Radioaktivität, Röntgenstrahlen und Gesundheit - Bayerisches ...
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<strong>Bayerisches</strong> Staatsministerium für<br />
Umwelt, Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> Verbraucherschutz<br />
<strong>Radioaktivität</strong>, <strong>Röntgenstrahlen</strong><br />
<strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit<br />
Strahlenschutz
<strong>Bayerisches</strong> Staatsministerium für<br />
Umwelt, Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> Verbraucherschutz<br />
<strong>Radioaktivität</strong>,<br />
<strong>Röntgenstrahlen</strong> <strong>und</strong><br />
Ges<strong>und</strong>heit<br />
Oktober 2006<br />
Strahlenschutz
Gesamt- Prof. Dr. K. Hahn<br />
koordinierung Klinik <strong>und</strong> Poliklinik für Nuklearmedizin<br />
<strong>und</strong> Gesamt- Ziemssenstr. 1, 80336 München<br />
leitung: E-Mail: klaus.hahn@med.uni-muenchen.de<br />
Autoren: Prof. Dr. L. Feinendegen<br />
Wannental 45, 99131 Lindau am Bodensee<br />
E-Mail: feinendegen@gmx.net<br />
Prof. Dr. K. Hahn<br />
Klinik <strong>und</strong> Poliklinik für Nuklearmedizin<br />
Ziemssenstr. 1, 80336 München<br />
E-Mail: klaus.hahn@med.uni-muenchen.de<br />
Dr. Dr. Hubert Löcker<br />
GSF – Institut für Strahlenschutz<br />
Ingolstädter Landstr. 1, 85764 Neuherberg<br />
E-Mail: loecker@gsf.de<br />
Dr. Heinz Müller<br />
GSF – Institut für Strahlenschutz<br />
Ingolstädter Landstr. 1, 85764 Neuherberg<br />
E-Mail: heinz.mueller@gsf.de<br />
Prof. Dr. H. G. Paretzke<br />
GSF – Institut für Strahlenschutz<br />
Ingolstädter Landstr. 1, 85764 Neuherberg<br />
E-Mail: paretzke@gsf.de<br />
Prof. Dr. Ch. Reiners<br />
Klinik <strong>und</strong> Poliklinik für Nuklearmedizin<br />
Josef-Schneider-Str. 2, 97980 Würzburg<br />
E-Mail: reiners@nuklearmedizin.uniwuerzburg.de<br />
PD Dr. Werner Rühm<br />
GSF – Institut für Strahlenschutz<br />
Ingolstädter Landstr. 1, 85764 Neuherberg<br />
E-Mail: werner.ruehm@gsf.de<br />
Dr. Rita Schneider<br />
Klinik <strong>und</strong> Poliklinik für Nuklearmedizin<br />
Josef-Schneider-Str. 2, 97980 Würzburg<br />
E-Mail: Schneider_R1@klinik.uni-wuerzburg.de<br />
Dr. Ch. Zach<br />
Klinik <strong>und</strong> Poliklinik für Nuklearmedizin<br />
Ziemssenstr. 1, 80336 München<br />
E-Mail: christian.zach@med.uni-muenchen.de<br />
II
Vorwort<br />
Radioaktive Stoffe, wie etwa das Uran, kommen seit der<br />
Entstehung der Erde in großem Umfang in der Natur vor<br />
oder werden künstlich hergestellt (wie z.B. Technetium-99 m )<br />
<strong>und</strong> in Medizin <strong>und</strong> Technik verwendet. Als Abfallprodukte<br />
entstehen sie auch bei der friedlichen Nutzung der Kernenergie.<br />
Seit der Entdeckung der <strong>Radioaktivität</strong> im Jahre<br />
1896 durch A.H. Becquerel wird auch die Wirkung der von<br />
radioaktiven Stoffen ausgehenden Strahlung auf den Menschen<br />
untersucht. Gleiches gilt für die von Conrad Wilhelm<br />
Röntgen im Jahr 1895 entdeckte <strong>und</strong> nach ihm benannte<br />
Strahlung, die als ionisierende Strahlung vergleichbare Eigenschaften<br />
wie die von radioaktiven Stoffen ausgehende<br />
Strahlung besitzt. Besonders bei der friedlichen Nutzung der<br />
Kernenergie <strong>und</strong> bei der Medizin hat die Frage nach der<br />
Auswirkung der <strong>Radioaktivität</strong> <strong>und</strong> der Röntgenstrahlung auf<br />
die Ges<strong>und</strong>heit der Menschen stets eine wichtige Rolle<br />
gespielt. Zuweilen wird in diesem Zusammenhang - oft aus<br />
mangelnder Kenntnis strahlenbiologischer Fakten oder aufgr<strong>und</strong><br />
fehlerhafter Auswertung statistischer Daten - versucht,<br />
eine Beziehung zwischen einer an einem bestimmten<br />
Ort beobachteten erhöhten Zahl von Krebsfällen oder anderen<br />
Erkrankungen <strong>und</strong> den dort gemessenen oder vermuteten<br />
niedrigen Strahlendosen herzustellen. In der Öffentlichkeit<br />
erregen solche Behauptungen in der Regel beträchtliches<br />
Aufsehen.<br />
Die durchaus verständliche Folge derartiger beunruhigender<br />
Aussagen ist in der Regel eine häufig überzogene Angst vor<br />
jeglicher Strahlung. Diese Angst kann sich unter anderem<br />
auch aufgr<strong>und</strong> der Tatsache entwickeln, dass sich <strong>Radioaktivität</strong><br />
der direkten Sinneswahrnehmung des Menschen<br />
entzieht <strong>und</strong> ihre Wirkungen für den Einzelnen nicht aus der<br />
Erfahrung heraus zu beurteilen sind.<br />
Der Unfall im Kernkraftwerk Tschernobyl am 26. April 1986<br />
hat diese Angst verstärkt. Bei dem Unfall wurden sehr große<br />
Mengen an radioaktiven Stoffen freigesetzt; in der Umgebung<br />
musste ein Gebiet von etwa 1000 km 2 evakuiert werden.<br />
Ein Teil der radioaktiven Spaltprodukte wurde von den<br />
Luftströmungen viele h<strong>und</strong>ert Kilometer weit transportiert<br />
<strong>und</strong> auch in geringen Mengen in Mitteleuropa abgelagert.<br />
III
Bei den geäußerten Ängsten vor der <strong>Radioaktivität</strong> <strong>und</strong> vor<br />
<strong>Röntgenstrahlen</strong> bleibt jedoch häufig unerwähnt, dass nach<br />
vielen Jahrzehnten weltweiter intensiver Forschung heute<br />
ein Wissensstand über die Wirkung der ionisierenden Strahlung<br />
erreicht ist, der die Kenntnisse über die Wirkung anderer<br />
Schadstoffe bei weitem übertrifft. Dieser hohe Kenntnisstand<br />
wird auch dadurch belegt, dass sich das prinzipielle<br />
Bild, das in Medizin <strong>und</strong> Biologie über die Strahlenwirkung<br />
besteht, in den letzten Jahrzehnten nicht mehr gr<strong>und</strong>sätzlich<br />
geändert hat. Es wurden in dieser Zeit lediglich die Kenntnisse<br />
vertieft, noch unbekannte Detailmechanismen aufgeklärt<br />
<strong>und</strong> die anfänglich wegen noch unzureichender Daten<br />
unsicheren Risikoschätzungen präzisiert.<br />
Die vorliegende Broschüre, deren einzelne Kapitel von ausgewiesenen<br />
wissenschaftlichen Experten bearbeitet wurden,<br />
berücksichtigt den Kenntnisstand bis Mitte 2006.<br />
K. Hahn, München<br />
IV
Inhalt<br />
Vorwort...................................................................... III<br />
1. Physikalische Gr<strong>und</strong>lagen ......................<br />
Ch. Zach<br />
1<br />
1.1 Bau der Atome .................................................<br />
Nuklide <strong>und</strong> Isotope<br />
1<br />
1.2 <strong>Radioaktivität</strong> ...................................................<br />
Definitionen <strong>und</strong> Kenngrößen � Strahlenarten �<br />
Reichweite <strong>und</strong> Wechselwirkung mit Materie<br />
� Abschirmung<br />
2<br />
1.3 Dosisbegriffe.................................................... 13<br />
1.4 Messgrößen im Strahlenschutz ..................... 20<br />
1.5 Literatur ............................................................ 24<br />
2. Biologische Gr<strong>und</strong>lagen ..........................<br />
L. Feindegen<br />
25<br />
2.1 Wirkungsweise ionisierender Strahlung auf<br />
einzelne Zellen .................................................<br />
Zellen als kleinste Funktionseinheiten lebender<br />
Körper � Mechanismen der Zellschädigung �<br />
Strahlenempfindliche Teile der Zelle � Reparatur<br />
von Strahlenschäden in der Zelle � Unterschiedliche<br />
Strahlenempfindlichkeiten im Körper<br />
� Genom-Instabilität; Apoptose � Akute <strong>und</strong><br />
chronische Bestrahlung � Biologische Dosimetrie<br />
25<br />
2.2 Wirkungsweise ionisierender Strahlung auf<br />
vielzellige Organismen....................................<br />
Bystander Effekte � Strahleninduzierte Störungen<br />
des biologischen Gleichgewichtes, adaptive<br />
Reaktionen � Abwehr- <strong>und</strong> Reparaturmechanismen<br />
vielzelliger Systeme � Stochasti-<br />
40<br />
sche Strahlenwirkungen � Deterministische<br />
Strahlenwirkungen � Genetische Strahlenwirkungen<br />
� Faktorenabhängigkeit der Strahlenwirkungen<br />
V
2.3 Akute Strahlenschäden................................... 53<br />
Zellerneuerungssysteme � Akute Strahlenkrankheiten<br />
nach einmaliger Ganzköperexposition<br />
� Strahlenschäden der Haut, verstärkende<br />
Schäden � Strahlenschäden der Keimdü-<br />
2.4<br />
sen � Strahlenschäden des ungeborenen Lebens<br />
Späte Strahlenschäden...................................<br />
Deterministische Spätschäden - Effekte durch<br />
chronische Strahlenexposition mit niedriger<br />
Dosisrate - Somatische Spätschäden nach<br />
Strahlenexposition mit hoher Dosis oder Dosisrate<br />
� Stochastische Spätschäden - Allgemeine<br />
Einleitung, Risikoanalyse - Sek<strong>und</strong>äre Faktoren<br />
bei der Risikoanalyse - Die Überlebenden<br />
in Hiroshima <strong>und</strong> Nagasaki - Für einzelne<br />
Organe geschätzte Risikoanteile am Gesamtrisiko<br />
- Andere epidemiologische Studien an<br />
exponierten Populationen<br />
61<br />
2.5 Anstehende Modifikationen der Risikoanalyse<br />
.............................................................<br />
Die möglichen Dosis-Risiko Beziehungen für<br />
Strahlenkrebs � Physiologische Abwehr- <strong>und</strong><br />
Anpassungsreaktionen biologischer Systeme<br />
71<br />
2.6 Hormesis <strong>und</strong> kleine Dosen ........................... 76<br />
2.7 Literatur ............................................................ 80<br />
3. Anwendung ionisierender Strahlung in<br />
Technik, Wissenschaft <strong>und</strong> Medizin ....<br />
H. Müller, H. G. Paretzke, W. Rühm, K. Hahn<br />
82<br />
3.1 Energieerzeugung (Kernspaltung, Fusion)...<br />
Kernfusion � Kernspaltung � Reaktortypen �<br />
Strahlenexposition durch den Betrieb von<br />
Kernkraftwerken - Beschäftigte - Bevölkerung<br />
82<br />
3.2 Beispiele für Anwendungen in der Industrie 92<br />
Radiographie - Werkstoffprüfung – Röntgenfloureszenz-Analyse<br />
� Industriell genutzte Be-<br />
VI
3.3<br />
strahlungsanlagen - Anlagen zur Sterilisation<br />
<strong>und</strong> Konservierung - Anlagen zur Polymerisation<br />
von Kunststoffen � Herstellung von Radioisotopen<br />
- Radioisotope in Kalibrierquellen<br />
- Radioisotope für Rauchmelder - Radioisotope<br />
in Regel- <strong>und</strong> Messeinrichtungen<br />
Beispiele für Anwendungen in der<br />
Wissenschaft ...................................................<br />
Radioisotope � Partikel- <strong>und</strong> Photonenstrahlung<br />
� Untersuchungen im Forschungsreaktor<br />
96<br />
3.4 Beispiele für Anwendungen in der Medizin<br />
zur Diagnostik <strong>und</strong> Therapie ..........................<br />
Radionuklide in der modernen medizinischen<br />
Diagnostik <strong>und</strong> Therapie - Voraussetzungen<br />
zur Anwendung von Radionukliden in der Medizin<br />
- Radionuklide in der Diagnostik - Spezielle<br />
nuklearmedizinische Untersuchungen -<br />
101<br />
Nuklearmedizinische Tomographie-Untersu-<br />
3.5<br />
chungsverfahren - Radionuklide in der Therapie<br />
� Röntgendiagnostik � Perkutane Strahlentherapie<br />
Behandlung radioaktiver Abfälle ................... 124<br />
3.6 Literatur ............................................................ 129<br />
4. Strahlenexposition <strong>und</strong><br />
Umweltradioaktivität.................................. 130<br />
H. Löcker, H. Müller, H. G. Paretzke<br />
4.1 Das Verhalten radioaktiver Stoffe in der<br />
Umwelt (Radioökologie).................................. 130<br />
Ausbreitung in der Atmosphäre � Einflussgrößen<br />
bei der Ausbreitung – Wind - Turbulenzzustand<br />
der Atmosphäre - Freisetzungshöhe -<br />
Physikalisch-chemische Form � Ausbreitungsmodelle<br />
- Gauss-Modelle - Eulersche Ausbreitungsmodelle<br />
- Lagrangesche Ausbreitungsmodelle<br />
� Deposition <strong>und</strong> Verbleib auf Oberflächen<br />
- Trockene Deposition - Nasse Deposi-<br />
VII
4.2<br />
tion – Interzeption - Verbleib auf Oberflächen -<br />
Resuspension � Ausbreitung in Gewässern �<br />
Radionuklide in Nahrungsketten - Kontamination<br />
von Pflanzen - Kontamination von Tierprodukten<br />
- Einfluss der Verarbeitung <strong>und</strong> Lagerung<br />
auf die Kontamination � Interne Strahlenexposition<br />
- Ingestion - Inhalation - Verhalten<br />
der radioaktiven Stoffe im Körper � Externe<br />
Strahlenexposition - Strahlung aus einer „radioaktiven<br />
Wolke“ - Strahlung von abgelagerten<br />
Nukliden<br />
Strahlenexposition aus natürlichen Quellen<br />
Externe Strahlenexposition - Kosmische Strahlung<br />
- Kosmogene Radionuklide - Terrestrische<br />
Strahlung � Interne Strahlenexposition -<br />
Das radioaktive Edelgas Radon - Natürliche<br />
radioaktive Stoffe in der Nahrung � Gesamte<br />
natürliche Strahlenexposition<br />
157<br />
4.3 Strahlenexposition aus zivilisatorischen<br />
Quellen .............................................................<br />
Strahlenexposition in der Nähe von kerntechnischen<br />
Anlagen � Strahlenexposition durch<br />
den Reaktorunfall von Tschernobyl � Strahlenexposition<br />
durch den Transport von radioaktiven<br />
Stoffen (Castor) � Strahlenexposition<br />
durch Quellen in Industrie, Wissenschaft <strong>und</strong><br />
Medizin – Bestrahlungsanlagen - Zerstörungsfreie<br />
Materialprüfung - Leuchtziffern (Lumineszenz)<br />
- Radioisotope – Produktion <strong>und</strong> Versand<br />
- Bohrlochmessungen („Well Logging“) -<br />
Beschleuniger � Medizinische Strahlenexposition<br />
