<br />

gesehen, damals wie heute, und auch darum hat dieser Aufbruch<br />

nicht überdauert, wird kaum mehr noch er<strong>in</strong>nert.<br />

Damit man dieses aber erkennen kann, wie<strong>der</strong>um aus<br />

heutiger Sicht, s<strong>in</strong>d dem fotografischen Rundgang Ergänzungen<br />

und Erläuterungen beigefügt: Er<strong>in</strong>nerungen, Dokumente, H<strong>in</strong>weise.<br />

Es s<strong>in</strong>d diese nur Beiwerk zum Verständnis <strong>der</strong> Bil<strong>der</strong>,<br />

Gedanken und Personen – <strong>der</strong> damalige Direktor Fischer als Beispiel<br />

– daher farblich markiert und gefälligenfalls zu überblättern.<br />

1


Wolfgang G. Fischer, me<strong>in</strong> Vater, wird im Text wahlweise<br />

bezeichnet als solcher, als Fischer, o<strong>der</strong> als WGF, wie ihn se<strong>in</strong>e<br />

Mitarbeiter nannten.<br />

Er steht als Person im Zentrum <strong>der</strong> Dokumentation, nicht<br />

nur, da ich natürlich persönlichen Zugang zur Bibliothek und ihren<br />

Mitarbeitern über ihn gewann sowie e<strong>in</strong>iges erbte, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e<br />

aber, da er Motor, Initiator des Umzuges <strong>der</strong> ausgebombten<br />

Bibliothek <strong>in</strong> das ehemalige Zeughaus an <strong>der</strong> Ofener Straße und<br />

des dar<strong>in</strong> erfolgten Umbaus war. <strong>Die</strong> damit verbundene Vision <strong>der</strong><br />

Bibliothek als e<strong>in</strong> über das re<strong>in</strong>e Bücher-Aufbewahrungs<strong>in</strong>stitut<br />

h<strong>in</strong>aus reichendes kulturelles und Bildungs-Zentrum ist ohne se<strong>in</strong>e<br />

Herkunft, se<strong>in</strong>en Werdegang, se<strong>in</strong>e Intentionen kaum zu greifen.<br />

Er stand damit – zunächst – ke<strong>in</strong>esfalls alle<strong>in</strong>e da,<br />

son<strong>der</strong>n war mit e<strong>in</strong>igem Zufall <strong>der</strong> richtige Mann am richtigen Ort,<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em kurzen Moment, da alles möglich schien: e<strong>in</strong> Neuanfang.<br />

Für se<strong>in</strong>e Überzeugungen und se<strong>in</strong> Wollen auch <strong>in</strong> schwierigen<br />

Zeiten steht e<strong>in</strong> Exkurs: Bil<strong>der</strong> e<strong>in</strong>er Ausstellung im besetzten<br />

russischen Orel 1943, während des Krieges, als Ergebnis e<strong>in</strong>es<br />

Kunstkurses, den WGF dort organisierte. E<strong>in</strong>ige <strong>der</strong> Bil<strong>der</strong>, von<br />

ihm erworben, bef<strong>in</strong>den sich noch im Familienbesitz.<br />

Der nach dem Krieg se<strong>in</strong>erzeit umfassende Bildungsansatz<br />

wird ergänzend und exemplarisch beschrieben <strong>in</strong> dem Exkurs<br />

> Jugendfilmclub < von Dr. Ludwig Fischer.<br />

2


Inhaltsverzeichnis<br />

Prolog<br />

Seite 11 1. Kapitel<br />

Seite 19 2. Kapitel<br />

Exkurs: WGF<br />

Stadtbibliothek Leipzig<br />

Seite 27 3. Kapitel<br />

<strong>Die</strong> <strong>Landesbibliothek</strong> <strong>Oldenburg</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Ofener Straße<br />

Seite 39 4. Kapitel<br />

Seite 86 5. Kapitel<br />

Der Weg zum Buch<br />

2 Künstler:<br />

Decken<br />

Böden<br />

Mobiliar<br />

Seite 107<br />

6. Kapitel<br />

Von Lesern<br />

Kollegen und Mitarbeiter<br />

Seite 132<br />

Seite 150<br />

Exkurse:<br />

Aquarelle Orel 1943<br />

> Jugendfilmclub <<br />

Ludwig Fischer, Graphiken Bernd Damke<br />

Seite 169<br />

7. Kapitel<br />

E<strong>in</strong> Nachtrag<br />

Seite 181 /<br />

Seite 213<br />

Seite 230<br />

Seite 260<br />

8. Kapitel<br />

9. Kapitel<br />

10. Kapitel<br />

Anmerkungen & Dokumentenanhang<br />

Briefe <strong>der</strong> Buchhändler<strong>in</strong> A. Ebel 1945<br />

Der Hungertod von Voldemar Bekmann<br />

Bil<strong>der</strong>nachweis & Quellen<br />

3


1. Kapitel<br />

wor<strong>in</strong> beschrieben wird <strong>der</strong> familiäre H<strong>in</strong>tergrund von<br />

Wolfgang G. Fischer, dem nachmaligen Direktor <strong>der</strong><br />

<strong>Landesbibliothek</strong> <strong>Oldenburg</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Ofener Straße 1949 – 1968<br />

2. Kapitel<br />

Beschreibt, was Wolfgang G. Fischer aus se<strong>in</strong>er Lehrzeit an<br />

<strong>der</strong> Stadtbibliothek Leipzig – <strong>der</strong> bedeutendsten bürgerlichen<br />

Stiftungsbibliothek, untergebracht im Alten Gewandhaus – an<br />

gestalterischer Erfahrung und zur Inszenierung e<strong>in</strong>es Raumes für<br />

Bücher erlernte und dann <strong>in</strong> <strong>Oldenburg</strong> zur Geltung brachte.<br />

<strong>Die</strong> Stadtbibliothek Leipzig mit den bedeutenden Beständen<br />

und mitsamt dem ehemaligen berühmten Konzertsaal im alten<br />

Gewandhaus g<strong>in</strong>g im Bombenkrieg des II. Weltkrieges fast völlig<br />

verloren, die rechtzeitige Auslagerung <strong>der</strong> wertvollen Bücher war<br />

aufgrund <strong>der</strong> Durchhalteparolen des Parteigenossen Direktors –<br />

wie auch <strong>in</strong> <strong>Oldenburg</strong> – versäumt worden. Fischer kehrte<br />

daraufh<strong>in</strong> dann nicht nach Leipzig zurück.<br />

3. Kapitel<br />

Beschreibt die städtebauliche Lage und die Architektur des<br />

vormaligen Zeughauses <strong>in</strong> <strong>Oldenburg</strong>, Ofener Straße, das 1946<br />

die neue Heimstatt <strong>der</strong> <strong>Landesbibliothek</strong> <strong>Oldenburg</strong> wurde, da die<br />

alte Bibliothek am Damm zerbombt war.<br />

4. Kapitel<br />

Hauptteil und eigentlicher Anlass: e<strong>in</strong> Bil<strong>der</strong>buch.<br />

In <strong>der</strong> Folge fotographischer Aufnahmen wird <strong>der</strong> Weg durch<br />

das diesbezüglich eigentlich sperrige Gebäude bis zu den<br />

Benutzerräumen im Obergeschoss nachgegangen.<br />

<strong>Die</strong> Aufnahmen entstanden überwiegend 1986.<br />

4


5. Kapitel<br />

Beschreibt Farben und Ausstattung, die mit dem Umbau des<br />

Zeughauses zur Bibliothek dar<strong>in</strong> zu e<strong>in</strong>er stimmigen Inszenierung<br />

des <strong>WEG</strong>ES <strong>ZUM</strong> <strong>BUCH</strong> verwendet wurden und auch <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

formalen Haltung als wun<strong>der</strong>bares Zeugnis <strong>der</strong> Zeit gerieten –<br />

Fassung und Raum e<strong>in</strong>es erhofften geistigen Aufbruchs.<br />

6. Kapitel<br />

Erzählt von e<strong>in</strong>igen Lesern und von e<strong>in</strong>igen Mitarbeitern <strong>der</strong><br />

Bibliothek, nach <strong>der</strong> Er<strong>in</strong>nerung.<br />

Erörtert werden Scheitern, enttäuschte Hoffnungen bei dem<br />

umfassenden Konstrukt <strong>der</strong> Bibliothek als Netzwerk-Teil kultureller<br />

und Bildungs-Institutionen, sowie die Gegebenheiten <strong>der</strong> Zeit.<br />

7. Kapitel<br />

Beschreibt den Rückzug des Bibliotheksdirektors Fischer <strong>in</strong>s<br />

Private und se<strong>in</strong>en neuerlichen Versuch, e<strong>in</strong> Haus zu bauen.<br />

8. Kapitel - Anmerkungen<br />

Zum Teil ausführliche Informations-Ergänzungen zu im Text<br />

nur kurz angerissenen Themen, Nachweise.<br />

9. Kapitel<br />

Briefe <strong>der</strong> Buchhändler<strong>in</strong> Anneliese Ebel zur Situation<br />

<strong>Oldenburg</strong>s 1945 vor und nach dem Kriegsende.<br />

10. Kapitel<br />

Bericht von Valeria Voldemarowna Baeckmann – <strong>der</strong> Nichte<br />

<strong>der</strong> <strong>Oldenburg</strong>er Bibliothekar<strong>in</strong> – zum Verhungern ihres Vaters im<br />

belagerten Len<strong>in</strong>grad: genau dem Sankt Petersburg, das geistiges<br />

und architektonisches Vorbild war für <strong>Oldenburg</strong> ab ~1800.<br />

5


Wolfg. G. Fischer Anfang <strong>der</strong> Fünfziger<br />

Das Büchle<strong>in</strong> wurde verfasst 2005, gut zwanzig Jahre nach den<br />

Aufnahmen, und ergänzt bis 2018.<br />

6


7


Es ist e<strong>in</strong> falsches Bild 1 , am Anfang. Es steht für e<strong>in</strong>e gänzlich<br />

an<strong>der</strong>e Geschichte, e<strong>in</strong>e, die ich seit Jahren erzählen wollte.<br />

Der Geschichte e<strong>in</strong>er außerordentlichen Liebe. Wie<strong>der</strong> falsch:<br />

ganz vieler Empf<strong>in</strong>dungen und Leidenschaften, die sich mit<br />

diesem Haus und diesem Ort verknüpften und verhed<strong>der</strong>ten,<br />

zum<strong>in</strong>dest was me<strong>in</strong>en Teil angeht.<br />

Jetzt, mehr als dreißig Jahre danach, nach dem Tod me<strong>in</strong>es<br />

Vaters und dann dem Umzug <strong>der</strong> <strong>Landesbibliothek</strong> <strong>in</strong> die frühere<br />

Kaserne am Pferdemarkt <strong>in</strong> <strong>Oldenburg</strong>, dreißig Jahre, <strong>in</strong> denen ich<br />

trauerte und schwanger g<strong>in</strong>g mit dem Vorsatz des Schreibens, ist<br />

es e<strong>in</strong> gänzlich subjektiver Bericht, e<strong>in</strong> unfertiger zudem und mit<br />

handwerklichen Fehlern. Jetzt, da nicht mehr viel Zeit bleibt, hat<br />

dieses Bild <strong>der</strong> <strong>Landesbibliothek</strong> an <strong>der</strong> Ofenerstrasse <strong>in</strong><br />

<strong>Oldenburg</strong>, mit e<strong>in</strong>er Lochbildkamera heute, aber sozusagen<br />

altertümlich aufgenommen und auf <strong>der</strong> website e<strong>in</strong>es workshops<br />

„Lebendiges Museum“ wahrhaft s<strong>in</strong>nbildlich vorgefunden, die Tür<br />

für mich aufgestoßen zur Er<strong>in</strong>nerung. Deshalb muss es da stehen.<br />

F<strong>in</strong>de ich.<br />

PROLOG<br />

Eigentlich müsste e<strong>in</strong> an<strong>der</strong>es Bild dort se<strong>in</strong>, das Bild e<strong>in</strong>er<br />

Brücke, nach dem ich die Jahre über geforscht und gefahndet<br />

habe, und dessen Fehlen mich an me<strong>in</strong>em Schreiben h<strong>in</strong><strong>der</strong>te.<br />

Denn es ist ja <strong>der</strong> Bericht des Weges zum Buch, me<strong>in</strong>es Weges,<br />

den me<strong>in</strong> Vater ebnete, und eben aus e<strong>in</strong>er gänzlich subjektiven<br />

und zudem unprofessionellen Sicht dazu. Nun müsste, wie me<strong>in</strong><br />

Vater immer sagte, eigentlich nicht alles, zumal unprofessionelles,<br />

gedruckt werden, und auch da hat er recht.<br />

Es gilt aber e<strong>in</strong> Zeugnis abzulegen von e<strong>in</strong>em beson<strong>der</strong>en<br />

Ort und <strong>der</strong> beson<strong>der</strong>en Zeit <strong>in</strong> <strong>Oldenburg</strong>, die jetzt verloren s<strong>in</strong>d.<br />

Und es gilt den Menschen e<strong>in</strong> Denkmal zu setzen, die dieses<br />

mit Leben füllten, me<strong>in</strong>em Vater stellvertretend für viele.<br />

8


2<br />

Morgens, wenn me<strong>in</strong> Vater die Asche se<strong>in</strong>es Zigarillo abstreifte,<br />

die Zeitung zu Seite legte, sich aus se<strong>in</strong>em Sessel erhob,<br />

3 nahm er mich – da doch schon alle an<strong>der</strong>en aus dem Hause<br />

waren – bei <strong>der</strong> Hand und g<strong>in</strong>g mit mir durch lange Straßen. Es<br />

waren noch schöne Straßen damals, Kopfste<strong>in</strong>pflaster im<br />

Röwekamp, mit Granit gepflastert die Ziegelhofstraße, und an dem<br />

düstern großen Haus, an dem <strong>in</strong> Mörtel noch geschrieben war<br />

Honigkuchenfabrik mündete e<strong>in</strong> die Würzburger Straße mit<br />

glänzendem Basalt. <strong>Die</strong> Gärten vor den Häusern hatten Zäune mit<br />

gußeisernen Pfosten 4 wie so nur <strong>in</strong> <strong>Oldenburg</strong>, auf manchen war<br />

noch <strong>der</strong> P<strong>in</strong>ienzapfen darauf. Vater zeigte mir manchen schönen<br />

Garten dort, damals zumeist noch traditionell angelegt mit kle<strong>in</strong>en<br />

Wegen und Buchsbaumheckchen. Se<strong>in</strong>e Freude an Deutzien<br />

er<strong>in</strong>nere ich und den abendlichen Bericht dann an die Mutter, dass<br />

er schon e<strong>in</strong>e habe blühen sehen. Me<strong>in</strong>e Leidenschaft ist noch<br />

heute <strong>der</strong> Flie<strong>der</strong>. E<strong>in</strong>ige Tage war alles erfüllt davon, damals auf<br />

unserem Weg – ich zum K<strong>in</strong><strong>der</strong>garten, me<strong>in</strong> Vater <strong>in</strong> die<br />

Bibliothek.<br />

Der Weg wurde mir lang, immer, und daran e<strong>in</strong>gedenk<br />

nehme ich noch heute me<strong>in</strong>en kle<strong>in</strong>en spätgeborenen Sohn auf<br />

die Schultern, obwohl er doch schon viel zu schwer ist. Halbzeit<br />

unseres Weges waren die Bahnschranken an <strong>der</strong> Ziegelhofstraße<br />

und das erste Glück des Tages war, wenn wir warten mussten, ich<br />

9


die Arme auf dem kalten Metall des Schrankenbaums verklammert<br />

und mit den Füssen <strong>in</strong> dem Drahtgehänge schaukelnd, bis e<strong>in</strong> Zug<br />

vorbeidampfte.<br />

An großen Tagen jedoch g<strong>in</strong>g me<strong>in</strong> Vater mit mir auf die Brücke,<br />

und ich durfte im Rauch stehen <strong>der</strong> Lokomotive, <strong>in</strong> den<br />

Schornste<strong>in</strong> h<strong>in</strong>ab spucken, die Wagen zählen und begutachten,<br />

den roten Schlusslichtern nachschauen auf dem Weg <strong>in</strong> das<br />

Abenteuer, die Ferne.<br />

Ich mag me<strong>in</strong>en Vater so manches Mal abgehalten haben<br />

auf se<strong>in</strong>em Weg.<br />

5<br />

Me<strong>in</strong> Vater g<strong>in</strong>g <strong>in</strong> se<strong>in</strong>e Bibliothek. Es stand für mich außer<br />

Frage, dass es se<strong>in</strong> Haus war, se<strong>in</strong>e Bibliothek.<br />

Se<strong>in</strong>e Leidenschaft, und auch se<strong>in</strong> Vermächtnis.<br />

Eigentlich war das Haus als früheres Arsenal sehr<br />

ungeeignet 6 als ÖFFENTLICHE Bibliothek – wenn auch sicher<br />

nicht <strong>in</strong> den Augen me<strong>in</strong>es Vaters – und was es auszeichnete vor<br />

an<strong>der</strong>en diskutierten Standorten war die große Tragkraft <strong>der</strong><br />

Decken des ehemaligen Arsenals. <strong>Die</strong> Großherzogliche Bibliothek<br />

am Damm war Ru<strong>in</strong>e: sie hatte als e<strong>in</strong>es <strong>der</strong> wenigen Gebäude <strong>in</strong><br />

<strong>Oldenburg</strong> e<strong>in</strong>en schweren Bombentreffer erlitten 7 . E<strong>in</strong>e Luftm<strong>in</strong>e 8<br />

war im Garten nie<strong>der</strong>gegangen, hatte die Rückwand des Hauses<br />

umgerissen und viele <strong>der</strong> Bücher h<strong>in</strong>aus gesogen.<br />

9<br />

10


Sie brauchten dr<strong>in</strong>gend e<strong>in</strong> neues Zuhause. Noch Ende <strong>der</strong><br />

Fünfziger Jahre lagerten auf dem Dachboden nunmehr <strong>der</strong><br />

Bibliothek an <strong>der</strong> Ofener Straße mannshohe Stapel von Büchern,<br />

mit Planen abgedeckt, die noch<br />

e<strong>in</strong>er Katalogisierung und <strong>der</strong><br />

Wie<strong>der</strong>e<strong>in</strong>glie<strong>der</strong>ung <strong>in</strong> die<br />

Magaz<strong>in</strong>e harrten, und es gibt<br />

tatsächlich e<strong>in</strong> Bild, das den<br />

langen Herrn Hofmann dar<strong>in</strong><br />

zeigt, auch als Person zusammen<br />

mit dem Mo<strong>der</strong>geruch feuchten<br />

Papiers unter den Planen untrennbar<br />

für mich verbunden mit<br />

dieser Zeit und dieser<br />

Bibliothek 10 .<br />

Exkurs:<br />

*******<br />

Me<strong>in</strong> Vater wurde <strong>in</strong> Dresden geboren, am 27. November<br />

1905, dem Geburtstag auch se<strong>in</strong>es Vaters. <strong>Die</strong>ser war Direktor<br />

<strong>der</strong> „Weißen Flotte“, und die Wohnung herrschaftlich: am Ende <strong>der</strong><br />

Anlegestelle, <strong>der</strong> Brühlschen Terrasse im Elbbogen. Das erste<br />

Foto, das erhalten ist von den wenigen, die se<strong>in</strong> Bru<strong>der</strong> verfertigte,<br />

zeigt den dortigen Blick entlang dem Elbufer, er mündet an <strong>der</strong><br />

Silhouette von Schloss, Hofkirche und Semperoper.<br />

11<br />

11


12<br />

E<strong>in</strong>es Tages, lange nach dem Tod <strong>der</strong> Eltern, war <strong>der</strong><br />

secretàire leer zu räumen, <strong>der</strong> die familiären Papiere barg – bis<br />

dato e<strong>in</strong> dunkler, schöner, geheimer, verschlossener Ort.<br />

Nicht mir, den Eltern gehörig.<br />

Ich fand e<strong>in</strong> schmales Zelluloid, gerollt, ungeschützt, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Ecke<br />

<strong>der</strong> Lade. Der Film ist datierbar, e<strong>in</strong> Bild zeigt die spätgeborene<br />

Schwester, im K<strong>in</strong><strong>der</strong>wagen, auf e<strong>in</strong>em <strong>der</strong> Raddampfer des<br />

Vaters. Es s<strong>in</strong>d die Tage um den Beg<strong>in</strong>n des 1. Weltkrieges.<br />

<strong>Die</strong> späte Schwester „Kretti“ auf dem Elbdampfer, Curt Weber, se<strong>in</strong>e Mutter Bianca<br />

Curt Weber als Soldat, Kurt Fischer <strong>in</strong> Uniform, erbeutetes franz. Riesengeschütz<br />

Sie wurden wahrsche<strong>in</strong>lich, sicherlich, aufgenommen von Kurt,<br />

dem großen Bru<strong>der</strong>, dem Ältesten, den <strong>der</strong> Vater wohl<br />

vergötterte 16 .<br />

Dabei auch die Schwester von Curt Salomon Fischer, im gleichen<br />

Hause <strong>in</strong> Dresden wohnhaft mit ihrem Sohn Curt, und von diesem<br />

e<strong>in</strong> Bild als Abiturient, und e<strong>in</strong>es als Soldat. Vor allen aber e<strong>in</strong>e<br />

Aufnahme – aus weiter Ferne gemacht – wie <strong>der</strong> Trupp abmarschiert<br />

wahrsche<strong>in</strong>lich zur Front. Curt ist am ersten Tage<br />

se<strong>in</strong>es E<strong>in</strong>satzes gefallen.<br />

13<br />

14<br />

15<br />

12


Ich stelle mir vor.<br />

Der Gymnasiast folgt dem Älteren, verbunden <strong>in</strong><br />

Schwärmerei, WEISS-ROT-SCHWARZ ist die Folge, unser Leben<br />

dem Vaterland. Alles sche<strong>in</strong>t machbar.<br />

Kurt, zu jung noch zum Krieg, führt Buch über Heldentod, eisernes<br />

Kreuz o<strong>der</strong> nur Pension <strong>der</strong> Sifffahrtsangestellten. 1918 endlich ist<br />

18 19 20<br />

er an <strong>der</strong> Reihe, Soldat zu werden.<br />

17<br />

Ich stelle mir vor.<br />

<strong>Die</strong> Fischers hatten es wohl nicht leicht mit ihrem väterlichen<br />

Erbe, es sich nicht leicht gemacht, durch die Jahrhun<strong>der</strong>te. Seit<br />

Beg<strong>in</strong>n unserer Dokumente: an <strong>der</strong> Seite Mächtiger, wohl-<br />

13


habend, Titel tragend. Mit dem Verlust des Silberbergbaus <strong>in</strong><br />

Schneeberg, dem Nie<strong>der</strong>gang des Erzgebirges wie dieses<br />

gelandet <strong>in</strong> <strong>der</strong> Prov<strong>in</strong>z, abseits, mühsam. Wahrsche<strong>in</strong>lich heimattreu,<br />

solches soll sich ja vererben, wenn man sich dagegen nicht<br />

wehrt, und noch ich habe me<strong>in</strong> Leben verschleu<strong>der</strong>t <strong>in</strong> falschen<br />

Solidaritäten.<br />

Salomon Friedrich Fischer stand <strong>in</strong> <strong>der</strong> Reihe <strong>der</strong> Reichen.<br />

Aus se<strong>in</strong>em Hausstand stammen die wenigen Stücke von<br />

ererbtem Glanz. Er starb, bevor se<strong>in</strong> Sohn e<strong>in</strong> Jahr alt war.<br />

<strong>Die</strong>ser, <strong>der</strong> Vater von Curt Fischer, me<strong>in</strong>es Vaters Vater,<br />

brachte es noch zum Direktor des Gymnasiums <strong>in</strong> Scheibenberg,<br />

im h<strong>in</strong>teren Erzgebirge. Ich fürchte, die Liebe me<strong>in</strong>es Vaters zu<br />

den Bergen, die Mitgliedschaft im neugegründeten Sächsischen<br />

Alpenvere<strong>in</strong> se<strong>in</strong>es Vaters fußte auf <strong>der</strong> Achtung und Liebe zu<br />

He<strong>in</strong>rich Salomon Fischer und <strong>der</strong> beachtlichen Kulisse des<br />

heimatlichen Scheibenbergs.<br />

21<br />

Von ihm erhalten ist se<strong>in</strong>e rektorale Brandrede zum Sedanstag,<br />

wi<strong>der</strong> das welsche Volk. „Ich, <strong>der</strong> Herr de<strong>in</strong> Gott, b<strong>in</strong> e<strong>in</strong> eifern<strong>der</strong> Gott, <strong>der</strong> die<br />

Missetat <strong>der</strong> Väter heimsucht an den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n bis <strong>in</strong>s 3. und 4. Glied.“ (2. Moses 20).<br />

Se<strong>in</strong> Totensche<strong>in</strong> lässt das Bemänteln des Alkoholikers vermuten,<br />

<strong>der</strong> <strong>in</strong> Dresden starb, da zu Hause nicht mehr haltbar, nehme ich<br />

an. Se<strong>in</strong> Sohn brachte es durch Fleiß und Heirat zu neuerlichem<br />

Reichtum, obwohl zunächst nur Kaufmannsgehilfe. Der Selbstmord<br />

des Schwiegervaters als Spekulant und Bankrotteur durfte<br />

auch nicht genannt werden <strong>in</strong> <strong>der</strong> Familie, wie das Ende des<br />

14


eigenen Vaters, berichtete me<strong>in</strong>e Mutter, und wurde erwähnt nur<br />

als „…<strong>der</strong> böhmische Leichts<strong>in</strong>n…“, bei gegebenen Anlässen.<br />

Dabei war Vaters Vater sozial fortschrittlich und eigentlich liberal:<br />

Patriarch + Leichtfuß.<br />

15


Mit dem frühen Tod des Vaters ist diese Welt eigentlich schon<br />

verloren gewesen für me<strong>in</strong>en Vater, bis dah<strong>in</strong> erfüllt von dem<br />

Schönen, und jenes Sehnen hat ihn wohl nie losgelassen. Da wird<br />

er se<strong>in</strong>en Weg gegangen se<strong>in</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Art <strong>in</strong>nere Emigration, als<br />

Fünfzehnjähriger tastend noch.<br />

Me<strong>in</strong>e Mutter, spoken history, berichtete, dass me<strong>in</strong> Vater<br />

als Pennäler <strong>in</strong> die katholische Hofkirche g<strong>in</strong>g <strong>der</strong> besseren<br />

Akustik wegen, und <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em schmalen Nachlaß habe ich Bil<strong>der</strong><br />

und Texte gefunden 22 , wenige, die zeigen, dass er sich versuchte,<br />

musisch zu se<strong>in</strong>. Me<strong>in</strong>e Mutter schwärmte von se<strong>in</strong>em Gesang<br />

nebst Klavierspiel, und me<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>er großer Bru<strong>der</strong>, sonst <strong>der</strong><br />

Familie nicht eben zugetan, brach regelmäßig <strong>in</strong> Tränen aus vor<br />

Rührung, wenn zu Weihnachten me<strong>in</strong> Vater vor <strong>der</strong> Bescherung<br />

Macht hoch die Tür, die To-or macht weit <strong>in</strong>tonierte.<br />

Mit dem Verlust des väterlichen Vermögens entschwand die<br />

Möglichkeit, se<strong>in</strong>en – so wurde berichtet – immerwährenden<br />

Traum des Privatdozenten für Kunstgeschichte zu leben, reichte<br />

es doch mit knapper Not für e<strong>in</strong>e Ausbildung zum Bibliothekar an<br />

<strong>der</strong> Deutschen Bibliothek <strong>in</strong> Leipzig.<br />

Der För<strong>der</strong>ung durch se<strong>in</strong>e Vorgesetzten dort und durch<br />

se<strong>in</strong>e Kolleg<strong>in</strong>nen, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e aber auch e<strong>in</strong>en Kreis um den<br />

damaligen Oberbürgermeister Rothe, <strong>der</strong> Studenten zum Mittagstisch<br />

lud, dankt er dann die spätere Möglichkeit zum Studium und<br />

zur Dissertation. Das bereits zugesagte Studienjahr an <strong>der</strong> Villa<br />

Massimo 23 tritt er nicht an wegen <strong>der</strong> Erkrankung se<strong>in</strong>er Mutter.<br />

Dann kommt <strong>der</strong> Krieg.<br />

16


Ich stelle mir vor: Da ist e<strong>in</strong> junger<br />

Mensch, für den gilt: rien ne va plus.<br />

„Das können wir uns nicht mehr leisten“.<br />

Verschlossen, stumm.<br />

Se<strong>in</strong> Bru<strong>der</strong>, <strong>der</strong> verbliebene, nimmt<br />

ihn unter die Fittiche: er sche<strong>in</strong>t ihm aus<br />

dem Gesicht geschnitten bis zur Brille 24 ,<br />

die Wolf Fischer eigentlich nicht braucht.<br />

Der Bru<strong>der</strong> sucht den Weg, wie Wolf<br />

anteilig werden kann <strong>der</strong> Kunst. Wo doch<br />

eben nichts mehr geht.<br />

Er gibt ihn <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Bibliothek, zur<br />

Lehre, daraus ergibt sich e<strong>in</strong>e Anstellung.<br />

Stadtbibliothek Leipzig:<br />

Dort f<strong>in</strong>det er e<strong>in</strong>e neue Heimat, Menschen, die ihn för<strong>der</strong>n,<br />

er kann forschen, stöbern. Er studiert, beg<strong>in</strong>nt zu schreiben, Vorträge<br />

zu halten. Er heiratet, wird Vater, schreibt sich nunmehr: Dr.<br />

Wolfg. G. Fischer, hat wohl lange geübt für e<strong>in</strong>e schöne Schrift.<br />

17


Was für e<strong>in</strong> Haus! Was für e<strong>in</strong>e Bibliothek! Me<strong>in</strong>e Mutter,<br />

Sozialist<strong>in</strong>, aus Leipzig gebürtig gegenüber dem Bourgeois aus<br />

dem feudalen 25 Dresden, war immer stolz darauf, dass es e<strong>in</strong>e<br />

bürgerliche, nicht adelige o<strong>der</strong> kirchliche (Stiftungs-)Bibliothek war<br />

<strong>in</strong> ihren Ursprüngen, und e<strong>in</strong>e frühe und bedeutende zudem.<br />

<strong>Die</strong>ses war me<strong>in</strong> Bild <strong>der</strong> Leipziger Stadtbibliothek 26 im<br />

Gewandhaus, ich hatte lange nach ihm forschen müssen nach<br />

zunächst e<strong>in</strong>em Zufallsfund.<br />

Für mich, den Architekten, war das Haus, waren die<br />

Strukturen klar: e<strong>in</strong> mächtiges, e<strong>in</strong> wun<strong>der</strong>volles Gitterwerk trennte<br />

den Leseraum vom Magaz<strong>in</strong>. So kannte ich die Bibliotheken, die<br />

sich mir großartig darstellten, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e aus dem Giedion, 27<br />

den me<strong>in</strong> Vater neben e<strong>in</strong>em Buch über mo<strong>der</strong>ne amerikanische<br />

Architektur und e<strong>in</strong>em <strong>der</strong> amerikanischen Gruppe SOM <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er<br />

Studierstube aufbewahrte 28 - die Bibliothèque Nationale <strong>in</strong> Paris.<br />

18


Aus dem schmalen oeuvre me<strong>in</strong>es Vaters, das gedruckt vorliegt,<br />

ragen zwei Aufsätze hervor:<br />

Beide behandeln architektonische Themen, schöpfen aus<br />

dem Fundus <strong>der</strong> Stadtbibliothek und befassen sich mit dem Gebäude,<br />

dieser Bibliothek. Dar<strong>in</strong> ist auch <strong>der</strong> Grundriss publiziert.<br />

E<strong>in</strong> langgestreckter<br />

Raum, entsprechend dem<br />

Foto, dazu e<strong>in</strong>e barocke<br />

Folge von Sälen: ich hatte<br />

mich immer gewun<strong>der</strong>t, wo<br />

die Zimmer <strong>der</strong> Mitarbeiter<br />

seien, wo also me<strong>in</strong> Vater<br />

saß. Hiervon habe ich ke<strong>in</strong><br />

Foto.<br />

Im Artikel wie im Nachlass<br />

jedoch s<strong>in</strong>d Fotos.<br />

19


E<strong>in</strong>es, das er nicht veröffentlicht hat, zeigt das nämliche<br />

Gitter nicht ganz so von se<strong>in</strong>er Schokoladenseite, eher e<strong>in</strong>gezwängt<br />

zwischen E<strong>in</strong>gang und Galerien. <strong>Die</strong>s klärt zwar gut die<br />

baulichen Zusammenhänge, ist jedoch so be<strong>in</strong>ah schon<br />

despektierlich.<br />

Warum taucht also das Gitter <strong>in</strong> dem Aufsatz me<strong>in</strong>es Vaters<br />

nicht auf? Se<strong>in</strong>e Wirkung auf ihn wird es nicht verfehlt haben:<br />

me<strong>in</strong>e Mutter berichtete mir als aller Erstes von ihm. Zum E<strong>in</strong>en,<br />

wie ich me<strong>in</strong>en Vater kenne, wird es h<strong>in</strong>reichend publiziert se<strong>in</strong>,<br />

und das Augenmerk me<strong>in</strong>es Vaters richtete sich eher darauf,<br />

Kenntnis h<strong>in</strong>zuzufügen aus Quellen, die sich nicht leicht<br />

je<strong>der</strong>mann erschlossen. Zum an<strong>der</strong>en ist es schlüssig <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Beschränkung auf das Thema, den Maurermeister Seltendorff,<br />

und die sicherlich knappe Platzvorgabe. Zum Dritten jedoch, und<br />

dies ist mir wichtig bei me<strong>in</strong>em Thema, lenkt es den Blick auf die<br />

alltägliche Wahrnehmung des „Schatzhauses“, so, wie <strong>der</strong><br />

Benutzer o<strong>der</strong> Besucher es erfährt. Zusammen mit den an<strong>der</strong>en<br />

Bil<strong>der</strong>n, die im Nachlass dazu erhalten s<strong>in</strong>d und ke<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>gang <strong>in</strong><br />

den Druck fanden, ist jener sozusagen selbstverständliche Blick<br />

sicherlich auch aus Selbstbescheidung herausgenommen worden:<br />

wichtig für se<strong>in</strong>en Leser war ihm das Haus, nicht <strong>der</strong> Bibliothekar.<br />

20


Und doch ist dieser Gedanke, <strong>der</strong> Thema ist, <strong>der</strong> Weg zum<br />

Buch, auf sehr subtile und wichtige Weise enthalten <strong>in</strong> dem<br />

Aufsatz me<strong>in</strong>es Vaters. Er beschreibt nämlich die Annäherung an<br />

das Gebäude, die Fassade, den Weg die Treppe h<strong>in</strong>auf. <strong>Die</strong><br />

Abbildungen stehen <strong>in</strong> dieser Folge. Setzt man diesen Bauste<strong>in</strong> <strong>in</strong><br />

Zusammenhang mit den an<strong>der</strong>en Veröffentlichungen, den<br />

bekannten Bil<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Bibliothek, fügt es sich zu dem H<strong>in</strong>weis<br />

e<strong>in</strong>er wahrgenommen Inszenierung <strong>der</strong>selben.<br />

Wenn man so will, e<strong>in</strong>em mächtig erweiterten E<strong>in</strong>band des Druck-<br />

Werkes, dem e<strong>in</strong>en Thema me<strong>in</strong>es Vaters, wo ihm doch das aus<br />

se<strong>in</strong>er Sicht größere, umfassen<strong>der</strong>e, die Baukunst, versagt blieb.<br />

<strong>Die</strong> Treppensteige, welche die verschlossene<br />

vermauerte Tür zum alten Gewandhaussaale passiert,<br />

steht s<strong>in</strong>nbildlich, zentral <strong>in</strong> dieser Folge, an<br />

Größe und Position umgekehrt proportional zur<br />

verbliebenen Bedeutung für die Bibliothek 29 . Das<br />

Bild des schönen Deckengewölbes ersche<strong>in</strong>t dazu<br />

nur noch wie <strong>der</strong> Punkt zum Ausrufungszeichen!<br />

21


Me<strong>in</strong> Vater war diesbezüglich zu belesen, als dass ihm die<br />

Nähe zu dem großen revolutionsarchitektonischen Entwurf des<br />

Newton Memorials von Boulleè entgangen, nicht Absicht wäre: die<br />

Treppenanlage h<strong>in</strong>auf <strong>in</strong> die zentrale Höhe des monumentalen<br />

S<strong>in</strong>nbildes <strong>der</strong> Aufklärung, zu e<strong>in</strong>em E<strong>in</strong>gang, <strong>der</strong> ke<strong>in</strong>er ist, <strong>der</strong><br />

nirgendwoh<strong>in</strong> mehr führt.<br />

<strong>Die</strong>ses mag man als verschlüsselte Botschaft nehmen, denjenigen,<br />

die me<strong>in</strong>en Vater noch kannten, als se<strong>in</strong>e schwierige Art<br />

<strong>der</strong> Mitteilung von Bedeutung geläufig, vielmehr aber <strong>der</strong> Zeit geschuldet,<br />

<strong>in</strong> er damals lebte und die jene mit Bangen o<strong>der</strong> Ahnen<br />

erfüllte, die nicht im Gleichschritt dachten, – so jedenfalls erzählte<br />

es me<strong>in</strong>e Mutter.<br />

Heute, da sie verloren ist, ersche<strong>in</strong>en mir die weiteren Bil<strong>der</strong><br />

ungleich wichtiger, die zur Stadtbibliothek unveröffentlicht blieben<br />

aus dem Nachlass me<strong>in</strong>es Vaters. Sie zeigen e<strong>in</strong> ganz und gar<br />

an<strong>der</strong>es Haus, als ich zu wissen me<strong>in</strong>te.<br />

22


Zwischen, über den<br />

Büchern schweben e<strong>in</strong>e Art<br />

„Studiernischen“ auf den<br />

Galerien. E<strong>in</strong>e jede ist – bei<br />

Beibehaltung des Pr<strong>in</strong>zips –<br />

e<strong>in</strong>zeln gestaltet mit<br />

Stühlen o<strong>der</strong> Sesseln, Tisch<br />

o<strong>der</strong> Vitr<strong>in</strong>en, mit Bil<strong>der</strong>n,<br />

die e<strong>in</strong>em thematischen<br />

Schwerpunkt folgen, e<strong>in</strong>er<br />

Zeit, o<strong>der</strong> stimmig stehen<br />

zu e<strong>in</strong>em Stifter.<br />

Nicht das „Magaz<strong>in</strong>“<br />

ist das bestimmende Element<br />

h<strong>in</strong>ter dem Gitter,<br />

son<strong>der</strong>n es s<strong>in</strong>d offene<br />

Schränke, die die Bücher<br />

aufnehmen und <strong>in</strong> Würde<br />

darstellen, ungestapelt.<br />

23


Mir schien: Man arbeitete also wirklich zwischen Büchern,<br />

mit Ihnen. Man konnte sich daheim fühlen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er nahezu privaten<br />

Stube, auf Zeit. Und <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em stimmigen Ambiente. E<strong>in</strong>em aufmerksam<br />

und kenntnisreich gestaltetem zugleich, bis h<strong>in</strong> etwa zur<br />

Positionierung von Vasen und Skulpturen.<br />

24


<strong>Die</strong>ses ist <strong>in</strong> <strong>der</strong> Tat etwas außerordentliches, e<strong>in</strong>e bislang<br />

von mir noch nicht gedachte Möglichkeit: Bücher – für den öffentlichen<br />

Gebrauch – <strong>der</strong>gestalt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Zusammenhang zu stellen,<br />

dass sie nicht nur e<strong>in</strong>er komplexen Betrachtung zugänglich,<br />

son<strong>der</strong>n Teil e<strong>in</strong>es Stimmungsbildes s<strong>in</strong>d, dem jeweiligen Zeitgeist<br />

geistreich zugeordnet <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em fast <strong>in</strong>timen „Kab<strong>in</strong>ett“, und doch<br />

zugleich offen e<strong>in</strong>sehbar, öffentlich.<br />

25


Es waren nicht die Mitarbeiterplätze, auch nicht die <strong>der</strong><br />

Benutzer, son<strong>der</strong>n tatsächlich e<strong>in</strong>e AUSSTELLUNG zum „Gutenbergjahr“<br />

1942. Von <strong>der</strong> Idee nimmt dies nichts.<br />

Wenn ich es richtigen verstanden habe, hatte me<strong>in</strong> Vater mit<br />

<strong>der</strong> Zeit großen Anteil hieran gewonnen, will me<strong>in</strong>en: an <strong>der</strong><br />

Ordnung, <strong>der</strong> Aufstellung, <strong>der</strong> Präsentation. 30<br />

Auch dieses wurde wie<strong>der</strong>um komplex verstanden: bis h<strong>in</strong><br />

zum Entwurf und zur eigenhändigen Verfertigung von Vignetten,<br />

von denen ich verschiedene im Nachlass gefunden habe.<br />

Wie auch immer, unzweifelhaft ist, dass er für sich wun<strong>der</strong>bare<br />

Lehrmeister dort gefunden hat, und e<strong>in</strong> Feld.<br />

31<br />

Wiewohl sie, gerade sie, die Lehrer, zu Totengräbern<br />

wurden dieser Kunst, dieser Haltung, dieser Bücher, dieses<br />

Hauses: des Gewandhauses, <strong>der</strong> Leipziger Stadtbibliothek, die im<br />

Bombenkrieg vollständig verloren. 32<br />

<strong>Die</strong> Ru<strong>in</strong>enreste <strong>der</strong> Leipziger Stadtbibliothek, 1975 33<br />

26


<strong>Oldenburg</strong>:<br />

<strong>Die</strong> <strong>Landesbibliothek</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Ofener Straße 1946 -1987<br />

27


28<br />

Orig<strong>in</strong>alpläne des Zeughauses


<strong>Die</strong> Bücher <strong>der</strong> zerbombten <strong>Oldenburg</strong>er Bibliothek – wie<br />

auch die Bibliothekare – waren <strong>in</strong> ihrer Notunterkunft im Schloss<br />

wohl nicht wirklich gelitten. Vor allem aber waren sie großenteils<br />

nicht zugänglich, und somit nicht zu lesen.<br />

Unter mehreren Standorten schälte sich das alte Zeughaus<br />

an <strong>der</strong> Ofener Straße heraus. <strong>Die</strong> Zusagen wurden schließlich<br />

mühsam errungen, standen mehrfach <strong>in</strong> Frage. Der Umzug<br />

erfolgte dann 1946 fast auf den Tag genau 100 Jahre nach <strong>der</strong><br />

Eröffnung <strong>der</strong> Großherzoglichen Bibliothek am Damm.<br />

Das Gebäude war jedoch, wie es eigentümlich ist für e<strong>in</strong>en<br />

militärischen Zweck, abgeschlossen, ja geradezu abweisend,<br />

unzugänglich. <strong>Die</strong>ses darf nicht se<strong>in</strong> für e<strong>in</strong> Haus des Buches, das<br />

doch e<strong>in</strong> Hort des Geistes se<strong>in</strong> soll und aus tiefster Überzeugung<br />

me<strong>in</strong>es Vaters – dessen b<strong>in</strong> ich gewiss – e<strong>in</strong> Ort des Austauschs,<br />

<strong>der</strong> gedanklichen Erhebung, <strong>der</strong> Klarheit und Offenheit.<br />

E<strong>in</strong>e <strong>der</strong> ersten Taten <strong>der</strong> Bibliothekare um me<strong>in</strong>en Vater<br />

herum war, nachdem er zunächst vorläufig die Leitung des<br />

Hauses übernommen hatte, die E<strong>in</strong>richtung e<strong>in</strong>er „Wärmestube für<br />

geistige Arbeiter“. Zu diesem Zweck hatten sie, Männer und<br />

Frauen, Wände gekalkt, geräumt, ja, selbst Torf gestochen im<br />

Moor, um Heizmaterial zu erlangen, bis es ihnen aus „versicherungsrechtlichen<br />

Gründen“ untersagt wurde. Erhalten hat<br />

sich dieser Ansatz noch lange <strong>in</strong> „Abendöffnungszeiten“ des<br />

Lesesaals, zumal am Samstag. Deren Abschaffung führte unter<br />

se<strong>in</strong>em – von ihm ungeliebten – Nachfolger zu e<strong>in</strong>em Absturz <strong>der</strong><br />

Ausleihzahlen und dann später natürlich entsprechend zu<br />

Problemen bei Personal-Haushalt und Beschaffungsetat.<br />

29


30


<strong>Die</strong> Ofener Straße <strong>in</strong> <strong>Oldenburg</strong>, stadtauswärts.<br />

31


<strong>Die</strong> Allee wie e<strong>in</strong> Schnitt <strong>in</strong> <strong>der</strong> Landschaft. E<strong>in</strong>e Schneise.<br />

So angelegt an Stelle <strong>der</strong> Landstraße im frühen 19. Jahrhun<strong>der</strong>t<br />

als Teil des klassizistischen Stadtumbaus, <strong>der</strong> die Stadt, das<br />

Städtchen öffnete und verwob mit dem Land. Jede <strong>der</strong><br />

„Magistralen“ <strong>in</strong> ihrer eigenen Form, groß zum<strong>in</strong>dest <strong>in</strong> Relation zu<br />

dem Vorhandenen, mit jeweils e<strong>in</strong>er eigentümlichen Mündung <strong>in</strong><br />

die damals noch klar umrissene Stadt. Allen geme<strong>in</strong> aber <strong>der</strong><br />

geme<strong>in</strong>schaftliche Entwurf für Öffentliches und Privates, das<br />

Zusammenwirken aller Glie<strong>der</strong>ungen: Feld, Fluß, Straße, Garten,<br />

Villa. E<strong>in</strong> romantisches Gesellschaftsbild im Ländchen 34 .<br />

In <strong>der</strong> Mitte Bäume gereiht. L<strong>in</strong>ks das Flüsschen, <strong>in</strong> e<strong>in</strong><br />

gerades Bett gezwängt, rechts die Chaussee, beide jeweils von<br />

Gärten und Häusern gesäumt, die Grenzen fließend.<br />

Im Laufe <strong>der</strong> Jahrzehnte, im späteren 19. Jahrhun<strong>der</strong>t wird die<br />

immer noch lückenhafte Bebauung an e<strong>in</strong>igen Stellen aufgefüllt<br />

mit öffentlichen Bauten, damals noch e<strong>in</strong>gebunden <strong>in</strong> das städtebauliche<br />

Konzept, verän<strong>der</strong>te ihr Maßstab wahrsche<strong>in</strong>lich das<br />

stimmungsvolle, auf die Stadt sich entwickelnde Bild, jedoch sie<br />

fügten sich, als klotzige Solitäre. Heute ersche<strong>in</strong>en sie durch<br />

Zufahrten, Nebengebäude, Anbauten so dicht, dass man dieses<br />

Schweben <strong>in</strong> <strong>der</strong> Landschaft, die Perlenkette entlang <strong>der</strong> Landstraße<br />

kaum mehr ahnen kann.<br />

Den Vorplatz hat sich das vormalige Zeughaus,<br />

unser Gebäude <strong>der</strong> <strong>Landesbibliothek</strong> ab<br />

1946, aber bis heute bewahrt. Nur <strong>der</strong><br />

Pyramiden aus Kanonenkugeln bei<strong>der</strong>seits des<br />

E<strong>in</strong>gangs, S<strong>in</strong>nbild <strong>der</strong> ursprünglichen<br />

Bestimmung <strong>der</strong> Anlage und zugleich zeittypisches<br />

Stimmungsbild, ist er lei<strong>der</strong> verlustig<br />

gegangen – bereits <strong>in</strong> den Fünfziger Jahren,<br />

im Zuge <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>bewaffnung, als die neue<br />

Wehr das Symbol brauchte als Versatzstück. 35<br />

32


<strong>Die</strong> Umbaupläne zur <strong>Landesbibliothek</strong> 1946 ff. (ke<strong>in</strong> Datum vermerkt)<br />

33


Das neue Gebäude für die Bibliothek an <strong>der</strong> Ofener Straße war –<br />

wie auch bereits 20 Jahre zuvor die jetzt zerstörte Großherzogliche<br />

Bibliothek am Damm – e<strong>in</strong> Werk des <strong>Oldenburg</strong>ischen Oberbaurats<br />

Hero <strong>Die</strong>drich Hillerns, errichtet 1864-1867 36 , <strong>der</strong> während<br />

se<strong>in</strong>er gut vierzigjährigen Tätigkeit für sehr viele <strong>der</strong> <strong>Oldenburg</strong>er<br />

öffentlichen Bauten verantwortlich zeichnete, die noch heute das<br />

Stadtbild nicht unwesentlich prägen 37 .<br />

Während se<strong>in</strong>e frühen Bauten – sicherlich auch noch unter<br />

dem E<strong>in</strong>fluß se<strong>in</strong>er Vorgänger, u.a. Strack – noch deutlich klassizistische<br />

Züge zeigten, gehören se<strong>in</strong>e späteren Entwürfe zeitgemäß<br />

zum eigentlichen Historismus, also e<strong>in</strong>er Architekturauffassung,<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> man Bedeutung und Funktion des Gebäudes<br />

über stilistische Bezugnahmen zu symbolisieren suchte. Chiffren,<br />

die se<strong>in</strong>erzeit noch „gelesen“ und entsprechend verstanden<br />

wurden, wenn sich auch durchaus deutliche regionale Unterschiede<br />

und „Schulen“ entwickelten. <strong>Die</strong> Arbeiten Hillerns stehen<br />

dabei recht eigenständig und qualitätvoll, gerade, weil sie vergleichsweise<br />

nüchtern und maßvoll s<strong>in</strong>d 38 , dabei planerisch wie<br />

technisch konsequent.<br />

<strong>Die</strong> frühe Entwurfszeichnung – mit allerd<strong>in</strong>gs bereits <strong>der</strong><br />

unverän<strong>der</strong>t ausgeführten Bauweise und Grundstruktur – verdeutlicht<br />

mit se<strong>in</strong>en eigentlich funktionslosen Ecktürmen noch die<br />

34


„ideologische“ Herkunft vom Bautypus des Kastells, dieses ist<br />

nicht untypisch für die Formf<strong>in</strong>dung zahlreicher Militärbauten <strong>der</strong><br />

