Baumeister 6/2024
Basel
Basel
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B6<br />
B A U<br />
Juni 24<br />
121. JAHRGANG<br />
Das Architektur-<br />
Magazin<br />
MEISTER<br />
D<br />
F<br />
Innenhofmetropole<br />
Basel<br />
CH<br />
4 194673 018502<br />
06<br />
D 18,50 €<br />
A,L 20,95 €<br />
CH 2 4 , 9 0 S F R
B6<br />
Editorial<br />
SCHWARZPLAN: BAU- UND VERKEHRSDEPARTEMENT DES KANTONS BASEL-STADT/MICHAEL BÖGLI; GVA KANTON BASEL-STADT<br />
Wie Sie, werte Leserin und werter Leser, sicher<br />
richtig erkannt haben, geht es in dieser Ausgabe<br />
um eine der spannendsten Städte der<br />
europäischen Architekturszene: Basel. Kaum<br />
eine andere Stadt weist auf ähnlich geringer<br />
Fläche (170.000 Einwohner auf 24 Quadratkilometern)<br />
eine so hohe Dichte an Leuchtturmprojekten<br />
auf und glänzt gleichzeitig mit<br />
einem derart namhaften Büroportfolio. Aber<br />
auch über den Rand aller Hornbrillen hinweg<br />
ist diese kleine, feine Stadt im Dreiländereck<br />
zwischen Frankreich, Deutschland und der<br />
Schweiz für eine Vielzahl unterschiedlicher<br />
Highlights bekannt – die ART, die berühmt<br />
berüchtigte Fasnacht, das Basler Münster,<br />
der Tinguely-Brunnen mit dem dazugehörigen<br />
Museum, das Rheinschwimmen, der Badische<br />
Bahnhof und natürlich die allseits sehr<br />
präsente Life-Science-Industrie – vertreten<br />
durch die milliardenschweren Pharmaunternehmen<br />
Novartis und Roche mit den entsprechend<br />
imposanten Hochbauten; darunter<br />
die neuen Rochetürme oder auch das inzwischen<br />
schon ikonische Asklepios 8. Alle<br />
genannten Objekte aus der Feder von? Natürlich<br />
– Herzog & de Meuron.<br />
Und ja. Wer Basel sagt, muss auch HdM sagen.<br />
Horcht man jedoch in die Basler beziehungsweise<br />
Schweizer Architekturszene rein,<br />
scheint HdM Fluch und Segen zugleich für die<br />
Stadt zu sein. Weder lokal noch international<br />
kommt man am Büro von Jacques Herzog<br />
und Pierre de Meuron vorbei, gleichzeitig<br />
wird unter so etwas wie augenrollendem<br />
Stöhnen der Wunsch nach mehr Diversität<br />
laut. Der lokalen Baukultur täte das keinen<br />
Abbruch. Ganz im Gegenteil. Denn Burckhardt<br />
+ Partner, Diener & Diener, Buchner<br />
Bründler Architekten, Christ & Gantenbein,<br />
Morger Partner oder auch Miller & Maranta<br />
stellen immer wieder beeindruckend unter<br />
Beweis, dass sie locker mithalten können.<br />
Zurück zu Basel. Laut Mercer lag die Stadt<br />
2023 auf Platz 14 der lebenswertesten Städte<br />
weltweit. Vollkommen zu Recht, wie wir finden.<br />
Infrastrukturell zu Land, Wasser und in<br />
der Luft optimal angebunden, radelt man in<br />
Basel über die Grenzen zu Deutschland und<br />
der Schweiz, schwimmt morgens zur Arbeit,<br />
genießt in Kleinbasel, Großbasel oder auf<br />
dem stillgelegten Hafenareal im nördlichen<br />
Kleinhünigen mitunter ein spektakuläres kulturelles<br />
Angebot – oder trifft sich abends<br />
eher klassisch zum Apéro in einer der zahlreichen<br />
Rheinbuvetten direkt am Fluss.<br />
Gleichzeitig hat Basel einen enormen Bedarf<br />
an weiterem Wohnraum, aber auch Gewerbeflächen<br />
und steht seit mehreren Jahren vor<br />
immer wieder neuen Herausforderungen in<br />
der Stadtentwicklung. So blicken wir im vorliegenden<br />