� Berufliche Strahlenexposition<br />
171<br />
4.4 Problematik epidemiologischer Studien<br />
zur Strahlenexposition der Bevölkerung<br />
(Fallkontroll-Studien) ...................................... 185<br />
4.5 Literatur ............................................................ 192<br />
VIII
5. Strahlenschutz <strong>und</strong> gesetzliche<br />
Vorschriften .................................................. 194<br />
Ch. Zach<br />
5.1 Planung <strong>und</strong> Durchführung des praktischen<br />
Strahlenschutzes.............................................<br />
Schutz vor äußerer Exposition � Personenkontamination<br />
<strong>und</strong> Dekontaminationsmöglichkeiten<br />
� Inkorporation <strong>und</strong> Dekorporationsmöglichkeiten<br />
194<br />
5.2 Gesetzliche Schutzvorschriften .....................<br />
Strahlenschutzverordnung (StrlSchV) - Festlegung<br />
der Grenzwerte unter ges<strong>und</strong>heitlichen,<br />
204<br />
gesellschaftspolitischen <strong>und</strong> ökonomischen<br />
5.3<br />
Aspekten - Höchstwerte der Oberflächen- <strong>und</strong><br />
massebezogenen Kontamination - Freigabeverfahren<br />
� Röntgenverordnung (RöV) � Neue<br />
Regelung in der StrlschV <strong>und</strong> in der RöV -<br />
Rechtfertigende Indikation - Diagnostische Referenzwerte<br />
- Ärztliche Stelle - Berücksichtigung<br />
natürlicher Strahlenquellen bei der Arbeit<br />
� Strahlenschutzvorsorgegesetz - Immissions<strong>und</strong><br />
Emissionsüberwachung - Höchstwerte der<br />
Aktivitätskonzentration in Luft <strong>und</strong> Wasser<br />
Genehmigungspflicht des Umgangs mit<br />
radioaktiven Stoffen ........................................ 223<br />
Genehmigungsvoraussetzungen (Rechtferti-<br />
5.4<br />
gung, Sicherheitsanforderungen) � Nachweis<br />
der Einhaltung der Schutzbestimmungen (Radioökologische<br />
Berechnungen u.a.)<br />
Literatur ............................................................ 226<br />
6. Vorsorgemaßnahmen bei<br />
Strahlenunfällen.......................................... 227<br />
R. Schneider, Ch. Reiners<br />
6.1 Reaktorunfälle (Beispiel Tschernobyl) .......... 227<br />
Reaktorunfälle vor Tschernobyl � Der Tschernobylunfall<br />
� Ges<strong>und</strong>heitliche Folgen des Tscher-<br />
IX
6.2<br />
nobylunfalls - Exponierte Personen - Strahlendosen<br />
- Schilddrüsenerkrankungen - Leukämie<br />
- Andere solide Tumoren als Schilddrüsenkrebs<br />
- Andere ges<strong>und</strong>heitliche Effekte - Strahlenexposition<br />
in Deutschland durch Tschernobyl<br />
� Iodblockade als Maßnahme zur Strahlenschutzvorsorge<br />
Missbrauch von radioaktiven Stoffen............ 243<br />
Nuklearkriminalität � Nuklearterrorismus -<br />
6.3<br />
„Schmutzige Bombe“ - Sabotage bzw. terroristischer<br />
Anschlag - Improvisierte Nuklearbombe<br />
� Gegenmaßnahmen<br />
Überwachung der Umweltradioaktivität<br />
in Bayern .........................................................<br />
Integriertes Mess- <strong>und</strong> Informationssystems<br />
(IMIS) zur Überwachung der allgemeinen Um-<br />
252<br />
weltradioaktivität � Immissionsmessnetz für<br />
<strong>Radioaktivität</strong> (IfR) zur Überwachung der Umweltradioaktivität<br />
� Umgebungsüberwachung<br />
6.4<br />
bayerischer Kernkraftwerke � Kernreaktor-<br />
Fernüberwachungssystem (KFÜ)<br />
<strong>Radioaktivität</strong>smessungen beim<br />
grenzüberschreitenden Verkehr ...................<br />
„Tschernobyl-Verordnung“ � Grenzmonitoring<br />
257<br />
6.5 Katastrophenschutz-Maßnahmen..................<br />
Katastrophenschutz - Zuständigkeit <strong>und</strong> rechtliche<br />
Gr<strong>und</strong>lagen - Maßnahmen � Strahlenschutzvorsorgezentren<br />
260<br />
6.6 Literatur............................................................ 266<br />
7. Erläuterung von Fachbegriffen.............. 274<br />
8. Sachverzeichnis.......................................... 300<br />
X
1. Physikalische Gr<strong>und</strong>lagen<br />
1.1 Bau der Atome<br />
Die belebte <strong>und</strong> unbelebte Materie setzt sich aus kleinsten<br />
Bausteinen, den Atomen, zusammen. Diese bestehen aus<br />
dem Atomkern <strong>und</strong> der Atomhülle. Nahezu die gesamte<br />
Masse des Atoms ist im Kern konzentriert; die Atomhülle<br />
umgibt den Kern wie eine Wolke. Der Atomkern ist aus zwei<br />
verschiedenen Bausteinen aufgebaut, Nukleonen genannt.<br />
Es sind dies:<br />
� Das Proton (p), es trägt eine positive Elementarladung<br />
<strong>und</strong> hat definitionsgemäß die Massenzahl 1.<br />
� Das Neutron (n), das elektrisch neutral <strong>und</strong> gleich schwer<br />
wie das Proton ist. Es besitzt also ebenfalls die Massenzahl<br />
1.<br />
Die Anzahl der Protonen im Atomkern, die Kernladungszahl,<br />
kennzeichnet das chemische Element.<br />
Beispiele:<br />
Wasserstoff 1 Proton<br />
Helium 2 Protonen<br />
Kohlenstoff 6 Protonen<br />
Uran 92 Protonen<br />
Die Summe der Nukleonen (p+n, Protonen <strong>und</strong> Neutronen)<br />
im Kern nennt man die Massenzahl des betreffenden Atoms.<br />
Die Hülle eines Atoms wird aus Elektronen gebildet. Sie tragen<br />
je eine negative Elementarladung <strong>und</strong> besitzen nur etwa<br />
1/2000 der Protonenmasse. Die Zahl der Elektronen in der<br />
Hülle entspricht der Zahl der Protonen im Kern, das Atom ist<br />
also nach außen hin elektrisch neutral.<br />
Die Elektronen befinden sich in verschiedenen Schalen –<br />
mit den Buchstaben K bis Q bezeichnet – in unterschiedlichen<br />
Abständen vom Kern <strong>und</strong> sind unter anderem für die<br />
Fähigkeit der meisten Atome verantwortlich, miteinander<br />
chemische Bindungen einzugehen, also Moleküle zu bilden.<br />
Der Durchmesser des Atomkerns verhält sich zum Durchmesser<br />
der Atomhülle etwa wie 1:100000, das entspricht<br />
dem Durchmesser eines Streichholzkopfes im Verhältnis zu<br />
einem 200 m hohen Fernsehturm.<br />
1
Nuklide <strong>und</strong> Isotope<br />
Allgemein nennt man Atome, die durch die Summe der<br />
Nukleonen im Kern, die Massenzahl, bestimmt sind, Nuklide.<br />
Man fügt zu ihrer Bezeichnung dem Elementnamen<br />
oder dem Elementsymbol die Massenzahl zu: Wasserstoff-2<br />
(H-2), Kohlenstoff-14 (C-14) oder Iod-131 (I-131) sind also<br />
Nuklide.<br />
Von jedem chemischen Element gibt es eine Reihe verschiedener<br />
Nuklide, die sich nur durch die Zahl der Neutronen<br />
im Kern unterscheiden. Sie nennt man Isotope. Isotope<br />
eines Elements besitzen gleiche chemische Eigenschaften.<br />
Beispiele:<br />
Die Nuklide Wasserstoff-1 (H-1) mit 1p, Wasserstoff-2 (H-2) „Deuterium"<br />
mit 1p+1n <strong>und</strong> Wasserstoff-3 (H-3) „Tritium" mit 1p+2n sind<br />
Wasserstoffisotope (Abb. 1.1);<br />
die Nuklide Kohlenstoff-12 (C-12) mit 6p+6n <strong>und</strong> Kohlenstoff-14<br />
(C-14) mit 6p+8n sind Kohlenstoffisotope;<br />
die Nuklide Uran-235 (U-235) mit 92p+143n beziehungsweise<br />
Uran-238 (U-238) mit 92p+146n sind Uranisotope.<br />
Abb. 1.1 Die Kerne der Wasserstoffisotope: Wasserstoff, Deuterium<br />
<strong>und</strong> Tritium<br />
1.2 <strong>Radioaktivität</strong><br />
Die Zahl der Neutronen im Atomkern ist für jedes Element<br />
nur in bestimmten Grenzen variabel (maximal um etwa 40),<br />
wobei mit steigender Kernladungszahl das Verhältnis zwischen<br />
Neutronen <strong>und</strong> Protonen insgesamt zunimmt. Zum<br />
Aufbau eines stabilen Atomkerns sind innerhalb dieser<br />
Grenzen allerdings nur wenige Werte „erlaubt".<br />
2
Für einen stabilen Wasserstoffkern darf das Verhältnis nicht über<br />
1:1 liegen (1 Proton <strong>und</strong> maximal 1 Neutron);<br />
ein stabiler Atomkern des Eisens darf zu seinen 26 Protonen nur<br />
28, 30, 31 oder 32 Neutronen besitzen (Verhältnis im Mittel knapp<br />
1:1,2);<br />
beim Blei (82p) sind es 122, 126, 127 oder 130 Neutronen (Verhältnis<br />
etwa 1:1,5).<br />
Definitionen <strong>und</strong> Kenngrößen<br />
Die meisten in der Natur vorkommenden Elemente <strong>und</strong> ihre<br />
Isotope sind stabil, es gibt aber auch einige natürliche Isotope,<br />
die instabil sind, beispielsweise Tritium, Kohlenstoff-14,<br />
Kalium-40, Rubidium-87, Platin-190, Blei-204 <strong>und</strong> die Isotope<br />
der „schweren" Elemente, zum Beispiel des Poloniums,<br />
Radiums, Radons, Thoriums oder Urans (siehe auch Abschnitt<br />
4.2). Sie alle sind durch die bei der Kernumwandlung<br />
freigesetzte Strahlungsenergie die Quelle der Erdwärme.<br />
Der französische Physiker Antoine-Henri Becquerel beobachtete<br />
an einem natürlich vorkommenden instabilen Element<br />
im Jahre 1896 erstmals die bei Kernumwandlungen<br />
auftretende Strahlung:<br />
Er entdeckte, dass von Uransalzen eine Strahlung ausging,<br />
die lichtdicht verpackte Photoplatten zu schwärzen in der<br />
Lage war. Seine Schüler Marie <strong>und</strong> Pierre Curie fanden<br />
1898 die gleiche „Becquerel-Strahlung" bei den von ihnen<br />
entdeckten Elementen Thorium, Radium <strong>und</strong> Polonium. Sie<br />
nannten diese Erscheinung, dass ein Stoff ohne vorherige<br />
Anregung <strong>und</strong> von außen nicht beeinflussbar Strahlung aussendet,<br />
<strong>Radioaktivität</strong> (= Strahlungsaktivität).<br />
Da der ursprüngliche Stoff dabei allmählich „verschwindet"<br />
<strong>und</strong> die ablaufenden physikalischen Vorgänge noch unbekannt<br />
waren, prägte man damals den Begriff radioaktiver<br />
Zerfall. Diese Bezeichnung, die dem eigentlichen Vorgang<br />
(Kernumwandlung!) nicht gerecht wird, ist bis heute in der<br />
wissenschaftlichen Literatur gebräuchlich geblieben.<br />
Die Anzahl der in der Zeiteinheit zerfallenden Kerne bezeichnet<br />
man als Aktivität. Die Einheit der Aktivität ist seit<br />
1978 das Becquerel (Bq), das ist die Zahl der Zerfallser-<br />
3
eignisse pro Sek<strong>und</strong>e. 1 Bq entspricht einem Zerfall in einer<br />
Sek<strong>und</strong>e. Die bis 1977 gebräuchliche Einheit war das<br />
Curie (Ci), die Aktivität von einem Gramm Radium-226. In<br />
1 g Ra-226 ereignen sich pro Sek<strong>und</strong>e 37 Milliarden Zerfälle.<br />
1 Ci entspricht also 37 Milliarden Bq. Da das Becquerel eine<br />
sehr kleine Einheit ist, verwendet man häufig die dezimalen<br />
Vielfachen Kilobecquerel (1 kBq = 1·10 3 Bq = 1.000 Bq),<br />
Megabecquerel (1 MBq = 1·10 6 Bq = 1.000.000 Bq) <strong>und</strong> Gigabecquerel<br />
(1 GBq = 1·10 9 Bq = 1.000.000.000 Bq).<br />
Die Aktivität pro Masseeinheit (zum Beispiel Bq/g) nennt<br />
man spezifische Aktivität. Ra-226 hat also eine spezifische<br />
Aktivität von 37 Milliarden Bq/g (= 3,7·10 10 Bq/g).<br />
Der radioaktive Zerfall ist ein statistisches Ereignis <strong>und</strong> erfolgt<br />
nach den Gesetzen einer Exponentialfunktion: In gleichen<br />
Zeitabschnitten zerfällt immer der gleiche Prozentsatz<br />
der noch vorhandenen radioaktiven Kerne. Trägt man die<br />
Zahl der noch vorhandenen Atome gegen die Zeit auf, erhält<br />
man die Kurve der Abb. 1.2. Es ist daher keine genaue Aussage<br />
darüber möglich, wann das letzte Atom zerfallen sein<br />
wird, es lässt sich aus der Kurve aber exakt ablesen, nach<br />
welcher Zeit sich die Hälfte der ursprünglich vorhandenen<br />
radioaktiven Kerne umgewandelt hat. Diese Zeit wird Halbwertszeit<br />
genannt. Nach einer Halbwertszeit sind noch die<br />
Hälfte, nach zwei Halbwertszeiten ein Viertel <strong>und</strong> nach drei<br />
Halbwertszeiten ein Achtel der ursprünglichen Kerne vorhanden.<br />
Die Halbwertszeiten der einzelnen Radionuklide sind sehr<br />
unterschiedlich. Manche natürlichen Radionuklide besitzen<br />
eine so lange Halbwertszeit, dass sie wegen der schwierigen<br />
Nachweisbarkeit ihrer äußerst geringen Strahlung bis<br />
vor kurzem noch als stabil galten. Der derzeitige „Spitzenreiter"<br />
unter den natürlichen Radionukliden, das Tellur-128,<br />
besitzt eine Halbwertszeit von 1,5 Trilliarden Jahren (eine 15<br />
mit 20 Nullen). Sein doppelter � - -Zerfall zum Xenon-128<br />
wurde erst Ende der 70er Jahre entdeckt. Es ist nicht ausgeschlossen,<br />
dass noch langlebigere, zurzeit als stabil angesehene<br />
Radionuklide gef<strong>und</strong>en werden. Das natürliche<br />
Polonium-214 hat dagegen nur eine Halbwertszeit von<br />
0,00016 Sek<strong>und</strong>en. Ähnliche Spannen gibt es auch bei den<br />
künstlichen Radionukliden, beispielsweise 15,7 Millionen<br />
4
Jahre für das Iod-129 <strong>und</strong> 0,0000001 Sek<strong>und</strong>en (= 1·10 -7 s<br />
= 0,1 µs) für Thorium-218.<br />
Abb. 1.2. Die Halbwertszeit beim radioaktiven Zerfall<br />
Strahlenarten<br />
Die Zahl der stabilen Isotope jedes Elements ist also relativ<br />
klein, von manchen Elementen existiert sogar kein einziges.<br />
Alle Atomkerne mit zu viel oder zu wenig Neutronen oder mit<br />
aus anderen kernphysikalischen Gründen „unerlaubten"<br />
Neutronenzahlen (zum Beispiel Eisenatomkerne mit 29 Neutronen)<br />
sowie die Kerne mit den Kernladungszahlen 43<br />
(Technetium) <strong>und</strong> 61 (Promethium) <strong>und</strong> die „schweren Kerne"<br />
mit Kernladungszahlen ab 84 (Polonium) sind instabil.<br />
Die durch Spaltung schwerer Kerne (mit ihren im Verhältnis<br />
zu den Protonen hohen Neutronenzahlen) entstehenden<br />
leichteren Spaltprodukte besitzen in der Regel einen Neutronenüberschuss<br />