Zeit, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e <strong>der</strong> „kommenden Großmacht“ diesbezüglich 39 :<br />

Preußen, das wegen <strong>der</strong> Militärallianz im Norddeutschen Bund<br />

und aufgrund se<strong>in</strong>er <strong>in</strong>zwischen führenden Stellung im militärischen<br />

Bauwesen auch <strong>in</strong> <strong>Oldenburg</strong> und bei diesem Gebäude<br />

starken E<strong>in</strong>fluss gehabt haben dürfte – auch wenn da Hannover,<br />

dessen Bautradition Hillerns wohl eher verbunden war, noch<br />

selbständig und noch nicht annektiert worden war.<br />

<strong>Die</strong> dann realisierte Gebäudeform resultiert jedoch nicht nur<br />

aus e<strong>in</strong>em idealen Bild, son<strong>der</strong>n folgt zu allererst wirklich strengen<br />

technischen und fortifikatorischen Regeln: zu jener Zeit sah man<br />

für solche E<strong>in</strong>richtungen, solche Gebäude noch die Notwendigkeit,<br />

sie gegebenenfalls als letzte Bastion, notfalls Mann<br />

gegen Mann verteidigen zu können 40 – die Schießscharten im<br />

Dachgeschoß könnten solchermaßen entstanden se<strong>in</strong>. Dom<strong>in</strong>anter<br />

aber ersche<strong>in</strong>t das romantisierende Bild des verme<strong>in</strong>tlichen<br />

Wehrganges, <strong>der</strong> über dem Bauwerk thront.<br />

Auch fehlen dem <strong>Oldenburg</strong>er Zeughaus für solche Befestigung<br />

e<strong>in</strong>ige essentielle Vorrichtungen, zum Beispiel Mauerwerksnuten<br />

an den Fenstern im Erdgeschoß, mit denen sich diese<br />

Öffnungen gegebenenfalls verbarrikadieren ließen. Ob dieses aus<br />

mangeln<strong>der</strong> Kenntnis <strong>in</strong> solchem Sujet, o<strong>der</strong> eher e<strong>in</strong>em gewissen<br />

laissez faire geschuldet, muss ohne weitere Forschung zum Entwurfsgang<br />

offen bleiben: vielleicht sah die <strong>Oldenburg</strong>er Obrigkeit<br />

ja weniger Anlass, e<strong>in</strong>e Erstürmung des Gebäudes zu befürchten,<br />

als die Berl<strong>in</strong>er Vorbil<strong>der</strong> nach den Aufständen 1848, nur e<strong>in</strong>e<br />

halbe Generation zuvor.<br />

Der Entwurf folgte e<strong>in</strong>em klaren geometrischem System,<br />

basierend auf e<strong>in</strong>em längs-rechteckigem Raster von ~ 17 x 10<br />

Fuß je E<strong>in</strong>heit, also im Goldenen Schnitt. <strong>Die</strong> Hauptfronten<br />

bestehen aus 3 x 3 Fel<strong>der</strong>n, die Schmalseiten aus 5 bzw. im<br />

Gebäudew<strong>in</strong>kel an <strong>der</strong> Auguststraße aus 7 Fel<strong>der</strong>n, jeweils<br />

symmetrisch aufgeteilt.<br />

Es handelt sich um e<strong>in</strong>en SYSTEMBAU, mit vergleichsweise<br />

variabler Grundrissaufteilung und entsprechend freier Nutzung. In<br />

den frühen Jahren weisen die E<strong>in</strong>träge den rechten, großen Teil<br />

im Erdgeschoß als Betsaal, den Raum <strong>in</strong> <strong>der</strong> Mitte h<strong>in</strong>ter dem<br />

Haupte<strong>in</strong>gang als für die Feuerwehrspritze genutzt aus.<br />

35


36<br />

Orig<strong>in</strong>algrundrisse des Zeughauses 2. OG und DG


Dem Gebäude nähert man sich nicht eigentlich von vorne, zentral,<br />

son<strong>der</strong>n zunächst eher seitlich, diagonal: es ist aus <strong>der</strong> Straßenflucht<br />

etwas zurückgesetzt, mit ursprünglich e<strong>in</strong>em Platz davor,<br />

heute e<strong>in</strong> Garten.<br />

Zumeist wird man zu diesem Haus eher „beiläufig“ gelangt se<strong>in</strong>:<br />

auf Fuß- o<strong>der</strong> Radweg entlang <strong>der</strong> Straße und, da es eben<br />

zurückgesetzt, es erst und ausschnittsweise gesehen haben, war<br />

man bereits angelangt.<br />

Von jenseits des Ufers ist <strong>der</strong> direkte Weg versperrt, e<strong>in</strong>e Brücke<br />

f<strong>in</strong>det sich erst seitlich versetzt <strong>in</strong> <strong>der</strong> Flucht <strong>der</strong> Auguststraße, und<br />

ohneh<strong>in</strong> s<strong>in</strong>d überall Autos: auf <strong>der</strong> <strong>Ofenerstraße</strong> braust <strong>der</strong> Verkehr,<br />

das an<strong>der</strong>e Ufer ist zugeparkt. Von <strong>der</strong> beschaulichen Annäherung<br />

auf <strong>der</strong> ehemals „landschaftsbildnerisch komponierten“<br />

Chaussee ist nicht geblieben außer Blech.<br />

37


38<br />

Das Zeughaus an <strong>der</strong> Ofener Straße <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er historischen Aufnahme


39


- Glastüranlage im Gebäudezugang anstelle des alten<br />

Tores, <strong>der</strong> e<strong>in</strong>zig wirklich essentielle E<strong>in</strong>griff <strong>in</strong> die historische<br />

Gebäudestruktur.<br />

- Schattenwurf von Glastüre<strong>in</strong>gang und We<strong>in</strong>berankung<br />

im E<strong>in</strong>gangsraum, Wegweiser, Informationsboard.<br />

- Der völlig leere E<strong>in</strong>gangsraum 41 h<strong>in</strong>ter dem gläsernen<br />

E<strong>in</strong>gang. Ursprünglich im Boden e<strong>in</strong>gelassen Fahrradstän<strong>der</strong>:<br />

Diagonalschlitze <strong>in</strong> den Bodenplatten entlang <strong>der</strong><br />

Seitenwände.<br />

40


41


Für mich als K<strong>in</strong>d begann das Haus erst dort: an <strong>der</strong> kräftigen,<br />

aufgrund ihrer hohen Anordnung für mich kaum erreichbaren<br />

Kl<strong>in</strong>ke des alten Holztores vor Hofdurchgang und Treppenraum,<br />

wiewohl sie doch immer e<strong>in</strong>ladend offen stand.<br />

<strong>Die</strong>se Er<strong>in</strong>nerung zeigt, wie gut <strong>der</strong> gewisse Kniff funktionierte,<br />

den Weg durch das historische Gebäude recht eigentlich erst hier<br />

zu beg<strong>in</strong>nen – im geschützten Raum dieses E<strong>in</strong>gangssaales.<br />

Denn eigentlich hatte dieses Haus, das aufgrund se<strong>in</strong>er<br />

ursprünglichen Nutzung verschlossen gedacht gewesen, für den<br />

jetzt gebrauchten freien, e<strong>in</strong>ladenden Zugang e<strong>in</strong>e wi<strong>der</strong>spenstige<br />

und abweisende E<strong>in</strong>gangssituation. Indem man nun das geschlossene<br />

erste Tor opferte, gewann man e<strong>in</strong>en lichten Zugang im<br />

eigentlich abgeschlossenen Gebäude, von dem aus sich <strong>der</strong> neue,<br />

eigene Kosmos dar<strong>in</strong>nen im historischen Rahmen umso e<strong>in</strong>drücklicher<br />

entfaltete.<br />

Musste man nicht im kalten Regen an dieser Kl<strong>in</strong>ke zerren. 42<br />

42


43


44


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46


47


48<br />

Der Treppenaufgang zu Ausleihe und Lesesaal


49


50


51


Es war dieses Haus, zumal nach dem<br />

Umbau zur Bibliothek, nichts weniger<br />

als „monumental“ – die vorausgegangenen<br />

Bil<strong>der</strong> mochten diesbezüglich<br />

e<strong>in</strong> wenig irreführend e<strong>in</strong>. Es war<br />

zurückhaltend, fe<strong>in</strong> durchsponnen.<br />

.<br />

Dem, <strong>der</strong> schauen mochte, offenbarten<br />

sich stürzende L<strong>in</strong>ien, Formen, Farben<br />

zuhauf, jedoch nicht als wirr, son<strong>der</strong>n<br />

systemisch geordnet als Leitfaden zu<br />

Funktionen, Konstruktion, und als<br />

Wegführer durch das Gebäude.<br />

So vielfältig und bunt, so unaufdr<strong>in</strong>glich<br />

war diese Gestaltung angelegt im<br />

Orig<strong>in</strong>albau wie <strong>in</strong> <strong>der</strong> neuen Nutzung,<br />

und ließ den bestimmungsgemäß zunächst<br />

düster, nach <strong>in</strong>nen gekehrt angelegten<br />

Bau licht und froh ersche<strong>in</strong>en.<br />

52


53


54<br />

<strong>Die</strong> Gar<strong>der</strong>obe l<strong>in</strong>ks am Flur vor dem Zugang zur Ausleihe


55


56<br />

Im oberen Stockwerk<br />

angekommen, an <strong>der</strong> Gar<strong>der</strong>obe<br />

vorbei, steht man vor<br />

e<strong>in</strong>er mächtigen, wiewohl<br />

gläsernen Tür, h<strong>in</strong>ter <strong>der</strong> –<br />

von <strong>der</strong> Seite – helles Licht<br />

e<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>gt.<br />

Durch das Glas schimmert<br />

die zwischen den<br />

weißen Balken rote Decke,<br />

wie <strong>in</strong> <strong>der</strong> nachfolgenden<br />

Ausleihe, während sich <strong>der</strong><br />

L<strong>in</strong>oleumbelag <strong>in</strong> diesem<br />

zentralen Bereich wie e<strong>in</strong><br />

roter Teppich ausgerollt geradewegs<br />

auf e<strong>in</strong>e gläserne<br />

Vitr<strong>in</strong>e h<strong>in</strong>führt, <strong>in</strong> <strong>der</strong> – <strong>in</strong><br />

wechselnden Ausstellungen<br />

– die raren Pretiosen des<br />

Hauses ausgestellt wurden.<br />

An dieser Stelle erst<br />

eröffnet sich dem Besucher<br />

die Welt des Buches.


Der Zugang zur Ausleihe im Obergeschoß<br />

57


Blick zurück auf den kunstvoll gewirkten Weg, den man soeben<br />

gekommen, im 1. Obergeschoß, vom Standort vor besagter<br />

Vitr<strong>in</strong>e aus.<br />

Gegenüber schimmert durch die Glastür des Karten-Leseraumes<br />

das Tageslicht durch die Fenster here<strong>in</strong>.<br />

Rechts die Gar<strong>der</strong>obe, <strong>der</strong> Treppenabgang durch den Türrahmen<br />

verdeckt.<br />

58


Schräges Kunstfoto aus <strong>der</strong> Nordwest-Zeitung <strong>Oldenburg</strong>, 1959<br />

59


60


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62


Ausleihe<br />

63


64


<strong>Die</strong> Ausstattung <strong>der</strong> Ausleihe wurde <strong>in</strong>dividuell entworfen <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> nämlichen Machart, wie <strong>in</strong> den sonstigen Räumen auch: <strong>in</strong><br />

warmem Rotbraun gebeizte Wandregale, wie auch <strong>der</strong> Tresen,<br />

jener mit dunkelgrünem L<strong>in</strong>oleum belegt, die Tische und Karteikästen<br />

jedoch <strong>in</strong> hellerem Holz – somit erkennbar als „mobilere<br />

Elemente“ <strong>in</strong> <strong>der</strong> dunkleren, unverrückbaren Möblierung.<br />

E<strong>in</strong> entsprechendes Pr<strong>in</strong>zip im ganzen Hause.<br />

<strong>Die</strong> Zeichnung hierfür stammt von Staatshochbauamt und ist<br />

nach me<strong>in</strong>er Kenntnis als e<strong>in</strong>zige zur Ausstattung erhalten. Es<br />

bleibt somit ungeklärt, ob diese Ausstattungsentwürfe durch die<br />

regierungsamtlichen Architekten entwickelt wurden, o<strong>der</strong> ob für<br />

Ausleihe und Lesesaal – beide wurden als letzte Räume im Hause<br />

fertiggestellt – die bereits <strong>in</strong> an<strong>der</strong>en Räumen zuvor realisierten<br />

Mobilar-E<strong>in</strong>bauten nur s<strong>in</strong>ngemäß übernommen wurden.<br />

Bereits im provisorischen Lesesaal zunächst im 2. OG – als<br />

Verwaltungsraum dann nahezu unverän<strong>der</strong>t erhalten – und auch<br />

an<strong>der</strong>swo f<strong>in</strong>den sich die gleichen Regal- und Schrankelemente<br />

als E<strong>in</strong>bauten: sie wurden den Berichten zufolge zum<strong>in</strong>dest zu<br />

Teilen durch den früheren Hausmeister im Hause gefertigt.<br />

Der aber war schon <strong>in</strong> Pension, als das 1. OG endlich fertig war.<br />

65


Der Lesesaal<br />

Der Lesesaal, das Herzstück des Hauses, nach langen<br />

Jahren des Bauens wahrhaft e<strong>in</strong> Kronjuwel, lässt sich eigentlich<br />

nur noch beschreiben mit diesem e<strong>in</strong>zigen historischen Bild, wiewohl<br />

unzureichend, da hier<strong>in</strong> nicht erfasst s<strong>in</strong>d: Farben, Weite,<br />

Licht, Ausblick und e<strong>in</strong>e strenge Ordnung <strong>der</strong> Formen.<br />

Als die nachfolgenden Fotos dann aufgenommen, war<br />

alles dieses bereits verstellt worden und nur noch vere<strong>in</strong>zelt<br />

sichtbar, <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er schönen Komposition kaum mehr zu ahnen.<br />

<strong>Die</strong> strengen „Fischgrät“-Reihen <strong>der</strong> vor<strong>der</strong>seitig leicht<br />

schrägen Tische, wechselnd aufgestellt mit hellgrauem o<strong>der</strong> aber<br />

schwarzem L<strong>in</strong>oleum belegt, waren verschwunden, die bequemen<br />

Stühle durch Dutzendware ersetzt, die Fenster häufig durch zusätzlich<br />

h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> gepferchte Regale verstellt. Hat mich letzteres<br />

beson<strong>der</strong>s geschmerzt, war doch die Möglichkeit des schweifenden<br />

Blicks, nach draußen durch Herbstlaub zur Sonne, auch<br />

zum Regen, beiläufig beim Aufnehmen <strong>der</strong> Gedanken, des<br />

Gelesenen, me<strong>in</strong>e schönste Er<strong>in</strong>nerung an dieses Haus.<br />

Es waren da nur wenige Elemente: e<strong>in</strong> hoher Raum mit<br />

weißen Wänden, die hier lichte Farbgebung <strong>der</strong> Balkendecke, das<br />

warme Braun <strong>der</strong> Bücherwände und Regale, e<strong>in</strong> Sp<strong>in</strong>nweb das<br />

Gelän<strong>der</strong> von Treppe und Galerie, wie auch die zarten großen<br />

Fenster, L<strong>in</strong>oleum auf Boden und Tischen – eben zwischen hell<br />

und dunkel im Wechsel. <strong>Die</strong> Farbe gaben die Bücher. Und die<br />

Sonne, im Herbst das Laub.<br />

Es s<strong>in</strong>d daher die an<strong>der</strong>en<br />

Bil<strong>der</strong> doch auch von Nöten,<br />

wiewohl unvollkommen. In<br />

manchen Ecken des Hauses<br />

fanden sich damals noch<br />

Spuren, unverhofft, woh<strong>in</strong><br />

Stücke gekommen, <strong>in</strong> die<br />

Ecke gequetscht, gestapelt.<br />

Haben sie so nichts mehr<br />

bewirken können im großen<br />

Konzert, nur noch Gerümpel, und es müssen doch – mangels Aufnahmen<br />

<strong>der</strong> noch heilen, großartigen Welt – diese Bil<strong>der</strong> gezeigt<br />

werden, um die ursprünglichen Gedanken nachvollziehen, ahnen<br />

zu können e<strong>in</strong> Stück weit, <strong>in</strong> ihrer Vielfältigkeit.<br />

66


67


68


Lesesaal: unter <strong>der</strong> Galerie Durchgang zum Karten-<br />

Leseraum, 1986 schon Magaz<strong>in</strong><br />

69


70<br />

Der Lesesaal von 1959 bereits mit verän<strong>der</strong>tem beweglichen Mobiliar


71


72


73


<strong>Die</strong> Verwaltungsräume im 2. Obergeschoß<br />

Zunächst, während <strong>der</strong> langen Umbauphase bis 1959, befanden<br />

sich Ausleihe und provisorischer Lesesaal im 2. Obergeschoß<br />

westlich des Treppenraumes, e<strong>in</strong> Verwaltungsraum und<br />

e<strong>in</strong>e Werkstatt auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite vor dem Magaz<strong>in</strong>.<br />

Jene früheren Räume für die Öffentlichkeit, l<strong>in</strong>ks des Treppenraumes,<br />

hatten nur geputzte glatte Decken und wichen <strong>in</strong>sofern<br />

gestalterisch vom duktus des Hauses ab, als hier die tragenden<br />

Balken nicht sichtbar waren – was sie deutlich unpersönlicher<br />

ersche<strong>in</strong>en ließ.<br />

Ausschnitt aus dem Bauplan 2. OG mit <strong>der</strong> früheren Nutzung<br />

Offenkundig jedoch bereits vorhanden waren jene wesentlichen<br />

Elemente <strong>in</strong> Ausstattung und Gestaltung, die für<strong>der</strong>h<strong>in</strong> das<br />

Haus pägten, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e die braun gebeizten Regalwände, auf<br />

dem Boden L<strong>in</strong>oleum. Viel mehr brauchte es nicht für e<strong>in</strong> gediegenes<br />

Ersche<strong>in</strong>ungsbild – das Meiste besorgte die Architektur<br />

des Hauses schon selber, ausgenommen - natürlich - die Bücher,<br />

mit ihren farbigen E<strong>in</strong>banden und Rücken, den vielen Formaten.<br />

Abweichend <strong>in</strong> diesen Räumen waren die Beleuchtungskörper,<br />

als Versuch eigenständiger technizistischer Konstruktion.<br />

Fotos <strong>der</strong> ersten, <strong>der</strong> alten Ausleihe etc. habe ich nicht gefunden.<br />

74


Der frühere Lesesaal im 2. OG <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er späteren<br />

Nutzung für die Verwaltung<br />

75


Als das Haus dann fertig war, <strong>der</strong> Umbau endlich vollzogen,<br />

war dieser Weg zu den Mitarbeitern, <strong>der</strong> Direktion dann ähnlich<br />

<strong>in</strong>szeniert, wie <strong>der</strong> Weg zu den Büchern <strong>in</strong> <strong>der</strong> belle etage.<br />

Vom Treppenaufgang bog man nach l<strong>in</strong>ks ab <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en<br />

nämlichen Flur, wie <strong>in</strong> <strong>der</strong> 1. Etage. Hier jedoch stand an se<strong>in</strong>em<br />

Ende nicht e<strong>in</strong>e gläserne Tür – zu den Benutzerräumen – son<strong>der</strong>n<br />

war e<strong>in</strong>e Mauer aufgeführt, mit allerd<strong>in</strong>gs dem gleichen warmen<br />

ROT, wie <strong>in</strong> <strong>der</strong> Ausleihe darunter die Deckenfel<strong>der</strong>.<br />

Davor e<strong>in</strong>e Büste des Philosophen Albrecht von Haller, die<br />

aus dem alten Bibliotheksgebäude am Damm geborgen wurde 43 .<br />

Mit dessen Ruf als Universalgelehrter sowohl wissenschaftlicher,<br />

als auch literarischer Leistungen ist dies hier mehr als nur e<strong>in</strong> gestalterisches<br />

Moment, vielmehr steht er für das angestrebte Ideal.<br />

Sehr bewusst wurde damit die geistige Haltung <strong>der</strong> gebildeten<br />

Welt des frühen 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts aufgenommen: <strong>der</strong><br />

Aufklärung verschrieben, und diese Position des damaligen<br />

Stifters, des Herzogs Peter Friedrich Ludwig hier fortgeführt, <strong>der</strong><br />

mit Haller bekannt und Mitglied se<strong>in</strong>er Oekonomischen Gesellschaft<br />

war. <strong>Die</strong> Büste des diesbezüglich noch bedeuten<strong>der</strong>en<br />

Leibniz war beschädigt und konnte nicht verwendet werden.<br />

Für die Büste Hallers an dieser Stelle sprach zweifellos auch<br />

ihre künstlerische Qualität.<br />

76


Der Zugang zu den Verwaltungsräumen im 2. OG<br />

77


Seit jeher Raum <strong>der</strong> Mitarbeiter und <strong>der</strong> Verwaltung war <strong>der</strong><br />

erste Raum, den man – vor <strong>der</strong> Büste von Hallers abbiegend –<br />

betrat. <strong>Die</strong> Tradition wird auch hier aufgenommen mit den Porträts<br />

an den Wänden – nahezu m<strong>in</strong>imalistisch drapiert – und mit dem<br />

e<strong>in</strong>st gediegenen Mobiliar. <strong>Die</strong> Tische s<strong>in</strong>d nämliche aus dem<br />

Lesesaal <strong>der</strong> Großherzoglichen Bibliothek am Damm 44 .<br />

Das Gelb an <strong>der</strong> Decke <strong>in</strong> E<strong>in</strong>gang und Treppenraum f<strong>in</strong>det<br />

sich hier wie<strong>der</strong>, allerd<strong>in</strong>gs kräftig unterlegt mit schwarzen Balken<br />

78


79


Während <strong>der</strong> vormalige „kle<strong>in</strong>e“ Lesesaal räumlich nahezu<br />

unverän<strong>der</strong>t überdauerte als Arbeitsplatz für Mitarbeiter –<br />

weiterh<strong>in</strong> mit Büchern gefüllt – erfuhren die sonstigen Räume des<br />

früheren Publikumsbereich größere Umbauten: aus dem alten<br />

Zeitschriftensaal wurde das Arbeitszimmer des Direktors, Ausleihe<br />

und Flur wurden durch den Abriss e<strong>in</strong>er Wand zusammengefasst<br />

zu e<strong>in</strong>em Vortragssaal.<br />

Trotz wie<strong>der</strong>um aufmerksamer, m<strong>in</strong>imalistischer Gestaltung<br />

war dieser jedoch seltsam leer geraten, und nur selten genutzt: zu<br />

spät gekommen, das Feuer bereits erloschen. <strong>Die</strong> Vorträge<br />

wurden jetzt an<strong>der</strong>wärts gehalten, nicht mehr <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bibliothek.<br />

Zum Zeitpunkt unserer Aufnahmen wurde er bereits nur<br />

noch genutzt als Buchmagaz<strong>in</strong>.<br />

80


Der Vortragssaal im 2. Obergeschoß (nach 1959)<br />

81


Hof <strong>der</strong> <strong>Landesbibliothek</strong> mit <strong>der</strong> Zufahrt von <strong>der</strong> Auguststraße<br />

Im 2. OG rechts das Arbeitszimmers des Direktors,<br />

neben dem Vortragsraum, über dem Lesesaal.<br />

Blick über die Höfe des ehemaligen Arsenals,<br />

mit Feuerwache (rechts) und Staatsbauschule (l<strong>in</strong>ks)<br />

82


Der Arbeitsplatz des Direktors im 2. OG<br />

83


Als me<strong>in</strong> Bru<strong>der</strong> und ich die Fotos <strong>der</strong> Bibliothek machten,<br />

die den Grundstock dieses Büchle<strong>in</strong>s bilden, kurz vor dem<br />

Wegzug, lange nach dem Tod me<strong>in</strong>es Vaters, da fanden wir se<strong>in</strong><br />

Arbeitszimmer noch <strong>in</strong> <strong>der</strong> nämlichen Form.<br />

Vielmehr: nicht ganz! <strong>Die</strong> schönen Möbel aus se<strong>in</strong>em Privatbesitz<br />

– ganz Patriarch – hatte er bei se<strong>in</strong>er Pensionierung bereits<br />

mitgenommen: <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e e<strong>in</strong>en riesigen Ausziehtisch, <strong>der</strong> zu<br />

se<strong>in</strong>en Zeiten ganz und gar mit Büchern und Manuskripten<br />

bedeckt, zu Besprechungen so nicht mehr taugte. Und natürlich<br />

wären die Baupläne für das neue Haus <strong>der</strong> Bibliothek, über<br />

E<strong>in</strong>bauschränke und Regale geklebt, so bei ihm ganz undenkbar<br />

gewesen: pragmatische Nutzung, selbst Chaos ja, fehlende<br />

Achtung <strong>der</strong> e<strong>in</strong>gerichteten Ordnung: NEIN!<br />

Zog sich dieses aber bereits mit Plakaten, Mitteilungen, Zetteln<br />

durchs ganze Haus.<br />

Im Arbeitszimmer des Direktors standen die Möbel, auch die<br />

Lampe, aber noch jeweils an nämlicher, <strong>der</strong> richtigen Stelle, und<br />

es h<strong>in</strong>gen noch die Bil<strong>der</strong> dort, se<strong>in</strong>e Bil<strong>der</strong>, vielmehr die <strong>der</strong><br />

Bibliothek, aber von me<strong>in</strong>em Vater dort platziert, und noch zu<br />

betrachten <strong>in</strong> dieser Weise, zu sehen <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em S<strong>in</strong>ne: wenige,<br />

hier und <strong>in</strong> an<strong>der</strong>en Räumen.<br />

Im Katalogisierungsraum h<strong>in</strong>ter <strong>der</strong> Ausleihe Genre-gerecht<br />

zweimal Personen mit Buch – dem ursprünglichen, eher ikonographischen<br />

Buchthema me<strong>in</strong>es Vaters, des verbrannten.<br />

In se<strong>in</strong>em Arbeitszimmer am Besprechungstisch e<strong>in</strong> Seestück,<br />

dräuend, S<strong>in</strong>nbild <strong>der</strong> allzeit gefährlichen, ungewissen<br />

Überfahrt mit Sturm, Riffen, meuternden Mannschaften.<br />

Neben dem Fenster jedoch, am Zugang zu den Mitarbeiterräumen,<br />

immer im Blick jedoch e<strong>in</strong> kolorierter Aufriss <strong>der</strong> Zeughausfassade,<br />

sozusagen e<strong>in</strong> nach <strong>in</strong>nen gewendeter<br />

Blick von Aussen - wie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Fenster<br />

dorth<strong>in</strong>. Damit S<strong>in</strong>nbild se<strong>in</strong>er thematisch<br />

erweiterten Sicht auf das FESTMACHEN <strong>der</strong><br />

Welt, hier se<strong>in</strong>er Welt, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em <strong>in</strong>timen,<br />

84


illusionierten Raum, an den Wänden, hier gedanklich zu erweitern:<br />

schließlich r<strong>in</strong>gsrum, perfektioniert als Tapete, Fresko, Panorama,<br />

als Gedankenbild. Thema se<strong>in</strong>es Buches, das nicht mehr wurde.<br />

Gerahmter Fassadenaufriss des Zeughauses als Wandbild<br />

im Arbeitszimmer des Direktors<br />

85


2 Künstler<br />

In den Quellen b<strong>in</strong> ich dazu nicht fündig geworden, doch b<strong>in</strong><br />

ich mir dessen ganz gewiss, dass zwei namhafte <strong>Oldenburg</strong>er<br />

Künstler für die farbliche Gestaltung <strong>der</strong> Räume <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Landesbibliothek</strong><br />

<strong>Oldenburg</strong> im alten Zeughaus verantwortlich zeichneten,<br />

ob im Rahmen von Aufträgen o<strong>der</strong> aber e<strong>in</strong>er Verb<strong>in</strong>dung zu<br />

me<strong>in</strong>em Vater wegen se<strong>in</strong>er kunsthistorischen Vorträge o<strong>der</strong> ähnlichem,<br />

sei dah<strong>in</strong>gestellt: die durchweg ehrfurchtsvolle Erwähnung<br />

bei<strong>der</strong> <strong>in</strong> diesem Zusammenhang im elterlichen Hause über die<br />

Jahre h<strong>in</strong>weg war beständig, und unser baukünstlerisch <strong>in</strong>teressierter<br />

Vater führte uns – unter an<strong>der</strong>em mit diesem Verweis auf<br />

die <strong>Landesbibliothek</strong> – damals auch zu <strong>der</strong> gerade fertig gestellten<br />

Evangelischen Johanneskirche <strong>in</strong> <strong>Oldenburg</strong>-Kreyenbrück, beson<strong>der</strong>s<br />

ihrer farbigen Betonglasbil<strong>der</strong> wegen.<br />

Photo: Ra<strong>in</strong>er Stahl<br />

Max Herrmann, 11.09.1908 (Halle/Saale) – 18.11.1999 (<strong>Oldenburg</strong>) 45<br />

Persönlich ferner stand mir Georg Schmidt-Westerstede, aber aus<br />

me<strong>in</strong>er Sicht hat er sich mit den Betonfresken am ehemaligen<br />

Cafe im Herbartgang <strong>in</strong> <strong>Oldenburg</strong> wahrhaft e<strong>in</strong> Denkmal geschaffen,<br />

vielmehr die hier schroffe, wun<strong>der</strong>bare Architektur Lattas zu<br />

e<strong>in</strong>em Herzen <strong>der</strong> Passage und <strong>der</strong> Stadt gemacht 46 .<br />

Georg Schmidt-Westerstede<br />

23.04.1921 (Wilhelmshaven)<br />

12.01.1982 (<strong>Oldenburg</strong>).<br />

86


Der E<strong>in</strong>gang<br />

Lichtes, helles Ocker mit Weiß<br />

87


Treppenraum, Flure, Gar<strong>der</strong>oben <strong>in</strong> starkem, kühlen Blau mit weißen Balken<br />

88


<strong>Die</strong> Ausleihe<br />

Das Herz <strong>der</strong> Bibliothek <strong>in</strong> kräftigem, warmem Rot<br />

89


Deckengelb im E<strong>in</strong>gang, Aufgang (unten), <strong>der</strong> Verwaltung im II. OG (oben)<br />

90


Der Lesesaal<br />

Lichtes, helles Weiß-graugrün<br />

91


92<br />

Das Farbsystem <strong>der</strong> Bodenbeläge


Das Farbsystem <strong>der</strong> Decken<br />

93


94


95


96


E<strong>in</strong>bauten und Mobiliar<br />

Me<strong>in</strong> großer Bru<strong>der</strong> Ludwig berichtet:<br />

Als die <strong>Landesbibliothek</strong> <strong>in</strong> das Zeughaus an <strong>der</strong> Ofener Straße<br />

umzog, wurde im Erdgeschoss, direkt neben <strong>der</strong> großen Durchfahrt<br />

zum Hof, h<strong>in</strong>ter <strong>der</strong> Ste<strong>in</strong>treppe zu den Benutzer- und Verwaltungsräumen<br />

<strong>in</strong> den oberen Stockwerken, <strong>in</strong> dem großen<br />

Raum, <strong>der</strong> vielleicht e<strong>in</strong>mal die Wache für das Zeughaus beherbergt<br />

hatte, e<strong>in</strong>e Tischlerwerkstatt e<strong>in</strong>gerichtet. Dort arbeitete e<strong>in</strong><br />

älterer Tischler – hieß er Död<strong>in</strong>g? – als Angestellter <strong>der</strong> Bibliothek.<br />

Er fertigte nach und nach sämtliche Regale für den Lesesaal und<br />

die Magaz<strong>in</strong>e an, für Vaters großes <strong>Die</strong>nstzimmer und die an<strong>der</strong>en<br />

Verwaltungsräume, und wohl e<strong>in</strong>ige an<strong>der</strong>e Möbel wie den Tresen<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Ausleihe.<br />

Ich b<strong>in</strong> öfter e<strong>in</strong>mal <strong>in</strong> <strong>der</strong> Werkstatt gewesen, wo es nach<br />

Knochenleim und Hobelspänen roch. Mich fasz<strong>in</strong>ierte diese<br />

Szenerie e<strong>in</strong>es traditionellen Handwerks, und <strong>der</strong> Tischler erzählte<br />

öfter – manchmal <strong>in</strong> Gesellschaft des großen vierschrötigen<br />

Hausmeisters Hofmann – Anekdoten aus dem Bibliotheksbetrieb,<br />

aber gab auch gelegentlich e<strong>in</strong>e Zote zum Besten.<br />

Wie Vater es durchgesetzt hatte, dass die Bibliothek e<strong>in</strong>en<br />

Tischler beschäftigen durfte, weiß ich nicht. In den ersten Jahren,<br />

als das Zeughaus nach und nach zur Bibliothek um- und<br />

ausgebaut wurde, gab es <strong>in</strong> <strong>Oldenburg</strong> noch e<strong>in</strong>en Präsidenten<br />

des Verwaltungsbezirks – das frühere Herzogtum, seit November<br />

1918 das selbständige Land <strong>Oldenburg</strong>, war 1946 zu e<strong>in</strong>em<br />

Verwaltungsbezirk des neuen Landes Nie<strong>der</strong>sachsen geworden.<br />

Der ‚Präsident des Nie<strong>der</strong>sächsischen Verwaltungsbezirks<br />

<strong>Oldenburg</strong>’ hatte se<strong>in</strong>en Sitz im Verwaltungsgebäude <strong>der</strong> ehemaligen<br />

Landesregierung am Dobben. Vater war mit dem letzten<br />

M<strong>in</strong>isterpräsidenten des Landes <strong>Oldenburg</strong>, Theodor Tantzen, und<br />

dann mit den Präsidenten des Verwaltungsbezirk gut bekannt,<br />

vielleicht sogar befreundet. Eventuell hat er mit dem Argument,<br />

dass <strong>der</strong> Innenausbau des Zeughauses billiger würde, wenn die<br />

Bibliothek für e<strong>in</strong>ige Zeit e<strong>in</strong>en Tischler beschäftigte, <strong>der</strong> die<br />

Regale vor Ort <strong>in</strong> den alten Bau e<strong>in</strong>passen konnte, die Leitung des<br />

Verwaltungsbezirks überzeugt 47 .<br />

97


2. OG Mitarbeiterräume: frühes Ausstattungsmobiliar<br />

Lesesaal 1959: Regale<strong>in</strong>bauten und Galerie<br />

Orig<strong>in</strong>altische aus dem Lesesaal 1959: <strong>der</strong>angiert<br />

<strong>Die</strong> Mobiliar-<br />

E<strong>in</strong>bauten, rotbraun<br />

gebeiztes<br />

Tanne-/Fichtenholz<br />

für Regale,<br />

Schränke, Tresen,<br />

wurden <strong>in</strong> gleicher<br />

Machart gefertigt<br />

während <strong>der</strong><br />

ganzen langen<br />

Umbauzeit: mehr<br />

als 10 Jahre.<br />

Für weitere<br />

10 Jahre hatte<br />

diese Ordnung<br />

festen Bestand,<br />

fe<strong>in</strong> austariert<br />

aesthetisch wie<br />

funktional, mit<br />

behutsamer Differenzierung<br />

je<br />

nach örtlichem<br />

Bedarf, wie zum<br />

Beispiel bei <strong>der</strong><br />

filigranen „Sägezahnaufstellung“<br />

<strong>der</strong> Tischreihen<br />

im Lesesaal.<br />

Kaum war<br />

WGF ausgeschieden,<br />

verflüchtigten<br />

sich Achtsamkeit<br />

und aesthetische<br />

Ordnung zugunsten<br />

verme<strong>in</strong>tlicher<br />

Zwänge: zumeist<br />

wohl Beschaffungen<br />

zur Ausnutzung<br />

des Etats.<br />

98


Der Dachboden als verwunschener Ort<br />

Es waren auf diesem Dachboden aber alle jene unglücklichen<br />

Bücher gestapelt 48 , jahrelang, unter riesigen Planen, die<br />

noch nicht wie<strong>der</strong> e<strong>in</strong>geglie<strong>der</strong>t worden nach ihrer Auslagerung<br />

<strong>in</strong>mitten des Krieges – war das Personal auch hierfür zu knapp.<br />

Und es wurde, da <strong>der</strong> Platz doch recht groß, auch Mobiliar<br />

gelagert, das zur Zeit nicht benötigt, o<strong>der</strong> aber aufgrund räumlicher<br />

Enge e<strong>in</strong>mal nicht genutzt werden konnte, da sich <strong>der</strong><br />

Ausbau <strong>der</strong> Bibliothek, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e des Lesesaales so lange<br />

h<strong>in</strong>zog. Es waren darunter aber auch, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Verschlag, die<br />

Möbel des Direktors Fischer, die dieser aus se<strong>in</strong>er Heimat gerettet<br />

und zu Hause nicht nutzen konnte, se<strong>in</strong>er Wohnungsnot halber,<br />

und soweit sie nicht verliehen waren an Bekannte 49 und Freude.<br />

Es wurde solch eigener Gebrauch von se<strong>in</strong>en Mitarbeitern<br />

geflissentlich übersehen und mir damit manch heimlicher Besuch<br />

an diesem Ort ermöglicht, war etwas abzuholen o<strong>der</strong> auszutauschen.<br />

War dieses als K<strong>in</strong>d für mich e<strong>in</strong> rechtes Abenteuer,<br />

nicht nur des riesigen, düsteren, feuchten Raumes wegen,<br />

son<strong>der</strong>n wegen <strong>der</strong> Fahrt mit dem Aufzug dorth<strong>in</strong>, wenn für e<strong>in</strong>en<br />

Wimpernschlag <strong>der</strong> Blick durch den schmalen Fensterschlitz <strong>der</strong><br />

Aufzugstüren 50 nicht mehr fiel <strong>in</strong> die erleuchteten Räume <strong>in</strong> den<br />

Etagen, son<strong>der</strong>n nur auf den glatten weißen Putz <strong>der</strong> obersten<br />

Deckendurchfahrt, nur vor jenem Halt im Dachboden: voller Bangen,<br />

vergleichbar nur e<strong>in</strong>er Fahrt mit <strong>der</strong> Raupenbahn 51 auf dem<br />

<strong>Oldenburg</strong>er Kramermarkt 52 , wenn das Verdeck geschlossen war.<br />

Ehemals Direktor Fischers Speicherort<br />

99


War aber auch <strong>der</strong> Weg dorth<strong>in</strong> schon, über die Treppe, e<strong>in</strong><br />

heimlicher, entrückt, e<strong>in</strong>e GRENZÜBERSCHREITUNG, nur dem<br />

Berufenen zugänglich, nach Aushängen des Tampens.<br />

Zu Zeiten unserer Fotosafari war <strong>der</strong> Dachraum wie<strong>der</strong>um<br />

teils vollgestellt mit Büchern – ungeachtet aller Brandschutzerfor<strong>der</strong>nisse<br />

– jedoch nunmehr ordentlich aufgereiht <strong>in</strong> Regalen, nicht<br />

mehr wie ehemals als Haufen unter Planen.<br />

Zudem stand dort aber wie<strong>der</strong> Mobiliar, das ausgelagert,<br />

nicht mehr von Nöten sche<strong>in</strong>t es, e<strong>in</strong>er Zeitreise gleich, von vergangenem<br />

Glanze kündend.<br />

100


Rechts die Stapelstühle aus dem Vortragsraum. Auf dem edlen Tisch aus<br />

dem Lesesaal des alten Bibliotheksgebäudes am Damm umgestürzt e<strong>in</strong> Tisch<br />

des neuen Lesesaals von 1959, davor e<strong>in</strong> Stuhl des provisorischen<br />

Leseraumes von 1946 – <strong>der</strong> Wärmestube für geistige Arbeiter. Vgl. S. 105.<br />

Unübersehbar jedoch, zu riechen, <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>.<br />

Hatte dort e<strong>in</strong> klammer Ort sich herübergerettet aus Vaters Zeiten.<br />

101


<strong>Die</strong> Bücher<br />

Aus e<strong>in</strong>em Brief von WGF an se<strong>in</strong>e Frau, 6.11.1946<br />

[...] Heute war <strong>der</strong> erste Bestelldienst im Hause. Ich bekam e<strong>in</strong>en<br />

furchtbaren Schrecken, als sich an e<strong>in</strong>er Stelle e<strong>in</strong>e furchtbare<br />

Unordnung zeigte, die ich mir gar nicht erklären konnte, und die<br />

mir das Kriterium fürs Ganze zu werden schien. Bis mir e<strong>in</strong>fiel,<br />

daß die Leute (wir hatten ja bis zu 50 Transportarbeiter engagiert)<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Wagen plötzlich die Reihen von rechts nach l<strong>in</strong>ks gesetzt<br />

hatten, aber ich war (Glück habe ich ja <strong>in</strong> sowas immer) sogleich<br />

dazu gekommen, nur 2 Reihen waren verstellt – das war <strong>der</strong><br />

Fehler. Und <strong>in</strong> <strong>der</strong> Tat ist sonst die Ordnung leidlich erhalten,<br />

sodaß wir wirklich weiter, wie bisher, ausleihen können.<br />

Und me<strong>in</strong> Jammer hat den Bautischlermeister gerührt, er hat mir<br />

jetzt für den Gestellbau zwei weitere Mann geschickt, darunter<br />

se<strong>in</strong>en besten Arbeiter, <strong>in</strong>folgedessen werden jetzt pro Tag<br />

an<strong>der</strong>thalb Achsen (zu 13 m) aufgestellt, während die Leute<br />

vorher zu e<strong>in</strong>er Achse fast drei Tage brauchten. So denke ich<br />

wirklich, daß bis Ende <strong>der</strong> Woche die Benutzungsabteilung <strong>in</strong><br />

ihrem <strong>der</strong>zeitigen Umfange wie<strong>der</strong> steht. – So s<strong>in</strong>d die Leute hier,<br />

Drängeln kann man sie nicht, aber wenn man mit ihnen ruhig und<br />

offen schnackt, dann tun sie doch meist ihr Möglichstes: ich kann<br />

den Menschenschlag hier nicht schlecht f<strong>in</strong>den.<br />

102


<strong>Die</strong> wahrhaften Bewohner des Hauses, <strong>der</strong> eigentlich Zweck<br />

des Hauses und Anlass, residierten zumeist im Verborgenen, im<br />

Dunkeln, naturgemäß <strong>in</strong> Magaz<strong>in</strong>en, und nahmen diese den tiefen<br />

Teil des Hauses e<strong>in</strong> entlang <strong>der</strong> Auguststraße, nahezu 40 % <strong>der</strong><br />

Gebäudefläche <strong>in</strong> allen Etagen und im Zuge des Ausbaus noch<br />

vermehrt. Hätte sich im Hof noch reichlich Platz für e<strong>in</strong>en Anbau<br />

dazu gefunden, und wäre <strong>der</strong> Fortzug nicht nötig gewesen, die<br />

räumliche Loslösung von Fachhochschule und Universität.<br />

Den Magaz<strong>in</strong>en vorgelagert befanden sich im Erdgeschoß<br />

die Buchb<strong>in</strong><strong>der</strong>werkstatt, <strong>in</strong> den oberen Etagen Katalogisierung<br />

und Verwaltungsräume. Im Eck gab es e<strong>in</strong>e Nebentreppe auch für<br />

die Zwischenebenen <strong>der</strong> Magaz<strong>in</strong>e und e<strong>in</strong>en Bücheraufzug bis<br />

auf den Dachboden, wo die e<strong>in</strong>st ausgelagerten Bestände auf ihre<br />

Wie<strong>der</strong>e<strong>in</strong>glie<strong>der</strong>ung warteten, zunächst unter großen Planen.<br />

Bedienergang mit Nebentreppe und Magaz<strong>in</strong> im 1. Obergeschoß<br />

War es e<strong>in</strong> eigenes Reich, und nur den Internen vorbehalten,<br />

aber voller Geheimnisse und Gedanken, wiewohl praktisch und<br />

klar. Müsste man <strong>der</strong>gleichen noch f<strong>in</strong>den im Land, im Raum!<br />

103


An e<strong>in</strong>igen Stellen jedoch lugten sie, die Bücher, hervor:<br />

unverhofft, jedoch nicht ohne Absicht sie zu zeigen, nicht nur <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Vitr<strong>in</strong>e o<strong>der</strong> im Lesesaal: e<strong>in</strong>e Ahnung von ihnen zu geben,<br />

von des Hauses Tiefe, dar<strong>in</strong> geborgenen Schätzen.<br />

Im E<strong>in</strong>gang zu Ausleihe und Lesesaal, l<strong>in</strong>ks von <strong>der</strong> Vitr<strong>in</strong>e<br />

mit Ausstellungsstücken, ließ sich e<strong>in</strong> solcher Blick <strong>in</strong>s Innerste erhaschen,<br />

und auch an<strong>der</strong>en Ortes, beiläufig.<br />

In den Räumen <strong>der</strong> Mitarbeiter jedoch hatten sie Platz, verbreiteten<br />

sich über Regale, Tische, Ablagen.<br />

104


105


106


Von Lesern<br />

Willa Thorade<br />

Zwei Mal ließ me<strong>in</strong> Vater mich, auf dem Weg durch die Bibliothek,<br />

stehen und eilte, um e<strong>in</strong>en Besucher zu grüßen.<br />

<strong>Die</strong> e<strong>in</strong>e war Willa Thorade, sichtlich grande dame, wiewohl,<br />

kle<strong>in</strong>, alt, verwachsen. Me<strong>in</strong> Vater war beflissen, ihr die gewünschte<br />

Lektüre zuzuarbeiten, wie wohl häufiger, und es wurde e<strong>in</strong><br />

langes Gespräch, so musste ich alle<strong>in</strong>e gehen.<br />

Dem Leser sei, da sie schon lange tot ist und vielleicht vergessen,<br />

die Lektüre über ihren außerordentlichen Lebensweg und<br />

ihr Wirken <strong>in</strong> <strong>Oldenburg</strong> empfohlen. Me<strong>in</strong>e Mutter, die über<br />

sozialistische Arbeiterbildung (des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts) promoviert<br />

hatte, war ihr beson<strong>der</strong>s zugetan, war Thorades Vater, Bankier,<br />

doch Mäzen und Grün<strong>der</strong> e<strong>in</strong>er solchen Vere<strong>in</strong>igung <strong>in</strong> <strong>Oldenburg</strong><br />

gewesen und die Tochter hatte se<strong>in</strong> Wirken wie<strong>der</strong> aufgenommen<br />

mit <strong>der</strong> Neugründung <strong>der</strong> Volkshochschule nach dem Kriege.<br />

Deren Präsident ist me<strong>in</strong> Vater lange gewesen, und hatte sie im<br />

Vortragssaal auch e<strong>in</strong>e Heimstatt <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bibliothek, und diese dort<br />

e<strong>in</strong> Publikum.<br />

Pastor Carl Woebcken, Sillenstede<br />

E<strong>in</strong> an<strong>der</strong> Mal g<strong>in</strong>g e<strong>in</strong>e kräftige Gestalt, wiewohl mühsam,<br />

die Ausleihe entlang. Me<strong>in</strong> Vater eilte hernach, begrüßte ihn herzlich<br />

und fragte nach Bef<strong>in</strong>den und Begehr, bedauerte, dass er so<br />

lange nicht <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bibliothek gesehen. Da antworte ihm dieser:<br />

„Ach, jede alte Eiche wird mal morsch!“<br />

107


War mit diesen Worten alles<br />

gesagt, nichts h<strong>in</strong>zuzufügen<br />

außer guten Wünschen, so hatte<br />

sich <strong>der</strong> Pastor Woebcken damit<br />

<strong>in</strong> me<strong>in</strong> Herz geschlichen, und<br />

ich las alle se<strong>in</strong>e Bücher, die<br />

heute noch lohnend s<strong>in</strong>d.<br />

Wiewohl man kaum glauben<br />

mag, dass diese Geschichts-<br />

Schreibung, mit <strong>der</strong>art Hauen<br />

und Stechen, von e<strong>in</strong>em Mann<br />

Gottes se<strong>in</strong> mochte, aber<br />

spannend ist es allzumal.<br />

Pastor Woebcken aber kam<br />

nimmer und starb, und s<strong>in</strong>d wir<br />

darum betrübt bis heute.<br />

Der Klauer<br />

E<strong>in</strong>es Abends kehrte me<strong>in</strong> Vater verstört vom <strong>Die</strong>nst zurück,<br />

beim Bericht an die Mutter entrang sich se<strong>in</strong>er Brust e<strong>in</strong><br />

Schluchzen. Ich weiß nicht, ob dieses aus Schmerz um se<strong>in</strong>e<br />

Bücher geschehen, o<strong>der</strong> wegen des menschlichen Dramas.<br />

Schon länger waren schmerzliche Verluste zu registrieren<br />

gewesen, da e<strong>in</strong> Unbekannter Seiten mit Abbildungen aus gerade<br />

den wertvollen alten Werken heraustrennte, schnitt. Man konnte<br />

se<strong>in</strong>er aber nicht habhaft werden.<br />

Nun sah aber e<strong>in</strong> Mitarbeiter am Abend, kurz vor<br />

Schließung des Lesesaales, auf den Rasen vor <strong>der</strong> Bibliothek<br />

diverse Blätter nie<strong>der</strong>gehen, durch die Lüfte segeln, die offenkundig<br />

e<strong>in</strong>em großen Briefumschlag entstammten, <strong>der</strong> aus dem<br />

Fenster <strong>der</strong> Bibliothek geworfen, war dieser aber nicht richtig<br />

verschlossen gewesen. Nicht lange darauf eilte e<strong>in</strong> alter Professor<br />

h<strong>in</strong>zu, geradewegs aus <strong>der</strong> Bibliothek gekommen, um diesen<br />

