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Liebe Freundinnen und Freunde - Cartell Rupert Mayer

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Aus den Gilden <strong>Cartell</strong><br />

RUPERT<br />

MAYER<br />

wachsene sind, die Zahl der Geburten zurück geht <strong>und</strong> mehr Kirchenmitglieder<br />

sterben als durch Taufe hinzugewonnen werden, kann auf eine wachsende „Überalterung<br />

des Mitgliederbestands” <strong>und</strong> darüber auf eine „Beschleunigung des Mitgliederschw<strong>und</strong>s”<br />

geschlossen werden, der freilich auch für die evangelischen<br />

Kirchen gilt. 1 Je weiter man in den Norden <strong>und</strong> Osten der B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland<br />

gelangt, umso unwahrscheinlicher wird es, einem Katholiken zu begegnen,<br />

<strong>und</strong> umso wahrscheinlicher wird es, einen Konfessionslosen zu treffen.<br />

Eine Kirche in fremder Umwelt<br />

In Deutschland zu leben, heißt deshalb, in einer Gesellschaft zu leben, in der die<br />

religiöse Teilung schroffer ist als die Teilung Europas <strong>und</strong> damit alltäglich erlebbar<br />

wird, dass die Integration der Gesellschaft auch ohne Gemeinsamkeit religiöser<br />

Überzeugungen möglich ist. 2 Für den deutschen Katholiken, dessen offizielle<br />

Kirche ja recht klare sozialethische Gestaltungsvorstellungen hat, bedeutet dies,<br />

erst recht, je weiter er im Norden <strong>und</strong> Osten des Landes lebt, permanent wahrnehmen<br />

zu müssen, dass Gesellschaft auch ohne seine Konfession funktionieren<br />

kann <strong>und</strong> muss. Trotz dieser wachsenden Einsicht auch in die Säkularität moderner<br />

gesellschaftlicher Strukturen mutet ihm die deutsche Gesellschaft keineswegs<br />

zu, seine Religion in dem Sinne als Privatsache zu behandeln, als sei es ihm bzw.<br />

ihr verwehrt, öffentlich sichtbar in Erscheinung zu treten, am öffentlichen Diskurs<br />

teilzunehmen oder mit den öffentlichen Institutionen des Staates zu kooperieren,<br />

gar von ihnen unterstützt zu werden. Privatsache ist seine Religion nur insofern,<br />

als angesichts des inzwischen deutlich erkennbaren „Fehlens eines plausiblen <strong>und</strong><br />

allgemein verpflichtenden sozialen Modells für die bleibenden, universalen<br />

menschlichen Transzendenzerfahrungen <strong>und</strong> für die Suche nach einem sinnvollen<br />

Leben” 3 auch dem Katholiken wie jedem anderen ‚Gläubigen’ ein individuelles<br />

Entscheiden in Sachen Religion zugemutet wird.<br />

Eine erodierende Ritualgemeinschaft<br />

In Deutschland zu leben heißt für einen Katholiken aber auch zu erleben, dass<br />

Kirche selbst, zugespitzt gesagt, ohne Gemeinsamkeit religiöser Überzeugungen<br />

<strong>und</strong> Praxis möglich ist. Besonders in Westdeutschland, dort, wo auch die Mehrheit<br />

der Katholiken lebt, zeigt sich ein von Schüben durchsetzter, alles in allem jedoch<br />

relativ kontinuierlich ablaufender normativer lntegrationsschw<strong>und</strong> der kirchlich<br />

verfassten Religion. Zunehmend wird die kirchenrechtlich vorgesehene normative<br />

Integration durch eine soziale Integration überlagert, wenn nicht abgelöst. So gehen<br />

2006 etwa 3,6 Mio. katholische Kirchenmitglieder zum sonntäglichen Gottesdienst,<br />

das sind etwa zwei Mio. weniger als 1992, fast vier Mio. weniger als 1981, vier Mio.<br />

weniger als 1971 <strong>und</strong> acht Mio. weniger als 1966. Immer mehr Katholiken versto-<br />

