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Achimer Geschichtsheft 27

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<strong>Achimer</strong><br />

<strong>Geschichtsheft</strong><br />

November 2022<br />

<strong>27</strong><br />

REGIONALHISTORISCHES MAGAZIN DER GESCHICHTSWERKSTATT ACHIM E.V.<br />

Als Würdigung der Lebensleistung des <strong>Achimer</strong> Ehrenbürgermeisters<br />

und „Vaters“ des Ortszusammenschlusses zum großen Achim<br />

hat die Stadt jetzt in ihrer Mitte den „Christoph-Rippich-Platz“.<br />

www.geschichtswerkstatt-achim.de<br />

4,- Euro


Liebe Leserinnen, liebe Leser<br />

des <strong>Geschichtsheft</strong>es, uns allen ist<br />

bewusst: Wir leben in einer Zeit voller<br />

Unruhe und Ungewissheiten; weltweit<br />

beherrschen Krisen, kriegerische Auseinandersetzungen,<br />

Seuchen, Hungersnöte<br />

etc. die Menschheit.<br />

Auch in unserer Republik gibt es Probleme<br />

zuhauf...<br />

Hält man sich an den Grundsatz der<br />

Geschichtswerkstattbewegung „Grabe,<br />

wo du stehst“ dann kann man durchaus<br />

auf denkwürdige Aussagen stoßen. So<br />

zum Beispiel bei Heiner Müller (1929-<br />

1995).<br />

Der bedeutende deutsche Dramatiker<br />

brachte folgende Überlegung zu Papier:<br />

„Andererseits ist durch nichts erwiesen,<br />

dass der Mensch auf der Erde das<br />

beherrschende Lebewesen ist. Vielleicht<br />

sind es ja die Viren und wir nur<br />

das Material, eine Art Kneipe für die<br />

Viren.<br />

- Der Mensch als Kneipe für die Viren-<br />

Der Mensch als Kneipe - auch das ist<br />

nur eine Frage der Optik.“<br />

Bleiben Sie neugierig und kritisch -<br />

lassen Sie sich nicht unterkriegen, dies<br />

wünschen für Gegenwart und Zukunft<br />

Manfred Brodt - Helmut Köhler<br />

Mitglieder und Gäste der Geschichtswerkstatt Achim auf Exkursion in der alten Hansestadt<br />

Stade mit der Stader Gästeführerin in der Tracht des Alten Landes. Foto Migowsky


Inhaltsverzeichnis 3<br />

Unsere Themen:<br />

Die goldene Stadt Achim<br />

Nach der schwierigen Hochzeit sind heute alle zufrieden 4<br />

1918-1920 / „Grippe“ in Achim und der weiten Welt<br />

Die Pandemie vor gut 100 Jahren - Historisches und Aktuelles 9<br />

Freizeitparadies für Einheimische und Auswärtige<br />

Die Geschichte des Weserufers in Baden 13<br />

Verba volant – scripta manent - Unglaubliche Bilanz und<br />

besondere Handschrift des Oberamtmanns Meyer 21<br />

„Ja, ich habe gestohlen” - Folter in Achim<br />

Falsches Geständnis erpresst / Sechs Jahre Karrenschieben 26<br />

Stadtdirektor geht ins Gefängnis - Aus den Ratsprotokollen<br />

1954 bis 1966 - Schulen und Schwimmbad sind Dauerthemen 28<br />

Zwei Wandergesellen in Achim<br />

Am Beispiel der „Rolandsbrüder“ 34<br />

Abschied von Opas letzter Hinterlassenschaft<br />

Eine wahre Begebenheit aus der Nachkriegszeit 35<br />

Das Besondere am Badener Platt - Wissenschaftler der Ohio State<br />

University weilt zweimal zu Forschungszwecken im Weserort 36<br />

Die Angst des Moderators - 20 Jahre Podiumsdiskussion<br />

<strong>Achimer</strong> Argumente / Aus dem Nähkästchen geplaudert 38<br />

Der fleißige Briefmarkensammler - Seit Jahren sammelte er<br />

Briefmarken. Mit Geschick verstand er es, Sammelstellen aufzubauen 41<br />

Eine <strong>Achimer</strong> Akzidenzdruckerei<br />

Chronologie einer <strong>Achimer</strong> Buchdruckerei: 1900 bis 1972 42<br />

Kultur und Kulinarik<br />

Ein „Altersrekord“ beim K & K - Festival 50<br />

Zentraler Platz nach dem Ehrenbürgermeister benannt<br />

Hohe Auszeichnungen für den populärsten <strong>Achimer</strong> Politiker 51


4<br />

Von Manfred Brodt<br />

Die goldene Stadt Achim<br />

Eine besondere Goldene Hochzeit - Kein<br />

Ehepaar, sondern eine Stadt. So war`s<br />

nämlich am 1. Juli dieses Jahres, als<br />

viele Ehrengäste das Bierdener Gasthaus<br />

Meyer füllten, um den 50. Geburtstag<br />

der großen Stadt Achim zu feiern.<br />

Nach der schwierigen Hochzeit<br />

sind heute nach 50 Ehejahren<br />

alle recht zufrieden<br />

Eine Urkunde zu 50 Jahre Achim mit den Unterschriften der drei Bürgermeister für die<br />

drei Bürgermeister Rainer Ditzfeld, Christoph Rippich, Uwe Kellner und für Manfred<br />

Brodt als Vertreter der Geschichtswerkstatt Achim.<br />

Foto: Bartz<br />

Alle waren sich einig, der Zusammenschluss<br />

von vorher sieben selbständigen<br />

Gemeinden zu einer Stadt Achim war notwendig<br />

und richtig. Der Landesgesetzgeber<br />

hatte solche Gebietsreformen ja auch<br />

für ganz Niedersachsen verlangt.<br />

Das Besondere an dieser Goldhochzeit<br />

war, dass noch die drei <strong>Achimer</strong> Bürgermeister<br />

dieser 50 Jahre der Feier<br />

beiwohnten und sie aktiv mitgestalten<br />

konnten. Christoph Rippich, Uwe Kellner<br />

und Rainer Ditzfeld. Biologisch möglich<br />

war das, weil Christoph Rippich 1968 als<br />

jüngster Bürgermeister Niedersachsens<br />

ins Amt gekommen war.<br />

Blicken wir zurück:<br />

„Geschehen in der Pausenhalle der Realschule<br />

zu Achim am Montag, dem 29.<br />

Mai 1972, um 19.30 Uhr“, steht über dem<br />

Protokoll des denkwürdigen Konvents


Die goldene Stadt 5<br />

zur Bildung der neuen Stadt Achim.<br />

Bürgermeister, Stadt- und Gemeindedirektoren<br />

sowie Ratsmitglieder Achims<br />

und seiner neuen Ortsteile waren gekommen,<br />

um nach 19 Verhandlungsrunden<br />

unter Leitung des <strong>Achimer</strong> Bürgermeisters<br />

Christoph Rippich die Stadtehe<br />

zu besiegeln. Die Uesener waren mit<br />

schwarzen Krawatten erschienen, um<br />

der Trauer über ihre verlorene Selbstständigkeit<br />

Ausdruck zu verleihen.<br />

Uesens Bürgermeister Meyer überreichte<br />

dem alten und neuen <strong>Achimer</strong> Bürgermeister<br />

Rippich eine Ueser Stoffkuh, die<br />

man gut melken könne und füttern müsse.<br />

Hinweis auf das besonders durch die<br />

Firma Desma reiche Uesen. Der Ortsteil<br />

hatte allerdings noch schnell einen Teil<br />

seines Reichtums im Neubau des Rathauses<br />

und des Hallenbades gut angelegt.<br />

Baden blieb also nur Achim, akzeptierte<br />

dann als einziger Ortsteil nicht den nach<br />

17 Gesprächsrunden ausgehandelten<br />

Gebietsänderungsvertrag. Die Hochzeit<br />

schien zu platzen.<br />

Stein des Anstoßes waren die vorgesehenen<br />

Ortsausschüsse, um örtliche Interessen<br />

in der Stadtpolitik zu artikulieren. Der<br />

Badener Gemeinderat forderte, dass nur<br />

Einwohner aus dem jeweiligen Ortsteil in<br />

dem Ortsausschuss sitzen dürften, dass<br />

sie Mitbestimmungsrechte haben müssten<br />

wie Fachausschüsse des Rates und<br />

Ortsräte wie etwa in Bassen und Fischerhude<br />

und dass sie nicht die politische<br />

Mehrheit der ganzen Stadt, sondern des<br />

jeweiligen Ortsteils widerspiegeln müssten.<br />

Bürgermeister Christoph Rippich,<br />

der Verhandlungsführer bei der <strong>Achimer</strong><br />

Gebietsreform, hatte jedoch erklärt, dass<br />

dies der niedersächsischen Gemeindeordnung<br />

widerspreche, und alle anderen<br />

<strong>Achimer</strong> Ortsteile spielten nicht mit.<br />

So lenkte der Badener Gemeinderat nach<br />

weiteren Verhandlungen und einer Sondersitzung<br />

in letzter Minute noch ein.<br />

Seine Position zu den Ortsausschüssen<br />

schrieb er fast wie bei einem völkerrechtlichen<br />

Vertrag in einen Begleitbrief<br />

zum Gebietsänderungsvertrag nieder.<br />

<strong>Achimer</strong> Spezialität: Ortausschüsse<br />

Schwierigkeiten beim Zusammenschluss<br />

bereitete eigentlich nur Baden. In einer<br />

Umfrage des Badener „Komitees<br />

Gebietsreform“ hatten sich 71 Prozent<br />

der 1500 Befragten für den Zusammenschluss<br />

Badens mit Etelsen und Posthausen<br />

ausgesprochen. Zum reichen Posthausen<br />

mit der Firma Dodenhof drängte<br />

es ja viele. In Langwedel und Etelsen waren<br />

aber längst Vorentscheidungen zur<br />

Bildung des heutigen Fleckens gefallen.<br />

Die Ortsausschüsse waren und sind eine<br />

<strong>Achimer</strong> Spezialität. Es handelt sich nicht<br />

wie in anderen Gemeinden um Ortsräte,<br />

die Entscheidungen treffen können und<br />

eine Art Nebenparlament zum Gemeinde-<br />

oder Stadtrat werden können. Die<br />

<strong>Achimer</strong> Ortsausschüsse sollen und dürfen<br />

örtliche Angelegenheiten beraten und<br />

dazu Empfehlungen geben, die dann der<br />

Stadtrat zu bewerten hat. Das Entscheidungsrecht<br />

liegt aber beim Stadtrat.


6<br />

Die goldene Stadt<br />

Die Ortsausschüsse sind so ein Stück indirekter<br />

Demokratie, führen aber auch<br />

oft dazu, dass zum Ärger der Stadtoberen<br />

manche Frage vom Baum bis zu Schlaglöchern<br />

in den verschiedenen Gremien<br />

mehrfach besprochen wird.<br />

Alle Ortsteile legten in solche Begleitbriefe<br />

zum Gebietsänderungsvertrag<br />

ihre „Wunschzettel“.<br />

Baden forderte so eine Großraumsporthalle,<br />

die heutige Lahofhalle, und die<br />

Fortsetzung der gewohnten Altenbetreuung<br />

mit einer Sommerfahrt und einer<br />

Weihnachtsfeier für die Senioren.<br />

Letzte Sitzung des Badener Gemeindeausschusses<br />

vor der ungeliebten Fusion mit<br />

Achim, v.li. Richard Dodenhof, Helmut Wrede<br />

und Helmut Huhs.<br />

Letzteres verlangte auch Uesen. Es pochte<br />

auf die eigene Nutzung von Schule,<br />

Kindergarten, Bücherei und die öffentliche<br />

Verwendung des Rathauses. Alles<br />

ging in Erfüllung. Allerdings versuchte<br />

die neue Stadt später, das Rathaus zu<br />

verkaufen, doch sie fand keinen Käufer,<br />

so dass sich heute einer der Ueser Kindergärten<br />

im alten Rathaus befindet.<br />

Bierden wünschte sich, den Schulsportplatz<br />

mit Freitribüne zu vollenden, den<br />

weiteren Ausbau und die Beleuchtung<br />

der Straßen, den Kauf des Mörtelsees,<br />

heute als Ellisee bekannt, die Erhaltung<br />

des Gemeindehauses und der Bücherei.<br />

Die neue Sportanlage an der Bahn und<br />

das Bierdener Neubaugebiet Kämpe mit<br />

neuem Supermarkt zum Beispiel zeigen,<br />

dass in den 50 Jahren noch viel mehr geschehen<br />

ist.<br />

Uphusen wünschte sich weitere Sportanlagen,<br />

Feuerwehrgerätehaus, Kindergarten,<br />

Ausbau des Uphuser Baggersees<br />

am Mahndorfer Friedhof, die Sonderfriedhofsrechte<br />

der Uphuser und die<br />

Zugehörigkeit zur Bremer Landeskirche<br />

nicht anzutasten.<br />

Bollen hatte auf dem Wunschzettel Straßenbeleuchtung,<br />

Anschluss an die Trinkwasserversorgung,<br />

Fußwege und eine<br />

Busverbindung nach Mahndorf. Eigentlich<br />

wollte das kleine Bollen ja nach Bremen<br />

gehen, doch die Hansestadt hatte<br />

kein Interesse daran.<br />

Embsen lag viel an einem Ausbau und einer<br />

Verbreiterung des Laheiter Weges und<br />

der Laheiter Straße, an der Befestigung<br />

weiterer Wege, der öffentlichen Nutzung<br />

der Schule (heute Kinderhaus) und dem<br />

Erhalt der Sporthalle. Letzteres geschah<br />

nicht. Statt dessen bekamen die Embsener<br />

eine neue Sporthalle beziehungsweise<br />

ein Dorfgemeinschaftshaus.<br />

Bleibt noch der Ortsteil Achim, der auch<br />

in der Stadt Achim aufging. Die Kernstadt<br />

hatte Gewaltiges vor:<br />

Ein neues Krankenhaus, Sportzentrum,<br />

Kindergarten, Stadtsanierung und Hallenbad.<br />

Dies und noch viel mehr ist geschehen,<br />

natürlich auch mit finanzieller<br />

Unterstützung des Kreises und des Landes.<br />

Versüßt wurde den ehemals selbständigen<br />

Gemeinden ihr Beitritt zur Stadt<br />

Achim mit Außenstellen der Stadtverwaltung<br />

in allen großen Ortsteilen,<br />

mit Ortsvorstehern in den kleinen<br />

Orten und mit der Verlegung des<br />

Bauamtes ins alte Badener Rathaus,<br />

der Kämmerei ins Ueser Rathaus


Von Manfred Brodt 7<br />

und des Standesamtes nach Bierden.<br />

Viele Angelegenheiten vom Pass bis<br />

zur Hundesteuer sollten die Bürger<br />

in diesen Außenstellen erledigen<br />

können, wurde ihnen versprochen.<br />

Die Ämter in Baden, Uesen und Bierden<br />

sowie alle Außenstellen sind längst, spätestens<br />

mit dem neuen zentralen <strong>Achimer</strong><br />

Rathaus verschwunden. Die alten<br />

Rathäuser dienen ganz anderen Zwecken.<br />

Sei`s drum. Zur Goldhochzeit der Stadt<br />

Achim trauerte niemand der „Kleinstaaterei“<br />

nach. Achim mit seinem Arbeitsplatzangebot,<br />

seiner Wirtschaftskraft,<br />

seiner Schullandschaft mit bald drei<br />

gymnasialen Angeboten und als größte<br />

Stadt im Landkreis, die rasant auf 35<br />

000 Einwohner zugeht, hat sich bewährt<br />

und ist auch nach der Goldhochzeit noch<br />

recht vital.<br />

<strong>Achimer</strong> Kreisblatt<br />

Protest vor dem alten <strong>Achimer</strong> Rathaus gegen<br />

das geplante neue <strong>Achimer</strong> Rathaus.<br />

Foto: Brodt<br />

... und es wird doch gebaut!