Umschlag aufzunehmen, und war sichtlich erschrocken, dass<br />

e<strong>in</strong>ige <strong>der</strong> Seiten offen lagen, verstreut auf dem Rasen. Solchermaßen<br />

wurde er festgenommen und gestand die Taten. War es<br />

aber e<strong>in</strong> alter Freund me<strong>in</strong>er Eltern gewesen, und als solcher<br />

dann nimmer gesehen. Weiß nicht, was schwerer gewogen.<br />

108


Kollegen und Mitarbeiter<br />

an <strong>der</strong> <strong>Landesbibliothek</strong> <strong>Oldenburg</strong><br />

<strong>Die</strong>ses Zeitungsbild 53 von dem alten, provisorischen Lesesaal ist e<strong>in</strong><br />

„fake“: bei den Benutzern handelt es sich um Mitarbeiter <strong>der</strong> <strong>Landesbibliothek</strong>.<br />

Im Vor<strong>der</strong>grund l<strong>in</strong>ks Karl Bonhagen, stehend Paul Raabe. Weitere<br />

Personen s<strong>in</strong>d mir er<strong>in</strong>nerlich, aber nicht mehr namentlich bekannt. In <strong>der</strong><br />

Bildmitte mit dem Rücken zum Betrachter Dr. W. G. Fischer.<br />

109


Unterschriften <strong>der</strong> Bibliotheksmitarbeiter im Album mit<br />

Er<strong>in</strong>nerungsfotos, das WGF zu se<strong>in</strong>em Abschied 1969 überreicht<br />

wurde.<br />

110


<strong>Die</strong> Auswahl <strong>der</strong> Bibliothekare und Mitarbeiter <strong>der</strong> <strong>Landesbibliothek</strong>,<br />

die hier genannt werden, ist noch subjektiver und<br />

willkürlicher, als alles an<strong>der</strong>e <strong>in</strong> diesem Büchle<strong>in</strong>.<br />

<strong>Die</strong>ses f<strong>in</strong>det se<strong>in</strong>en Grund <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er diesbezüglich bruchstückhaften<br />

Er<strong>in</strong>nerung, da ich damals e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>d noch war,<br />

und <strong>in</strong> nur wenigem Material hierzu. Gerade darum sei dieses hier<br />

jedoch aufgeführt.<br />

Zuvör<strong>der</strong>st muss genannt werden:<br />

Anna Iwanowna Baeckmann 54<br />

Geboren und wohnhaft <strong>in</strong> St. Petersburg, die Familie war<br />

Mitte des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts über e<strong>in</strong>e Pastorenstelle dorth<strong>in</strong><br />

gelangt. Flüchtete 1917 im Schlitten mit ihren Eltern über den<br />

zugefrorenen Bodden nach Riga, „Umsiedlung <strong>in</strong>s Reichsgebiet“<br />

im Zuge des Hitler-Stal<strong>in</strong>-Paktes, laut brieflicher Erwähnung<br />

me<strong>in</strong>es Vaters zuletzt tätig am philosophischen Sem<strong>in</strong>ar <strong>in</strong> Posen.<br />

111


Vermutlich war sie es, die me<strong>in</strong>en zögerlichen Vater überzeugte,<br />

an <strong>der</strong> <strong>Landesbibliothek</strong> <strong>Oldenburg</strong> e<strong>in</strong>e „Mission“ 55 zu<br />

haben. Mit <strong>der</strong> außerordentlich gebildeten, geistreichen und polyglotten<br />

„grande dame“ verband uns dann e<strong>in</strong>e lebenslange<br />

Freundschaft. Auf dem Betriebsausflug <strong>der</strong> Bibliotheksmannschaft<br />

im Sommer 1948 wurde ihr von me<strong>in</strong>er Mutter die Patenschaft für<br />

ihren jüngsten, damals noch ungeborenen Sohn angetragen.<br />

Rechtes Bild, ganz rechts: Anna Iwanowna Baeckmann (mit Hut)<br />

Bildmitte l<strong>in</strong>ks: me<strong>in</strong> älterer Bru<strong>der</strong> Christoph Fischer, 5 Jahre alt<br />

Von den fünf Brü<strong>der</strong>n Anna Iwanownas, <strong>der</strong> ganzen Familie,<br />

ist <strong>in</strong> den Wirren von Revolution und Kriegen nicht viel<br />

geblieben 56 . Nur <strong>der</strong> Jüngste überlebte und arbeitete noch lange<br />

als Arzt <strong>in</strong> Alzey, woh<strong>in</strong> er se<strong>in</strong>e Schwester dann holte, als es ans<br />

Sterben g<strong>in</strong>g.<br />

Aus dem Erbe me<strong>in</strong>er Patentante hatte ich mir dieses Bild<br />

erbeten, und ihre kle<strong>in</strong>e Pendeluhr, die mich als K<strong>in</strong>d fasz<strong>in</strong>ierte.<br />

112


Dorothea Technau, Else Jentzsch<br />

Nicht eigentlich Mitarbeiter<strong>in</strong>nen <strong>der</strong> Bibliothek, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong><br />

Fachstelle für Öffentliches Büchereiwesen waren Dorothea<br />

Technau und Else Jentzsch. Mir beson<strong>der</strong>s am Herzen gelegen,<br />

wurde ich doch häufig als kle<strong>in</strong>er Junge nach K<strong>in</strong><strong>der</strong>garten o<strong>der</strong><br />

auch Schule bei ihnen abgegeben, durfte helfen, die Bücher zu<br />

katalogisieren – was für mich natürlich hieß: dar<strong>in</strong> zu blättern, zu<br />

lesen. <strong>Die</strong> Fachstelle hatte diesbezüglich passende Lektüre<br />

damals auch für mich.<br />

Jedoch nicht nur <strong>der</strong>er unendliche Geduld und freundliche<br />

Fürsorge waren es, die mich so sehr für diese Aufenthalte begeisterten,<br />

son<strong>der</strong>n, dass ich beide außerordentlich schön fand. Frau<br />

Technau, mit e<strong>in</strong>em leicht bräunlichen Te<strong>in</strong>t und langen, schwarzbraunen<br />

Haaren wie e<strong>in</strong>e Squaw, immer elegant gekleidet nahezu<br />

Ton <strong>in</strong> Ton von beige bis graubraun erschien mir wie e<strong>in</strong>e<br />

strahlende, verjüngte Wie<strong>der</strong>kehr me<strong>in</strong>er geliebten Patentante<br />

Anna Iwanowna.<br />

<strong>Die</strong> distanziertere Frau Jentzsch h<strong>in</strong>gegen verkörperte für<br />

mich auf e<strong>in</strong>e ferne, rätselhafte Weise Amerika: schien mir doch<br />

ihr grauweißes Haar zuweilen leicht bläulich o<strong>der</strong> auch rot<br />

durchwirkt glänzend. Im Beson<strong>der</strong>en aber trug sie lange e<strong>in</strong>e sehr<br />

schnittige Brille, mit fe<strong>in</strong>en weißen Streifen und e<strong>in</strong>er spitz zulaufenden<br />

Form, die an die Straßenkreuzer <strong>der</strong> Zeit gemahnte: die<br />

mit Heckflossen, und mit dem Ruch von Freiheit und Abenteuer.<br />

Es tut mir leid, dass ich so e<strong>in</strong> Machismo b<strong>in</strong>, und es ist<br />

sicherlich falsch, alles.<br />

113


WGF bei e<strong>in</strong>er betrieblichen Feier neben Frau Else Jentzsch<br />

Suse W<strong>in</strong>tgen<br />

114


Von ferne nur sah ich Suse W<strong>in</strong>tgen: immer freundlich,<br />

lächelnd, geschäftig huschte sie durch die Bibliothek.<br />

Ihr näher gekommen b<strong>in</strong> ich durch manchen mittäglichen<br />

Bericht me<strong>in</strong>es Vaters, an me<strong>in</strong>e Mutter: was wie<strong>der</strong> für e<strong>in</strong>e<br />

Schusselei geschehen: ach Suse, o<strong>der</strong>, wenn es ganz schlimm<br />

gewesen, dann war wie<strong>der</strong> e<strong>in</strong> W<strong>in</strong>d-gen geweht, wiewohl uns<br />

Wortspiele mit Namen strengstens verboten waren. Im Herzen<br />

konnte er ihr aber nicht gram se<strong>in</strong>, und verdrehte lächelnd gen<br />

Himmel die Augen.<br />

Als aber me<strong>in</strong> Vater schon lange gestorben war, da stießen<br />

me<strong>in</strong>e Mutter und ich bei e<strong>in</strong>em E<strong>in</strong>kaufsbummel auf e<strong>in</strong> Buch,<br />

von Suse W<strong>in</strong>tgen: Seht me<strong>in</strong>e lieben Bäume an, liebevoll und<br />

durchaus gekonnt gemacht, das uns sehr rührte. Es hat die<br />

Autor<strong>in</strong>, <strong>in</strong> hohem Alter schon, ihrem Vater dar<strong>in</strong> e<strong>in</strong> Denkmal<br />

gesetzt, <strong>der</strong> sie zu sehen lehrte.<br />

Und, ohne dass ich es damals wusste, hatten ihre frühen<br />

Bücher mich durch me<strong>in</strong>e K<strong>in</strong>dheit begleitet, bisweilen.<br />

Suse W<strong>in</strong>tgen, Der Früchtekorb. Illustrationen von Hildegard Bürger. Leipzig, o.J.<br />

Suse W<strong>in</strong>tgen, Von Baum und Blume, K<strong>in</strong>d und Tier. Bil<strong>der</strong> von Elsa Eisgruber. <strong>Oldenburg</strong>, 1953.<br />

Suse W<strong>in</strong>tgen, <strong>Die</strong> Wun<strong>der</strong><strong>in</strong>sel. Bil<strong>der</strong> von Ellen Becks. Leipzig, o.J. [1944?].<br />

Suse W<strong>in</strong>tgen, Rumpumpum, die Eisenbahn. Bil<strong>der</strong> von Amanda Hoffmann. Leipzig, o.J. [1945?].<br />

Suse W<strong>in</strong>tgen, Das Weihnachtsland. Umschlagszeichnung Elsa Eisgruber. Leipzig, o.J. [1949?].<br />

Suse W<strong>in</strong>tgen, Seht me<strong>in</strong>e lieben Bäume an. Fotographik von Hans Walter Glebocki. Kassel, 1985.<br />

115


Hans Weißbach<br />

E<strong>in</strong> unendlich kle<strong>in</strong>er, zarter Mann, von e<strong>in</strong>em Hauch Melancholie,<br />

wenn nicht gar Verbitterung umspült, doch immer beflissen,<br />

freundlich dienstbereit. Wenn ich nicht irre, e<strong>in</strong>e Art Haus-faktotum<br />

und als solches vielseitig e<strong>in</strong>setzbar, zuweilen sogar als Aushilfe<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Ausleihe und an weiteren zentralen Orten.<br />

Me<strong>in</strong>es Wissens rührten auch e<strong>in</strong>e Reihe von Tischlerarbeiten<br />

von se<strong>in</strong>er Hand, wenigstens aber die handgeschriebenen<br />

Schil<strong>der</strong>, von denen ich e<strong>in</strong>es aus dem Schuttconta<strong>in</strong>er<br />

zog, als die Bibliothek bereits ausgezogen an <strong>der</strong> Ofener Straße.<br />

116


Kurt Tasmowski<br />

Ich er<strong>in</strong>nere die Erleichterung me<strong>in</strong>es Vaters, als endlich<br />

dieser Hausmeister gefunden: zuverlässig, tatkräftig, verständig.<br />

Immer höflich, freundlich, zugegen, lebte er doch mit se<strong>in</strong>er<br />

Familie <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Die</strong>nstwohnung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bibliothek, im Erdgeschoß.<br />

Mit ihm untrennbar verbunden für mich das Bild riesiger<br />

Koks-Halden im h<strong>in</strong>teren Lagerraum und auch im Hofe, wurde<br />

doch das Haus se<strong>in</strong>erzeit noch solchermaßen befeuert – und mit<br />

dem Bild se<strong>in</strong>er schönen Tochter, die für mich war e<strong>in</strong>e Fee, <strong>in</strong><br />

Märchengestalt, o<strong>der</strong> vielmehr Schneewittchen: <strong>der</strong> Te<strong>in</strong>t weiß wie<br />

Schnee, <strong>der</strong> Mund rot wie Blut, das Haar schwarz wie Eversten<br />

Holz 57 . Habe sie daher nie angesprochen, lei<strong>der</strong>, nur bewun<strong>der</strong>t.<br />

117


Nikolaus-Feier <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Landesbibliothek</strong>, wahrsche<strong>in</strong>lich um 1950.<br />

Der Bescherung harrend me<strong>in</strong> älterer Bru<strong>der</strong> Christoph (*1943), l<strong>in</strong>ks das<br />

blondlockige Mädchen „Sab<strong>in</strong>ebel“ (Sab<strong>in</strong>e Ebel, 1945-2015). Ihre Eltern, das<br />

Buchhändlerpaar Rudolf und Anneliese Ebel, am Bücherregal lehnend im<br />

H<strong>in</strong>tergrund. Sie hatten mit ihrer Buch- & Kunsthandlung durch die weitere<br />

Belieferung mit Periodica 1948-51 zu den „F<strong>in</strong>anziers“ <strong>der</strong> ungenehmigten<br />

Budgetüberschreitungen me<strong>in</strong>es Vaters gehört und blieben dem Haus<br />

verbunden.<br />

Insbeson<strong>der</strong>e die ersten Aufbaujahre <strong>der</strong> Bibliothek <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Ofener Straße waren wohl auch durch Bemühungen um engen<br />

persönlichen Zusammenhalt und geme<strong>in</strong>schaftliche Unternehmungen<br />

geprägt – die vergleichsweise vielen Nachrichten und<br />

auch Bil<strong>der</strong> zeugen hiervon. Allerd<strong>in</strong>gs war diesem Engagement<br />

wohl nicht ungebrochener Erfolg beschieden: sowohl aufgrund<br />

<strong>in</strong>nerer, wie auch äußerer Wi<strong>der</strong>stände.<br />

War zunächst noch die E<strong>in</strong>richtung e<strong>in</strong>er „Wärmestube für<br />

geistige Arbeiter“ möglich geworden, für die zur Beschaffung von<br />

118


Heizmaterial geme<strong>in</strong>sam durch Belegschaftsmitglie<strong>der</strong> Torf gestochen<br />

wurde, so wurde dieses aus „Versicherungstechnischen<br />

Gründen“ untersagt, wie auch das eigenständige Weißen <strong>der</strong><br />

ersten provisorischen Räume im neuen Haus 58 .<br />

Intern bestanden wohl e<strong>in</strong>ige Wi<strong>der</strong>stände primär gegen<br />

lange Öffnungszeiten <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e des Abends und am Wochenende,<br />

und gegen die „preußische“ Auffassung me<strong>in</strong>es Vaters von<br />

Pflichterfüllung. Unverständnis begegnete ihm auch <strong>in</strong> Teilen <strong>in</strong><br />

se<strong>in</strong>em Bemühen, die Bibliothek zu e<strong>in</strong>em Ort des geistigen<br />

Austauschs zu machen und auch von daher e<strong>in</strong>zubeziehen <strong>in</strong> e<strong>in</strong><br />

symbiotisches Netzwerk diverser kultureller Institutionen, wie eben<br />

<strong>der</strong> Fachstelle für Öffentliches Büchereiwesen (<strong>der</strong> Versorgung<br />

des Landes <strong>Oldenburg</strong> mit aktuellem Buchmaterial), <strong>der</strong> Volkshochschule<br />

– se<strong>in</strong>erzeit mit dem beson<strong>der</strong>en Schwerpunkt <strong>der</strong><br />

Arbeitslosenför<strong>der</strong>ung – dem Filmclub mit se<strong>in</strong>em damals immer<br />

noch neuen künstlerischen Medium, mit Vorträgen, Ausstellungen.<br />

Der Todesstoß für die Bibliothek, wie me<strong>in</strong> Vater sie dachte,<br />

für unerlässlich hielt, war unmittelbar nach se<strong>in</strong>er Pensionierung<br />

die Aufkündigung <strong>der</strong> über Jahre mühsamst e<strong>in</strong>gefädelten<br />

Zusammenlegung mit <strong>der</strong> – endlich – <strong>in</strong> Gründung bef<strong>in</strong>dlichen<br />

Universitätsbibliothek <strong>in</strong> <strong>Oldenburg</strong>.<br />

Damit war die Institution <strong>Landesbibliothek</strong> dort wie<strong>der</strong><br />

angekommen, wovor <strong>der</strong> oldenburgische Monarch <strong>der</strong> Aufklärung<br />

Peter Friedrich Ludwig sie mit dem Ankauf <strong>der</strong> Bibliothek des<br />

hannoverschen Hofrathes Brandes hatte bewahren, darüber h<strong>in</strong>aus<br />

führen wollen, fast genau 100 Jahre, bevor me<strong>in</strong> Vater sie<br />

übernahm: als primär nur e<strong>in</strong> eben kle<strong>in</strong>es, bewahrendes Haus <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Prov<strong>in</strong>z. Der Aufbruch aber erfolgte dann an<strong>der</strong>en Ortes, nicht<br />

an <strong>der</strong> Ofener Straße: vielmehr ihrer Verlängerung jetzt 59 .<br />

<strong>Die</strong>ser Aufbruch, ihn zu bewirken, den Weg zu ebnen, daran<br />

sich me<strong>in</strong> Vater und An<strong>der</strong>e <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en frühen <strong>Oldenburg</strong>er Jahren<br />

über alle Maßen verbrauchten, wenn auch mit Hoffnung, Enthusiasmus,<br />

Freude, starb aber e<strong>in</strong>en frühen, langen Tod auch aus<br />

e<strong>in</strong>em an<strong>der</strong>en Grunde.<br />

War die Stadt nach dem Kriege noch so voller Flüchtl<strong>in</strong>ge<br />

wie auch Geistesgrößen, so g<strong>in</strong>gen diese mit dem wirtschaftlichen<br />

Wie<strong>der</strong>aufbau nach und nach ihrer Wege, und mit <strong>der</strong> Zeit verblieben<br />

auch mit dem Verlust <strong>der</strong> oldenburgischen Eigenstän-<br />

119


digkeit, den wenigen beruflichen Möglichkeiten für Wissenschaftler<br />

am Ort davon nicht wirklich viele. In <strong>der</strong> Bibliothek selbst gelang<br />

es me<strong>in</strong>em Vater lange nicht, die erhofften wissenschaftlichen<br />

Stellen <strong>in</strong> ausreichendem Maße zu erlangen, und bei den<br />

Personen, die trotzdem diesbezüglich unter se<strong>in</strong>e Fittiche<br />

gelangten – zu nennen s<strong>in</strong>d hier Paul Raabe 60 und Walter Barton 61<br />

– sah er sich verpflichtet, ihr berufliches und geistiges Fortkommen<br />

zu beför<strong>der</strong>n, sehenden Auges, dass sie damit für ihn, für<br />

die Bibliothek verloren wären.<br />

Das Foto <strong>in</strong> dem Album, das die Mitarbeiter ihm zum Abschied<br />

überreichten, mag s<strong>in</strong>nbildlich stehen für se<strong>in</strong> Bemühen auf<br />

verlorenem Posten: des Abends se<strong>in</strong> Fahrrad, nur jenes, alle<strong>in</strong>e<br />

noch vor <strong>der</strong> Bibliothek, <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en letzten Jahren 62 .<br />

Fritz Janßen<br />

sei gedankt für dieses und an<strong>der</strong>e, sprechende und sprachlose<br />

Bil<strong>der</strong>! 63<br />

120


Dr. Wolfgang G. Fischer<br />

Es ist WGF wahrsche<strong>in</strong>lich letztendlich nicht gelungen, vielleicht<br />

mit Ausnahme e<strong>in</strong>er kurzen „Aufbauzeit“ direkt nach dem<br />

Kriege, alle se<strong>in</strong>e Mitarbeiter mitzunehmen, zu überzeugen von<br />

se<strong>in</strong>er Vision <strong>der</strong> Bibliothek als e<strong>in</strong>em Zentrum im „Netzwerk“ kultureller<br />

und Bildungs<strong>in</strong>stitutionen, wie sie nach dem geistigen<br />

Leerstand <strong>der</strong> Nazi-Zeit jetzt greifbar, ja unabd<strong>in</strong>gbar schien, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e<br />

auch angesichts <strong>der</strong> Demokratie-Vorgaben und Hilfen<br />

<strong>der</strong> englischen und amerikanischen Besatzungsmächte. <strong>Die</strong> allgewärtigen<br />

menschlichen Eigenheiten, Eifersüchteleien, vere<strong>in</strong>zelt<br />

die Verweigerung von Engagement aufgrund verme<strong>in</strong>tlich<br />

nicht h<strong>in</strong>reichen<strong>der</strong> Beachtung und Würdigung, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e aber<br />

die anhaltenden Differenzen um lange Öffnungszeiten <strong>der</strong> Bibliothek<br />

haben wohl schließlich den geistigen Höhenflug für nur den<br />

Alltagsbetrieb verbraucht, wenn auch lange auf vergleichbar<br />

hohem Niveau – und schließlich mit <strong>der</strong> Gründung <strong>der</strong> Universität<br />

<strong>in</strong> <strong>Oldenburg</strong> doch noch mit verme<strong>in</strong>tlicher Perspektive, zwei Jahrzehnte<br />

später.<br />

Mit <strong>der</strong> mühsam errungenen Weichenstellung, die <strong>Landesbibliothek</strong><br />

<strong>Oldenburg</strong> und die Bibliothek <strong>der</strong> künftigen Universität<br />

zu verb<strong>in</strong>den, g<strong>in</strong>g me<strong>in</strong> Vater nach 22 Jahren <strong>in</strong> <strong>Oldenburg</strong> 1968<br />

<strong>in</strong> Pension. <strong>Die</strong> dann schnell folgende Revision dieser Entscheidung<br />

sah er mit Bitternis, als Scheitern <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Lebenswerk.<br />

Über die Jahre h<strong>in</strong>weg wirksam bremsten aber zunächst an<strong>der</strong>e<br />

Geschehnisse se<strong>in</strong>e Arbeit und se<strong>in</strong>en Mut, se<strong>in</strong>en nach dem<br />

gerade <strong>in</strong> Anbetracht aller Wi<strong>der</strong>stände letzten Endes mit dem<br />

gelungen Umzug <strong>der</strong> Bibliothek, den vielfältigen kultur- und bildungspolitischen<br />

Aktivitäten und den eigenen kunsthistorischen<br />

Äußerungen <strong>in</strong>nerhalb weniger Monate und Jahre heute so fast<br />

rastlos ersche<strong>in</strong>enden Neubeg<strong>in</strong>n nach dem Kriege: ...wenn nicht<br />

jetzt, wann dann...?<br />

<strong>Die</strong>ses nicht ohne eigenes Zutun und Risiko, denn im Jahr<br />

1949 verzögerte sich erneut die Bewilligung bereits zugesagter<br />

Mittel im Etat <strong>der</strong> <strong>Landesbibliothek</strong> <strong>Oldenburg</strong>, die bei den<br />

Beschaffungen jedoch bereits „verbraucht“ worden waren, so dass<br />

für laufende Verpflichtungen ke<strong>in</strong>e ausreichende Deckung mehr<br />

bestand. Um den wissenschaftlichen Wert <strong>der</strong> an <strong>der</strong> LBO beson<strong>der</strong>s<br />

wichtigen Periodika zu retten, vere<strong>in</strong>barte WGF mit drei<br />

<strong>Oldenburg</strong>er Buchhändlern wie<strong>der</strong>um 64 , die Bibliothek während<br />

121


dieser Zeit weiter zu beliefern, die Schulden wurden dann nach<br />

Mittelfreigabe später beglichen.<br />

Zu diesem haushaltsrechtlichen Verstoß f<strong>in</strong>den sich <strong>in</strong> den<br />

Personalunterlagen 65 me<strong>in</strong>es Vaters ke<strong>in</strong>e Anhaltspunkte für<br />

Maßregelungen o<strong>der</strong> ähnliches. Me<strong>in</strong>e Mutter berichtete aber,<br />

dass die eigentlich fälligen Gehaltsanpassungen dann zunächst<br />

und mit für die Familie <strong>in</strong> den noch „knappen Zeiten“ spürbaren<br />

Folgen sehr zögerlich erfolgten, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e wird man me<strong>in</strong>em<br />

Vater aber die Grenzen se<strong>in</strong>es Amtes wohl verdeutlicht haben.<br />

Den engagierten und auch mutigen, unbefangenen Aktivitäten <strong>der</strong><br />

Anfangsjahre folgten dann aber Jahrzehnte eher nur beharrlicher<br />

Überzeugungsarbeit <strong>in</strong>nerhalb von Gremien und Behörden.<br />

Persönlich katastrophal wirkte sich e<strong>in</strong> Zwischenfall <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Bibliothek bereits 1948 aus: <strong>Die</strong> Materialien und das umfangreiche<br />

und weitgehend fertiggestellte Manuskript zu se<strong>in</strong>em lebenslangen<br />

Thema Das Buch im Bild wurde von se<strong>in</strong>er Sekretär<strong>in</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> LBO<br />

<strong>in</strong> den Ofen gesteckt und verfeuert. 66<br />

WGF h<strong>in</strong>ten<br />

Me<strong>in</strong> Vater hatte aufgrund <strong>der</strong> häuslichen Enge 67 nach <strong>Die</strong>nstschluss<br />

<strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Arbeitszimmer <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bibliothek daran gearbeitet<br />

– e<strong>in</strong> Duplikat existierte nicht. Damit 68 ist WGF als Autor<br />

verstummt 69 .<br />

122


Prof. Barton beschreibt <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Nachruf 1974 70 das heimliche,<br />

zunehmend verstörte Warten <strong>der</strong> Mitarbeiter auf e<strong>in</strong>en<br />

neuen Anlauf für „se<strong>in</strong> Buch“, vergebens 71 .<br />

War er wohl doch müde geworden im Laufe <strong>der</strong> Zeit, und ich<br />

er<strong>in</strong>nere se<strong>in</strong>e Mühe damit, den erbetenen vorzeitigen Ruhestand<br />

nicht zu erhalten, da aufgrund bürokratischer Vorgänge e<strong>in</strong> Nachfolger<br />

dafür nicht rechtzeitig berufen wurde.<br />

So steht die M<strong>in</strong>iatur aus dem Abschieds-Album <strong>der</strong><br />

Bibliotheks-Mitarbeiter wohl richtig auf se<strong>in</strong>er letzten Seite, mit<br />

<strong>der</strong>en Unterschrift:<br />

Ich habs geschafft!!<br />

Komm Hilde, wir gehen.<br />

Es ist dieses aber nicht nur e<strong>in</strong> Scheitern, son<strong>der</strong>n war zuerst<br />

e<strong>in</strong> hoffnungsfreudiger Griff nach Sternen, die nahe schienen<br />

für e<strong>in</strong>en Augenblick. <strong>Die</strong>se Zeit werden sie genossen haben, ungeachtet<br />

aller Nöte, me<strong>in</strong> Vater wie an<strong>der</strong>e, nachdem doch schon<br />

alles verloren schien durch Diktatur, Verfolgungen, Krieg. Und gab<br />

es eben e<strong>in</strong>e Zeit, <strong>in</strong> <strong>der</strong> es möglich war, solchermaßen zu<br />

denken, und zu bauen, über den Tag h<strong>in</strong>aus. E<strong>in</strong> solches Haus<br />

um das Buch.<br />

123


124<br />

NLA OL, Sig 60, Best. 286 Nr. 219 KA


Paul Raabe<br />

Und vielleicht ist WGF auch gar nicht gescheitert, nicht vollständig.<br />

Wenn doch auch letztlich am Ort se<strong>in</strong>es Wirkens.<br />

Denn mag se<strong>in</strong>, dass er e<strong>in</strong> Samenkorn setzte, mit an<strong>der</strong>en, ihm<br />

den Weg öffnete: e<strong>in</strong> Pflänzchen, das heute <strong>in</strong> schöner Blüte, e<strong>in</strong><br />

„Leuchtturm“ 72 <strong>in</strong> <strong>der</strong> Kulturlandschaft.<br />

Beim Umzug <strong>der</strong> <strong>Landesbibliothek</strong> aus dem Notquartier im<br />

Schloß 1946 g<strong>in</strong>g ihm e<strong>in</strong> junger Flakhelfer zur Hand, nahezu<br />

elternlos, den er zu schätzen begann und dessen Mentor er e<strong>in</strong>e<br />

Zeit lang wurde. Paul Raabe machte bei ihm die Ausbildung zum<br />

Diplom-Bibliothekar, WGF ermunterte ihn, noch zu studieren und<br />

ebnete dabei wohl manchen Weg.<br />

1968 trat Paul Raabe, wie auch zuvor schon <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bibliothek<br />

des Deutschen Literaturarchivs <strong>in</strong> Marbach, die Nachfolge von<br />

Erhart Kästner an 73 – dann wie<strong>der</strong>um auch als Direktor <strong>der</strong> Herzog<br />

August Bibliothek <strong>in</strong> Wolfenbüttel: da hatte er schon lange e<strong>in</strong>en<br />

eigenen Weg und gewichtigere Verb<strong>in</strong>dungen 74 gefunden. Im<br />

Nachruf 75 auf me<strong>in</strong>en Vater aber bezeichnet er sich als adlatus,<br />

als se<strong>in</strong> Vorbild WGF.<br />

Raabe hat <strong>in</strong> Wolfenbüttel das realisiert, was me<strong>in</strong> Vater für<br />

<strong>Oldenburg</strong> erhoffte - zitiert nach wikpedia (2017):<br />

... [als] er im Jahre 1968 die Leitung <strong>der</strong> Herzog August Bibliothek <strong>in</strong> Wolfenbüttel<br />

übernahm, [...] begann er die Bibliothek, die im 17. Jahrhun<strong>der</strong>t als die<br />

größte <strong>in</strong> Europa galt, zu e<strong>in</strong>er mo<strong>der</strong>nen, <strong>in</strong>ternational anerkannten Studienund<br />

Forschungsstätte für das Mittelalter und die frühe Neuzeit auszubauen und<br />

zu öffnen. So wurden unter an<strong>der</strong>em e<strong>in</strong> Stipendien- und Forschungsprogramm,<br />

e<strong>in</strong>e Publikationsabteilung und e<strong>in</strong> Schülerprogramm e<strong>in</strong>gerichtet. Nach und<br />

nach wurden weitere Gebäude <strong>in</strong> die Bibliothek mit e<strong>in</strong>bezogen, so dass e<strong>in</strong><br />

regelrechtes Bibliotheksquartier 76 entstand.<br />

Er ist mit diesem gewaltigen Programm, dieser Vielzahl auf<br />

e<strong>in</strong>an<strong>der</strong> bezogener Institutionen zweifellos weit über das h<strong>in</strong>ausgegangen,<br />

was WGF sich dachte, zu denken hatte wagen können.<br />

Und vermutlich ist er <strong>in</strong> den Augen se<strong>in</strong>es För<strong>der</strong>ers 77 auch über<br />

dieses Ziel h<strong>in</strong>ausgeschossen und damit nicht eigentlich richtig<br />

gelandet, denn me<strong>in</strong> Vater hatte die Bibliothek und die mit ihr<br />

verbundenen E<strong>in</strong>richtungen nicht eigentlich als eigenen „Campus“<br />

gesehen und als richtig erachtet, son<strong>der</strong>n als e<strong>in</strong>en –gewichtigen–<br />

Anker <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Netzwerk kulturellen Lebens, das als solches<br />

OFFEN se<strong>in</strong>, sich öffnen sollte für e<strong>in</strong> geistiges Leben Aller.<br />

125


<strong>Die</strong> Zeit<br />

Es ist dabei aber noch e<strong>in</strong> Part <strong>in</strong> diesem Kollegium zu nennen,<br />

dessen man sich vergewärtigen muss.<br />

Es waren dies die damaligen Zeitumstände.<br />

<strong>Die</strong> materielle Not <strong>der</strong> ersten Nachkriegsjahre hat sicherlich<br />

die meisten getroffen, <strong>der</strong> Kampf, über den Tag zu kommen, um<br />

e<strong>in</strong> Dach über dem Kopf. 78<br />

Nicht alle jedoch werden gleichermaßen den Neuanfang<br />

euphorisch gesehen haben, befreit, nun endlich die Gedanken<br />

auszubreiten.<br />

Ob dies <strong>in</strong> <strong>Oldenburg</strong> beson<strong>der</strong>e Umstände waren, ist aus<br />

<strong>der</strong> subjektiven Er<strong>in</strong>nerung schwer zu beurteilen, mit Sicherheit<br />

waren eigentlich zunächst die Umstände vergleichsweise<br />

glückliche <strong>in</strong> <strong>der</strong> kaum zerbombten Stadt, <strong>in</strong> <strong>der</strong> viele auch<br />

Geistesgrößen zunächst e<strong>in</strong>en Unterschlupf fanden – ich er<strong>in</strong>nere<br />

aus me<strong>in</strong>er frühen K<strong>in</strong>dheit viele Besuche später recht berühmter<br />

Leute. Doch je gesicherter dann die Lebensumstände mit <strong>der</strong> Zeit,<br />

desto abseitiger war <strong>Oldenburg</strong> für diese Klientel gelegen, und<br />

ohne Perspektiven 79 . <strong>Die</strong>sen bra<strong>in</strong>dra<strong>in</strong> aufzuhalten, kam nach<br />

Überzeugung me<strong>in</strong>es Vaters die Gründung <strong>der</strong> <strong>Oldenburg</strong>er<br />

Universität viel zu spät.<br />

<strong>Die</strong> bleibende Er<strong>in</strong>nerung an die Fünfziger Jahre ist die<br />

zunehmende Erstarrung, das Abprallen <strong>der</strong> Wünsche nach<br />

Erneuerung, nach großen Gedanken 80 .<br />

Hier mag sich tatsächlich im Beson<strong>der</strong>en ausgewirkt haben,<br />

dass <strong>Oldenburg</strong> eben nicht zerstört, <strong>der</strong> radikale Umbruch nicht<br />

o<strong>der</strong> nur vere<strong>in</strong>zelt erfolgte, und manche Karriere zwar<br />

beschnitten gewesen se<strong>in</strong> mag, aber eben fortdauerte, und die<br />

Diskussionen abgeschnitten mit dem Satz:<br />

... e<strong>in</strong>mal muss es doch genug se<strong>in</strong>!<br />

<strong>Die</strong>s ist me<strong>in</strong>e Er<strong>in</strong>nerung an das <strong>Oldenburg</strong>er Alte<br />

Gymnasium, 81 als dessen Eleven me<strong>in</strong>e Brü<strong>der</strong> und ich damals <strong>in</strong><br />

ganz beson<strong>der</strong>em Maße damit konfrontiert gewesen se<strong>in</strong> mögen.<br />

Jene Haltung 82 wurde jedoch darüber h<strong>in</strong>aus weitgehend common<br />

sense, und daran besser nicht zu rütteln. <strong>Die</strong> Bibliothek mit ihrer<br />

Wärmestube für geistige Arbeiter ist da wohl e<strong>in</strong> wenig <strong>in</strong>s Abseits<br />

geraten, nicht länger von Nöten, nicht gewünscht 83 . Nur mehr<br />

wie<strong>der</strong> Aufbewahrungsort für Gedanken, die dort verschlossen.<br />

126


84<br />

127


128<br />

NLA OL, Rep 740, Akz. 82 Nr. 205.


Allerlei Verwirrung<br />

1. Hans Wagensche<strong>in</strong> 85 , <strong>der</strong> Leiter <strong>der</strong> <strong>Landesbibliothek</strong><br />

<strong>Oldenburg</strong> <strong>in</strong> dem alten Gebäude am Damm, verlor diesen Posten<br />

nach dem Krieg. Walter Barton führt dieses wesentlich auch auf<br />

se<strong>in</strong>en Kampf gegen die katholischen Büchereistellen im Lande<br />

zurück 86 .<br />

Dass er e<strong>in</strong> strammer Parteigenosse gewesen, geht aus<br />

Veröffentlichungen und Urkunden hervor. Darunter f<strong>in</strong>det sich e<strong>in</strong><br />

Brief vom 19.08.1944 an den SD, mit <strong>der</strong> Empfehlung zur E<strong>in</strong>beziehung<br />

<strong>der</strong> Gestapo: e<strong>in</strong>e wahrhafte Philippica gegen e<strong>in</strong>e<br />

offenkundig geplante Nutzung <strong>der</strong> Bibliotheksru<strong>in</strong>e am Damm für<br />

e<strong>in</strong>e Rüstungsproduktion. Barton <strong>in</strong>terpretiert diesen als Versuch<br />

Wagensche<strong>in</strong>s, mit dem hier dokumentierten Wi<strong>der</strong>stand angesichts<br />

des bevorstehenden Zusammenbruchs se<strong>in</strong>e Stellung zu<br />

retten – dafür spricht <strong>der</strong> „offizielle“ Erhalt <strong>in</strong> den Akten 87 .<br />

Denkbar ist aber auch schlicht die Sorge vor absehbarer<br />

weiterer Zerstörung, ob aus Sorge auch für se<strong>in</strong>e Mitmenschen sei<br />

dah<strong>in</strong>gestellt. Dokumentenanhang 3<br />

2. Im Staatsarchiv <strong>Oldenburg</strong> bef<strong>in</strong>det sich die Abschrift<br />

vermutlich von Rudolf Ebel, dem mit me<strong>in</strong>en Eltern befreundeten<br />

Buchhändler, e<strong>in</strong>es Briefkonvoluts <strong>in</strong> Auszügen aus den letzten<br />

Kriegstagen <strong>in</strong> <strong>Oldenburg</strong> und dem beg<strong>in</strong>nenden gesellschaftlichen<br />

Wie<strong>der</strong>aufbau danach. <strong>Die</strong>se Briefe blieben erhalten, da nie<br />

abgeschickt, weil ihre Verfasser<strong>in</strong>, Anneliese Ebel, die Ehefrau,<br />

den Aufenthaltsort ihres Mannes <strong>in</strong> Kriegsgefangenschaft nicht<br />

kannte. Nachdrücklich beschreibt sie dar<strong>in</strong> die Wirren um das<br />

Schicksal <strong>Oldenburg</strong>s <strong>in</strong> den letzten Kriegstagen und auch den<br />

tastenden, teils aber euphorischen Neubeg<strong>in</strong>n.<br />

Häufiger Gast <strong>in</strong> ihrem Hause und Informant zum aktuellen<br />

Geschehen ist dabei Aulenbacher, wohl e<strong>in</strong> damaliger Mitarbeiter<br />

<strong>der</strong> Bibliothek 88 . Viele <strong>der</strong> <strong>in</strong> den Briefen namentlich erwähnten<br />

Personen waren <strong>in</strong> <strong>Oldenburg</strong> bis <strong>in</strong> die Sechziger Jahre h<strong>in</strong>e<strong>in</strong><br />

tätig.<br />

Mir am e<strong>in</strong>drücklichsten ist dabei die Schil<strong>der</strong>ung Anneliese<br />

Ebels zu Ihrem Zusammenbruch angesichts möglicher Wie<strong>der</strong>gutmachungsfor<strong>der</strong>ungen<br />

zu vormalig jüdischem Besitz: <strong>in</strong> ihrem Fall<br />

sei doch alles RECHTMÄSSIG gewesen!<br />

129


Für ihren eigenen Erwerb <strong>der</strong> früheren Buch- und Kunsthandlung<br />

Landsberg <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schütt<strong>in</strong>gstraße mag das zutreffen – direkte<br />

Nutznießer waren zunächst an<strong>der</strong>e 89 , und sicherlich ist die<br />

Übernahme von Räumen und Geschäft für Ebels auch e<strong>in</strong>e<br />

Anstrengung gewesen se<strong>in</strong>erzeit und e<strong>in</strong> Risiko, an dem das<br />

Leben h<strong>in</strong>g.<br />

Dass die Vorbesitzer dieses nicht alle verloren, son<strong>der</strong>n<br />

wenigstens Otto Landsberg „nur“ Geschäft und Lebensgrundlage<br />

mit zunächst dem Verbot <strong>der</strong> Tätigkeit <strong>in</strong> geistigen, kulturellen<br />

Berufen, dann dem erzwungenen Verkauf unter Wert 90 , ist nur<br />

eher seltenen, glücklichen Zufällen zu danken 91 , Vater und Bru<strong>der</strong><br />

hatten solches Glück nicht. Hierzu wurde geschwiegen – wer<br />

werfe den ersten Ste<strong>in</strong>, <strong>in</strong> solchen Zeiten. Dokumentenanhang 5<br />

3. Als WGF im Frühsommer 1946 durch den <strong>in</strong>zwischen zum<br />

<strong>Oldenburg</strong>ischen Staatsm<strong>in</strong>ister aufgestiegenen Fritz Kästner für<br />

den Wie<strong>der</strong>aufbau <strong>der</strong> <strong>Landesbibliothek</strong> nach <strong>Oldenburg</strong> geholt<br />

wurde, war bereits e<strong>in</strong>ige Monate zuvor <strong>der</strong> Archivdirektor Dr. Hermann<br />

Lübb<strong>in</strong>g 92 zum neuen Bibliotheksdirektor ernannt worden –<br />

WGF wurde Direktor <strong>der</strong> <strong>Landesbibliothek</strong> erst 1949.<br />

In e<strong>in</strong>igen privaten Briefen Fischers ist angedeutet, dass das<br />

Verhältnis nicht immer frei von Spannungen war, trotz sicherlich<br />

gegenseitigem fachlichen Respekt. Man kann annehmen, dass<br />

<strong>der</strong> „Flaschenhals“ direktoraler Entscheidungen Fischers Eile<br />

<strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e bei <strong>der</strong> Beschaffung e<strong>in</strong>es neuen, geeigneten<br />

Gebäudes für die Bibliothek im Wege stand, und dass genau<br />

diese Umtriebigkeit beim Direktor Argwohn erweckte. Insbeson<strong>der</strong>e<br />

aber sah sich Fischer e<strong>in</strong>ige Male veranlasst, Alle<strong>in</strong>gänge<br />

se<strong>in</strong>es Vorgesetzten „wie<strong>der</strong> e<strong>in</strong>zufangen“, die aus se<strong>in</strong>er Sicht<br />

die für die Bibliothek notwendigen Entscheidungen – mühsam<br />

vorbereitet und abgestimmt – konterkariert hätten: dieses betraf<br />

zum Beispiel e<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>samen Entwurf se<strong>in</strong>es Vorgesetzten für den<br />

künftigen Aufbau <strong>der</strong> Bibliothek 93 , <strong>der</strong> sich mehrfach <strong>in</strong> den Akten<br />

f<strong>in</strong>det, e<strong>in</strong> Vierteljahr, nachdem Fischer hierfür geholt worden war,<br />

und er sah die Bürde des notwendigen Umzuges des im Schloss<br />

gelagerten Großteils <strong>der</strong> Bücher <strong>in</strong> das ehemalige Zeughaus an<br />

<strong>der</strong> Ofener Straße alle<strong>in</strong>e auf se<strong>in</strong>en Schultern.<br />

Aus dem offiziösen Schriftverkehr geht durchaus Achtung<br />

und Kooperation hervor, aber mühsam war es sicherlich, für<br />

Beide 94 . <strong>Die</strong> Postmappe zum Verkehr bef<strong>in</strong>det sich <strong>in</strong> den Akten.<br />

130


4. 1946 g<strong>in</strong>g mit <strong>der</strong> Gründung des Bundeslandes Nie<strong>der</strong>sachsen<br />

die Eigenständigkeit <strong>Oldenburg</strong>s verloren.<br />

<strong>Die</strong> Zuständigkeit für die <strong>Landesbibliothek</strong> und weitere<br />

kulturelle und wissenschaftliche E<strong>in</strong>richtungen wurde dann<br />

zunächst vom Kultusm<strong>in</strong>isterium <strong>in</strong> Hannover beansprucht, dem<br />

direkt Bericht zu erstatten sei. Ende 1948 wurde durch den<br />

M<strong>in</strong>isterpräsidenten wenigstens für die Bibliothek entschieden,<br />

dass diese doch weiterh<strong>in</strong> dem <strong>Oldenburg</strong>er Regierungspräsidium<br />

unterstehe.<br />

<strong>Die</strong>ses Gerangel währte jedoch über viele Jahre – mehr als<br />

e<strong>in</strong> Jahrzehnt – und war nicht immer klar entschieden, zumal faktisch<br />

unmittelbar damit auch verbunden die jeweiligen Zuständigkeiten<br />

für die Fachstelle für Öffentliches Büchereiwesen, Volkshochschule<br />

etc., <strong>der</strong>en Direktor bzw. Präsident me<strong>in</strong> Vater <strong>in</strong><br />

Personalunion war. <strong>Die</strong>se parallelen Strukturen und die zahlreichen<br />

Animositäten <strong>der</strong> jeweils befassten Beamten und Politiker<br />

machten häufig taktische Rücksichtnahmen und kreative Verhandlungsführung<br />

erfor<strong>der</strong>lich, was nicht immer gelang.<br />

Es wurde wohl auch dann nicht wirklich e<strong>in</strong>facher, als mit<br />

Richard Tantzen 1955 e<strong>in</strong> dem <strong>Oldenburg</strong>er Land und dem<br />

früheren <strong>Oldenburg</strong>ischen M<strong>in</strong>isterpräsidenten familiär verbundener<br />

Politiker kurzzeitig Kultusm<strong>in</strong>ister <strong>in</strong> Hannover wurde, <strong>der</strong><br />

wie <strong>der</strong> damalige Regierungspräsident eher <strong>der</strong> <strong>Oldenburg</strong>spezifischen<br />

liberal-konservativen Ges<strong>in</strong>nung entstammte und<br />

immerh<strong>in</strong> als Mitbegrün<strong>der</strong> <strong>der</strong> <strong>Oldenburg</strong>ischen Landschaft 95<br />

wirkte. <strong>Die</strong> jeweiligen Entscheidungsstrukturen waren offenkundig<br />

jeweils sehr stark an Persönlichkeiten und auch an politische<br />

Seilschaften gebunden. Me<strong>in</strong> Vater fuhr lange Zeit etwa<br />

vierzehntäglich nach Hannover, um die Belange für die von ihm<br />

vertretenen Institutionen auch dort abzustimmen, parallel zum<br />

<strong>Oldenburg</strong>er Regierungspräsidium, das für ihn sozusagen „am<br />

Wege lag“. Aus den Akten lässt sich entnehmen, dass e<strong>in</strong> erheblicher<br />

Teil <strong>der</strong> Bemühungen darauf verwendet wurde, den ambitionierten<br />

WGF auf Beamten-Maß zurechtzustutzen, die parallele<br />

Wahrnehmung se<strong>in</strong>er Ämter auch im S<strong>in</strong>ne <strong>der</strong> Erwachsenenbildung<br />

u. ä. wurde ihm nicht immer erleichtert. Dokumentenanhang 2<br />

<strong>Die</strong>ses traf WGF und traf die <strong>Landesbibliothek</strong> nicht alle<strong>in</strong>e.<br />

In jenen Jahren kursierte das Bonmot <strong>der</strong> „drei 96 schwierigen<br />

Wolfgangs“ als Direktoren <strong>Oldenburg</strong>er kultureller Institutionen, die<br />

an den bescheidenen Möglichkeiten beständig scheiterten.<br />

131


132


Fischer etwa zur Zeit se<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>berufung 1942<br />

Am Freitag, dem 13. April 1942 erhält Fischer se<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>berufungsbefehl<br />

zum Kriegsdienst.<br />

Se<strong>in</strong>e Frau berichtet, er sei wegen se<strong>in</strong>er unsoldatischen<br />

Ersche<strong>in</strong>ung dem Kompaniechef aufgefallen und von daher zur<br />

„Buchhaltung“ versetzt worden, se<strong>in</strong>er beruflichen Eignung halber.<br />

<strong>Die</strong>ses bed<strong>in</strong>gte dann e<strong>in</strong>en längeren Aufenthalt <strong>in</strong> <strong>der</strong> Etappe am<br />

Standort Orel (heute: Stadt Orjol ) im besetzten Russland, <strong>der</strong><br />

dann am 5. August 1943 durch die Rote Armee zurückerobert<br />

wurde (wikipedia, Leipziger Neueste Nachrichten v. 6. 8. 1943).<br />

E<strong>in</strong>ige Monate zuvor führt WGF e<strong>in</strong>en Kunstkurs mit russischen<br />

Künstlern durch, die dabei entstandenen Aquarelle werden<br />

anschließend ausgestellt und können käuflich erworben werden –<br />

7 von ihnen bef<strong>in</strong>den sich noch im Familienbesitz. Fischer muss<br />

etwas missverstanden haben h<strong>in</strong>sichtlich deutscher Kriegsziele.<br />

Weihnachtsfeier<br />

im<br />

besetzten<br />

Orel 1942.<br />

WGF am<br />

Fenster<br />

sitzend,<br />

se<strong>in</strong> Vorgesetzter<br />

„Bonze“<br />

Müller<br />

vorne<br />

rechts.<br />

133


134<br />

Brief-Auszug Fischers an se<strong>in</strong>e Frau, 22. 3. 1943<br />

Mit Anmerkungen zur Ausstellungseröffnung, Besucherzahlen,<br />

Verkäufen


Zeitungsausschnitt, Datierung<br />

27. 4. 43 von Hilde Fischer,<br />

wahrsche<strong>in</strong>lich aus:<br />

Leipziger Neueste Nachrichten<br />

WGF schreibt se<strong>in</strong>er<br />

Frau 2 – 3 mal pro Woche<br />

und berichtet dabei zumeist<br />

eher beiläufig au ch von<br />

den Kamphandlungen rund<br />

um die Stadt, die als<br />

Brückenkopf <strong>der</strong> deutschen<br />

Besatzer lange Zeit heftig<br />

umkämpft war, bis sie am<br />

5. August 1943 im Zuge<br />

e<strong>in</strong>er „Frontbegradigung“<br />

aufgegeben und hier die<br />

Truppen evakuiert wurden.<br />

Er wurde dort bei<br />

e<strong>in</strong>er Versorgungse<strong>in</strong>heit<br />

e<strong>in</strong>gesetzt und war dann neben Telefon- und Wachdienst relativ<br />

bald auch für die Organisation von Theater-, Vortrags- und<br />

Ballettveranstaltungen zuständig, bis h<strong>in</strong> zur gelegentlichen<br />

Aushilfe als Conférencier. E<strong>in</strong>ige Male hatte er auch für den<br />