Heft verstärkt auf Nachverdichtungsprojekte<br />
und fokussieren uns dabei auf<br />
Innen- und Hinterhöfe. Die Stadtverwaltung<br />
bezieht die Bevölkerung in spannenden Projekten<br />
in den Dialog um die Stadtentwicklung<br />
ein und bietet jedem zahlreiche Möglichkeiten,<br />
um zum städtebaulichen Akteur<br />
zu werden. Eines zeichnet Basel aber wirklich<br />
aus: Hier wird Stadtplanung verhältnismäßig<br />
schnell umgesetzt und gelebt.<br />
Ich hoffe, Sie haben Freude mit dieser Ausgabe,<br />
und genauso sehr hoffe ich, dass wir<br />
Ihnen mehr Lust auf Basel machen können.<br />
Lassen Sie mich doch gerne wissen, ob uns<br />
das geglückt ist.<br />
Herzlichst,<br />
Tobias Hager<br />
t.hager@georg-media.de<br />
@baumeister_architekturmagazin
Innovationen<br />
und Lösungen<br />
Bei den Wandbaustoffen<br />
zählen<br />
bekanntlich die inneren<br />
Werte für Statik,<br />
Schall- und Wärmeschutz<br />
sowie die<br />
Kosten. Um energieoptimierte<br />
Gebäude<br />
mit intelligenten<br />
Lösungen zu planen,<br />
ist dazu die Fassade<br />
ein beliebtes Spielfeld.<br />
Langformat-Klinker von<br />
Hagemeister<br />
S. 15<br />
Langformatiger<br />
Wasserstrichziegel von<br />
Randers Tegl + Laumans<br />
als Verblender<br />
S. 13<br />
6<br />
Branchenfeature<br />
Sind wir auf dem<br />
Holzweg? Gibt es noch<br />
Alternativen, was<br />
unsere Wandbaustoffe<br />
anbelangt?<br />
Ein Ausblick<br />
12<br />
Wandbaustoffe<br />
19<br />
Fassade<br />
FOTO OBEN: GIULIO COSCIA; UNTEN: HAGEMEISTER; RECHTS: RIEDER FACADES/DITZ FEJER
Erweiterung der<br />
Christoph Merian Stiftung<br />
hinter dem<br />
Basler Kunstmuseum<br />
S. 48<br />
RUBRIKEN<br />
60<br />
SONDERFÜHRUNG I<br />
72<br />
NEUE BÜCHER<br />
88<br />
SONDERFÜHRUNG II<br />
Ideen:<br />
36<br />
Landskronhof<br />
114<br />
IMPRESSUM<br />
+ VORSCHAU<br />
Grüne Oase<br />
Landskronhof<br />
S. 36<br />
48<br />
Christoph<br />
Merian<br />
Stiftung
Inhalt<br />
29<br />
62<br />
Modulhaus<br />
Oetlingerstraße<br />
49<br />
78<br />
Atelierhaus<br />
92<br />
Lyse-Lotte<br />
Positionen:<br />
30<br />
Apropos<br />
Basel<br />
72<br />
Hinterhöfe<br />
FOTO OBEN: DAISUKE HIRABAYASHI; UNTEN: SIMON FROMMENWILER; RECHTS: ALMA MAKI<br />
100<br />
Umbau<br />
Weinlager<br />
Gelungene<br />
Sanierung:<br />
Hinterhof in Klein-Basel<br />
S. 78
30 Basel<br />
Apropos Basel<br />
Von den Abhängen des Bruderholz<br />
lässt sich gut auf das aktuelle<br />
Stadtbild von Basel blicken.<br />
Die Stadt am Rheinknie erstreckt<br />
sich in der Ebene zwischen<br />
den Ausläufern des Jura, des<br />
Schwarzwalds und der Vogesen.<br />
A<br />
B<br />
C<br />
D<br />
E<br />
Rheinknie am Dreiländereck<br />
bei Basel<br />
Dreiländerbrücke über<br />
den Rhein<br />
Rheinuferweg St. Johann,<br />
Basel (CH) – Huningue (F)<br />
Basler Umweltamt von<br />
jessenvollenweider<br />
Einst Krankenhaus,<br />
jetzt Wohnhaus:<br />
das Felix-Platter-Spital,<br />
umgebaut von Müller Sigrist<br />
und Rapp<br />
Deutschland,<br />
Frankreich und<br />
die Schweiz<br />
stoßen hier<br />
aufeinander.<br />
Aus der leicht<br />
erhöhten<br />
Perspektive<br />
zeigt sich die<br />
Stadt durchsetzt von Hochhausclustern,<br />
erste Zeugen eines<br />
laufenden Transformationsprozesses.<br />
Text: Gerold Kunz<br />