8<br />

Die goldene Stadt<br />

Die Jubiläumsurkunde mit den Unterschriften der drei Bürgermeister


Von Edith Bielefeld 9<br />

1918 - 1920 / „Grippe“<br />

in Achim und der weiten Welt<br />

Im Jahre 1918 – der Erste Weltkrieg<br />

dauerte noch an – traten in Europa<br />

vermehrt Grippeerkrankungen auf. Es<br />

wurde von der sogenannten Spanischen<br />

Grippe gesprochen, weil auch der damalige<br />

spanische König im Mai 1918<br />

daran erkrankt war.<br />

Aber heute wissen wir, dass die Krankheit<br />

schon im März 1918 bei amerikanischen<br />

Soldaten in Nordamerika<br />

ausbrach und von diesen mit nach<br />

Europa gebracht wurde. Die Grippe<br />

traf hier auf eine Bevölkerung, die<br />

durch den andauernden Krieg bereits<br />

stark geschwächt war. Die Offiziellen<br />

in Deutschland versuchten, die Bevölkerung<br />

nicht zu informieren. Erst als<br />

auch hier immer mehr Menschen betroffen<br />

waren, berichtete das „<strong>Achimer</strong><br />

Kreisblatt“ am 2. Juli 1918 von dem<br />

Auftreten der Grippe in Hannover.<br />

Dabei berief sich die Zeitung auf den „Hannoverschen<br />

Kurier“, aber beschwichtigte<br />

zugleich, es sei noch nicht zu Massenerkrankungen<br />

gekommen. Es seien lediglich<br />

Erkrankungen aufgetreten, die die<br />

typischen Erscheinungen der Krankheit,<br />

nämlich Frösteln, Schwindelanfälle und<br />

starken Husten, aufwiesen, „die Betroffenen<br />

waren nach vier Tagen bis einer<br />

Woche wiederhergestellt.“<br />

Nach kurzer, schwerer Krankheit<br />

Die Pandemie<br />

vor gut 100 Jahren -<br />

Historisches und Aktuelles<br />

und Husten.“ Auch die Zeitung sprach<br />

davon, dass die Betroffenen nach kurzer<br />

Zeit wieder geheilt waren. Es gab aber<br />

immer mehr Todesanzeigen, die anzeigten,<br />

dass junge Menschen „nach kurzer,<br />

schwerer Krankheit“ gestorben waren.<br />

Damals war es nicht üblich, dass viele<br />

<strong>Achimer</strong> eine Todesanzeige aufgaben.<br />

Noch am 5. Juli 1918 redete das „<strong>Achimer</strong><br />

Kreisblatt“ von der „Modekrankheit,<br />

die Grippe“, musste aber zugeben,<br />

dass die Erkrankungen sich „außerordentlich<br />

störend bemerkbar machten.“<br />

Am 13. Juli 1918 wurde die <strong>Achimer</strong> Be-<br />

Auch in Achim erkrankten Menschen im<br />

Juli 1918 an der Grippe, jedoch verlief<br />

die Krankheit „im allgemeinen ziemlich<br />

harmlos mit Fieber, Schwindelanfällen<br />

Selbstporträt von Edvard Munch mit<br />

„Spanischer Grippe“<br />

Ausschnitt


10<br />

1918-1920 / „Grippe“ in Achim und der weiten Welt<br />

völkerung erstmalig genauer informiert:<br />

„Die Übertragung der Grippe geschieht<br />

durch die Einatmung der beim Husten<br />

von Kranken verstreuten Erreger oder<br />

durch die Auswurfteilchen, die durch<br />

Berührungen in den Mund und Nase<br />

der Gesunden gelangen.“ Sie sollte sich<br />

fernhalten „von hustenden Kranken“ und<br />

es wurden häufiges „Reinigen und Desinfektion<br />

der Hände“ als Schutz empfohlen.<br />

Nach den Sommerferien wurden die<br />

<strong>Achimer</strong> Schülerinnen und Schüler zum<br />

Sammeln von Bucheckern aufgerufen.<br />

Bucheckern wurden für die Ölbereitung<br />

benötigt.<br />

Telegrammbesteller fallen aus.<br />

Erst im Herbst 1918 berichtete das „<strong>Achimer</strong><br />

Kreisblatt“ aus Hannover: „Die<br />

Grippe hat hier in den letzten Tagen viele<br />

Opfer gefordert“, und es wird erstmals<br />

davon gesprochen: „Die Krankheit tritt<br />

ziemlich bösartig auf.“ Viele Telegrammbesteller<br />

sind an der Grippe erkrankt,<br />

Briefträger übernehmen vorübergehend<br />

ihre Arbeit. Die Bürger müssen ihre Pakete<br />

selbst von der Post abholen.<br />

Und nun stellt das Kreisblatt fest: dass<br />

„gerade unterernährte Personen … am<br />

meisten verschont“ würden. Leichte Lebensmittel<br />

wie Milchbrei sowie Obst sind<br />

für den Kranken gut, weiß die Zeitung.<br />

15. Oktober 1918: Die Grippe breitet sich<br />

weiter aus. Erstmals wird von Lungenentzündung<br />

und Rippenfellentzündung<br />

gesprochen. „Die Zahl der Todesfälle<br />

steigt von Woche zu Woche.“<br />

Schulen geschlossen, Züge fallen aus<br />

Am 23. Okt. 1918 meldete das Kreisblatt,<br />

dass zwei Schulen in Verden, die Nikolai-<br />

und die Mittelschule „infolge der Ansteckungsgefahr“<br />

geschlossen wurden.<br />

Auch die <strong>Achimer</strong> Höhere Privatschule<br />

„hat wegen der Grippe den Unterricht<br />

zunächst auf acht Tage eingestellt.“<br />

Ende Oktober 1918 wusste die Zeitung,<br />

dass Personenzüge ausfallen, weil viele<br />

Bahnbeamte erkrankt sind. Nicht notwendige<br />

Reisen sollten unterbleiben.<br />

In Verden starben im Juli 1919 vermehrt<br />

viele Menschen täglich an Herzschlag.<br />

Die Ärzte sahen darin eine Folgeerscheinung<br />

der Grippe.<br />

Erst Anfang 1920 dehnte sich die Grippe<br />

in diesem Kreis erneut aus – vorher<br />

wurde nicht darüber berichtet. Es waren<br />

viele junge Leute im Alter von 17 bis 20<br />

Jahren betroffen. Gurgeln mit Salzwasser<br />

am Morgen wurde als Vorsorgemaßnahme<br />

empfohlen.<br />

Militärkrankenhaus während der Pandemie<br />

in Kansas.<br />

Quelle: Wikipedia<br />

Überall in Deutschland, aber auch in Europa<br />

und anderen Teilen der Welt, trat die<br />

Grippe auf. Man sprach von Komplikationen<br />

wie Lungenkrankheit und Gehirnerkrankungen.<br />

Bei den ersten Anzeichen<br />

wie Kopf-, Rücken- und Halsschmerzen


Von Edith Bielefeld 11<br />

Polizisten in Seattle im Einsatz während der<br />

„Spanischen Grippe“. Quelle: Wikipedia<br />

sollte sofort ein Arzt aufgesucht werden.<br />

Durch warme Getränke sollten die Kranken<br />

zum Schwitzen gebracht werden.<br />

Am 1, März 1920 sprach das „<strong>Achimer</strong><br />

Kreisblatt“ von der starken Ansteckung<br />

der Grippe. Und es riet, sich bei den ersten<br />

Anzeichen sofort ins Bett zu legen.<br />

Vorbeugend wurden erneut Gurgeln und<br />

gründliches Händewaschen empfohlen.<br />

Auch sollten sich die Menschen nicht in<br />

geschlossenen Räumen aufhalten.<br />

Und dann: Schweigen.<br />

Auslöser der Grippe war wohl der Influenzavirus<br />

von Subtyp A/H1N1, den man<br />

erst 1933 nach jahrelanger Forschung<br />

als Erreger erkannte. Aber es dauerte<br />

noch bis 1942, bis erste Impfungen erfolgten.<br />

Seit 1968 wurden die Menschen<br />

vermehrt geimpft. 1976 wurden neue<br />

Impstoffe entwickelt, und seit 2003 gibt<br />

es einen Impfstoff mit abgeschwächten<br />

Influenzaviren. Immer noch wird nach<br />

einem Universalimpfstoff geforscht,<br />

wie Wikipedia weiß. Vieles von dem, was<br />

wir über die Grippe in den Jahren 1918<br />

bis 1920 aus dem „<strong>Achimer</strong> Kreisblatt“<br />

erfahren, ist uns heute während der Corona-Zeiten<br />

nicht unbekannt: die Krankheit,<br />

die in mehreren Wellen immer<br />

wieder auftritt, die Todesfälle..., aber:<br />

Die Krankheit begleitet uns schon mehr<br />

als zwei Jahre und wurde beziehungsweise<br />

wird breit diskutiert – teilweise<br />

panikartig. Nicht nur in den Nachrichten<br />

wird berichtet, sondern auch in<br />

Sondersendungen, Talkshows, Interviews,<br />

privatem Kreis und, und, und...<br />

Die Informationen häufen sich so, dass<br />

viele abschalten, nicht mehr hinhören.<br />

Bis zu 50 Millionen Tote<br />

Über die Grippe dagegen wurde lange<br />

gar nicht beziehungsweise kaum berichtet,<br />

sie wurde auch beschwichtigend<br />

dargestellt. Während der Grippe-Epedemie<br />

gab es weltweit 20 bis 50 Millionen<br />

Tote, in Deutschland mindestens<br />

260 000 Tote.<br />

Damals wurde überall nach einem Impfstoff<br />

gesucht – vergebens.<br />

Jetzt wurde in allerkürzester Zeit ein<br />

Impfstoff entwickelt, von dem wir alle<br />

hoffen, dass er hilft, die Krankheit erst<br />

gar nicht zu bekommen oder auf jeden<br />

Fall weniger Symptome hervorruft.<br />

Auch ich hatte im Januar Corona, obwohl<br />

ich dreimal geimpft war und ziemlich isoliert<br />

lebe. Ich hatte keine Symptome, musste<br />

aber nach einem CVR-Test zehn Tage<br />

in Quarantäne. Niemand aus meinem<br />

Bekanntenkreis hatte zu der Zeit Corona.<br />

In der letzten Zeit stecken sich wieder<br />

vermehrt Menschen an, die auch mehrfach<br />

geimpft sind. Sie brauchen keinen<br />

CVR –Test mehr und begeben sich mehr<br />

oder weniger freiwillig in häuslichen Arrest.<br />

Viele wissen gar nicht, dass sie Corona<br />

haben.


12<br />

1918-1920 / „Grippe“ in Achim und der weiten Welt<br />

Auf einer Mitgliederversammlung<br />

der Geschichtswerkstatt Achim Ende<br />

August 2022 fielen die Kommentare<br />

zu dem Thema „Corona“ sehr unterschiedlich<br />

aus. Einige hatten Symptome,<br />

andere weniger, und es wurde<br />

auch von Problemen nach der Impfung<br />

beziehungsweise während der Ansteckung<br />

berichtet. Jeder machte individuelle<br />

Erfahrungen. Niemand bagatellisierte<br />

Corona.<br />

Also: Wir sind noch nicht durch mit den<br />

Ansteckungen....<br />

Die Impfstoffe heute sind auch nicht die<br />

allerbeste Lösung.<br />

Grippekarrikatur: Satirische Darstellung Ende September 1918. Der Soldat de Naüoles liest<br />

in der Zeitung vom gutartigen Charakter der Krankheit und gleichzeitig, dass der Platz auf<br />

den Friedhöfen ausgeht.


