Hiltruper Monatsheft 82
Fenster. „Oft schaue ich irgendwann auf die Uhr und stelle fest, es ist schon nach drei in der Nacht.“ Einige Tage später gibt Bönig ein Konzert im Dom. In der Kathedrale sind nicht nur alle Plätze besetzt, es sind auch noch neue Sitzgelegenheiten dazugekommen: Viele Besucher haben ihre eigenen Klappstühle mitgebracht, insgesamt sind mehr als viertausend Zuhörer erschienen. Dompropst Norbert Feldhoff spricht einige einleitende Worte, nennt Bönig einen „Begeisterten“ und versichert den Zuschauern, die gerade in den Nachrichten von neuen Dopingskandalen gehört haben: „Sie befi nden sich in einem garantiert dopingfreien Raum.“ Die Sommerkonzerte im Dom mit Gastorganisten aus der ganzen Welt sind im Rheinland berühmt - und dazu noch umsonst. Feldhoff mahnt allerdings: „Professor Bönig ist auch der Verantwortliche für die Finanzierung dieser Konzerte. Deshalb spenden Sie beim Austritt aus der Kirche reichlich. Der Junge braucht das Geld - nicht ich, das Domkapitel ist ja arm. Wir könnten das eh nicht fi nanzieren.“ Verhaltenes Lachen. Diesmal sitzt Bönig auf einer Empore an der älteren Orgel, der Chor- oder Querhausorgel. Sie wurde 1948 noch mitten in den Kriegstrümmern eingeweiht. „Ich stelle mir die beiden Orgeln immer als Schwestern vor“, sagt er. „Dies hier ist die ältere, schon etwas korpulente - dort oben hängt die junge, schlanke.“ Auf die Frage, ob man die Orgel mit der Zeit als ein eigenes Wesen, ein Gegenüber, begreife, kommt sofort heftiges Kopfnicken: „Unbedingt. Die Parallelen liegen ja auch auf der Hand. Die Orgel hat eine Lunge - das Gebläse - und der Atem ist doch eines der wesentlichen Kennzeichen eines Lebewesens. Auch Wendungen wie, jemand ist verstimmt, oder, er zieht alle Register, kommen ja von der Orgel.“ So wie jeder Mensch anders sei, gebe es auch keine zwei identischen Orgeln: „Jede muss man erst mal kennen lernen, man muss in einen Dialog mit ihr treten, schauen, was sie kann, was mit ihr geht und was nicht. Man merkt dann zum Beispiel, ob sie sich angenehm spielt oder schwer, ob die technischen Dinge stimmen. Unsere Domorgel hier kann zum Beispiel sehr klar spielen, sie ist gut geeignet für romantische Musik, die ein bisschen voluminöser ist. Dagegen habe ich immer ein Problem damit, hier Bach zu spielen.“ Das wäre in etwa so, als würde man mit einem dicken Borstenpinsel versuchen, eine Miniatur mit feinen, dünnen Strichen zu malen. „Es kommen immer wieder Leute zu mir, 83