FOTO OBEN: EUROPEAN UNION − COPERNICUS LAND MONITORING SERVICE − EUROPEAN ENVIRONMENT AGENCY (EEA), 2018 − OPENSTREETMAP, 2020; UNTEN: IBA BASEL/CHRISTOPHER SCHALLER
Ideen Positionen 123 31<br />
A<br />
Ein Blick in die Zukunft des Basler<br />
Stadtbilds lässt sich heute bereits am<br />
Stadtmodell gewinnen. Alle neu realisierten,<br />
aber auch kommende Bauprojekte<br />
sowie Ergebnisse von Testplanungen<br />
sind darin dargestellt. Im<br />
Stadtmodell sind größere Transformationsgebiete<br />
zu erkennen: ehemalige<br />
geschlossene Industrieareale,<br />
die sich allmählich für gemischte<br />
Nutzungen öffnen wie Dreispitz, Klybeckplus,<br />
Rosental Mitte und Volta-<br />
Nord als wichtigste Schlüsselgebiete,<br />
für welche städtebauliche Leitbilder<br />
ausgearbeitet und erste Umnutzungsprojekte<br />
eingeleitet wurden.<br />
Noch 2006 bezeichnete das ETH Studio<br />
Basel in seinem „Städtebaulichen<br />
Porträt der Schweiz“ diese Areale als<br />
„Urbane Blockaden“. Heute sind sie<br />
die bereits in der Studie prognostizierten<br />
„Orte einer Neuerfindung der<br />
Stadt“ und Teil einer Metropolitanregion,<br />
die sich zwischen Freiburg,<br />
Mulhouse und Basel erstreckt. In der<br />
Anlage dieser trinationalen Stadt erkennt<br />
das ETH Studio Basel sogar das<br />
Potenzial für einen „polyzentrischen<br />
urbanen Großraum am Oberrhein“<br />
von Basel bis nach Frankfurt am<br />
Main. Auch wenn Basel schon heute<br />
die benachbarten Gemeinden und<br />
Regionen in ihre Entwicklungen einbezieht,<br />
ist in der Stadt von dieser<br />
Perspektive noch wenig zu spüren.<br />
Wohnen und Arbeiten<br />
Treiber der ambitionierten Zukunftsperspektive<br />
in Basel sind der hohe<br />
Arbeitsplatzbedarf und die Bemühungen,<br />
die urbane Lebensqualität<br />
für verschiedene Bevölkerungsgruppen<br />
zu verbessern. Die Life-Sciences-<br />
Industrie baut am Standort Basel aus.<br />
Sichtbares Zeichen sind die Roche-<br />
Hochhäuser, die heute das Stadtbild<br />
prägen und einen ganz anderen<br />
Maßstab in die Stadt einführen [Bild D<br />
am rechten Bildrand oder Seite 56<br />
oben]. Zwei Türme sind realisiert, einen<br />
dritten Turm sieht das Konzept<br />
B<br />
vor. Die Roche-Hochhäuser sind das<br />
am intensivsten diskutierte städtebauliche<br />
Großprojekt der Schweiz. In<br />
der Stadt und in der Umgebung werden<br />
sie als Solitäre wahrgenommen,<br />
von bestimmten Standorten aus sogar<br />
als Zikkurat – ein mächtiges Zeichen<br />
für die Bedeutung Basels als Arbeitsstadt.<br />
Die Politik hingegen will nicht nur<br />
zusätzliche Arbeitsplätze zulassen,<br />
sondern auch neuen Wohnraum<br />
schaffen. Sie fördert deshalb den<br />
gemeinnützigen Wohnungsbau. Hier<br />
schließen sich die Kreise: Viele von<br />
der Industrie alimentierte Stiftungen<br />
sind im gemeinnützigen Wohnungsbau<br />
aktiv. Mit innovativen Konzepten<br />
erproben sie neue Formen des gemeinschaftlichen<br />
Zusammenlebens.<br />
Auf der Erlenmatt-Ost, dem Lysbüchel-Areal<br />
und im Westfeld wurden<br />
bereits größere Projekte mit Genossenschaften<br />
realisiert. Die Stiftungen<br />
geben Belegungszahlen vor, lassen<br />
den Bauträgerschaften aber viele<br />
Freiheiten, ihre Wohnverhältnisse<br />
selber zu bestimmen.<br />