Aus den Gilden <strong>Cartell</strong><br />

RUPERT<br />

MAYER<br />

ßen damit hierzulande Sonntag für Sonntag gegen ein zentrales Kirchengebot, das<br />

sie selbst subjektiv möglicherweise gar nicht mehr als eine Norm interpretieren,<br />

obwohl ihre Gültigkeit sogar kirchenrechtlich verankert ist. Damit verliert diese<br />

Norm an faktischer Geltung, an verbindlicher Verbindlichkeit unter den deutschen<br />

Katholiken, <strong>und</strong> viele katholische Kirchenmitglieder folgen einer ganz eigenen, kirchenunabhängigen<br />

Sonntagsdramaturgie. Tendenziell geriet damit jede kirchliche<br />

Maßnahme zu einem ‚Angebot’ – ein Bezeichnung, die auch heute in einigen<br />

innerkirchlichen Kreisen noch nicht akzeptiert ist. Faktisch hat die Mehrheit der<br />

Kirchenmitglieder ihre Einstellung in puncto Sonntagsgottesdienst schon längst<br />

von einer norm- <strong>und</strong> einer überzeugungsbezogenen Grammatik auf eine „erfahrungs<strong>und</strong><br />

erlebnisbezogene ‚Plausibilität’” (Hanns-Werner Eichelberger) umgestellt.<br />

Allerdings ist für die deutschen Katholiken auch belegt, dass nur 12% von<br />

ihnen angeben, nie in die Kirche zu gehen. 4 Dieser Anteil an sogenannten ‚nominellen<br />

Kirchenmitgliedern’ ist geringer als etwa in Frankreich <strong>und</strong> stellt die eindeutige<br />

Minderheit unter den deutschen Katholiken dar. Ihr stehen eine Mehrheit<br />

von sogen. ‚Randmitgliedern’, die nur selten im Jahr zum Gottesdienst gehen<br />

(54%), <strong>und</strong> ein doch immerhin – auch im Vergleich zu den deutschen Protestanten<br />

– beachtliches Drittel von ‚Kernmitgliedern’ gegenüber, die mindestens ein bis<br />

dreimal im Monat am Sonntagsgottesdienst teilnehmen. Auch für die Katholiken<br />

gilt zunehmend, dass sie, wie gesagt, „vermehrt ereignisorientiert statt habituell<br />

<strong>und</strong> normorientiert <strong>und</strong> somit wahlweise am Gottesdienst teilnehmen”. 5 Mit anderen<br />

Worten: Eine situative Integration der Kirchenmitglieder hat die normative<br />

abgelöst. Hierfür spricht auch, dass die Teilnahme an der Ohrenbeichte regelrecht<br />

kollabiert ist <strong>und</strong> selbst an den Beichtstühlen an Wallfahrtsorten rückläufige<br />

Frequentierungen zu verzeichnen sein sollen. Indem sie die mit der Kirchenmitgliedschaft<br />

verb<strong>und</strong>enen Normanweisungen unterläuft, zeigt die deutliche Mehrheit<br />

der katholischen Kirchenmitglieder, dass sie immer weniger bereit oder in der<br />

Lage ist, sich eine bestimmte Rolle im Beziehungsgeflecht der Kirche zuweisen zu<br />

lassen <strong>und</strong> das für ‚Sünde‘ zu halten, was in ihr als Sünde deklariert wird.<br />

Eine schrumpfende Überzeugungsgemeinschaft<br />

Beobachtbar ist tatsächlich nicht nur ein Wachstum an ritueller ‚Devianz‘ der<br />

katholischen Kirchenmitglieder hinsichtlich als zentral definierter Glaubenshandlungen,<br />

welche die Heilsgüter betreffen. Zu nimmt auch die Abweichung im Hinblick<br />

auf kirchlich definierte Heilswahrheiten. Folgt man den jüngsten Ergebnissen des<br />

Religionsmonitors, glauben 20 Prozent der deutschen Katholiken „gar nicht” oder<br />

„wenig” daran, dass es Gott gibt. 6 Der Anteil solcher ‚Agnostiker’ ist freilich unter den<br />

deutschen Protestanten (27%) <strong>und</strong> z. B. unter den französischen Katholiken (24%)<br />

noch höher. Unter den Letzteren finden sich auch keine Mehrheiten mehr, die an- →<br />

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