Von Reiner Aucamp 13<br />

Freizeitparadies für<br />

Einheimische und Auswärtige<br />

„Wo Werra sich und Fulda küssen, sie<br />

ihre Namen büßen müssen. Und hier<br />

entsteht durch diesen Kuss, Deutsch<br />

bis zum Meer, der Weserfluß“<br />

Die Weser hat keine eigene Quelle,<br />

sondern sie bildet sich aus dem Zusammenfluss<br />

von Werra und Fulda in<br />

Hann.-Münden.<br />

Die Geschichte des Weserufers<br />

in Baden / Neuer Kanal und<br />

neuer Verlauf der Alten Aller<br />

Alter Verlauf der Weser<br />

Die Weser hat des öfteren ihr Flussbett<br />

gewechselt. So floss sie schon einmal ab<br />

Porta in Richtung Emsland und mündete<br />

dann in Holland im Isselmeer. Es wurde<br />

noch im Jahre 1000 n. Chr. ein Verlauf<br />

nördlich von Hagen-Grinden verzeichnet<br />

und dann an Lunsen vorbei eventuell<br />

identisch mit dem heutigen Verlauf<br />

der Eyter in Eissel. Um 1300 wurde Hagen-Grinden<br />

dann südlich umspült und<br />

gehörte nicht mehr zu Lunsen, sondern<br />

zum Gohgericht Achim. Die Weser verlief<br />

dann von hier aus gesehen hinter dem<br />

heutigen Fährhaus am Streek durch die


14<br />

Freizeitparadies für Einheimische und Auswärtige<br />

Badestrand am Streek: Andrang an der Weserfähre<br />

Wiesen. Die Nathenwisch, das Weideland<br />

auf der anderen Weserseite, war bis dahin<br />

Badener Gebiet gewesen. Die Eigentümer<br />

der vom neuen Flussverlauf abgetrennten<br />

Wiesen und Weiden blieben<br />

die Badener Landwirte. Nach der letzten<br />

Veränderung ihres Verlaufs durch Hochwasser<br />

und Sturm im Jahre 1679 prallte<br />

die Weser rechtwinklig auf das Badener<br />

Hochufer. Das Wasser ging bis an den<br />

heutigen „Tiefer Weg“. Wirbel und Abspülungen<br />

führten zu größeren Landabbrüchen.<br />

Die Erde wurde dann durch die<br />

Strömung weggespült und an anderer<br />

Stelle wieder abgelagert. Die Schifffahrt<br />

war stark beeinträchtigt.<br />

Weserbogen am Streek


Von Reiner Aucamp 15<br />

Es musste etwas geschehen. Diese Verlagerungen<br />

des Flussverlaufs passierten<br />

zum größten Teil durch das Mäandern,<br />

was bedeutet, dass der Fluss sich seitlich<br />

verschiebt. Die Weser ist ein sehr verschlungener<br />

Fluss. Die Strömung spült<br />

in den Windungen den Sand von den äußeren<br />

Rändern weg, und im Innenbogen<br />

wird er dann wieder abgelagert. Es gab<br />

ja auch noch nicht die Eindeichung, wie<br />

wir sie heute kennen. Eventuell war die<br />

Marsch von Gräben und Prielen durchzogen,<br />

wo leicht ein neues Flussbett gefunden<br />

werden konnte.<br />

Mit einem großen Aufgebot von Arbeitern<br />

aus der gesamten Umgebung wurde dann<br />

ab 1828 mit dem Herstellen des jetzigen<br />

Zustandes begonnen. Das ist in etwa die<br />

Fläche der Pfingstwiese in Baden und<br />

des angrenzenden Parkplatzes. Zum<br />

Teil waren über 400 Arbeiter beschäftigt.<br />

Schlechtes Wetter und Hochwasser<br />

behinderten immer wieder die Arbeiten.<br />

Es war eine bauliche und planerische<br />

Meisterleistung die hier vollbracht wurde.<br />

130.000 Reisigbündel wurden angefertigt,<br />

die dann zur Uferbefestigung an<br />

Pfählen angebracht wurden. Torfsoden<br />

zum Abdecken der angehäuften Erde<br />

werden herangeschafft. Die vielen Arbeiter<br />

mussten untergebracht und versorgt<br />

werden. Dies nutzte der damalige<br />

Müller Thies aus, der die Mühle auf dem<br />

alten Mühlenberg betrieb. Er baute auf<br />

seinem eigenen Grund eine Gaststätte,<br />

heute Landhaus Wesermarsch, und<br />

versorgte die Arbeiter mit Roggen und<br />

Branntwein.<br />

Schon sehr früh hatten die Bremer<br />

das schöne Badener Hochufer als lohnendes<br />

Ziel für Ausflugsfahrten erkannt.<br />

In den Jahren ab 1843 wurden<br />

schon Lustfahrten unternommen. Auf<br />

überfüllten Schiffen kamen Hunderte zu<br />

den Badener Bergen.<br />

Gastwirt Thies, der ein Haus zur Bewirtung<br />

der vielen Arbeiter errichtet hatte,<br />

sah wiederum seine Chance und baute<br />

auf einem gepachteten Grundstück<br />

im Jahre 1840 einen Pavillon mit Aus-<br />

Die Terrassierung:<br />

Eine Meisterleistung<br />

Fahrgastschiffe am Badener Berg<br />

Fahrgastschiff Walküre


16 Freizeitparadies für Einheimische und Auswärtige<br />

schank. Bereits 1849 wurde dieser um<br />

eine Wohnung erweitert und ein Saal<br />

zum Tanzen wurde angebaut. Das war<br />

die Entstehung des Badener Bergs.<br />

Seit 1845 regelmäßige Dampferfahrten<br />

Seit 1845 gab es regelmäßige Dampferfahrten<br />

zwischen Bremen und Hameln.<br />

Diese Fahrmöglichkeit nutzten auch viele<br />

Auswanderer, wohl über 50 000, die so<br />

nach Bremerhaven gelangten, und von<br />

dort nach Übersee in See stachen. Ab<br />

1848, nach Einrichtung der Bahnstrecke<br />

Bremen- Hannover, ließ dieses nach, die<br />

Bahn wurde dem Dampfer vorgezogen.<br />

Die regelmäßigen Dampferfahrten von<br />

Bremen nach Baden blieben. In den<br />

20er und 30er Jahren des letzten Jahrhunderts<br />

gab es sogar verschiedene konkurrierende<br />

Unternehmen in Bremen,<br />

die Lustfahrten anboten. Ab 1930 war es<br />

dann nur noch die Reederei Schreiber,<br />

die regelmäßig, manchmal sogar zweimal<br />

die Woche, und manchmal sogar mit<br />

zwei Schiffen an einem Sonntag bis 1974,<br />

also 44 Jahre lang, den Schiffsverkehr<br />

bediente.<br />

Ab 1899, als Baden Eisenbahnstation<br />

wurde, kamen die Bremer auch mit dem<br />

Zug nach Baden zum Baden, Kaffeetrinken<br />

oder Tanzen.<br />

Das „Drei-Flüsse-Eck“ aus Weser,<br />

Weserkanal und Alter Aller<br />

Die übrigen Hanggrundstücke wurden<br />

dann von den obenliegenden Anliegern<br />

erworben. Dazu kamen die Häuser der<br />

Marinebauverwaltung zur Unterbringung<br />

ihrer Bediensteten.<br />

Auch einige Wochenendhäuser wurden<br />

gebaut, die nur im Sommer bezogen<br />

wurden. Im und nach dem Kriege wurden<br />

diese dann für Ausgebombte aus<br />

Bremen feste Wohnungen.<br />

Drei Lokale profitierten<br />

von dem Ausflugsverkehr<br />

Das Gasthaus Cordes, heute Landhaus<br />

Wesermarsch, das Gasthaus Badener<br />

Berg und Weserblick, heute Weserterrassen<br />

Badener Berg.<br />

Gasthaus Cordes:<br />

Das Gasthaus Cordes verdankt seine<br />

Entstehung dem Müller Thies, der dieses<br />

Haus 1829 zur Unterbringung und<br />

Beköstigung der vielen Arbeiter errichtet<br />

hatte. In einem späteren Anbau wurde<br />

in den 50er und 60er Jahren des vorigen<br />

Jahrhunderts das Kino „Gloria“ betrieben.<br />

Die Eigentumsverhältnisse wechselten<br />

mehrmals durch Vererbung, Verpachtung<br />

und Verkäufe.<br />

Badener Berg:<br />

Vom Badener Berg bleibt als Erinnerung<br />

der legendäre Groschentanz. Er begann<br />

an jedem Sonntag um 16 Uhr. Es kamen<br />

auch Kinder zum sogenannten Lämmerhüpfen<br />

und auch viele Jugendliche, die bis<br />

20 Uhr verweilen durften, für die Erwachsenen<br />

ging es dann bis 22 oder 23 Uhr.<br />

Man konnte am Eingang ein Tanzband<br />

erwerben, das für den Abend ausreichte.<br />

Waren jedoch junge Männer, die eigentlich<br />

zum Biertrinken gekommen waren<br />

auch zum Tanzen bereit, musste jeder<br />

männliche Tanzpartner für einen Tanz einen<br />

Groschen bezahlen, von diesem ein-


Von Reiner Aucamp<br />

17<br />

gesammelten Geld wurde die Musik bezahlt.<br />

Es spielte immer die Hauskapelle.<br />

Viele Paare wurden hier zusammengeführt.<br />

Man liest heute noch in der<br />

Zeitung vielfach bei Meldungen über<br />

Goldhochzeiten, dass sich das Paar<br />

auf dem Badener Berg beim Groschentanz<br />

kennen gelernt hatte.<br />

Bekannt war auch der Pfingstmarkt, der<br />

jedes Jahr viele Gäste aus nah und fern<br />

anlockte.<br />

An jedem Sonntag im Sommer war der<br />

Garten voll von Gästen zum Kaffeetrinken,<br />

sie kamen mit dem Dampfer, dem<br />

Zug oder mit dem Fahrrad von überall her.<br />

Von 1971 bis 1990 existierte im Saal<br />

das Mic Mac. Die Diskothek zog junge<br />

Leute aus der ganzen Umgebung an.<br />

Ab 1972 betrieb der Eigentümer, Heinrich<br />

Jäger, in den früheren Clubräumen ein<br />

Altenheim. 1993, nach Aufgabe des Mic<br />

Mac, wurde der Saal zur Erweiterung des<br />

Pflegeheimes Badener Berg abgerissen.<br />

Weserblick:<br />

Bereits im Jahre 1879 wurde an jetziger<br />

Stelle ein Gartenhaus gebaut,<br />

das als Wohnhaus genutzt wurde.<br />

1923 errichtete Erhard Köster auf dem<br />

Grundstück ein Kurhotel, das ganz auf<br />

Touristen eingestellt war.<br />

Die Badener Einwohner mieden das Haus<br />

und waren auch wohl gar nicht erwünscht.<br />

Erhard Köster war damals Gemeindevorsteher<br />

und hatte wohl aus der<br />

Gemeindekasse Gelder für seinen<br />

Bau abgezweigt. Er wurde 1924 aus<br />

dem Dienst der Gemeinde entlassen.<br />

Während des Krieges waren im Hause<br />

die Landschützen untergebracht, die<br />

zur Bewachung des Öllagers hier waren.<br />

Nach dem Kriege gab es immer wieder<br />

neue Besitzer, die nie mit großem<br />

Erfolg agierten.<br />

Dann stand das Haus lange Zeit leer, bis<br />

es im Jahre 1971 als Kulisse 57 für die<br />

Fernsehsendung „Aktenzeichen XY-ungelöst“<br />

diente und in Brand geriet.<br />

Eigentümer war zu der Zeit die Badener<br />

Wohnungsbaugesellschaft.<br />

Weserblick nach dem Brand<br />

Nach deren Konkurs ist 1976 Dr. Hübotter<br />

Eigentümer des Grundstücks geworden.<br />

Bis 1978 wurden auf diesem Gelände<br />

22 Wohnungen, ein Lokal und die<br />

Filiale der Volksbank errichtet.<br />

Kuhfähre, Schwimmen<br />

und Schlittschuhlauf<br />

Zurück zur Weser:<br />

Eine Badeanstalt gab es derzeit<br />

noch nicht in Achim, erst ab 1962.<br />

Im Sommer trafen wir Jungens uns jeden<br />

Nachmittag an der Weser, legten unsere<br />

Klamotten ins Gras und schwammen<br />

über den Fluss. Am Strand sind wir an<br />

Land gegangen. Es waren bereits sehr<br />

viele Badener und auch Auswärtige dort.<br />

Wer sich nicht traute, über die Weser<br />

zu schwimmen, der ließ sich mit der<br />

Seilfähre übersetzen. Seit 1945 gab<br />

es diese, vorher wurden am Sonntag<br />

drei Ruderboote eingesetzt.<br />

Am Wochenende standen die Badewilli-


18<br />

Freizeitparadies für Einheimische und Auswärtige<br />

gen, die mit dem Fahrrad, der Bahn oder<br />

mit dem Dampfer gekommen waren, bis<br />

zum heutigen Spielplatz Schlange. Auch<br />

ein gutes Geschäft für die Eisverkäufer.<br />

Das Baden in der Weser war nicht ungefährlich,<br />

es gab diverse tödliche<br />

Badeunfälle.<br />

1960 hatte ein Schiff leckgeschlagen.<br />

Die Fähre wurde bis ins Jahr 1968 als<br />

Seilfähre betrieben. Im Jahre 1974, als<br />

auch die Dampferfahrten aufhörten, wurde<br />

der gesamte Fährbetrieb eingestellt.<br />

Das Prinzip der Seilfähre wurde auch<br />

bei der Kuhfähre ausgenutzt. Die Kuhfähre<br />

war etwa 300 m oberhalb der Kanaleinmündung<br />

angesiedelt. Sie transportierte<br />

im Frühjahr und Herbst jeweils<br />

das Vieh, das auf der anderen Seite,<br />

also „gensiet“ weidete. Mit der Fähre<br />

wurden auch Wagen mit Heu und Stroh<br />

übergesetzt. Der Betrieb wurde 1972<br />

eingestellt, weil die Fähre nicht mehr<br />

den Anforderungen genügte. Der Gastwirt<br />

war auch gleichzeitig der Hirte des<br />

dort weidenden Viehs, er musste die<br />

Kühe immer auf die frischen Weiden<br />

treiben und für die volle Tränke sorgen.<br />

Um die Kühe zu melken, mussten die<br />

Melkerfrauen täglich zweimal mit dem<br />

Melkerboot über die Weser rudern. Aus<br />

dieser Zeit stammt auch der Begriff:<br />

„Melkerzeitung“, hier wurde alles Neue<br />

getratscht und besprochen.<br />

Wesereis<br />

Zum Melken der Kühe auf der anderen Weserseite<br />

fuhren die Badener mit den sogenannten Melkerbooten.


Von Reiner Aucamp<br />

19<br />

Kam das Hochwasser im Winter, waren<br />

wir Kinder und auch wohl viele Erwachsene<br />

hocherfreut. Man hoffte, dass es<br />

bald frieren und eine Eisfläche geben<br />

würde. Es gab dann Flächen die bis nach<br />

Etelsen und auf der anderen Seite bis<br />

fast nach Lunsen reichten. Viele Schlittschuhläufer<br />

haben das dann genutzt.<br />

Gelegentlich war die Weser komplett zugefroren.<br />

Ich erinnere mich an 1963. Es<br />

gab keine glatte Eisfläche, sondern die<br />

Eisschollen waren zusammen geschoben.<br />

Opa Meyer, der Hirte am Streek,<br />

prüfte dann mit einem langen Staken die<br />

Festigkeit. Er steckte Sträucher entlang<br />

des Weges, der zu nutzen war Er rief<br />

dann: „De Werser steiht“.<br />

Der Kanal, damit<br />

die Weser schiffbar bleibt<br />

Bereits vor dem Zweiten Weltkrieg hatten<br />

die Nationalsozialisten mit dem Bau<br />

des Kanals begonnen. Um die Weser<br />

schiffbar zu halten, musste das Wasser<br />

aufgestaut werden. Es gibt insgesamt<br />

sieben Staustufen zwischen Bremen<br />

und Minden. Eine sollte in Intschede gebaut<br />

werden. Es wurde vor dem Kriege<br />

Eislaufvergnügen zwischen<br />

Alter Aller und Weser<br />

bereits der Grundstein für die Schleuse<br />

gelegt und Erde ausgehoben. Zwischen<br />

Baden und Hagen-Grinden gab es schon<br />

einen fast 300 Meter langen See und von<br />

der Weser aus einen Einschnitt, der fast<br />

bis an die Kanalbrücke ging. Die Kanalbrücke<br />

wurde bereits errichtet, jedoch<br />

ohne Auffahrten. Erst in den Jahren<br />

1956 und folgende wurden die Staustufe<br />

in Intschede und der Schleusenkanal<br />

und die Schleuse fertig gestellt. Zu dieser<br />

Zeit waren wieder viele auswärtige<br />

Arbeiter hier beschäftigt auf der riesigen<br />

Baustelle.<br />

Bis 1956 endete der Kanalbau an der Brücke in Etelsen.


20<br />

Freizeitparadies für Einheimische und Auswärtige<br />

Neuer Verlauf der Alten Aller<br />

Der Fluss hat seinen jetzigen Verlauf auch<br />

dem Kanalbau zu verdanken. Ursprünglich<br />

verlief die Aller ab der heutigen Allerbrücke<br />

in Richtung Marsch über den<br />

jetzigen Kanalverlauf hinweg und nahm<br />

dann die Strecke des heutigen Kanals.<br />

Sie bog wieder ab in Richtung Etelsen,<br />

um dann in Höhe der Schleuse wieder bis<br />

dorthin auszuschwenken. Die Alte Aller<br />

wurde also ab der Staustufe, am Sommerdeich<br />

bis Etelsen neu ausgehoben.<br />

Der alte Allerverlauf wurde zugeschüttet.<br />

Weserterrassen: Badener Berg<br />

Die Weser und ihr Ufer in Baden, wohl mit die schönste Stelle dieses Flusses, der in<br />

Hann. Münden beginnt und in der Nordsee bei Bremerhaven endet.<br />

Das Terrassenhaus aus der Vogelperspektive


Von Harald Gerken 21<br />

Verba volant – scripta manent<br />

Wer scheibt, der bleibt. Dieses geflügelte<br />

Wort wäre mit einer alten<br />

lateinischen Weisheit zu übersetzen<br />

und ergäbe dann „Verba volant – scripta<br />

manent“. Sinngemäß übersetzt: Das<br />

gesprochne Wort fliegt (davon) - das<br />

geschriebene Wort bleibt.<br />

Unglaubliche Bilanz und besondere<br />

Handschrift des Oberamtmanns<br />

Meyer<br />

Dokument von 1836, dem<br />

ersten <strong>Achimer</strong> Dienstjahr<br />

des Amtmannes Meyer. Ein<br />

Brief, den Meyer zu<br />

Beginn seiner Amtszeit<br />

einem>hochverehrten<br />

Collegen


22<br />

Verba volant – scripta manent<br />

seines Wirkens hinterlassen: Neues<br />

Pfarrhaus zu Achim, neues Pfarrhaus<br />

zu Daverden, neues Pfarrhaus<br />

zu Arbergen (nach abgebranntem altem<br />

Pfarrhaus), Kirche und Pfarrhaus<br />

Posthausen, Schulen zu Mahndorf, Baden,<br />

Posthausen, Etelsen und Erweiterung<br />

des Daverdener Schulhauses.<br />

Dass er ein „Kümmerer“ war, wie man<br />

ihn mit heutigen Worten beschreiben<br />

könnte, ergibt sich aus den Unmengen<br />

an Vorgängen, die er bearbeitet und<br />

somit die zugehörigen Schriftstücke<br />

gefertigt hat, die uns nun heute in den<br />

heimischen Archiven zur Verfügung<br />

stehen.<br />

Es war ja viel los in seiner Amtszeit<br />

Bau und Inbetriebnahne der Eisenbahn<br />

Verden - Bremen, die 1848er Revolution,<br />

die sogenannte Bauernbefreiung<br />

mit dem Neustrukturieren der landwirtschaftlichen<br />

Liegenschaften, was<br />

volle sieben Jahre in Anspruch nahm,<br />

sowie die „Tagesgeschäfte“ mit Familienangelegenheiten,<br />

wie Ehe- und Erbverträge,<br />

Vormundschaftssachen und<br />

bis kurz vor seinem Ruhestand auch<br />

noch Strafsachen. Strafsachen entfielen<br />

kurz vor dem Ende seiner Amtszeit,<br />

als 1852 die Rechtspflege von der Verwaltung<br />

getrennt wurde.<br />

Amtmann/ Oberamtmann Meyers Werdegang<br />

und die Vorgeschichte seines<br />

Amtes seien nun in Kürze erzählt:<br />

Das auf dem rechten Weserufer zwischen<br />

Daverden und Hemelingen beziehungsweise<br />

Hastedt gelegene Areal<br />

hieß über Jahrhunderte „Gohgericht<br />

Achim“. Goh oder Gow war abgeleitet<br />

von Gau (lat. pagus).<br />

Diese großräumige Landschaft mit<br />

mehr als 500 Quadratkilometern, also<br />

über 50 000 ha wurde stets von dem<br />

zentral gelegenen Gohgericht Achim<br />

aus verwaltet. Verwalter waren die<br />

Gohgrefen, die meistens aus Kreisen<br />

des Niederen Adels (Landadel)<br />

stammten und gewählt wurden. (Grefe<br />

wohl abgeleitet von Graf, manchmal<br />

auch in der Schreibform Gräfe). In<br />

der Schwedenzeit wurden sie von der<br />

schwedischen Krone eingesetzt, doch<br />

bis zum Ende des Dreißigjährigen<br />

Krieges kamen die Gohgrefen aus dem<br />

Geschlecht der Clüver,<br />

Zu Zeiten des Oberamtmannes Meyer<br />

(ab 1836), der nicht mehr den Titel eines<br />

Gohgrefen führte, war dieser der erste<br />

Verwaltungsbeamte in dem großen<br />

Verwaltungsbezirk mit mehr als<br />

500.000 Landbewohnern.<br />

Das Gohgericht Achim war unterteilt<br />

in die drei Kirchspiele Daverden, Achim<br />

und Arbergen. Das in Daverden mit<br />

eingepfarrte Langwedel gehörte nun<br />

aber nicht zum Gohgericht Achim, sondern<br />

zum Amt Verden. So war es dann<br />

auch später, als aus dem Gohgericht<br />

der Landkreis Achim entstand, und<br />

Langwedel dabei zum Landkreis Verden<br />

kam. Die Gohgrefenschaft endete<br />

in ihrer Bedeutung und Bezeichnung<br />

1852. Dazu äußerte sich der damalige<br />

Daverdener Pastor August Wilhelm<br />

Büttner wie folgt:<br />

„So fällt etwas von unseren Vätern vererbtes<br />

Schönes und Eigentümliches<br />

eines nach dem anderen dahin, und das<br />

System des Nivellierens und Gleichmachens,<br />

die alles wegschwemmende<br />

Flut verwischt die alte Geschichte unseres<br />

Volkes.“<br />

Bald danach wurden in den Dörfern beziehungsweise<br />

Bauerschaften auch die<br />

Ämter der „Kleinen Holzgrefen“ abgeschafft.<br />

Das waren die mit den späteren


Von Harald Gerken 23<br />

Karte vom Gohgericht Achim entnommen Horst Kortes Buch „Geschichte der<br />

Stadt Achim und ihrer Ortsteile“ (Bearbeitung der Dr. Windel-Vorgaben).<br />

Untertext zur Karte: „Das Gohgericht Achim – bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts<br />

>die Gow zwischen Bremen und dem Langwedel< genannt. Darstellung zur Zeit<br />

der größten Ausdehnung“.<br />

Gemeindevorstehern oder Bürgermeistern<br />

vergleichbaren Institutionen.<br />

Wenn in den alten Bezeichnungen der<br />

Begriff „Holz“ in der Amtsbezeichnung<br />

vorkommt, so hatte das schon seine<br />

Bewandtnis; denn ziemlich alle<br />

bäuerlichen Siedlungen waren von<br />

Wald (Holz) umgeben.<br />

Die Holzungen dienten nicht nur der<br />

Bau- und Brennstoffversorgung, sie<br />

lieferten auch Futter, beispielsweise<br />

für Schweine. Der Schweinehirt führte<br />

die Schweine der Bauern zur Eichelmast<br />

in die Wälder, die noch größtenteils<br />

aus Eichen bestanden.<br />

Bis in den Dreißigjährigen Krieg hinein<br />

kamen die „Herrschenden“, die <strong>Achimer</strong><br />

Gohgrefen über etliche Generationen<br />

aus dem Geschlecht der Clüver, auch in<br />

der „Schwedenzeit“ (1645 bis 1712).<br />

Der letzte Gohgrefe aus dem Hause der<br />

Clüver war Otto Clüver. Er war 1846 bei<br />

der schwedischen Königin Christine in<br />

Ungnade gefallen. Diese ersetzte ihn<br />

durch den Schweden Peter Brand. Dieser<br />

starb allerdings bereits nach zwei<br />

Jahren. Prompt meldete sich wieder<br />

Otto Clüver und begehrte erneut das Amt<br />

des Gohgrefen. Die Königin lehnte<br />

das Ansinnen ab und setzte nun den<br />

schwedischen Gouverneur und General<br />

Hans Christopher von Königsmarck als<br />

neuen Gohgrefen ein. Der war in der<br />

Altmark geboren, also von Haus aus<br />

Deutscher. Er setzte noch seine militärische<br />

Laufbahn für Schweden bis zum<br />

Feldmarschall fort und wurde zwischenzeitlich<br />

auch noch Graf zweier<br />

schwedischer Grafschaften. Er starb<br />

1663 in Stockholm, 15 Jahre nach<br />

seinem Amtsantritt als Gohgrefe in<br />

Achim.