Für die Gesellschaft<br />
Zu den aktuellen, architektonisch innovativen<br />
Projekten zählen das Hofgebäude<br />
an der Oetlingerstraße von<br />
Felippi Wyssen [ab Seite 62], der Umbau<br />
des Weinlagers von Esch Sintzel<br />
und das Genossenschaftshaus Lyse-<br />
Lotte von Clauss Kahl Merz Atelier<br />
WEITER
36 Basel<br />
FOTO: MARIS MEZULIS
Ideen<br />
37<br />
Ein vielfach<br />
abgestuftes<br />
Mehrfamilienhaus<br />
findet<br />
innerhalb der<br />
Blockrandbebauung<br />
im<br />
einstigen<br />
Arbeiterviertel<br />
Basel-St.<br />
Johann Platz.<br />
Nur vermeintlich<br />
problematisch:<br />
die<br />
nahen Brandmauern.<br />
Sie<br />
tragen wesentlich<br />
zur Privatsphäre<br />
der<br />
Wohnungen<br />
bei.<br />
Gemeinsam Wohnfläche<br />
reduzieren<br />
Architektur:<br />
HHF Architekten<br />
„Verdichtung nach<br />
innen“ ist in der Schweiz<br />
seit 2014 im Bundesgesetz<br />
fest geschrieben.<br />
Die Umsetzung gestaltet<br />
sich allerdings<br />
oft schwierig, daher<br />
sind Vorbilder wie die<br />
Hofbebauung „Landskronhof“<br />
als wegweisendes<br />
Pilotprojekt<br />
erfolg reicher innerstädtischer<br />
Nachverdichtung<br />
so wichtig.<br />
Text:<br />
Miriam Stierle<br />
Fotos:<br />
Maris Mezulis, Laurian Ghinițoiu
72 Neue Bücher<br />
Hinterhöfe<br />
„Der Hinterhof ist ein außergewöhnlicher<br />
sozialer Raum, dessen<br />
Erscheinungsbild bei näherem<br />
Hinsehen viel erzählt über die<br />
Menschen, die sich<br />
darin bewegen.<br />
Anders als die meisten<br />
urbanen Räume<br />
wurde er oft nicht<br />
bewusst als Lebensraum<br />
geschaffen<br />
und gestaltet,<br />
sondern war zunächst<br />
einfach ein zwischen den<br />
umliegenden Gebäuden übrig<br />
gebliebener Leerraum“, sagt<br />
der Fotograf Wolfgang Strassl und<br />
entdeckt dort unbewusst<br />
arrangierte Stillleben<br />
mit ihrer oft surrealen<br />
und auch poetischen<br />
Dimension.<br />
Hinterhof<br />
Von Wolfgang Strassl<br />
84 Seiten<br />
48 farbige Abbildungen<br />
Hardcover, 32 Euro<br />
Kerber Verlag, Bielefeld<br />
November 2023<br />
ISBN 978-3-7356-0961-8
FOTOS: WOLFGANG STRASSL<br />
Ideen Positionen 123 73
78 Basel
Ideen<br />
79<br />
Im Gegensatz<br />
zur Erweiterung<br />
der<br />
Christoph<br />
Merian Stiftung<br />
(Seite 48) konnte<br />
hier der Bestand<br />
erhalten<br />
und saniert<br />
werden. Eine<br />
Entwurfsvariante<br />
mit<br />
Neubau wurde<br />
verworfen, da<br />
ein Umbau das<br />
spannungsvollere<br />
Ergebnis<br />
lieferte.<br />
Rhythmusgebend<br />
Architektur:<br />
Alma Maki Architektur<br />
Was die Gestaltung<br />
eines Gebäudes beeinflusst,<br />
kann aus ganz<br />
unterschiedlichen<br />
Quellen kommen. Bei<br />
der Sanierung dieses<br />
Atelierhauses in einem<br />
Kleinbasler Hinterhof<br />
spielte der Bestand<br />
die maßgebliche, taktgebende<br />
Rolle. Erst die<br />
Auseinandersetzung<br />
mit dem Vorhandenen<br />
ergab ein zufriedenstellendes<br />
Ergebnis.<br />
Text:<br />
Franziska Quandt<br />
Fotos:<br />
Alma Maki Architektur
Ideen<br />
93<br />
Im Lysbüchel-<br />
Areal in Basel<br />
Nord wurden<br />
in jüngster<br />
Zeit größere<br />
Projekte mit<br />
Genossenschaften<br />
realisiert<br />
–darunter<br />
das Genossenschaftshaus<br />
„Lyse-<br />
Lotte“ von<br />