<strong>und</strong> sind deswegen instabil. Alle nicht<br />
stabilen Atomkerne wandeln sich unter Abgabe energiereicher<br />
Strahlung – teilweise in mehreren Stufen – in stabile<br />
Kerne um.<br />
5
Beispiele:<br />
Beim Wasserstoff ist mehr als ein Neutron nicht „erlaubt". Im Tritium-Kern<br />
wandelt sich daher ein Neutron unter Aussendung eines<br />
negativ geladenen Betateilchens (� - ) in ein Proton um (wie in Abb.<br />
1.3 Mitte für ein schwereres Nuklid dargestellt). Die Betateilchen<br />
sind Elektronen wie die Hüllelektronen auch. Da sie aber aus dem<br />
Kern stammen, erhielten sie zur Unterscheidung von den Hüllelektronen<br />
diese besondere Bezeichnung. Bei der Beta-Umwandlung<br />
nimmt die Zahl der Neutronen im Kern um 1 ab, die Zahl der Protonen<br />
um 1 zu. Die Kernladungszahl steigt damit um 1, die Massenzahl<br />
bleibt unverändert. Es entsteht im vorliegenden Falle das Helium-3,<br />
ein stabiles Nuklid.<br />
Der schwere Kern des Uran-238 sendet – gewissermaßen zur „Erleichterung"<br />
– einen kompletten kleinen Atomkern aus (Abb. 1.3<br />
oben), bestehend aus 2 Protonen <strong>und</strong> 2 Neutronen, ein Alphateilchen<br />
(� = Heliumkern). Die Kernladungszahl nimmt dadurch um 2,<br />
die Massenzahl um 4 (2p+2n) ab. Es entsteht das Nuklid Thorium-<br />
234, das als „schweres Element" seinerseits ebenfalls instabil ist<br />
<strong>und</strong> sich weiter umwandelt. Die Umwandlungen durch Alpha- oder<br />
Betastrahlung geschehen so oft, bis am Ende einer solchen Zerfallsreihe<br />
ein stabiler Kern entsteht, in diesem Falle dann das Bleiisotop<br />
Blei-206.<br />
Abb. 1.3 Strahlenarten beim radioaktiven Zerfall<br />
6
Das jeweilige Produkt einer Kernumwandlung – gleichgültig<br />
ob stabil oder nicht – wird als Tochternuklid bezeichnet.<br />
Die Aussendung der Teilchenstrahlen (Alpha- oder Betastrahlung)<br />
hinterlässt in vielen Fällen einen energetisch angeregten<br />
Kern. Diese Anregungsenergie wird dann durch<br />
Abgabe einer energiereichen elektromagnetischen Wellenstrahlung,<br />
der Gammastrahlung (�), abgebaut (Abb. 1.3 unten).<br />
Durch die Aussendung von Gammastrahlung ändern<br />
sich weder die Kernladungs- noch die Massenzahl.<br />
In den meisten Fällen ist die Lebensdauer des angeregten<br />
Zustandes unmessbar klein, das heißt, die Gammastrahlung<br />
erfolgt praktisch gleichzeitig mit der Beta- oder Alphastrahlung.<br />
Es gibt aber auch Fälle (metastabile Zustände), in denen<br />
der angeregte Kern eine messbare Lebensdauer besitzt.<br />
Derartige Nuklide werden mit einem an die Massenzahl angehängten<br />
m gekennzeichnet, zum Beispiel Barium-137m.<br />
Wie jede elektromagnetische Wellenstrahlung transportiert<br />
auch die Gammastrahlung die Energie in genau festgelegten<br />
„Päckchen" (Quanten), die um so energiereicher sind, je<br />
kürzer die Wellenlänge ist. Damit besitzt auch Wellenstrahlung<br />
gewisse Teilcheneigenschaften. Die Quanten der kurzwelligen<br />
elektromagnetischen Wellenstrahlung (zum Beispiel<br />
von sichtbarem Licht, UV-, Röntgen oder Gammastrahlen)<br />
werden auch als Photonen bezeichnet. In manchen Fällen<br />
wird die Anregungsenergie des Kerns nicht als Gammaquant<br />
abgestrahlt, sondern durch elektromagnetische Wechselwirkung<br />
auf ein Hüllelektron übertragen, das dann emittiert<br />
wird. Solche Elektronen, die zwar die Folge einer Kernumwandlung<br />
sind, selbst aber nicht aus dem Kern stammen,<br />
bezeichnet man als Konversionselektronen.<br />
Alpha-, Beta- oder Gammastrahlung verlassen den Kern mit<br />
einer für das jeweilige Nuklid spezifischen Strahlungsenergie.<br />
Als Maßeinheit wird das Elektronenvolt (eV) verwendet.<br />
Ein Elektronenvolt ist diejenige (Bewegungs-) Energie, die<br />
ein Teilchen mit einer Elementarladung nach Durchlaufen<br />
einer Potentialdifferenz von 1 Volt erhalten hat. Die beim<br />
radioaktiven Zerfall auftretenden Energien liegen in der Regel<br />
im Bereich von Kiloelektronenvolt (1 keV = 1·10 3 eV)<br />
7
oder Megaelektronenvolt (1 MeV = 1·10 6 eV). Das Elektronenvolt<br />
ist eine winzige Energieeinheit: 1 MeV entspricht<br />
1,6021·10 -10 Joule.<br />
Radioaktive Nuklide (Radionuklide, Radioisotope) kann<br />
man, wie bereits angedeutet, auch künstlich erzeugen. Gelingt<br />
es beispielsweise, ein zusätzliches Neutron in einen<br />
Kern einzubauen, so bildet sich ein neues Isotop des betreffenden<br />
Elements. Der dadurch in der Regel hervorgerufene<br />
Neutronenüberschuss im Kern führt dann zur Umwandlung<br />
eines Neutrons in ein Proton <strong>und</strong> zur Aussendung eines Betateilchens.<br />
Durch Neutronenbestrahlung können also stabile<br />
Isotope eines Elements in Radioisotope umgewandelt<br />
werden. Dieser als Aktivierung bezeichnete Prozess spielt<br />
bei den Strukturmaterialien von Kernreaktoren (Reaktordruckbehälter,<br />
Brennstabhüllen usw.) eine wichtige Rolle.<br />
Die leichte Aktivierbarkeit mancher Elemente durch Bestrahlung<br />
mit Neutronen nutzt man auch zur analytischen Bestimmung<br />
winzigster Mengen dieser Elemente aus (Aktivierungsanalyse).<br />
Bei der Spaltung schwerer Kerne (Uran-235, Plutonium-239)<br />
entstehen, wie schon erwähnt, ebenfalls Radionuklide, die in<br />
der Natur in der Regel nicht vorkommen. Daneben ist die<br />
Erzeugung künstlicher Radionuklide auch durch Beschuss<br />
von Atomkernen mit geladenen Teilchen, beispielsweise<br />
Protonen oder kleinen Atomkernen, mit Hilfe aufwendiger<br />
Teilchenbeschleuniger (beispielsweise Zyklotronen) möglich.<br />
Damit können auch Radioisotope mit Protonenüberschuss<br />
hergestellt werden. Analog zu den Nukliden mit<br />
Neutronenüberschuss wandelt sich hier ein Proton in ein<br />
Neutron um, bei manchen Nukliden unter Abstrahlung eines<br />
positiv geladenen Teilchens mit der Masse eines Elektrons,<br />
eines Positrons (� + ), bei anderen Nukliden fängt sich der<br />
Kern aus einer kernnahen Elektronenschale (K- oder L-<br />
Schale) ein Elektron ein, wodurch ein Proton dann zum<br />
Neutron „neutralisiert" wird (K-, L-Einfang, �). In vielen Fällen<br />
können bei einem Nuklid beide Prozesse (mit unterschiedlicher<br />
Häufigkeit) stattfinden. Es gibt sogar Nuklide,<br />
bei denen � - - <strong>und</strong> � + -Zerfall <strong>und</strong> K-Einfang nebeneinander<br />
erfolgen (Kalium-40). Reine Positronenstrahler kommen in<br />
der Natur nicht vor. Bei der Wechselwirkung mit Materie<br />
8
verhalten sich Positronen als „Antiteilchen" der Elektronen:<br />
Beim Zusammentreffen mit einem Elektron werden – entsprechend<br />
der Theorie von Materie <strong>und</strong> Antimaterie – die<br />
Massen beider Teilchen <strong>und</strong> ihre Bewegungsenergien vollständig<br />
in (elektromagnetische) Strahlungsenergie umgewandelt.<br />
Aus den Massen der beiden Teilchen entsteht eine<br />
charakteristische „Vernichtungsstrahlung", zwei �-Quanten<br />
mit je 0,511 MeV (Megaelektronenvolt).<br />
Manche schwere Kerne (ab dem Uran) zeigen mit einer gewissen<br />
Häufigkeit Spontanspaltungen; der Kern zerbricht<br />
dabei ohne äußere Einwirkung in zwei etwa gleich große<br />
Bruchstücke <strong>und</strong> es tritt Neutronenstrahlung auf. Einige<br />
Nuklide (beispielsweise Curium-250) zerfallen ausschließlich<br />
durch Spontanspaltung.<br />
Reichweite <strong>und</strong> Wechselwirkung mit Materie<br />
Dass es sich bei der „Becquerel-Strahlung" nicht um eine<br />
einheitliche Strahlung, sondern um drei verschiedene Strahlenarten<br />
handelt, wurde 1899 von Rutherford nachgewiesen,<br />
von ihm stammt auch die Namensgebung nach den ersten<br />
drei Buchstaben des griechischen Alphabets. Alle drei<br />
Strahlenarten haben jedoch eine Eigenschaft gemeinsam:<br />
Wegen der relativ hohen Energie ihrer Teilchen oder Quanten<br />
können sie bei der Wechselwirkung mit Materie Hüllelektronen<br />
herausschlagen <strong>und</strong> dadurch auf direktem oder<br />
indirektem Weg geladene Teilchen, Ionen, erzeugen. Wegen<br />
dieser Wirkung fasst man die Strahlung radioaktiver<br />
Stoffe <strong>und</strong> andere Strahlungen mit den gleichen Eigenschaften,<br />
beispielsweise Röntgenstrahlung, unter dem Sammelbegriff<br />
ionisierende Strahlung zusammen. Die umgangssprachliche<br />
Bezeichnung „radioaktive Strahlung" meint nur<br />
die ionisierende Strahlung, die von radioaktiven Stoffen<br />
ausgeht. Sie führt leicht zu Missverständnissen: Nicht die<br />
Strahlung ist radioaktiv, sondern das Nuklid, von dem sie<br />
ausgeht.<br />
Die Strahlung geladener Teilchen, wie z. B. Alpha- <strong>und</strong> Betastrahlung,<br />
erzeugt Ionen <strong>und</strong> freie Elektronen in der Materie<br />
durch direkte Stöße (Stoßionisation). Sie wird auch als<br />
direkt ionisierende Strahlung bezeichnet. Bei jedem Stoß-<br />
9
prozess, den man sich wie Stöße von Billardkugeln vorstellen<br />
kann, verliert das Teilchen etwas Energie bis es schließlich<br />
in der Materie vollständig abgebremst wird. Die Reichweite<br />
des Teilchens in der Materie nimmt mit der Energie<br />
(Geschwindigkeit) des Teilchens zu <strong>und</strong> ist umso größer, je<br />
geringer die Dichte der Materie ist.<br />
Neben der Stoßionisation können geladene Teilchen durch<br />
die Wechselwirkung mit der positiven Ladung der Atomkerne<br />
abgebremst <strong>und</strong> in ihrer Bahn abgelenkt werden. Die<br />
freiwerdende Energie wird als Photonenstrahlung (Bremsstrahlung)<br />
abgegeben. Dieser Effekt wird in der Röntgenröhre<br />
zur Erzeugung der Röntgenstrahlung ausgenutzt, indem<br />
beschleunigte Elektronen auf eine Metallanode, meist Wolfram,<br />
geschossen werden.<br />
Die Gammastrahlung ist eine indirekt ionisierende Strahlung.<br />
Sie gibt ihre Energie in zwei Stufen an die Materie ab.<br />
In der ersten Stufe werden einige wenige energiereiche geladene<br />
Teilchen erzeugt, die dann die Materie weiter ionisieren.<br />
Die wichtigsten Wechselwirkungen von Photonen mit<br />
Materie sind der Photoeffekt, der Comptoneffekt <strong>und</strong> die<br />
Paarbildung. Eine wichtige Eigenschaft der indirekt ionisierenden<br />
Strahlung ist, dass sie in ausreichend dicker Materie<br />
zwar beliebig geschwächt, aber nie vollständig abgeschirmt<br />
werden kann.<br />
Beim Photoeffekt gibt ein Photon seine gesamte Energie an<br />
ein Hüllelektron ab, das Photon verschwindet <strong>und</strong> die Strahlung<br />
wird damit abgeschwächt. Das Hüllelektron erhält kinetische<br />
Energie (Geschwindigkeit), wird aus dem Atom herausgeschlagen<br />
<strong>und</strong> ionisiert auf seinem Weg durch die Materie<br />
weiter Atome (Abb. 1.4). Der Photoeffekt ist der dominierende<br />
Effekt bei Photonenenergien unterhalb von etwa<br />
100 keV.<br />
10
Abb. 1.4 Wechselwirkung von Gammastrahlung mit Materie<br />
Beim Comptoneffekt gibt das Photon nur einen Teil seiner<br />
Energie auf ein Hüllelektron ab, das ebenfalls aus dem Atom<br />
herausgeschlagen wird. Das Photon wird inelastisch gestreut,<br />
d.h. es fliegt in einer anderen Richtung mit geringerer<br />
Energie (Frequenz), größerer Wellenlänge, davon. Hiernach<br />
sind weitere Comptonstreuprozesse möglich, bis das Photon<br />
durch einen Photoeffekt schließlich verschwindet oder die<br />
Materie verlässt.<br />
Als Paarbildungseffekt wird die Bildung eines Elektron-<br />
Positron-Paars im Feld der Atomkerne bezeichnet. Das Photon<br />
verschwindet. Zur Bildung des Elektron-Positron-Paares<br />
werden 1022 keV benötigt. Daher tritt die Paarbildung erst<br />
bei Photonenenergien oberhalb dieser Schwelle auf. Die<br />
restliche Energie des ursprünglichen Photons wird in kinetische<br />
Energie des Elektrons <strong>und</strong> des Positrons umgewandelt.<br />
Die Paarbildung ist die dominierende Wechselwirkung<br />
bei hohen Photonenenergien ab 20 MeV.<br />
11
Abschirmung<br />
Alpha-, Beta- <strong>und</strong> Gammastrahlen unterscheiden sich erheblich<br />
in ihrer Fähigkeit, Materie zu durchdringen (Abb.<br />
1.5):<br />
� Alphastrahlen haben in Luft eine Reichweite von nur wenigen<br />
Zentimetern, in lebendes Gewebe können sie sogar<br />
nur einige h<strong>und</strong>ertstel Millimeter eindringen. Bereits ein<br />
Blatt Papier schirmt Alphastrahlung völlig ab.<br />
� Betastrahlen können einige Meter Luft durchdringen, in<br />
lebendem Gewebe haben sie je nach Energie Reichweiten<br />
von einigen Millimetern bis einigen Zentimetern. Ein<br />
dickes Buch, eine dicke Plexiglasscheibe oder eine dünne<br />
Aluminiumplatte schirmen Betastrahlung vollständig<br />
ab.<br />
� Gammastrahlen besitzen in Luft sehr große Reichweiten<br />
<strong>und</strong> durchdringen – wie Röntgenstrahlung – auch lebendes<br />
Gewebe leicht. Zur Abschirmung verwendet man dicke<br />
Schichten aus Materialien mit hoher Dichte (Blei,<br />
Schwerbeton). Gammastrahlung ist durch entsprechende<br />
Schichtdicken beliebig stark (bis unter die Nachweisgrenze)<br />
abzuschwächen, aber nie vollständig abschirmbar.<br />
Abb. 1.5 Die Abschirmung<br />
Die verschiedenen Strahlenarten werden durch Materie unterschiedlich<br />
abgeschirmt.<br />
12
Analog der Halbwertszeit lassen sich Halbwertsschichtdicken<br />
angeben. Die Habwertsschichtdicken sind stark von<br />
der Art <strong>und</strong> Energie der Strahlung <strong>und</strong> der Dichte des Abschirmmaterials<br />
abhängig. Durch eine Abschirmung von einer<br />
