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Neurath, Deutschland, 5. 7. 2005

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Umweltschutz kann weit mehr sein<br />

als die Rettung der bedrohten Natur.<br />

Für das kanadische Magazin<br />

„Adbusters“ und die Culture-<br />

Jammer-Bewegung gehört dazu<br />

auch der Kampf gegen die<br />

„geistige Umweltverschmutzung“.<br />

von Roman Kellner<br />

Culture<br />

Jammer. Wir sind ein loses globales<br />

Netzwerk von Medienaktivisten,<br />

und wir verstehen uns als avantgardistische<br />

Pioniere der bedeutendsten sozialen Bewegung<br />

der kommenden zwanzig Jahre.“ Kalle<br />

Lasn liebt starke Ansagen. Und er hat Erfolg<br />

damit. Seit 15 Jahren gehören der 63-jährige<br />

Kanadier und sein Magazin „Adbusters“<br />

zur Speerspitze der so genannten Culture<br />

Jammer.<br />

„Culture Jammer“ und „Adbuster“ sind<br />

schwer zu übersetzende Wörter. „Kultur-Störer“<br />

und „Werbegegner“ bzw. „Werbungszerstörer“<br />

beschreiben nur vage, worauf es<br />

der Strömung, die vor allem in der westlichen<br />

Welt immer breitere Zustimmung findet, ankommt.<br />

Es geht um geistigen oder seelischen<br />

Umweltschutz, um die Emanzipation aus der<br />

Bevormundung durch Medien und Konzerne.<br />

Kalle Lasn hat ein Buch darüber geschrieben,<br />

„Culture Jamming“, das soeben auf Deutsch<br />

erschien (siehe<br />

Buchtipp). Seine<br />

These, die für die<br />

USA, aber dank der Verbreitung der nordamerikanischen<br />

Kultur zunehmend auch für<br />

den Rest der Welt gilt: Wir bestimmen unser<br />

Leben nicht mehr selbst. Längst seien wir<br />

von BürgerInnen zu reinen KonsumentInnen<br />

mutiert. Konzerne designen unser Leben,<br />

und wir zahlen auch noch bereitwillig dafür.<br />

Es gelte, Authentizität zurück zu gewinnen,<br />

denn mentaler Umweltschutz sei genauso<br />

16<br />

„Wir nennen uns<br />

wichtig wie saubere Luft oder reines Wasser.<br />

Lasn schlägt vor, das allerorts spürbare Unbehagen<br />

statt in Zynismus in Widerstand zu verwandeln:<br />

„Hat man einmal verstanden, dass<br />

der Konsumkapitalismus falsch ist und dass<br />

es deshalb nicht falsch ist, ihn zu „jammen“;<br />

hat man einmal kapiert, dass ziviler Ungehorsam<br />

eine lange und ehrenwerte Tradition<br />

hat, die bis Mahatma Gandhi, Martin Luther<br />

King und David Thoreau zurückreicht, und<br />

hat man angefangen, der Welt gegenüber<br />

als starkes menschliches Wesen und nicht<br />

als arme Konsumentendrohne aufzutreten,<br />

dann geschieht etwas Bemerkenswertes: Der<br />

Zynismus löst sich in Nichts auf.“<br />

Ein konsumfreier Tag<br />

Es bleibt nicht bei Worten. Von dem vierstöckigen<br />

Holzhaus im kanadischen Vancouver<br />

aus, wo die Adbusters Media Foundation<br />

ihren Sitz hat, sind schon viele Ideen um die<br />

Welt gegangen.<br />

Zum Beispiel der „Buy-Nothing-Day“ (bei<br />

uns: Kauf-Nix-Tag). In mittlerweile 50 Län-<br />

dern rufen Gruppen mit<br />

Happenings und witzigen<br />

Aktionen dazu auf, an<br />

einem speziellen Tag – in der Regel dem<br />

letzten Freitag im November – auf jeglichen<br />

Einkauf zu verzichten. Natürlich geht es nicht<br />

so sehr um den großen Konsumrückgang an<br />