24<br />

Verba volant – scripta manent<br />

Er starb übrigens nach einem harmlosen<br />

Eingriff in einer Stockholmer Klinik.<br />

Nach einer „Hühneraugen-OP“ soll er an<br />

Blutvergiftung gestorben sein. Sein<br />

Nachfolger als Gohgrefe in Achim wurde<br />

sein Sohn, Vizegouverneur und Generalmajor<br />

Kurt Christopher Graf von<br />

Königsmarck. Dieser war neun Jahre im<br />

Amt, bevor dessen Sohn Feldmarschall<br />

Otto Wilhelm Graf von Königsmarck<br />

1672 sein Nachfolger wurde. Schließlich<br />

kam in der Erbfolge, welche einst von<br />

der Königin verfügt worden war, der<br />

vierte aus dem Geschlecht: Graf Pilipp<br />

Christoph von Königsmarck.<br />

Nach acht Jahren, 1694 war die Vier-<br />

Generationen-Herrschaft aus dieser<br />

Dynastie beendet. Es folgte 1695 der<br />

ebenfalls in schwedischen Diensten<br />

stehende Bremer „Etatsrath“ Christoph<br />

Heinrich von Weissenfels. Dieser<br />

war 1649 in Stettin geboren und starb<br />

1729 mit 80 Jahren in Bremen. Da<br />

er wohl als der am längsten dienende<br />

<strong>Achimer</strong> Gohgrefe über 50 Jahre im Amt<br />

war, findet man in den einschlägigen<br />

Archiven sehr viele Schriftstücke mit<br />

seiner Unterschrift.<br />

Sein Nachfolger war ab 1755 der Oberamtmann<br />

und Intendant Dankwerth<br />

mit nur einer recht kurzen Amtszeit.<br />

Er erlebte die Abschaffung des Titels<br />

Gohgrefe, den es doch über viele Jahrhunderte<br />

gegeben hatte.<br />

Danach findet man viele Dokumente<br />

aus der Feder von 18 Nachfolgern, bis<br />

1836 der vom Amtsschreiber später<br />

zum Oberamtmann aufgestiegene<br />

legendäre Amtmann Friedrich Georg<br />

Philipp Meyer. (Legendär wegen seiner<br />

unvergleichlichen Handschrift, die in<br />

diesem Aufsatz das Thema sein soll).<br />

Der Vollständigkeit halber seien die<br />

Namen einiger Vorgänger des späteren<br />

Oberamtmanns Friedrich Georg Philipp<br />

Meyer II hier noch aufgeführt, also<br />

Amtsschreiber, Assessoren, Amtmänner,<br />

Oberamtmänner in der Reihenfolge<br />

ihrer Bestallung: Johann Georg Meyer I<br />

(1780); Amtsschreiber Kotzebue (1788);<br />

Amtsschreiber Hüpeden I (1791); Amtmann<br />

Chüden (1798); Amtsschreiber<br />

Amtsassessor Jordan (1815); Amtsassessor<br />

S.W. Hüpeden II (1820); Amtmann<br />

Koch (1835).<br />

Zwei Schreiben, die innerhalb<br />

weniger Tage gefertigt wurden,<br />

im Vergleich.<br />

Der Vergleich zeigt, wie<br />

unleserlich doch die Handschrift<br />

des Oberamtmanns Meyer sein<br />

konnte.<br />

< >


Von Harald Gerken<br />

25<br />

Ein wahllos herausgegriffenes, späteres Schreiben<br />

vom 11.Oktober 1852 der Königlichen Landdrostei<br />

Stade zeigt, wie gestochen sauber die<br />

Herren seinerzeit schreiben konnten. Die Lettern<br />

des Landdrosten Bülow scheinen wie gedruckt.<br />

Zwei Tage später reagierte Oberamtmann Meyer<br />

mit nebenstehendem Vermerk.


26<br />

Von Manfred Brodt<br />

„Ja, ich habe gestohlen”<br />

Gästeführerin Elke Gerbers hatte von<br />

Stadtarchiver Günter Schnakenberg<br />

(beide Mitglieder der Geschichtswerkstatt)<br />

ein Dokument zu einer<br />

Folter in Achim bekommen. Sie hatte<br />

es zusammen mit anderen auch schon<br />

als schauriges Theaterstück aufgeführt.<br />

Folter in Achim<br />

Falsches Geständnis erpresst<br />

Sechs Jahre Karrenschieben<br />

Das Pforthaus, früher Gericht und ab<br />

1789 auch Gefängnis<br />

Gefoltert wurde im Pforthaus und, weil<br />

die Schreie zu sehr nach außen drangen,<br />

auch im benachbarten Amtshaus.<br />

Das Dokument, bei dem es um ein Verhör<br />

unter Folter im Jahr 1815 geht, will<br />

Elke Gerbers der Öffentlichkeit nicht<br />

vorenthalten. Es ist nicht nur ein geschichtliches<br />

Dokument, sondern auch<br />

eine aktuelle Mahnung angesichts etlicher<br />

Länder, die auch heute noch die<br />

Folter praktizieren.<br />

Wir schreiben den 8. auf den 9. Oktober<br />

1815, 23 Uhr, der Scharfrichter Pöhl<br />

findet sich mit seinen vier Knechten<br />

im oberen Teil des Amtshauses ein.<br />

Die Marter soll im Vorsaal stattfinden.<br />

Die Marterinstrumente werden auf<br />

den Seitentisch gelegt, die Marter-<br />

Haus des Landrats um 1925<br />

Auch im Amtshaus wurde gefoltert<br />

bank in die Mitte gestellt. Um 24 Uhr<br />

wird der Gerichtsvoigt Meinecke zum<br />

Pforthaus geschickt, um den Beschuldigten,<br />

den “Inquititen” Wendeburg,<br />

durch den Gefangenenwärter holen zu<br />

lassen. Der Gefangene W. erfährt erst<br />

jetzt von dieser bevorstehenden Tortur,<br />

denn sie sollte geheim bleiben.<br />

W. muss in die untere Gerichtsstube<br />

vortreten, ihm werden die Banden abgenommen<br />

und gesagt, alles sei zu<br />

seiner Marter vorbereitet. Die werde<br />

vollzogen, falls er sich nicht zur Wahrheit<br />

entschließen sollte.<br />

W. bleibt aber dabei, dass er Freese in<br />

Ueserdicken nicht bestohlen habe. Er<br />

wird in den oberen Vorsaal gebracht,<br />

wo ihm Scharfrichter Pöhl die könig-


„Ja, ich habe gestohlen” <strong>27</strong><br />

lichen Schreiben von März und April<br />

1815 vorlegt, die ihn des Diebstahls<br />

beschuldigen. W. wird ermahnt, dies<br />

zuzugeben, damit er “seine gesunden<br />

Glieder nicht der Marter preisgeben”<br />

müsse. Doch W. bleibt bei der Wahrheit<br />

und leugnet, worauf der Amtsschreiber<br />

Jordan dem Scharfrichter sagt, er<br />

möge mit W. so verfahren, wie es “das<br />

Urteil verfügt und seine Dienstpflicht<br />

ist”.<br />

Der Scharfrichter stellt W. die Folterinstrumente<br />

vor und droht, er werde<br />

“wie ein Blatt auseinandergezogen”<br />

werden.<br />

Dann fallen die Knechte über W. her,<br />

werfen ihn auf die Erde, reißen ihm<br />

die Kleider vom Leib, legen ihm den<br />

Marterkittel an und hieven ihn auf das<br />

Marterkissen.<br />

Peitschenhiebe, Anlegen von Daumenschrauben<br />

und ein fast endlos wiederholter<br />

Wortwechsel dieser Art:<br />

Der Scharfrichter: Sag die Wahrheit.<br />

W. erwidert immer wieder: Ich sage die<br />

Wahrheit. Ich habe sie bekannt.<br />

Auch unter Schmerzen und Schreien<br />

bleibt er dabei, er hat nicht gestohlen.<br />

Um 0.30 Uhr ist er schließlich gebrochen<br />

und bekennt: “Ja, ich habe gestohlen”.<br />

Daraufhin wird die Folter beendet. W.<br />

bekommt seine Kleidung zurück und<br />

ihm wird eine Erholungspause gegönnt.<br />

In der Gerichtsstube folgt noch ein<br />

weiteres Verhör. W. wird noch einmal<br />

gefragt, ob er vom 24. auf den 25. Mai<br />

den Holzhirten Jacob Freese in Ueserdicken<br />

bestohlen habe, der Gefolterte<br />

bejaht dies erneut.<br />

Ihm werden Details des Einbruchs und<br />

das Diebesgut genannt und er bestätigt<br />

alles. Nur als er gefragt wird, ob<br />

er Gehilfen gehabt habe, schreit er:<br />

“Nein”. Er will offensichtlich nicht noch<br />

andere leiden lassen.<br />

Was habe er mit dem Diebesgut gemacht?,<br />

wird er gefragt. Er habe es an<br />

einen Juden in Bremen verkauft, sagt<br />

W. Was habe er verkauft, wird er gefragt.<br />

Antwort: “Alles”.<br />

Die Verhörenden sind zufrieden. W.<br />

bekommt ein Glas Wasser und Branntwein.<br />

Dem Gefangenenwärter wurde<br />

aufgetragen, den Inquisiten W. in dieser<br />

Nacht noch nicht wieder einzuschließen,<br />

ihm jedoch “die genaueste<br />

Aufsicht anempfinden zu lassen”, wie<br />

es das unterschriebenen Protokoll des<br />

Verhörs vermerkt.<br />

In den Folgetagen kommt es zu<br />

persönlichen Gesprächen mit W.,<br />

der in der Bibel liest. In solchen Unterhaltungen<br />

verrät W., ein falsches Geständnis<br />

abgelegt zu haben. Auch das<br />

ist vom Amtsschreiber protokolliert.<br />

Es ändert nichts. Der unschuldige<br />

W. seufzt: “Jetzt krieg ich nun diese<br />

Strafe. Ich werde sechs Jahre Karren<br />

schieben müssen.”<br />

Eine Verordnung vom 17. April 1822 hob<br />

endlich die Tortur in dem Königreiche<br />

Hannover auf.


28<br />

Von Manfred Brodt<br />

Stadtdirektor geht ins<br />

Gefängnis<br />

Nach Beseitigung der schlimmsten Not<br />

nach dem Zweiten Weltkrieg geht es um<br />

den Ausbau der Infrastruktur.<br />

Aus den Ratsprotokollen<br />

1954 bis 1966<br />

Schulen und Schwimmbad sind<br />

Dauerthemen<br />

Das alte <strong>Achimer</strong> Rathaus<br />

Ende Januar tritt der Rat zu seiner ersten<br />

Sitzung im Jahre 1954 im Rathaus<br />

zusammen und stellt gleich fest, dass<br />

das Rathaus zu klein ist. Der Sitzungssaal<br />

wird nicht nur zu Ratssitzungen und<br />

Ausschusssitzungen gebraucht, sondern<br />

auch vom Finanzamt, der Industrie- und<br />

Handelskammer und dem Landesversicherungsamt<br />

für Sprechstunden genutzt.<br />

Die Stühle sind schon abgewetzt. Der<br />

Stadtbauinspektor, auch mit Wohnungsnot<br />

beschäftigt, sitzt in einem Raum mit<br />

dem Vollzugsbeamten. Der Rat stellt<br />

das Thema noch zurück, weil es zur Zeit<br />

dringendere Probleme gebe, beschließt<br />

aber einen Monat später die Ausschreibung<br />

zur Erweiterung des Rathauses.<br />

Im August beginnen die Bauarbeiten am<br />

Rathaus.<br />

Die folgenden Jahre werden in Achim<br />

von zwei Themen geprägt.<br />

Thema Nr.1: Die Schulen<br />

Am 11. März fällt ein Grundsatzbeschluss<br />

zur Erweiterung der Mittelschule, die sich


Stadtdirektor geht ins Gefängnis 29<br />

aus der gehobenen Abteilung der Volksschule<br />

am Markt entwickelt hat und am<br />

Paulsberg untergebracht ist. Gleichzeitig<br />

wird die “Hilfsschule” auf Vorschlag einer<br />

Lehrerin “Fröbelschule” genannt.<br />

Volksschule am Markt (heute GAMMA)<br />

Gott zur Ehre<br />

der Gemeinde zum Segen<br />

Dieser Spruch befand<br />

sich über dem Haupteingang<br />

und heute über<br />

der alten Schulglocke<br />

auf dem Pausenhof.<br />

Ende 1957 überall Pläne für neue und<br />

größere Volksschulen: Zwölf Klassen in<br />

Bierden, zehn Klassen in Uesen und 16<br />

Klassen in Achim. Schließlich wird ja<br />

auch das neunte Schuljahr in zwei Jahren<br />

kommen. Achims Rat strebt eine<br />

zweite Volksschule an und lehnt es ab,<br />

Kinder nach Uesen und Bierden abzugeben.<br />

“Es ist eine Selbstverständlichkeit,<br />

<strong>Achimer</strong> Kinder an <strong>Achimer</strong> Schulen zu<br />

beschulen”, heißt es. Die Mittelschule<br />

am Paulsberg benötigt mehr Räume.<br />

Stadtdirektor Gröffel macht darauf<br />

aufmerksam, dass 55 Prozent der Mittelschüler<br />

aus anderen Gemeinden im<br />

ganzen Kreis kämen und deshalb Achim<br />

das nicht alles bezahlen könne. Der Rat<br />

bietet dem Kreis die Trägerschaft der<br />

Mittelschule an, doch der lehnt später<br />

dankend ab.<br />

Es bleibt dabei, Achims Rat will keine<br />

auswärtigen Schüler mehr aufnehmen,<br />

wenn die ganze finanzielle Last auf der<br />

Stadt lastet. Regierungsinstanzen machen<br />

sich am Paulsberg ein Bild von der<br />

Mittelschule und lehnen einen Anbau<br />

dort ab, da das nicht mehr den Schulbaurichtlinien<br />

entspreche. Unter anderem<br />

fehlten Fachräume. Achim bekräftigt,<br />

dass es die Mittelschule nur tragen<br />

könne, wenn der Kreis 90 Prozent der<br />

Kosten übernehme.<br />

Schüler aus Niedersachsen, also auch<br />

aus Achim, sind auf Bremer Schulen<br />

nicht willkommen. Stadtdirektor Gröffel<br />

bezeichnet in diesem Zusammenhang<br />

“Achim als das letzte Bollwerk gegen<br />

Bremen.”<br />

Der Rat fasst 1958 für die zweite Volksschule<br />

in Achim ein Grundstück nördlich<br />

der Feldstraße ins Auge. Der Kreis lehnt<br />

die zweite Volksschule ab, da angesichts<br />

der Volksschulen in Uesen und Bierden<br />

kein Bedarf bestehe. Achim benötige<br />

nur eine neue Mittelschule. Der Kreistag<br />

lehnt zugleich eine Oberschule für Achim<br />

ab.<br />

Realschule an der Waldenburger Straße<br />

Im Januar 1959 beschließt der Rat einstimmig<br />

den Entwurf eines Bremer Architekten<br />

für die Mittelschule. Der Kreistag<br />

will zwei Drittel der Baukosten für<br />

die neue Mittelschule übernehmen. So<br />

wird auch die Mittelschule zunächst am<br />

Paulsberg, dann bis 1962 im Neubau an<br />

der Waldenburger Straße als Realschule<br />

Wirklichkeit.