Ankauf vorgesehene Gemälde zu bewerten.<br />

Ebenso beiläufig s<strong>in</strong>d auch se<strong>in</strong>e brieflichen Anmerkungen<br />

zu e<strong>in</strong>er Kunst-Verkaufsausstellung, die er seit Februar 1943<br />

vorbereitete und dann über e<strong>in</strong>ige Wochen auch betreute. Sie<br />

wurde wahrsche<strong>in</strong>lich ungefähr am Wochenende des 20./21. März<br />

1943 eröffnet und erreichte se<strong>in</strong>en kurzen Angaben zufolge mehrfach<br />

Besucherzahlen von 500 bis 600 Personen am Tag und<br />

wurde <strong>in</strong> Presse und Rundfunk erwähnt (Briefe vom 8. 4. 1943<br />

bzw. 13. 5. 1943). Beson<strong>der</strong>s aber klagt er über die Schwierigkeiten,<br />

ausreichend Nachschub für die verkauften Bil<strong>der</strong> zu<br />

erlangen. Am 12. 4. 1943 schreibt er auch von e<strong>in</strong>em <strong>der</strong> Künstler:<br />

„…dem begabten 18 jährigen Burschen, <strong>der</strong> e<strong>in</strong>e von den beiden<br />

Entdeckungen <strong>der</strong> Gemäldeausstellung ausmacht…“, von dem er<br />

e<strong>in</strong> Aquarell für immerh<strong>in</strong> 5,- RM erwirbt und se<strong>in</strong>em Büro-<br />

Unterstand damit den <strong>in</strong>dividuellen Anstrich gibt, „…von dem doch<br />

nicht zu lassen ist, sobald e<strong>in</strong>e Möglichkeit hierfür besteht…“<br />

135


Aquarell aus dem besetzten Orel 1943<br />

> Landschaft <<br />

24,2 x 17,6 cm, ke<strong>in</strong>e Verfasserangabe<br />

Familienbesitz<br />

136


137


Aquarell aus dem besetzten Orel 1943<br />

> Flusslandschaft mit R<strong>in</strong><strong>der</strong>n<<br />

42,0 x 20,2 cm, (kyrillische) Verfasserangabe: N. Borisow<br />

Familienbesitz<br />

138


139


Aquarell aus dem besetzten Orel 1943<br />

> Dorfrand<<br />

23,6 x 16,0 cm, (kyrillische) Verfasserangabe: W. Koskow 14:IV.1943 Orel<br />

Familienbesitz<br />

140


141


Aquarell aus dem besetzten Orel 1943<br />

> Dorfstraße<<br />

30,3 x 21,0 cm, (kyrillische) Verfasserangabe: N. Borisow 14:IV.1943 Orel<br />

.<br />

Familienbesitz<br />

142


143


Aquarell aus dem besetzten Orel 1943<br />

> Häuserzeile<<br />

21,5 x 16,5 cm, (kyrillische) Verfasserangabe: N. Borisow 1943<br />

Familienbesitz<br />

144


145


Aquarell aus dem besetzten Orel 1943<br />

> Landschaft mit Brücke<<br />

30,2 x 21,0 cm, (kyrillische) Verfasserangabe: N. Borisow 1943<br />

Familienbesitz<br />

146


147


Aquarell aus dem besetzten Orel 1943<br />

> Waldweg<<br />

29,0 x 23,2 cm, (kyrillische) Verfasserangabe: N. Borisow<br />

Familienbesitz<br />

148


149


<strong>Die</strong> „Telefonzelle“ Fischers im neuerbauten Haus 1961<br />

Aufnahme Ludwig Fischer 1961<br />

Dar<strong>in</strong>: Bernd Damke Ölgemälde 1959, 40 x 50 cm <br />

150


151


152


153


›Jugendfilmstunde‹ Kle<strong>in</strong>er Exkurs zu e<strong>in</strong>em Nebenschauplatz<br />

Ludwig Fischer<br />

WGF war <strong>in</strong> Personalunion Vorsitzen<strong>der</strong> <strong>der</strong> Volkshochschule <strong>in</strong><br />

<strong>Oldenburg</strong> und auch Vorsitzen<strong>der</strong> des Filmclubs. In <strong>der</strong> ›Brücke<br />

<strong>der</strong> Nationen‹, <strong>in</strong> <strong>der</strong> es e<strong>in</strong>en kle<strong>in</strong>en Veranstaltungssaal (130<br />

Plätze) mit Le<strong>in</strong>wand und e<strong>in</strong>en Projektionsraum gab, wurden »ab<br />

1953 an drei Tagen Vorführungen ausgesuchter Filme«<br />

veranstaltet. Zunächst »betrieb Karl Born (›Ziegelhof-Lichtspiele‹)<br />

das K<strong>in</strong>o unter dem Namen ›Studio für Filmkunst‹. Ab etwa 1957<br />

veranstaltete die Stadt <strong>Oldenburg</strong> als Inhaber<strong>in</strong> mit wechselnden<br />

Geschäftsführern die Filmvorführungen unter dem Namen<br />

›Filmstudio <strong>Oldenburg</strong>‹«. 1 <strong>Die</strong> Mitglie<strong>der</strong> des Filmclubs besuchten<br />

— soweit ich mich er<strong>in</strong>nern kann – ausgewählte Filme aus diesem<br />

Programm.<br />

<strong>Die</strong> ›Brücke‹, wie das Gebäude <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gartenstraße 5 kurz<br />

genannt wurde, hatten die britischen Besatzungsmächte als e<strong>in</strong>es<br />

<strong>der</strong> vielen ›British Information Centres‹ gleich nach dem Krieg als<br />

E<strong>in</strong>richtung für die ›Kulturarbeit‹, die zum alliierten ›Erziehungsauftrag‹<br />

nach <strong>der</strong> faschistischen Ära gehörte, und als<br />

<strong>in</strong>ternationale Begegnungsstätte e<strong>in</strong>gerichtet. Sie beherbergte die<br />

Stadtbücherei (die ehemalige städtische Volksbücherei) – vor<br />

allem auch während <strong>der</strong> zwölf Jahre verbotene und verfemte<br />

Literatur sollte zugänglich gemacht werden – und bot e<strong>in</strong><br />

vergleichsweise anspruchsvolles Veranstaltungsprogramm an.<br />

Bald nach Gründung <strong>der</strong> Bundesrepublik wurde das Haus, mit<br />

britischer und auch amerikanischer Unterstützung, <strong>in</strong> kommunaler<br />

Regie betrieben. Vater stand <strong>in</strong> engem Kontakt mit dem<br />

langjährigen Leiter Dr. Herda.<br />

Ich durfte <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gymnasiastenzeit Vater immer wie<strong>der</strong> zu den<br />

Filmvorführungen begleiten. In <strong>der</strong> ›Brücke‹ habe ich e<strong>in</strong>en<br />

wesentlichen Teil me<strong>in</strong>er filmischen Sozialisation erfahren, viele<br />

K<strong>in</strong>oerlebnisse mit berühmten Filmen haben sich mir tief<br />

e<strong>in</strong>geprägt. Und natürlich nahm ich gewissermaßen nebenbei<br />

wahr, wie me<strong>in</strong> Vater se<strong>in</strong>e Arbeit als ›Kulturvermittler‹ <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

damals noch ziemlich verschlafenen Prov<strong>in</strong>z verstand.<br />

154


E<strong>in</strong>e Folge des Privilegs, als Sohn des Filmclub-Chefs kostenlos<br />

filmische Meisterwerke anschauen zu können, war dann, als ich<br />

die Oberstufe des Gymnasiums erreicht hatte, me<strong>in</strong>e Mitarbeit <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> ›Jugendfilmstunde‹. <strong>Die</strong>se freistehende, rechtlich nicht<br />

<strong>in</strong>stitutionalisierte Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaft war im Dezember 1949<br />

vom ambitionierten Betreiber <strong>der</strong> ›Ziegelhof-Lichtspiele‹, Karl Born<br />

– »Gründungs- und Vorstandsmitglied <strong>der</strong> ›Gilde deutscher<br />

Filmkunsttheater‹« 2 –, und von Lehrkräften <strong>der</strong> <strong>Oldenburg</strong>er<br />

Schulen gegründet worden. 3 Man wollte, <strong>in</strong> Zeiten e<strong>in</strong>es rasch<br />

verflachenden und hemmungslos kommerzialisierten Angebots <strong>in</strong><br />

den K<strong>in</strong>os, den Jugendlichen e<strong>in</strong>e kostengünstige, speziell für sie<br />

veranstaltete Möglichkeit bieten, »das Verständnis für den guten<br />

Film zu wecken und zu e<strong>in</strong>em vertieften Filmerlebnis zu<br />

verhelfen.«<br />

In <strong>der</strong> Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaft organisierten Lehrer- und<br />

Schülervertreter geme<strong>in</strong>sam die Auswahl <strong>der</strong> Filme, die<br />

Öffentlichkeitsarbeit und die Verwaltungsaufgaben, unter an<strong>der</strong>em<br />

die Verwendung <strong>der</strong> bescheidenen E<strong>in</strong>trittspreise (zunächst 40<br />

Pfennige, ab 1958 50 Pfennige). E<strong>in</strong>mal im Monat wurde im<br />

großen Saal <strong>der</strong> ›Ziegelhof-Lichtspiele‹ (rund 900 Plätze) e<strong>in</strong><br />

›wertvoller Film‹ gezeigt. Vor Beg<strong>in</strong>n gab es E<strong>in</strong>führungen, <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Regel durch e<strong>in</strong>e Lehrer<strong>in</strong> o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>en Lehrer. Wenige Tage nach<br />

<strong>der</strong> Vorführung fanden Diskussionen über die vorgeführten Filme<br />

statt, meistens <strong>in</strong> <strong>der</strong> ›Brücke‹. Karl Born unterstützte die<br />

Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaft organisatorisch und technisch, aber die<br />

›Jugendfilmstunde‹ musste – neben Filmleihgebühr und<br />

Frachtkosten – auch Saalmiete und Vorführkosten bezahlen.<br />

Im gewählten Vorstand <strong>der</strong> Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaft gab es e<strong>in</strong><br />

›Filmkomitee‹, das Auswahlvorschläge erarbeitete. Ins Programm<br />

aufgenommen wurden vorgeschlagene Filme, wenn zwei Drittel<br />

<strong>der</strong> Vorstandsmitglie<strong>der</strong> dafür stimmen. Es mussten dann Plakate<br />

entworfen, gedruckt und verteilt werden, E<strong>in</strong>trittskarten beschafft,<br />

die Filme bestellt und die Vorführungen durchorganisiert werden.<br />

<strong>Die</strong> ›Jugendfilmstunde‹ <strong>in</strong> <strong>Oldenburg</strong> war <strong>in</strong> den besten Jahren<br />

»mit 2200 Mitglie<strong>der</strong>n <strong>in</strong> 3 Altersgruppen die größte Jugendfilmorganisation<br />

<strong>in</strong> Westdeutschland.« 4 Sie behauptete im<br />

Rückblick 1958: Das Ergebnis ihrer Arbeit sei, »das im Vergleich<br />

155


zu den meisten an<strong>der</strong>en Jugendfilmclubs anspruchsvolle<br />

Programm <strong>der</strong> Jugendfilmstunde muss se<strong>in</strong>esgleichen suchen.« 5<br />

Ich wurde 1957 <strong>in</strong> den Vorstand <strong>der</strong> ›Jugendfilmstunde‹ gewählt,<br />

als Vertreter <strong>der</strong> Schüler des Alten Gymnasiums. Ich übernahm<br />

dann bald die Schriftleitung des Mitteilungsblatts ›die le<strong>in</strong>wand‹,<br />

das es seit 1955 gab. Ich hatte Ambitionen. Ich schrieb die<br />

meisten Beiträge selbst, wählte die zitierten Filmkritiken für die<br />

Ankündigungen aus, und zusammen mit me<strong>in</strong>em Klassenkameraden<br />

Bernd Damke – er zeichnete schon während des<br />

Unterrichts immer wie<strong>der</strong>, malte zuhause, studierte dann Malerei<br />

und Grafik an <strong>der</strong> HfbK Berl<strong>in</strong> und wurde später Professor für<br />

Grafik Design an <strong>der</strong> FH Münster – gestaltete ich die Hefte neu.<br />

<strong>Die</strong> erhaltenen Exemplare können als Zeugnisse e<strong>in</strong>es<br />

bemerkenswerten jugendlichen Engagements gelten. Der<br />

Vorsitzende <strong>der</strong> Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaft erklärte, das Mitteilungsblatt<br />

stehe »<strong>in</strong> <strong>der</strong> vor<strong>der</strong>sten Reihe dessen, was überhaupt von<br />

Jugendlichen redigiert wird.« 6<br />

Ich durfte als Vertreter <strong>der</strong> ›Jugendfilmstunde‹ 1958 sogar e<strong>in</strong>en<br />

filmhistorischen und filmanalytischen Kurs bei dem berühmten<br />

Fotografen und Leiter <strong>der</strong> Landesbildstelle <strong>in</strong> Hamburg, Fritz<br />

Kempe, besuchen. Mit sachlich richtigen, allerd<strong>in</strong>gs vorwitzigen<br />

Bemerkungen zu ›Panzerkreuzer Potemk<strong>in</strong>‹ erhielt ich e<strong>in</strong>e<br />

harsche Abfuhr von Kempe und den älteren Herrschaften, ließ<br />

mich aber dadurch nicht wirklich e<strong>in</strong>schüchtern.<br />

Für me<strong>in</strong>e eigenen fotografischen Ambitionen, die ich <strong>in</strong> den<br />

Studienjahren und noch bis <strong>in</strong> die Berl<strong>in</strong>er Assistentenzeit<br />

vorantrieb, hatte ich durch die Avantgarde-Filme <strong>der</strong> klassischen<br />

Ära und die ›Kunstfilme‹ <strong>der</strong> Fünfziger Jahre starke Antriebe<br />

erhalten. Mit Bernd Damke und zwei weiteren Klassenkameraden<br />

– <strong>Die</strong>ter Schimmelpfennig konnte über se<strong>in</strong>en Vater immer wie<strong>der</strong><br />

e<strong>in</strong>e Bolex 16 mm-Kamera ausleihen – entwarf und drehte ich<br />

dann <strong>in</strong> <strong>der</strong> zwölften Klasse e<strong>in</strong>en eigenen, kle<strong>in</strong>en ›Spielfilm‹, <strong>der</strong><br />

sich an <strong>der</strong> Ästhetik Antonionis, an Ottomar Domnicks ›Jonas‹,<br />

Herbert Veselys ›Nicht mehr fliehen‹ orientierte. Wir bekamen<br />

sogar För<strong>der</strong>gel<strong>der</strong> vom Kultusm<strong>in</strong>isterium <strong>in</strong> Hannover. Und wir<br />

erhielten auf <strong>der</strong> ›photok<strong>in</strong>a‹ 1959 e<strong>in</strong>en dritten Preis, den uns, wie<br />

Bernd mir versicherte, Man Ray überreichte ...<br />

156


Nach gut e<strong>in</strong>em Jahr schied ich, wie <strong>der</strong> Turnus es vorsah, aus<br />

dem Vorstand <strong>der</strong> ›Jugendfilmstunde‹ aus. Und nach dem Abitur<br />

hatte auch <strong>der</strong> privilegierte Besuch im ›Filmstudio‹ <strong>der</strong> ›Brücke‹<br />

e<strong>in</strong> def<strong>in</strong>itives Ende. Von me<strong>in</strong>er filmhistorischen und filmästhetischen<br />

Schulung, für die Vaters kulturpolitische Aktivität <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> ehemaligen Residenzstadt e<strong>in</strong> entscheiden<strong>der</strong> Antrieb<br />

gewesen war, zehre ich bis heute.<br />

Als ich vor Jahren für e<strong>in</strong>e Vorlesung, die ich zur<br />

›Jugendfilmstunde‹ <strong>in</strong> <strong>Oldenburg</strong> als Beispiel für die regionalen<br />

K<strong>in</strong>o-Initiativen <strong>der</strong> Adenauer-Ära hielt 7 , noch e<strong>in</strong>mal das Material<br />

durchg<strong>in</strong>g, und schließlich bei <strong>der</strong> Vorbereitung dieser Zeilen<br />

wurde mir aber erst bewusst, wie die politische Zwieschlächtigkeit<br />

jener Nachkriegsjahre, die ich nicht nur <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schule erlebt hatte,<br />

auch noch den unerkannten H<strong>in</strong>tergrund für das Engagement <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> ›Jugendfilmstunde‹ gebildet hatte – unerkannt, weil uns<br />

Jugendlichen niemand, we<strong>der</strong> die Lehrer noch die Eltern noch die<br />

so beflissenen Kulturträger, e<strong>in</strong> Wort über die Vorgeschichte<br />

dieser ›E<strong>in</strong>richtung‹ sagte:<br />

<strong>Die</strong> Nationalsozialisten hatten schon 1934 die ›Jugendfilmstunde‹<br />

als überall im Lande etablierte Veranstaltung für die Hitlerjugend<br />

geschaffen, selbstverständlich mit ›volkserzieherischer‹ und<br />

propagandistischer Absicht. Bereits 1935 gehörte <strong>der</strong> Besuch <strong>der</strong><br />

dramaturgisch durchorganisierten Filmvorführungen zum<br />

offiziellen <strong>Die</strong>nstplan <strong>in</strong> <strong>der</strong> HJ. Goebbels deklarierte die ›bildende<br />

Funktion‹ dieser Massenveranstaltungen – 1935 sollen schon<br />

300.000 Jugendliche daran teilgenommen haben, 1942/43 dann<br />

11,2 Millionen 8 – als vorgebliches Ziel, gegen den ›schlechten<br />

Film‹. Aber <strong>in</strong> den Kriegsjahren war <strong>der</strong> Besuch <strong>der</strong> jährlichen<br />

Eröffnungsveranstaltung, für die e<strong>in</strong>e Rede von Goebbels überall<br />

h<strong>in</strong> übertragen wurde, für alle Jugendlichen Pflicht. <strong>Die</strong>se Reden<br />

enthielten unverhohlene Kriegspropaganda und Durchhalterhetorik.<br />

<strong>Die</strong> ›Jugendfilmstunden‹ <strong>der</strong> HJ waren straff durchkomponiert:<br />

Aufmärsche, Gesang, e<strong>in</strong>leitende Reden, ›Nachbereitung‹ <strong>in</strong> dem<br />

›Heimabenden‹. 9 »Dem unkontrollierten K<strong>in</strong>obesuch sollte mit<br />

den organisierten Jugendfilmstunden e<strong>in</strong> ideologisch und<br />

mentalitätsprägendes Geme<strong>in</strong>schaftserlebnis entgegengesetzt<br />

werden, das durch die Schaffung von entsprechenden Rahmenbed<strong>in</strong>gungen<br />

die ›Erlebniswirkung des betreffenden Film<br />

157


ungeme<strong>in</strong> steigern‹ und zu e<strong>in</strong>em bewusstse<strong>in</strong>sprägenden<br />

Gesamtereignis werden sollte.« 10<br />

Über diese Vorgeschichte <strong>der</strong> ›Jugendfilmstunden‹ <strong>der</strong> Nachkriegszeit,<br />

war, als wir uns engagierten, jenes Große Schweigen<br />

gebreitet, das e<strong>in</strong>en guten Teil des empörten Protests <strong>der</strong> Jahre<br />

<strong>der</strong> ›Studentenrevolte‹ erklärt. <strong>Die</strong> ›kulturbildende‹ Initiative, <strong>in</strong><br />

gewiss gut geme<strong>in</strong>ter Absicht als e<strong>in</strong>e stillschweigend ›bere<strong>in</strong>igte‹<br />

Form aus <strong>der</strong> faschistischen Ära neu gegründet, hat <strong>in</strong> ihrer<br />

Organisationsform – Veranstaltungszeit war wie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Sonntagvormittag,<br />

es gab E<strong>in</strong>führungen und Nachbereitungen – manches<br />

aufgegriffen, ohne dass e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziges Woret darüber fiel. <strong>Die</strong><br />

dezentralisierte, betont basisdemokratische Verfassung <strong>der</strong><br />

Nachkriegsauflage und ihr entschieden <strong>in</strong>ternationales, kulturbürgerliches<br />

Programm unterschied die ›neue Jugendfilmstunde‹<br />

wesentlich von dem Vorbild <strong>der</strong> NS-Zeit. Dass man uns aber, <strong>in</strong><br />

angestrengter Übere<strong>in</strong>stimmung mit <strong>der</strong> vermiedenen, ja<br />

unterdrückten Aufarbeitung <strong>der</strong> Faschismus-Erfahrungen <strong>in</strong> allen<br />

Lebensbereichen, ke<strong>in</strong>erlei Möglichkeit ließ, uns selbst mit den<br />

›Belastungen‹ <strong>der</strong> ›entnazifizierten‹ Veranstaltungsform ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>zusetzen,<br />

bestätigt mir noch e<strong>in</strong>mal eben jene<br />

Zwieschlächtigkeit, <strong>in</strong> <strong>der</strong> auch so viele lobenswerte Initiativen <strong>der</strong><br />

Adenauerzeit standen. So erhält auch die Er<strong>in</strong>nerung an<br />

beflügelnde und prägende Engagements den bitteren Beigeschmack<br />

<strong>der</strong> ›versäumten Lektionen‹.<br />

1 Stephan Bents: <strong>Die</strong> K<strong>in</strong>oentwicklung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Region <strong>Oldenburg</strong> / Ostfriesland zwischen 1945<br />

und 20094. Dipl.-Arb. <strong>Oldenburg</strong> 2004 (onl<strong>in</strong>e pdf), S. 50.<br />

2 Judith Protze: <strong>Oldenburg</strong>er Lichtspiele. Film- und K<strong>in</strong>ogeschichte(n) <strong>der</strong> Stadt <strong>Oldenburg</strong>.<br />

<strong>Oldenburg</strong> 2004 (onl<strong>in</strong>e als Publikation des bis Bibiliotheks- und Informationssystem <strong>der</strong><br />

Universität <strong>Oldenburg</strong>), S. 88.<br />

3 Vgl. das Dokument ›H<strong>in</strong>ter <strong>der</strong> Le<strong>in</strong>wand‹ (Text von Günter Mahlstedt <strong>in</strong>: die le<strong>in</strong>wand.<br />

Filmblatt <strong>der</strong> Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaft Jugendfilmstunde. Nummer 19, <strong>Oldenburg</strong> (Oldb), 5.<br />

Jahrg., Nr. 19, November 1957, o.S.); außerdem die Anmerkungen <strong>in</strong> Jürgen Weichardt:<br />

Tänzchen mit Ulrike Me<strong>in</strong>hof. (www.nwzonl<strong>in</strong>e.de/kultur/taenzchen-mit-ulrike-me<strong>in</strong>hoftaenzchen-mit-ulrike-me<strong>in</strong>hof_a_19,0,3169284484.html<br />

– zuletzt 20.7.2018).<br />

4 Zitat & <strong>in</strong>sgesamt zur Organisation <strong>der</strong> Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaft s. <strong>in</strong> 3 aufgeführte Dokument.<br />

5 Ebd.<br />

6 Ebd.<br />

7 Vgl. dazu Joachim Steffen/Jens Thiele/Bernd Poch (Hg.): Spurensuche. Film und K<strong>in</strong>o <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Region. <strong>Oldenburg</strong> 1993.<br />

8 Michael Buddrus: Totale Erziehung für den totalen Krieg: Hitlerjugend und<br />

nationalsozialistische Jugendpolitik. Berl<strong>in</strong> 2015, S. 135.<br />

9 Ebd, S. 134, mit <strong>der</strong> <strong>in</strong> Fußnote 380 genannten weiteren Literatur.<br />

10 Ebd.<br />

158


159


160


161


162


163


Biografische Notiz zu Bernd Damke<br />

Ludwig Fischer<br />

In den letzten Jahren <strong>der</strong> Schulzeit auf dem Alten Gymnasium saß<br />

ich am Zweierpult neben Bernd, seitlich ganz vorn im<br />

Klassenraum. Er strichelte oft während des Unterrichts kle<strong>in</strong>e<br />

Zeichnungen aufs Papier. Ich stellte immer wie<strong>der</strong> bewun<strong>der</strong>nd<br />

bei mir fest, dass er sche<strong>in</strong>bar mühelos das fertigbrachte, was ich<br />

– bei alle me<strong>in</strong>en diversen Ambitionen – nicht konnte: eben gut<br />

zeichnen. Von malen ganz zu schweigen.<br />

Dass Bernd zu Hause malte und zeichnete, wussten die meisten<br />

<strong>der</strong> Klasse. <strong>Die</strong> wenigsten bekamen etwas zu Gesicht. Wie me<strong>in</strong><br />

Vater Bil<strong>der</strong> von Bernd zu sehen kriegte, habe ich nicht erfahren.<br />

Aber WGF kaufte – es muss während <strong>der</strong> Zeit <strong>in</strong> <strong>der</strong> Oberprima<br />

gewesen se<strong>in</strong> – dann e<strong>in</strong> Bild von Bernd, e<strong>in</strong>e abstrakte<br />

Komposition aus abgetönten blauen und schwarzen Flächen mit<br />

e<strong>in</strong>em ‚durchbrechenden’ weißen Geflock, 40 x 50 cm, Öl auf<br />

Presspappe; auf <strong>der</strong> Rückseite „damke V/59“. Es war das erste<br />

Bild, für das Bernd Geld erhielt. Im Haus am Eichkamp h<strong>in</strong>g es <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> ‚Telefonzelle’, dem w<strong>in</strong>zigen Arbeitszimmer, <strong>in</strong> dem das<br />

aufgearbeitete, mit blauem Samt bezogene Sofa aus den<br />

Anfangsjahren <strong>der</strong> Ehe <strong>der</strong> Eltern stand.<br />

Bernd wollte freier Künstler werden, se<strong>in</strong> Vater war dagegen. Aber<br />

dann entfloh Bernd, mit dem E<strong>in</strong>verständnis des Vaters, <strong>der</strong><br />

E<strong>in</strong>berufung zum Wehrdienst nach Berl<strong>in</strong>. Er schrieb sich an <strong>der</strong><br />

Hochschule für bildende Künste e<strong>in</strong>; <strong>der</strong> Kompromiss mit <strong>der</strong><br />

väterlichen Autorität: Studium mit dem Ziel Staatsexamen, um<br />

‚Kunsterzieher’ zu werden.<br />

Bei den Professoren Fred Thieler und Mac Zimmermann muss es<br />

recht ‚kunstgerecht’ zugegangen se<strong>in</strong>, das heißt: mit allen<br />

Freiheiten und Abson<strong>der</strong>lichkeiten, die sich e<strong>in</strong> strebsamer<br />

Student <strong>der</strong> Biologie (später Germanistik und Theologie) niemals<br />

erlaubte. Wenige Male habe ich Bernd besucht, war jedesmal<br />

ziemlich irritiert über die Künstlerexistenzen. E<strong>in</strong>e Zeit lang wohnte<br />

Bernd im Erdgeschoss e<strong>in</strong>es unrenovierten Hauses beim<br />

Potsdamer Platz, <strong>der</strong> damals e<strong>in</strong>e Brache dicht an <strong>der</strong> Berl<strong>in</strong>er<br />

Mauer war. <strong>Die</strong> Wohnung war schwarz gestrichen, hatte schwarze<br />

Vorhänge. Vor e<strong>in</strong>er dieser Wände h<strong>in</strong>g, an e<strong>in</strong>em langen Faden<br />

von <strong>der</strong> hohen Decke, e<strong>in</strong> Skelett. Beim Treffen <strong>der</strong> Kunst-<br />

164


studierenden – selbstverständlich rauchten alle reichlich – gab es<br />

‚Bols Silber’, e<strong>in</strong>en Korn, die Flasche 2.50, zu tr<strong>in</strong>ken. Ich kriegte<br />

nicht viel davon durch die Kehle.<br />

1961 schon stellte Bernd die ersten Bil<strong>der</strong> aus, bei <strong>der</strong> ‚Großen<br />

Münchner Kunstausstellung/Junge Gruppe’ und bei ‚junge stadt<br />

sieht jugend kunst’ <strong>in</strong> Wolfsburg. Es war <strong>der</strong> Beg<strong>in</strong>n e<strong>in</strong>er langen<br />

Reihe von Ausstellungsbeteiligungen im In- und Ausland (schon<br />

1963 <strong>in</strong> den USA, dann unter an<strong>der</strong>em <strong>in</strong> Polen, Ungarn,<br />

Norwegen, Japan, Italien, Mexiko, Ägypten). 1965 die ersten<br />

E<strong>in</strong>zelausstellungen, <strong>in</strong> Galerien <strong>in</strong> Frankfurt, Freiburg und<br />

Bochum. Es folgten mehrere Dutzend, <strong>in</strong> Museen, Kunstzentren,<br />

Galerien und bei Kunstvere<strong>in</strong>en. Heute hängen Bernds Bil<strong>der</strong> <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>er großen Zahl öffentlicher Sammlungen, von den Staatlichen<br />

Museen Preußischer Kulturbesitz und <strong>der</strong> Sammlung <strong>der</strong><br />

Bundesrepublik Deutschland über die Berl<strong>in</strong>ische Galerie und das<br />

Museum Folkwang <strong>in</strong> Essen bis zum Haus <strong>der</strong> Kunst <strong>in</strong> München<br />

und dem Museum of Contemporary Art <strong>in</strong> Nagaoka.<br />

Nach dem versprochenen Staatsexamen 1963 verd<strong>in</strong>gte sich<br />

Bernd tatsächlich als Lehrer für den Kunstunterricht an e<strong>in</strong>em<br />

Gymnasium <strong>in</strong> Reckl<strong>in</strong>ghausen. Er heiratete 1967, es hielt ihn<br />

aber nicht lange im Schuldienst. Er wurde Gründungsmitglied <strong>der</strong><br />

Künstlergruppe B1 und erhielt dann 1969 den Villa Romana Preis:<br />

Stipendienaufenthalt <strong>in</strong> Florenz. Mit Franz Rudolf Knubel und<br />

Eckart Heimendahl gründete er die Firma ‚System Design.<br />

Planungsgruppe für visuelle Leitsysteme’ – Aufträge führten ihn<br />

später bis nach Kairo: grafische und farbliche Leitsysteme im<br />

Neubau e<strong>in</strong>er Universität. Zwei Mal, 1979 und 2008, nahm Bernd<br />

Gastprofessuren <strong>in</strong> Kairo wahr; die Freundschaft mit ägyptischen<br />

Intellektuellen hält bis heute an.<br />

1972 gelang dann <strong>der</strong> Sprung <strong>in</strong> die ersehnte Verb<strong>in</strong>dung von<br />

materieller Sicherheit und künstlerischer Freiheit: Professur im<br />

Fachbereich Design <strong>der</strong> Fachhochschule Münster. Bernd nahm<br />

1973/74 noch das begehrte Stipendium <strong>in</strong> <strong>der</strong> Villa Massimo <strong>in</strong><br />

Rom wahr, zog anschließend nach Münster. <strong>Die</strong> ‚Studentenstadt’<br />

im stockkatholischen Münsterland blieb se<strong>in</strong> Lebens- und<br />

Arbeitsort bis zur Pensionierung 2004. Während <strong>der</strong> letzten fünf<br />

Jahre <strong>der</strong> Hochschullehrer-Zeit hatte er sich allerd<strong>in</strong>gs e<strong>in</strong> Atelier<br />

<strong>in</strong> Potsdam e<strong>in</strong>gerichtet; unverkennbar zog ihn Berl<strong>in</strong> wie<strong>der</strong> an.<br />

165


2011 schließlich siedelte er dorth<strong>in</strong> um, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Atelierwohnung<br />

mitten im ‚Türkenkiez’ von Neukölln. Wenn ich ihn besuche, sehe<br />

ich die vielen, vielen sorgsam <strong>in</strong> Noppenfolie verpackten Bil<strong>der</strong> <strong>in</strong><br />

den Hochregalen – <strong>der</strong> größte Teil se<strong>in</strong>er Werke, die nicht bei<br />

Privatsammlern o<strong>der</strong> <strong>in</strong> Museen hängen, wird Zug um Zug <strong>in</strong> das<br />

Archiv für Künstlernachlässe <strong>der</strong> Stiftung Kunstfonds, Pulheim<br />

(NRW), transportiert. Bernd hat alles penibel geordnet, auch das<br />

große, umfassende Werkverzeichnis.<br />

Es gibt aber nicht nur das vielfältige grafische und malerische<br />

Werk – das unverkennbar dem ‚hard edge’-Stil schon <strong>der</strong><br />

Anfangsjahre verpflichtet ist –, son<strong>der</strong>n auch e<strong>in</strong>e ganze Reihe<br />

von Fotobüchern, zunächst durchkomponierte ‚Reisebil<strong>der</strong>’ aus<br />

Ägypten (von 1969 an), dann auch Studien zu bestimmten<br />

Objekten <strong>der</strong> Alltagswelt, nicht zuletzt von Mallorca, wo Bernd seit<br />

vielen Jahren e<strong>in</strong>e F<strong>in</strong>ca im Hochland besitzt.<br />

Wie es sich für Künstler gehört, arbeitet Bernd unentwegt weiter –<br />

jedes Mal, wenn ich ihn <strong>in</strong> Neukölln besuche, sehe ich wie<strong>der</strong> e<strong>in</strong><br />

Bild <strong>in</strong> statu nascendi o<strong>der</strong> die Serie von Fotoausdrucken auf dem<br />

Studiotisch, aus denen e<strong>in</strong> neues, durchkomponiertes Fotobuch<br />

entsteht.<br />

<strong>Die</strong> Titel zu den aufgeführten ganzseitigen Vignetten, <strong>in</strong> ihrer Reihenfolge<br />

166


167


168<br />

97


EIN NACHTRAG<br />

Wenn man es schon machen muss, warum soll man dann nicht<br />

wenigstens se<strong>in</strong>en Spaß daran haben!<br />

<strong>Die</strong>ser Satz – s<strong>in</strong>ngemäß – f<strong>in</strong>det sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em brieflichen<br />

Bericht me<strong>in</strong>es Vaters zum Ausbau <strong>der</strong> <strong>Landesbibliothek</strong> an <strong>der</strong><br />

Ofener Straße. Er steht aber für Vaters Erbe, zum<strong>in</strong>dest für mich.<br />

Me<strong>in</strong> Vater mühte sich mit dem Bau, mit dem schleppenden<br />

Fortgang <strong>der</strong> Arbeiten, den immer knappen Mitteln, dem häufigen<br />

berichteten Unverständnis <strong>der</strong> Bauleute.<br />

Ich er<strong>in</strong>nere häufige Erzählungen am Mittagstisch, was wie<strong>der</strong>um<br />

schief zu laufenden drohte, und wir K<strong>in</strong><strong>der</strong> duckten die Köpfe über<br />

die Teller angesichts des Ungemachs. 98 Es waren 10 harte Jahre.<br />

Umso größer, und dies teilte sich uns mit, war se<strong>in</strong> Glück<br />

über das Erreichte. Ich me<strong>in</strong>e: zu Recht, und es schmerzt, dass es<br />

ihn nicht lange überdauert hat.<br />

Er hat dieses kommen sehen: mit <strong>der</strong> Entscheidung, die<br />

Bibliothek <strong>der</strong> gerade neu gegründeten Universität <strong>Oldenburg</strong><br />

nicht aus <strong>der</strong> <strong>Landesbibliothek</strong> heraus erwachsen zu lassen, sah<br />

se<strong>in</strong> mühsam errichtetes Konstrukt verloren, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bedeutungsund<br />

<strong>der</strong> Gestaltlosigkeit vers<strong>in</strong>ken.<br />

<strong>Die</strong>se Entscheidung fiel fast als erste nach se<strong>in</strong>em<br />

Ausscheiden aus dem <strong>Die</strong>nst. Sie hatte sich aber angekündigt mit<br />

dem Weggang se<strong>in</strong>es erhofften Nachfolgers, angesichts e<strong>in</strong>es<br />

endlosen Nicht-Entscheidungsganges zu eben dieser Nachfolgeregelung.<br />

Me<strong>in</strong> Vater konnte daraufh<strong>in</strong> nicht wie erhofft zum<br />

frühsten möglichen Zeitpunkt <strong>in</strong> Pension gehen: er schleppte sich<br />

wahrlich noch weit mehr als e<strong>in</strong> zusätzliches Jahr zum <strong>Die</strong>nst,<br />

müde, ohne Hoffnung. SEIN <strong>BUCH</strong>, e<strong>in</strong> halbes Leben h<strong>in</strong>ter den<br />

dienstlichen und den familiären Belangen zurückgetreten, ward<br />

nicht mehr geschrieben, ich hatte mich als secretarius anerboten,<br />

ich ward als solcher nicht mehr gebraucht.<br />

<strong>Die</strong>se Bibliothek war ihm trotzdem e<strong>in</strong> unendliches Glück,<br />

solange er noch e<strong>in</strong> entferntes Stück davon erhaschen konnte.<br />

Als es nahezu ans Sterben g<strong>in</strong>g, von se<strong>in</strong>em Zimmer im<br />

Evangelischen Krankenhause deutete er mir bei e<strong>in</strong>em Besuch<br />

auf das Fenster: man konnte dort, mühsam, e<strong>in</strong>e Ecke des<br />

Daches sehen <strong>der</strong> <strong>Landesbibliothek</strong>.<br />

Me<strong>in</strong> Vater, schon wortlos, lächelte selig.<br />

169


Wir lebten beengt. Ich habe sie trotzdem geliebt aus vielerlei<br />

Gründen, unsere Wohnung im <strong>Oldenburg</strong>er Kuhviertel, <strong>in</strong> <strong>der</strong> belle<br />

etage e<strong>in</strong>er schönen <strong>Oldenburg</strong>er „Hundehütte“. Der Garten mit<br />

den alten Obstbäumen, am Haus <strong>der</strong> herrliche W<strong>in</strong>tergarten mit<br />

„amerikanischen“ Schiebefenstern: wie e<strong>in</strong>e Kanzel, Spielkameraden<br />

auf <strong>der</strong> Straße, kle<strong>in</strong>er Welt 99 .<br />

Mutter drückte, drängelte. Sie hatte den Weggang aus dem<br />

immer noch weltstädtischem Leipzig, auch Haus und Blumen <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Gartenstadt am Völkerschlachtdenkmal, niemals verwunden.<br />

Da geschah e<strong>in</strong> Wun<strong>der</strong>! In e<strong>in</strong>em kle<strong>in</strong>en, etwas exklusiven<br />

Siedlungsprojekt <strong>in</strong> <strong>Oldenburg</strong> trat e<strong>in</strong> Interessent zurück, es<br />

ergaben sich zusätzliche Tauschmöglichkeiten, und plötzlich<br />

bestand die Möglichkeit, das schönste Grundstück im <strong>Oldenburg</strong>er<br />

Eichkamp erwerben zu können: an <strong>der</strong> Scheide zwischen<br />

e<strong>in</strong>em kle<strong>in</strong>en Wäldchen und e<strong>in</strong>er großen Weide, damals noch<br />

als Überflutungspol<strong>der</strong> genutzt. Lange noch weideten dort Rehe<br />

mitten <strong>in</strong> <strong>der</strong> Stadt, viele Jahre patrouillierte e<strong>in</strong> verwil<strong>der</strong>ter<br />

Silberfasan <strong>in</strong>mitten se<strong>in</strong>er Artverwandten, Herrlich waren die<br />

Kiebitze, bis bei e<strong>in</strong>em Kältee<strong>in</strong>bruch im Frühjahr alle erfroren.<br />

Für die Planung <strong>der</strong> Häuser waren vorgeschrieben drei<br />

Architekten bzw. Teams, Latta & Hölscher zögerten angesichts<br />

<strong>der</strong> knappen F<strong>in</strong>anzen. Gleich mit dem ersten Entwurf zauberte<br />

Hans Latta e<strong>in</strong>e Heimstatt, die unser Leben verän<strong>der</strong>te, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e<br />

me<strong>in</strong>s.<br />

Se<strong>in</strong>er, des Architekten Beweggrund, es zu versuchen, waren die<br />

alten Möbel me<strong>in</strong>er Eltern gewesen: e<strong>in</strong>ige schöne Stücke<br />

Bie<strong>der</strong>meier <strong>in</strong> Kirschholz, e<strong>in</strong> Flügel mit Wurzelholzfurnier: warm,<br />

schön anzuhören und anzusehen, mir e<strong>in</strong>e Höhle bildend als K<strong>in</strong>d.<br />

Latta baute e<strong>in</strong> Haus herum um dieses Mobiliar.<br />

170


So hat sich Vater doch noch e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>gelassen auf das<br />

Abenteuer, zu bauen.<br />

<strong>Die</strong> Straße w<strong>in</strong>det sich wie e<strong>in</strong>e 6, flach gelegt, beg<strong>in</strong>nend<br />

on top. Am Rondell weitet sie sich zur Fläche, e<strong>in</strong> Park vor<br />

unserem Grundstück, ke<strong>in</strong>e Zäune, e<strong>in</strong> Garten. Dem Hause nähert<br />

man sich durch e<strong>in</strong>en grünen Wall, licht, durchlässig, den privaten<br />

Raum umschmeichelnd, den Blicken Führung mehr als Grenze.<br />

100<br />

Betritt man den Garten, folgt man dem Weg, so weitet sich<br />

<strong>der</strong> Blick, über die Rasenfläche h<strong>in</strong>weg sieht man das Haus: e<strong>in</strong>e<br />

klare, helle, cubische Form, mit <strong>der</strong> vorgeschriebenen Dachneigung,<br />

mit dem warmen Lehmton <strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Satzung zur Auswahl<br />

stehenden Kl<strong>in</strong>ker. Doch nicht als Kasten ersche<strong>in</strong>t das Haus,<br />

son<strong>der</strong>n es öffnet sich mit großer Fensterfront das Herzstück, <strong>der</strong><br />

Wohnraum zum Garten.<br />

Dem privaten Raum begegnet man – wie es sich gehört –<br />

nicht frontal, son<strong>der</strong>n dezent. Der Weg führt seitlich, e<strong>in</strong>gebettet <strong>in</strong><br />

171


die Gartenlandschaft, zwischen Rasenfläche und Rosenrabatte, <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>e Nische, die neben dem Haus den E<strong>in</strong>gang bildet: herrliches,<br />

meertiefes Blaugrün <strong>der</strong> Tür, mit e<strong>in</strong>em bronzenen Fisch 101 als<br />

Kl<strong>in</strong>ke, umwachsen <strong>der</strong> Raum von Clematis und Jelängerjelieber.<br />

Aus dem Vorraum betritt man das Haus, und wird umfangen<br />

von: Licht.<br />

Hellgoldene Morgensonne den Flur entlang und die Treppe<br />

h<strong>in</strong>unter, auch im Wohnraum sich noch spiegelnd, gleißende<br />

Mittagssonne durch das Wohnzimmerfenster, <strong>der</strong> Essplatz es<br />

wie<strong>der</strong>spiegelnd im Haus, durch das Haus h<strong>in</strong>durch, umlaufend,<br />

mitreisend, immer präsent, bewegt durch Blätter und W<strong>in</strong>d,<br />

Schatten. Geräusche. E<strong>in</strong>gefügt <strong>in</strong> Garten, Wäldchen, Wiese.<br />

Noch heute, fast fünfzig Jahre später, ist es mir nach dieser<br />

Erfahrung unmöglich an e<strong>in</strong>er statt zu leben, die nicht zulässt<br />

h<strong>in</strong>durch zu blicken, das Gras, den Schnee zu riechen, son<strong>der</strong>n<br />

uns e<strong>in</strong>sperrt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Schuhkarton gleich, mit Löchern dr<strong>in</strong>.<br />

Dem Auge, hatte es sich <strong>der</strong> Lichtfülle<br />

angepasst, boten sich Raumfolgen, gedämpftere<br />

Passagen. <strong>Die</strong> Raumhüllen aufgelöst<br />

<strong>in</strong> Wandscheiben unterschiedlicher<br />

Farbigkeit, zumeist <strong>in</strong> Graugradationen,<br />

aber auch wie<strong>der</strong> das starke Blau. Vor<br />

allem aber: geputzte Wandflächen standen<br />

gegen Sichtmauerwerk, das sozusagen<br />

lebte <strong>in</strong> Licht und Schatten.<br />

172


Nichts an diesem Haus ist<br />

Effekt-hascherisch. Es ist e<strong>in</strong>fach,<br />

fe<strong>in</strong> gemacht.<br />

Für mich, <strong>der</strong> ich <strong>der</strong> Schönheit<br />

lebte wie Vater, war es schlicht<br />

schlüssig.<br />

Me<strong>in</strong>e Eltern zelebrierten dieses<br />

Leben. Immer standen schöne<br />

Blumen im Blickfeld, die D<strong>in</strong>ge<br />

des Alltags waren e<strong>in</strong>fach, ausgesucht<br />

und stilsicher komb<strong>in</strong>iert<br />

mit den ererbten Stücken,<br />

alles <strong>in</strong> Gebrauch.<br />

173


Das Haus ist nicht denkbar ohne den Garten, e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>er Kosmos.<br />

E<strong>in</strong> fließen<strong>der</strong> Raum, e<strong>in</strong>gebettet <strong>in</strong> die Landschaft <strong>der</strong> Siedlung<br />

und darüber h<strong>in</strong>aus, wellengleich. Jedem Innenraum bietet e<strong>in</strong><br />

Gartenraum Erweiterung und Blick, fe<strong>in</strong> differenziert nach<br />

Himmelsrichtung, Lage, Helligkeit, Fluchtpunkten im weiteren<br />

Feld. 102 Unter den mächtigen verbliebenen Eichen des Feldra<strong>in</strong>s.<br />

Unprätentiös. E<strong>in</strong> wohl überlegtes, wohl gehegtes Stück Garten<br />

und Park, kongenial.<br />

Me<strong>in</strong> großer, ferner Bru<strong>der</strong> hat ihn geplant und angelegt, mit <strong>der</strong><br />

Mutter und e<strong>in</strong> wenig me<strong>in</strong>er k<strong>in</strong>dlichen Hilfe, <strong>in</strong> <strong>der</strong> besten<br />

Tradition <strong>der</strong> Sechziger Jahre, und schon aufgrund <strong>der</strong> knappen<br />

Mittel primär bauend auf heimischen o<strong>der</strong> heimisch gewordenen<br />

Gehölzen und Stauden, angereichert durch Mitnahmen aus<br />

früheren Gärten und Überschüssen des <strong>Oldenburg</strong>er Botanischen<br />

Gartens, e<strong>in</strong>iger Praktika sei Dank. Es war se<strong>in</strong> Abschied, stumm<br />

schuftend, er war uns e<strong>in</strong> wenig ferne, me<strong>in</strong>en Eltern. Aber:<br />

immerh<strong>in</strong> das.<br />

<strong>Die</strong>ses Haus<br />

Generationen<br />

habe es nicht<br />

können zum<br />

hat so 1 ½<br />

bestanden. Ich<br />

mehr bezahlen<br />

Schluss.<br />

174


103<br />

175


176


104<br />

177


Me<strong>in</strong> Vater starb am 9. Juli 1973, nach langem Todeskampf, denn<br />

er hatte e<strong>in</strong> starkes Herz, und nach schwerer Krankheit: gelähmt,<br />

sprachlos. 105<br />

178


<strong>Die</strong> neuen, verkürzten Öffnungszeiten <strong>der</strong> Bibliothek<br />

besiegelten nach dem Ausscheiden Fischers<br />

die Abkehr von se<strong>in</strong>em Bildungskonzept<br />

179


180<br />

106


Anmerkungen<br />

1<br />

Das Bild wurde mit freundlicher Genehmigung des Autors Ingo Flem<strong>in</strong>g e<strong>in</strong>em Internet-<br />

Beitrag 2005 entnommen.<br />

2<br />

<strong>Die</strong> Bil<strong>der</strong> wurden gefunden – nach langer vergeblicher Suche an an<strong>der</strong>en Stellen – im<br />

Internet-Bildarchiv Alt-<strong>Oldenburg</strong>.<br />

Es existieren dort weitere, me<strong>in</strong>em Gedächtnis fast prägnanter ersche<strong>in</strong>ende Aufnahmen.<br />

<strong>Die</strong> dazu vermerkten Datierungen etc. verwiesen mich darauf, dass me<strong>in</strong>e Er<strong>in</strong>nerungen<br />

nicht immer exakt se<strong>in</strong> können: vgl. die l<strong>in</strong>ke Aufnahme von 1907!<br />

<strong>Die</strong> verwendete Aufnahme wurde beschnitten.<br />

3<br />

Me<strong>in</strong> Vater <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Morgensessel, wahrsche<strong>in</strong>lich ~ 1965<br />

181


4<br />

E<strong>in</strong> Zaunbeispiel, allerd<strong>in</strong>gs aus <strong>der</strong> L<strong>in</strong>denallee, 2004<br />

5<br />

Internet-Bildarchiv Alt-<strong>Oldenburg</strong>.<br />

6<br />

Militärgebäude wurden abweisend konzipiert als Fortification – siehe nachfolgende<br />

Erläuterungen im Text ab Seite 30 ff.<br />

7<br />

Veröffentlicht u. a. <strong>in</strong>: Egbert Koolmann (Hrsg.), EX BIBLIOTHECA OLDENBURGIS 1992:<br />

8<br />

E<strong>in</strong>e veröffentlichte Schil<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Schäden aus <strong>der</strong> Nacht vom 22. zum 23. September<br />

1943 <strong>in</strong> <strong>der</strong> Stadt, und speziell am Bibliotheksgebäude am Damm existiert offenkundig nicht,<br />

o<strong>der</strong> nicht mehr – die für den nachfolgenden Tag fällige Ausgabe <strong>der</strong> <strong>Oldenburg</strong>ischen<br />

Staatszeitung als verbliebenem Presseorgan fehlt sowohl <strong>in</strong> den Beständen <strong>der</strong> <strong>Landesbibliothek</strong>,<br />

als auch <strong>in</strong> allen weiteren Archiven mit diesen Beständen. Wahrsche<strong>in</strong>lich ist bzw.<br />

konnte sie an diesem Tag <strong>in</strong>folge <strong>der</strong> Bombenschäden <strong>in</strong> <strong>der</strong> Stadt nicht ersche<strong>in</strong>en, <strong>in</strong> den<br />

nachfolgenden Tagen werden Schäden und Opfer eher beiläufig und <strong>in</strong>direkt behandelt zum<br />