Halbwertsschichtdicke wird die Strahlung auf die Hälfte,<br />
bei zwei Halbwertsschichtdicken auf ein Viertel geschwächt.<br />
Die Strahlungsintensität nimmt mit zunehmender Dicke der<br />
Abschirmung exponentiell ab. Setzt sich die Strahlung aus<br />
mehreren Anteilen zusammen, z. B. Beta- <strong>und</strong> Gammastrahlung<br />
oder Gammastrahlung verschiedener Energien, so<br />
ist die Abschirmwirkung für jede Komponente mit ihrer individuellen<br />
Halbwertsschichtdicke separat zu bestimmen.<br />
1.3 Dosisbegriffe<br />
Bei der Wechselwirkung von Strahlung mit Materie wird die<br />
Strahlungsenergie ganz oder teilweise von der Materie aufgenommen<br />
(absorbiert). Dabei werden in der Materie Ladungsträger<br />
beiderlei Vorzeichens (positive <strong>und</strong> negative<br />
Ionen) erzeugt. Die erzeugte Ladung je Masseeinheit, gemessen<br />
in Coulomb pro Kilogramm (C/kg), heißt lonendosis<br />
J. Früher wurde für die lonendosis eine besondere Einheit<br />
verwendet, das Röntgen (R). 1 R entspricht 0,000258 C/kg<br />
(in Luft).<br />
Die pro Masseeinheit absorbierte Energiemenge wird als<br />
Energiedosis D bezeichnet. Die Einheit der Energiedosis ist<br />
seit 1978 das Gray (Gy). 1 Gy entspricht einer absorbierten<br />
Energie von 1 Joule pro Kilogramm (1 J/kg). Bis 1977 war<br />
die Einheit der Energiedosis das Rad (rd), abgekürzt aus<br />
„radiation absorbed dose". 100 rd sind 1 Gy.<br />
Der unterschiedlichen biologischen Wirkung verschiedener<br />
Strahlenarten <strong>und</strong> -energien wird in den Empfehlungen der<br />
internationalen Strahlenschutzkommission (ICRP) /ICR-91/<br />
<strong>und</strong> auch in der deutschen Strahlenschutzverordnung<br />
(StrlSchV) /STR-01/ mit dem Strahlungs-Wichtungsfaktor wR<br />
Rechnung getragen (Tabelle 1.1). Die mit wR multiplizierte,<br />
über ein Organ gemittelte Energiedosis DT,R (T steht für<br />
tissue, R für radiation) wird als Organdosis HT bezeichnet.<br />
HT,R = w R · D T,R<br />
13
Strahlungsart <strong>und</strong> -energie<br />
Strahlungs-Wichtungsfaktor<br />
wR Photonen<br />
1<br />
(Gamma- u. Röntgenstrahlung)<br />
Elektronen <strong>und</strong> Myonen<br />
1<br />
Neutronen (je nach Energie)<br />
5–20<br />
Protonen (> 2 MeV)<br />
5<br />
Alphateilchen, Spaltfragmente,<br />
20<br />
schwere Kerne<br />
Tab. 1.1 Strahlungs-Wichtungsfaktoren wR (StrlSchV Anlage VI<br />
Teil C /STR-01/)<br />
Besteht die Strahlung aus Arten <strong>und</strong> Energien mit unterschiedlichen<br />
Strahlungs-Wichtungsfaktoren, so werden zur<br />
Bestimmung der Organdosis die Beiträge, die durch die einzelnen<br />
Strahlungsarten <strong>und</strong> -energien verursacht werden,<br />
addiert.<br />
HT = � wR · DT,R Der Strahlungs-Wichtungsfaktor ist dimensionslos. Die Dimension<br />
der Organdosis (J/kg) entspricht daher der Dimension<br />
der Energiedosis, man verwendet jedoch für die Organdosis<br />
eine besondere Bezeichnung, das Sievert (Sv).<br />
Der tausendste Teil eines Sievert ist das Millisievert (mSv),<br />
der millionste Teil das Mikrosievert. Falls der Strahlungs-<br />
Wichtungsfaktor gleich 1 ist, wie für Beta-, Gamma- oder<br />
Röntgenstrahlung, entspricht ein Sievert einem Gray, für (inkorporierte)<br />
Alphastrahler entsprechen (nach Tabelle 1.1) im<br />
Regelfall 20 Sievert einem Gray.<br />
Von einer Organdosis spricht man, wenn die Strahlenexposition<br />
eines einzelnen Organs oder Gewebes gesondert betrachtet<br />
wird, beispielsweise die Exposition der Schilddrüse<br />
im Falle einer Inkorporation von Radioiod. Die Wirkung einer<br />
Dosis auf ein Organ hängt von dessen Größe <strong>und</strong> Empfindlichkeit<br />
ab, daher sind die Grenzwerte für verschiedene Organe<br />
oder Gewebe unterschiedlich hoch (Kapitel 5.2). Bei<br />
der Beschreibung <strong>und</strong> Bewertung von Strahlenwirkungen<br />
wird noch eine Reihe weiterer Dosisbegriffe verwendet. Von<br />
einer Ganzkörperdosis spricht man, wenn der gesamte Körper<br />
der Strahlenexposition ausgesetzt ist, von einer Teilkör-<br />
14
perdosis, wenn nur Teile des Körpers betroffen sind. Der<br />
Überbegriff hierzu ist die Körperdosis.<br />
Die ICRP-Empfehlungen <strong>und</strong> das deutsche Strahlenschutzrecht<br />
verwenden bei der Festlegung von Grenzwerten neben<br />
der Organdosis die effektive Dosis E. Bei einer gleichmäßigen<br />
Dosisverteilung über den gesamten Körper sind<br />
die Werte der Ganzkörperdosis <strong>und</strong> der effektiven Dosis<br />
gleich.<br />
Wenn nur Teile des Körpers oder einzelne Organe exponiert<br />
sind (Teilkörperexposition), wie z. B. bei Teilkörperdurchleuchtungen<br />
in der Medizin, sind insgesamt die schädlichen<br />
Wirkungen einer Strahlenexposition geringer als bei einer<br />
gleichmäßigen Exposition des gesamten Körpers (Ganzkörperexposition).<br />
Die effektive Dosis entspricht dann derjenigen<br />
Ganzkörperdosis, die dasselbe Strahlenrisiko bedingt,<br />
wie die einzelnen unterschiedlichen Organdosen. Sie ist die<br />
Summe der durch die Gewebe-Wichtungsfaktoren wT (nach<br />
Tabelle 1.2) entsprechend dem Strahlenrisiko gewichteten<br />
Organ- <strong>und</strong> Gewebedosen.<br />
E = � wT · HT Gewebe oder Organe<br />
Gewebe-<br />
Gewichtungsfaktoren wT Keimdrüsen 0,20<br />
Knochenmark (rot) 0,12<br />
Dickdarm 0,12<br />
Lunge 0,12<br />
Magen 0,12<br />
Blase 0,05<br />
Brust 0,05<br />
Leber 0,05<br />
Speiseröhre 0,05<br />
Schilddrüse 0,05<br />
Haut 0,01<br />
Knochenoberfläche 0,01<br />
Andere Organe <strong>und</strong> Gewebe 0,05<br />
Tab. 1.2 Gewebe-Wichtungsfaktoren wT (StrlSchV Anlage VI<br />
Teil C /STR-01/)<br />
15
Die Gewebe-Wichtungsfaktoren sind über die Bevölkerung<br />
(alle Altersstufen, alle Länder) <strong>und</strong> beide Geschlechter gemittelte<br />
Werte. Die effektive Dosis spiegelt nicht die Altersabhängigkeit<br />
des Strahlenrisikos wider – auch nicht genetische,<br />
geschlechtsspezifische <strong>und</strong> andere personenbezogene<br />
Faktoren, die das individuelle Strahlenrisiko beeinflussen.<br />
Die effektive Dosis ist deshalb zur Abschätzung des Strahlenrisikos<br />
einzelner Personen kaum geeignet.<br />
Da die biologische Wirkung einer Strahlendosis unter anderem<br />
von der Dosisverteilung im Gewebe, von der zum Teil<br />
genetisch bedingten Strahlenempfindlichkeit <strong>und</strong> von der bei<br />
den einzelnen Lebewesen sehr unterschiedlichen Wirksamkeit<br />
der Reparatursysteme abhängt (siehe auch Kapitel 2.2),<br />
gilt die so definierte effektive Dosis nur für den Menschen<br />
oder für menschliche Organe <strong>und</strong> Gewebe. Für einzelne<br />
Zellen, Tiere oder Pflanzen kann die Dosis immer nur als<br />
Energiedosis in Gray angegeben werden.<br />
Für das besonders in der Neutronendosimetrie benutzte<br />
Kerma verwendet man als Einheit in der Regel ebenfalls das<br />
Gray. Kerma (kinetic energy released in matter) ist definiert<br />
als die Summe der kinetischen Energien aller in einem bestimmten<br />
Volumen erzeugten geladenen Teilchen pro Masse<br />
der Materie in diesem Volumen.<br />
Ein häufig gebrauchter Dosisbegriff ist die Kollektivdosis. Sie<br />
ergibt sich aus der Summe aller Einzeldosen eines Kollektivs<br />
<strong>und</strong> wird in Personen · Sievert (früher Personen · rem)<br />
angegeben. Sie ist mit Einschränkungen (es ergibt strahlenbiologisch<br />
keinen Sinn, winzigste Einzeldosen zu summieren)<br />
als Maß für das radiologische Gesamtrisiko eines Kollektivs<br />
verwendbar.<br />
Eine besonders definierte Dosis ist die genetisch signifikante<br />
Dosis. Sie stellt den Mittelwert der nach Alter, Geschlecht<br />
<strong>und</strong> Kindererwartung gewichteten Keimdrüsendosen eines<br />
Kollektivs dar <strong>und</strong> ist damit ein Maß für das genetische Risiko<br />
dieses Kollektivs. Seit der Einführung des Konzeptes der<br />
effektiven Dosis – die auch die vererbbaren Schäden berücksichtigt<br />
(Tabelle 1.2) – wird die genetisch signifikante<br />
Dosis im Strahlenschutz nicht mehr benutzt.<br />
16
Bis zum Erscheinen der ICRP-Veröffentlichung Nr. 26 im<br />
Jahr 1977 /ICR-77/ <strong>und</strong> der Einführung des Konzepts der effektiven<br />
Dosis wurde im Strahlenschutz das Konzept des kritischen<br />
Organs zur Festlegung von Grenzwerten angewendet.<br />
Wenn mehr als ein Organ oder Gewebe strahlenexponiert<br />
war, galten diejenigen Organe oder Gewebe als kritische<br />
Organe, denen aufgr<strong>und</strong> ihrer Strahlenempfindlichkeit <strong>und</strong><br />
der erhaltenen Dosis für den sich möglicherweise ergebenden<br />
ges<strong>und</strong>heitlichen Schaden die größte Bedeutung zukommt.<br />
Bei einer Ganzkörperexposition wurde der Ganzkörper<br />
als kritisches Organ betrachtet <strong>und</strong> die Ganzkörperdosis<br />
angegeben.<br />
In der Radioökologie (vgl. Kapitel 4.1) wird der Begriff des<br />
kritischen Organs auch weiterhin verwendet. Er dient zur<br />
Charakterisierung desjenigen Organs, dem die größte Bedeutung<br />
für einen möglichen Ges<strong>und</strong>heitsschaden zukommt,<br />
der sich durch Aufnahme eines Radionuklids in den<br />
Körper aufgr<strong>und</strong> der Anreicherung des Nuklids in diesem<br />
Organ, der daraus resultierenden Organdosis sowie der<br />
Strahlenempfindlichkeit dieses Organs ergibt.<br />
Die Höhe des Schadens im Körper durch ionisierende Strahlung<br />
ist bei einer gegebenen Energiedosis nicht nur von der<br />
Strahlenart <strong>und</strong> der Strahlenenergie abhängig, eine wichtige<br />
Rolle spielen auch die räumliche <strong>und</strong> zeitliche Dosisverteilung.<br />
Die räumliche Dosisverteilung wird durch das Konzept<br />
der effektiven Dosis berücksichtig.<br />
Der Zeitraum, über den eine Dosis verteilt ist, beeinflusst deren<br />
Wirksamkeit ebenfalls stark. Die gleiche Dosis hat eine<br />
stärkere Wirkung, wenn sie in kurzer Zeit aufgenommen<br />
wird als bei Verteilung über einen längeren Zeitraum (Zeitfaktor<br />
Abb. 1.6). Die Erscheinung ist dadurch erklärbar, dass<br />
bei zeitlicher Streckung der Dosis auch die Schäden erst<br />
nacheinander entstehen, der je Zeiteinheit auftretende<br />
Schaden daher kleiner ist <strong>und</strong> deshalb auch wirkungsvoller<br />
repariert werden kann. Der Zeitfaktor ist damit sichtbarer<br />
Ausdruck der Reparaturfähigkeit lebender Zellen (siehe<br />
auch Kapitel 2.2).<br />
17
Abb. 1.6 Der Zeitfaktor<br />
Gleiche Dosis ist bei Verteilung über einen längeren Zeitraum<br />
weniger wirksam.<br />
Die je Zeiteinheit aufgenommene Dosis (den Quotienten aus<br />
einem Dosisbetrag <strong>und</strong> dem Zeitraum, über den er gleichmäßig<br />
einwirkt) bezeichnet man als Dosisleistung. Sie wird<br />
in der Regel in Gray, Milligray, Sievert oder Millisievert pro<br />
Minute oder St<strong>und</strong>e angegeben.<br />
Bei sehr langen Zeiträumen (Wochen, Monaten, Jahren)<br />
spricht man nicht mehr von Dosisleistung, sondern von Wochen-,<br />
Monats- beziehungsweise Jahresdosis.<br />
18
Ionen- Durch ionisierende Strahlung pro Massedosiseinheit<br />
erzeugte Ladung<br />
Einheit: Coulomb pro Kilogramm (C/kg)<br />
Energie- Pro Masseeinheit absorbierte Strahlungsdosisenergie<br />
Einheit: Gray (Gy) Gy = J/kg<br />
Äquivalent- Auf gleiche biologische Wirkung normierte<br />
dosis Dosis. Die Energiedosis wird multipliziert mit<br />
einem Bewertungsfaktor q, der die relative<br />
biologische Wirksamkeit der verschiedenen<br />
Strahlenarten berücksichtigt.<br />
Einheit: Sievert (Sv)<br />
Effektive Summe aller entsprechend den Organemp-<br />
Dosis findlichkeiten gewichteten Teilkörperdosen<br />
Sie repräsentiert das genetische <strong>und</strong> somatische<br />
Gesamtrisiko für Strahlenspätschäden.<br />
Einheit: Sv<br />
Dosis- Verteilung einer Dosis über einen gegebeleistungnen<br />
Zeitraum, Dosis pro Zeiteinheit<br />
Gebräuchliche Einheiten:<br />
Gy/h, Sv/h<br />
Genetisch Mittelwert der entsprechend Alter, Ge-<br />
signifikante schlecht <strong>und</strong> Kindererwartung gewichteten<br />
Dosis individuellen Keimdrüsendosen eines Kollektivs<br />
Einheit: Sv<br />
Kollektiv- Summe aller Individualdosen eines Kollekdosistivs<br />
Einheit: PERSONEN · Sv<br />
Tab. 1.3 Wichtige Dosisbegriffe<br />
19
1.4 Messgrößen im Strahlenschutz<br />
Organdosis <strong>und</strong> effektive Dosis können ausschließlich rechnerisch<br />
bestimmt werden. Zum Einen können in lebenden<br />
Personen keine Messgeräte platziert werden, zum Anderen<br />
wird zur Berechnung die über ein Organ gemittelte Energiedosis<br />
verwendet. Für die Abschätzung des Risikos einer äußeren<br />
Strahlenexposition werden im praktischen Strahlenschutz<br />
die Äquivalentdosis H, bzw. die Äquivalentdosisleistung<br />
verwendet. Diese Dosisgrößen sind einer direkten<br />
Messung zugänglich.<br />
Die Stärke der biologischen Wirkung ionisierender Strahlung<br />
ist nicht nur von der Energiedosis, sondern auch vom linearen<br />
Energieübertragungsvermögen (LET) L� (übertragene<br />
Energie pro Wegeinheit) <strong>und</strong> damit der lonisationsdichte<br />
(Zahl der lonisationsereignisse pro Wegeinheit in der Materie)<br />
sowie der Dosisverteilung im Körper abhängig. Unterschiedliche<br />
Strahlenarten <strong>und</strong> Strahlenenergien haben daher<br />
eine quantitativ unterschiedliche biologische Wirksamkeit.<br />