Clauss Kahl<br />
Merz Atelier<br />
( I ). Die Stiftung<br />
Habitat ist<br />
Bauherrin des<br />
umgebauten<br />
Weinlagers<br />
von Esch Sintzel<br />
Architekten<br />
( II ).<br />
A<br />
Bahnhof Basel<br />
St. Johann<br />
B<br />
Lothringer<br />
Platz<br />
C<br />
Elsässerstraße<br />
Nachbarn<br />
Dass dichte Quartiere<br />
hohe Wohnqualität<br />
bieten können, wenn<br />
man sie als Angebot<br />
versteht und Außenräume<br />
als verbindende<br />
Gemeinschaftszonen<br />
gestaltet, zeigen die<br />
beiden jüngsten Nachbarbauten<br />
im Basler<br />
Quartier Lysbüchel Süd:<br />
ein Wohnhaus von<br />
Clauss Kahl Merz Atelier<br />
mit Martina Kausch<br />
Architektinnen und<br />
der Umbau eines Weinlagers<br />
von Esch Sintzel<br />
Architekten.<br />
Text:<br />
Andrea Wiegelmann
94<br />
Basel<br />
Basel wächst. Die Zunahme an Bevölkerung im<br />
Schweizer Stadtkanton wird auf zehn Prozent bis<br />
2040 geschätzt, das sind 21.000 zusätzliche Einwohnerinnen<br />
und Einwohner.1 Das Gebiet zwischen<br />
Bahnhof St. Johann und der Grenze zu Frankreich<br />
umfasst eine der letzten großen Flächenreserven,<br />
Volta Nord. Die Arealentwicklung Lysbüchel ist Teil<br />
dieses Gebiets und aufgeteilt in das an das Wohnquartier<br />
St. Johann angrenzende kleinere Gebiet<br />
Lysbüchel Süd und das circa zwölf Hektar große<br />
Areal des Kantons Basel Stadt. Das von Gewerbebauten<br />
und Lagerhallen geprägte Areal soll zukünftig<br />
gemischt genutzt werden. Eine solche<br />
Transformation erfordert nicht nur die Balance zwischen<br />
Nutzungen, sondern auch zwischen Maßstäben.<br />
Ein Wohnquartier bedarf einer anderen Körnigkeit<br />
als ein Industrie- und Gewerbeareal.<br />
Schließlich entscheiden die Schnittstellen zwischen<br />
Wohnung, (Haus-)Gemeinschaft und Stadtraum<br />
darüber, ob das Haus auch auf stadträumlicher<br />
Ebene funktioniert.<br />
Lysbüchel Süd wurde 2013 von der Stiftung Habitat<br />
erworben.2 Das Gebiet ist aufgeteilt in kleine Parzellen,<br />
die die Stiftung zum Großteil in Baurecht an<br />
Genossenschaften vergeben hat, bei einigen Parzellen<br />
ist sie selbst Bauherrin. Zwischen einer neu<br />
geschaffenen Blockrandbebauung und den einen<br />
bestehenden Block ergänzenden Bauten entstand<br />
der Beckenweg als Quartiersstraße.<br />
Die Bebauung des 12.000 Quadratmeter großen<br />
Areals ist nun nahezu abgeschlossen, allerdings ist<br />
die durch die städtebaulichen Vorgaben entstandene<br />
Dichte von etwa 2,51 für Neubauquartiere<br />
ungewöhnlich. Nur zum Vergleich: Die Dichte der<br />
Münchner Altstadt liegt bei 2,61 (im „Tal“), während<br />
die Blockrandbebauungen an der Münchner<br />
Tumblingerstraße lediglich eine Dichte von 1,78 erreichen.3<br />
Während die Blockrandbebauungen zwischen<br />
Lothringer-, Beckenstraße und dem neu geschaffenen<br />
Beckenweg der bekannten Aufteilung zwischen<br />
öffentlichem Straßenraum und geschlossenem<br />
Hofraum folgen, steht das von Esch Sintzel<br />
Architekten zu einem Wohnhaus umgebaute ehemalige<br />
Weinlager an der an das Areal Volta Nord<br />
grenzenden Weinlagerstraße; es schließt gleichzeitig<br />
den offenen Blockrand zu dieser. Parallel<br />
dazu angeordnet, liegt zwischen Weinlager und<br />
den sogenannten „Papageienhäusern“ der kleinere<br />