Beispiel über Verhaltensmaßregelungen, bis dann relativ hohe Opferzahlen an K<strong>in</strong><strong>der</strong>n bei<br />

Bombentreffern <strong>in</strong> Esens und weiteren Orten am 29.09.1943 die Schlagzeilen beherrschen<br />

und als Kampagne genutzt werden. <strong>Oldenburg</strong> und Bibliothek werden nicht mehr erwähnt.<br />

9<br />

Wie vor. Ausschnitt.<br />

10<br />

E<strong>in</strong> Buch wie e<strong>in</strong>e Bil<strong>der</strong>galerie. Mir die prägendsten Beispiele für solche Bücher, Vorbild:<br />

Klaus Wagenbach, Franz Kafka, Bil<strong>der</strong> aus se<strong>in</strong>em Leben, Berl<strong>in</strong> 1983<br />

Isabella Rossel<strong>in</strong>i, Some of Me, Schirmer/Mosel 1997<br />

Andrew Birk<strong>in</strong>, Jane [Birk<strong>in</strong>] & Serge [Ga<strong>in</strong>sbourg] Taschen Verlag 2013<br />

und – <strong>in</strong> literarischen Bil<strong>der</strong>n Stumme Zeugen lügen nicht“ von Ernest Bornemann ~1935,<br />

Scherz 319, 1969: e<strong>in</strong>e (Krim<strong>in</strong>al-) Geschichte, die sich dreht mit den e<strong>in</strong>zelnen Szenen,<br />

<strong>in</strong> Bewegung wie e<strong>in</strong> Film.<br />

182


11<br />

Aufnahme vermutlich Kurt Fischer, + 1918: Altstadt Dresden mit Frauenkirche<br />

12<br />

Wohnzimmer im Haus Dr. Fischer, <strong>Oldenburg</strong>, Eichkamp, mit Flügel & Bie<strong>der</strong>meier-Sekretär.<br />

13<br />

Aufnahme vermutlich Kurt Fischer, +1918: K<strong>in</strong><strong>der</strong>wagen mit Margarete Fischer, genannt<br />

Kretti, auf dem seitlichen Umgang e<strong>in</strong>es Raddampfers <strong>der</strong> Dresdener Weißen Flotte<br />

14<br />

Curt Weber, Dresden, +1914: <strong>der</strong> im Hause wohnende ältere Vetter <strong>der</strong> Fischer-Brü<strong>der</strong><br />

15<br />

Bianca Weber geb. Fischer, Mutter von Curt Weber, Schwester des Vaters Curt Fischer<br />

16<br />

Im Oscar Seiffert Museum <strong>in</strong> Dresden, dessen Gründung als Volkskunde- und<br />

Kunstgewerbe-Sammlung vom Vater unterstützt wurde, bef<strong>in</strong>det sich noch heute das<br />

Spielzeug <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong>, gestiftet dorth<strong>in</strong> bei <strong>der</strong> Auflösung des elterlichen Haushalts nach dem<br />

Tod <strong>der</strong> Mutter: standesgemäß, Schiffe, Raddampfer mit Kurts Namen. Der Vater muss <strong>in</strong><br />

ihn so vernarrt gewesen se<strong>in</strong> wie ich heute <strong>in</strong> me<strong>in</strong>en filius, und es wurde beschafft, vom<br />

Besten, was die Welt so bot. Edel.<br />

E<strong>in</strong>e Camera ist, das weiß ich gewiss, dabei gewesen. Ich er<strong>in</strong>nere mich beiläufig des<br />

schmerzlichen Blicks me<strong>in</strong>es Vaters, als me<strong>in</strong>e großen Brü<strong>der</strong> sie zu e<strong>in</strong>em Projektor<br />

verarbeiteten – wie<strong>der</strong> e<strong>in</strong> Erbe nicht bewahrt – aber me<strong>in</strong>e Brü<strong>der</strong> waren nach me<strong>in</strong>er<br />

Mutter geschlagen: tatkräftig, mo<strong>der</strong>n, ohne die Last <strong>der</strong> Er<strong>in</strong>nerung, und so sagte er: nichts.<br />

<strong>Die</strong> Camera war Begleiter <strong>in</strong> den ersten Kriegse<strong>in</strong>sätzen des noch nicht achtzehnjährigen<br />

Kurt Fischer, dann nicht mehr: zu groß, zu schwer. Der Krieg zu tödlich.<br />

Der Vater, Curt Fischer, hat es offenkundig nicht verwunden, dass se<strong>in</strong> Sohn starb, am<br />

letzten Tag des 1. Weltkrieges, dem Geburtstag se<strong>in</strong>er Mama. Ich stelle mir vor und deute<br />

die Schriften, als Freiwilliger und <strong>in</strong> Paradeuniform gezogen <strong>in</strong>s Feuer, weil er sich nicht<br />

traute als Geschlagener heimzukehren, bei dem Vater.<br />

Der Vater, er ist wenig später gestorben. Das war das Ende <strong>der</strong> Herrlichkeit: das Vermögen,<br />

die Flotte hat ihn nicht überdauert <strong>in</strong> jenen Zeiten.<br />

183


Wolfgang Fischer mit etwa 6 bzw. 11 Jahren<br />

Direktor Curt Fischer mit se<strong>in</strong>en Söhnen auf dem Oberdeckdampfer -Kaiser Wilhelm II-<br />

Ausschnitt aus dem Foto im Jubiläumskatalog<br />

75 Jahre <strong>der</strong> Sächsisch Böhmischen Dampfschiffahrts Gesellschaft 1836 – 1911, Dresden<br />

17<br />

Abmarsch e<strong>in</strong>er Soldaten-Kolonne. Aufnahme vermutlich Kurt Fischer 1914, Dresden.<br />

18<br />

Wahrsche<strong>in</strong>lich Curt Weber +1914, <strong>in</strong> Uniform. Aufnahme vermutlich Kurt Fischer, +1918<br />

19<br />

Kurt Fischer 1899 – 1918 <strong>in</strong> <strong>der</strong> Uniform des Königl. Sächsischen Schützenregiment<br />

Aufnahme Hofphotograph Bär, Dresden<br />

20<br />

Aufnahmen Kurt Fischer von se<strong>in</strong>em Kriegse<strong>in</strong>satz 1918.<br />

Handschriftlich bezeichnet: Courcelles 10.VI.18, Krieg <strong>in</strong> Bouvancourt 5.VI.18, Loulth 3.VI.18<br />

Teil e<strong>in</strong>er Serie offensichtlich früher Frontaufnahmen, die sich von späteren E<strong>in</strong>sätzen nicht<br />

mehr f<strong>in</strong>den. <strong>Die</strong> Kontaktabzüge s<strong>in</strong>d mit Bleistift rückwärtig beschriftet.<br />

21<br />

Photographie von Albert Renger-Patzsch aus Das silberne Erzgebirge, Privatdruck F. E<br />

Krauß, Schwarzenberg 1940.<br />

Der gelernte Klempner und Haushaltsgeräte-Fabrikant Krauß bemühte sich seit 1934 als<br />

„Reichskulturwart“ um se<strong>in</strong> Verständnis <strong>der</strong> erzgebirgischen Kultur.<br />

184


Noch 1940 im Kriege beschäftigte er den als Vertreter <strong>der</strong> Neuen Sachlichkeit eigentlich<br />

verfemten Renger-Patzsch für e<strong>in</strong>en Bildband über das Erzgebirge. Als Privatdruck<br />

herausgegeben, war es zunächst <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>er Bibliographie verzeichnet.<br />

Der überzeugte Nationalsozialist Krauß ist dem Vernehmen nach das literarische Vorbild für<br />

e<strong>in</strong>e entsprechende Figur <strong>in</strong> Stefan Heyms Schwarzenberg, München, 1984<br />

Ich fand dieses Buch <strong>in</strong> <strong>der</strong> „Grabbelkiste“ des Kunstverlags Wasmuth gegenüber <strong>der</strong> TU<br />

Berl<strong>in</strong> und kaufte es wegen dieser Aufnahme, noch bevor ich den Zusammenhang erfasste.<br />

22<br />

„Naß <strong>in</strong> Naß“ – Aquarell, e<strong>in</strong>es <strong>der</strong> wenigen erhaltenen Bil<strong>der</strong> me<strong>in</strong>es Vaters. Es wurde<br />

aus dem elterlichen Haus <strong>in</strong> <strong>Oldenburg</strong> gestohlen.<br />

Noch <strong>in</strong> verschiedentlichem Familienbesitz bef<strong>in</strong>den sich durch me<strong>in</strong>en Vater für die eheliche<br />

Wohnung entworfene Möbel: e<strong>in</strong>e Kredenz, e<strong>in</strong> größerer Klapptisch: <strong>der</strong> war zu zart geraten.<br />

Sie waren eher traditionalistisch gehalten, allerd<strong>in</strong>gs mit e<strong>in</strong>em großen Gefühl für Material,<br />

Qualität, Proportionen, und fügten sich e<strong>in</strong> <strong>in</strong> das elterliche Erbe an Bie<strong>der</strong>meier-Mobiliar.<br />

Bei den extra angefertigten Stühlen griff er auf e<strong>in</strong> Vorbild aus Schloss Pillnitz zurück.<br />

23<br />

Accademia Tedesca Roma Villa Massimo, Deutsche Kultur-E<strong>in</strong>richtung <strong>in</strong> Rom zur<br />

För<strong>der</strong>ung eigentlich von Künstler<strong>in</strong>nen und Künstlern. Es könnte sich auch unter Umständen<br />

um e<strong>in</strong>e vergleichbare E<strong>in</strong>richtung gehandelt haben (Quelle: mündl. Bericht Hilde Fischer).<br />

185


24<br />

Der verbliebene Bru<strong>der</strong> Hans [Johannes] Fischer, Aufnahme ~ 1936,<br />

Aufnahme Wolf Fischer <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Studentenausweis, vor 1930.<br />

Der Bru<strong>der</strong> wird als verschlossener, aber fürsorglicher Mensch geschil<strong>der</strong>t. Er folgt se<strong>in</strong>em<br />

Vater <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e kaufmännische Laufbahn – Dissertation über die Elbschifffahrt – und br<strong>in</strong>gt es<br />

hierdurch und durch Heirat wie<strong>der</strong>um zu Wohlstand. Er macht später Karriere als SS-Offizier<br />

und bezahlt dies mit langjähriger Haft <strong>in</strong> Bautzen.<br />

Bei se<strong>in</strong>en späteren Besuchen als Rentner (aus <strong>der</strong> DDR) <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em Elternhaus ist mir<br />

eigentlich nur er<strong>in</strong>nerlich Sprachlosigkeit zwischen den Brü<strong>der</strong>n, Schweigen. Aber: sie waren<br />

sich zweifellos zugetan.<br />

Ich weiß es nicht, ob me<strong>in</strong> Vater orig<strong>in</strong>är „antifaschistisch“ war, o<strong>der</strong> dieses erst unter dem<br />

E<strong>in</strong>fluss me<strong>in</strong>er kämpferischen Mutter wurde. E<strong>in</strong>es war er gewiss: ganz und gar<br />

unsoldatisch. Hans Fischer soll wohl se<strong>in</strong>e schützende Hand über ihn gehalten haben, dass<br />

es erst spät – zum Russlandfeldzug 1942 – zu se<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>berufung kam und auch vor dem<br />

Krieg, die – mangels Aufenthaltsgenehmigung trotz vorhandener Arbeitsstelle gescheiterten<br />

– Versuche, aus Deutschland weg nach Paris zu gehen, ke<strong>in</strong>e weiteren Folgen hatten.<br />

25<br />

Das Rigorosum zu ihrer Dissertation über „Arbeiterbildung“ fand am 28. Januar 1933 statt,<br />

e<strong>in</strong>em Freitag, dem letzten Werktag vor Hitler`s „Machtergreifung“. Sie hat es bezahlt mit<br />

dem unmittelbaren Verlust ihrer akademischen Karriere und konnte die erhoffte Stelle im<br />

Schuldienst nicht antreten.<br />

26<br />

Titelkopie zum Repr<strong>in</strong>t ihrer Dissertation im VSA-Verlag 1975<br />

Veröffentlicht <strong>in</strong>: Maegerle<strong>in</strong>, He<strong>in</strong>z, LEIPZIG – so wie es war, Düsseldorf 1974<br />

Quellenangabe dort nicht spezifiziert.<br />

27<br />

Giedion, S. RAUM, ZEIT, ARCHITEKTUR, deutsch: Otto Maier Verlag Ravensburg, 1965<br />

Abbildungen Henri Labrouste, Bibliothèque Nationale, Seiten 162+163<br />

186


28<br />

Skidmore, Ow<strong>in</strong>gs und Merrill, e<strong>in</strong>e bis <strong>in</strong> die Siebziger Jahre mo<strong>der</strong>ne Architektengruppe.<br />

Danach ist das unter diesem Namen tätige Büro sozusagen e<strong>in</strong>em neuen Historismus<br />

verfallen und dafür bekannt. Zu Zeiten me<strong>in</strong>es Vaters jedoch stand es für: Aufbruch!<br />

29<br />

Zeitgenössischer Stich des alten Gewandhaussaales, Nachlass WGF, Herkunft unbekannt.<br />

Siehe auch Repr<strong>in</strong>ts <strong>der</strong> Veröffentlichungen Fischers zum Thema im Anhang.<br />

30<br />

Me<strong>in</strong> Vater muss diese Arrangements, diese bewohnten Stillleben mit H<strong>in</strong>gabe zelebriert<br />

haben auch im Privaten – und gekonnt. Me<strong>in</strong>e Mutter berichtete über die<br />

Mansardenwohnung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gartenstadt Marienbrunn <strong>in</strong> Leipzig, wo me<strong>in</strong> Vater zunächst <strong>in</strong> 2<br />

Zimmern hauste, das die geme<strong>in</strong>same Freund<strong>in</strong> beim Besuch ausrief: „Hier sieht es ja aus<br />

wie bei Goethens“!<br />

Das von mir so geliebte Elternhaus <strong>in</strong> <strong>Oldenburg</strong> war ebenfalls erfüllt von dieser Harmonie,<br />

<strong>der</strong> Stimmigkeit von Licht, Luft, Farbe, Form, und dar<strong>in</strong> e<strong>in</strong> seltener, kongenialer Glücksfall<br />

zwischen Bauherren und Architekten, die das Haus um die trotz Flucht durch e<strong>in</strong>en<br />

seltsamen Glücksfall erhaltenen Möbel me<strong>in</strong>er Eltern „herumbauten“ (Latta&Hölscher, 1961).<br />

Vgl. Letztes Kapitel.<br />

31<br />

Retouchierter Exlibris-Entwurf für die Stadtbibliothek Leipzig, Nachlass WGF<br />

32<br />

<strong>Die</strong> Stadtbibliothek im Alten Gewandhaus an <strong>der</strong> Universitätsstraße <strong>in</strong> Leipzig brannte bei <strong>der</strong><br />

Bombardierung <strong>der</strong> Stadt am 4. Dezember 1943 vollständig aus, etwa 90 % <strong>der</strong> wertvollen<br />

Buchbestände dieser ältesten bürgerlichen Stiftungsbibliothek wurden vernichtet.<br />

Ausführliche Beschreibung <strong>in</strong> u.a. Barton, Walter, <strong>Die</strong> verlorene und die gefundene<br />

Bibliothek, unveröffentlichtes Manuskript, <strong>Landesbibliothek</strong> <strong>Oldenburg</strong>.<br />

Dar<strong>in</strong> auch Auswertung von Luftbil<strong>der</strong>n vor und nach dem Angriff (Burckhardt Fischer):<br />

187


Ausschnitt aus e<strong>in</strong>er Aufnahme <strong>der</strong> Alliierten Luftaufklärung<br />

20.02.1944. Der große leere Raum im Gebäudekomplex unten stellt die Ru<strong>in</strong>e des großen<br />

Magaz<strong>in</strong>- und Lesesaals <strong>der</strong> Leipziger Stadtbibliothek dar. L<strong>in</strong>ks bzw. oben <strong>der</strong> Flügel des<br />

alten Gewandhaussaales, 1884 wg. Baufälligkeit durch e<strong>in</strong>en Neubau an<strong>der</strong>en Ortes ersetzt.<br />

33<br />

Foto vom Verfasser bei <strong>der</strong> „Er<strong>in</strong>nerungs- + Nachlassfahrt“ durch die Orte <strong>in</strong> <strong>der</strong> DDR, die mit<br />

se<strong>in</strong>en Eltern verbunden waren, zusammen mit und geleitet von se<strong>in</strong>er Mutter Dr. Hilde<br />

Fischer, August/September 1975.<br />

34<br />

Vgl. auch die Diplomarbeit des Verfassers an <strong>der</strong> TU Berl<strong>in</strong> 1973: „Stadtentwicklung<br />

<strong>Oldenburg</strong>“ (Lehrstuhl Prof. Nedeljkov). Im Dialog mit Hartwig Schmidt und Prof. Julius<br />

Posener wird dar<strong>in</strong> die Ableitung des Bauens, des <strong>Oldenburg</strong>er Stadtbildes aus den<br />

jeweiligen gesellschaftlichen Verhältnissen versucht.<br />

Ausgangspunkt war e<strong>in</strong>e damals beg<strong>in</strong>nende kle<strong>in</strong>e „Bürgerbewegung“ gegen die spekulative<br />

Verwertung <strong>der</strong> Gartenstraße und des Schlossgartenviertels – die abrupt zusammenbrach,<br />

als die Angebotspreise für die Grundstücksverkäufe stiegen. Das Ergebnis ist <strong>der</strong> Verlust <strong>der</strong><br />

spezifischen städtebaulichen Qualität.<br />

Kürzlich wurde bei e<strong>in</strong>er Internet-Auktion e<strong>in</strong>e Postkarte <strong>der</strong> <strong>Oldenburg</strong>er Gartenstraße aus<br />

<strong>der</strong> Frühzeit 1922 angeboten, die die Thesen aus <strong>der</strong> Diplomarbeit plastisch h<strong>in</strong>terlegt:<br />

Darauf ist noch nicht <strong>der</strong> heutige hohe Gitterzaun zu sehen, <strong>der</strong> den Schlossgarten von <strong>der</strong><br />

Verkehrsstraße trennt, son<strong>der</strong>n e<strong>in</strong> niedriger Staketenzaun: nur eher beiläufige E<strong>in</strong>friedung.<br />

<strong>Die</strong> Straße schlängelt sich eher wie e<strong>in</strong> Weg quasi durch den Park, den sie doch nur<br />

begleitet: mit immer neuen Zublicken, Fluchtpunkten, Perspektiven, und damit ganz dem<br />

englischen Landschaftsgarten verhaftet, und doch im städtischen Raum.<br />

E<strong>in</strong> außerordentliches Konzept, wohl wesentlich auch dem aufgeklärten Fürsten<br />

zuzuschreiben, <strong>der</strong> nach dem frühen Tod se<strong>in</strong>er Gemahl<strong>in</strong> <strong>in</strong> dem Gärtnerhäuschen am<br />

Straßenrand zu leben beliebte: im Bild am Ende <strong>der</strong> Straße rechts.<br />

188


<strong>Die</strong>se Verb<strong>in</strong>dung von Straßenraum und Park konnte nur gel<strong>in</strong>gen, weil die Villen auf <strong>der</strong><br />

an<strong>der</strong>en Straßenseite, zurückgesetzt, ihre tiefen Vorgärten als Pendant des Schlossgartens<br />

darboten, und so privater Raum und öffentlicher Zublick auch hier verschmolz.<br />

Auch dieses Kle<strong>in</strong>od ist für <strong>Oldenburg</strong> nun zumeist verloren.<br />

35<br />

Sie bef<strong>in</strong>den sich heute im Restgarten des Stadtmuseums, h<strong>in</strong>ter dem Horst-Janssen-Bau.<br />

36<br />

Klaus A. Zugermaier, Leben und Werk des Großherzoglich-<strong>Oldenburg</strong>ischen Oberbaurats<br />

Hero <strong>Die</strong>drich Hillerns (1807-1885), Verlag He<strong>in</strong>z Holzberg, <strong>Oldenburg</strong>, 1983.<br />

37<br />

u.a. - Altes Bibliotheksgebäude am Damm (1839-) 1842-46<br />

- Sem<strong>in</strong>argebäude Peterstraße 42 (1843-) 1844-45<br />

- Irrenheilanstalt Wehnen bei <strong>Oldenburg</strong> (1849-) 1854-58<br />

- Arsenalbauten Johann-Justus- / Arillerieweg 1852-53<br />

- Gerichtsgebäude Elisabethstraße 7 (1855-) 1857-59<br />

- Stadtknabenschule Waffenplatz (1856-) 1858-59<br />

- Turnhalle Georgstraße (1857-) 1863<br />

- Zeughausbauten Ofener Straße u.a. (1861-) 1862-67<br />

- „Altes“ Gymnasium Theaterwall, verän<strong>der</strong>t ausgeführt.<br />

Alle Angaben anhand Zugermaier.<br />

38<br />

Aus e<strong>in</strong>em Brief von WGF an se<strong>in</strong>e Frau, 12.9.1946:<br />

[...] <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Ziegelbau des 19. Jhdts (dafür immerh<strong>in</strong> erstaunlich eigenständig, weil überraschen<strong>der</strong>weise<br />

aus e<strong>in</strong>em e<strong>in</strong>heitlichen Grundmaß gebaut, das immer wie<strong>der</strong>holt wird,<br />

woraus sich automatisch gewisse Wohlklänge ergeben). [...]<br />

Aus e<strong>in</strong>em Brief von WGF an se<strong>in</strong>e Frau, 3.11.1946:<br />

[...] Aber daß Du Dir den Bau wegen des Wortes „Neugotik“ außerordentlich scheußlich<br />

vorstellst, ist nicht richtig, er ist im Gegenteil ausgezeichnet proportioniert, und es wird sich<br />

mit <strong>der</strong> Zeit wirklich was draus machen lassen. Jetzt freilich ist <strong>der</strong> Kalk von den Wänden<br />

gespült, und bei Regen, wie heute, gibt es ganze Wasserbäche an e<strong>in</strong>igen Wandstellen<br />

herunter [...]<br />

39<br />

Beispiel: Ulanenkaserne <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> Invalidenstraße, Fa. A. Stüler 1848<br />

Durch den gleichen Architekten 1842 - 44 Umgestaltung im nämlichen Stil von Schloss<br />

Erdmannsdorf, Schlesien. Zeitgenössisches Bild im Familienbesitz, bei E<strong>in</strong>bruch zerstört.<br />

189


40<br />

Der Verfasser war seit 1977 nahezu 25 Jahre mit Bauforschung, Sanierungen und Restaurierungsplanungen<br />

auf <strong>der</strong> Zitadelle Spandau befasst: e<strong>in</strong>er Renaissance-Idealfestung, die<br />

ab <strong>der</strong> Mitte des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts nochmals <strong>in</strong> <strong>der</strong> „Neupreussischen Befestigungsmanier“<br />

mo<strong>der</strong>nisiert und erheblich ausgebaut zum Zentrum e<strong>in</strong>er gewaltigen Festungslandschaft<br />

wurde.<br />

In <strong>der</strong> Festung selbst bef<strong>in</strong>den sich 3 Gebäude des frühen beziehungsweise aus <strong>der</strong> Mitte<br />

des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts, mit unterschiedlichen Befestigungsvorrichtungen – e<strong>in</strong>erseits mit<br />

bombenfesten Decken <strong>der</strong> Festungsfunktion geschuldet, aber eben auch mit Vorrichtungen<br />

zum Verbarrikadieren <strong>der</strong> Fenster etc.: mit vertikalen Mauerwerksnuten <strong>in</strong> den Laibungen,<br />

um das E<strong>in</strong>fädeln und Verkeilen von Bohlen h<strong>in</strong>ter den Fenstern zu ermöglichen.<br />

<strong>Die</strong> eigentliche fortifikatorische Konstruktion <strong>der</strong> Festungsbauten auf <strong>der</strong> Zitadelle war aber<br />

die „bombenfeste Decke“, wobei sich im 19. Jahrhun<strong>der</strong>t – wie bei den Architekturstilen <strong>der</strong><br />

monchromen und <strong>der</strong> polychromen Fassaden, jeweils <strong>in</strong> gelben o<strong>der</strong> <strong>in</strong> gelben und roten<br />

Verblen<strong>der</strong>n – zwei Auffassungen gegenüber standen:<br />

- die massiv verstärkte Deckenkonstruktion mit bis zu 2 ½ m gemauertem Gewölbe<br />

beim Gewehrmagaz<strong>in</strong> aus den 1860er Jahren (Bild rechts)<br />

- die sog. „Dibbelbalkendecke“ (mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong> verdübelte Balkenlage dicht an dicht), die<br />

beim Proviantmagaz<strong>in</strong> (Wie<strong>der</strong>aufbau von ~1820) und bei <strong>der</strong> Kaserne No. 5 (1859)<br />

nachgewiesen werden konnte. <strong>Die</strong>se relativ elastische Balkenkonstruktion wurde mit<br />

e<strong>in</strong>em nichtbrennbaren Estrich aus <strong>in</strong> Kalk vermauerten Ziegelflachschichten belegt<br />

und konnte im Verteidigungsfall mit etwa 1,o m Erde o<strong>der</strong> Sand aufgefüllt werden,<br />

<strong>der</strong> vor dem Haus gelagert wurde. Ziel war die Absorption <strong>der</strong> Geschosse<strong>in</strong>schläge.<br />

Bei dem Proviantmagaz<strong>in</strong> war diese Deckenkonstruktion komb<strong>in</strong>iert worden mit<br />

e<strong>in</strong>em demontablen Dachstuhl <strong>in</strong> „Sparb<strong>in</strong><strong>der</strong>ausführung“ zur Reduzierung <strong>der</strong><br />

Brandlasten und gleichzeitig Holzreserve.<br />

Abriss <strong>der</strong> „Dibbelbalkendecke“ Zitadelle Spandau<br />

Der nahezu zeitgleiche Neubau des Zeughauses <strong>in</strong> <strong>Oldenburg</strong> ist demgegenüber fortifikatorisch<br />

primitiv. <strong>Die</strong> Schießscharten im Dachgeschoß und die Ersche<strong>in</strong>ung des „Wehrganges“<br />

mit <strong>der</strong> Auskragung <strong>der</strong> Fassade im Dachraum werden ausschließlich aus <strong>der</strong> Vorstellung<br />

e<strong>in</strong>es nur bildhaft „wehrhaften“ Bauwerks hervorgegangen se<strong>in</strong>.<br />

190


<strong>Die</strong>se bildhafte Übersetzung e<strong>in</strong>es Gebäude-Zwecks ist e<strong>in</strong>e im 19. Jahrhun<strong>der</strong>t außerordentlich<br />

wichtige Architekturersche<strong>in</strong>ung, und die solchermaßen benutzen Chiffren konnten<br />

weith<strong>in</strong> „gelesen“ werden.<br />

Wie tiefgreifend diese letztlich romantische Auffassung wirken konnte, sei wie<strong>der</strong>um an<br />

e<strong>in</strong>em Beispiel von <strong>der</strong> Zitadelle Spandau beschrieben.<br />

<strong>Die</strong> nordöstliche Bastion <strong>der</strong> Renaissance-Idealfestung wurde <strong>in</strong> den 1580er Jahren durch<br />

den neuen Festungsbaumeister Rochus Graf Lynar fertiggestellt, die Konstruktionen se<strong>in</strong>es<br />

Vorgängers Chiaramella dabei weitgehend überbaut und unter fortifikatorischen Gesichtspunkten<br />

umgestaltet. <strong>Die</strong>se heutige Bastion Brandenburg erhielt dabei e<strong>in</strong>en sogenannten<br />

„Kavalier“: e<strong>in</strong> für sich selbst wie<strong>der</strong>um als Festung zu verteidigendes massives<br />

Gewölbesystem und „Kanonenturm“, <strong>der</strong> Vorgänger des (Berl<strong>in</strong>er) Zeughauses, das <strong>in</strong> die<br />

erdgefüllte Bastion an <strong>der</strong> Schnittstelle zum Kurt<strong>in</strong>enquadrat <strong>der</strong> eigentlichen Festung<br />

e<strong>in</strong>gefügt wurde, auch, um diesen fortifikatorischen Schwachpunkt beson<strong>der</strong>s zu befestigen –<br />

die Bastionen als <strong>der</strong> eigentlichen Festwerke vorgelagerte Bollwerke hatten die Funktion, alle<br />

Außenmauern mit Kanonenbeschuss bestreichen und damit Angreifer dort seitlich unter<br />

Feuer nehmen zu können. In den Knotenpunkten zwischen Festung und Bastionen waren die<br />

Streichwehren mit relativ großen Kanonenpforten angeordnet, zudem Ausfalltore und<br />

technische Infrastruktur wie Materialaufzüge, Toilettenschächte. Damit waren diese ohneh<strong>in</strong><br />

sehr engen Gebäudeecken gegenüber Angriffsbemühungen beson<strong>der</strong>s sensibel.<br />

E<strong>in</strong>e <strong>der</strong> Neuerungen dieser als re<strong>in</strong>e Militärmasch<strong>in</strong>erie konzipierten Idealfestungen war<br />

gegenüber <strong>der</strong> Burg <strong>der</strong> Verzicht auf Z<strong>in</strong>nen, da diese bei Kanonenbeschuss nicht nur ke<strong>in</strong>en<br />

Schutz mehr bieten konnten, son<strong>der</strong>n bei e<strong>in</strong>em Treffer durch umherfliegende Trümmer<br />

sogar selbst zur Gefahr wurden.<br />

In <strong>der</strong> Mitte des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts wurde <strong>der</strong> Kavalier Brandenburg <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Gefängnis<br />

umgebaut und dabei die Fassade erneuert: mit Z<strong>in</strong>nen, auch an den nach <strong>in</strong>nen gewandten<br />

Schaufassaden, da solches dem romantischen Bild <strong>der</strong> Burg entsprach. Sch<strong>in</strong>kel hatte<br />

solches schon am Bergfried, dem „Julisturm“ ausgeführt, <strong>der</strong> bei den Befreiungskriegen<br />

beschädigt worden war.<br />

Re<strong>in</strong> verteidigungstechnisch war dieses wie<strong>der</strong>um möglich, da mit <strong>der</strong> größeren Reichweite<br />

<strong>der</strong> Kanonen die Festung selber eigentlich kaum mehr zu verteidigen war, son<strong>der</strong>n nun<br />

Zentrum und damit gleichsam „Etappe“, gesichertes H<strong>in</strong>terland e<strong>in</strong>er gewaltig ausgeweiteten<br />

Festungslandschaft wurde – „Neupreußische Befestigungsmanier“.<br />

<strong>Die</strong> w<strong>in</strong>zigen (Maßstab 1:333), aber ungeheuer genau gezeichneten Orig<strong>in</strong>alpläne fanden wir<br />

nach <strong>der</strong> Maueröffnung 1990 im Staatsarchiv <strong>der</strong> DDR <strong>in</strong> Merseburg, woh<strong>in</strong> sie offenkundig<br />

als e<strong>in</strong>ige von nur ganz wenigen Urkunden aus dem 1943 zerbombten Heeresarchiv <strong>in</strong><br />

Potsdam gerettet wurden – dort hatten sich bis dah<strong>in</strong> alle Akten zur Zitadelle befunden.<br />

41<br />

Der formale Bezug für den Saal mit <strong>der</strong> e<strong>in</strong>en Stütze <strong>in</strong>mitten ist e<strong>in</strong>deutig die Remter <strong>der</strong><br />

Marienburg <strong>in</strong> Ostpreußen – damals stark kriegszerstört, heute restauriert und e<strong>in</strong>zigartig.<br />

191


42<br />

Verfasser, Quelle unbekannt<br />

Das Konzept für die künftige Nutzungsorganisation und die baulichen Anpassungen des<br />

vormaligen Zeughauses zogen sich zwar lange h<strong>in</strong>, die Weichenstellungen hierfür erfolgten<br />

jedoch sicherlich bereits 1946 und <strong>in</strong> den nachfolgenden Monaten.<br />

Für diese E<strong>in</strong>gangssituation mag nicht unwichtig gewesen se<strong>in</strong> die Erfahrung des<br />

„Jahrhun<strong>der</strong>t“-W<strong>in</strong>ters 1946/47 mit lang anhaltenden eisigen Temperaturen <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e<br />

auch im norddeutschen Raum, und generell dem „<strong>Oldenburg</strong>er Schmuddelwetter“ –<br />

vgl. z. B. wikipedia „Hungerw<strong>in</strong>ter 1946/47“ o<strong>der</strong> auch Katja Iken, Carol<strong>in</strong>e Schiemann,<br />

Benjam<strong>in</strong> Braden: "<strong>Die</strong> Moral geht zum Teufel" In: e<strong>in</strong>estages, 20. Februar 2017.<br />

<strong>Die</strong> hier geschützt angeordneten Abstellmöglichkeiten für Fahrrä<strong>der</strong> deuten e<strong>in</strong> wenig darauf<br />

h<strong>in</strong>: <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Zeit, als das Fahrrad nahezu e<strong>in</strong>ziges und überlebensnotwendiges Transportmittel<br />

war und damit auch bevorzugtes <strong>Die</strong>besgut.<br />

Mag diese Übung mit den Fahrradstän<strong>der</strong>n <strong>in</strong>nerwärts dann an den beständigen Re<strong>in</strong>igungserfor<strong>der</strong>nissen<br />

gescheitert se<strong>in</strong>.<br />

43<br />

Büste ~ 1829 von Theodor Wagner 1800 – 1880. Angabe nach: Beut<strong>in</strong>, Jürgen, Kunst am<br />

Bau. Werke <strong>der</strong> bildenden Kunst <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Landesbibliothek</strong> <strong>Oldenburg</strong>, <strong>in</strong> EX BIBLIOTHECA<br />

OLDENBURGENSI, <strong>Oldenburg</strong> 1992.<br />

44<br />

Alter Lesesaal <strong>in</strong> <strong>der</strong> Großherzogl.<br />

Bibliothek am Damm - Nie<strong>der</strong>sächsisches Staatsarchiv <strong>Oldenburg</strong>, Rep. 740 Akz. 82 Nr. 211<br />

192


45<br />

Max Herrmann hielt zusammen mit se<strong>in</strong>er Frau auch nach dem Tode me<strong>in</strong>es Vaters e<strong>in</strong>en<br />

gewissen Kontakt – da gab es dann sonst nicht mehr viele.<br />

E<strong>in</strong> Bild, das er me<strong>in</strong>er Mutter bei e<strong>in</strong>em Kondolenzbesuch verehrte, stand (l<strong>in</strong>ks – siehe<br />

Anm. 22) auf <strong>der</strong> von me<strong>in</strong>em Vater entworfenen Kredenz im elterlichen Hause.<br />

Etwa 1980 verscherzte ich es mit ihm: ich hatte für me<strong>in</strong>e Mutter e<strong>in</strong>en Empfang organisiert,<br />

bei dem alte Freunde zum Fondueessen geladen waren. Aus Platzgründen musste dieses an<br />

2 Tischen erfolgen, und Max Herrmann war sehr erregt, dass er nicht neben dem Architekten<br />

Hans Latta platziert worden war.<br />

Nahe gekommen war ich e<strong>in</strong>em <strong>der</strong> beiden Künstler im damals neu erbauten Hallenbad am<br />

Schloss, <strong>in</strong> das mich me<strong>in</strong> Bru<strong>der</strong> schleifte, gerade weil ich dem nassen Element, wie auch<br />

dem Spr<strong>in</strong>gturm nicht son<strong>der</strong>lich zugetan. Vom Beckenrand konnte man zusehen, wie noch<br />

<strong>in</strong> die gläserne Trennwand zum geson<strong>der</strong>ten Nichtschwimmerbecken durch den Künstler<br />

Gravuren e<strong>in</strong>geschliffen wurden: jener h<strong>in</strong>ter schwerer Le<strong>der</strong>schürze, Schutzbrille<br />

weitgehend verdeckt. Da ich – von me<strong>in</strong>em Bru<strong>der</strong> über die Bedeutung dieses Mannes für<br />

unseren Vater und für die Bibliothek <strong>in</strong>formiert – ihm bei se<strong>in</strong>er Arbeit zuschauen MUSSTE,<br />

verblieb ich völlig durchweicht, aber immerh<strong>in</strong> ungesprungen.<br />

In den Werkverzeichnissen bei<strong>der</strong> Künstler f<strong>in</strong>det sich hierzu nichts.<br />

Bis vor e<strong>in</strong>igen Jahren fand sich <strong>der</strong> Name Max Herrmanns häufig im Zusammenhang mit<br />

den Delmenhorster Tagen für Neue Musik. <strong>Die</strong>ses sche<strong>in</strong>t jetzt weitgehend vergessen.<br />

46<br />

<strong>Die</strong> im Herbartgang verspätete Eröffnung des Cafes habe ich noch als Schüler miterlebt.<br />

Für das damals noch relativ plüschige <strong>Oldenburg</strong>er Gaststättenwesen war das konsequente<br />

Design dieses kle<strong>in</strong>en Kosmos e<strong>in</strong>e Sensation – und wurde von den <strong>Oldenburg</strong>er Schülern<br />

mit Beschlag belegt; noch am 1. Tag waren sämtliche schönen Glasaschenbecher geklaut.<br />

Das Cafe, und damit <strong>der</strong> Herbartgang, wurde von uns Schülern wahrhaft belagert, wie zuvor<br />

allenfalls vielleicht das Montparnasse, die poppige Kellerdisco <strong>in</strong> ehemals Hoyers We<strong>in</strong>keller<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Baumgartenstraße, und schloss entsprechend schnell, zu unser aller Trauer. Wird sich<br />

so wohl nicht gerechnet haben, mit den Pennälern.<br />

Zu <strong>der</strong> „klotzigen“ Architektur fehlen heute natürlich die ursprünglichen luftigen Sonnensegel<br />

des Dachgartens, himmelwärts.<br />

47<br />

Me<strong>in</strong> lieber Bru<strong>der</strong> irrte hier e<strong>in</strong> wenig bezüglich <strong>der</strong> Raff<strong>in</strong>esse unseres Vaters.<br />

Död<strong>in</strong>g war bereits als Hausmeister an die <strong>Landesbibliothek</strong> <strong>Oldenburg</strong> versetzt worden,<br />

bevor WGF dort tätig wurde. Quelle: Nie<strong>der</strong>s. Landesarchiv Oldb.<br />

193


48<br />

Vgl. Seite 11: Hist. Aufnahme Herr Hofmann<br />

49<br />

Unter an<strong>der</strong>em die Bibliothekar<strong>in</strong> Anna Iwanowna Baeckmann nutzte auch noch Jahre nach<br />

ihrer Pensionierung e<strong>in</strong>ige Stücke <strong>in</strong> ihrer Wohnung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Teichstraße <strong>in</strong> <strong>Oldenburg</strong>, bis sie<br />

mit dem Bau e<strong>in</strong>es eigenen Hauses 1961 wie<strong>der</strong> <strong>in</strong> den Fischerschen Haushalt e<strong>in</strong>geglie<strong>der</strong>t<br />

wurden.<br />

50<br />

Der Aufzug <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Landesbibliothek</strong> hatte e<strong>in</strong> schmales Fenster <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Türanlage, durch<br />

das man tatsächlich immer irgende<strong>in</strong>en Blickkontakt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e <strong>der</strong> Etagen hatte, ausgenommen<br />

eben die Durchfahrt zum Dachboden mit e<strong>in</strong>em ger<strong>in</strong>gfügig längeren geschlossenen<br />

Schacht.<br />

51<br />

NWZ<br />

In den Fünfziger und Sechziger Jahren von den Teenagern heiß umlagertes Fahrgeschäft<br />

auf dem Jahrmarkt – jetzt verschiedentlich als Nostalgie-Objekt wie<strong>der</strong> <strong>in</strong> Gebrauch.<br />

<strong>Die</strong> Wagenreihe bewegte sich relativ schnell und laut rumpelnd auf und ab im Kreise,<br />

irgendwann während <strong>der</strong> Fahrt klappte dann e<strong>in</strong> Faltverdeck von <strong>in</strong>nen über die Wagen und<br />

unter diesem wurden die ersten Küsse getauscht.<br />

Zu „me<strong>in</strong>er Zeit“ untrennbar damit verbunden <strong>der</strong> hämmernde rauhe Sound von „Wulle Bulle“<br />

Wooly Bully von Sam The Sham and the Pharaos – rauf und runter gespielt bei je<strong>der</strong> Fahrt.<br />

194


52<br />

Der <strong>Oldenburg</strong>er „Kramermarkt“ ist e<strong>in</strong> relativ großer Jahrmarkt. In den Fünfziger Jahren fand<br />

er zunächst noch auf dem Pferdemarkt vor den Toren <strong>der</strong> Altstadt statt und zog dann auf das<br />

Gelände vor <strong>der</strong> Weser-Ems-Halle <strong>in</strong> Donnerschwee.<br />

Dort entstand diese Aufnahme – e<strong>in</strong> Zufall – mit dem Verfasser als schmachtendem Jüngl<strong>in</strong>g<br />

an <strong>der</strong> Raupenbahn – ke<strong>in</strong> Geld, ke<strong>in</strong>e Traute. Ihm deshalb er<strong>in</strong>nerlich, weil sich an dieser<br />

und weiteren Aufnahmen e<strong>in</strong> Disput mit dem Photographen entzündete.<br />

53<br />

In e<strong>in</strong>em weiteren Bild <strong>der</strong> Serie: WGF l<strong>in</strong>ks, Bonhagen 2. von rechts.<br />

Stehend die Buchhändler<strong>in</strong> Anneliese Ebel – vgl. Anhang / Kapitel 9<br />

Quelle: Nachlass Fischer.<br />

195


54<br />

Anna Iwanowna Baeckmann, 11. Juni 1882 St. Petersburg - 1966 Alzey<br />

Bereits sterbenskrank wurde sie 1965 von ihrem dort als Arzt praktizierenden Bru<strong>der</strong> zu sich<br />

genommen.<br />

55<br />

Aus e<strong>in</strong>em Brief von WGF an Dr. Karl Rothe, früherer Oberbürgermeister und Kulturdezernent<br />

von Leipzig,<br />

56<br />

Obere Reihe:<br />

Carl Baeckmann<br />

Anna Iwanowna Baeckmann<br />

Waldemar Baeckmann<br />

Hans Baeckmann<br />

Untere Reihe:<br />

Paul Baeckmann<br />

Anna Baeckmann geb. L<strong>in</strong>ck,<br />

Johannes Karl Julius Baeckmann<br />

Julius Baeckmann<br />

1891 – 1969 <strong>in</strong> Alzey, Arzt und Autor<br />

11.06.1882 St. Petersburg – 1966 Alzey<br />

1890 – 1942 <strong>in</strong> Len<strong>in</strong>grad, Anwalt<br />

1886 - ?. Familie deportiert / verschollen<br />

15.12.1877 – 17.06.1957 <strong>in</strong> Leonberg<br />

31.01.1853 – 07.10.1937 <strong>in</strong> Dorpat<br />

26.09.1848 <strong>in</strong> Cremon – 21.12.1921 <strong>in</strong> Dorpat<br />

1879 – 1929 (?)/1930, Zoologe, Mammutforscher<br />

Anna Iwanowna flüchtete 1917 mit ihren Eltern im Pferdeschlitten über die zugefrorenen See<br />

nach Estland. <strong>Die</strong> Familie des bedeutenden Forschers Julius Baeckmann wurde deportiert,<br />

Nachfahren leben noch <strong>in</strong> Nowosibirsk.<br />

<strong>Die</strong> biographischen Angaben zu Anna Baeckmann von Egbert Koolmann <strong>in</strong> EX<br />

BIBLIOTHECA OLDENBURGIS s<strong>in</strong>d daher e<strong>in</strong> wenig zu korrigieren o<strong>der</strong> fortzuschreiben.<br />

Bislang zumeist kolportiert: 2 Brü<strong>der</strong> als Offiziere <strong>der</strong> weißrussischen Garden gefallen, 2<br />

Brü<strong>der</strong> im GULAG gestorben, dieses entspricht dem damaligen Kenntnisstand.<br />

Nach neuerer Forschung kann dieses wie folgt konkretisiert werden:<br />

- Julius Baeckmann an Tuberkulose <strong>in</strong>folge von Lagerhaft 1930 verstorben<br />

- Hans Baeckmann lebte 1937 als Dozent <strong>in</strong> Tiflis, wurde dort zusammen mit Frau und<br />

Sohn verhaftet, alle seitdem verschollen.<br />

- Waldemar Baeckmann wie o.a. bei <strong>der</strong> Belagerung Len<strong>in</strong>grads 1942 verhungert.<br />

Siehe Dokumentenanhang 6<br />

- Carl Baeckmann galt <strong>der</strong> Familie lange Zeit als Soldat <strong>der</strong> Weißen Garde<br />

verschollen. Noch zu Lebzeiten aber haben er und Anna Iwanowna e<strong>in</strong>an<strong>der</strong><br />

wie<strong>der</strong>gefunden.<br />

<strong>Die</strong> Großmutter mütterlicherseits, Emilie Auguste Edle von Rennenkampff, 26.02.1822 –<br />

01.04.1888 verbrachte ihr Leben <strong>in</strong> St. Petersburg. Der <strong>Oldenburg</strong>er Hofrat und Grün<strong>der</strong> des<br />

Naturkundemuseums Carl Jakob Alexan<strong>der</strong> Edler v. Rennenkampff starb bereits 1854, se<strong>in</strong>e<br />

noch bestehende Villa <strong>in</strong> <strong>Oldenburg</strong>-Osternburg wurde nachfolgend verkauft. E<strong>in</strong>e Beziehung<br />

Anna Baeckmanns zu <strong>Oldenburg</strong> von daher war folglich allenfalls e<strong>in</strong>e verklärte Er<strong>in</strong>nerung<br />

an die Großmutter, nicht jedoch real (freundlicher H<strong>in</strong>weis v. Lutz v. Rennenkampf 2017).<br />

57<br />

K<strong>in</strong>dlicher Versprecher me<strong>in</strong>es großen Bru<strong>der</strong>s, <strong>der</strong> mit dem richtigen Begriff EBENHOLZ<br />

nichts verb<strong>in</strong>den konnte, wohl aber mit <strong>der</strong> Düsternis unter den großen Bäumen im Eversten<br />

Holz, e<strong>in</strong>er Parkanlage <strong>in</strong> <strong>Oldenburg</strong>, nahe <strong>der</strong> Bibliothek. Ludwig wurde Germanist.<br />

58<br />

Aus e<strong>in</strong>em Brief von WGF an se<strong>in</strong>e Frau, 12.9.1946<br />

196


[...] Aber es gilt ke<strong>in</strong> Zögern, ich muß den Bau belegen, sonst wird er mir abgejagt. [...] man<br />

bekommt ke<strong>in</strong>en Wasseranschluß gelegt, ke<strong>in</strong>e Kanalisation, und fast sieht es so aus, als<br />

kriegte ich die Räume nicht e<strong>in</strong>mal geweißt und müßte <strong>in</strong> die Bruchbude, denn so sieht es<br />

jetzt aus und setze mich damit scheußlicher Kritik aus. <strong>Die</strong>sen Montag habe ich me<strong>in</strong>e<br />

Belegschaft h<strong>in</strong>geführt und ihr tiefes Entsetzen aufgerührt und mußte am <strong>Die</strong>nstag früh die<br />

Leutchen erst wie<strong>der</strong> bearbeiten, bis dann auch sie wie<strong>der</strong> Zukunfstmöglichkeiten sahen. [...].<br />

59<br />

<strong>Die</strong> <strong>Landesbibliothek</strong> befand sich an ihrem alten Standort am Weg zwischen <strong>Oldenburg</strong>er<br />

Stadtzentrum und Universität beziehungsweise zunächst noch <strong>der</strong> Pädagogischen<br />

Hochschule an <strong>der</strong> Ammerlän<strong>der</strong> Heerstraße, <strong>der</strong> Verlängerung <strong>der</strong> Ofener Straße über den<br />

Autobahn-Stadtr<strong>in</strong>g h<strong>in</strong>aus. Mit dem neuerlichen Umzug <strong>der</strong> Bibliothek an den Pferdemarkt<br />

wurde diese Verb<strong>in</strong>dung dann aufgegeben.<br />

60<br />

Paul Raabe, 1927 – 2013<br />

Zunächst als jugendlicher ehemaliger Flakhelfer als Hilfskraft zur Bibliothek gekommen,<br />

Aufnahme von daher. 1968 – 1992 Direktor <strong>der</strong> Herzog August Bibliothek <strong>in</strong> Wolfenbüttel.<br />

61<br />

Walter Barton, ab 1954 Mitarbeiter und die Hoffnung Fischers für se<strong>in</strong>e Nachfolge, die relativ<br />

bescheidenen Möglichkeiten an <strong>der</strong> <strong>Landesbibliothek</strong> <strong>Oldenburg</strong> vermochten dieses jedoch<br />

nicht abzudecken. Professor Dr. Walter Barton lebt heute wie<strong>der</strong>um <strong>in</strong> <strong>Oldenburg</strong>.<br />

Aus se<strong>in</strong>er Fe<strong>der</strong> stammt das Manuskript für <strong>Die</strong> verlorene und die gefundene Bibliothek, <strong>der</strong><br />

von Barton kommentierte Briefwechsel Wolfgang Günther Fischers mit Leipziger Freunden<br />

1927 – 1954. <strong>Die</strong> Veröffentlichung des durch Burckhardt Fischer bearbeiteten und<br />

bebil<strong>der</strong>ten Buches wurde nach langjähriger Zusammenarbeit schließlich durch den Autor<br />

untersagt, Unterlagen jetzt <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Landesbibliothek</strong> <strong>Oldenburg</strong>.<br />

62<br />

Me<strong>in</strong> älterer Bru<strong>der</strong> Ludwig berichtete, über me<strong>in</strong>e Er<strong>in</strong>nerung h<strong>in</strong>aus:<br />

Der Bibliotheksdirektor verfügte über e<strong>in</strong> <strong>Die</strong>nstfahrrad: e<strong>in</strong> stabiles Herrenfahrrad mit<br />