Auch die Äquivalentdosis berücksichtigt wie die Organdosis<br />
die biologische Wirksamkeit der Strahlungsarten. Sie berechnet<br />
sich aus der Energiedosis durch Multiplikation mit<br />
dem Qualitätsfaktor Q. Dieser Qualitätsfaktor hat für jede<br />
Strahlenart <strong>und</strong> Strahlenenergie einen charakteristischen<br />
Wert. Strahlung mit hohem L� bezeichnet man auch als<br />
dicht ionisierend. Sie gibt in Materie ihre Energie auf einem<br />
sehr kurzen Weg an diese ab (Alphateilchen, Protonen,<br />
Neutronen) <strong>und</strong> hat einen hohen Qualitätsfaktor. Gibt die<br />
Strahlung ihre Energie auf einem sehr langen Weg an die<br />
„durchstrahlte" Materie ab, nennt man sie locker ionisierend<br />
(Betateilchen, Positronen, Gamma- <strong>und</strong> Röntgenstrahlung).<br />
Sie besitzt einen niedrigen Qualitätsfaktor. Der Qualitätsfaktor<br />
wird für verschiedene Strahlungsqualitäten so festgelegt,<br />
dass gleiche Äquivalentdosen verschiedener Strahlungsqualitäten<br />
unter Strahlenschutzgesichtspunkten gleich bewertet<br />
werden können. Für Beta- <strong>und</strong> Gammastrahlung hat der<br />
Qualitätsfaktor den Wert 1 <strong>und</strong> ist damit zahlenmäßig gleich<br />
dem Strahlungs-Wichtungsfaktor wR. Er besitzt wie dieser<br />
die Dimension 1. Die Einheit der Äquivalentdosis ist ebenfalls<br />
das Sievert.<br />
20
Früher wurde für die Äquivalentdosis die Einheit rem (abgekürzt<br />
aus roentgen equivalent man) verwendet. Für die Umrechnung<br />
gilt: 1 Sv = 100 rem. Die Einheit rem war in der Öffentlichkeit<br />
durch die Kernenergiediskussion so geläufig geworden,<br />
dass sie – ebenso wie die Einheit Röntgen – im Zusammenhang<br />
mit dem Reaktorunfall von Tschernobyl auch<br />
noch verwendet wurde, obwohl sie offiziell ab 1.1.1986 nicht<br />
mehr zulässig war.<br />
Die Äquivalentdosis kann zum Einen einer Person zugeordnet<br />
sein, zum Anderen einem Ort. Die Personendosis HP wird z. B. durch das amtliche Dosimeter, in der Regel die<br />
Filmplakette, bestimmt. Sie misst die Monatsdosis des Trägers<br />
unabhängig von dessen Aufenthaltsort. Die Ortsdosis<br />
H * dagegen ist eine ortsfeste Größe.<br />
Um eine möglichst gute Übereinstimmung der Äquivalentdosis<br />
mit der Körperdosis zu erzielen wird die Äquivalentdosis<br />
in 10 mm Gewebetiefe bestimmt (Tiefen-Personendosis<br />
HP(10) <strong>und</strong> Umgebungs-Äquivalentdosis H * (10)). Messtechnisch<br />
bedient man sich hierzu eines Körperphantoms, das in<br />
seiner Dichte <strong>und</strong> stofflicher Zusammensetzung menschlichem<br />
Weichteilgewebe entspricht. Dadurch werden auch<br />
diejenigen Dosisanteile erfasst, die von im Gewebe gestreuter<br />
Strahlung hervorgerufen werden.<br />
Die Umgebungs-Äquivalentdosis H * (10) ist definiert als das<br />
Produkt der Energiedosis in 10 mm Tiefe einer weichteiläquivalenten<br />
ICRU-Kugel <strong>und</strong> dem Qualitätsfaktor Q. Die<br />
ICRU-Kugel (International Comission on Radiation Units) hat<br />
einen Durchmesser von 30 cm <strong>und</strong> die Dichte 1 g/cm 3 . Sie<br />
besteht aus 76,2 % Sauerstoff, 11,1 % Kohlenstoff, 10,1 %<br />
Wasserstoff <strong>und</strong> 2,6 % Stickstoff (Gewichtsanteile) /ICR-80/.<br />
Die ICRP weist ausdrücklich darauf hin, dass die empfohlenen<br />
Werte Q nur für die Anwendung im Strahlenschutz vorgesehen<br />
sind, dass sie auf der Gr<strong>und</strong>lage relevanter Werte für die relative<br />
biologische Wirksamkeit ausgewählt wurden <strong>und</strong> auch noch die<br />
Tatsache berücksichtigen, dass von der Wirkung hoher Energiedosen<br />
extrapoliert wurde (siehe hierzu Kapitel 2.4). Die Kommission<br />
stellt fest, dass die Werte von Q nicht unbedingt repräsentativ<br />
für die relative biologische Wirksamkeit bei hoher Energiedosis sein<br />
müssen. Äquivalentdosis <strong>und</strong> effektive Dosis sollten daher beispielsweise<br />
nicht für die Ermittlung zu erwartender Frühschäden<br />
bei Strahlenunfällen verwendet werden (siehe auch Kapitel 2.3 <strong>und</strong><br />
21
2.4). Aus derartigen Gründen wird auch bei der medizinischen Anwendung<br />
von Beta-, Gamma- oder Röntgenstrahlung die Dosis<br />
häufig als Energiedosis (in Gray) <strong>und</strong> nicht als Äquivalentdosis angegeben.<br />
Da Alpha- bzw. Betastrahlung in lebendem Gewebe je nach<br />
Energie eine Reichweite von nur einigen H<strong>und</strong>ertstel Millimetern<br />
bzw. einigen wenigen Millimetern hat, wird ihr Anteil<br />
an der effektiven Dosis durch die Messgrößen HP(10) <strong>und</strong><br />
H * (10) nicht erfasst. Daher wird eine weitere Dosisgröße, die<br />
Oberflächen-Personendosis HP(0,07), verwendet, die als die<br />
Äquivalentdosis in 0,07 mm Tiefe im Körper an der Tragestelle<br />
des Personendosimeters definiert ist.<br />
Die Oberflächendosis ist wegen der geringen Eindringtiefe<br />
von Alpha- <strong>und</strong> Betastrahlung stark von der Einfallsrichtung<br />
der Strahlung abhängig. In der Ortsdosimetrie wird daher die<br />
Strahlungsrichtung berücksichtig <strong>und</strong> das Analogon zur<br />
Oberflächen-Personendosis als Richtungs-Äquivalentdosis<br />
H’(0,07, �) angegeben (Äquivalentdosis in 0,07 mm Tiefe<br />
der ICRU-Kugel). Hierbei ist � der Einfallswinkel der Strahlung.<br />
Moderne Messgeräte zur Dosisleistungsbestimmung sind in<br />
der Lage, die Äquivalentdosisgrößen H * (10) <strong>und</strong> H’(0,07)<br />
anzuzeigen. Ab dem 1.8.2011 sind bei Messungen der Personendosis<br />
ausschließlich die Größen HP(10) <strong>und</strong> HP(0,07)<br />
<strong>und</strong> in der Ortsdosimetrie die Messgrößen H * (10) <strong>und</strong><br />
H’(0,07, �) zu verwenden. Bis dahin darf daneben noch die<br />
alte Äquivalentdosisgröße H benutzt werden, die nicht zwischen<br />
Tiefendosis <strong>und</strong> Oberflächendosis unterscheidet <strong>und</strong><br />
auch keine Dosisanteile von im Gewebe gestreuter Strahlung<br />
berücksichtigt.<br />
Die messbare Äquivalentdosis ist ausschließlich dafür geeignet<br />
das Risiko einer äußeren Strahlenexposition abzuschätzen.<br />
Bei einer Inkorporation radioaktiver Stoffe, die zu<br />
einer inneren Strahlenexposition führen, ist ein anderer Weg<br />
einzuschlagen.<br />
Abhängig von der Art der Aufnahme des radioaktiven Stoffes,<br />
Ingestion, Inhalation oder Kontamination von W<strong>und</strong>en,<br />
sind Dosiskoeffizienten in der „Bekanntmachung der Dosiskoeffizienten<br />
zur Berechnung der Strahlenexposition“ vom<br />
23.07.2001 im B<strong>und</strong>esanzeiger Nr. 160 a <strong>und</strong> b /BUA-01/<br />
22
veröffentlicht worden. Mit deren Hilfe kann die effektive Dosis<br />
ausgehend von der inkorporierten Aktivitätsmenge berechnet<br />
werden.<br />
Den Dosiskoeffizienten liegen biokinetische Modelle zugr<strong>und</strong>e.<br />
Diese beschreiben die Aktivitätsverteilung im<br />
menschlichen Körper von der Inkorporation der Radionuklide<br />
über deren Verteilung im Körper <strong>und</strong> deren Anreicherung<br />
in spezifischen Organen bis zu ihrer Ausscheidung. Sowohl<br />
alters-, als auch geschlechtsbedingte Unterschiede sind berücksichtigt.<br />
Mit den so gewonnenen zeitlichen Aktivitätskonzentrationen<br />
im Körper können die Organdosen abgeschätzt<br />
werden. Die verwendeten Modelle sind in etlichen<br />
Veröffentlichungen der ICRP detailliert beschrieben /ICR-03,<br />
ICR-75/.<br />
Die Messgrößen für die innere Strahlenexposition sind damit<br />
die zugeführten Aktivitäten. Diese können pauschal bestimmt<br />
werden, wie etwa durch Messung der Aktivitätskonzentration<br />
in der Raumluft am Arbeitsplatz für eine chronische<br />
Aktivitätszufuhr, oder individuell über die Ganzkörperaktivität,<br />
die Aktivitätskonzentration in den Ausscheidungen<br />
oder im Blut. Bei den letzten beiden Möglichkeiten erhält<br />
man die inkorporierte Aktivität ebenfalls aus dem kinetischen<br />
Modell.<br />
Reichert sich der inkorporierte radioaktive Stoff beinahe voll-<br />
ständig in einigen wenigen Organen im Körper an, so kann<br />
die gespeicherte Aktivitätsmenge auch direkt bestimmt<br />
werden; z. B. wird Iod über längere Zeit nur in der Schilddrüse<br />
gespeichert. Bei Inkorporation von I-131 lässt sich die<br />
Schilddrüsenaktivität mit einem NaI-Detektor relativ einfach<br />
bestimmen, da die Hauptkomponente der Gammastrahlung<br />
mit 364 keV den Körper beinahe ungeschwächt verlässt.<br />
(Die Schilddrüse liegt etwa 1 cm unter der Haut).<br />
23
1.5 Literatur<br />
B<strong>und</strong>esanzeiger (2001). Bekanntmachung der Dosiskoeffizienten<br />
zur Berechnung der Strahlenexposition vom<br />
23.07.2001 – Dosiskoeffizienten bei äußerer <strong>und</strong> innerer<br />
Strahlenexposition. BAnz (/BUA-01/) 160(a <strong>und</strong> b).<br />
International Commission on Radiological Protection (ICRP)<br />
(1975). Reference Man: Anatomical, Physiological and<br />
Metabolic Characteristics. ICRP Publication 23 (/ICR-75/).<br />
Oxford, Pergamon Press.<br />
International Commission on Radiological Protection (ICRP)<br />
(1977). Recommendations of the International Commission<br />
on Radiological Protection. ICRP Publication 26. Annals of<br />
the ICRP (/ICR-77/) 1(3). Oxford, Pergamon Press.<br />
International Commission on Radiation Units and Measurements<br />
(ICRU) (1980). Radiation quantities and units. ICRU<br />
Report 33 (/ICR-80/). Bethesda, MD, USA.<br />
International Commission on Radiological Protection (ICRP)<br />
(1991). 1990 Recommendations of the International Commission<br />
on Radiological Protection. ICRP Publication 60.<br />
Annals of the ICRP (/ICR-91/) 21(1-3). Oxford, Pergamon<br />
Press.<br />
International Commission on Radiological Protection (ICRP)<br />
(2003). Basic Anatomical and Physiological Data for Use in<br />
Radiological Protection: Reference Values. ICRP Publication<br />
89. Annals of the ICRP (/ICR-03/) 32(3-4). Oxford, Pergamon<br />
Press.<br />
Strahlenschutzverordnung (2001). (/STR-01/).<br />
http://b<strong>und</strong>esrecht.juris.de/b<strong>und</strong>esrecht/strlschv_2001/<br />
gesamt.pdf.<br />
24
2. Biologische Gr<strong>und</strong>lagen<br />
Die in diesem Kapitel besprochenen Sachverhalte entsprechen<br />
dem sich in den letzten Jahren abzeichnenden Paradigmenwechsel<br />
in der Strahlenbiologie, vor allem bei kleinen<br />
Dosen. Bisher wurden Strahlenwirkungen wesentlich als Ergebnis<br />
von Reaktionen der direkt von Strahleneinfangereignissen<br />
getroffenen Zellen betrachtet <strong>und</strong> weniger als Reaktionen<br />
eines komplexen mulizellulären biologischen Systems,<br />
was heute in den Vordergr<strong>und</strong> tritt. Alle wesentlichen<br />
neuen Forschungsergebnisse werden in diesem Kapitel angesprochen.<br />
Der Versuch der allgemein verständlichen Darstellung<br />
der komplexen Materie wird ergänzt durch eine ausführliche<br />
Bibliographie zur vertieften wissenschaftlichen Dokumentation.<br />
2.1. Wirkungsweise ionisierender Strahlung<br />
auf einzelne Zellen<br />
Zellen als kleinste Funktionseinheiten lebender Körper<br />
Der menschliche Körper mit seinen Organen, höchst differenzierten<br />
Strukturen <strong>und</strong> Funktionen in vielfältigen Variationen,<br />
welche die Besonderheit jedes einzelnen Individuums<br />
ausmachen, wird von in Netzwerken kommunizierenden Zellen<br />
gesteuert. Ein 70 kg schwerer Mensch hat mehrere<br />
zehntausend Milliarden (10 13 ) Zellen mit vielen verschiedenen<br />
Aufgaben in den verschiedenen Organen <strong>und</strong> Geweben.<br />
Zellen sind die kleinsten Funktionseinheiten des Körpers.<br />
Ihre Masse liegt im Mittel bei etwa 1 Nanogramm (ng),<br />
d.h. etwa einem Milliardstel Gramm. Jede solche Zelle umfasst<br />
etwa 100 Milliarden Moleküle, die wiederum jeweils<br />
aus wenigen bis zu vielen Tausend Atomen bestehen, <strong>und</strong><br />
zwar zu über 99 % aus Kohlenstoff (C), Wasserstoff (H),<br />
Sauerstoff (O), Stickstoff (N), Schwefel (S) <strong>und</strong> Phosphor<br />
(P). Die etwa eine Milliarde Zellen pro Gramm Organe <strong>und</strong><br />
Gewebe des menschlichen Körpers schwanken in ihrer<br />
Form <strong>und</strong> Größe, haben vielfach ein angenähert sphärisches<br />
Volumen mit einem mittleren Durchmesser von<br />
12,4 Mikrometer (µm).<br />
25
Abb. 2.1 zeigt schematisch übersichtlich den hierarchischen<br />
Aufbau von Organismen, die Stellung von Zellen in ihnen<br />
<strong>und</strong> den primären Ort der Wechselwirkung ionisierender<br />
Strahlen auf der atomaren Ebene.<br />
26<br />
Hierarchie der Strukturen Biologischer Systeme<br />
Ionisierende Strahlen interagieren mit Atomen<br />
Die Ebenen der Organisation<br />
Ionisierende<br />
Strahlen<br />
Organismus<br />
Gewebe-Organe<br />
Zellen<br />
Moleküle<br />
Atome<br />
Feinendegen LE, Neumann RD, 2005<br />
Abb. 2.1<br />
Signale benutzen Moleküle,<br />
die in Zellen produziert werden<br />
~ 10 9 Zellen / g Gewebe-Organe<br />
~ 10 11 Moleküle / Zelle<br />
~ 2 – 10 4 Atome / Molekül<br />
Leben braucht ~ 30 Elemente<br />
> 99% sind C; H; O; N, S; P<br />
Als kleinste Funktionseinheiten des Körpers haben Zellen<br />
organ- <strong>und</strong> gewebespezifische Aufgaben. Sie sind jedoch<br />
prinzipiell alle sehr ähnlich strukturiert, haben fast stets nur<br />
einen Zellkern, dem Hauptsitz des genetischen Materials,<br />