30<br />

Stadtdirektor geht ins Gefängnis<br />

Die inzwischen verstorbene Leiterin der Realschule<br />

Christa Watermann mit Stellvertreter<br />

Ulrich Napp und Elternvertreterinnen.<br />

Foto: Brodt<br />

Achim bekommt auch die zweite Volksschule,<br />

aber nur, weil aus den Volksschulklassen<br />

am Markt und am Paulsberg<br />

zwei eigenständige Volksschulen<br />

gemacht werden. Aus der Forderung<br />

nach der zweiten Volksschule wird so die<br />

Forderung nach der dritten Volksschule<br />

nördlich der Feldstraße.<br />

Die Bundeswehr beteiligt sich übrigens<br />

über die Bundesfinanzhilfe an den Kosten<br />

für die <strong>Achimer</strong> Schulen. Es wird<br />

genau ausgerechnet, dass pro Bundeswehrfamilie<br />

1,5 Kinder zu veranschlagen<br />

sind, und wieviele von ihnen auf die<br />

Volks- und Mittelschule gehen werden.<br />

Für den Neubau einer Volksschule zum<br />

Beispiel würde der Bund so die Kosten<br />

für zwei Klassen übernehmen.<br />

Während die dritte Volksschule auch<br />

1966 noch gefordert wird, die Realschule<br />

schon wieder Raumnot hat, hat der Kreistag<br />

im Juli 1966 großflächigen Landkauf<br />

beschlosssen zwischen der Ackerstraße<br />

und der Bergstraße, um dort zunächst<br />

eine Sonderschule und dann ein Gymnasium<br />

zu erstellen.<br />

Und die dritte Volksschule im Norden der<br />

Stadt kommt auch Ende der 60er Jahre,<br />

heute als die Astrid-Lindgren-Grundschule<br />

bekannt.<br />

Thema Nr. 2: Das Schwimmbad<br />

Im Juni 1954 frohe Kunde: Die Badeanstalt<br />

an der Weser kann wieder eröffnet<br />

werden. Die Schlachte muss allerdings<br />

noch ausgebaggert werden. Im Januar<br />

1958 befürwortet der Rat, die Badenanstalt<br />

am Hirtenhaus anzugehen, den<br />

ausgebaggerten Sand und Kies für den<br />

Deich und Straßen zu verwenden. Der<br />

Rat befürwortet das einstimmig und<br />

will mit der Marktgenossenschaft, den<br />

Grundstückseigentümern, verhandeln.<br />

Als Alternativstandort ist ein Schwimmbad<br />

im Kamerun im Gespräch, doch der<br />

Eigentümer will nur verpachten und<br />

nicht verkaufen, lehnt außerdem eine<br />

Betondecke auf seinem Grundstück ab.<br />

Nachdem 1958 die Schlachte ausgebaggert<br />

wird, kann dort gebadet werden.<br />

Weil dort aber keine Aufsicht vorgesehen<br />

war, herrscht schon bald ein Bild<br />

der Zerstörung und Verwüstung. Der<br />

Rat ist empört. Im Mai 1959 stellt man<br />

Freibadeinweihung<br />

dann fest, dass die Weser verseucht und<br />

Baden dort dauerhaft nicht möglich ist.<br />

Wieder kommt ein Freibad im Kamerun<br />

ins Gespräch, bei dem das Kühlwasser<br />

der benachbarten Molkerei genutzt wer-


Von Manfred Brodt<br />

31<br />

den könnte. Doch der Rat macht Nägel<br />

mit Köpfen für ein neues Freibad an der<br />

Embser Landstraße, das dann auch dort<br />

bis 1962 tatsächlich gebaut wird und bis<br />

heute existiert.<br />

Sorgenkind Krankenhaus<br />

Im nicht öffentlichen Teil wird im Dezember<br />

1954 große Klage geführt, dass die<br />

Oberschwester außerordentlich unzureichend<br />

und mangelhaft ihr Amt ausübe,<br />

nicht die Persönlichkeit sei, die Schwestern<br />

führen und unterstützen könne.<br />

Viele Schwestern seien schon deshalb<br />

abgewandert. Die Stadt will Möglichkeiten<br />

einer Neubesetzung eruieren. Aber<br />

absolut vertraulich soll das bleiben, um<br />

Schaden vom Haus und weitere Flucht<br />

von Schwestern abzuwenden.<br />

Ende Januar 1955 erfährt der Rat , natürlich<br />

im vertraulichen Teil, dass der Chefarzt<br />

mehrmals angetrunken im Dienst<br />

gewesen sei und dann operiert habe. Der<br />

Rat lehnt aber eine fristlose Entlassung<br />

ab und schickt ihn statt dessen für vier<br />

Wochen in Urlaub “zur Besserung”.<br />

Ende 1957 erfährt der Rat, dass im Krankenhaus<br />

7000 DM mehr als genehmigt<br />

ausgegeben worden sind. Der Chefarzt,<br />

die Oberschwester und der Verwaltungsleiter<br />

haben getrennt voneinander ohne<br />

Absprache bestellt. Der Stadtdirektor<br />

wurde nicht rechtzeitig davon unterrichtet.<br />

Der Verwaltungsleiter heißt zu diesem<br />

Zeitpunkt Seidensticker, wird später<br />

Kämmerer und Stadtdirektor werden.<br />

Not, Autoverkehr und freies Rauchen<br />

Im November 1956 beschließt der Rat<br />

einen Weihnachtszuschuss für bedürftige<br />

<strong>Achimer</strong> in Höhe von 1000 DM. Natürlich<br />

nicht pro Person, sondern als<br />

Gesamtsumme. SPD- Ratsherr Lange<br />

setzt zu einer Grundsatzrede an, in der<br />

Bundesrepublik rede man elfeinhalb<br />

Jahre nach Kriegsende mehr über die<br />

Bildung einer Wehrmacht als über die<br />

sozialen Missstände, die katatstrophale<br />

Wohnungssituation, fehlende Spielmöglichkeiten<br />

für Kinder und Jugendliche,<br />

da der zunehmende Autoverkehr das auf<br />

den Straßen nicht mehr zulasse. Angesichts<br />

der Motorisierung hatte der Rat<br />

schon ein Blaulicht für den Krankenwagen<br />

beim Kreis beantragt, da der Rettungswagen<br />

sonst nicht schnell genug<br />

durch den Verkehr komme.<br />

Ratsherr Puvogel von der bürgerlichen<br />

Mehrheitsgruppe entgegnet Lange, die<br />

SPD habe die Sozialpolitik nicht gepachtet.<br />

Nun komme es doch darauf an, die<br />

Ärmel hochzukrempeln zum Wohle der<br />

Stadt. Bürgermeister Grothen ergänzt,<br />

die Stadt könne sich teure Sozialprogramme<br />

nicht leisten, denn angesichts<br />

ihrer finanziellen Situation habe der<br />

Kreis schon Bedenken zu Darlehen für<br />

die Kanalisation.<br />

Einigkeit herrscht im Rat dagegen in einem<br />

anderen Punkt: Ende Januar wird<br />

auf Antrag von Ratsherr Gehrke das<br />

früher verhängte Rauchverbot in Ratssitzungen<br />

und Ausschusssitzungen einstimmig<br />

wieder aufgehoben, da sich das<br />

mit der Würde des Rates nicht vertrage.<br />

Andere Zeit, andere Welt!<br />

Beim “Bau von 24 Wohnungen für Bundeswehrangehörige<br />

im Bürgerpark” holt<br />

wieder die finanzielle Not den Stadtrat<br />

ein. Ratsherr Ravens macht darauf aufmerksam,<br />

dass diese Bundeswehrfamilien<br />

auch Kinder hätten, denen man<br />

noch nicht einmal Bademöglichkeiten<br />

bieten könne. Aus Geldmangel werden<br />

der Bau eines Einfachsthauses und ein<br />

Ausbau der Meislahnstraße gestrichen.


32<br />

Stadtdirektor geht ins Gefängnis<br />

Ratsherr Osmers plädiert dafür, Achim<br />

zum Notstandsgebiet zu erklären. Ratsherr<br />

Lange spricht von einem Krisenjahr.<br />

Der Bund müsse den Gemeinden helfen.<br />

Aus Protest gegen die Bundesregierung<br />

würde er am liebsten den Haushaltsplan<br />

ablehnen. Ratsherr Puvogel sagt, die<br />

Worte außerplanmäßige Ausgaben sollte<br />

man aus dem Sprachschatz streichen. In<br />

der dann direkt folgenden nicht öffentlichen<br />

Sitzung geht es dann um über- und<br />

außerplanmäßige Ausgaben.<br />

Im Dezember 1957 dann ein großer Moment<br />

in Achim: Die Bundeswehr zieht<br />

ein, und dafür wird auch mal die Polizeistunde<br />

aufgehoben.<br />

Und die Eigentümer der Firma Dodenhof<br />

in Posthausen sollen Interesse am Landratshaus<br />

mitten in Achim haben. Laut<br />

Ratsprotokoll bieten sie 100 000 Mark,<br />

ein Mehrfamilienhaus für die jetzigen<br />

Mieter, für die Feuerwehr neue Garagen<br />

und Mannschaftsgebäude. Die Stadt soll<br />

nur die Bauplätze zur Verfügung stellen.<br />

Es gibt aber noch kein schriftliches<br />

Angebot, und das Thema wird nie mehr<br />

konkret.<br />

Zwei unvergessene Katastrophen:<br />

Am 13. August 1961 wird Berlin durch<br />

die Mauer geteilt. In einem Brief wenige<br />

Tage nach dem Mauerbau lässt der<br />

Regierende Bürgermeister von Berlin,<br />

Willy Brandt, den <strong>Achimer</strong>n seinen Dank<br />

ausrichten für den sehr herzlichen Empfang<br />

am 15. Juli und grüßt den <strong>Achimer</strong><br />

Rat und besonders Bürgermeister Osmers.<br />

Der Rat beschließt einstimmig<br />

einen Betrag von 1000 DM für Ostzonenflüchtlinge,<br />

die nach Achim kommen.<br />

1962 die Flutkatastrophe an der Nordseeküste,<br />

besonders Hamburg. Der<br />

Rat beschließt auch hier 1000 Mark für<br />

Flutopfer. Auch zwei <strong>Achimer</strong> sind bei<br />

der Flutkatastrophe umgekommen.<br />

Und dann der Skandal:<br />

Am 30. Oktober 1962 wählt der Rat mehrheitlich<br />

mit Klaus Seidensticker einen<br />

neuen Stadtdirektor. Er hat als Gemeindebote<br />

angefangen und dann sich als<br />

vorheriger Verwaltungsleiter des Krankenhauses<br />

und Kämmerer einen Namen<br />

gemacht. Er freut sich, es sei ihm eine<br />

Ehre, seine ganze Kraft für die Stadt Achim<br />

einzusetzen, er werde ein gestrenger<br />

und gerechter Vorgesetzter sein, sagt er<br />

in seiner Antrittsrede. Nach der einjährigen<br />

Probezeit des Stadtdirektors verlängert<br />

der Rat mit riesiger Mehrheit seinen<br />

Vertrag als Stadtdirektor auf zwölf Jahre,<br />

weil “das Eigengewächs sich aktiv,<br />

aufopfernd und auf ganz neuen Wegen<br />

bewegt” habe.<br />

Die ganz neuen Wege bekommen später<br />

eine schlimme Bedeutung:<br />

Am 4. Dezember 1964 tritt der Rat zu<br />

einer außerordentlichen vertraulichen<br />

Sitzung zusammen. Oberkreisdirektor<br />

Berner berichtet, bei der Rechnungsprüfung<br />

durch den Kreis habe man<br />

festgestellt, dass der Vorsteher des<br />

Abwasserzweckverbandes Achim, Bierden,<br />

Uphusen, Stadtdirektor Seidensticker,<br />

sich am 3. April 1964 einen Barscheck<br />

über 20 000 DM habe ausstellen<br />

lassen, den er wenige Tage später eingelöst<br />

habe. Angeblich eine Abschlagszahlung<br />

für ein Ingenieurbüro in Delmenhorst.<br />

Doch das Ingenierbüro hatte<br />

diese Summe nie gefordert, in Rechnung<br />

gestellt, geschweige denn bekommen.<br />

Am 1. Oktober das ähnliche Spiel über<br />

die Volksbank mit einem Verwendungsbescheid<br />

der Stadtkasse für den<br />

Wasser- und Bodenverband Bassener


Von Manfred Brodt 33<br />

<strong>Achimer</strong> Kreisblatt vom 4. März 1965<br />

Mühlengraben über 25 000 DM.<br />

Empfänger der Summe der Stadtdirektor,<br />

der überhaupt kein Amt beim Bassener<br />

Wasser- und Bodenverband hatte.<br />

Der Oberkreisdirektor berichtet, er habe<br />

dem Stadtdirektor sofort die Führung<br />

seiner Dienstgeschäfte und das Betreten<br />

des Rathauses untersagt. Der Stadtrat<br />

beschließt einstimmig seine fristlose<br />

Entlassung.<br />

Der Beschuldigte stellt sich am 7. Dezember<br />

der Staatsanwaltschaft, wird<br />

aus dem Beamtenverhältnis entlassen,<br />

kommt für zwei Monate in Untersuchungshaft<br />

und wird später im März 1965<br />

vom Landgericht Verden zu zwei Jahren<br />

und acht Monaten Gefängnis verurteilt<br />

wegen schwer qualifizierter Amtsunterschlagung<br />

und Untreue in drei Fällen in<br />

Tateinheit mit Urkundenfälschung. Wegen<br />

Fluchtgefahr wandert er vom Gerichtssaal<br />

direkt ins Gefängnis.<br />

Bei den Betrügereien ging es um rund<br />

75 000 Mark, die die Stadt Achim und andere<br />

Gläubiger versuchen zurückzubekommen.<br />

Der Ex-Stadtdirektor, der sein<br />

Verhalten mit finanziellen Nöten beim<br />

aufwändigen Hausbau erklärt, verliert<br />

nicht nur seinen Ruf, sondern auch sein<br />

gesamtes Vermögen von Haus und Wohnungseinrichtung<br />

bis zum Auto.<br />

Zum lockeren Abschluss noch zwei Stilblüten<br />

aus den Ratsprotokollen:<br />

Das Protokoll zur nicht-öffentlichen<br />

Sitzung beginnt immer mit dem Satz;<br />

“Nachdem der Sitzungssaal von Presse<br />

und Publikum geräumt ist”. Ein Leserbriefschreiber<br />

hatte auch deshalb von<br />

einem “Komplott der Eingeweihten” gesprochen.<br />

Im Rat herrschte helle Aufregung,<br />

wie die Presse, zu der man doch<br />

ein so gutes Verhältnis gehabt habe, so<br />

etwas veröffentlichen könne.<br />

Und dann findet sich in den Protokollen<br />

der Satz:”Ratsherrin Grehn dankt für die<br />

Aufnahme in den Rat”. So eine Formulierung<br />

sollte man sich im Zeitalter des<br />

Gender-Gaga mal erlauben.