diesem einen Tag, sondern um eine Bewusstseinsveränderung<br />

und eine Reflexion unseres<br />

Konsumverhaltens.<br />

Ganz ähnlich die „Turn-Off-Week“: Eine<br />

Woche lang, so der Vorschlag, mögen<br />

möglichst viele Menschen versuchen, den<br />

Fernseher ausgeschaltet zu lassen. Das mag<br />

hierzulande an lauen<br />

Sommerabenden,<br />

die zum Heurigen<br />

locken, kein Problem sein; in den USA, wo<br />

ein durchschnittliches Kind mehr Stunden vor<br />

dem Fernseher als in der Schule verbringt,<br />

bedeutet das plötzlich eine Menge gewonnener<br />

Lebenszeit.<br />

Die Idee dahinter ist, sich die Welt zurückzuerobern.<br />

Die unkritischen Medien- und<br />

WerbekonsumentInnen, die unreflektierten<br />

Marken-TrägerInnen sollen wieder selbst<br />

Konzerne designen unser Leben, und<br />

wir zahlen auch noch bereitwillig dafür.<br />

Die Idee dahinter ist, sich<br />

die Welt zurückzuerobern.<br />

eure<br />

handeln und mitbestimmen. Denn sie alle,<br />

so Lasn, seien längst Teil eines Spektakels,<br />

einer inszenierten Welt, die noch dazu die<br />

wahren Probleme verdeckt: „Fast alle befinden<br />

sich in einem Zustand des permanenten<br />

Leugnens. Tief in unserem Inneren wissen<br />

wir, dass der Planet stirbt, aber niemand will<br />

darüber reden.“<br />

Wer solche Ziele hat, darf die Geduld nicht<br />

verlieren. Tim Walker, Kampagnen-Direktor<br />

von Adbusters, auf die Frage, ob ihm nicht<br />

der schnelle und sichtbare Erfolg der Kampagnen<br />

abgeht: „Wir versuchen, auf lange<br />

Sicht die Gesellschaft zu verändern und<br />

Bewusstsein zu schaffen. Kampagnen wie die<br />

„Turn-Off-Week“ oder „Unbrand America“<br />

sind unmöglich nach kurzfristigen Erfolgen<br />

oder Misserfolgen zu bewerten.“<br />

Und die Geduld zahlt sich aus. Das stil- wie<br />

anspruchsvolle Hochglanzmagazin „Adbusters“<br />

erscheint mittlerweile in einer Auflage<br />

von 120.000 Stück weltweit. Das, wie es sich<br />

selbst nennt, „Journal of mental environ-<br />

ment“ wird nicht nur von<br />

werbe- und konsumkritischen<br />

Alternativen gekauft,<br />

sondern ob seiner originellen Zugänge und<br />

kreativen Werbeparodien auch von DesignerInnen<br />

und GrafikerInnen. Und mit dem<br />

Magazin rücken plötzlich auch unbequeme<br />

Themen wie Kostenwahrheit, die Allmacht<br />

der Marken oder die Kurzsichtigkeit unseres<br />

Wirtschaftssystems für neue Gesellschaftsgruppen<br />

ins Zentrum des Interesses.<br />

Angst vor der Wahrheit<br />

Lasn hat selbst lange von diesem System<br />

profitiert. Nach seiner Jugend in <strong>Deutschland</strong><br />

und Australien gründete der geborene Este<br />

ein Marktforschungsunternehmen in Japan<br />

und machte dort und später in Kanada ein<br />

Vermögen in der Branche. Die persönliche<br />

Wende kam im Jahr 1989, als Lasn, inzwischen<br />

Produzent von Dokumentarfilmen,<br />

einen Streifen über die Urwaldzerstörung an<br />

Kanadas Westküste drehte. Obwohl er bereit<br />

war, dafür zu zahlen, wollte keine Fernsehstation<br />

die Spots senden, um die Großkunden<br />

aus der Forstwirtschaft nicht zu verprellen.<br />

Für Lasn lag Widerstand immer schon näher

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