Gepäckträger. In <strong>der</strong> vor<strong>der</strong>en Ecke des Rahmens, wo oberes und unteres Rahmenrohr mit<br />

<strong>der</strong> Führung <strong>der</strong> Lenksäule verschweißt waren, hatte <strong>der</strong> Hausmeister e<strong>in</strong> Blechschild<br />

angebracht. Es trug auf beiden Seiten die Aufschrift ‚Landesbibiliothek <strong>Oldenburg</strong> i.O.’.<br />

Vater benutzte das Fahrrad bei jedem Wetter. In se<strong>in</strong>er Aktentasche führte er immer e<strong>in</strong>en<br />

Regenschutz mit, e<strong>in</strong>e Art Poncho aus wasserdicht beschichtetem Stoff mit e<strong>in</strong>em<br />

Ausschnitt, durch den man den Kopf stecken konnte. Der vor<strong>der</strong>e Teil dieses Ponchos besaß<br />

Schlaufen, mit denen man ihn an den Griffen des Lenkers festhalten konnte, so dass auch<br />

die Hosenbe<strong>in</strong>e nicht allzu nass wurden.<br />

Dass <strong>der</strong> Direktor <strong>der</strong> <strong>Landesbibliothek</strong> stets mit dem Fahrrad zum <strong>Die</strong>nst fuhr – Vater konnte<br />

ja nicht Auto fahren, er hat nie e<strong>in</strong>en Führersche<strong>in</strong> besessen –, war <strong>in</strong> <strong>der</strong> ganzen Stadt<br />

bekannt. Aber <strong>in</strong> <strong>Oldenburg</strong> wun<strong>der</strong>te sich niemand son<strong>der</strong>lich darüber, Fahrrä<strong>der</strong> waren<br />

lange das allgeme<strong>in</strong> übliche Verkehrsmittel, auch <strong>der</strong> Oberstaatsanwalt Felmy radelte zum<br />

Gericht.<br />

Vater fuhr auch vom neuen Haus im Eichkamp aus weiter mit dem Fahrrad <strong>in</strong> die Bibliothek,<br />

den Marschweg entlang und dann durchs Everstenholz, an den alten Regierungsgebäuden<br />

beim Dobben vorbei und schließlich über die Dobbenbrücke <strong>der</strong> Haaren zur Ofener Straße.<br />

197


63<br />

Im Vor<strong>der</strong>grund Fritz Janßen, im H<strong>in</strong>tergrund WGF, auf e<strong>in</strong>em Betriebsausflug. Aus dem<br />

Er<strong>in</strong>nerungsalbum <strong>der</strong> Mitarbeiter, überreicht zur Pensionierung von Fischer.<br />

64<br />

Buchhandlung & Galerie Rudolf Ebel, Schütt<strong>in</strong>gstraße 7,<br />

- privat Hochhauser Straße 5, Rudolf Ebel 8. Juli 1907 – 25. Nov. 1994 (NWZ v. 03.12.1994)<br />

Anneliese Ebel 30. Okt. 1910 – 15. Sept. 1975<br />

Buchhandlung und Verlag He<strong>in</strong>z Holzberg, Haarenstraße 20,<br />

- privat Auguststraße 65, He<strong>in</strong>z Georg August Holzberg, 9. Aug. 1914 – 20. Nov. 2005 (NWZ<br />

v. 23.11.2005), Johanna Holzberg geb. Haeßle<strong>in</strong>, 11.Okt.1914 – 23. April 1983<br />

Buchhandlung Anna Thye vormals Schulz´esche Hofbuchhandlung, Damm 20,<br />

- privat Herrmann-Allmers-Weg 10, Anna Thye 4. Feb. 1902 – 11. Juni 1962<br />

(Oldb. Hauskalen<strong>der</strong> 1974)<br />

- alle <strong>Oldenburg</strong>, Adressangaben lt. Adressbuch <strong>Oldenburg</strong> 1940.<br />

Biographischen Angaben durch das Stadtarchiv <strong>Oldenburg</strong> 2017.<br />

65<br />

Auskunft des Landesverwaltungsamtes.<br />

66<br />

Aus e<strong>in</strong>em Brief von WGF an Dr. Karl Rothe, ehemaliger Oberbürgermeister von Leipzig und<br />

zu Zeiten großer För<strong>der</strong>er <strong>der</strong> dortigen Stadtbibliothek, 30.5.1948:<br />

[...] Ich habe wie<strong>der</strong> e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>en schönen „Film“ hier gehabt: als ich vom Bibliothekarstag<br />

wie<strong>der</strong>kam, <strong>der</strong> traditionell <strong>in</strong> <strong>der</strong> Pf<strong>in</strong>gstwoche stattfand, da hatte me<strong>in</strong>e Sekretär<strong>in</strong> hier <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Bibliothek angefangen, die Akten auszuson<strong>der</strong>n und [...] e<strong>in</strong>e Menge verbrannt. Das<br />

<strong>Die</strong>nstliche vermag ich, trotz aller dummen Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung für den Augenblick, die sich daraus<br />

ergibt, zu verschmerzen. Aber e<strong>in</strong>en Augenblick lang hat es mich sehr getroffen, daß auch<br />

me<strong>in</strong>e ganzen wissenschaftlichen Manuskripte aus den letzten drei Jahren verschwunden<br />

s<strong>in</strong>d. Und ich hatte doch gerade so e<strong>in</strong>en neuen und wirklichen Aufschwung genommen [...]<br />

67<br />

<strong>Die</strong> <strong>in</strong>zwischen sechsköpfige Familie lebte noch <strong>in</strong> 3 Zimmern, mit Geme<strong>in</strong>schaftsküche,<br />

ohne Bad (Röwekamp 21, Hochparterre).<br />

69<br />

In den Jahrzehnten danach gedieh die Arbeit an se<strong>in</strong>em Thema weitgehend zu e<strong>in</strong>er<br />

neuerlichen Materialsammlung und e<strong>in</strong>er deutlichen thematischen Ausweitung, die jedoch<br />

nur noch – wie von Barton (s.u.) beschrieben – zu e<strong>in</strong>igen kunsthistorischen Vorträgen zum<br />

Beispiel im Rahmen <strong>der</strong> „Literaria“ führte. (Zu <strong>der</strong>en Gründungsmitglie<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Baurat<br />

Hillerns gehörte – <strong>der</strong> Architekt des Zeughauses: <strong>der</strong> 1946 neuen Heimstatt <strong>der</strong> Bibliothek).<br />

Es war dies – über den zunächst vielleicht eher ikonographischen Ansatz h<strong>in</strong>aus –<br />

<strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e Fischers Beschäftigung mit <strong>der</strong> Wirkung, dem Gebrauch des Bildes als<br />

„virtueller Raum“:<br />

- <strong>in</strong> den Fresken und den Bildtapeten schon <strong>der</strong> frühen Neuzeit<br />

- <strong>in</strong> <strong>der</strong> illusionistischen Malerei<br />

- <strong>in</strong> Panoramen und Dioramen, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e bei „Grenzüberschreitungen“ <strong>in</strong> diesem<br />

Metier zum Beispiel durch Daguerre und durch Feuerbach: Mit Versuchen zu Tag- &<br />

Nachtbil<strong>der</strong>n, Geruchsszenarien, räumlich <strong>in</strong>stallierten Bühnen-Vor<strong>der</strong>gründen.<br />

Fischer führte damit se<strong>in</strong>e empfundene Berufung als [...“klassischer“...] Kunsthistoriker<br />

zusammen mit se<strong>in</strong>er Leidenschaft für bewegte Bil<strong>der</strong> („Filmclub“) und auch <strong>der</strong> Architektur.<br />

198


Se<strong>in</strong>em jüngsten Sohn hatte er abgerungen, vor <strong>der</strong> gewünschten Ausbildung zum Film-<br />

Kameramann e<strong>in</strong>en verlässlicher ersche<strong>in</strong>enden Broterwerb zu erlernen. Als Dank für jene <strong>in</strong><br />

Aussicht gestellte weitere Lehrzeit bot ihm dieser an, ihm nach Absolvierung se<strong>in</strong>es<br />

Architekturstudiums zunächst bei „se<strong>in</strong>em Buch“ als secretarius zur Hand zu gehen.<br />

Wenige Tage nach <strong>der</strong> letzten Diplomprüfung se<strong>in</strong>es filius als Architekt starb WGF.<br />

So blieb jene versprochene Funktion, Jahrzehnte später, für e<strong>in</strong> Büchle<strong>in</strong> des langjährigen<br />

Stellvertreters von WGF: Prof. Walter Barton, <strong>Die</strong> verlorene und die gefundene Bibliothek.<br />

Der Traum vom Film, den bewegten Bil<strong>der</strong>n, blieb unerfüllt.<br />

Literarisch-geselliger Vere<strong>in</strong> zu <strong>Oldenburg</strong> 1839 – 1989 –Festschrift- bearbeitet von Egbert<br />

Koolmann, <strong>Oldenburg</strong> 1989.<br />

Dar<strong>in</strong> aufgelistet die jeweiligen Vorträge <strong>der</strong> Mitglie<strong>der</strong>.<br />

Fischer gehört nach se<strong>in</strong>em Beitritt zu den Mitglie<strong>der</strong>n mit relativ zahlreichen und<br />

vergleichsweise regelmäßigen Beiträgen:<br />

04.11.1950 Das Historienbild im 19. Jahrhun<strong>der</strong>t<br />

16.02.1952 Alte Baukunst im <strong>Oldenburg</strong>ischen<br />

06.02.1954 Zur Europäischen Kunstgeschichte des Buche<strong>in</strong>bandes<br />

29.01.1955 Amerikanische Reisee<strong>in</strong>drücke: Bibliotheken und Erwachsenenbildung<br />

07.04.1956 Hans Freyers „Theorie des gegenwärtigen Zeitalters“<br />

13.04.1957 Zur Geschichte <strong>der</strong> künstlerischen Darstellung des Buches<br />

14.12.1957 Hem<strong>in</strong>gway<br />

09.04.1960 Deutsche Bibliothekspolitik<br />

25.03.1961 Das Bremer Universitätsgutachten<br />

24.03.1962 <strong>Die</strong> Darstellung des Buches <strong>in</strong> <strong>der</strong> bildenden Kunst des 19. und 20.<br />

Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />

04.04.1964 Henry Moore und e<strong>in</strong>ige Grundfragen <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Plastik<br />

02.04.1966 Delacroix, Revolutionsbild<br />

16.11.1968 Das E<strong>in</strong>trittsgeld fürs Panorama<br />

26.04.1969 Tizian<br />

17.04.1971 Paul Klee<br />

70<br />

IN MEMORIAM Wolfgang G. Fischer, Redaktion Paul Raabe. Schriften <strong>der</strong> <strong>Landesbibliothek</strong><br />

<strong>Oldenburg</strong> I, 1974. Dar<strong>in</strong>: Walter Barton, Brief an Wolfgang Fischer.<br />

71<br />

Und doch hat WGF noch neue Anläufe unternommen, se<strong>in</strong> Buch zu schaffen. Im Staatsarchiv<br />

<strong>Oldenburg</strong> bef<strong>in</strong>det sich se<strong>in</strong> Urlaubsantrag von 1960, mit <strong>der</strong> Begründung <strong>der</strong><br />

wissenschaftlichen Arbeitserfor<strong>der</strong>nis hierfür und auch e<strong>in</strong>er klaren <strong>in</strong>haltlichen Zielstellung,<br />

die sich hier auf se<strong>in</strong> Kernthema beschränkte, unter Umständen auch eher taktisch formuliert<br />

war – siehe Dokumenten-Anlage.<br />

Der Urlaub wurde ihm unter Fortfall <strong>der</strong> Bezüge gewährt – und reichte natürlich nicht im<br />

Ger<strong>in</strong>gsten für das Vorhaben.<br />

72<br />

Paul Raabe, „Blaubuch nationaler Kulture<strong>in</strong>richtungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bundesrepublik Deutschland“ :<br />

Kulturelle Leuchttürme Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-<br />

Anhalt, Thür<strong>in</strong>gen. Edition Leipzig, 2002<br />

199


73<br />

Auszug aus e<strong>in</strong>em Brief von WGF (aufgrund se<strong>in</strong>er Kriegsgefangenschaft noch <strong>in</strong> Jever)<br />

an se<strong>in</strong>e Frau (noch „Zuhause“ <strong>in</strong> Leipzig) vom 27.04.1946:<br />

[...] Also nun vom Freitag: mit dem Bus nach O., doch e<strong>in</strong> wenig antichambrieren, dann also<br />

zu Kästner, <strong>der</strong> <strong>in</strong>zwischen Staatsm<strong>in</strong>ister geworden ist. D. h. also er ist nicht bleiben<strong>der</strong><br />

Beamter, son<strong>der</strong>n vom Landtag abhängig. Derzeit allerd<strong>in</strong>gs beruht se<strong>in</strong>e Stellung noch auf<br />

Ernennung durch die Englän<strong>der</strong> über die Wahl e<strong>in</strong>es neuen Landtags ist noch nichts<br />

bekannt. [...].<br />

Auszug aus e<strong>in</strong>em Brief von WGF an se<strong>in</strong>e Frau vom 01.05.1946:<br />

[...] Kästner hätte mich am liebsten am 1. Mai hier antreten sehen, aber so schnell habe ich<br />

we<strong>der</strong> Wohnung noch Abmeldung noch sonstwas. Und ich muß auch noch mal über Land<br />

nach Vorräten, denn ich fürchte mich e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong> wenig vor dem Hunger <strong>in</strong> O. [...].<br />

Am 12.05.1946 schreibt WGF den ersten Brief an se<strong>in</strong>e Frau von se<strong>in</strong>em neuen Wirkungskreis<br />

aus: <strong>der</strong> <strong>Landesbibliothek</strong> <strong>in</strong> <strong>Oldenburg</strong>, noch <strong>in</strong> ihrer Notunterkunft im Schloß: mit<br />

großen Zweifeln daran, dass es e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>facher Weg werden könne <strong>in</strong> <strong>Oldenburg</strong> „...Habe ich<br />

doch noch nicht e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong> passendes Zimmer f<strong>in</strong>den können...“<br />

Viel entscheiden<strong>der</strong> s<strong>in</strong>d aber die Zweifel h<strong>in</strong>sichtlich <strong>der</strong> Verhältnisse <strong>der</strong> Bibliothek: „...die<br />

Leute wie<strong>der</strong> voranzukriegen, wird ke<strong>in</strong> leichtes Stück...“ An<strong>der</strong>erseits wird e<strong>in</strong> Beweggrund<br />

für se<strong>in</strong>e Entscheidung, nicht an die Stadtbibliothek nach Leipzig zurückzukehren, son<strong>der</strong>n<br />

den Neuanfang <strong>in</strong> <strong>Oldenburg</strong> zu versuchen deutlich: „...die Notwendigkeit dieses Institutes [<strong>in</strong><br />

<strong>Oldenburg</strong>] ist nicht erst zu schaffen, wie das <strong>in</strong> Leipzig mit <strong>der</strong> Stabi im Grunde doch ist, hier<br />

ist e<strong>in</strong> dr<strong>in</strong>gendes Bedürfnis so deutlich....“<br />

Weitere Auszüge und Briefe <strong>in</strong>: Walter Barton, Aus persönlichen Briefen Wolfgang Günther<br />

Fischers zur Bibliothekssituation <strong>in</strong> <strong>Oldenburg</strong> 1945 – 1954, <strong>in</strong>: Hrsg. Egbert Koolmann, EX<br />

BIBLIOTHECA OLDENBURGESI, Bibliothekarische Untersuchungen aus Anlaß des<br />

200jährigen Bestehens <strong>der</strong> <strong>Landesbibliothek</strong> <strong>Oldenburg</strong>, <strong>Oldenburg</strong> 1992.<br />

Hier<strong>in</strong> ebenfalls enthalten alle zeitgenössischen Abbildungen <strong>der</strong> <strong>Landesbibliothek</strong> <strong>Oldenburg</strong><br />

an <strong>der</strong> Ofener Straße, die zur Illustration des Orig<strong>in</strong>alkonzepts hier erneut unverzichtbar s<strong>in</strong>d,<br />

angesichts <strong>der</strong> Aufnahmen des Verfassers erst bereits im Nie<strong>der</strong>gang des Hauses.<br />

74<br />

Für Paul Raabe wichtiger und präsenter geworden ist <strong>in</strong> jenen Jahren sicherlich <strong>der</strong> Kontakt<br />

zu Erhart Kästner - zweifellos über me<strong>in</strong>en Vater entstanden – dem Raabe dann aber eben<br />

nicht nur zweimal als Direktor e<strong>in</strong>er bedeutenden Bibliothek folgte, son<strong>der</strong>n <strong>in</strong> dessen Umfeld<br />

er reüssierte.<br />

Nun war dieses die große Zeit <strong>der</strong> Strippenzieher, <strong>der</strong> „Kultur-Macher“, was Vor- und<br />

Nachteile hat: man kannte sich, man konnte mit Augenmaß för<strong>der</strong>n und for<strong>der</strong>n, aber eben<br />

auch se<strong>in</strong>e Stellung für eigene Überzeugungen nutzen, im Guten, wie im Bösen.<br />

Was jeweils im Vor<strong>der</strong>grund stand, müssen an<strong>der</strong>e entscheiden, und war dieses Problem nur<br />

e<strong>in</strong>e Facette <strong>in</strong> rastlosem Leben. Raabe selber ist sicherlich unverdächtig.<br />

Er war verheiratet mit <strong>der</strong> Schwester des Schriftstellers Holthusen, die auch dessen Nachlass<br />

bearbeitete. Holthusen [1913 – 1997] war aufgrund se<strong>in</strong>er SS-Vergangenheit – wie auch<br />

200


Kästner als Kriegsberichterstatter – e<strong>in</strong>e nicht unumstrittene Figur. Während Kästners Bücher<br />

bei Neuauflagen von extremen Tiraden bere<strong>in</strong>igt wurden [Zitat wikipedia 2017: ...<br />

Erhart Kästner [1904 – 1974] galt lange Zeit als e<strong>in</strong>er <strong>der</strong> „leisen“ Schriftsteller <strong>der</strong> deutschen<br />

Nachkriegsära. Se<strong>in</strong>e stilistisch geschliffenen und kunstvoll komponierten Prosawerke<br />

passten bei ihrem Ersche<strong>in</strong>en <strong>in</strong> den fünfziger und sechziger Jahren gut zum allgeme<strong>in</strong>en<br />

Wunsch nach Verdrängung „Über das Dunkle ist zu schweigen“ (Zitat Erhart Kästner)], führte<br />

Holthusen Nachkriegsengagement u. a. als Leiter <strong>der</strong> Literaturabteilung <strong>der</strong> Berl<strong>in</strong>er<br />

Akademie <strong>der</strong> Künste zu e<strong>in</strong>em Eklat - Zitat wikipedia 2017: Dort kam es 1960 zu e<strong>in</strong>er<br />

öffentlichen Diskussion um se<strong>in</strong>e politische Vergangenheit: Holthusen saß <strong>in</strong> <strong>der</strong> Jury für die<br />

Vergabe des Fontane-Preises, und die designierte Preisträger<strong>in</strong>, die während <strong>der</strong> NS-Zeit<br />

emigrierte Lyriker<strong>in</strong> Mascha Kaléko lehnte es ab, e<strong>in</strong>e Auszeichnung aus <strong>der</strong> Hand e<strong>in</strong>es<br />

langjährigen SS-Mannes entgegenzunehmen. In <strong>der</strong> Folge erhielt Kaléko den Fontane-Preis<br />

nicht. [5] In <strong>der</strong> ZeitschriftMerkur publizierte Holthusen 1966 e<strong>in</strong>en Er<strong>in</strong>nerungsbericht mit dem<br />

Titel Freiwillig zur SS, [6] worauf <strong>der</strong> von <strong>der</strong> SS gefolterte Jean Améry mit e<strong>in</strong>em offenen Brief<br />

reagierte: „Sie g<strong>in</strong>gen zur SS, freiwillig“, schreibt Améry an Holthusen. „Ich kam an<strong>der</strong>swoh<strong>in</strong>,<br />

ganz unfreiwillig.“ [7]<br />

1968–74 war Holthusen Präsident <strong>der</strong> Bayerischen Akademie <strong>der</strong> Schönen Künste. Im<br />

akademischen Jahr 1981/1982 war er Fellow am neu gegründeten Wissenschaftskolleg zu<br />

Berl<strong>in</strong>. Aus <strong>der</strong> Berl<strong>in</strong>er Akademie <strong>der</strong> Künste trat er 1983 aus, nachdem die<br />

Akademiemitglie<strong>der</strong> Günter Grass und He<strong>in</strong>rich Böll sich se<strong>in</strong>er Me<strong>in</strong>ung nach zu stark<br />

politisch engagiert hatten (etwa durch ihre Kritik am NATO-Doppelbeschluss).<br />

<strong>Die</strong> Neu- und Erweiterungsbauten des Wissenschaftskollegs Berl<strong>in</strong> wurden seit 1981 durch<br />

das Büro des Verfassers erstellt.<br />

<strong>Die</strong> Gedenktafel für Mascha Kaléko bef<strong>in</strong>det sich am Kurfürstendamm Nähe Bleibtreustraße.<br />

75<br />

Paul Raabe, Er<strong>in</strong>nerungen an Doktor Fischers erste <strong>Oldenburg</strong>er Jahre.<br />

In: In Memoriam Wolfgang G. Fischer * 1905 – 1973, Schriften <strong>der</strong> <strong>Landesbibliothek</strong><br />

<strong>Oldenburg</strong> !, Verlag He<strong>in</strong>z Holzberg, <strong>Oldenburg</strong> 1974<br />

76<br />

Ich habe Paul Raabe als umtriebigen, bisweilen wenig skrupulösen Macher erlebt: eher e<strong>in</strong><br />

„Kultur-Manager“, und als solcher letztendlich auf hohem Niveau erfolgreich.<br />

Anhand e<strong>in</strong>es <strong>in</strong>direkten Kontakts bereits e<strong>in</strong>ige Jahre nach dem Tod me<strong>in</strong>es Vaters hatte er<br />

von me<strong>in</strong>er Tätigkeit als Architekt erfahren und fragte mich – <strong>der</strong> ich sehr jung und gerade<br />

eher unfreiwillig <strong>in</strong> die Selbständigkeit geraten - um e<strong>in</strong>e Stellungnahme zu dem<br />

Neubauentwurf des Anna-Vorwerk-Haus <strong>in</strong> Wolfenbüttel: e<strong>in</strong>er Lückenschließung im<br />

historischen Kontext für se<strong>in</strong> Bibliotheks-Quartier an Bibliothek, Zeughaus und Less<strong>in</strong>g-Haus,<br />

den ihm e<strong>in</strong> bundesweit sehr renommiertes Büro vorgeschlagen hatte.<br />

Me<strong>in</strong>e begründete Kritik schien ihn zu überzeugen und er fragte mich, doch e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong> entsprechend<br />

modifiziertes Konzept zu versuchen, wenn auch hierfür zunächst unhonoriert.<br />

Auf dem Weg zu <strong>der</strong> Präsentation unseres Gegenentwurfs noch am Tag vor Weihnachten<br />

geriet ich <strong>in</strong> gefrierendem Nebel auf <strong>der</strong> Autobahn <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Massenkarambolage, stand zwei<br />

Stunden zwischen zerbeulten Autos e<strong>in</strong>gekeilt, mit dem Blick auf e<strong>in</strong>en langsam gefrierenden<br />

Toten, seltsam unbeschädigt ersche<strong>in</strong>end, am Straßenrand, den ich aus <strong>der</strong> Berl<strong>in</strong>er Szene<br />

kannte – die Bergung <strong>der</strong> Verletzten hatte Vorrang. Als ich Raabe am Telefon, noch <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Zeit, daraufh<strong>in</strong> absagte, war die Verächtlichkeit <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Stimme greifbar: fuhr er doch, wie<br />

berichtet wurde, stetig Vollgas.<br />

Was e<strong>in</strong>en wun<strong>der</strong>n konnte, verfügte er mit se<strong>in</strong>em langen Körper über ungelenk ersche<strong>in</strong>ende<br />

Bewegungen, und se<strong>in</strong>e Stimme hatte e<strong>in</strong>en eher gleichförmig bedächtig fließenden<br />

Klang.<br />

201


Mit me<strong>in</strong>er Absage an diesem Tag aber war <strong>der</strong> Kontakt abgerissen, auf das nunmehr per<br />

Post übersandte Konzept erhielten wir ke<strong>in</strong>erlei Nachricht mehr.<br />

Umso erstaunter war ich, als ich dann später unser Entwurfskonzept, das ja <strong>in</strong> <strong>der</strong> Eile nicht<br />

fertig gewesen und nicht <strong>in</strong> allen Teilen schon konsequent, sicherlich noch nicht unsere beste<br />

Arbeit, durch jenes renommierte Büro <strong>in</strong> wesentlichen Teilen realisiert sah – wenn auch <strong>in</strong><br />

ausgerechnet den entscheidenden Überlegungen unverstanden.<br />

E<strong>in</strong>e zweite Gelegenheit blieb uns beiden dann erspart, wenn auch nur knapp.<br />

Kurz nach <strong>der</strong> Maueröffnung wurde ich – wahrsche<strong>in</strong>lich neben an<strong>der</strong>en – e<strong>in</strong>geladen, die<br />

Franckeschen Stiftungen <strong>in</strong> Halle als Architekt zu betreuen.<br />

Schwer bee<strong>in</strong>druckt von den Baulichkeiten, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e aber von <strong>der</strong> grandiosen<br />

Bibliothek, kam ich, wiewohl <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> viel beschäftigt <strong>in</strong> jenen Zeiten, doch <strong>in</strong>s Grübeln, bis<br />

ich <strong>in</strong> die Gesichter <strong>der</strong> Kommissionsmitglie<strong>der</strong> sah: <strong>in</strong> die <strong>der</strong>jenigen, die sich <strong>in</strong><br />

schwierigsten DDR-Zeiten um diese Bauten gekümmert, und die nunmehr abgewickelt<br />

wurden, und <strong>in</strong> die <strong>der</strong> neuen Strippenzieher. So b<strong>in</strong> ich von dannen gefahren.<br />

Kurze Zeit später wurde Paul Raabe Direktor <strong>der</strong> Frankeschen Stiftungen und führte sie bis<br />

zu se<strong>in</strong>em Ausscheiden im Jahr 2000 unzweifelhaft zu neuen Höhen.<br />

77<br />

Laut se<strong>in</strong>er brieflichen Äußerungen traf sich WGF <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Auffassungen zu Aufgaben und<br />

Ziel bibliothekarischer Arbeit und E<strong>in</strong>richtungen sehr weitgehend mit dem späteren<br />

<strong>Oldenburg</strong>er Staatsm<strong>in</strong>ister Fritz Kästner. (Angabe E. Koolmann <strong>in</strong> EX BIBLIOTECA...)<br />

Da, wie beschrieben, <strong>der</strong> E<strong>in</strong>fluss des späteren Wolfenbütteler Bibliotheksdirektors Erhard<br />

Kästners auf Raabe späterh<strong>in</strong> sicherlich bedeuten<strong>der</strong> war, sei dah<strong>in</strong> gestellt, wessen Erbe<br />

Raabe wirklich teilte.<br />

Erhard Kästner und WGF kannten sich aus ihrer jeweiligen Arbeit für die Gutenberg-<br />

Ausstellung <strong>in</strong> Leipzig, wahrsche<strong>in</strong>lich auch schon aus ihrer bei<strong>der</strong> bibliothekarischen<br />

Ausbildung. Insofern darf man vielleicht vermuten, dass das „Samenkorn“ bereits <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Leipziger Studienzeit gelegt wurde und dann durch Beide und bei<strong>der</strong> Lehrl<strong>in</strong>ge verbreitet.<br />

WGF beugt sich über die rara <strong>der</strong> <strong>Landesbibliothek</strong><br />

202


78<br />

Fundstück aus dem Nachlass Drs. Wolfgang G. und Hildegard Fischer, geb. Reisig<br />

<br />

79<br />

Aus e<strong>in</strong>em Brief von WGF an Dr. Karl Rothe, Leipzig, 30.5.1948:<br />

[...] <strong>Die</strong> hiesigen Verhältnisse s<strong>in</strong>d durch den Übergang <strong>Oldenburg</strong>s an Nie<strong>der</strong>sachsen sehr<br />

undurchsichtig geworden. <strong>Die</strong> vielversprechenden Ansätze [...] s<strong>in</strong>d recht verkümmert; sie<br />

haben ioffenkundig mehr als ich ahnen konnte an <strong>der</strong> e<strong>in</strong>en Person des alten Theodor<br />

Tantzen-Her<strong>in</strong>g gehangen, während jetzt die sogenannten Rechtsparteien e<strong>in</strong>en<br />

rücksichtslosen Besitzstandpunkt e<strong>in</strong>nehmen [...]<br />

Daß man selbst bei e<strong>in</strong>er Übersiedlung <strong>in</strong>nerhalb Deutschlands die ganzen Lasten e<strong>in</strong>es<br />

Dase<strong>in</strong>s <strong>in</strong> <strong>der</strong> „Emigration“ würde zu spüren bekommen, das habe ich mir dann doch nicht<br />

ganz träumen lassen. [...].<br />

80<br />

<strong>Die</strong> <strong>Landesbibliothek</strong> geriet zudem 1948 – wie auch an<strong>der</strong>e wissenschaftliche und kulturelle<br />

E<strong>in</strong>richtungen - nach dem Verlust <strong>der</strong> Eigenständigkeit <strong>Oldenburg</strong>s <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Streit um die<br />

direkte Zuständigkeit zwischen dem Regierungspräsidenten des nunmehrigen Verwaltungsbezirks<br />

und dem Kultusm<strong>in</strong>isterium des 1946 neu gegründeten Landes Nie<strong>der</strong>sachsen, was<br />

zu langjährigen Spannungen und wahrsche<strong>in</strong>lich auch Blockaden führte.<br />

Vgl. auch Auszüge im Dokumentenanhang 4 nachfolgend.<br />

81<br />

Am Alten Gymnasium <strong>in</strong> <strong>Oldenburg</strong> sammelte sich wohl <strong>in</strong> beson<strong>der</strong>s unglücklicher Weise<br />

e<strong>in</strong>e Mischung aus frustrierten, ausgebrannten Kriegsheimkehrern und ehemals überzeugten<br />

Parteigängern zWV = „zur Wie<strong>der</strong>-Verwendung“.<br />

Auch wenn <strong>der</strong> damalige Direktor Dr. Peter Lamp (1898 – 1971) selber solcher Überzeugungen<br />

unverdächtig, ja <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nazizeit eher wi<strong>der</strong>ständig gewesen war, so war das<br />

Kollegium doch stark durchsetzt: nicht offen altem Gedankengut verhaftet, son<strong>der</strong>n<br />

SCHWEIGEND. Sogar <strong>der</strong> unglückliche Zeichenlehrer, dem ich eigentlich e<strong>in</strong> literarisches<br />

Denkmal setzen wollte wegen se<strong>in</strong>er behutsamen H<strong>in</strong>weise auf baukünstlerische Aspekte,<br />

den wir Schüler aber umso gnadenloser verfolgten, erwies sich bei tieferer Forschung als<br />

solcher Couleur.<br />

Nach fünfzig Jahren hatte ich nunmehr e<strong>in</strong>en an<strong>der</strong>en Lehrer wie<strong>der</strong>gefunden, dessen<br />

Unterricht ich als herausragend er<strong>in</strong>nerte – und ihn zu se<strong>in</strong>em damaligen abschiedslosen<br />

Weggang befragt – se<strong>in</strong> Urteil trifft, übertrifft me<strong>in</strong>es: reaktionär!<br />

In den Achtziger und Neunziger Jahren hat dieses Institut wohl für e<strong>in</strong>e Zeit e<strong>in</strong>en <strong>in</strong>tellektuellen<br />

Neuanfang gefunden, und damalige Schüler er<strong>in</strong>nern sich mit gewisser Begeisterung.<br />

Me<strong>in</strong>e Brü<strong>der</strong> und ich aber verzweifelten an dieser Schule und an diesem Milieu.<br />

203


82<br />

Tief e<strong>in</strong>gebrannt <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er Er<strong>in</strong>nerung: im Zuge <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>bewaffnung erhielt <strong>Oldenburg</strong><br />

starke Militärpräsenz. Zur „E<strong>in</strong>weihung“ des örtlichen Panzerbataillons fand e<strong>in</strong>e große<br />

Militärparade statt, <strong>in</strong> <strong>der</strong>en Verlauf <strong>der</strong> damalige Verteidigungsm<strong>in</strong>ister Franz Josef Strauß<br />

im offenen Wagen vorbeifuhr, zwischen den Panzerfahrzeugen, gefolgt von noch vielen.<br />

E<strong>in</strong>ige Mitschüler und ich, noch SEHR jung damals, skandierten e<strong>in</strong> Zitat von Strauß:<br />

Wer nach diesem Krieg nochmals e<strong>in</strong> Gewehr anfasst, dem soll die Hand abfallen!<br />

Wir wurden von Passanten jämmerlich verprügelt, niemand half, auch die zahlreich<br />

anwesenden Polizisten nicht. <strong>Die</strong>ses steht lei<strong>der</strong> s<strong>in</strong>nbildlich für me<strong>in</strong>e <strong>Oldenburg</strong>er<br />

Erfahrungen, auch noch lange danach.<br />

83<br />

Aus e<strong>in</strong>em Brief von WGF an die Bibliothekar<strong>in</strong> Helene Schmidt, geb. Krug, 11.9.1949:<br />

[...] darf mich für die Zukunft u.U. als Direktor zwar, aber e<strong>in</strong>es so kümmerlichen Institutes<br />

bezeichnen, daß das man bloß ne bessere gescheiterte Existenz ist – und dann hilft mir<br />

sicherlich we<strong>der</strong> Büchereistelle Volkshochschule übern Berg, son<strong>der</strong>n alles bleibt dann<br />

zusätzlich vertaner Aufwand von ach so knappen Seelenkräften [...] Und ich war so schön im<br />

Zuge mit me<strong>in</strong>en Vorlesungen hier, daß ich dachte, b<strong>in</strong>nen kurzem mal e<strong>in</strong> bedeutendes<br />

wissenschaftliches Buch ersche<strong>in</strong>en lassen zu können [...]. aber erstens hat me<strong>in</strong>e Sekretär<strong>in</strong><br />

[...] die Manuskripte verbrannt, zweitens kenne ich nur noch pleite Verleger – und schließlich<br />

s<strong>in</strong>d ja doch die ungeschriebenen Werke die viel bedeuten<strong>der</strong>en.<br />

Der Ausbau <strong>der</strong> Bibliothek war zu diesem Zeitpunkt aufgrund fehlen<strong>der</strong> Mittel zeitweise zum<br />

Stillstand gekommen, WGF stand aufgrund ebenfalls fraglicher Beschaffungsmittel zudem<br />

unter großem auch persönlichen Druck, da zur Rettung <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e <strong>der</strong> Zeitschriftenbestände<br />

wie<strong>der</strong>holt Lieferverpflichtungen bei <strong>Oldenburg</strong>er Buchhändlern e<strong>in</strong>gegangen war.<br />

<strong>Die</strong>se Schwierigkeiten verschärften sich nachfolgend weiter.<br />

Aus e<strong>in</strong>em Brief von WGF an die Witwe se<strong>in</strong>es Leipziger Lehrers, des Kunsthistorikers<br />

Theodor Hetzer, Charlotte Hetzer, 27.12.1950:<br />

[...] Wenn ich jetzt am Jahresende überschaue, was geplant war und was verwirklicht ist, so<br />

habe ich Grund, nie<strong>der</strong>geschlagen zu se<strong>in</strong>. Eigentlich nur <strong>in</strong> <strong>der</strong> Volkshochschule ist es<br />

wirklich vorwärts gegangen und vor allem habe ich die Hauptlast dieser Geschäfte auf e<strong>in</strong>e<br />

hauptamtliche Kraft abwälzen können, sodaß ich hoffte, bald wie<strong>der</strong> eigene Vorlesungen<br />

halten zu können. Aber lei<strong>der</strong> werden sie zuerst mehr auf dem bibliothekarischen Gebiet<br />

liegen müssen denn auf kunsthistorischem. Sonst aber ist alles noch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schwebe<br />

geblieben – ich weiß noch nicht, ob <strong>der</strong> Ausbau <strong>der</strong> Bibliothek steckenbleiben soll. <strong>Die</strong> letzte<br />

Baumaßnahme, e<strong>in</strong> Magaz<strong>in</strong>teil, war im Frühjahr, längst s<strong>in</strong>d die dar<strong>in</strong> unterzubr<strong>in</strong>genden<br />

Bücher aufgestellt – und nun? <strong>Die</strong> Vermehrung <strong>der</strong> Bücherbestände im bisherigen Umfange<br />

hatte mich <strong>in</strong> tiefe, ungedeckte Schulden getrieben [...] ich habe noch ke<strong>in</strong>en Überblick, ob<br />

ich <strong>in</strong> Zukunft die nötigen Mittel bekommen kann (die jetzigen, für Beamtenbegriffe an<br />

Hochstapelei grenzenden Manipulationen kann ich nicht noch e<strong>in</strong>mal riskieren!) <strong>Die</strong><br />

notwendige Personalvermehrung ist zwar seit langem verhandelt, aber noch nicht genehmigt.<br />

Und ebenso schwebt die Entscheidung [...] für die Arbeit <strong>der</strong> volkstümlichen Büchereien auf<br />

dem Lande [...].<br />

84<br />

Schönheit w<strong>in</strong>kt Abschied. Aufnahme aus dem WGF von <strong>der</strong> Belegschaft <strong>der</strong> <strong>Landesbibliothek</strong><br />

zur Pensionierung 1969 überreichten Album, die junge Frau <strong>in</strong> <strong>der</strong> Aufnahme<br />

damals sicherlich jener zugehörig. Me<strong>in</strong> Vater wird solch lebendiges Bild genossen haben.<br />

85<br />

Hans Wagensche<strong>in</strong> 18.02.1890 – 30.01.1974, NWZ v. 31.01.1978 (Stadtarchiv <strong>Oldenburg</strong>).<br />

204


86<br />

Walter Barton, Staatliche Büchereiarbeit im Lande <strong>Oldenburg</strong>, <strong>Landesbibliothek</strong> und<br />

Volksbüchereistelle 1934 – 1949, <strong>in</strong>:<br />

Egbert Koolmann (Hrsg.), EX BIBLIOTHECA OLDENBURGIS, <strong>Oldenburg</strong> 1992<br />

87<br />

NLA OL, Rep. 410, Akz. 82 Nr. 211.<br />

88<br />

Vermutlich Ernst Aulenbaucher, im Adressbuch <strong>der</strong> Stadt <strong>Oldenburg</strong> 1940 aufgeführt als:<br />

E. Aulenbacher, Bibliotheks-Inspektor, Ernst Aulenbacher, Gerichtsreferendar,<br />

beide Damm 9. Vgl. auch NLA OL Rep 740 Best. 170-1 Nr. 19 (1907-1938).<br />

Ernst Aulenbacher war von 1946 bis zu se<strong>in</strong>em Tod 1965 <strong>in</strong> <strong>Oldenburg</strong> als Anwalt tätig.<br />

89<br />

Kunsthandlung und Antiquariat Moritz Landsberg, zusammen mit se<strong>in</strong>en Söhnen Otto<br />

Landsberg und Walter Landsberg.<br />

Als Erwerber <strong>in</strong> <strong>der</strong> Literatur aufgeführt: Kunsthandlung He<strong>in</strong>rich F. Jördens, Bremen,<br />

11.07.1937. Jan-Pieter Barbian, Literaturpolitik im NS-Staat dtv 1993/95.<br />

90<br />

Ausschluß aus den Berufsverbänden im Herbst 1935. Jan-Pieter Barbian a.a.O.<br />

91<br />

Verhaftung <strong>der</strong> Familie Otto und Martha Landsberg am 10.11.1938 <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Reichsprogromnacht, Rettung <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> Hans und Ursula Landsberg am 01.12.1938 durch<br />

e<strong>in</strong>en K<strong>in</strong><strong>der</strong>transport nach England, die Eltern konnten noch unmittelbar vor Kriegsausbruch<br />

am 24.08.1939 ebenfalls nach England ausreisen.<br />

Vater Moritz Landsberg 13.02.1856 – 22.11.1940 (Suizid).<br />

Walter Landsberg 13.09.1892 – Todesdatum unbekannt (Auschwitz).<br />

Quelle: Er<strong>in</strong>nerungsbuch für die jüdischen NS-Opfer aus <strong>Oldenburg</strong> / onl<strong>in</strong>e-Projekt<br />

92<br />

Dr. Hermann Lübb<strong>in</strong>g, 06.02.1901 – 10.04.1968 (Oldb. Hauskalen<strong>der</strong> v. 1979), Stadtarchiv.<br />

93<br />

Aus e<strong>in</strong>em Brief von WGF an se<strong>in</strong>e Frau, 21.11.1946:<br />

Lübb<strong>in</strong>g erzählte mir, dass er e<strong>in</strong>en Bericht geschrieben habe betr. se<strong>in</strong>e Archivfragen, wor<strong>in</strong><br />

er um Entlastung von <strong>der</strong> Bibliothek gebeten habe, charakteristischerweise hat er ihn mir<br />

aber nicht zu lesen gegeben. Ich muß dieser Tage mal wie<strong>der</strong> <strong>in</strong>s M<strong>in</strong>isterium krebsen gehen<br />

(auch dafür war ke<strong>in</strong>e Zeit gewesen), um zu hören und vielleicht diesen Schrieb auch zu<br />

sehen und zu besprechen. Ich habe auch nix mehr von <strong>der</strong> großen Beamtenschöpfung<br />

gehört und ob sie noch durchgegangen ist, ehe die Sperrbestimmung aus Hannover da war,<br />

<strong>der</strong>zeit können nämlich ke<strong>in</strong>e Neue<strong>in</strong>stellungen passieren. Kästner ist kaum zu erwischen,<br />

auch Heise hat ihn nicht gesprochen, aber noch wird unentwegt die <strong>Oldenburg</strong>er Fahne<br />

geführt – ob sie sie wirklich erst <strong>in</strong> <strong>der</strong> Silvesternacht streichen wollen, was mich doch sehr<br />

amüsieren möchte – ich werde Kästner e<strong>in</strong>en solemnen Grog vorschlagen, damit es am<br />

nächsten Tag e<strong>in</strong>en echten Kater gäbe.<br />

205


94<br />

Beispielhaft für das Verhältnis bei<strong>der</strong> mag folgende Szene stehen:<br />

Zum 60. Geburtstag von Wolfgang G. Fischer gaben die Eheleute e<strong>in</strong>en großen Empfang.<br />

Unter den frühen Gästen kam auch Dr. Lübb<strong>in</strong>g und überreichte me<strong>in</strong>em Vater Noten und<br />

Text e<strong>in</strong>er selbst komponierten Ode als Geschenk, wenn ich mich recht er<strong>in</strong>nere auf <strong>der</strong><br />

Basis <strong>der</strong> <strong>Oldenburg</strong>er Hymne „Heil Dir, oh <strong>Oldenburg</strong>“, mit Widmung. Me<strong>in</strong>em Vater gefror<br />

das Lächeln ob dieses ja sehr persönlichen Geschenks und er tat es mit dem notwendigsten<br />

Dank achtlos zur Seite.<br />

Hermann Lübb<strong>in</strong>g aber mischte sich mit verlegenem Lächeln unter das Volk wie e<strong>in</strong> Schüler,<br />

<strong>der</strong> beim Vorsprechen versagte – was mir begreiflich erschien.<br />

95<br />

Zitiert nach wikipedia (Auszüge):<br />

<strong>Die</strong> <strong>Oldenburg</strong>ische Landschaft ist e<strong>in</strong>e Körperschaft des öffentlichen Rechts mit Sitz im<br />

nie<strong>der</strong>sächsischen <strong>Oldenburg</strong>. Sie hat den gesetzlichen Auftrag, an <strong>der</strong> Pflege und<br />

För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> historischen und kulturellen Belange des ehemaligen Landes <strong>Oldenburg</strong><br />

mitzuwirken.<br />

<strong>Die</strong> <strong>Oldenburg</strong>ische Landschaft zählt trotz ihres Namens nicht zu den historischen<br />

Landschaften des Landes Nie<strong>der</strong>sachsen. Als Körperschaft des öffentlichen Rechts<br />

unterscheidet sie sich – wie auch die Ostfriesische Landschaft – von den übrigen<br />

Landschaftsverbänden Nie<strong>der</strong>sachsens, die Vere<strong>in</strong>sstatus besitzen. Hervorgegangen ist die<br />

<strong>Oldenburg</strong>ische Landschaft 1974 aus <strong>der</strong> 1961 gegründeten <strong>Oldenburg</strong>-Stiftung e.V..<br />

Pflichtmitglie<strong>der</strong> s<strong>in</strong>d von Gesetzes wegen die sechs Landkreise Ammerland, Cloppenburg,<br />

Friesland, <strong>Oldenburg</strong>, Vechta und Wesermarsch sowie die drei kreisfreien Städte<br />

Delmenhorst, <strong>Oldenburg</strong> (Oldb) und Wilhelmshaven. <strong>Die</strong>s entspricht dem Gebiet des 1946 im<br />

neu gebildeten Land Nie<strong>der</strong>sachsen aufgegangenen Landes <strong>Oldenburg</strong>.<br />

<strong>Die</strong> <strong>Oldenburg</strong>ische Landschaft besitzt wie die an<strong>der</strong>en Landschaften und<br />

Landschaftsverbände <strong>in</strong> Nie<strong>der</strong>sachsen hauptsächlich kulturelle Aufgaben. Sie nimmt im<br />

Auftrage ihrer Gebietskörperschaften und des Landes Nie<strong>der</strong>sachsen Aufgaben auf den<br />

Gebieten Kultur, Naturschutz, Wissenschaft und Bildung wahr und unterhält dazu<br />

entsprechende Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaften.<br />

96<br />

- WGF – <strong>Landesbibliothek</strong>, Fachstelle für Öffentliches Büchereiwesen, Volkshochschule<br />

- Wolfgang Hartung, Prof., 18.02 1907 Berl<strong>in</strong> – 03.06 1995 <strong>Oldenburg</strong>, Geologe,<br />

1945 – 1972 Direktor des Museums für Naturkunde und Vorgeschichte <strong>Oldenburg</strong><br />

- Herbert Wolfgang Keiser, 1913 – 1984, 1952 – 1978 Direktor des Landesmuseums<br />

97<br />

WGF, wahrsche<strong>in</strong>lich Sechziger Jahre.<br />

<strong>Die</strong>se Aufnahme des „lachenden Fischer“, das e<strong>in</strong>zige Exemplar, wurde von <strong>der</strong> Witwe nach<br />

dem Tod an die örtliche Zeitung gegeben – und für den Nachruf nicht verwendet.<br />

Dank <strong>der</strong> Aufmerksamkeit <strong>der</strong> Sachbearbeiter<strong>in</strong> erhielt ich sie 40 Jahre später zurück, als ich<br />

nach Aufnahmen für die geplante Veröffentlichung von W. Barton, <strong>Die</strong> verlorene und die<br />

gefundene Bibliothek (Manuskript <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Landesbibliothek</strong> <strong>Oldenburg</strong>) suchte. Danke!<br />

98<br />

Der deprimierend zähe Ausbau des ehemaligen Zeughauses zur <strong>Landesbibliothek</strong> ist ganz<br />

sicherllich primär auf die nur spärlich fließenden Mittel zurückzuführen – zunächst als Kriegsfolge,<br />

dann wahrsche<strong>in</strong>lich auch den Animositäten <strong>in</strong> den Landesverwaltungen zwischen<br />

<strong>Oldenburg</strong> und Hannover im neu gegründeten Land Nie<strong>der</strong>sachsen geschuldet.<br />

Zudem war das Beharren von WGF auf dem hier dargestellten INHALTLICHEN Konzept<br />

nicht dazu angetan, ihm För<strong>der</strong>er des Projektes im zuständigen Bauamt zu schaffen.<br />

206


99<br />

Bauschild <strong>der</strong> „ewigen Baustelle“ <strong>Landesbibliothek</strong><br />

Me<strong>in</strong>e „Kanzel“ im Röwekamp 21: <strong>der</strong> W<strong>in</strong>tergarten~ 1958. Der Garten mit den großen Obstbäumen<br />

– Boskop, Gute Luise u.a. – und mit Blick auf die Häuser an <strong>der</strong> Hochhauser Straße.<br />

100<br />

<strong>Die</strong>ses Bild, aufgenommen durch den Photographen <strong>der</strong> Bausparer-Zeitschrift des Beamten-<br />

Heimstättenwerks, mit <strong>der</strong> <strong>in</strong>szenierten Idylle und dafür ausgeliehenem Sonnenschirm, löste<br />

wegen ihrer Spießigkeit e<strong>in</strong>en Sturm <strong>der</strong> Empörung aus bei me<strong>in</strong>en Eltern und Brü<strong>der</strong>n.<br />

<strong>Die</strong> an<strong>der</strong>en hier veröffentlichten Aufnahmen zu diesem Haus s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>e Reaktion hierauf –<br />

zumeist verfertigt durch me<strong>in</strong>en großen Bru<strong>der</strong> Ludwig Fischer, <strong>der</strong> sich damals mit<br />

Freunden bereits e<strong>in</strong>en Namen als Fotograf und Filmer gemacht hatte: geprägt durch die<br />

Neue Sachlichkeit [<strong>der</strong> Sechziger Jahre]. Publiziert wurde jedoch die kle<strong>in</strong>bürgerliche Idylle.<br />

101<br />

E<strong>in</strong>e Arbeit von Marie-Louise Packenius-Ahlhorn als Geschenk zum E<strong>in</strong>zug me<strong>in</strong>er Eltern <strong>in</strong><br />

ihr neues Haus. <strong>Die</strong> „Packenia“ gehörte zu engeren Freunden me<strong>in</strong>er Eltern und zur<br />

„Mittwochsrunde“, e<strong>in</strong>em mittäglichen Gesprächskreis <strong>in</strong> <strong>der</strong> Buchhandlung und Galerie Ebel,<br />

damals noch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schütt<strong>in</strong>gstraße 7.<br />