34<br />

Wir waren am 28.10.21 – wie jeden<br />

Donnerstag – im Stadtarchiv des<br />

Rathauses Achim, als wir zwei Wandergesellen<br />

dort sahen, die auf dem<br />

Weg zum Bürgermeister waren, um<br />

sich einen Stempel für ihre Wanderbücher<br />

zu holen. Außerdem erhielten<br />

sie 5 Euro aus der Stadtkasse. Monika<br />

Köhler zückte sogleich ihr Handy und<br />

fotografierte sie.<br />

Seit 130 Jahren sind zum Beispiel die<br />

„Rolandsbrüder“ eine Bruderschaft.<br />

Um 1880, als die ersten Gesellen der<br />

Maurerzunft bereits auf Wanderschaft<br />

waren, planten sie, alle Bauhandwerker<br />

zu einer gemeinsamen Zunft zu<br />

vereinen. Sie nannten sich untereinander<br />

„Rolandsbrüder“. Der Roland<br />

galt seit dem Mittelalter als Symbol<br />

für bürgerliches Recht und Freiheit. Er<br />

wurde zu ihrem Vorbild.<br />

Aufgenommen in der Zunft wurden<br />

nach einer Probezeit nur männliche,<br />

schuldenfreie, unverheiratete, kinderlose<br />

Gesellen. Sie sollten nicht älter<br />

als <strong>27</strong> Jahre und Mitglied einer Gewerkschaft<br />

sein.<br />

Auf der Wanderschaft versuchten und<br />

versuchen auch heute noch die Gesellen,<br />

wie Brüder zu leben. Ihre Reisezeit<br />

beträgt 3 Jahre und 1 Tag. In dieser Zeit<br />

dürfen sie ihren Heimatort im Bannkreis<br />

von 60 Kilometer nicht betreten.<br />

Auch ein Handy sowie das Geldausgeben<br />

für Unterkunft und Fortbewegung<br />

sind nicht erlaubt. Das bedeutet: wenig<br />

Kontakt zum Heimatort, Freunden und<br />

Verwandten – nur eine Karte oder ein<br />

Von Edith Bielefeld<br />

Zwei Wandergesellen<br />

in Achim<br />

Die Geschichte der<br />

Rolandsbrüder<br />

Edith Bielefeld mit den<br />

Wandergesellen im Rathaus<br />

Brief zeugt vom Dasein des Wandergesellen.<br />

Es darf nicht in Hotels, Pensionen<br />

etc. übernachtet werden. Was<br />

bleibt, ist das Schlafen beim Arbeitgeber,<br />

bei einladenden Mitbürgern oder<br />

im Freien, also ein Leben, wie es für<br />

viele von uns gar nicht vorstellbar ist.<br />

Meistens sind sie zu Fuß unterwegs.<br />

Früher war die Wanderschaft Pflicht<br />

für die Handwerksgesellen, die Meister<br />

werden wollten. Damals wie heute nutzen<br />

sie das Wandern, um Kenntnisse<br />

in ihrem Handwerk zu vertiefen, neue<br />

Arbeitspraktiken kennenzulernen und<br />

besonders auch Lebenserfahrung zu<br />

sammeln.- Sie suchten und suchen an<br />

den verschiedenen Orten, durch die sie


Von Gisela Ahnert 35<br />

kommen, immer wieder einen Betrieb,<br />

der sie aufnimmt und weiterbildet.<br />

Heute ist es auch Frauen erlaubt, auf<br />

Wanderschaft zu gehen und so zu leben,<br />

wie es die Rolandsbrüder seit vielen,<br />

vielen Jahren gemacht haben und<br />

immer noch machen.<br />

Quelle; Wikipedia<br />

Abschied von Opas letzter<br />

Hinterlassenschaft<br />

Eine wahre Begebenheit aus der<br />

Nachkriegszeit<br />

Es klingelte mehrmals an der Haustür.<br />

Da außer mir niemand zu Hause war,<br />

musste ich zur Türe, um zu öffnen. Zu<br />

dem Zeitpunkt waren alle meine älteren<br />

Geschwister schon längst aus dem Haus.<br />

Aber mir war noch lange nicht nach Ausziehen,<br />

nach Trennung vom gewohnten<br />

Daheim. Und schließlich musste<br />

ja jemand zugegen sein, um die kleine<br />

Schwester nachmittags vom Kinderhort<br />

abzuholen, die ich morgens dort ablieferte.<br />

So ist das, wenn die Eltern berufstätig<br />

sind.<br />

Ein Mitarbeiter des ortsnahen Sanitätshauses<br />

bat um Einlass und erklärte mir<br />

seine Mission. Er sei beauftragt, etwas<br />

Bestimmtes abzuholen. Er zeigte mir<br />

einen schriftlichen Beleg, woraus hervorging,<br />

dass das Ersatzbein meines<br />

verstorbenen Opas zur Wiederverwendung<br />

dringend benötigt wird, um daraus<br />

eine neu anzupassende Prothese<br />

für einen anderen Kriegsversehrten aus<br />

dem Zweiten Weltkrieg zu fertigen. Er<br />

erklärte mir, dass so ein Holzbein mit all<br />

seinen Funktionen auseinander montiert<br />

und in sämtliche Einzelteile zerlegt wird.<br />

Denn Material war in den Nachkriegsjahren<br />

sehr knapp und gefragt.<br />

Nun, was ist zu tun? Rückfrage halten,<br />

telefonisch beratschlagen – nicht möglich.<br />

Überhaupt, wer besaß zu jener Zeit<br />

bereits ein Telefon? In der Wohnung bewahrten<br />

wir Opas Beinprothese nicht<br />

auf. Nach seinem Ableben verstauten wir<br />

sein Ersatzbein, eingeschlagen in eine<br />

Wolldecke, draußen im Schuppen. Das<br />

hieß nun für mich: noch einmal Abschied<br />

nehmen von einem letzten Teil, das ihn<br />

ausgemacht hatte.<br />

Viel Geschichtliches wusste mein Großvater<br />

zu erzählen, er zeigte mir auf alten<br />

Landkarten vom Ersten Weltkrieg, wo<br />

er sein Bein verloren hatte. Ich entsinne<br />

mich auf früher, damals zum Beispiel,<br />

wenn in unserer Großfamilie kein Stuhl<br />

frei war. Ein Sitzplatz auf Opas Holzbein<br />

war für mich immer reserviert. Später im<br />

Erwachsenenalter war er für mich der<br />

beste Zuhörer und Ratgeber, und er half<br />

mir bei den Hausaufgaben, oft war Diktat<br />

üben angesagt, später übte er sogar mit<br />

mir Stenographieren, spornte mich an zu<br />

besseren Leistungen, die mich ermutigten,<br />

an Wettbewerben in Eilschrift teilzunehmen.<br />

Mit schwerem Herzen übergab ich dem<br />

Mann vom Sanitätshaus das Holzbein<br />

meines Großvaters, aber plötzlich war<br />

mir klar, dass ich es nicht mehr brauchte,<br />

um mich an meinen geliebten und bewunderten<br />

Großvater zu erinnern.


36<br />

Von Reiner Aucamp<br />

Das Besondere<br />

am Badener Platt<br />

In Baden im Kreis Verden wird das<br />

„ursprünglichste Platt“ gesprochen.<br />

Diese Aussage aus dem Jahre 1939 von<br />

Ursula Feyer, damalige Assistentin<br />

des deutschlandweit renomierten Linguisten<br />

und Ethnologen Prof. Diedrich<br />

Westermann (1875 – 1956), der in Baden<br />

beheimatet war, fiel dem Sprachwissenschaftler<br />

Prof. Björn Köhnlein<br />

von der „The Ohio State University“ in<br />

Ohio ins Auge.<br />

Prof. Björn Köhnlein und Reiner Aucamp<br />

berichten:<br />

Björn Köhnlein stammt übrigens aus<br />

dem Raum Darmstadt. Er recherchierte<br />

Baden, wo liegt das denn?<br />

Nachdem er feststellte, dass Baden ein<br />

Ortsteil von Achim ist, setzte er sich mit<br />

Achims Bürgermeister Rainer Ditzfeld<br />

in Verbindung. Dieser leitete die Post<br />

weiter an Reiner Aucamp, gebürtig aus<br />

Achim-Baden und der plattdeutschen<br />

Sprache mächtig. Aucamp hatte bis vor<br />

einigen Jahren in der Grundschule in Baden<br />

in einer Arbeitsgemeinschaft „Platt“<br />

unterrichtet.<br />

Es kam zu einem längeren Austausch von<br />

Telefonaten und Mails, bis Prof. Köhnlein<br />

einen Besuch in Baden ankündigte.<br />

Wie gewünscht hatte Aucamp schon gut<br />

20 ebenfalls „Noch-Plattsprechende“<br />

ausfindig gemacht. Bei zwei Besuchen<br />

Köhnleins im Jahre 2016 und 2021 in Baden<br />

wurden jeweils in einer Woche die 20<br />

angemeldeten Personen interviewt und<br />

zu Sprachaufnahmen gebeten. Die Auswertungen<br />

erfolgten dann am Institut<br />

der Uni in den Staaten.<br />

Wissenschaftler der Ohio<br />

State University weilt zweimal<br />

zu Forschungszwecken<br />

im Weserort<br />

Der Wissenschaftler zieht folgendes<br />

Fazit zum Badener Dialekt:<br />

„Ein besonderes Merkmal, für das das<br />

Plattdeutsche unter Sprachwissenschaftlern<br />

bekannt ist, ist die sogenannte<br />

„dreifache Vokallänge“, die man in nur<br />

sehr wenigen Sprachen der Welt findet.<br />

Neben dem Plattdeutschen sind das zum<br />

Beispiel das Estnische, das Hopi (Sprache<br />

amerikanischer Ureinwohner), das<br />

Sibirische Yupik (Eskimosprache) oder<br />

das Dinka (Sprache im Südsudan). Die<br />

meisten Sprachen haben nur eine oder<br />

zwei Vokallängen, und daher ist das Plattdeutsche<br />

für Sprachforscher weltweit<br />

von großem Interesse. Im Deutschen gibt<br />

es kurze und lange Vokale (Selbstlaute),<br />

so zum Beispiel ein kurzes i in Mitte und<br />

ein langes ie in Miete. Das Besondere an<br />

manchen Dialekten des Plattdeutschen<br />

ist, dass es eben nicht nur kurze und lange<br />

Vokale, sondern kurze Vokale und zwei<br />

Arten von langen Vokalen gibt. Im Badener<br />

Platt kann man das zum Beispiel an<br />

den Wörtern für Seide und Seite sehen.<br />

Beide werden auf Plattdeutsch oft als<br />

Siede geschrieben, aber unterschiedlich<br />

ausgesprochen. Das ie in Siede (Seite) ist


Das besondere am Badener Platt 37<br />

lang, aber das ie in Siede (Seide) ist noch<br />

länger. Diese beiden unterschiedlich langen<br />

ie’s stehen im Kontrast zum kurzen<br />

i, das man zum Beispiel im Wort sitten<br />

findet.<br />

Warum ist nun gerade das Badener Platt<br />

so wichtig für die Erforschung des Plattdeutschen?<br />

Das liegt unter anderem daran,<br />

dass im Allgemeinen angenommen<br />

wird, dass die dreifache Vokallänge im<br />

Plattdeutschen nur in einsilbigen Wörtern<br />

auftritt. Das trifft auf Baden nicht zu,<br />

denn hier gibt es den Unterschied eben<br />

auch in zweisilbigen Wörtern wie Siede<br />

(Seite) und Siede (Seide). In anderen<br />

Dialekten des Plattdeutschen sind diese<br />

Wörter durch den Verlust des wortfinalen<br />

e einsilbig geworden und werden<br />

heute als Sied (Seide) und Sied (Seite)<br />

ausgesprochen, allerdings auch mit den<br />

Unterschieden in der Vokallänge – das<br />

Wort für Seide hat einen längeren Vokal<br />

als das Wort für Seite, wie in Baden.<br />

Die meisten Forscher nehmen an, dass<br />

sich die dreifache Vokallänge im Plattdeutschen<br />

erst nach dem Verlust des<br />

finalen e in Wörtern wie Siede herausgebildet<br />

hat. Das Badener Platt zeigt aber,<br />

dass das so nicht ganz stimmen kann,<br />

denn hier gibt es ja sowohl noch das finale<br />

e als auch die drei Vokallängen. Man<br />

kann davon auszugehen, dass andere<br />

plattdeutsche Dialekte früher auch einmal<br />

so waren wie das Badener Platt, bevor<br />

sie das finale e vor ein paar hundert<br />

Jahren verloren haben. Das Badener<br />

Platt spiegelt also einen ursprünglicheren<br />

Sprachstand des Plattdeutschen wieder<br />

und liefert daher wichtige Erkenntnisse<br />

zur Erforschung der Geschichte<br />

des Plattdeutschen.“<br />

Nachdem der Professor den Heimflug angetreten hatte, erreichten Reiner Aucamp diverse<br />

Anfragen, ob man nicht einmal einen plattdeutschen Nachmittag machen könnte.<br />

Das konnten sie, sie trafen sich mit 17 Probanden im Landhaus Quensell bei Kaffee und<br />

Kuchen, haben viel „geschnackt“, lustige Geschichten in Platt vorgelesen und auch<br />