der Desoxyribonukleinsäure, DNS. Sowohl im Zellkern wie<br />
im Zytoplasma der Zelle, d.h. außerhalb des Kernes, befindet<br />
sich eine Vielzahl von mikroskopischen Strukturen wohl<br />
gegeneinander meist durch Membrane abgegrenzt. Die<br />
Bausteine dieser Strukturen, in ihnen <strong>und</strong> um sie herum sind<br />
Moleküle, kleine wie sehr große, vielfach Eiweißkörpern,<br />
Fetten <strong>und</strong> Kohlehydraten zugeordnet, Substanzen mit<br />
meist ganz speziellen Eigenschaften <strong>und</strong> Wirkungen. Etwa<br />
80 % der Zellmasse ist Wasser. So ist jede Zelle in sich eine<br />
Art höchst komplex organisiertes <strong>und</strong> funktionierendes<br />
“Feuchtbiotop“. Zelluläre Membranen bestehen aus Doppelschichten<br />
von vernetzten Fettsäuren, den Lipiden. Zellen<br />
umschließende Membranen bilden Barrieren zum Schutz<br />
nach außen <strong>und</strong> innen, mit Mechanismen zum Transport<br />
von Stoffen, z. B. Nährstoffen <strong>und</strong> einzelnen Elementen wie
Natrium, Kalium, Calcium, <strong>und</strong> sie tragen Antennen, so genannte<br />
Rezeptoren, für von außen kommende Signalmoleküle.<br />
Im Zellinneren umschließen Membrane besondere Regionen<br />
für spezielle Funktionen. Hierfür sind sehr individuelle<br />
„Werkzeug-Moleküle“, so genannte Enzyme, erforderlich.<br />
Diese sind Eiweißmoleküle in vielen Variationen, die den<br />
Stoffaufbau, -umbau <strong>und</strong> -abbau reguliert durchführen. Die<br />
dazu erforderlichen Signale besorgen wiederum Kaskaden<br />
von großen <strong>und</strong> kleinen Molekülen oft mit Hilfe von Membranen.<br />
Zellen reagieren als Ganzes. Abb. 2.2 zeigt schematisch<br />
eine Zelle mit ihren funktionsspezifischen Strukturen in<br />
mikroskopisch kleinen Räumen angeordnet.<br />
Rezeptoren<br />
für Bindung von<br />
Signalmolekülen<br />
Energie-<br />
Generator<br />
(Mitochondrium)<br />
Transport<strong>und</strong><br />
Jonenkanäle<br />
Abb. 2.2<br />
Membranen<br />
Säugetierzelle<br />
Zellkern (N) (�x 8 µm � )<br />
Strukturen mit<br />
biologischen<br />
Konstruktions-<br />
Werkzeugen<br />
(Enzyme)<br />
für Energielieferung,<br />
Synthese,<br />
Um- <strong>und</strong> Abbau<br />
Sitz des<br />
genetischen<br />
Materials<br />
(DNS)<br />
Die Zellen des Körpers arbeiten als Bauelemente der Körpergewebe<br />
<strong>und</strong> Organe in einem außerordentlich komplexen<br />
Netz molekularer Signale, welche von Zellen synthetisiert<br />
werden <strong>und</strong> einerseits innerhalb der Zellen aktiv sind,<br />
zum anderen zwischen Zellen in einem gegebenen Organ<br />
wirken, sowie zwischen Zellen in verschiedenen Organen<br />
den ganzen Körper beeinflussen können. So werden die<br />
Funktionen des Gesamtkörpers aufeinander harmonisch<br />
abgestimmt. Ionisierende Strahlen können in ihrer Wechselwirkung<br />
mit Atomen <strong>und</strong> Molekülen durch Veränderung<br />
der Zellfunktionen somit den ganzen Körper beeinflussen<br />
(siehe Abb. 2.1).<br />
27
Mechanismen der Zellschädigung<br />
Ionisierende Strahlen, ob sie nun von externen Quellen oder<br />
von im Körper inkorporierten radioaktiven Elementen kommen,<br />
interagieren im exponierten Organismus mit Atomen,<br />
regen sie an <strong>und</strong> verursachen Ionisationen, wodurch atomare<br />
Hüllenelektronen freigesetzt werden, wie im Kapitel 1<br />
dargelegt ist. Die negativ geladenen freien Elektronen haben<br />
je nach Strahlenqualität <strong>und</strong> Energie auf gew<strong>und</strong>enen Bahnen<br />
im biologischen Material unterschiedliche Reichweiten<br />
in mikroskopischen Dimensionen. Für jede Strahlenart gibt<br />
es einen Mittelwert der Energie <strong>und</strong> damit auch eine mittlere<br />
Reichweite der erzeugten Elektronen. Im Falle von Röntgen-<br />
<strong>und</strong> Gamma-Strahlen entsteht pro atomarem Strahleneinfangereignis<br />
primär ein aus der atomaren Hülle freigesetztes<br />
Elektron. Dieses hat bei 100 KeV <strong>Röntgenstrahlen</strong> eine mittlere<br />
Energie von etwa 6 KeV <strong>und</strong> reicht im Gewebe im Mittel<br />
etwa 1 µm weit. Entlang ihren gew<strong>und</strong>enen Flugbahnen kollidieren<br />
diese primären Elektronen unregelmäßig wiederum<br />
mit Atomen <strong>und</strong> kreieren damit ihrerseits erneut zahlreiche<br />
atomare Anregungen <strong>und</strong> Ionisationen, deren Zahl für ein<br />
etwa 6 KeV Elektron bei etwa 200 liegt. Abb. 2.1.3 zeigt das<br />
Beispiel eines mit etwa 0.5 mGy Röntgen-bestrahlten Gewebes<br />
mit Elektronenbahnen (e - ), <strong>und</strong> dazu ein zusätzlichen<br />
�-Teilchen (�) aus dem Zerfall zum Beispiel eines radioaktiven<br />
Polonium oder Radium Atoms. Ob Elektronen oder �-<br />
Teilchen, die entlang ihrer Flugbahn im Gewebe erzeugten<br />
Ionisationen stellen Energieabsorptionsereignisse dar, die<br />
als mikroskopisch mehr oder weniger kompakte „Energiepakete“<br />
imponieren.<br />
28
Abb. 2.3<br />
Partikelbahnen in exponiertem Gewebe<br />
Partikel-<br />
Bahnen<br />
e - ; � +<br />
Gewebe<br />
Zellen<br />
Matrix<br />
Normale Hintergr<strong>und</strong>-<br />
Strahlung bringt etwa 1-2 Treffer / Zelle / Jahr<br />
Feinendegen LE, 2005<br />
e -<br />
Je größer die Flussdichte von Strahlen, je dichter kommen<br />
primäre Strahleneinfangereignisse zustande <strong>und</strong> damit die<br />
Dichte der daraus resultierenden Energiepakete im Gewebe.<br />
Mit anderen Worten, je höher die Dosis ionisierender Strahlen<br />
je zahlreicher sind die Energiepakete pro Volumen des<br />
exponierten Gewebes. Im Falle der 100 KeV <strong>Röntgenstrahlen</strong><br />
mit den durch sie erzeugten Energiepaketen von etwa<br />
200 Ionisationen bringt die Absorption der gesamten Energie<br />
eines solchen Paketes in einer Mikromasse von 1 ng,<br />
d.h. in etwa einer Zelle, die Dosis von 1 mGy. Dies bedeutet<br />
auch, dass bei einer Ganzkörperdosis von 1 mGy dieser<br />
<strong>Röntgenstrahlen</strong> etwa jede Zelle im Körper im Mittel einmal<br />
von einem solchen Energiepaket getroffen wird. Wäre die<br />
Dosis <strong>Röntgenstrahlen</strong> über ein Jahr verteilt, wie dies bei<br />
chronischer Ganzkörperexposition vorkommen kann, würde<br />
jede Zelle des Körpers einmal im Jahr getroffen. Tatsächlich<br />
ist die natürliche Hintergr<strong>und</strong>strahlung etwa in Höhe des<br />
Meeresspiegels in der hier für <strong>Röntgenstrahlen</strong> geschilderten<br />
Größenordnung, so dass man in Annäherung sagen<br />
kann, dass diese Hintergr<strong>und</strong>strahlung für jede Zelle im<br />
Körper mindestens einmal im Jahr ein Energiepaket von etwa<br />
6 KeV bringt. Bei einem 70 kg schweren Menschen entspricht<br />
dies pro Sek<strong>und</strong>e etwa 2-3 Millionen solcher Zell-<br />
Treffer im ganzen Körper verteilt.<br />
�<br />
29
Die im exponierten Organismus entstehenden Teilchenbahnen<br />
mit ihren Energiepaketen können zufällig jede Art von<br />
Gewebe- <strong>und</strong> Zellstruktur erfassen, wie aus Abb. 2.3 <strong>und</strong><br />
auch Abb. 2.1 schematisch erkennbar ist. Die in den Energiepaketen,<br />
d.h. entlang der Flugbahn geladener Teilchen, von diesen<br />
angeregten, bzw. ionisierten Atome bringen sek<strong>und</strong>är direkt<br />
molekulare Strukturveränderungen je nach Art des Atoms, seinem<br />
Platz in einem Molekül, <strong>und</strong> dem Ausmaß der Störung. Je<br />
nach Bedeutung des getroffenen Moleküls werden wiederum<br />
sek<strong>und</strong>äre Molekülreaktionen ausgelöst <strong>und</strong> dabei auch Substanzen<br />
produziert, die für Zellen toxisch sein können. Da Gewebe<br />
<strong>und</strong> Zellen zu etwa 80 % aus Wasser bestehen, finden<br />
entsprechende Anteile der Ionisationen an Wassermolekülen<br />
statt. Die getroffenen Wassermoleküle wandeln sich sehr rasch<br />
zum größten Teil in so genannte reaktive Sauerstoff-Verbindungen,<br />
die auch Sauerstoff-Radikale oder reaktiven Sauerstoff<br />
tragende Spezies von Molekülen (in englisch: reactive oxygen<br />
species, ROS), genannt werden. Hier ist in Anwesenheit von<br />
Sauerstoff in der Zelle die Radikalausbeute höher als in mit<br />
Sauerstoff schlecht versorgten Zellen. Die durch Strahlen induzierten<br />
ROS sind überwiegend identisch oder sehr ähnlich solchen<br />
ROS, die normalerweise in Sauerstoff nutzenden Zellen<br />
endogen durch eine Reihe biochemischer Reaktionen in verschiedenen<br />
Zellräumen <strong>und</strong> in großer Zahl insbesondere in den<br />
Mitochondrien ständig gebildet werden, von wo ein relativ kleiner<br />
Teil auch in die Gesamtzelle gelangt. Während endogene<br />
ROS durchweg in bestimmten zellulären Räumen entstehen,<br />
sind die durch Strahlen induzierten ROS entlang der Teilchenbahnen<br />
mit diesen rein zufällig verteilt ohne Rücksicht auf spezielle<br />
zelluläre Räume. Generell haben ROS ungeachtet ihrer<br />
Entstehung eine sehr kurze Lebensdauer, können aber über<br />
unmittelbar sek<strong>und</strong>äre molekulare Reaktionsprodukte nicht nur<br />
über St<strong>und</strong>en sondern auch über größere Entfernungen in den<br />
Zellen wirksam sein. So sind ROS einerseits generell, ob sie<br />
durch Strahlen induziert sind oder endogen entstehen, potentiell<br />
toxisch durch ihre Bildung sek<strong>und</strong>ärer molekularer Strukturveränderungen<br />
mit womöglich Kaskaden von sek<strong>und</strong>ären biochemischen<br />
Reaktionen, wo immer sich dazu die Gelegenheit bietet.<br />
So sind erwartungsgemäß mit Sauerstoff wohl versorgte<br />
Zellen generell strahlensensibler als solche, deren Sauerstoffkonzentration<br />
gering ist, wie bei vielen Tumorzellen. Andererseits<br />
haben vor allem in normalen Zellen plötzliche geringe Änderungen<br />
von lokalen ROS-Konzentrationen auch Signalwir-<br />
30
kung <strong>und</strong> können biochemische Stressreaktionen mit biopositiven<br />
Wirkungen hervorrufen.<br />
So interagieren ionisierende Strahlen mit zellulären Molekülen<br />
<strong>und</strong> Strukturen einmal direkt über atomare Ionisationen <strong>und</strong> indirekt<br />
über die Wirkung der von ihnen erzeugten ROS. Je höher<br />
der LET Wert, je geringer wird die Bedeutung der indirekten Effekte<br />
von Seiten der ROS. Insgesamt haben geladene Teilchen<br />
mit einem hohen LET Wert, wie �-Teilchen aus einem zerfallenden<br />
Atom, eine größere biologische Wirksamkeit als solche<br />
mit niedrigen LET Werten, wie Elektronen im Röntgen- oder<br />
Gammastrahlenfeld, <strong>und</strong> zwar je nach der Empfindlichkeit der<br />
Zellteile, die getroffen werden. Die als „Relative Biologische<br />
Wirksamkeit“ (RBW) bekannte Größe ist der Quotient von zwei<br />
Dosen unterschiedlicher Strahlenarten, die den gleichen Effekt<br />
herbei führen, wobei die als Vergleichstandard dienende Dosis<br />
(Dstd), meist von Röntgen- oder Gammastrahlen, im Zähler des<br />
Quotienten steht <strong>und</strong> die Dosis der zu prüfenden Strahlen im<br />
Nenner. So ist für einen definierten biologischen Effekt die RBW<br />
= Dstd./ Dx. RBW Werte schwanken <strong>und</strong> zwar je nach Höhe der<br />
Dosis, mit dem gemessenen Effekt, <strong>und</strong> mit der Art der Zellen<br />
<strong>und</strong> Gewebe, wobei zum Beispiel der RBW Wert für �-Teilchen<br />
gegen <strong>Röntgenstrahlen</strong> durchaus über 10 <strong>und</strong> nicht selten eher<br />
bei 20 liegen kann.<br />
Strahlenempfindliche Teile der Zelle<br />
Die zum einen direkten <strong>und</strong> zum anderen über ROS indirekten<br />
Wirkungen ionisierender Strahlen auf zelluläre Moleküle<br />
<strong>und</strong> Strukturen haben auf lebenswichtige Funktionen je nach<br />
ihrer Bedeutung für die betroffenen Zellen unterschiedliche<br />
Konsequenzen. Alle solche Substrate <strong>und</strong> biochemischen<br />
Verbindungen, die in vielen Kopien in der Zelle vorliegen<br />
<strong>und</strong> agieren, sind für Zellfunktionen offensichtlich weniger<br />
störanfällig, als solche Verbindungen, die solitär sind bzw. in<br />
nur wenigen Duplikaten aktiv sind. Zu den letzteren gehört<br />
vor allem das genetische Material, die DNS, welche zu über<br />
90 % im Zellkern lokalisiert ist. Darüber hinaus erscheint es<br />
nicht überraschend, dass auch die zellulären Membranen<br />
als zelluläre Schutzwälle mit Transportfunktionen <strong>und</strong> als<br />
Träger von wichtigen Enzymen (siehe Abb. 2.1) relativ sensitiv<br />
<strong>und</strong> damit im Vergleich zu anderen zellulären Strukturkomponenten<br />
erhöht strahlenempfindlich sind. Zu den sensi-<br />
31
tiven Strukturen werden auch verschiedene, für die Zellstruktur<br />
<strong>und</strong> interne Signalgebung spezielle Einweißstrukturen<br />
gerechnet, wie die kleinen Fibern, Fibrillen. Da alle Komponenten<br />
einer Zelle in komplexen Signalnetzen miteinander<br />
verb<strong>und</strong>en sind, bedeutet ein auch kleiner lokaler Strahlenschaden<br />
in der Zelle immer auch eine gesamtzellulär wirksame<br />
Funktionsbeeinträchtigung, auch wenn sie nur sehr<br />
kurz sein sollte.<br />
Die durch ionisierende Strahlen bedingten primären DNS-<br />
Schäden sind in Abb. 2.4 für den Fall einer Röntgenbestrahlung<br />
schematisch zusammengefasst. Die beiden Stränge der DNS<br />
werden durch komplementäre Basenpaare zusammengehalten,<br />
wobei jeweils ein Thymin mit einem Adenin <strong>und</strong> ein Cytosin mit<br />