207


<strong>Die</strong> „Packenia“ stand me<strong>in</strong>en Eltern unermüdlich und nahezu täglich bei während <strong>der</strong><br />

Erkrankung und während des langen Sterbens me<strong>in</strong>es Vaters, sie selbst von eher zarter<br />

Konstitution. Sie hat me<strong>in</strong>en Vater, obwohl bedeutend jünger, nicht lange überlebt: am<br />

Neujahrstag 1974 wurde sie <strong>in</strong> ihrer Wohnung tot aufgefunden. Das Familiengrab „Ahlhorn“<br />

bef<strong>in</strong>det sich auf dem Gertrudenfriedhof <strong>in</strong> <strong>Oldenburg</strong>, nicht weit vom Grab me<strong>in</strong>er Eltern.<br />

102<br />

Durch glückliche Fügung war ich über fast drei Jahrzehnte mit Wie<strong>der</strong>herstellungen und<br />

Pflege des Hauses Cramer <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>-Dahlem betraut, e<strong>in</strong>em <strong>der</strong> wichtigen Landhäuser des<br />

Architekten Hermann Muthesius (1912), des Werkbund-Begrün<strong>der</strong>s, vgl. Julius Posener.<br />

<strong>Die</strong> im Wesentlichen wie<strong>der</strong>hergerichteten Anlagen wurden zum ersten Gartendenkmal<br />

Berl<strong>in</strong>s, 1977. In ganz beson<strong>der</strong>er Weise gelangten hier Muthesius For<strong>der</strong>ung und Pr<strong>in</strong>zip<br />

e<strong>in</strong>er Verb<strong>in</strong>dung von Haus und Garten zur Anwendung: je<strong>der</strong> Innenraum f<strong>in</strong>det e<strong>in</strong>e<br />

Entsprechung, Fortsetzung und se<strong>in</strong>en Fluchtpunkt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em zugehörigen Außenraum: zu<br />

den Gesellschaftsräumen <strong>der</strong> Rosengarten und dann <strong>der</strong> Tennisgrund, zum Speisesaal e<strong>in</strong><br />

„Klostergarten-Karree“, zum Spielzimmer <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> e<strong>in</strong>e große Wiese zum Toben, zum<br />

Küchen- und Ges<strong>in</strong>detrakt Obst- und Gemüsegarten und Hühnerhof. Der Zugang zum Hause<br />

ist e<strong>in</strong>e Allee, mit Wal<strong>der</strong>dbeeren bei<strong>der</strong>seits, die Sichtachse von <strong>der</strong> Straße mündet <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en<br />

außerordentlich privatimen E<strong>in</strong>gang draußen wie dr<strong>in</strong>nen, um dann über Salon und dar<strong>in</strong><br />

drapiertem Konzertflügel se<strong>in</strong>e grandiose Fortsetzung zu f<strong>in</strong>den <strong>in</strong> den Blick über Teich und<br />

Uferzone im anschließenden Park – durch e<strong>in</strong>e voll versenkbare Glaswand h<strong>in</strong>durch, also im<br />

Sommer sozusagen „hüllen-, grenzenlos“. Nichtsdestoweniger bildet dieser Garten mitsamt<br />

dem Haus e<strong>in</strong>e verschmolzene E<strong>in</strong>heit, <strong>in</strong> <strong>der</strong> die e<strong>in</strong>zelnen Partien sich fließend verb<strong>in</strong>den:<br />

das Ganze e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziger hoffnungslos romantischer Zaubergarten.<br />

Erst da wurde mir bewusst, was bei Haus und Garten me<strong>in</strong>er Eltern sozusagen auf<br />

handwerklicher Ebene so außerordentlich gelang.<br />

<strong>Die</strong> Fotos des Garten stammen aus dem Nachlass von Charlotte Cramer-Sachs 1905-1999,<br />

<strong>der</strong> Tochter des Hauses, und wurden wahrsche<strong>in</strong>lich Anfang 1933 aufgenommen, als die<br />

Familie bereits auf <strong>der</strong> Flucht war, sie aber aufgrund ihres durch Heirat amerikanischen<br />

Passes noch <strong>in</strong>s Land konnte. The Lemelson Center - National Museum of American History,<br />

Smithsonian Institution, Wash<strong>in</strong>gton, D.C.<br />

<strong>Die</strong> Stanford University <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> betreibt e<strong>in</strong> Forschungsprojekt zur <strong>in</strong>zwischen mehr als<br />

e<strong>in</strong>hun<strong>der</strong>tjährigen Geschichte des Hauses Cramers – e<strong>in</strong> Spiegelbild wirklich aller Höhen<br />

und Tiefen im Deutschland dieser Zeit – e<strong>in</strong>e Veröffentlichung ist geplant.<br />

Danach ist die außergewöhnliche Beson<strong>der</strong>heit des Zusammenhangs von Haus und Garten<br />

<strong>in</strong> dieser hier spezifischen Form nicht lediglich e<strong>in</strong>e künstlerische Raff<strong>in</strong>esse, son<strong>der</strong>n<br />

Ausdruck e<strong>in</strong>er LEBENSFORM, die sich gegen die zunehmende Entfremdung <strong>der</strong> Menschen<br />

im Zuge zunächst <strong>der</strong> Industrialisierung <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e im Arts & Crafts Movement wandte.<br />

<strong>Die</strong> Gedanken des hierbei wichtigsten „Ideologen“ John Rusk<strong>in</strong> (1819 – 1900) wurden<br />

bezüglich <strong>der</strong> künstlerischen und architektonischen Aspekte zweifellos über den Architekten<br />

des Hauses Cramer, Muthesius, nach Deutschland gebracht, h<strong>in</strong>sichtlich <strong>der</strong> reformerischen<br />

und Erziehungsfragen jedoch über die Frauenbewegung <strong>der</strong> Jahrhun<strong>der</strong>twende vermittelt,<br />

ganz beson<strong>der</strong>s über die Bildungsarbeit <strong>der</strong> „Gymnasialkurse für Frauen“ <strong>der</strong> gebürtigen<br />

<strong>Oldenburg</strong>er<strong>in</strong> Helene Lange <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>, zu <strong>der</strong>en ersten Elev<strong>in</strong>nen die Bauherr<strong>in</strong> zählte.<br />

208


Aus: Herrmann Muthesius, Landhäuser, 1922.<br />

103<br />

Bis <strong>in</strong> ihr hohes Alter war me<strong>in</strong>e Mutter rastlos tätig, sowohl noch als Dozent<strong>in</strong> für Literatur an<br />

<strong>der</strong> Volkshochschule, als auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Friedensbewegung, privat mit e<strong>in</strong>er neuen Freude an<br />

handwerklichen Arbeiten: dem Garten, Webkunst, Scheerenschnitte, spät <strong>der</strong> Photographie.<br />

Insbeson<strong>der</strong>e ihre Aufnahmen von e<strong>in</strong>er Islandreise s<strong>in</strong>d von hoher graphischer Qualität.<br />

Kurz vor ihrem Tod 1995 verfertigte sie e<strong>in</strong>e Reihe von Aufnahmen ihres Gartens und<br />

montierte sie auf alte Passepartout-Kartons, wohl <strong>in</strong> <strong>der</strong> Hoffnung, dass ich sie noch rahmte.<br />

Hilde Fischers (geb. Reisig) Lebensh<strong>in</strong>tergrund stellte jedoch sicherlich ebenfalls die<br />

FRAUEN-BILDUNG dar, als e<strong>in</strong>e <strong>der</strong> frühen Gymnasiast<strong>in</strong>nen nach <strong>der</strong> Öffnung <strong>der</strong> höheren<br />

Schulen und als e<strong>in</strong>e <strong>der</strong> ersten Frauen, die <strong>in</strong> Deutschland <strong>in</strong> Soziologie (hierzu)<br />

promovierte. <strong>Die</strong> Parallelität auch <strong>in</strong> den Auffassungen zu Garten und Natur lag daher nahe.<br />

209


104<br />

Bauantragspläne für das Wohnhaus Drs. Fischer, <strong>Oldenburg</strong>, Eichkamp 23.<br />

Architekten Latta & Hölscher, 1960. Orig<strong>in</strong>ale <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bauakte.<br />

105<br />

<strong>Die</strong> Aufnahme entstand am Pf<strong>in</strong>gstmontag 1973.<br />

Me<strong>in</strong> Vater erwachte aus tiefem Schlaf, geweckt durch das laute Klacken des Auslösers, und<br />

schaute unendlich schmerzvoll, pikiert: ich verg<strong>in</strong>g vor Scham.<br />

Kurze Zeit vor se<strong>in</strong>em Tod erwachte er noch e<strong>in</strong>mal aus mehrtägigem Koma und nahm mit<br />

e<strong>in</strong>em tiefen Blick Abschied auch von mir, <strong>der</strong> ich an se<strong>in</strong>em Bett wachte, vielmehr aber von<br />

dieser Welt: e<strong>in</strong>verständig.<br />

106<br />

Dr. Hilde Fischer am Grab ihres Mannes auf dem Gertrudenfriedhof <strong>in</strong> <strong>Oldenburg</strong>, ~1980<br />

E<strong>in</strong> letztes Geschenk, das Hilde Fischer ihrem jüngsten Sohn, dem Verfasser, vor ihrem<br />

Tode noch machte, war e<strong>in</strong>e Veröffentlichung <strong>der</strong> Briefe von [Zitat wikipedia]<br />

Karl August Varnhagen von Ense (* 21. Feb. 1785 <strong>in</strong> Düsseldorf; † 10. Okt. 1858 Berl<strong>in</strong>)<br />

war e<strong>in</strong> deutscher Chronist <strong>der</strong> Zeit <strong>der</strong> Romantik bis zur Revolution 1848 und dem sich<br />

anschließenden Jahrzehnt <strong>der</strong> Reaktion, außerdem Erzähler, Biograph, Tagebuchschreiber<br />

und Diplomat.<br />

Warum, ließ sich nicht mehr klären: vermutlich als zarter W<strong>in</strong>k zum emanzipatorischen<br />

Wirken se<strong>in</strong>er Ehefrau Rahel Varnhagen von Ense, auch wegen me<strong>in</strong>er Schwärmerei für<br />

<strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e die Landschaftkompositionen des Romantischen Klassizismus im frühen 19.<br />

Jahrhun<strong>der</strong>t, die unter Peter Friedrich Ludwig auch <strong>in</strong> <strong>Oldenburg</strong> wirkten.<br />

E<strong>in</strong> Satz daraus hat sich mir e<strong>in</strong>geprägt: „er [....] ist e<strong>in</strong> unverbesserlicher Achtungvierziger“<br />

Geme<strong>in</strong>t war natürlich die Revolution von 1848. Da me<strong>in</strong> Büchle<strong>in</strong> hier jedoch vom Bericht zu<br />

e<strong>in</strong>em Gebäude mutierte zu e<strong>in</strong>er Beschreibung <strong>der</strong> SPRACHLOSIGKEIT im Ergebnis <strong>der</strong><br />

nationalsozialistischen Verheerungen <strong>in</strong> Deutschland und des Krieges, vielmehr auch des<br />

steckengebliebenen Aufbruchs nach <strong>der</strong> Befreiung, was wesentlich führte zu <strong>der</strong> Empörung<br />

<strong>der</strong> Achtundsechziger im letzten Jahrhun<strong>der</strong>t, me<strong>in</strong>er Generation, und weil sie mich dar<strong>in</strong><br />

klug und wie<strong>der</strong>um mutig geleitete, sei ihr diese letzte Er<strong>in</strong>nerung von Herzen zugetan.<br />

[Zitatausschnitte wikipedia]<br />

Rahel Varnhagen von Ense, geb. Lev<strong>in</strong> (* 19. Mai 1771 <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>; † 7. März 1833 ebenda,<br />

war e<strong>in</strong>e deutsche Schriftsteller<strong>in</strong> und Salonnière jüdischer Abstammung. Rahel Varnhagen<br />

gehörte <strong>der</strong> romantischen Epoche an und vertrat zugleich Positionen <strong>der</strong> europäischen<br />

Aufklärung. Sie trat für die jüdische Emanzipation und die Emanzipation <strong>der</strong> Frauen e<strong>in</strong>.<br />

210


211


212


<strong>WEG</strong>E <strong>ZUM</strong> <strong>BUCH</strong><br />

DOKUMENTENANHANG<br />

DOKUMENTENANHANG 1<br />

Urlaubsantrag WGF v. 01.02.1960 mit Inhaltskonzept se<strong>in</strong>es Buchvorhabens<br />

DOKUMENTENANHANG 2<br />

<strong>Die</strong> Differenzen zwischen dem <strong>Oldenburg</strong>er Regierungspräsidium und dem<br />

Nie<strong>der</strong>sächsischen Kultusm<strong>in</strong>isterium bezüglich <strong>der</strong> Zuständigkeiten für die<br />

<strong>Landesbibliothek</strong> <strong>Oldenburg</strong> und an<strong>der</strong>e kulturelle E<strong>in</strong>richtungen 1948 ff.<br />

DOKUMENTENANHANG 3<br />

Geheimes Schreiben von Direktor Wagensche<strong>in</strong> vom 19.08.1944 zur<br />

geplanten Nutzung <strong>der</strong> Bibliotheksru<strong>in</strong>e am Damm zur Rüstungsproduktion<br />

DOKUMENTENANHANG 4<br />

Abzeichnungen <strong>der</strong> Grundrisse des Zeughauses <strong>Oldenburg</strong>, Ofener Straße<br />

vor dem Umbau 1946 ff. – offenkundig als Entscheidungsgrundlage<br />

Son<strong>der</strong>druck aus Zentralblatt für Bibliothekswesen Jg. 62 . 1948 – Heft 5/6<br />

WGF, Bericht zum damaligen Status <strong>der</strong> <strong>Landesbibliothek</strong> <strong>Oldenburg</strong><br />

DOKUMENTENANHANG 5<br />

Briefe <strong>der</strong> Buchhändler<strong>in</strong> Annelies Ebel an ihren Mann Rudolf Ebel vom<br />

01.04. – 21.11.1945 über die Ereignisse <strong>in</strong> <strong>Oldenburg</strong><br />

Valeria Voldemarowna Beckman: Geschichte über den Krieg<br />

Der Tod von Voldemar Johannovich Beckman/Baeckman, Len<strong>in</strong>grad<br />

Repr<strong>in</strong>ts von 2 Aufsätzen Wolfgang G. Fischers:<br />

Gewandhaus und Stadtbibliothek und <strong>der</strong> Maurermeister Seltendorff (1939)<br />

Vom Alten Gewandhaussaale<br />

und se<strong>in</strong>em Fortleben im kle<strong>in</strong>en Saal des Konzerthauses (1941)<br />

213


Anmerkungen + Fußnoten zum nebenstehenden Geleitwort [Zitatausschnitte wikipedia]:<br />

Begrün<strong>der</strong> <strong>der</strong> heutigen <strong>Landesbibliothek</strong> <strong>Oldenburg</strong>:<br />

Peter I. Friedrich Ludwig von <strong>Oldenburg</strong> (* 17. Januar 1755 <strong>in</strong> Riesenburg; † 21. Mai 1829 <strong>in</strong><br />

Wiesbaden) war langjähriger Regent und schließlich selbst Großherzog des Landes<br />

<strong>Oldenburg</strong> aus dem Hause <strong>der</strong> Gottorfschen <strong>Oldenburg</strong>er. [...] Er wuchs zunächst am Hofe<br />

se<strong>in</strong>es Onkels, des Fürstbischofs von Lübeck Friedrich August, später dann bei se<strong>in</strong>er<br />

Cous<strong>in</strong>e, <strong>der</strong> Zar<strong>in</strong> Kathar<strong>in</strong>a II. („die Große“), auf.<br />

[...] Im November 1785 starb se<strong>in</strong>e Frau im Alter von 20 Jahren <strong>in</strong> Eut<strong>in</strong>, drei Wochen nach<br />

<strong>der</strong> Totgeburt ihres dritten Sohnes. Der Herzog ließ sie 1791 von Eut<strong>in</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong> neugebautes<br />

Mausoleum auf dem Gertrudenfriedhof überführen [...] Der Mausoleumsbau ist das erste<br />

klassizistische Gebäude <strong>Oldenburg</strong>s; ihm folgten weitere Bauten im gleichen Stil, die das<br />

Gesicht <strong>der</strong> Stadt bis heute prägen.<br />

Ergänzung des Verfassers:<br />

Das o. a. Mausoleum auf dem Gertrudenfriedhof <strong>in</strong> <strong>Oldenburg</strong> gilt als e<strong>in</strong>es <strong>der</strong> wichtigen<br />

Monumente <strong>der</strong> sogenannten „Revolutionsarchitektur“, e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e durch Étienne-<br />

Louis Boullée <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zeit <strong>der</strong> Französischen Revolution bee<strong>in</strong>flussten radikalen Stilrichtung<br />

mit nur wenigen realisierten Bauten.<br />

Étienne-Louis Boullée (* 12. Februar 1728 <strong>in</strong> Paris; † 6. Februar 1799 <strong>in</strong> Paris) war e<strong>in</strong><br />

klassizistischer französischer Architekt. Neben Claude-Nicolas Ledoux ist Boullée als<br />

Hauptvertreter <strong>der</strong> französischen Revolutionsarchitektur bekannt geworden. <strong>Die</strong>se Strömung<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Architektur brach mit <strong>der</strong> barocken Tradition und propagierte e<strong>in</strong>en kargen, monumentalen<br />

Klassizismus, <strong>der</strong> den imperialen Herrschaftsanspruch anzeigte. Dabei zeigt sich<br />

e<strong>in</strong>e Bee<strong>in</strong>flussung durch den Geist <strong>der</strong> Aufklärung. Er entwarf zahlreiche meist öffentliche<br />

Bauten, die wegen ihrer übersteigerten Dimensionen nicht zu realisieren waren. [...]<br />

Als frühe Realisierung und damit sozusagen „Gründungsbau“ gilt die Petersburger Börse:<br />

Thomas de Thomon, um das Jahr 1800 aus Paris nach Petersburg gekommen, erarbeitete<br />

bis 1804 unter Beteiligung von Andrejan Dmitrijewitsch Sacharow die städtebauliche Lösung<br />

für dieses zentrale, bis 1810 fertiggestellte Architekturensemble. [...] s. Anhang 6<br />

Paul Friedrich August von <strong>Oldenburg</strong> (* 13. Juli 1783 <strong>in</strong> Rastede; † 27. Februar 1853 <strong>in</strong><br />

<strong>Oldenburg</strong>) war von 1829 bis 1853 als August I. Großherzog von <strong>Oldenburg</strong>.<br />

Er wurde als Sohn des Herzogs Peter Friedrich Ludwig und <strong>der</strong> Pr<strong>in</strong>zess<strong>in</strong> Frie<strong>der</strong>ike von<br />

Württemberg geboren, besuchte von 1803 bis 1805 die Universität Leipzig, g<strong>in</strong>g nach <strong>der</strong><br />

Besetzung <strong>Oldenburg</strong>s durch die Franzosen 1811 mit se<strong>in</strong>em Vater nach Russland bis 1813<br />

<strong>in</strong>s Exil und nahm am Befreiungskrieg teil.<br />

In den Jahren 1811 bis 1816 war er Gouverneur von Estland und leitete die Vorbereitungen<br />

zur Aufhebung <strong>der</strong> Leibeigenschaft. Nachdem er an den Kriegen von 1812 bis 1814<br />

teilgenommen hatte, kehrte er zunächst nach Russland und 1816 wie<strong>der</strong> nach <strong>Oldenburg</strong><br />

zurück [...]<br />

1846 wurde unter se<strong>in</strong>er Regentschaft das Bibliotheksgebäude am Damm bezogen, genau<br />

100 Jahre vor dem neuerlichen Umzug <strong>in</strong> das alte Zeughaus an <strong>der</strong> Ofener Straße (WGF).<br />

Laurenz Mart<strong>in</strong> Hannibal Christian Fischer (* 7. April 1784 <strong>in</strong> Hildburghausen; † 8. August<br />

1868 <strong>in</strong> Rödelheim) war e<strong>in</strong> deutscher Politiker und von 1831 bis 1848 Regierungspräsident<br />

des zum Großherzogtum <strong>Oldenburg</strong> gehörenden Fürstentums Birkenfeld [...] wurde Ende<br />

1830 <strong>in</strong> den oldenburgischen Staatsdienst aufgenommen und mit den <strong>in</strong>ternen Vorarbeiten<br />

für e<strong>in</strong>e Verfassung betraut,<br />

Trotz se<strong>in</strong>er unbestreitbaren Verdienste löste se<strong>in</strong> autokratisch-patriarchalischer<br />

Regierungsstil seit Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> 1840er Jahre zunehmend Kritik und Wi<strong>der</strong>stand aus. Nach<br />

dem Ausbruch <strong>der</strong> Deutschen Revolution von 1848 blieb er mit se<strong>in</strong>en Vorschlägen für e<strong>in</strong><br />

hartes, militärisches Vorgehen völlig isoliert und musste unter Zwang im April 1848 das Land<br />

verlassen. [...]. Er veröffentlichte <strong>in</strong> diesen Jahren e<strong>in</strong>e Reihe von politischen Schriften, <strong>in</strong><br />

denen er se<strong>in</strong>e reaktionären Ansichten verteidigte und scharf gegen die liberalen Ideen<br />

polemisierte. [...]<br />

Nachlass im Staatsarchiv <strong>Oldenburg</strong>, danach u.a. Vorfahr von Willa Thorade (vgl. „Leser“).<br />

214


Geleit<br />

<strong>Die</strong>ses Büchle<strong>in</strong> sollte e<strong>in</strong>e schlanke, konzentrierte Handreichung<br />

werden zu dem Bibliotheksgebäude an <strong>der</strong> Ofener Straße - 1946<br />

als Ausweichquartier für die 1943 zerbombte Bibliothek gefunden<br />

– und zu den Personen, die sie trugen.<br />

Im Ansatz konzipiert bereits kurz nach dem Tod me<strong>in</strong>es<br />

Vaters als damaligem Leiter des Hauses, mit dem Kraftakt e<strong>in</strong>es<br />

Foto-Rundganges zusammen mit me<strong>in</strong>em Bru<strong>der</strong> Christoph<br />

Fischer kurz vor dem neuerlichen Umzug <strong>der</strong> Bibliothek an<br />

nunmehr den Pferdemarkt <strong>in</strong> <strong>Oldenburg</strong>, jetzt fertiggestellt<br />

wie<strong>der</strong>um mit jahrzehntelanger Verspätung, wuchsen dem zentralen<br />

Thema weitere Fragen zu und flankierende, durch sich<br />

selbst die Beschreibungen illustrierende Unterlagen.<br />

Sie wurden daher, allenfalls knapp kommentiert, dem Werk<br />

h<strong>in</strong>zugefügt.<br />

Ohne Rückbes<strong>in</strong>nung auf die damaligen außerordentlichen<br />

Lebensumstände, Erwartungen und auf enttäuschte Hoffnungen<br />

wäre es schwer, den mit dieser Bibliothek <strong>in</strong>tendierten Aufbruch<br />

nachzuzeichnen, und ohne Benennung von Ambivalenzen und<br />

Wi<strong>der</strong>ständen und <strong>der</strong> Reaktion.<br />

<strong>Die</strong>ses wurde mir am deutlichsten bei <strong>der</strong> gehäuft erfor<strong>der</strong>lichen<br />

Benennung von Sprachlosigkeit für diese Zeit und für<br />

ALLE, Täter und Opfer und Beidem, denen geme<strong>in</strong> war e<strong>in</strong>e Art<br />

Schockstarre angesichts <strong>der</strong> Katastrophe von Diktatur und Krieg,<br />

und angesichts <strong>der</strong> Schuld.<br />

Um die Relationen zurechtzurücken gebe ich den Dokumenten<br />

bei e<strong>in</strong>en Bericht aus Len<strong>in</strong>grad zu Zeiten des Krieges, <strong>der</strong><br />

Bibliothek verbunden über <strong>der</strong>en als „Reichsdeutsche repatriierte“<br />

Mitarbeiter<strong>in</strong> Anna Iwanowna Baeckmann, von ihrem Bru<strong>der</strong>, vielmehr<br />

se<strong>in</strong>er Tochter, <strong>der</strong> Autor<strong>in</strong>.<br />

<strong>Die</strong>se Menschen lebten, wirkten und starben genau dort <strong>in</strong><br />

St. Petersburg, wo die <strong>Oldenburg</strong>er Landesherren ihre Wurzeln<br />

hatten <strong>in</strong> Aufklärung, Schlossgarten und „Revolutionsarchitektur“,<br />

welche jene schließlich auch gegen die Reaktion zum Beispiel<br />

ihres Regierungspräsidenten L. H. Fischer gut 100 Jahre zuvor<br />

verteidigten, und Begrün<strong>der</strong> waren <strong>der</strong> <strong>Oldenburg</strong>er Bibliothek.<br />

Burckhardt Fischer, September 2017<br />

215


DOKUMENTENANHANG 1<br />

Vgl. Endnote Nr. 59: Urlaubsantrag Dr. W. G. Fischer v. 01.02.1960, mit<br />

Inhaltskonzept se<strong>in</strong>es geplanten Buches. NLA OL, Rep. 410, Akz. 251 Nr. 333<br />

216


WGF verzichtet hierbei darauf, den 1948 <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bibliothek erlittenen Verlust<br />

se<strong>in</strong>es Orig<strong>in</strong>almanuskriptes anzusprechen – vgl. S. 122 bzw. 196-197.<br />

217


DOKUMENTENANHANG 2<br />

H<strong>in</strong>weise:<br />

Das Land Nie<strong>der</strong>sachsen entstand bereits 1946. Das Aufflammen e<strong>in</strong>es<br />

Zuständigkeits-Zwistes zwischen Regierungspräsidium <strong>in</strong> <strong>Oldenburg</strong> und dem<br />

Kultusm<strong>in</strong>isterium des Landes Nie<strong>der</strong>sachsen laut Aktenlage erst Ende 1948<br />

könnte ausgelöst worden se<strong>in</strong> durch e<strong>in</strong>en personellen Wechsel:<br />

[Zitatausschnitte wikipedia]<br />

Adolf Berthold Ludwig Grimme (* 31. Dezember 1889 <strong>in</strong> Goslar; † 27. August<br />

1963 <strong>in</strong> Degerndorf am Inn) war e<strong>in</strong> deutscher Kulturpolitiker (SPD) <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Spätphase <strong>der</strong> Weimarer Republik und <strong>der</strong> frühen Bundesrepublik, erster<br />

nie<strong>der</strong>sächsischer Kultusm<strong>in</strong>ister und Generaldirektor des Nordwestdeutschen<br />

Rundfunks (NWDR). Nach ihm ist <strong>der</strong> Grimme-Preis benannt. [...]<br />

Nach Bildung des Landes Nie<strong>der</strong>sachsen war er vom 23. November 1946 bis<br />

zum September 1948 erster nie<strong>der</strong>sächsischer Kultusm<strong>in</strong>ister unter dem<br />

M<strong>in</strong>isterpräsidenten H<strong>in</strong>rich Wilhelm Kopf. [...]<br />

Mit Grimme g<strong>in</strong>g dem Land Nie<strong>der</strong>sachsen und dem dortigen Kulturleben <strong>der</strong><br />

entscheidende <strong>in</strong>tellektuelle und strategische Impetus verloren.<br />

Das Kultusm<strong>in</strong>isterium zunächst vom M<strong>in</strong>isterpräsidenten H<strong>in</strong>rich Kopf (SPD)<br />

<strong>in</strong> Personalunion übernommen – <strong>in</strong> se<strong>in</strong>e Amtszeit als Kultusm<strong>in</strong>ister fallen die<br />

ersten aufgeführten Schreiben – dann von Richard Voigt (SPD) bis 1955.<br />

<strong>Die</strong>ser war Verfolgter des Nazi-Regimes. In <strong>der</strong> Nachfolge wurde aber im<br />

Beson<strong>der</strong>en das Kultusm<strong>in</strong>isterium „Spiel-Masse“ im politischen Ränkespiel<br />

und wurde primär nach parteipolitischen Überlegungen besetzt – und mit<br />

„alten Kameraden“, was unter <strong>der</strong> Regierung He<strong>in</strong>rich Hellwege (DP) 1955-<br />

1959 zum offenen Skandal führte. Aber auch M<strong>in</strong>isterpräsident Kopf (SPD)<br />

war selbst nicht unbelastet: [...] Kopf stand seit November 1947 auf <strong>der</strong><br />

Kriegsverbrecherliste <strong>der</strong> alliierten Kriegsverbrecherkommission.<br />

- Franz Leonhard Schlüter (* 2. Oktober 1921 <strong>in</strong> R<strong>in</strong>teln[1]; † 19. Januar<br />

1981[2]) war e<strong>in</strong> deutscher Politiker (DKP-DRP, FDP) und Verleger. Se<strong>in</strong>e Berufung<br />

zum nie<strong>der</strong>sächsischen Kultusm<strong>in</strong>ister rief 1955 erhebliche öffentliche Proteste<br />

wegen Schlüters rechtsextremer Ges<strong>in</strong>nung hervor. <strong>Die</strong>se führten wenige Tage<br />

später zu se<strong>in</strong>em Rücktritt.<br />

Solches betraf auch den gebürtigen <strong>Oldenburg</strong>er Richard H<strong>in</strong>rich Tantzen (* 12.<br />

Dezember 1888 <strong>in</strong> Hoffe; † 30. Januar 1966 <strong>in</strong> <strong>Oldenburg</strong>) war e<strong>in</strong> deutscher Jurist,<br />

Verwaltungsbeamter und Politiker (FDP) [...] Vom 1. Mai 1933 an war Tantzen<br />

Mitglied <strong>der</strong> NSDAP. Nach dem Krieg trat er 1945 <strong>in</strong> die FDP e<strong>in</strong> und wurde am 14.<br />

September 1955 als nie<strong>der</strong>sächsischer Kultusm<strong>in</strong>ister <strong>in</strong> die von M<strong>in</strong>isterpräsident<br />

He<strong>in</strong>rich Hellwege geführte Landesregierung berufen. Aus Protest gegen e<strong>in</strong>e Rede<br />

von Hans-Christoph Seebohm trat er am 28. Februar 1956 von se<strong>in</strong>em Amt zurück.<br />

Erst 1970 trat mit Peter von Oertzen (* 2. September 1924 <strong>in</strong> Frankfurt am<br />

Ma<strong>in</strong>; † 16. März 2008 <strong>in</strong> Hannover) wie<strong>der</strong> e<strong>in</strong> strategischer Kopf die späte<br />

Nachfolge Adolf Grimmes an.<br />

218


DOKUMENTENANHANG 2<br />

Vgl. Endnote Nr. 80: Schriftverkehr zwischen dem Regierungspräsidium im<br />

ehemals eigenständigen <strong>Oldenburg</strong> und dem Kultusm<strong>in</strong>isterium des neu<br />

gegründeten Landes Nie<strong>der</strong>sachsen zur Zuständigkeit unter an<strong>der</strong>em für die<br />

<strong>Landesbibliothek</strong> <strong>Oldenburg</strong>, 1948. NLA OL, Rep. 410, Akz. 251 Nr. 333.<br />

219


220


Der Streit über die betreffenden Zuständigkeiten bestand wenigstens seit<br />

Ende 1948 über mehr als e<strong>in</strong> Jahrzehnt und zwang die Beteiligten zum<br />

Lavieren – mit auch dem Risiko des jeweiligen Scheiterns dabei.<br />

221


DOKUMENTENANHANG 3<br />

Vgl. Endnote Nr. 66: 19.08.1944, Geheimes Schreiben des Direktors <strong>der</strong><br />

<strong>Landesbibliothek</strong> an den SD zur geplanten Nutzung <strong>der</strong> Bibliotheksru<strong>in</strong>e am<br />

Damm für e<strong>in</strong>e Rüstungsproduktion. NLA OL, Rep. 410, Akz. 82 Nr. 211.<br />

222


Auch für e<strong>in</strong>en zweifelsohne im Apparat gut vernetzten Parteigenossen<br />

sicherlich e<strong>in</strong>e heftige Philippika, u. a. zur Rettung <strong>der</strong> alten Bibliotheks-Ru<strong>in</strong>e,<br />

und somit sicherlich nicht ohne Risiko zu Zeiten.<br />

Erwähnung und Kommentierung <strong>in</strong>: Walter Barton, Staatliche Büchereistellen<br />

im Lande <strong>Oldenburg</strong>, <strong>Landesbibliothek</strong> und Volksbüchereistelle 1934 – 1949,<br />

<strong>in</strong>: Egbert Koolmann (Hrsg.) Ex Bibliotheca <strong>Oldenburg</strong>ensi, <strong>Oldenburg</strong>, 1992.<br />

223


DOKUMENTENANHANG 4<br />

Abzeichnungen <strong>der</strong> Zeughaus-Grundrisse, die offenkundig für die Wahl des<br />

Gebäudes an <strong>der</strong> Ofener Straße <strong>in</strong> <strong>Oldenburg</strong> als neuer Standort <strong>der</strong><br />

<strong>Landesbibliothek</strong> <strong>Oldenburg</strong> 1946 dienten.NLA OL, Rep. 410, Akz. 82 Nr. 205.<br />

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225


<strong>Die</strong> sehnlichst erwarteten Pläne und auch <strong>der</strong>en „Hängenbleiben“<br />

im adm<strong>in</strong>istrativen Gang werden <strong>in</strong> Briefen Fischers erwähnt, wie<br />

auch <strong>der</strong> nachstehende Statusbericht von 1948 <strong>in</strong> <strong>der</strong> Umschau<br />

aus und über Bibliotheken.<br />

Beson<strong>der</strong>s berührt hat ihn bei Letzterem, dass se<strong>in</strong> Aufsatz zufällig<br />

auf den se<strong>in</strong>er getreuen Studienfreund<strong>in</strong> Dr. Edith Rothe folgte, die<br />

die eigentlich Fischer zugedachte Leitung se<strong>in</strong>er geliebten Stadtbibliothek<br />

Leipzig übernommen hatte.<br />

<strong>Die</strong> Stadtbibliothek im Leipziger Gewandhaus war allerd<strong>in</strong>gs<br />

vollständig zerstört und weitgehend ihrer kostbaren Bestände<br />

verlustig gegangen, zudem hatte sich schnell auch e<strong>in</strong>e sehr<br />

schwierige Konstellation für Institut und Direktor<strong>in</strong> aufgrund <strong>der</strong><br />

politischen Lage <strong>in</strong> <strong>der</strong> „Sowjetisch besetzten Zone“ herausgestellt.<br />

<strong>Die</strong>ses führte 1951 zur Entlassung von Edith Rothe und nach dem<br />

Tode ihres Vaters zu ihrer Flucht nach Westdeutschland.<br />

Ausführlich behandelt <strong>in</strong>:<br />

Walter Barton<br />

DIE VERLORENE UND DIE GEFUNDENE BIBLIOTHEK<br />

Wolfgang Günther Fischers Briefwechsel mit Leipziger Freunden<br />

1927 – 1954<br />

(1994 / 2013, unveröffentlicht, <strong>Landesbibliothek</strong> <strong>Oldenburg</strong>).<br />

Dr. Edith Rothe, *11. November 1897 <strong>in</strong> Leipzig, + 26. Januar 1989<br />

<strong>in</strong> Heidelberg, amtierte von 1945 – 1951 als Leiter<strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Stadtbibliothek Leipzig.<br />

Sie war die Tochter von Karl Wilhelm August Rothe,<br />

*20. Feb. 1865 <strong>in</strong> Leipzig, + 20. Januar 1953 ebenda, von 1918 –<br />

1930 Oberbürgermeister. Er veranstaltete während se<strong>in</strong>er Amtszeit<br />

e<strong>in</strong>en Mittagstisch für Studenten, an dem WGF partizipierte und<br />

war e<strong>in</strong> großer För<strong>der</strong>er <strong>der</strong> Stadtbibliothek.<br />

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DOKUMENTENANHANG 5<br />

Abschrift <strong>der</strong> Briefe von Annelies Ebel zu den Tagen vor dem<br />

Kriegsende 1945 <strong>in</strong> <strong>Oldenburg</strong> und dann den Monaten danach –<br />

wie offenkundig auch Auswahl wahrsche<strong>in</strong>lich durch ihren Mann<br />

Rudolf Ebel, Buchhändler <strong>in</strong> <strong>Oldenburg</strong>, nach ihrem Tode.<br />

Siehe hierzu auch Seite 118 (Tochter), sowie 198 und 205.<br />

<strong>Die</strong> Abschriften wurden unkommentiert und unredigiert als Zeitdokument<br />

übernommen.<br />

Sie enden kurz vor <strong>der</strong> Anstellung Fischers <strong>in</strong> <strong>Oldenburg</strong> 1946.<br />

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Waldemar Baeckmann (1890 – 1942) ist <strong>der</strong> Bru<strong>der</strong> <strong>der</strong> Mitarbeiter<strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Landesbibliothek</strong> <strong>Oldenburg</strong> Anna Iwanowna Baeckmann (1882-1966), die<br />

aus St. Petersburg stammte.<br />

<strong>Die</strong> nach <strong>der</strong> Oktoberrevolution 1917 <strong>in</strong> Russland verbliebenen Brü<strong>der</strong> und<br />

ihre Familien wohnten – zum Teil bis heute – weiterh<strong>in</strong> im angestammten<br />

familiären Umfeld <strong>der</strong> Kathar<strong>in</strong>enkirche auf <strong>der</strong> Wassiljewski-Insel im Herzen<br />

von St. Petersburg. Seit dem Beg<strong>in</strong>n des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts entwickelte sich<br />

hier <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em geschlossenen architektonischen Ensemble das Zentrum auch<br />

des geistigen Aufbruchs im europäischen Russland des frühen 19.<br />

Jahrhun<strong>der</strong>ts – mit führend <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zeit und über ihre damals dort lebenden<br />

Herzöge dann bis nach <strong>Oldenburg</strong> wirkend, auch <strong>in</strong> die Bibliothek.<br />

<strong>Die</strong> Autor<strong>in</strong> erlebte den Kriegsausbruch als K<strong>in</strong>d <strong>in</strong> Puschk<strong>in</strong> / Zarskoje Selo<br />

bei Petersburg, e<strong>in</strong>em <strong>der</strong> weltweit schönsten Residenz-Ensembles mit<br />

e<strong>in</strong>zigartiger Symbiose von Schlössern und Parks, die ihr Großvater betreute.<br />

Wassiljewski-Insel (1810) mit <strong>der</strong> Börse und den Rostralsäulen<br />

Von Engrav<strong>in</strong>g by Ivan Chesky (1777-1848) by orig. M.I. Sthotoshnikov (1770-18??).<br />

- http://www.arthermitage.org/, Geme<strong>in</strong>frei, ttps://commons.wikimedia.org/w/<strong>in</strong>dex.php?curid=6824055<br />

[Zitatausschniite Wikipedia]:<br />

Als Len<strong>in</strong>gra<strong>der</strong> Blockade [...] bezeichnet man die Belagerung Len<strong>in</strong>grads (heute<br />

erneut Sankt Petersburg) durch die deutsche Heeresgruppe Nord und f<strong>in</strong>nische<br />

Truppen während des Zweiten Weltkrieges. Sie dauerte vom 8. September 1941 bis<br />

zum 27. Januar 1944. Schätzungen gehen von etwa 1,1 Millionen zivilen Bewohnern<br />

<strong>der</strong> Stadt aus, die <strong>in</strong>folge <strong>der</strong> Blockade ihr Leben verloren. <strong>Die</strong> meisten dieser Opfer<br />

verhungerten. <strong>Die</strong> E<strong>in</strong>schließung <strong>der</strong> Stadt durch die deutschen Truppen mit dem<br />

Ziel, die Len<strong>in</strong>gra<strong>der</strong> Bevölkerung systematisch verhungern zu lassen, war e<strong>in</strong>es <strong>der</strong><br />

eklatantesten Kriegsverbrechen <strong>der</strong> deutschen Wehrmacht während des Krieges<br />

gegen die Sowjetunion. [...].<br />

260


Valeria Voldemarowna Beckman:<br />

Geschichte über den Krieg<br />

Der Tod von Voldemar Johannovich Beckman/Baeckmann,<br />

Len<strong>in</strong>grad<br />

Russische Fassung von A. L. Beckman<br />

261


Бекман Вольдемар Иоганович (1890-1942)<br />

Сообщается, что семья Baeckmann (Bäckmann German, Beckman<br />

Russian) происходит из Швеции. Но по другим сведениям основатель<br />

семьи Иоганн Готфрид Бекман (1780 - 1823) родился «на севере<br />

Германии», его жена Джулия Доротея Готлинг происходит из Латвии.<br />

Их сын Карл Leberecht Baeckmann (1809 - 1879) в 1927 году уехал в<br />

Дерпт, чтобы изучать теологию, по окончании курса был пастором в<br />

Курляндии, в Минске, а с 1835 по 1848 в Кремоне в Ливонии, пока,<br />

наконец, в 1855 был переведен в церковь Святой Екатерины на<br />

Васильевском острове в центре Санкт-Петербурга, совмещая<br />

пасторское служение с должностью законоучителя в немецкой гимназии<br />

и функционера лютеранских учреждений.<br />

Его сын Йоханнес Карл Юлий Бекман (1848-1921, в русских документах<br />

Иван Карлович Бекманн) окончил юридический факультет в Санкт-<br />

Петербурге в 1870 году со степенью доктора наук.<br />

От его брака с Анной Линк родились дети Юлий (1880 - 1930), Анна<br />

(1882-1966), Ганс (1886 - 1938), Павел (1887 - 1957), Вольдемар (1890 -<br />

1942), Карл (1891 г. - 1969).<br />

Анна Линк происходила из латвийской ветви петербургской семьи<br />

Ренненкампф и, таким образом, имела отдаленное отношение к городу<br />

Ольденбургу, где Карл Якоб Александр Эдлер Ренненкампф (1783 -<br />

1854) был доверенным лицом Ольденбургского князя и камергера, и<br />

основателем Музея естественной истории. Его вилла находится в<br />

Ольденбурге рядом с OsternburgKirche, на погосте которой сохранилась<br />

его надгробная плита.<br />

Семья Бакманна продолжала жить на Васильевском острове в самом<br />

центре города, однако при этом семья имела еще поместье Плоское со<br />

стекольной фабрикой на реке Луга недалеко от Санкт-Петербурга,<br />

которой управлял старший сын Юлиус.<br />

Дом семьи Иоганнеса Бекманна на Васильевском острове в Санкт-<br />

Петербурге, с 1894 по 1915 год - см. Анна Бакманн, Ольденбург<br />

Das Wohnhaus <strong>der</strong> Familie Johannes Baeckmann auf <strong>der</strong> Wassiljewski-Insel <strong>in</strong><br />

St. Petersburg, von 1894 – 1915 – siehe Anna Baeckmann, <strong>Oldenburg</strong><br />

262


Bekman Voldemar Ioganovic (1890-1942)<br />

<strong>Die</strong> Familie Baeckmann (Bäckmann deutsch, Beckman Russisch) stammte<br />

dem Vernehmen nach ursprünglich aus Schweden. Allerd<strong>in</strong>gs wurde Johann<br />

Gottfried Baeckman (1780 - 1823) "im Norden Deutschlands" geboren, se<strong>in</strong>e<br />

Julia Dorotea Goettl<strong>in</strong>g Frau kam aus Lettland.<br />

Deren Sohn Karl Leberecht Baeckmann (1809 – 1879) g<strong>in</strong>g 1827 zum<br />

Theologiestudium nach Dorpat und war dann Pastor <strong>in</strong> Kurland, <strong>in</strong> M<strong>in</strong>sk und<br />

von 1835 bis 1848 <strong>in</strong> Cremona <strong>in</strong> Livland, bis er schließlich 1855 Pfarrer an<br />

<strong>der</strong> Kathar<strong>in</strong>en-Kirche auf <strong>der</strong> Wassiljewski-Insel im Herzen von St.<br />

Petersburg wurde, zugleich auch Lehrer an e<strong>in</strong>em deutschen Gymnasium<br />

und Funktionär lutherischer Institutionen.<br />

Se<strong>in</strong> Sohn Johannes Karl Julius Baeckman (1848 - 1921, <strong>in</strong> russischen<br />

Dokumenten Iwan Karlowitsch Beckmann) schloss se<strong>in</strong> Studium <strong>der</strong><br />

Rechtswissenschaft <strong>in</strong> St. Petersburg 1870 mit <strong>der</strong> Promotion <strong>in</strong> ab.<br />

Aus se<strong>in</strong>er Ehe mit Anna (von) L<strong>in</strong>k g<strong>in</strong>gen die K<strong>in</strong><strong>der</strong> Julius (1880 - 1930),<br />

Anna (1882-1966), Hans (1886 - 1938), Paul (1887 - 1957), Woldemar (1890<br />

- 1942), Karl (1891 - 1969) hervor.<br />

Anna L<strong>in</strong>k entstammte e<strong>in</strong>em lettischen Zweig <strong>der</strong> St. Petersburger Familie<br />

v. Rennenkampf und hatte damit entfernte verwandtschaftliche Beziehungen<br />

nach <strong>Oldenburg</strong>, wo Karl Jakob Alexan<strong>der</strong> Edler von Rennenkampf (1783 –<br />

1854) zum Vertrauten des <strong>Oldenburg</strong>er Fürsten und Oberkammerherr wurde,<br />

und zum Grün<strong>der</strong> des Naturkundemuseums. Se<strong>in</strong>e Villa steht <strong>in</strong> <strong>Oldenburg</strong><br />

neben <strong>der</strong> Osternburger Kirche, auf <strong>der</strong>en Friedhof se<strong>in</strong> Grabste<strong>in</strong> noch<br />

erhalten ist.<br />

<strong>Die</strong> Familie Baeckmann wohnte weiterh<strong>in</strong> auf <strong>der</strong> Wassiljewski-Insel im<br />

Herzen <strong>der</strong> Stadt, sie besaß jedoch Län<strong>der</strong>eien und e<strong>in</strong>e Glasfabrik auf e<strong>in</strong>er<br />

Insel im Fluss Luga unweit von St. Petersburg, <strong>der</strong>en Leitung dann <strong>der</strong> älteste<br />

Sohn Julius übernahm.<br />

Das Wohnhaus <strong>der</strong><br />

Familie Johannes<br />

Baeckmann auf <strong>der</strong><br />

Wassiljewski-Insel <strong>in</strong> St.<br />

Petersburg, von 1916 –<br />

1917<br />

Дом семьи Иоганнеса<br />

Бекманна на<br />

Васильевском острове в<br />

Санкт-Петербурге, с<br />

1916 по 1917 год<br />

263


Страстью и призванием Юлиуса, однако, были естественные науки. Он<br />

работал в Зоологическом музее Российской Академии наук в Санкт-<br />

Петербурге и опубликовал многочисленные научные статьи по<br />

энтомологии. Его коллекции насекомых до сих пор хранятся в<br />

Зоологическом музее, где он работал и после революции вплоть до<br />

ареста и смерти в 1930 году. Во время Второй мировой войны двое<br />

сыновей Юлиуса Густав и Юрий были арестованы и депортированы из<br />

Ленинграда в Томскую область. Вдова Юлиуса Антонина Бекман-Шретер<br />

умерла от тифа в 1942 году и похоронена на Северном Кавказе. Дочь<br />

Юлия Маргарита (Маргит), гидробиолог, работала на Байкале. Умерла в<br />

1997 году. В Новосибирске до сих пор проживает её семья, правнуки<br />

Юлиуса Бекмана.<br />

Семья Бекман сохраняла традиционный немецкий быт. Родной язык в<br />

семье был немецкий, между собой говорили только на нём, однако и<br />

русским языком Бекманы владели достаточно хорошо, хотя говорили с<br />

еле заметным акцентом.<br />

Вальдемар Бекман окончил Юридический факультет Санкт-<br />

Петербургского университета и с 1915 года работал в качестве адвоката<br />

в Москве и Санкт-Петербурге. Адвоката Бекмана очень почитали в<br />

криминальном мире, так как он, будучи дежурным государственным<br />

адвокатом, брался защищать преступников зачастую бесплатно, без<br />

особых надежд на успех дела. Однажды его фамильные часы были<br />

украдены в трамвае. Он пожаловался об этом своему клиенту, и на<br />

следующий день часы были доставлены ему прямо на дом с<br />

извинениями. По словам коллег, Вальдемар Бекманн имел прекрасное<br />

воспитание, был очень общительным, интересным, остроумным и<br />

эрудированным собеседником.<br />

В 1913 году, будучи ещё студентом, Вальдемар Бекманн женился на<br />

Анне Моисеевне Снисаренко, которая работал под началом его брата<br />

Юлиуса в библиотеке Зоологического музея (до 1934 г.). От этого брака<br />

родился сын Анатолий (1917−1941), который был танкистом и погиб в<br />

боях под Москвой. Сын Анатолия Роберт родился в 1940 году, пережил<br />

войну, его внучка до сих пор проживает в Москве.<br />

Waldemar Baeckmann<br />

und se<strong>in</strong> Sohn Antoly<br />

Вальдемар Бекманн и<br />

его сын Антолий<br />

264


<strong>Die</strong> Leidenschaft und Berufung von Julius waren jedoch die<br />

Naturwissenschaften. Er arbeitete im Zoologischen Museum <strong>der</strong> Russischen<br />

Akademie <strong>der</strong> Wissenschaften <strong>in</strong> St. Petersburg und veröffentlichte<br />

zahlreiche wissenschaftliche Artikel zur Entomologie. Se<strong>in</strong>e<br />

Insektensammlungen bef<strong>in</strong>den sich noch heute im Zoologischen Museum, wo<br />

er auch nach <strong>der</strong> Revolution bis zu se<strong>in</strong>er Verhaftung und se<strong>in</strong>em Tod 1930<br />

arbeitete. Im Zweiten Weltkrieg wurden zwei Söhne Julius Gustav und Yuri<br />

verhaftet und von Len<strong>in</strong>grad <strong>in</strong> die Region Tomsk deportiert. <strong>Die</strong> Witwe von<br />

Julius Anton<strong>in</strong> Beckman-Schröter starb 1942 an Typhus und wurde im<br />