Lieder in Platt gesungen.<br />

Foto: Sperling


38<br />

Von Manfred Brodt<br />

Die Angst des<br />

Moderators<br />

20 Jahre Podiumsdiskussion<br />

<strong>Achimer</strong> Argumente / Aus dem<br />

Nähkästchen geplaudert<br />

Zwei Jahrzehnte präsentierte das <strong>Achimer</strong><br />

Kreisblatt Podiumsdiskussionen<br />

für die Bürger. Immer von mir moderiert,<br />

alleine und auch mit den Mitmoderatoren<br />

Helmut Hornig und Pago Balke,<br />

Kabarettist aus Riede.<br />

Grund genug, zu einem Rückblick und<br />

der Bereitschaft, auch aus dem Nähkästchen<br />

zu plaudern.<br />

Der von mir nicht geschätzte Peter Handke<br />

hat den Titel geprägt „Die Angst des<br />

Torwarts beim Elfmeter“ . Davon abgeleitet<br />

will ich über die „Angst des Moderators“<br />

schreiben.<br />

Start war zur Bürgermeisterwahl 1999.<br />

Die Kandidaten, der noch amtierende<br />

Stadtdiretor Dr, Wolfram Hellermann,<br />

der bis dahin ehrenamtliche Bürgermeister<br />

Christoph Rippich und Bernd Anders,<br />

saßen einträchtig an einem Tisch im<br />

Hotel Gieschen mit reichlich Publikum.<br />

Es war eine kuschelige Runde ohne Aggressionen<br />

und Verletzungen. Hinterher<br />

bescheinigte mir ein an Achim sehr interessierter<br />

Bürger, ich hätte souverän<br />

und locker wie Erich Böhme das gemacht.<br />

Der war früher Chefredakteur<br />

des Spiegel und hatte auch lange den<br />

Sonntag-Talk im Ersten souverän und<br />

humorvoll moderiert. Aber viel, zu viel<br />

Ehre für mich.<br />

Schon damals hatte ich den horror vacui.<br />

Die Angst vor der Leere, dass niemand<br />

kommt. Aber das trat nie ein.<br />

Zwischen 50 und 250 Besucher kamen<br />

immer.<br />

Anfangs versuchten wir es ohne Lautsprecher,<br />

dann stellten wir Boxen aus<br />

den eigenen vier Wänden auf. Sehr behelfsmäßig.<br />

Schließlich wechselten wir<br />

ins Kulturhaus Alter Schützenhof, das<br />

uns als Mitveranstalter den Saal und die<br />

gesamte Technik kostenlos zur Verfügung<br />

stellte.<br />

Die Diskussionen machten uns und dem<br />

Publikum immer Spaß. Wir ermahnten<br />

die Teilnehmer am Podium immer, sich<br />

kurz zu fassen, was uns nicht hinderte,<br />

selbst ellenlange langweilende Monologe<br />

zu halten und auch zu sehr die eigene<br />

Meinung rüberzubringen. Jedenfalls bemühten<br />

wir uns, nicht vorbereitete Fragen<br />

eins bis fünf abzuspulen, sondern<br />

zuzuhören, nachzufragen, den Gefragten<br />

nicht ohne Antwort auf die Frage zu<br />

entlassen, wie man das allzu oft im Fernsehen<br />

erlebt. Es war dann immer ein Balanceakt,<br />

die oft nervösen Diskutanten<br />

am Podium aufzulockern, zum Sprechen<br />

zu bringen, aber auch bei Blabla mal hart<br />

anzufassen.<br />

Die Podiumsteilnehmer verhielten sich


Die Angst des Moderators 39<br />

fast immer „pflegeleicht“. Auch das Publikum<br />

benahm sich immer ausgesprochen<br />

zivilisiert. Natürlich waren überwiegend<br />

Anhänger der verschiedenen<br />

Parteien im Saal, aber auch zahlreiche<br />

andere. Zumal wir nicht nur parteipolitisch<br />

strittige Themen, sondern auch<br />

allgemeine Fragen wie die Zukunft der<br />

Krankenhäuser auf dem Tablett hatten.<br />

Wollen wir von den unschönen Ausnahmen<br />

reden. Nach dem Überfall von Skinheads<br />

auf feierende Abiturienten am Bacardi-Beach<br />

mit lebensgefährlichen Verletzungen<br />

in einem Fall behandelten wir<br />

das Thema Rechtsradikalismus. Ich war<br />

Wochen vorher schon auf dem Weg in<br />

den Saal des Landgerichts Verden über<br />

ausgestreckte Springerstiefel in den Gerichtssaal<br />

gegangen, hatte bei Gängen<br />

mit dem Hund an der Badener Pfingstwiese<br />

schon immer geschaut, ob da<br />

nicht bekannte „Glatzen“ sich aufhalten.<br />

Und an diesem Abend waren sie im Saal<br />

bei der Podiumsdiskussion. Einige setzten<br />

sich nahe zum Podiumsteilnehmer<br />

Polizeidirektor Rott. Ich fragte ihn, ob er<br />

sich bedroht fühle, doch er verneinte das<br />

und zeigte Mut. Es ging gut. Nach dem<br />

Abend schaute ich dennoch, ob draußen<br />

nicht jemand auf mich wartete,<br />

Auch dass der nicht eingeladene Kreistagsabgeordente<br />

der NPD aus Verden,<br />

der sich Präsident von Preußen nannte,<br />

plötzlich im Publikum und im Saal war,<br />

um das Wort bat, ertrugen wir mit Fassung<br />

und wussten zu antworten.<br />

Nervig waren die Diskussionen mit<br />

den Bundestagsabgeordneten Grindel<br />

(CDU) und Stünker (SPD), die spinnefeind<br />

waren. Grindel, früher ZDF-Korrespondent,<br />

später DFB-Präsident,<br />

ließ, trotz wiederholter Aufforderungen<br />

von mir sich nicht stoppen, redete und<br />

giftete weiter.<br />

Was soll ich machen, soll ich ihm den<br />

Stecker rausziehen?, überlegte ich, aber<br />

dann hätte es im Saal Tumulte gegeben.<br />

SPD-Kontrahent Stünker murmelte zu<br />

mir: „Mach das Ding zu, ich gehe“. Ich<br />

dachte, dann geh doch, aber das wäre<br />

auch nicht gut gewesen.<br />

Ein Höhepunkt war der Showdown der<br />

Bürgermeisterkandidaten 2014. Doch ich<br />

war schon lange vorher gesundheitlich<br />

angeschlagen, hatte Burnout, konnte<br />

wochenlang so gut wie nicht schlafen,<br />

arbeitete aber trotzdem weiter, und dann<br />

diese Diskussion. Bis zum letzten Tag<br />

überlegte ich, diese Diskussion abzusagen,<br />

damit ich nicht auf der Bühne zusammenbreche<br />

oder derartig konfus auftrete,<br />

dass das Publikum an meinem Geisteszustand<br />

zweifelt. Aber Gott sei Dank,<br />

konnte ich in der Nacht vor der Podiumsdiskussion<br />

mit Tabletten schlafen, war<br />

glücklich und hatte mir dann vorgenommen,<br />

besonders dem volkstümlich auftretenden<br />

Rainer Ditzfeld fachlich auf<br />

den Zahn zu fühlen. Doch statt dieser<br />

Zahnuntersuchung kam es wenige Stunden<br />

vor der Podiumsdiskussion zu einer<br />

Absage von Ditzfeld mit Attest wegen<br />

einer Magen-Darm-Verstimmung. Der<br />

Abend verlief trotzdem unterhaltsam,<br />

und viele bescheinigten mir, selten so<br />

locker und humorvoll gewesen zu sein.<br />

Wenn die gewusst hätten....<br />

Kommen wir noch mal zu den Rechtsradikalen.<br />

Vor einer Runde im großen Saal<br />

des Schützenhofs hatten Aktivisten ein<br />

Transparent gegen die AfD aufgehängt,<br />

das ich mangels Brille überhaupt nicht<br />

besonders wahrgenommen hatte und<br />

das in der Veranstaltung auch mit keinem<br />

Wort angesprochen wurde. Über<br />

das Transparent empörte sich Wochen<br />

später die AfD und verlangte bei der<br />

Einladung zu einer späteren Diskussion


40<br />

Die Angst des Moderators<br />

zur Landtagswahl, dass sich der Veranstalter<br />

davon distanziere und sich dafür<br />

entschuldige. Ich entgegnete, ich sähe<br />

überhaupt keinen Anlass, mich von etwas<br />

zu distanzieren, was die Veranstalter<br />

nicht veranlasst hätten, und mich zu<br />

entschuldigen gegenüber einer Partei,<br />

die ein zweifelhaftes Verhältnis zur Demokratie<br />

habe. Diese Reaktion habe<br />

er erwartet, reagierte der eingeladene<br />

Landtagsabgeordnete der AfD und blieb<br />

fern. So wurde es dann eine weitere<br />

friedliche und zivilisierte Diskussion unter<br />

Demokraten.<br />

Und dann hatten wir sogar auch den<br />

früheren Ministerpräsidenten der DDR<br />

und Politbüro-Mitglied Hans Modrow am<br />

Podium, der zum Wahlkampf gerade in<br />

Achim weilte.<br />

Besonders schön war es immer, wenn<br />

es nicht nur tierisch ernst, sondern auch<br />

spontan humorvoll wurde. So als zum<br />

Beispiel der schon erwähnte Polizeichef,<br />

der Landrat werden wollte, sagte,<br />

als erste Amtshandlung werde er mit der<br />

Sackkarre die vielen Akten seines Vorgängers<br />

wegfahren. Das kam an, aber<br />

Landrat wurde er dennoch nicht.<br />

Einmal traf der Humor auch mich: Als<br />

ein Kandidat der Piratenpartei sich auf<br />

die Landesverfassung berief, entgegnete<br />

ich, Landesverfassungen seien doch<br />

unbedeutend. So stehe in der hessischen<br />

Landesverfassung heute noch das Verbot<br />

der Aussperrung und die Todesstrafe.<br />

Darauf Mitmoderator Pago Balke zu<br />

mir im vollen Schützenhofsaal: „Deshalb<br />

musstest Du aus Hessen flüchten.“<br />

Da konnte ich nur herzhaft lachen.<br />

2018 war dann Schluss mit den „<strong>Achimer</strong><br />

Argumenten“. Ich frage mich, ob heute<br />

bei der gegenseitigen Verhetzung über<br />

die „asozialen“ Netzwerke und dem Leben<br />

von gesellschaftlichen Gruppen mit<br />

verschiedenen Wahrheiten und in verschiedenen<br />

Welten solche Diskussionen<br />

noch möglich wären, zum Beispiel über<br />

Russland, Islamismus oder Verschwörungsgeschichten.<br />

Bitter nötig wäre es.<br />

Wieder volles Haus bei den <strong>Achimer</strong> Argumenten. Auch dem Bürgermeister gefällt´s.<br />

Foto: Laue


Von Gisela Ahnert 41<br />

Der fleißige<br />

Briefmarkensammler<br />

Seit Jahren sammelte er Briefmarken. Mit<br />

Geschick verstand er es, Sammelstellen<br />

aufzubauen, denn er hatte eine gute Idee.<br />

Aber wie sollte er es schaffen, andere<br />

davon zu überzeugen? Sorgfältig peilte<br />

er sein Vorhaben an, und nach viel Vorarbeit<br />

klappte es schließlich.<br />

Ist das Gelingen seiner Idee allein sein<br />

Verdienst? - oder welche Unterstützung<br />

suchte er sich vorab dafür zusammen?<br />

Jedenfalls führte seine Vorgehensweise<br />

zum erfolgreichen Ergebnis.<br />

Denn er nutzte seinen Unruhestand, für<br />

den er eine sinnvolle Beschäftigung gesucht<br />

hatte. Umsichtig schien er ja zu<br />

sein, denn ihm entging so leicht kein<br />

Zeitungsartikel.<br />

Deshalb fiel ihm wohl unter anderem<br />

auch auf, dass einige Male etwas über<br />

Hemelingen berichtet wurde, zum Beispiel<br />

der Aufruf, dass wir noch Infos<br />

darüber bräuchten, wer die damaligen<br />

Bewohner der ärmsten Gegend in der<br />

Nachkriegszeit waren, wo sind sie geblieben,<br />

wer weiß Näheres dazu.<br />

Meine Aufgabe war das Schreiben, ein<br />

Verwandter wurde für das Beschaffen der<br />

Fotos eingespannt. Wir hatten bundesweite<br />

Suchaktionen gestartet, um möglichst<br />

viele ausfindig zu machen, damit Kontakte<br />

aufgenommen werden konnten. So<br />

gelangten wir an aufschlussreiche Hinweise.<br />

In diesen Veröffentlichungen sah der<br />

Hobby-Briefmarkensammler eine chancenreiche<br />

Aussicht, an schön bunte,<br />

aussagekräftige Briefmarken-Motive zu<br />

kommen.<br />

Eines Tages erschien also im Hemelinger<br />

Seniorencafé ein Informant. Nur, mein<br />

Verwandter, der sich mit ihm traf, kam<br />

nicht gleich dahinter, mit welchem Anliegen<br />

sein Gegenüber auftrat, deshalb zog<br />

er mich telefonisch zu Rate – mir würde<br />

es eher gelingen, den Durchblick zu<br />

gewinnen. So teilten wir uns die Arbeit.<br />

Wir erfuhren, dass unser „Informant“ aus<br />

Bremen-Sebaldsbrück kam und emsig<br />

zu allen umliegenden Begegnungsstätten<br />

und kirchlichen Einrichtungen beste<br />

Verbindungen geknüpft hatte.<br />

Seitdem schnibbelten die älteren Herrschaften<br />

eifrig die Briefmarken vom Kuvert,<br />

die er dann hurtig einsammelt.<br />

Einmal im Jahr erscheint sein Foto in der<br />

Zeitung mit meistens zwei Säcken Sammelgut<br />

zu Gunsten von Organisationen<br />

wie zum Beispiel Bethel.


42<br />

Von Hans-Joachim Wuthe<br />

Eine <strong>Achimer</strong><br />

Akzidenzdruckerei<br />

Im Jahre 1900 gründete der junge Buchbindergehilfe<br />

Johannes Buerfeind im<br />

Heideort Visselhövede eine Buchbinderei<br />

mit einem kleinen Ladengeschäft.<br />

Chronologie einer <strong>Achimer</strong><br />

Buchdruckerei: 1900 bis 1972<br />

Um Drucksachen selbst herzustellen,<br />

wurde bald darauf eine erste Druckpresse<br />

angeschafft. Im Herbst 1904 wird vom<br />

Buchbinder J. Buerfeind die Heimatzeitung<br />

„Visselhöveder Landbote“ herausgebracht.<br />

Die Zeit als Zeitungsverleger in<br />

Visselhövede war aber schon nach zwei<br />

Jahren vorbei.<br />

Hermann Bischoff, Onkel von J. Buerfeind<br />

und Buchbinder in Achim, wollte<br />

sein Geschäft aus Altersgründen an seinen<br />

Neffen übergeben. Daraufhin verkaufte<br />

J. Buerfeind seinen Betrieb an<br />

Karl Sasse und übernahm unter dem<br />

Namen „Buchhandlung H. Bischoff, Inh.<br />

J. Buerfeind“ in der Paulsbergstraße<br />

115 (heute Bremer Straße 1) in Achim die<br />

Buchbinderei.<br />

Umzug nach Achim<br />

Paulsbergstraße 115 (heute Bremerstraße 1)<br />

Anzeige im <strong>Achimer</strong> Kreisblatt<br />

Am 2. Mai 1907 eröffnet Johannes Buerfeind<br />

ein Ladengeschäft für Papier- und<br />

Schreibwaren, im Hause des Schlossermeisters<br />

Meislahn (ab 1908 gehört das<br />

Haus Friedrich Burhorn), in der Obernstraße<br />

25. Das Geschäft in der Paulsbergstraße<br />

wird weitergeführt.


Eine <strong>Achimer</strong> Akzidenzdruckerei 43<br />

Im September 1908 erklärt der Buchbinder<br />

und Buchhändler Hermann Bischoff<br />

seine Firma als erloschen und die Übernahme<br />

durch seinen Neffen Johannes<br />

Buerfeind.<br />

In den folgenden Jahren wechselt der<br />

Standort mehrfach.<br />

Im April 1911 befindet sich dann die<br />

Buchhandlung J. Buerfeind im neuerbauten<br />

Haus vom Bäckermeister Barthel,<br />

Obernstraße 31 / Ecke Langenstraße. In<br />

diesem Geschäft werden zusätzlich auch<br />

Fotoapparate verkauft.<br />

Er übernimmt vermutlich auch den Warenbestand<br />

von Hellmers. Am 25. Februar<br />

1924 bietet Fr. Hellmers Nachf. Achim<br />

J. Buerfeind im <strong>Achimer</strong> Kreisblatt Restposten<br />

von Mützen an. Laut anderer Anzeigen<br />

verkauft J. Buerfeind auch Lose<br />

der Süddeutschen Klassenlotterie und<br />

nimmt Bestellungen von Journalen, Modezeitschriften,<br />

Bücher usw. entgegen.<br />

Die Buchhandlung Buerfeind bekommt<br />

im November 1924 einen neuen Fernsprechanschluß<br />

mit der Nummer 167.<br />

Haus Meislahn / Burhorn, Obernstraße 25<br />

Obernstraße 71 (heute Nr. 30)<br />

1925 Neugründung der Buchdruckerei<br />

Haus des Bäckermeisters Barthel,<br />

Obernstraße 31<br />

Im Mai 1919 kauft der Buchbindermeister<br />

und Buchhändler Johannes Buerfeind<br />

das Haus des Kürschnermeisters Fr. Hellmers,<br />

Obernstraße 71 (heute Nr.30) mit<br />

Wirkung zum 1. Juli.<br />

Als erste Maschine wurde eine Tiegeldruckpresse<br />

aufgestellt. Wenige Jahre<br />

später kam die erste Schnellpresse in<br />

den erweiterten Betriebsräumen zum<br />

Einsatz. In den folgenden Jahren wurde<br />

die Buchbinderei vergrößert und eine<br />

zweite Schnellpresse angeschafft.


44<br />

Eine <strong>Achimer</strong> Akzidenzdruckerei<br />

Am 8. Mai 1929 erscheint folgende Anzeige<br />

im <strong>Achimer</strong> Kreisblatt: Wegen gänzlicher<br />

Aufgabe dieses Artikels verkaufe<br />

ich sämtliche Hüte und Mützen zu und<br />

unter Einkaufspreis. Fr. Hellmers Nachf.<br />

Inh. J. Buerfeind, Achim.<br />

Im August 1929 hat Buerfeind die Vertretung<br />

der „Hamburg-Amerika-Linie“<br />

übernommen. Es werden dort die Schiffsfahrkarten<br />

verkauft.<br />

Die Söhne treten ins Geschäft ein<br />

Gründer und Seniorchef<br />

Johannes Buerfeind<br />

Buchbinder<br />

Hermann Buerfeind<br />

Buchdrucker<br />

Karl-Werner Buerfeind<br />

Schriftsetzer bei der Arbeit<br />

Die Setzerei


Von Hans-Joachim Wuthe 45<br />

Die Druckmaschinen<br />

um 1950<br />

Schnellpressen<br />

und<br />

Tiegeldruckpresse<br />

Buchbinderei<br />

mit Schneidemaschine


46<br />

Eine <strong>Achimer</strong> Akzidenzdruckerei<br />

Nach ihrer Lehr- und Gehilfenzeit in<br />

anderen Betrieben arbeiten die Söhne<br />

im elterlichen Betrieb als Buchbinder<br />

(Hermann) und Buchdrucker (Karl-<br />

Werner). Während des Zweiten Weltkrieges<br />

muss der Senior, ohne seine<br />

Söhne (sie mußten als Soldaten in den<br />

Krieg), nur mit einer Hilfskraft die Arbeit<br />

bewältigen. Nach der Rückkehr<br />

aus der Gefangenschaft und dem Wiedereintritt<br />

der Söhne wird die Druckerei<br />

1949 eine OHG.<br />

Vom 2. bis 9. Oktober 1949 findet im<br />

Schulgebäude und auf dem Hof der<br />

Schule am Markt eine Handwerksu.<br />

Gewerbeausstellung mit diversen<br />

Handwerksbetrieben und Geschäften<br />

aus Achim und Umgebung statt. Die<br />

Ausstellungsleitung haben K.-W. Buerfeind,<br />

E. Froböse, F. W. Gercke jun.,<br />

Fr. Göhrs, H. Mindermann, W. Müller,<br />

Fr. Osmers, H.Wellmann, R. Wessel,<br />

K.H. Wittstock.<br />

50 Jahre Buchdruckerei J. Buerfeind<br />

1950 feiert die Firma ihr 50-jähriges<br />

Bestehen. Am 1.10.1950 wird Johannes<br />

Buerfeind zum Ehrenobermeister der<br />

Buchdrucker ernannt.<br />

Zum 1. Juni 1956 wird die Druckerei<br />

nach dem Tod von Johannes Buerfeind<br />

und seiner Frau in eine Kommanditgesellschaft<br />

umgewandelt.<br />

Zu den Kunden zählen, neben vielen<br />

Einzelhändlern aus Achim auch größere<br />

Betriebe wie DESMA, Preussag,<br />

<strong>Achimer</strong> Simons Brot / Lieken, Landhaus<br />

Jungborn / Max Naumann, Möbelfabrik<br />

Friedrich H. Finke, Riekes<br />

Honigkuchen Fabrik und mehr. Aber<br />

auch bekannte Firmen aus Bremen gehören<br />

zu den Kunden.<br />

Geschäfts- und Privatdrucksachen wie<br />

Broschüren, Prospekte, Schiffsfahrpläne<br />

Briefpapier, Rechnungen, Umschläge,<br />

Postkarten und vieles mehr<br />

werden gedruckt und verarbeitet.<br />

Die Buchhandlung und Buchdruckerei J.<br />

Buerfeind in der Obernstraße 30. Links neben<br />

dem Eingang zur Buchhandlung befand<br />

sich ein Durchgang mit einem Eingang zur<br />

Druckerei. Rechts daneben befindet sich die<br />

Fleischerei Mindermann.