einem Guanin gekoppelt ist. Schäden treten an diesen Basen<br />
wie auch in den Strängen bildenden Desoxyribose- <strong>und</strong> Phosphatmolekülen<br />
auf. Die primären Schäden sind prinzipiell häufig<br />
aber nicht immer qualitativ ähnlich denjenigen DNS-Schäden,<br />
die von den ROS des normalen Zellstoffwechsels, d.h. von endogenen<br />
ROS, kommen. Besonders bedrohlich erscheinen die<br />
durch Strahlen induzierten DNS-Doppelstrangbrüche (DSB).<br />
Wie Abb. 2.4 zeigt, ist das Verhältnis der Zahl von Gesamtschäden<br />
der DNS zur Zahl von DSB in Folge von Röntgenbestrahlung<br />
etwa 50: 1.<br />
32<br />
+<br />
Strahleneffekte in der DNS<br />
e- Indirekte Effekte<br />
von Radikalen (~ 80 %)<br />
H<br />
O OH<br />
(~ 20 %)<br />
•<br />
H<br />
Direkte Effekte<br />
�������������������������<br />
����������������������������<br />
���������������������������<br />
�������������<br />
Abb. 2.4<br />
Röntgen-<br />
Strahlen<br />
Basenverlust<br />
Basenänderung<br />
(~10 / 0.01 Gy)<br />
Einzelstrangbrüche<br />
ESB (~ 10 / 0.01 Gy)<br />
Doppelstrangbrüche<br />
DSB (~ 0.4 / 0.01 Gy)<br />
Quervernetzungen<br />
(~ 1-2 / 0.01 Gy)
Bei endogener Verursachung hauptsächlich durch ROS liegt<br />
dieser Quotient nach Berechnungen <strong>und</strong> Messungen bei etwa<br />
10 7 : 1. Dies bedeutet, dass ionisierende Strahlen pro DNS-<br />
Schaden etwa h<strong>und</strong>ert tausend Mal effizienter DSB erzeugen<br />
als dies Radikale von Seiten des Zellstoffwechsels tun. Jedoch<br />
entstehen bei der enormen Zahl von endogen entstehenden<br />
DNS-Schäden, die auf eine Million pro Zelle pro Tag geschätzt<br />
werden, auch DSB-Schäden mit zum Teil ähnlichen biochemischen<br />
Strukturen wie nach Bestrahlung. Dennoch erscheinen<br />
die biochemischen Strukturen der durch Strahlen induzierten<br />
DSB je nach Strahlenart zu einem hohen Anteil deutlich komplexer<br />
zu sein als die von endogenen ROS verursachten DSB.<br />
Man schätzt, dass pro Zelle pro Tag im Mittel tausend Mal mehr<br />
DSB von endogenen ROS als von normaler Hintergr<strong>und</strong>strahlung<br />
stammen.<br />
Die Komplexität von Zellstrukturen <strong>und</strong> Funktionen lässt verständlich<br />
erscheinen, dass Zellen in ihren Phasen zwischen<br />
zwei Zellteilungen unterschiedlich strahlenempfindlich sind. Insbesondere<br />
ist die Phase zwischen der Reproduktion des DNS,<br />
die so genannte DNS-Synthese Phase, <strong>und</strong> die anschließende<br />
Phase bis zur darauf folgenden Zellteilung, Mitose, <strong>und</strong> die Mitose<br />
selbst besonders strahlensensitiv. Auch während der DNS-<br />
Synthese Phase durchlaufen Zellen unterschiedliche Perioden<br />
der Strahlenempfindlichkeit, die zum Teil mit der Zellkapazität<br />
zur DNS-Reparatur <strong>und</strong> deren Ablauf korreliert ist. Generell relativ<br />
strahlenresistent ist die Zykluszeit zwischen der Mitose <strong>und</strong><br />
der darauf folgenden Phase der DNS-Synthese. Diese Umstände<br />
sind vor allem auch für die klinische Tumortherapie wichtig.<br />
Reparatur von Strahlenschäden in der Zelle<br />
Um die schon oben erwähnte, enorme Zahl der unterschiedlichen,<br />
endogen entstehenden DNS-Schäden unter Kontrolle zu<br />
halten, verfügen Zellen über feinst abgestimmte Reparaturmechanismen.<br />
Diese haben sich im Laufe der Evolution wesentlich<br />
in Anpassung an die endogenen Schäden entwickelt <strong>und</strong> sprechen<br />
nahezu immer auch auf durch ionisierende Strahlen verursachte<br />
Schäden an. Die DNS-Reparatur wird genetisch gesteuert<br />
<strong>und</strong> involviert weit über h<strong>und</strong>ert bisher bekannte Gene. Für<br />
jede der bekannten DNS-Schäden stehen in der Zelle Enzyme<br />
bereit, welche sehr spezialisierte Aufgaben haben, wie zum<br />
33
Beispiel für die Entfernung geschädigter DNS-Bausteine, d. h.<br />
von geschädigten Basen, für Neusynthese von DNS-Stücken<br />
an bestehenden komplementären DNS-Einzelketten, für das<br />
Aneinanderfügen von DNS-Bruchenden, je nach der Komplexität<br />
des DNS-Schadens. Während die Reparatur von Basenschäden<br />
<strong>und</strong> Einzelstrangbrüchen schnell abläuft mit Halbwertszeiten<br />
von 5 Minuten bis zu 1 St<strong>und</strong>e <strong>und</strong> einem Mittelwert<br />
von etwa 25 Minuten nach der Schädigung, dauert die Reparatur<br />
von Doppelstrangbrüchen länger mit Halbwertszeiten von<br />
etwa 30 Minuten bis zu mehreren St<strong>und</strong>en. Je komplexer die<br />
DSB sind, um so länger dauert die Reparatur, wenn sie überhaupt<br />
von der Zelle durchgeführt werden kann. Bei vorliegenden<br />
genetischen Defekten an Reparaturenzymen kann die Zelle<br />
DNS nur teilweise reparieren. Abb. 2.5 zeigt DNS-Reparaturen<br />
in bestrahlten Lymphozyten unterschiedlicher Personen, wobei<br />
„AT-Patient“ eine Person mit der Erkrankung Ataxia Telangiectasia<br />
identifiziert, bei der DNS-Reparaturenzyme teilweise fehlen.<br />
Die Wahrscheinlichkeit von Fehlern bei der DNS-Synthese, d. h.<br />
Verdopplung, vor jeder Zellteilung ist bei Normalpersonen außerordentlich<br />
gering; aber nicht vernachlässigbar. Dieser Fehler<br />
beträgt etwa10 -10 pro Basenpaar in der DNS. Bei der DNS-<br />
Reparatur ist die Fehlerwahrscheinlichkeit höher <strong>und</strong> falsch reparierte<br />
DNS-Schäden geben Anlass zu genetischen Mutationen.<br />
Man rechnet bei Normalpersonen mit etwa einer Mutation<br />
pro Zelle pro Tag allein als Resultat der von endogenen ROS<br />
schließlich dauerhaft bleibenden DNS-Veränderungen in überlebenden<br />
Zellen. Diese Mutationen sind wesentlich verantwortlich<br />
für zelluläres Altern <strong>und</strong> damit auch für das Altern des Organismus.<br />
Die spontane Krebshäufigkeit in der Bevölkerung<br />
wird hauptsächlich auf Fehler der DNS-Reparatur nach endogener<br />
Schädigung <strong>und</strong> das Versagen anderer Abwehrmechanismen<br />
zurück geführt, wie unten ausführlicher besprochen<br />
wird.<br />
34
Re siduale DNS Schäden (%)<br />
0 25 50 75 100<br />
DNS Reparatur<br />
in Lymphozyten (L) in Kultur<br />
0 30 60 90 120 150 180<br />
Reparaturzeit (Minuten)<br />
Müller WU et al., 2001<br />
Abb. 2.5<br />
Unterschiedliche Strahlenempfindlichkeiten im Körper<br />
Je nach Zellart <strong>und</strong> -stoffwechsel kann die DNS-Reparaturkapazität<br />
unterschiedlich sein. Sie unterliegt, wie bereits erwähnt, wie<br />
andere zelluläre Prozesse genetischer Steuerung. Generell zeigen<br />
die Lymphozyten <strong>und</strong> die unreifen Zellen, wie die Stammzellen<br />
zahlreicher Gewebe mit hohem Zellumsatz, eine höhere<br />
Strahlenempfindlichkeit als reifende Zellen, <strong>und</strong> diese wiederum<br />
sind strahlenempfindlicher als ausgereifte Zellen, wie sie z. B.<br />
im zirkulierenden Blut, der Haut oder Schleimhaut des Magen-<br />
Darmkanals anzutreffen sind. Abb. 2.6 gibt eine Auflistung von<br />
Zellen <strong>und</strong> Geweben, die nach ihrer Strahlenempfindlichkeit geordnet<br />
sind.<br />
Strahlenempfindlichkeit von Zellen <strong>und</strong><br />
Geweben<br />
Abb. 2.6<br />
Lymphozyten, Stammzellen<br />
Spermatogonien<br />
Blutbildendes Knochenmark<br />
Intestinale Epithelzellen<br />
Haut<br />
Nervenzellen<br />
Muskelzellen<br />
Knochen<br />
Bindegewebe<br />
hypersensible<br />
L<br />
AT-Patient<br />
sensible L<br />
resistente L<br />
Hoch<br />
Niedrig<br />
35
Man kann die Strahlenempfindlichkeit von Zellen auf verschiedene<br />
Weise messen. Die konventionell am meisten angewandte<br />
Art ist die Bestimmung derjenigen Dosis, welche die überlebende<br />
Fraktion der bestrahlten Zellen auf 50 % oder 37 % reduziert.<br />
Diese „Letal-Dosen“ (LD50 oder LD37). werden konventionell<br />
meist über die Erstellung von Dosis-Effekt-Kurven gef<strong>und</strong>en.<br />
Diese geben den Anteil der überlebenden Zellen als Funktion<br />
der jeweils eingestrahlten Dosen von 0 bis zu mehreren Gy<br />
an. Bei solchen Kurven wird der Anteil der überlebenden Zellen<br />
logarithmisch auf der Ordinate (Y-Achse) ausgedrückt. So kann<br />
man direkt die Wahrscheinlichkeit der Zelltötung pro Dosis-<br />
Einheit auf der Abszisse (X-Achse) ablesen. Relativ strahlenresistente<br />
Zellen haben pro Dosis-Einheit bei kleinen Dosen nur<br />
eine geringere Wahrscheinlichkeit abzusterben, als pro Dosis-<br />
Einheit bei hohen Dosen. Die Kurve hat bei kleinen Dosen zunächst<br />
einen mehr oder weniger flachen Verlauf. Die Wahrscheinlichkeit<br />
des Zelltodes pro Dosis-Einheit erhöht sich mit<br />
steigender Dosis bis zu einem Dosiswert, über den hinaus die<br />
Wahrscheinlichkeit des Zelltodes pro Dosis-Einheit konstant<br />
bleibt, das heißt, die Kurve beginnt nun eine gerade Linie zu<br />
werden. Die sehr strahlenempfindlichen Zellen zeigen diese Linearität<br />
schon bei kleinen Dosen. Der im linearen Verlauf der<br />
Kurve gemessene Wert der LD37 wird auch als D0 bezeichnet. Sie<br />
gibt die Dosis an, welche im Mittel mit der Wahrscheinlichkeit 1<br />
eine Zelle tötet. Diese wichtige Dosis D0 wird erst messbar,<br />
wenn die bei kleinen Dosen aktiven Schutz- <strong>und</strong> Reparaturkapazitäten<br />
der Zellen erschöpft sind.<br />
Bei tödlicher Bestrahlung ist zumeist eine verbleibend<br />
schwere DNS-Schädigung die Ursache. Bei relativ geringeren<br />
verbleibenden DNS-Schäden überleben die Zellen <strong>und</strong><br />
tragen damit eine vom Ausmaß der Schädigung abhängende<br />
Wahrscheinlichkeit, bleibende Mutationen weiterzugeben<br />
<strong>und</strong> je nach Art der Zelle <strong>und</strong> ihrer Veränderungen nach<br />
Jahren unter Umständen eine Krebserkrankung zu verursachen.<br />
Mehr dazu wird weiter unten besprochen.<br />
Genom-Instabilität; Apoptose<br />
Über unmittelbar von der Bestrahlung herrührende Mutationen<br />
können Zellen bei einem bestimmten Grad der DNS-Schädigung<br />
solche Nachkommen bringen, die über viele Zellgenera-<br />
36
tionen hinweg häufiger als normale Zellen von äußeren <strong>und</strong> inneren<br />
Zellgiften betroffen Gen-Änderungen mit Mutationsanhäufungen<br />
zeigen. Solch befallene Zellen tragen dann das, was<br />
man eine Genom-Instabilität nennt, welche auch zur Krebsauslösung<br />
durch die befallenen Zellen beitragen kann. Es ist wahrscheinlich,<br />
dass für die Induktion einer Genom-Instabilität eine<br />
zelluläre Dosis von etwa 0.1 Gy, hier bei niedrigem LET, erforderlich<br />
ist.<br />
Eine weitere zelluläre Reaktion auf bereits relativ kleine Dosen<br />
von weniger als 0.1 Gy ist der signalinduzierte Zelltod, die so<br />
genannte Apoptose. Die Wahrscheinlichkeit der durch Strahlen<br />
induzierten Apoptose kann bei entsprechend vorgeschädigten<br />
bzw. empfindlichen Zellen dosisabhängig ansteigen. Apoptose<br />
erleiden auch physiologisch solche Zellen, die in Folge von genetisch<br />
programmierten lokalen Gewebeentwicklungen überflüssig<br />
werden. Die durch Strahlen, insbesondere bei kleinen<br />
Dosen auch von Seiten normaler Hintergr<strong>und</strong>strahlung, induzierte<br />
Apoptose von bereits DNS-Schäden tragenden Zellen<br />
wird als biopositiver Effekt der Schadensbeseitigung angesehen.<br />
So wird auf Gr<strong>und</strong> ihrer zentralen Rolle den strahlenbedingten<br />
DNS-Schäden mit ihren Konsequenzen eine besondere Aufmerksamkeit<br />
in der bio-medizinischen Gr<strong>und</strong>lagenforschung zuteil.<br />
Je besser die DNS-Reparatur in einer Zelle, je höher ist ihre<br />
Strahlenresistenz <strong>und</strong> je geringer sind die verbleibenden Schäden,<br />
mit denen der Gesamtorganismus soweit wie möglich zur<br />
Erhaltung seiner Lebensfähigkeit fertig zu werden hat.<br />
Akute <strong>und</strong> chronische Bestrahlung<br />
Die bisher besprochenen Effekte ionisierender Strahlen <strong>und</strong> biologischen<br />
Reaktionen betrafen die Folgen von akuter Strahlenexposition,<br />
d.h. von Bestrahlung über eine sehr kurze Zeit im<br />
Sek<strong>und</strong>en- bis Minutenbereich. Zusätzliche Umstände müssen<br />
berücksichtigt werden, wenn eine Strahlenexposition über einen<br />
längeren Zeitraum anhält, entweder in einem dauernd bestehenden<br />
Strahlenfeld, z. B. bei der natürlichen Hintergr<strong>und</strong>strahlung,<br />
oder über bestimmte Zeiten an einem Arbeitsplatz mit kontinuierlicher<br />
Strahlenbelastung, oder bei kurzzeitig wiederholten<br />
Expositionen in Abständen von Minuten bis St<strong>und</strong>en, wie z. B.<br />
37
in einer Strahlenklinik bei nicht sorgfältiger Abschirmung des involvierten<br />
Personals.<br />
Die oben besprochenen Gegebenheiten bei durch Strahlen induzierter<br />
zellulärer Schädigung erläutern, dass Strahleneinwirkung<br />
stets über die Strahleneinfangereignisse abläuft, die mikroskopisch<br />
kleine Energiepakete entlang von geladenen Teilchen<br />
deponieren, wie von Elektronen oder Alpha-Teilchen in Abb. 3<br />
zu sehen ist. Wird eine bestimmte Dosis über einen längeren<br />
Zeitraum absorbiert, treten somit die individuellen Energiepakete<br />
über die gesamte Expositionszeit verstreut auf, wodurch sich<br />
die einzelnen Treffer dosisabhängig unterschiedlich häufig in einem<br />
bestimmten mikroskopischen Gewebeteil, wie in einzelnen<br />
Zellen, ereignen. Der zeitliche Abstand zwischen zwei aufeinander<br />
folgenden Treffern von Energiepaketen in einem definierten<br />