Wohnbau „Lyse-Lotte“ von Clauss Kahl Merz in<br />
Zusammenarbeit mit Martina Kausch; er steht als<br />
Solitär inmitten eines offenen Grünbereichs, der<br />
Teil des Quartiers ist.<br />
In beiden Gebäuden liegen Wohnungen im Erdgeschoss<br />
beziehungsweise im Hochparterre, die<br />
damit einem gewissen Maß an Öffentlichkeit ausgesetzt<br />
sind, zumal kein Zaun, kein Vorgarten die<br />
Außenbereiche durchschneidet<br />
und trennt. Stattdessen<br />
durchzieht ein kleiner Fussweg<br />
den die Bauten verbindenden<br />
Grünraum.<br />
I. Wohnbau Lyse-Lotte<br />
Architekten:<br />
Clauss Kahl Merz Atelier<br />
mit Martina Kausch<br />
Architektinnen<br />
1<br />
www.statistik.bs.ch/<br />
Gasstraße und Hüningerstraße<br />
sowie das<br />
Die Parzelle, auf der Lyse-Lotte<br />
steht, vergab die Stiftung Habitat Musikwohnhaus 1 und<br />
im Baurecht.4 Für die Realisierung<br />
haben sich zwei bestehen-<br />
der Lothringerstraße.<br />
angrenzende Häuser an<br />
de Genossenschaften sowie<br />
befreundete Familien zusammengeschlossen.<br />
Die unter-<br />
Vgl. Susanne Frank,<br />
3<br />
schiedlichen Wohnbedürfnisse „Stadtdichte und Stadtraum.<br />
Eine Untersu-<br />
sind im Wohnbau gestapelt und<br />
verzahnt. Während sich die chung über die Gestalt<br />
zweigeschossigen Wohnateliers<br />
mit den großen Verglasunkeit<br />
von der Bebau-<br />
der Stadt in Abhängiggen<br />
zum Weinlager beziehungsweise<br />
zum Grünbereich und ausgewählter Stadtungsdichte<br />
am Beispiel<br />
Garten im Südosten öffnen, zeigen<br />
sich die Laubengangwohchen,<br />
Wien und Berlin“,<br />
räume in Zürich, Münnungen<br />
mit durchgehender Dissertation, ETH Zürich<br />
Brüstung und umlaufendem 2015<br />
Fensterband nach Nordwesten<br />
sowie mit geschosshohen Fenstertüren<br />
zum Laubengang. Die Die 1996 gegründete<br />
4<br />
großen Gemeinschaftswohnungen<br />
springen im dritten und als gemeinnützige<br />
Stiftung Habitat setzt sich<br />
vierten Geschoss teilweise zurück<br />
– auch aufgrund der Ver-<br />
Basel für bezahlbares<br />
Wohnbauträgerin in<br />
schattungsregel der Stadt Basel. Wohnen in einem lebenswerten,<br />
vielfältigen<br />
Daher konnten dort schmale<br />
Balkonzonen vorgelagert werden.<br />
und Arbeitsorten ein.<br />
Umfeld mit Begegnungs-<br />
Gästewohnung und Gewächshaus<br />
thronen wie eigenständiwirtschaftet<br />
Häuser und<br />
Sie erwirbt, baut und bege<br />
Aufbauten über den Wohngeschossen.<br />
Die monochrome Grundstücke oder gibt<br />
entwickelt und bebaut<br />
Fassade trägt das Innere subtil<br />
nach außen. Die Gewerberäume<br />
im Erdgeschoss öffnen sich<br />
> weiter Seite 103<br />
mit einer arakadenartigen<br />
Fensterreihung zum Beckenweg,<br />
während sich die großzügigen Verglasungen<br />
der Atelierwohnungen zu den Nachbarbebauungen<br />
orientieren. Der Fußweg passiert das Wohnhaus<br />
auf der Seite des Weinlagers. Die ruhigeren<br />
Gartenbereiche befinden sich dagegen auf der<br />
Seite der Papageienblöcke. Hier erinnert der un-<br />
nm/2019-kantonale-<br />
bevoelkerungsszenari-<br />
en-basel-stadt-<br />
2019-pd.html (abgerufen<br />
am 12.4.<strong>2024</strong>)<br />
2<br />
Die Stiftung besitzt im<br />
Quartier bereits Häuser<br />
an der Elsässerstraße,<br />
WEITER SEITE 103