Von Hans-Joachim Wuthe 47<br />

Der Lieferanteneingang war in der Herbergstraße.<br />

In der Bildmitte (von rechts) sind die<br />

Fenster der Druckerei, Setzerei, Büro und<br />

der Buchbinderei von Hermann Buerfeind<br />

zu sehen. Die beiden Türen auf dem Hof waren<br />

die Toiletten. Im Gebäude rechts im Bild<br />

wurden die Drucksachen weiter verarbeitet<br />

(schneiden, falzen, heften usw.) und für die<br />

Lieferung zum Kunden verpackt.<br />

Erlebnisse eines Lehrlings in den<br />

Jahren 1963 bis 1966<br />

Als Lehrling hatte man es nicht immer<br />

einfach. Den Schreibwaren- und Buchhandel<br />

führte die Frau des Buchbinders<br />

Hermann Buerfeind. Sie führte ein strenges<br />

Regiment.<br />

Zwischen dem Laden und der Druckerei<br />

gab es einen Durchgang und darunter<br />

einen Keller. In diesem Keller lagerten<br />

die Walzen- und Formenwaschmittel<br />

für die Druckerei. Wenn Frau Buerfeind<br />

Ware für den Laden bekommen hatte,<br />

standen diese auf der Luke zum Keller.<br />

Fehlte dann in der Druckerei Waschmittel,<br />

musste man sich erst einmal eine<br />

Standpauke von ihr über sich ergehen<br />

lassen. Man hätte ja auch früher daran<br />

denken können, die Waschmittelvorräte<br />

in der Druckerei aufzufüllen! Danach<br />

musste die Ware von der Kellerluke<br />

umgepackt werden. Immer unter den<br />

strengen Blicken von Frau Buerfeind.<br />

Zu Ostern und zu Weihnachten mussten<br />

die Lehrlinge nach dem Aufräumen<br />

und dem Putzen der Druckmaschinen<br />

den Fußboden in der Druckerei<br />

mit einer stark lösemittelhaltigen<br />

schwarzen Farbe streichen. Das war<br />

nicht sehr beliebt bei den Kollegen und<br />

wäre heute auch nicht mehr erlaubt.<br />

•<br />

Beliebt war das Pressen von Altpapier<br />

im Keller unter der Druckerei. Da<br />

konnte man nach Feierabend mal einen<br />

Heiermann (5,00 DM) extra verdienen,<br />

obwohl wir die meiste Zeit Ringkämpfe<br />

im Altpapier ausfochten. Das<br />

hat der Chef zum Glück nicht bemerkt.<br />

•<br />

Auf Sauberkeit wurde viel Wert gelegt.<br />

So wurde jeden Freitag gründlich aufgeräumt<br />

und die Maschinen geputzt. Alle<br />

Maschinen (bis auf die große Schnellpresse,<br />

die nur über das Wochenende<br />

eine Plane bekam) wurden jeden Abend<br />

mit einer Plane abgedeckt. Dabei fiel auch<br />

mal ein Schlauch der Walzenwaschanlage<br />

herunter, und man hatte am nächsten<br />

Morgen das Malheur mit einer kleinen<br />

Überschwemmung. Wenn Herr Buerfeind<br />

oder unser Lehrmeister die Bescherung<br />

bemerkten, gab es ein Donnerwetter.<br />

•<br />

Die fertigen Drucksachen wurden entweder<br />

mit einer Spedition oder vom Chef mit<br />

dem Pkw ausgeliefert. Kleinere Mengen<br />

mussten die Lehrlinge mit dem Geschäftsfahrrad<br />

zum Kunden transportieren. Mit<br />

einem vollgepackten Koffer auf dem Gepäckhalter<br />

war das nicht gerade beliebt.<br />

Die Zeiten ändern sich<br />

Der Buchdruck hat bald keine Zukunft<br />

mehr. Er wird vom Offsetdruck verdrängt.


48<br />

Eine <strong>Achimer</strong> Akzidenzdruckerei<br />

Am 1. April 1972 erfolgt der Zusammenschluß<br />

mit der Druckerei Johann Oltmanns.<br />

Druckerei Oltmanns + Buerfeind im Richtweg,<br />

später Gutenbergstraße. Hier wurde<br />

auch das „<strong>Achimer</strong> Kreisblatt“ gedruckt.<br />

Alte Werbeanzeigen der<br />

Buchdruckerei Joh. Oltmanns<br />

Druckerei und Zeitung<br />

Die Druckerei Oltmanns ist eng mit dem<br />

<strong>Achimer</strong> Kreisblatt verbunden als früherer<br />

Eigentümer und Druckerei der Zeitung.<br />

Nach fünfjähriger Mitarbeit als Redakteur<br />

des Kreisblatts übernahm 1907<br />

Johann Oltmanns die Firma. 30 000 Lebensmittelkarten<br />

liefen im Ersten Weltkrieg<br />

täglich aus der Druckmaschine,<br />

1000 Feldpostbriefe gingen zu den Soldaten<br />

an die Front. Nachdem Oltmanns<br />

Schwiegersohn Fritz Reinecke vor und<br />

während des Nationalsozialismus das<br />

Kommando übernahm, traten die Oltmanns-Enkel<br />

Fritz und Johann Reinecke<br />

1968 als Mitgesellschafter in die Firma<br />

ein. Parallel zur Fusion von Oltmanns und<br />

Buerfeind vollzog das <strong>Achimer</strong> Kreisblatt<br />

1972 den Zusammenschluss mit der Verdener<br />

Aller Zeitung und danach den Anschluss<br />

an den Verlag der Kreiszeitung in<br />

Syke. Fritz Reinecke wurde Mitverleger<br />

der Kreiszeitung in Syke, Zwillingsbruder<br />

Johann Reinecke Mitgesellschafter<br />

der Druckerei Oltmanns u. Buerfeind.


Von Hans-Joachim Wuthe 49<br />

Die Druckerei Oltmanns und Buerfeind wird am 1. Januar 1977 eine GmbH.<br />

Die Geschäftsführer der<br />

Oltmanns + Buerfeind<br />

GmbH<br />

Johann Reinecke und<br />

Karl-Werner Buerfeind<br />

bei einer Jubiläumsfeier.<br />

25. Juni 1984<br />

Wegen der neuen Entlastungsstraße muss die Druckerei Oltmanns + Buerfeind<br />

den Standort in der Gutenbergstraße verlassen und zieht in das Gewerbegebiet<br />

am „Bremer Kreuz“ in der Oskar-Schulze-Straße.<br />

6. März 1987<br />

Konkurs der Oltmanns + Buerfeind GmbH<br />

9. März 1987<br />

Reinhard Berlin (Berlin Druck Bassum) will die Fa. Oltmanns + Buerfeind<br />

übernehmen.<br />

11. März 1987<br />

Bei der in Konkurs gegangenen Fa. Oltmanns + Buerfeind geht es weiter.<br />

Berlin Druck hat die Firma übernommen.<br />

Für die Hilfe bei der Recherche bedanke ich mich bei Günter Schnakenberg.


50<br />

Von Helmut Köhler<br />

Kultur und Kulinarik<br />

Unter der Regie des KASCH versuchten<br />

verschiedene Akteure, die Bevölkerung<br />

für das Erlebnisfestival Kultur und Kulinarik<br />

mit ihren Ideen zu begeistern …<br />

Ein „Altersrekord“<br />

beim K & K - Festival<br />

Mit von der Partie ist auch die <strong>Achimer</strong><br />

Geschichtswerkstatt. Am 2. und 3. Oktober<br />

errichtet sie direkt vor dem Haupteingang<br />

des Rathauses einen Infostand<br />

und eine Station für kindlichen Geschicklichkeitsbeweis.<br />

Während zwei historisch<br />

gewandete Frauen des Vereins,<br />

Ulrike Koch und Marlies Migowsky, an<br />

die Besucher/innen des Festes vorzügliche<br />

Äpfel verteilen (natürlich kostenlos!)<br />

und Rezepte zur Apfel-Verarbeitung<br />

anpreisen, können sich die jüngsten<br />

Besucher im Apfelschälen beweisen.<br />

Kindertreiben tritt ein Erwachsener<br />

an den Stand und bekundet sein Interesse<br />

an einer Teilnahme am Wettbewerb.<br />

Ein Mann unter Kindern? Warum<br />

eigentlich nicht – schließlich ist er im<br />

weitesten Sinne doch auch ein Kind!<br />

Also: Er darf! Bedächtig holt er ein Taschenmesser<br />

aus der Hosentasche,<br />

klappt es auf und beginnt zu schälen.<br />

Er schält und schält, die Schale ringelt<br />

sich vom Apfel, es entsteht eine Spirale<br />

von beachtlicher Länge. Staunend verfolgen<br />

die Anwesenden die Vermessung<br />

derselben: 1,30 Meter ist das Ergebnis!<br />

Unter Beifall wird die Sensation zur<br />

Kenntnis genommen. Herr Bernd A.<br />

Friedrich aus Bremen ist der Star des Tages<br />

– ein Erwachsener stellt den Rekord<br />

des Wettbewerbes auf. Ein Ansporn für<br />

die Kinder - herzlichen Glückwunsch!<br />

Marlies Migowsky + Ulrike Koch<br />

„Wer schafft die längste Schale?“.<br />

Unter diesem Motto erproben die<br />

Kinder ihr Können. Die Ergebnisse<br />

fallen recht unterschiedlich aus...<br />

Und dann geschieht etwas völlig Unerwartetes!<br />

Angelockt vom emsigen<br />

Der Champion: Bernd A. Friedrich


Von Manfred Brodt 51<br />

Zentraler Platz nach dem<br />

Ehrenbürgermeister benannt<br />

Kein Politiker in Achim war und ist so<br />

bekannt und populär wie er. Die Stadt<br />

hat ihn deshalb zum Ehrenbürgermeister<br />

über Parteigrenzen hinweg<br />

gewählt.<br />

Hohe Auszeichnungen für den<br />

populärsten <strong>Achimer</strong> Politiker<br />

Ex-Ministerpräsiedent Wulff verleiht Christoph Rippich, hier mit Ehefrau Annameta,<br />

die niedersächsische Verdienstmedaille.<br />

Foto: Brodt<br />

Nun haben sie den Platz mitten in der<br />

Stadt zwischen Rathaus und Amtsgericht<br />

nach einer würdigen Feier Christoph<br />

Rippich-Platz getauft. Grund genug,<br />

auf das Leben und die Verdienste<br />

dieses jetzt 84-jährigen <strong>Achimer</strong>s zu<br />

blicken.<br />

Als Christoph Rippich zum Ende des<br />

Zweiten Weltkriegs zusammen mit<br />

seiner Familie aus Waldenburg in<br />

Schlesien zugleich floh und vertrie-<br />

ben wurde, schließlich auf Umwegen<br />

im Sammellager des <strong>Achimer</strong> Corso-<br />

Kinos landete, da deutete nichts darauf<br />

hin, dass er diese Bedeutung in<br />

Achim und im Kreis bekommen sollte.<br />

•<br />

Nach Besuch der Mittelschule am<br />

Markt fand der 17-Jährige Ausbildung<br />

und Beschäftigung bei der Stadt Bremen,<br />

wo er bis zum Diplom-Verwaltungswirt<br />

aufsteigen sollte. Zugleich


52<br />

Zentraler Platz nach dem Ehrenbürgermeister benannt<br />

Christoph Rippich als Fußballtrainer.<br />

Vorbereitung für das nächste Spiel. Welche Taktik wird hier wohl besprochen?<br />

entwickelte sich der junge Mann zu<br />

einem Mann der Rekorde: Zwölf Jahre<br />

Jugendleiter und Trainer vieler<br />

Fußballmannschaften des TSV Achim,<br />

1961 jüngster Kreisjugendobmann des<br />

Deutschen Fußballbundes,<br />

1968 jüngster Bürgermeister Niedersachsens<br />

und erster SPD-Bürgermeister<br />

in Achim und das bis 2006 ehren-<br />

oder hauptamtlich.<br />

1986 wurde mit Christoph Rippich erstmals<br />

ein Sozialdemokrat im Landkreis<br />

Verden zum ehrenamtlichen Landrat<br />

gewählt und bis 1999 im Amt bestätigt.<br />

31 Jahre gehörte er dem Kreistag an.<br />

Von 1982 bis 1998 war er Landtagsabgeordneter.<br />

„Von Wahl zu Wahl bekam<br />

ich mehr Stimmen“, erinnert er sich.<br />

Seine Haltung war schon früh von<br />

einem Ausbilder bei der Stadt Bremen<br />

geprägt worden. Der hatte ihm gesagt:<br />

„Wenn ein Bürger vor Ihnen steht, dann<br />

denken Sie daran, dass das Ihr Arbeitgeber<br />

ist.“ Auch in seiner Antrittsrede<br />

1968 als frischgebackener Bürgermeister<br />

hatte Christoph Rippich die dienende<br />

Funktion betont: Er wolle Makler<br />

und Mittler zwischen Bürgern, Rat<br />

und Verwaltung sein, hatte er gesagt.<br />

Makler und Mittler zwischen der Bürgergesellschaft<br />

und dem Staat sind für<br />

ihn auch die Parteien, und nicht mehr.<br />

Der Makler und Mittler Rippich schaffte<br />

es so auch, dass sich 1972 viele<br />

nicht unbedingt freundlich gesonnene<br />

selbstständige Gemeinden zur neuen


Von Manfred Brodt 53<br />

Stadt Achim zusammenschließen ließen.<br />

„Keine Eingemeindung, alle haben<br />

auch ein Stück Eigenständigkeit<br />

bewahren können“, unterstreicht er.<br />

Christoph Rippich war Wahlkokomotive<br />

seiner Partei, erzielte Rekordergebnisse<br />

für sie, war aber nie Parteisoldat.<br />

Im Gegenteil er zeigte bei grundsätzlicher<br />

Solidarität auch Distanz in Einzelfragen.<br />

In diesem Spagat hat er im Landtag<br />

für hauptamtliche Bürgermeister<br />

und im Rat für ein neues Rathaus<br />

auf dem Marktplatz gestimmt, obwohl<br />

er eigentlich in beiden Fällen<br />

dagegen war. „Ich wollte die SPD-<br />

Mehrheit nicht gefährden“, erklärt er.<br />

Entscheidender als alle Titel, Ehrungen<br />

und Erfolge für den Senior war sicher,<br />

dass der einst eingefleischte Junggeselle<br />

1995 seine Annameta heiratete,<br />

die übrigens der CDU angehört. Mit ihr<br />

und der Familie von Sohn Harm hat er<br />

im „Drei-Generationen-Haus“ an der<br />

Bierdener Dorfstraße ein erfüllendes<br />

Zuhause gefunden. Die Ehe mit seiner<br />

Annameta ließ nach vielen Urlaubsreisen<br />

übrigens nicht Achim zum Mittelpunkt<br />

der Welt bleiben.<br />

Mit wachdem Verstand und spitzer<br />

Zunge nimmt er nach wie vor am öffentlichen<br />

Leben teil. Übrigens und<br />

ganz am Rande, er ist schon lange Mitglied<br />

der Geschichtswerkstatt Achim.<br />

Christoph Rippich bei der Geschichtswerkstatt.<br />

Foto: Brodt


54<br />

Impressum<br />

Wir über uns:<br />

Die <strong>Achimer</strong> Geschichts-Hefte werden heraus gegeben von der Geschichtswerkstatt<br />

Achim - Verein für Regionalgeschichte e.V. (Vereins register Walsrode VR 120146)<br />

und erscheinen unregelmäßig. Dieses regionalhistorische Ma gazin kostet 4,- €, ist<br />

im <strong>Achimer</strong> Buchhandel erhältlich und kann auch bestellt werden. Bei Bestellung<br />

gilt die Überweisung von 4,- € auf das Vereinskonto bei der KSK Verden:<br />

IBAN: DE23 2915 2670 0014 0010 69 - BIC: BRLADE21VER<br />

Für Ver einsmitglieder ist der Bezug der <strong>Achimer</strong> Ge schichts-Hefte kostenlos.<br />

Die Geschichtswerkstatt Achim e.V. mit ihren über 100 Mitgliedern ist Mitglied des<br />

Nieder sächsischen Heimatbundes e.V. und des Träger vereins „Kulturhaus Alter<br />

Schützenhof“. Sie wurde im Jahre 1986 als Teil der bundesweiten Geschichtswerkstattsbewegung<br />

gegründet, die sich die Erforschung der Regionalgeschichte aus der<br />

Sicht der Betroffenen als „Geschichte von unten“ auf ihre Fahnen geschrieben hat.<br />

Der jährliche Vereinsbeitrag beträgt 20,- €, ermä ßigt für Schüler, Studierende, Auszubildende,<br />

Erwerbslose und Rentner 10,- €.<br />

Redaktion:<br />

Manfred Brodt, Helmut Köhler, Edith Bielefeld, Harald Gerken, Gisela Ahnert,<br />

Rainer Aucamp, Hans-Joachim Wuthe.<br />

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion<br />

wieder.<br />

Redaktionsanschrift:<br />

Geschichtswerkstatt Achim, c/o Helmut Köhler, Vogelerweg 8, 28832 Achim,<br />

Tel.: 04202-7650939 - Verantwortlich im Sinne des Presserechts.<br />

Internet:<br />

www.geschichtswerkstatt-achim.de und www.geschichte-im-Iandkreis-verden.de<br />

Satz:<br />

Hans-Joachim Wuthe<br />

Titelbild:<br />

Kai Purschke<br />

Druck und Gesamtherstellung:<br />

Haus der Werbung, Anita-Augspurg-Platz 7, <strong>27</strong>283 Verden<br />

1. Auflage November 2022 - Alle Rechte vorbehalten<br />

© 2022 by Geschichtswerkstatt Achim - Verein für Regionalgeschichte e.V.<br />

ISSN 0935 -5642


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GUT LEBEN UND ARBEITEN IN ACHIM

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