Nordkaukasus begraben. Tochter Julia Margarita (Margit), Hydrobiolog<strong>in</strong>,<br />

arbeitete am Baikalsee. Sie starb 1997. Ihre Familie, die Urenkel von Julius<br />

Beckman, lebt immer noch <strong>in</strong> Novosibirsk.<br />

<strong>Die</strong> Familie Baeckmann bewahrte e<strong>in</strong>e traditionelle deutsche Lebensweise, <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Familie wurde Deutsch gesprochen, allerd<strong>in</strong>gs sprach man auch<br />

Russisch mit nur e<strong>in</strong>em kaum spürbaren Akzent.<br />

Waldemar Baeckmann studierte wie<strong>der</strong>um Rechtswissenschaften <strong>in</strong> St.<br />

Petersburg und arbeitete ab 1915 als Anwalt <strong>in</strong> Moskau und St. Petersburg.<br />

Se<strong>in</strong>er Witwe berichtete, dass <strong>der</strong> Anwalt Baeckmann <strong>in</strong> <strong>der</strong> krim<strong>in</strong>ellen Welt<br />

sehr verehrt wurde – er übernahm wohl auch aussichtslos ersche<strong>in</strong>ende<br />

Fälle, und häufig kostenlos. So wurde ihm e<strong>in</strong>mal se<strong>in</strong>e Uhr gestohlen. Er<br />

beschwerte sich bei se<strong>in</strong>em Klienten und am nächsten Tag wurde ihm die<br />

Uhr mit e<strong>in</strong>er Entschuldigung direkt zu se<strong>in</strong>em Haus gebracht.<br />

Laut Kollegen soll Waldemar Baeckmann sehr gesellig gewesen se<strong>in</strong>, e<strong>in</strong><br />

<strong>in</strong>teressanter und gebildeter Gesprächspartner, äußerst wohlerzogen.<br />

1913 heiratete Waldemar Baeckman noch als Student die Student<strong>in</strong> Anna<br />

Moiseyevna Snisarenko, die bei se<strong>in</strong>em Bru<strong>der</strong> Julius als Bibliothekar<strong>in</strong> im<br />

Zoologischen Museum bis 1934 arbeitete. Aus dieser Ehe g<strong>in</strong>g e<strong>in</strong> Sohn<br />

hervor, Anatoly (1917-1941) <strong>der</strong> während des Krieges <strong>in</strong> den Schlachten vor<br />

Moskau als Panzerfahrer starb. Der Sohn von Anatoly Robert wurde 1940<br />

geboren, überlebte den Krieg, se<strong>in</strong>e Enkel<strong>in</strong> lebt noch immer <strong>in</strong> Moskau.<br />

Man weiß nicht, was <strong>in</strong> <strong>der</strong> Familie von Woldemar Baeckmann vorgefallen<br />

war, aber die Ehe scheiterte und Frau und Sohn zogen fort nach Moskau.<br />

1930 heiratet Woldemar Baeckmann erneut.<br />

W. Baeckmann 1939<br />

und se<strong>in</strong>e zweite Ehefrau<br />

Kleopatra<br />

У. Бекманн 1939<br />

и его вторая жена<br />

Клеопатра<br />

265


Нет достоверной информации о том, что произошло в семье Вольдемара Бекмана, но<br />

брак не удался, и его жена и сын переехали в Москву. В 1930 году Вольдемар вступает<br />

во второй брак с Клеопатрой Степановой.<br />

Революционные события 1917 года раскидали дружную семью Бекман по всей<br />

России. В отличие от Вольдемара и Юлиуса, их его родители, Иоганнес Карл Юлий<br />

Бекман с женой и дочерью Анной, бежали на санях в Эстонию через замерзший<br />

Финский залив. Иоганнес Карл Юлий Бекман умер в Дерпте в 1921 году, а в 1937 году<br />

умерла и его вдова.<br />

Карл Бекман сражался в Белой армии, затем короткое время практиковал в качестве<br />

врача в Крыму. В момент захвата Крыма Красной армией с последним пароходом он<br />

эмигрировал в Германию, где жил и практиковал до 1968 года.<br />

Юлиус Бекман − промышленник и известный учёный-натуралист, также, как и его брат<br />

Вольдемар со своей семьей оставшийся в России, был арестован в 20-х годах и<br />

получил освобождение только через многочисленные ходатайства коллег-учёных и<br />

семьи. Вольдемар был его адвокатом на суде. Но тюрьма подорвала здоровье<br />

Юлиуса, и он умер от туберкулеза в 1930 году.<br />

В это время Вольдемар Бекман работал экономистом в Ленинградском<br />

геологоразведочном управлении (набережная реки Мойки, 88). Почти сразу после<br />

второго брака, в 1930 году, он покинул город и работал плановиком в экономическом<br />

отделе на строительстве завода «Апатит» в городе Хибиногорске. В 1931 году за ним<br />

последовала его жена, которую он устроил в качестве машинистки в своем отделе.<br />

Причиной такого изменения места жительства, вероятно, явилась опасность ареста. У<br />

Бекмана был друг в НКВД, который неоднократно предупреждал его о опасности. В<br />

1932 году семья Бекман вновь вернулась в Ленинград, где родились дочери-близнецы<br />

Валерия и Марина.<br />

Опасаясь очередного ареста в 1935 году, его снова предупредил друг, что против него<br />

было возбуждено «дело», и арест уже подготовлен, семья переехала с детьми в<br />

Архангельск, затем в Апатиты и в Хибины, где Вольдемар и Клеопатра Бекман снова<br />

нашли работу в ГУЛАГе в экономическом отделе лагеря для «спецпереселенцев» на<br />

комбинате по добыче апатитовой руды.<br />

Там семья была захвачена репрессиями. В ходе расследования подозреваемый<br />

Вольдемар Бекман оставался на свободе под строгим наблюдением и «подпиской».<br />

Несколько раз он ездил в Москву на допрос к следователю (который также был<br />

немцем) и был, наконец, полностью оправдан. В 1938 году семья получила<br />

разрешение вновь вернуться в Ленинград.<br />

Спустя некоторое время Бекман отправился в Москву, чтобы поблагодарить<br />

следователя, но он узнал, что его расстреляли. Семья всегда с благодарностью<br />

вспоминала этого «неизвестного» друга.<br />

Примечательно, что жена Вольдемара была лично не знакома с семьей своего мужа.<br />

Как будто Вольдемар вообще не общался с родственниками. Это было, скорее всего,<br />

из-за опасений преследований, которым периодически подвергались обе семьи и<br />

Бекман и Степановы.<br />

266


Nach <strong>der</strong> Revolution von 1917 waren die Eltern, Johannes Karl Julius<br />

Baeckman und und se<strong>in</strong>e Frau mit ihre Tochter Anna nach Estland über den<br />

zugefrorenen F<strong>in</strong>nischen Meerbusen geflohen. Der Vater starb 1921 <strong>in</strong><br />

Dorpat, 1937 auch se<strong>in</strong>e Witwe.<br />

Ihr Sohn Karl kämpfte <strong>in</strong> <strong>der</strong> weißen Armee und ließ sich dann als Arzt auf<br />

<strong>der</strong> Krim nie<strong>der</strong>. Mit dem letzten Dampfer gelangte er von dort nach<br />

Deutschland, wo er bis 1968 lebte und praktizierte.<br />

Julius (Julius Iwanowitsch), <strong>der</strong> Fabrikant und Naturforscher, wurde verhaftet<br />

und erlangte se<strong>in</strong>e Freilassung nur durch wie<strong>der</strong>holte Petitionen <strong>der</strong> Familie,<br />

Woldemar war se<strong>in</strong> Anwalt. Aber das Gefängnis hatte se<strong>in</strong>e Gesundheit<br />

untergraben und er starb 1930 an Tuberkulose.<br />

V.I. Baeckmann arbeitete <strong>in</strong> dieser Zeit als Ökonom <strong>in</strong> <strong>der</strong> Len<strong>in</strong>grad<br />

Geological Survey (Embankment des Moika River, 88). Fast sofort nach<br />

se<strong>in</strong>er Heirat, 1930, verließ er die Stadt und arbeitete als Planer <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Wirtschaftsabteilung beim Bau des Apatit-Werks <strong>in</strong> <strong>der</strong> Stadt Khib<strong>in</strong>ogorsk..<br />

1931 folgte ihm se<strong>in</strong>e Frau, die er als Schreibkraft <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Abteilung<br />

unterbr<strong>in</strong>gen konnte.<br />

Der Grund für diesen Ortswechsel ist wahrsche<strong>in</strong>lich die Gefahr <strong>der</strong><br />

Verhaftung. Baeckman hatte e<strong>in</strong>en Freund im NKWD – vermutlich e<strong>in</strong>en<br />

Studienfreund – <strong>der</strong> ihn wie<strong>der</strong>holt warnen konnte.<br />

1932 kehrte die Familie Baeckman jedoch nach Len<strong>in</strong>grad zurück, wo die<br />

Zwill<strong>in</strong>gstöchter Valeria und Mar<strong>in</strong>a geboren wurden.<br />

Wegen <strong>der</strong> Angst vor e<strong>in</strong>er weiteren Verhaftung im Jahr 1935 - er wurde<br />

erneut von e<strong>in</strong>em Freund gewarnt, dass e<strong>in</strong> "Fall" gegen ihn e<strong>in</strong>geleitet und<br />

die Verhaftung vorbereitet wurde – zog die Familie mit den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n nach<br />

Arkhangelsk, dann zur Apatie und zum Khib<strong>in</strong>y, wo Baeckman im Lager für<br />

„beson<strong>der</strong>e“ Siedler wie<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e Anstellung als Ökonom fand: für den Abbau<br />

von "Apatit"<br />

Dort wurde die Familie von Repressionen überrollt. Während <strong>der</strong><br />

Untersuchung blieb <strong>der</strong> Verdächtige Bekman zu großen Teilen unter<br />

"Beobachtung". Er reiste mehrmals nach Moskau zu Befragungen zu e<strong>in</strong>em<br />

Ermittler (<strong>der</strong> auch e<strong>in</strong> Deutscher war) und wurde schließlich völlig<br />

freigesprochen. 1938 erhielt die Familie die Erlaubnis, nach Len<strong>in</strong>grad<br />

zurückzukehren.<br />

E<strong>in</strong>ige Zeit später fuhr Baeckmann nach Moskau, um dem Ermittler zu<br />

danken, aber er erfuhr, dass dieser erschossen worden war – die Familie<br />

er<strong>in</strong>nerte sich immer mit Dankbarkeit jenes „unbekannten“ Freundes.<br />

Es ist bemerkenswert, dass se<strong>in</strong>e Frau persönlich nicht mit <strong>der</strong> Familie ihres<br />

Mannes vertraut war - es besteht <strong>der</strong> E<strong>in</strong>druck, dass Woldemar überhaupt<br />

nicht mit Verwandten kommunizierte. <strong>Die</strong>ses höchstwahrsche<strong>in</strong>lich wegen <strong>der</strong><br />

Gefahr <strong>der</strong> Verfolgung, denen sie und Ihre Nachbarn periodisch unterworfen<br />

waren.<br />

267


Strelnya, Konstant<strong>in</strong>ovsky Palace<br />

Der Landschaftsarchitekt V. I. Stepanow und se<strong>in</strong> Sohn Benjam<strong>in</strong><br />

После начала Второй мировой войны Вальдемар Бекман не был<br />

отправлен на фронт, по-видимому, из-за недавнего судебного<br />

разбирательства и, таким образом, продолжал работать в геологоразведочном<br />

управлении. Его дочери были со своими дедушкой и бабушкой<br />

В.И. Степановым и его женой по другую сторону фронта в Пушкине.<br />

W. I. Stepanow bei <strong>der</strong> Arbeit <strong>in</strong> den Gärten<br />

von Zarskoe<br />

В. И. Степанов на работе в садах Царского<br />

268


<strong>Die</strong> Zwill<strong>in</strong>gsschwestern Mar<strong>in</strong>a und Valeria Baeckmann<br />

Nach dem Beg<strong>in</strong>n des Zweiten Weltkrieges wurde Waldemar Beckman nicht<br />

e<strong>in</strong>gezogen und an die Front abkommandiert, wahrsche<strong>in</strong>lich wegen des vor<br />

kurzem erst abgeschlossenen Untersuchungsverfahrens, er arbeitete daher<br />

weiterh<strong>in</strong> im geologischen und explorativen Management. Se<strong>in</strong>e Töchter<br />

befanden sich bei den Schwiegereltern V. I. Stepanow und dessen Frau<br />

dann auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite <strong>der</strong> Front <strong>in</strong> Puschk<strong>in</strong>.<br />

Der Oberhofgärtner <strong>in</strong> Puschk<strong>in</strong><br />

V. I. Stepanow mit Frau und Tochter<br />

und mit den Enkelk<strong>in</strong><strong>der</strong>n.<br />

Оберхофгартнер в Пушкине<br />

В. И. Степанов с женой и дочерью<br />

и с внуками.<br />

269


Рассказ моей мамы Валерии Вольдемаровны Бекман о Войне<br />

Летом 1941 г. Мы жили на территории Александровского парка г.Пушкин<br />

в служебной квартире моего деда В.И Степанова, который был главным<br />

садовником паркового хозяйства Пушкина и Павловска. Квартира<br />

помещалась в здании Арсенала. У дедушки была двуколка и лошадь, тк<br />

ему приходилось постоянно ездить по обширным парковым<br />

территориям.<br />

Фронт стремительно приближался к Пушкину. Через город тянулись<br />

бесконечные обозы людей, бежавших от немцев. Проходили войска. В<br />

городе шла эвакуация музейных ценностей, однако никто не верил, что<br />

Пушкин сдадут немцам. Мой дедушка В.И Степанов постоянно был на<br />

работе в разъездах. Он упаковывал музейные экспонаты. Что не могли<br />

вывести - закапывали. Так в Павловском парке под руководством<br />

дедушки были закопаны люстры и другие ценности Павловского дворца.<br />

Их до сих пор не нашли, тк все участвовавшие в работах погибли.<br />

Мы не верили, что Пушкин сдадут немцам, тк это было равносильно<br />

сдаче Ленинграда. Так говорили дедушке знакомые партийные<br />

начальники. Но вскоре пушечная канонанада стала стремительно<br />

приближаться к городу. Вскоре началась бомбардировка и мы, с<br />

большинством жителей Пушкина, укрылись в огромном подвале<br />

Екатерининского дворца. К дедушке прибежал знакомый мужчина и<br />

сказал: немцы уже в Софии (район Пушкина), от вокзала отходит<br />

последний поезд на Ленинград. Поторопитесь, мы Вас заберем.<br />

Но дедушка ослабел от тяжелой и нервной работы (ему было более 70<br />

лет) и сказал, что у него нет сил бежать под непрерывной бомбежкой на<br />

поезд с престарелой супругой и нами (двумя девочками 9 лет). По сути<br />

это спасло нам жизнь. Так как этот последний поезд разбомбила<br />

немецкая авиация.<br />

Мы слышали, как бомба попала в Екатерининский дворец, затем в<br />

городе началась ружейная стрельба, которая быстро смолкла.<br />

Наступила страшная тишина. Люди стали говорить, что немцы вошли в<br />

город. Вскоре двери подвала распахнулись и вошли немецкие солдаты с<br />

автоматами наперевес. Они знаками показали, что все должны покинуть<br />

свое убежище.<br />

На выходе немцы досматривали вснех мужчин, женщин не трогали. У<br />

дедушки солдат тут же отобрал золотые карманные часы и галоши. Это<br />

привело его в состояние шока. Дедушка учился в Вильнюсе и всю жизнь<br />

работал с немцами-садоводами. Он знал их как трудолюбивую нацию,<br />

которая не склонна к воровству и разбою.<br />

270


Valeria Voldemarownas Geschichte über den Krieg<br />

Im Sommer 1941 lebten wir im Alexan<strong>der</strong>-Park von Puschk<strong>in</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Die</strong>nstwohnung me<strong>in</strong>es Großvaters V.I. Stepanow, <strong>der</strong> <strong>der</strong> Chefgärtner <strong>der</strong><br />

Parkwirtschaft von Puschk<strong>in</strong> und Pawlowsk war. <strong>Die</strong> Wohnung bef<strong>in</strong>det sich<br />

im Gebäude des Arsenals. Großvater hatte e<strong>in</strong>en Gig und e<strong>in</strong> Pferd, da er die<br />

ganze Zeit durch ausgedehnte Parkgebiete reisen musste.<br />

<strong>Die</strong> Front kam schnell nach Puschk<strong>in</strong>. Durch die Stadt fuhren zahllose Karren<br />

mit Menschen auf <strong>der</strong> Flucht vor den Deutschen. <strong>Die</strong> Truppen marschierten<br />

daran vorbei. <strong>Die</strong> Stadt wurde durch das Museum des Zarenpalastes wertvoll<br />

gemacht, aber niemand glaubte, dass Puschk<strong>in</strong> den Deutschen übergeben<br />

würde. Me<strong>in</strong> Großvater V.I. Stepanow war ständig auf <strong>der</strong> Straße. Er packte<br />

Museumsgut für die Evakuierung e<strong>in</strong>. Was nicht abtransportiert werden<br />

konnte, wurde vergraben. So wurden im Pavlovsky-Park unter <strong>der</strong> Leitung<br />

des Großvaters die Kronleuchter und an<strong>der</strong>e Werte des Pavlovsk-Palastes<br />

e<strong>in</strong>gegraben. Sie s<strong>in</strong>d noch nicht gefunden worden, da alle, die an den<br />

Arbeiten teilnahmen, umgekommen s<strong>in</strong>d.<br />

Wir glaubten nicht, dass Puschk<strong>in</strong> den Deutschen übergeben würde - das war<br />

für uns gleichbedeutend mit <strong>der</strong> Übergabe von Len<strong>in</strong>grad. So wurde es<br />

jedenfalls dem Großvater von ihm bekannten Parteiführern gesagt.<br />

Doch bald begann die Kanonade und näherte sich schnell <strong>in</strong> <strong>der</strong> Stadt. Bald<br />

begann die Bombardierung und wir, wie die Mehrheit <strong>der</strong> Puschk<strong>in</strong>-<br />

Bewohner, nahmen Zuflucht <strong>in</strong> den riesigen Kellern des Kathar<strong>in</strong>enpalastes.<br />

E<strong>in</strong> Bekannter rannte zum Großvater und sagte: <strong>Die</strong> Deutschen s<strong>in</strong>d schon <strong>in</strong><br />

Sofia (Puschk<strong>in</strong>-Bezirk), <strong>der</strong> letzte Zug nach Len<strong>in</strong>grad verlässt den Bahnhof.<br />

Beeilen Sie sich, wir holen Sie ab. Aber <strong>der</strong> Großvater war geschwächt von<br />

se<strong>in</strong>er harten und nervenaufreibenden Arbeit - er war über 70 Jahre alt - und<br />

sagte, dass er ke<strong>in</strong>e Kraft habe, unter fortlaufenden Bombardierungen mit<br />

se<strong>in</strong>er betagten Frau und uns zwei Mädchen im Alter von 9 Jahren zum Zug<br />

zu laufen<br />

In <strong>der</strong> Tat hat dies unser Leben gerettet, da dieser letzte Zug von <strong>der</strong><br />

deutschen Luftwaffe bombardiert wurde.<br />

Wir hörten e<strong>in</strong>e Bombe, die den Kathar<strong>in</strong>enpalast traf, dann begannen<br />

Schießereien <strong>in</strong> <strong>der</strong> Stadt, die jedoch schnell wie<strong>der</strong> verstummten. Es war<br />

e<strong>in</strong> schreckliches Schweigen. <strong>Die</strong> Leute sagten, dass die Deutschen <strong>in</strong> die<br />

Stadt gekommen waren. Bald öffneten sich die Kellertüren und deutsche<br />

Soldaten traten e<strong>in</strong> mit Pistolen im Anschlag. Sie zeigten an, dass je<strong>der</strong> se<strong>in</strong>e<br />

Zuflucht verlassen sollte.<br />

Am Ausgang haben die Deutschen alle Männer <strong>in</strong>spiziert, Frauen wurden<br />

nicht angefasst. E<strong>in</strong>er <strong>der</strong> Soldaten nahm dem Großvater sofort se<strong>in</strong>e<br />

goldene Taschenuhr und die Galoschen weg. <strong>Die</strong>ses hat ihn schockiert: er<br />

hatte <strong>in</strong> Vilnius studiert und se<strong>in</strong> ganzes Leben mit deutschen Gärtnern<br />

gearbeitet. Er kannte sie als e<strong>in</strong>e fleißige Nation, die nicht zum Raub und<br />

Stehlen neigt.<br />

271


Затем всех нас вывели за город, вещи брать с собой было запрещено.<br />

Нас сопровождали немцы с собаками. Мы маленькие не понимали, но<br />

взрослые предчувствовали, что нас ведут на расстрел.<br />

Всех нас поместили в огромном сарае, набитом сеном. Снаружи стоял<br />

часовой. Так мы провели ночь. А утром мы проснулись от того, что двери<br />

сарая открыты. Оказалось, что часовой ушёл, и сарай отрыт. Все<br />

потихоньку разошлись по домам. Мы вернулись в свою квартиру. По<br />

ночам периодически мы слышали ружейные залпы и автоматную<br />

стрельбу. Дедушка говорил, что это расстреливают евреев. Среди них<br />

расстреляли и дедушкина друга-немца. Его фамилию приняли за<br />

еврейскую.<br />

Через переводчика было объявлено, что в Пушкине решено не<br />

оставлять мирное население. Это будет закрытая зона. И все жители с<br />

пожитками на телегах двинулись из города. Шли целый день, ночью<br />

переночевали в поле, снова двинулись в путь и пришли в Гатчину. Нас<br />

разместили в огороженном колючей проволокой территории.<br />

Но нашу семью освободили по ходатайству гимназической подруги моей<br />

бабушки, немки Tille, которая работала переводчицей. По освобождении<br />

из лагеря семья поселилась в квартире Tille, но там было тесно и<br />

беспокойно. Постоянно приходили немецкие военные.<br />

Поэтому дедушка нашёл брошенный дом в Егерской слободе<br />

Мариенбурга напротив церкви. Мы там стали жить.<br />

В феврале 1943 года умерла бабушка Зинаида, а через 3 дня дедушка.<br />

Так мы с сестрой Мариной остались одни. Жили при церкви, где пели в<br />

хоре и помогали по хозяйству семье священника. Затем нас вновь<br />

разыскала Tille и отправила в Германию под присмотром своего сынаофицера<br />

(он был начальником эшелона). Мы попали в концлагерь для<br />

перемещённых лиц. Нас допросили и подвергли медицинскому осмотру,<br />

при котором взяли анализ крови почему-то из уха и сделали какие-то<br />

обмеры. После этой процедуры нам выдали паспорт о немецком<br />

происхождении и написали «Reich Deutsch». Немцев из России<br />

разделяли. Кому-то писали «E<strong>in</strong>e Deutsch», а кому-то «Reich Deutsch”. О<br />

нас разместили в местной газете объявление. Вскоре нас с Мариной<br />

забрали в немецкую семью на хутор в райне Neugrobau.<br />

272


Dann wurden wir alle aus <strong>der</strong> Stadt getrieben, es war verboten, irgendwelche<br />

D<strong>in</strong>ge mitzunehmen. Wir wurden von den Deutschen mit Hunden begleitet.<br />

<strong>Die</strong> Kle<strong>in</strong>en haben es nicht verstanden, aber die Erwachsenen ahnten, dass<br />

sie uns zum Erschießen führten.<br />

Wir wurden alle <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e riesige Scheune mit Heu gelegt. Draußen war e<strong>in</strong><br />

Posten. Also haben wir die Nacht verbracht. Und am Morgen wachten wir auf,<br />

weil die Türen <strong>der</strong> Scheune offen waren. Es stellte sich heraus, dass <strong>der</strong><br />

Wächter gegangen war und <strong>der</strong> Schuppen offen war. Alle g<strong>in</strong>gen langsam<br />

nach Hause. Wir kehrten zu unserer Wohnung zurück. In <strong>der</strong> Nacht, von Zeit<br />

zu Zeit, hörten wir Gewehr-Salven und Masch<strong>in</strong>engewehrfeuer. Großvater<br />

sagte, dass sie die Juden erschossen hatten. Unter ihnen war auch <strong>der</strong><br />

Freund unseres Großvaters, se<strong>in</strong> Name war für jüdisch gehalten worden.<br />

Durch e<strong>in</strong>en Dolmetscher wurde <strong>der</strong> Befehl verkündet, dass die Zivilbevölkerung<br />

Puschk<strong>in</strong> zu verlassen habe – die Stadt wurde zur geschlossenen<br />

Zone erklärt. Alle E<strong>in</strong>wohner zogen mit ihren Sachen auf Wagen aus <strong>der</strong><br />

Stadt. Wir g<strong>in</strong>gen den ganzen Tag, die Nacht verbrachten wir auf dem Feld,<br />

begannen wie<strong>der</strong> zu laufen und kamen schließlich nach Gatch<strong>in</strong>a. Wir<br />

wurden <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en umzäunten Bereich mit Stacheldraht gebracht.<br />

Aber unsere Familie wurde auf Petition e<strong>in</strong>er Freund<strong>in</strong> me<strong>in</strong>er Großmutter<br />

aus <strong>der</strong> Gymnasialzeit, <strong>der</strong> deutschen Frau Tille freigelassen, die als<br />

Dolmetscher<strong>in</strong> tätig war. Nach <strong>der</strong> Befreiung aus dem Lager kam die Familie<br />

<strong>in</strong> Frau Tilles Wohnung unter, aber dort war es voll und unruhig, ständig kam<br />

das deutsche Militär. Deshalb fand me<strong>in</strong> Großvater e<strong>in</strong> verlassenes Haus im<br />

Jagen Sloboda von Marienburg gegenüber <strong>der</strong> Kirche, wir haben dort dann<br />

gelebt.<br />

Im Februar 1943 starb die Großmutter, und nur 3 Tage später auch <strong>der</strong><br />

Großvater. Also waren me<strong>in</strong>e Schwester Mar<strong>in</strong>a und ich nun alle<strong>in</strong>e.<br />

Wir lebten <strong>in</strong> <strong>der</strong> Kirche, wo wir im Chor sangen und im Haushalt des<br />

Priesters behilflich waren. Dann fand uns Frau Tille wie<strong>der</strong> und schickte uns<br />

unter <strong>der</strong> Aufsicht ihres Sohnes, <strong>der</strong> Offizier war, nach Deutschland - er war<br />

<strong>der</strong> Kommandant des Zuges. Wir landeten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Sammellager für<br />

Vertriebene. Wir wurden verhört und e<strong>in</strong>er ärztlichen Untersuchung<br />

unterzogen, <strong>in</strong> <strong>der</strong> aus irgende<strong>in</strong>em Grund e<strong>in</strong>e Blutprobe genommen und<br />

e<strong>in</strong>ige Messungen gemacht wurden. Nach diesem Vorgang wurde uns die<br />

deutsche Herkunft besche<strong>in</strong>igt und wir wurden als "Reichs-Deutsch"<br />

e<strong>in</strong>gestuft. <strong>Die</strong> Deutschen aus Russland waren irgendwie geteilt: die E<strong>in</strong>en<br />

wurden als "Deutsche" bezeichnet, an<strong>der</strong>e als "Reichsdeutsche". Über uns<br />

wurde <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er lokalen Zeitung berichtet. Bald wurden Mar<strong>in</strong>a und ich zu e<strong>in</strong>er<br />

deutschen Familie auf e<strong>in</strong>em Bauernhof im Neugrobau-Bezirk gebracht<br />

273


Немецкая хозяка (мы называли её «Tante») вымыла нас и сшила нам<br />

платья. А её муж Onkel сделал нам деревянные башмаки. Мы работали<br />

и кушали вместе с членами семьи и другими работницами. Я пасла<br />

гусей, а Марина – коров и помогала «Tante» по дому. Отношение было<br />

хорошее, «как к своим детям». Это были простые немецкие крестьяне,<br />

которым дали хутор на территории Польши. В октябре 1944 г. Марина<br />

заболела. Её лечили дома. Когда её состояние ухудшилось, повезли на<br />

телеге в город. Но было поздно, Марина умерла от перитонита во время<br />

операции.<br />

В 1944 г. пришли русские. На хутор приехал за провизией лейтенант<br />

Батиновский. Tante выставила меня вперед, поскольку я знала порусски.<br />

Батиновский удивился: «это что за чудо, уже русский выучила?»<br />

Я сказала, что я из Ленинграда.<br />

Он попросил меня написать письмо родным. Я ему сказала, что письмо<br />

давно написано, и отдала ему. Но пока шло письмо, и моя мама<br />

переписывалась с военачальниками (сперва написала Сталину, он<br />

переслал Жукову, а тот Рокоссовскому, так как это был его фронт) я<br />

стала «дочерью полка». Дошла до Берлина и расписалась на Рейхстаге.<br />

Потом Рокоссовский издал Приказ отправить меня в Ленинград. Я сама<br />

видела этот Приказ: «из хутора в районе Neugrobau забрать и<br />

переправить в Ленинград к матери девочку Валерию Бекман». Когда<br />

окончилась Война в 1945 году, меня снарядили в дорогу (нашли мне<br />

пальто, шапку), за мной прислали автобус и на нём отвезли прямо в<br />

Ленинград в сопровождении трёх солдат с предписанием. Там я на<br />

трамвае добралась до дому. Мама была на работе. Мне открыли соседи,<br />

и я дождалась, когда мама и её сестра Тамара пришли с работы.<br />

Вот так закончилась моя эпопея.<br />

Valeria Baeckmann 1945, nach Ihrer<br />

Rückkehr nach Len<strong>in</strong>grad<br />

Валерия Baeckmann 1945, после вашего<br />

возвращения в Ленинград<br />

274


<strong>Die</strong> deutsche Hausfrau (wir nannten sie "Tante") wusch uns und machte uns<br />

Klei<strong>der</strong>. Und ihr Mann, <strong>der</strong> „ Onkel“ stellte uns Holzschuhe her. Wir haben mit<br />

den Familienmitglie<strong>der</strong>n und an<strong>der</strong>en Arbeiter<strong>in</strong>nen gearbeitet und gegessen.<br />

Ich hütete Gänse und Mar<strong>in</strong>a Kühe und wir halfen <strong>der</strong> "Tante" im Haus. <strong>Die</strong><br />

Haltung war gut, "wie bei den eigenen K<strong>in</strong><strong>der</strong>n." Es waren e<strong>in</strong>fache deutsche<br />

Bauern, die <strong>in</strong> Polen e<strong>in</strong>e Farm erhielten. Im Oktober 1944 wurde Mar<strong>in</strong>a<br />

krank, sie wurde zu Hause gepflegt. Als sich ihr Zustand verschlechterte, fuhr<br />

man sie auf dem Wagen <strong>in</strong> die Stadt. Aber es war zu spät, Mar<strong>in</strong>a starb<br />

während <strong>der</strong> Operation an Bauchfellentzündung.<br />

1944 kam Leutnant Bat<strong>in</strong>owski wegen Voräten auf den Hof. Tante hat mich<br />

vorgestellt, da ich Russisch konnte. Batyanovskiy war überrascht, "was für e<strong>in</strong><br />

Wun<strong>der</strong>, hast du schon Russisch gelernt?" Ich sagte, dass ich aus Len<strong>in</strong>grad<br />

war.<br />

Er sagte mir: also schreib e<strong>in</strong>en Brief an de<strong>in</strong>e Familie. Ich antwortete ihm,<br />

dass <strong>der</strong> Brief schon lange geschrieben war und gab ihm den. Aber während<br />

<strong>der</strong> Brief unterwegs war und me<strong>in</strong>e Mutter mit den Militärkommandanten<br />

verhandelte - zuerst schrieb er an Stal<strong>in</strong>, dann schickte er das Schreiben an<br />

Schukow, und dieser sandte es Rokossowski, <strong>der</strong> war <strong>der</strong> Frontkommandeur<br />

- wurde ich die Tochter des Regiments. Ich b<strong>in</strong> bis nach Berl<strong>in</strong> gekommen<br />

und habe im Reichstag unterschrieben.<br />

Dannbefahl Rokossowski, mich nach Len<strong>in</strong>grad zu schicken, ich selbst sah<br />

diesen Befehl, „das Mädchen Valeria Beckmann von <strong>der</strong> Farm im Neugrobau-<br />

Bezirk nach Len<strong>in</strong>grad zu br<strong>in</strong>gen und zu transportieren.<br />

Als <strong>der</strong> Krieg 1945 endete, wurde ich für die Fahrt ausgestattet - sie fanden<br />

für mich e<strong>in</strong>en Mantel, e<strong>in</strong>en Hut - e<strong>in</strong> Transporter wurde für mich geschickt<br />

und sie brachten mich nach Len<strong>in</strong>grad, begleitet von 3 Soldaten mit<br />

Anweisungen.<br />

Ich b<strong>in</strong> dort mit <strong>der</strong> Straßenbahn nach Hause gefahren-. Mama war bei <strong>der</strong><br />

Arbeit. Mir wurde von den Nachbarn geöffnet und ich wartete, bis me<strong>in</strong>e<br />

Mutter und ihre Schwester Tamara von <strong>der</strong> Arbeit nach Hause kamen.<br />

So endet me<strong>in</strong>e Geschichte.<br />

Das Wohnhaus <strong>der</strong> Familie<br />

Voldemar Baeckmann <strong>in</strong> Petersburg,<br />

nahe <strong>der</strong> Wassiljewski-Insel.<br />

Geburtsort <strong>der</strong> Zwill<strong>in</strong>gsschwestern<br />

und noch heutige Wohnung<br />

von Valeria Baeckmann.<br />

Дом семьи Вольдемар Бакманн<br />

в Петербурге, недалеко от<br />

Васильевского острова. Место<br />

рождения двойных мечей и все<br />

еще сегодняшняя квартира<br />

Валерии Бакманн.<br />

275


Смерть моего деда Вольдемара Бекманн (Вольдемар Иоганнович<br />

Бекман)<br />

Из рассказов моей бабушки Клеопатры, которые я часто слышал в<br />

детстве.<br />

В.И. Бекману очень трудно было пережить разлуку с дочерьми и голод. В<br />

1941 году в сентябре Ленинград был в полной блокаде, те полностью<br />

окружён немецкими войсками. В городе не было электричества,<br />

водоснабжения, бушевал голод. Вскоре довоенные запасы пищи были<br />

исчерпаны, семейные украшения были обменяны на еду. Семья жила на<br />

скудном пайке, который выдавался по карточкам на каждого человека. В<br />

квартире жила бабушка, её сестра Тамара и Вольдемар. Они разбирали<br />

мебель, соскабливали столярный клей и готовили «суп», съели<br />

грунтовку из чешуи осетровых рыб, которую до войны Тамара<br />

использовала для реставрации живописи. Но хлеба, который выдавали<br />

по карточкам, и этой скудной пищи не хватало. Мой дед Вольдемар<br />

«таял» от голода на глазах, и моя бабушка не могла ему ничем помочь.<br />

Незадолго перед новым 1942 годом он обменял свое последнее<br />

сокровище − единственные валенки − на хлеб. И этот хлеб был также<br />

съеден. Вечером перед сном Вольдемар сказал: «Перекрести меня,<br />

Клипа» (Клипа, уменьшительное имя «Клеопатра»). Это были его<br />

последние слова. Утром моя бабушка нашла его мёртвым.<br />

Бабушка не хотела оставить тело мужа похоронной команде, которая<br />

хоронила всех умерших ленинградцев в братских могилах. Она хотела,<br />

чтобы её мужа похоронили в отдельной могиле. Но это требовало<br />

определенных средств. А денег и ценностей уже не было. Так что нужно<br />

было накопить хлеба и водки, которые стали в блокадном городе<br />

разменной валютой. Моя бабушка придумала план. Она не рассказала<br />

властям о смерти своего мужа. Его тело было перенесено на диван под<br />

одеяло, как будто он был жив. В квартире было очень холодно (менее<br />

−20 С°), и тело хорошо сохранялось. Таким образом некоторое время<br />

моя бабушка получила дополнительное питание по карточке деда и<br />

копила его. Когда она собрала достаточно хлеба для оплаты похорон,<br />

бабушка позвонила врачу и сообщила о смерти мужа. Причину смерти<br />

записали как «V.I. Beckman, 51 год, DZ cardiosclerosis». Было запрещено<br />

указывать смерть от истощения. Тело было положено вместо гроба в<br />

небольшой шкаф, и бабушка отвезла его на Смоленское кладбище. Там<br />

умерших ленинградцев хоронили в братских могилах. Но бабушка<br />

упросила администрацию кладбища сделать отдельную могилу для<br />

своего мужа в обмен на хлеб и водку.<br />

Спустя некоторое время бабушку посетил кто-то из семьи Бекман. Моя<br />

бабушка сказала, что это был брат Вольдемара, и он приехал с Кавказа.<br />

Он не знал, что Вольдемар умер.<br />

276


Der Tod me<strong>in</strong>es Großvaters Woldemar Baeckmann<br />

(Voldemar Johannovich Beckman).<br />

Aus <strong>der</strong> Geschichte me<strong>in</strong>er Großmutter Kleopatra, die ich <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er K<strong>in</strong>dheit<br />

oft hörte.<br />

V. I. Beckman hatte e<strong>in</strong>e sehr harte Zeit, die Trennung von se<strong>in</strong>en Töchtern<br />

und den Hunger zu ertragen. Len<strong>in</strong>grad wurde 1941 völlig von deutschen<br />

Truppen e<strong>in</strong>geschlossen, man bezeichnet das als " die Blockade". In <strong>der</strong><br />

Stadt gab es ke<strong>in</strong>en Strom, ke<strong>in</strong>e Wasserversorgung, Hungersnot wütete.<br />

Bald waren die Vorkriegslieferungen an Nahrung verbraucht,<br />

Familienschmuck wurde für Nahrung versetzt. Man lebte von e<strong>in</strong>er dürftigen<br />

Ration, die auf Karten ausgegeben wurde.<br />

In <strong>der</strong> Wohnung lebten Großmutter, ihre Schwester Tamara und Woldemar.<br />

Sie sortierten die Möbel aus, kratzten den Tischler-Leim und kochten die<br />

"Suppe", aßen Sturgeon-Le<strong>in</strong>wand-Grundierung - Tamara war Gemälde-<br />

Restaurator<strong>in</strong>. Kurz vor dem neuen Jahr 1942 tauschte er se<strong>in</strong>en letzten<br />

Schatz - die e<strong>in</strong>zigen Stiefel - gegen Brot. Und dieses Brot wurde auch<br />

gegessen. Am Abend vor dem Schlafengehen sagte Waldemar: "Bekreuzige<br />

mich, Clip" (Clip verkürzt für Kleopatra). Das waren se<strong>in</strong>e letzten Worte. Am<br />

Morgen fand me<strong>in</strong>e Großmutter ihn tot.<br />

<strong>Die</strong> Großmutter wollte die Leiche ihres Mannes nicht <strong>der</strong> Beerdigungstruppe<br />

überlassen, die alle Toten <strong>in</strong> Len<strong>in</strong>grad <strong>in</strong> Massengräbern begrub. Sie wollte,<br />

dass ihr Mann <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em separaten Grab begraben wurde. Dafür waren jedoch<br />

gewisse Mittel erfor<strong>der</strong>lich. Und das Geld und die Werte waren weg. Es war<br />

also notwendig, Brot und Wodka anzusammeln, das <strong>in</strong> <strong>der</strong> belagerten Stadt<br />

zur Verhandlungswährung wurde. Me<strong>in</strong>e Großmutter hatte e<strong>in</strong>en Plan. Sie<br />

erzählte den Behörden nicht vom Tod ihres Mannes. Se<strong>in</strong> Körper wurde auf<br />

das Sofa unter <strong>der</strong> Decke gelegt, als ob er noch am Leben wäre. <strong>Die</strong><br />

Wohnung war sehr kalt (weniger als -20 ° C) und <strong>der</strong> Körper war gut erhalten.<br />

So erhielt me<strong>in</strong>e Großmutter für e<strong>in</strong>ige Zeit zusätzliches Essen auf die Karte<br />

ihres Großvaters und sparte es. Als sie genug Brot für die Beerdigung<br />

gesammelt hatte, rief die Großmutter den Arzt an und meldete den Tod ihres<br />

Mannes. <strong>Die</strong> Todesursache wurde als „V.I. Beckman, 51, DZ-Kardiosklerose.<br />

“ angegeben. Es war verboten, den Tod durch Erschöpfung anzuzeigen. <strong>Die</strong><br />

Leiche wurde anstelle e<strong>in</strong>es Sarges <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en kle<strong>in</strong>en Schrank gelegt, und die<br />

Großmutter brachte ihn zum Friedhof von Smolensk. Dort wurden die Toten<br />

Len<strong>in</strong>grads <strong>in</strong> Massengräbern begraben. Aber die Großmutter bat die<br />

Friedhofsverwaltung, für ihren Mann e<strong>in</strong> getrenntes Grab gegen Brot und<br />

Wodka zu errichten.<br />

E<strong>in</strong>ige Zeit später wurde e<strong>in</strong>e Großmutter von jemandem aus <strong>der</strong> Familie<br />

Beckmann besucht - me<strong>in</strong>e Großmutter sagte, dass es e<strong>in</strong> Bru<strong>der</strong> war und er<br />

aus dem Kaukasus kam. Er wusste da noch nicht, dass Voldemar gestorben<br />

war.<br />

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Repr<strong>in</strong>ts von 2 Aufsätzen Wolfgang G. Fischers:<br />

Gewandhaus und Stadtbibliothek und <strong>der</strong> Maurermeister Seltendorff<br />

erschienen <strong>in</strong>:<br />

LEIPZIGER JAHR<strong>BUCH</strong> 1939, Verlag Otto Beyer, Leipzig<br />

Vom Alten Gewandhaussaale<br />

Und se<strong>in</strong>em Fortleben im kle<strong>in</strong>en Saal des Konzerthauses<br />

erschienen <strong>in</strong>:<br />

LEIPZIGER JAHR<strong>BUCH</strong> 1941, Verlag Otto Beyer, Leipzig<br />

Weitere Architektur-bezogene Veröffentlichungen Fischer:<br />

Ueber die Leipziger Hauptkirchen im achtzehnten Jahrhun<strong>der</strong>t<br />

erschienen <strong>in</strong>:<br />

LEIPZIGER JAHR<strong>BUCH</strong> 1938, Verlag Otto Beyer, Leipzig<br />

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WGF<br />

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Bildnachweise<br />

Titel + Seite 7 Ingo Flem<strong>in</strong>g, Workshop “Lebendiges Museum“<br />

Seite 6 Nachlass Drs. Wolfgang G. und Hilde Fischer<br />

Seiten 9 + 10 Stadtmuseum <strong>Oldenburg</strong>: Günter Nordhausen<br />

Seiten 10 + 11 <strong>Landesbibliothek</strong> <strong>Oldenburg</strong><br />

Seiten 11 – 13 Kurt Fischer, 1899 – 1918, Hofphotograph Bär<br />

Seite 12 Ludwig Fischer, 1961<br />

Seite 14 Ann u. Jürgen Wilde Stiftung, Renger-Patzsch Archiv<br />

Seite 15 Hofphotograph Bär, Dresden, Kurt Fischer +1918<br />

Seiten 16 – 17 Nachlass Drs. Wolfgang G. und Hilde Fischer<br />

Seite 18 ohne Quellenangabe veröffentlicht <strong>in</strong> s. Anm. 26<br />

- unten: S. Giedion, s. Anm. 27 | Otto Maier Verlag<br />

Seiten 20 – 26 Nachlass Drs. Wolfgang G. und Hilde Fischer<br />

Seite 22 Étienne-Louis Boullée, 12.02.1728 - 06.02.1799<br />

Seite 28 Staatshochbauamt <strong>Oldenburg</strong><br />

Seite 31 Internetplattform Alt-<strong>Oldenburg</strong><br />

Seite 32 Nachlass Drs. Wolfgang G. und Hilde Fischer<br />

Seiten 33 - 36 Staatshochbauamt <strong>Oldenburg</strong><br />

Seite 38 Stadtmuseum <strong>Oldenburg</strong><br />

Seite 40 Nachlass Drs. Wolfgang G. und Hilde Fischer<br />

Seite 59 Nordwest Zeitung, <strong>Oldenburg</strong><br />

Seite 65 Staatshochbauamt <strong>Oldenburg</strong><br />

Seite 67 Nachlass Drs. Wolfgang G. und Hilde Fischer<br />

Seiten 75, 81, 83 Nachlass Drs. Wolfgang G. und Hilde Fischer<br />

Seite 86 Ev. Kirchengeme<strong>in</strong>de St.-Johannes, <strong>Oldenburg</strong>.<br />

Seite 102 Nachlass Drs. Wolfgang G. und Hilde Fischer<br />

Seite 107 Nordwest Zeitung, <strong>Oldenburg</strong><br />

Seite 108 Ev.-luth. Kirchengeme<strong>in</strong>de St. Florian, Sillenstede<br />

292


Seite 109 NWZ, Nachlass Drs. Wolfgang G. und Hilde Fischer<br />

Seiten 110 – 114 Nachlass Drs. Wolfgang G. und Hilde Fischer<br />

Seiten 116 – 123 Nachlass Drs. Wolfgang G. und Hilde Fischer<br />

Seite 124 Nie<strong>der</strong>sächsisches Landesarchiv <strong>Oldenburg</strong><br />

Seite 127 Nachlass Drs. Wolfgang G. und Hilde Fischer<br />

Seite 128 Nie<strong>der</strong>sächsisches Landesarchiv <strong>Oldenburg</strong><br />

Seiten 133 – 149 Nachlass Drs. Wolfgang G. und Hilde Fischer<br />

Seiten 150 – 167 Dr. Ludwig Fischer / Bernd Damke<br />

Seiten 168 – 172 Nachlass Drs. Wolfgang G. und Hilde Fischer<br />

Seite 174 Nachlass Drs. Wolfgang G. und Hilde Fischer<br />

Seite 177 Architekturbüro Latta & Hölscher, <strong>Oldenburg</strong>, 1960<br />

Seite 181 Stadtmuseum Oldb., Internetplattform Alt-<strong>Oldenburg</strong><br />

Seite 182 <strong>Landesbibliothek</strong> <strong>Oldenburg</strong><br />

Seite 183 Kurt Fischer, 1899 – 1918<br />

Seiten 184 - 187 Nachlass Drs. Wolfgang G. und Hilde Fischer<br />

Seite 188 anonymer Sammler hist. Ansichtskarten, mit Dank!<br />

Seite 190 Landesbildstelle Berl<strong>in</strong> (jetzt Landesarchiv)<br />

Seite 191 ehem.: Zentrales Staatsarchiv <strong>der</strong> DDR, Merseburg<br />

Seiten 192 + 193 Nie<strong>der</strong>sächsisches Landesarchiv <strong>Oldenburg</strong><br />

Seite 194 Nordwest Zeitung, <strong>Oldenburg</strong>, NWZ-onl<strong>in</strong>e<br />

Seite 195 NWZ, Internetplattform Alt-<strong>Oldenburg</strong><br />

Seite 195 Nachlass Drs. Wolfgang G. und Hilde Fischer<br />

Seite 196 Valeria und Andreas Baeckmann, Petersburg<br />

Seite 197 Stadtmuseum <strong>Oldenburg</strong><br />

Seite 200 Nachlass Drs. Fischer | Stadtmuseum <strong>Oldenburg</strong><br />

Seite 202 Stadtmuseum <strong>Oldenburg</strong>: Günter Nordhausen<br />

Seite 205 + 207 Nachlass Drs. Wolfgang G. und Hilde Fischer<br />

Seite 208 Nachlass Charlotte Cramer-Sachs s. Anm. 102<br />

Seite 209 Muthesius, Hermann, Landhäuser, München, 1922<br />

293


Seite 211 Stadtmuseum <strong>Oldenburg</strong>: Günter Nordhausen<br />

Seiten 214 – 259 Nie<strong>der</strong>sächsisches Landesarchiv <strong>Oldenburg</strong><br />

Seiten 262 + 263 http://www.citywalls.ru<br />

Seiten 264 + 265 Valeria und Andreas Baeckmann, Petersburg<br />

Seiten 268 + 269 Valeria und Andreas Baeckmann, Petersburg<br />

Seite 274 Valeria und Andreas Baeckmann, Petersburg<br />

Seite 275 http://www.citywalls.ru<br />

Seite 291 Nachlass Drs. Wolfgang G. und Hilde Fischer<br />

Alle an<strong>der</strong>en Aufnahmen stammen vom Verfasser*, beziehungsweise<br />

bef<strong>in</strong>den sich <strong>in</strong> dessen Eigentum.<br />

* Diverse Aufnahmen des Fotorundgangs durch die <strong>Landesbibliothek</strong><br />

<strong>Oldenburg</strong> 1986 stammen von me<strong>in</strong>em Bru<strong>der</strong> Christoph Fischer, <strong>der</strong><br />

sie mir zur Verfügung stellte. Sie lassen sich nicht mehr klar zuordnen.<br />

<strong>Die</strong> Aufnahmen erfolgten se<strong>in</strong>erzeit auf Diafilmmaterial, das altersbed<strong>in</strong>gt<br />

und aufgrund nicht immer h<strong>in</strong>reichend sorgfältiger Lagerung<br />

teilweise deutliche Schäden und auch Verfärbungen aufweist. Es war<br />

daher durchgängig e<strong>in</strong>e digitale Bildbearbeitung erfor<strong>der</strong>lich.<br />

Für e<strong>in</strong>ige <strong>der</strong> verwendeten Bil<strong>der</strong> konnte ke<strong>in</strong> e<strong>in</strong>deutiger Herkunftsnachweis<br />

geführt werden und liegt daher ke<strong>in</strong>e ausdrückliche<br />

Genehmigung für den Nachdruck vor – zumeist mangels Rückläufen<br />

auf unsere entsprechenden Anfragen.<br />

Inhaber von Bild- o<strong>der</strong> Urheberrechten wenden sich zur nachträglichen<br />

gesetzeskonformen Salvierung gegebenenfalls bitte an den Verfasser:<br />

Burckhardt Fischer, Pommersche Straße 11, 10707 Berl<strong>in</strong>.<br />

Info@fischer-architekt-berl<strong>in</strong>.de<br />

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