Gewebeteil, wie im Bereiche einzelner Zellen, bestimmt die<br />
Zeit, welche eine Zelle zur vollen Reparatur oder Wiederherstellung<br />
ihres Funktionsgleichgewichtes zur Verfügung hat. Ist der<br />
zeitliche Abstand zwischen zwei aufeinander folgenden Treffern<br />
kürzer als eine Zelle zur optimalen Reparatur <strong>und</strong> Wiederherstellung<br />
ihrer Funktion braucht, kann die Initialstörung oder<br />
Schädigung durch den zweiten Treffer erheblich verstärkt werden.<br />
Ist andererseits der zeitliche Abstand zwischen zwei aufeinander<br />
folgenden Treffern größer als die optimale Reparatur<strong>und</strong><br />
Wiederherstellungszeit, kann die Reparaturkapazität der<br />
Zellen voll genutzt werden. Hiernach verbleibende Schäden akkumulieren<br />
im Laufe der Zeit in langlebigen Zellen <strong>und</strong> deren<br />
Nachkommen.<br />
Wie oben bereits angedeutet, bringt eine Exposition mit 100 KeV<br />
<strong>Röntgenstrahlen</strong> bei einer Dosis von 1 mGy etwa ein Energiepaket<br />
von im Mittel 6 KeV pro ng exponierten Gewebes, d.h.<br />
etwa pro Zelle. Wird die Dosis über ein Jahr hinweg kontinuierlich<br />
dem Ganzkörper verabreicht, wird im Mittel jede Zelle im<br />
Körper in diesem Jahr einmal mit 1 mGy bestrahlt: So erhält hier<br />
an jedem Tag eine von annähernd 365 Zellen eine Dosis von<br />
zirka 1 mGy. Dieses Szenario entspricht in etwa dem der Exposition<br />
bei einer niedrigen natürlichen Hintergr<strong>und</strong>strahlung. Im<br />
Hinblick auf die Signalvernetzung der Zellen <strong>und</strong> Gewebe lokal<br />
wie im ganzen Organismus sind bei der chronischen Strahlenbelastung<br />
die pro Zeit auftretenden Häufigkeiten von Strahleneinfangereignissen<br />
mit ihren Energiepaketen in Zellen, bzw.<br />
Gruppen von Zellen im Gewebe, sowohl hinsichtlich der DNS-<br />
38
Schäden, als auch deren Reparatur, <strong>und</strong> der Induktion von<br />
adaptiven Reaktionen zu berücksichtigen. In diesem Zusammenhang<br />
ist speziell der Bystander Effekt wichtig, wie unten in<br />
Abschnitt 2.2 weiter besprochen wird.<br />
Biologische Dosimetrie<br />
Schwere <strong>und</strong> bleibende DNS-Schäden können zu Strukturänderungen<br />
von Chromosomen führen. Diese sind bei Zellteilungen<br />
leicht beobachtbar. Die relative Häufigkeit von Chromosomenschäden<br />
zum Beispiel in speziellen, zirkulierenden weißen Blutzellen,<br />
den Lymphozyten, können mit verschiedenen Methoden<br />
erkannt werden. Neben den rein strukturell schon direkt im Mikroskop<br />
sichtbaren groben Veränderungen, d.h. Aberrationen,<br />
werden auch einzelne Abschnitte von Chromosomen <strong>und</strong> deren<br />
Verschiebungen innerhalb oder zwischen Chromosomen durch<br />
moderne Methoden der Färbung deutlich. Abb. 2.7 zeigt einen<br />
zellulären Satz von Chromosomen, die zum Teil durch Bestrahlung<br />
verändert worden sind.<br />
Abb. 2.7<br />
Chromosomen-Aberrationen (CA)<br />
nach Bestrahlung menschlicher Lymphozyten<br />
Ringförmige CA Dizentrische CA; Fragment-CA<br />
Hall E, 2000<br />
Die Häufigkeit von DNS-Schäden wie auch von Chromosomenveränderungen<br />
in bestrahlten Zellen ist je nach Strahlenart mit<br />
dem Ausmaß einer Strahlenexposition, d.h. der absorbierten<br />
Strahlendosis, korreliert, wie dies schematisch die Abb. 2.8<br />
zeigt. Daher können sowohl bleibende DNS-Schäden wie auch<br />
die verschiedenen Chromosomenveränderungen zur biologi-<br />
39
schen Dosimetrie herangezogen werden. Ganzkörperbestrahlungen<br />
bis herunter zu Dosen um 0,1 Gy sind auf diese Weise<br />
im exponierten Körper zum Beispiel nach einem Unfall relativ<br />
genau bestimmbar.<br />
Lymphozyten mit Chromosomenaberrationen, wie sie in Abb.<br />
2.7 zu sehen sind, haben nur eine beschränkte Lebensdauer<br />
<strong>und</strong> verschwinden je nach Typ innerhalb von Wochen bis Monaten<br />
aus dem peripheren Blut. Deswegen sollte die Zeit nach der<br />
Strahlenexposition bei der Auswertung der Daten Berücksichtigung<br />
finden. Biologische Dosimetrie dieser Art sollte so früh wie<br />
möglich nach einem Strahlenunfall angewandt werden. Bei Teilkörperbestrahlungen<br />
verlangt die biologische Dosimetrie über<br />
die Auswertung von Chromosomenaberrationen in Lymphozyten<br />
zusätzliche Rücksicht auf die Tatsache, dass die beobachteten<br />
Lymphozyten während der Exposition im ganzen Körper zirkulierten.<br />
Die Häufigkeit von DNS-Schäden<br />
wie auch Chromosomen-Aberrationen<br />
in bestrahlten Zellen<br />
steigt progressiv mit der Strahlendosis<br />
Abb. 2.8<br />
40<br />
DNS-Schaden<br />
Absorbierte Dosis<br />
2. 2. Wirkungsweise ionisierender Strahlung auf<br />
vielzellige Organismen<br />
Wie schon einzelne Zellen außerordentlich komplexe Systeme<br />
sind, in welchen alle Elemente mit ihren direkten <strong>und</strong><br />
indirekten Wechselwirkungen von zahlreichen lokalen strukturellen<br />
<strong>und</strong> biochemischen Faktoren beeinflusst werden<br />
<strong>und</strong> die Zelle als ganzes reagieren lassen, muss auch auf<br />
der Ebene der Gewebe <strong>und</strong> Organe das Gesamtsystem mit<br />
seinen Vernetzungen von Zellen in lebenswichtigen Struktu-
en <strong>und</strong> Funktionen berücksichtigt werden. Auch in diesem<br />
Zusammenhang sind Strahlenwirkungen dosis- <strong>und</strong> zeitabhängig<br />
zu betrachten, wie bereits oben erwähnt wurde. Sowohl<br />
die so genannten Bystander Effekte, die meist lokal im<br />
Gewebe berücksichtigt werden, als auch entferntere Einwirkungen<br />
auf das Funktionsgleichgewicht des Gesamtsystems<br />
können bedeutsam sein. Funktionsgleichgewicht, auch als<br />
Homöostase bezeichnet, besteht innerhalb von Zellen, zwischen<br />
den Zellen <strong>und</strong> den verschiedenen Geweben <strong>und</strong> Organen<br />
des Körpers <strong>und</strong> wird über die zwischen diesen allen<br />
wirkenden Signalvernetzungen aufrecht erhalten. Die vielfältigen<br />
hier involvierten biochemischen Mechanismen sind wie<br />
alle Zellfunktionen letztlich unter genetischer Kontrolle <strong>und</strong><br />
hängen auch vom individuellen Alter, von der Lebensweise<br />
<strong>und</strong> von Umwelteinflüssen ab.<br />
Bystander Effekte<br />
Im Laufe des letzten Jahrzehntes haben zahlreiche Experimente<br />
deutlich gemacht, dass bestrahlte Zellen im Verband<br />
mit anderen Zellen entweder in Kultur oder auch im intakten<br />
Organismus kurz nach Bestrahlung, innerhalb von St<strong>und</strong>en,<br />
Substanzen ausscheiden können, die nicht-bestrahlte Zellen<br />
in der Nachbarschaft der bestrahlten Zellen beeinflussen<br />
können. Bei diesen Vorgängen spielen direkte Zellkontakte<br />
sowie auch außerhalb der Zellen diff<strong>und</strong>ierende Substanzen<br />
eine Rolle, deren chemisch-biochemische Natur gegenwärtig<br />
intensiv erforscht wird. Diese in nicht-bestrahlten Zellen<br />
erscheinenden aber von bestrahlten Zellen ausgelösten Wirkungen<br />
werden Bystander Effekte genannt. Abb. 2.9 zeigt<br />
schematisch die von einer bestrahlten Zelle ausgelösten<br />
Wirkungsrichtungen.<br />
Bei der Auswertung von Verteilung <strong>und</strong> Häufigkeit von DNS-<br />
Schäden <strong>und</strong> Zelltod in Kulturen, in denen einzelne Zellen<br />
gezielt mit unterschiedlichen Dosen bestrahlt wurden, zeigte<br />
sich, dass Bystander Effekte bei kleinen Dosen von etwa<br />
1 mGy kaum erkennbar sind, danach ansteigen bis zu einem<br />
Plateau der Wirkung bei etwa 0.1-0.2 Gy. Bei �-Strahlen<br />
wurde das Wirkungsplateau bei etwa 2 Teilchen in der<br />
den Effekt auslösenden Zelle erreicht. Solche Bystander Effekte<br />
sind nicht nur in der Lage, in nicht bestrahlten Zellen<br />
41
DNS-Schäden inklusive DSB zu verursachen, sondern auch,<br />
wie weiter unten besprochen, biopositive Wirkungen. In diesem<br />
Zusammenhang ist ein besonderer Bystander Effekt zu<br />
sehen, der in nicht bestrahlten Nachbarzellen bestimmte<br />
Signale induziert, welche dann durch Rückwirkung in einem<br />
zweiten Schritt die bestrahlte Zelle zum Selbstmord, d.h. zur<br />
Apoptose, bringt. Dadurch wird die primär geschädigte Zelle<br />
als Schadensträger aus dem Gewebe eliminiert.<br />
Es ergibt sich somit, dass in einem Organismus, in dem auf<br />
Gr<strong>und</strong> einer sehr kleinen Dosis nur einzelne Zellen ein<br />
Strahleneinfangereignis mit einem Energiepaket erleiden,<br />
die Zahl der auf dieses Ereignis reagierenden Zellen größer<br />
als die Zahl der getroffenen Zellen ist. Daher wird auch diskutiert,<br />
ob einerseits die Wahrscheinlichkeiten einer Krebserkrankung<br />
<strong>und</strong> das Ausmaß anderer zellulärer Reaktionen<br />
im so bestrahlten Organismus bei kleinen Dosen größer sind<br />
als auf der Basis einer linearen Dosis-Risiko Beziehung erwartet<br />
würde. Da diese Verhältnisse für den Strahlenschutz<br />
von großer Bedeutung sind, wird auf diesem Gebiet gegenwärtig<br />
intensiv geforscht. Wie weiter unten ausgeführt ist,<br />
erscheint es unwahrscheinlich, dass der Bystander Effekt<br />
bei sehr kleinen Dosen über Vervielfachung von DNS-<br />
Schäden im Gewebe nennenswert zu einer Erhöhung der<br />
Krebswahrscheinlichkeit beiträgt.<br />
42<br />
Signale zwischen Zellen in Matrix <strong>und</strong> Gewebe<br />
Getroffene<br />
Zelle<br />
Gewebe<br />
Zellen<br />
Abb. 2.9<br />
Feinendegen LE, 2005<br />
= Bystander Effekte<br />
Zellverbindung<br />
Matrix
Strahleninduzierte Störungen des biologischen Gleichgewichtes,<br />
adaptive Reaktionen<br />
Die von ionisierenden Strahlen erzeugten primären<br />
Interaktionen mit Atomen entlang der Teilchenflugbahnen<br />
mit ihren direkten <strong>und</strong> indirekten Wirkungen auf Moleküle<br />
können je nach Art <strong>und</strong> Ausmaß sek<strong>und</strong>är auf Strukturen<br />
<strong>und</strong> die mit ihnen gegebenen Funktionen auf den<br />
verschiedenen Organisationsebenen des Körpers einwirken.<br />
Diese dosisabhängigen Beeinflussungen <strong>und</strong> deren zeitliche<br />
Abfolge werden wesentlich durch den hierarchischen Aufbau<br />
des Körpers bestimmt.<br />
Innerhalb der einzelnen biologischen Organisationsebenen<br />
sowie zwischen diesen Strukturen werden alle lebenswichtigen<br />
Funktionen, die das strukturelle Zusammenwirken des<br />
Organismus garantieren, in einem äußerst komplexen Signalnetz<br />
miteinander koordiniert <strong>und</strong> aufeinander abgestimmt,<br />
um die Homöostase aufrecht zu erhalten. Das für<br />
Homöostase nötige Signalnetz arbeitet, wie bereits oben<br />
resümiert, innerhalb von Zellen, zwischen Zellen <strong>und</strong> Matrix,<br />
d. h. extrazellulären Gewebestrukturen eines Organes, <strong>und</strong><br />
zwischen Zellen verschiedener Organe <strong>und</strong> Gewebe. Alle<br />
Signale erfassen schließlich Zellen, welche die besonderen<br />
Funktionen eines Organs <strong>und</strong> Gewebes bestimmen. Die<br />
Abb. 2.10 veranschaulicht schematisch die wesentlichen<br />
drei Signalschleifen in einem Körper.<br />
Abb. 2.10<br />
Signalnetze in biologischen Systemen<br />
Sie antworten auf Störungen<br />
der Homöostase, je nach<br />
Organe<br />
Spezies, Zelltyp <strong>und</strong><br />
Stoffwechsel<br />
Gewebe<br />
Neuro-Hormonale<br />
Zellen<br />
Signale<br />
Interzelluläre<br />
+ Matrix Signale<br />
Intrazelluläre<br />
Signale<br />
Stress<br />
Zelluläre Moleküle<br />
antworten<br />
Ausmass der Störung<br />
Adaptiver Schutz Schaden<br />
Feinendegen LE, 2005<br />
43
Jede Einwirkung auf die verschiedenen, übergreifenden Signalschleifen,<br />
ob durch äußere oder innere Reizfaktoren,<br />
führt zu Reaktionen innerhalb der Signalnetze mit dem Ziel<br />
der Aufrechterhaltung bzw. Wiederherstellung der Homöostase<br />
der aufeinander abgestimmten Funktionen des Gesamtkörpers<br />
sowie seiner Teile. Bei geringfügigen lokalen<br />
oder weitreichenden Störungen des Systems wie bei Stress<br />
wird Homöostase in den betroffenen Systemkomponenten<br />
durch Rückkopplungsmechanismen relativ schnell wieder<br />
optimiert.<br />
Darüber hinaus induziert eine gegebene Stresssituation mit<br />
Verzögerung meist vorübergehend eine Anpassung dergestalt,<br />
dass das System auf erneute Störung weniger anfällig<br />
ist. Beispiele für solche mit zeitlicher Verzögerung erkennbaren<br />
adaptiven Reaktionen sind Zunahme von Muskelmasse<br />
nach körperlichem Training, oder Bräunung der Haut nach<br />
mäßiger UV Strahleneinwirkung, oder Immunschutz vor Infektionen<br />
nach Impfung. Kommt es zu einer Zerstörung der<br />
durch Signale gesteuerten Koordination durch Ausschaltung<br />
der funktionstragenden Strukturen, bricht das System lokal<br />
zusammen <strong>und</strong> kann, wenn es nicht repariert wird je nach<br />
Schweregrad schließlich zum Untergang des Gesamtorganismus<br />
führen. Beispiele sind wiederum Kreislaufzusammenbruch<br />
beim übermäßigem Training, oder Verbrennungen<br />
der Haut bei übermäßiger UV-Bestrahlung, oder tödliche<br />
Infektionen bei Immunschwäche.<br />
Abwehr- <strong>und</strong> Reparaturmechanismen vielzelliger<br />
Systeme<br />
Ionisierende Strahlen sind allgemein in der Lage einerseits<br />
Schäden zu setzen wie auch Stressreaktionen auszulösen.<br />
Das Verhältnis der beiden Rektionsmuster zueinander verschiebt<br />
sich zu Schäden mit steigender Dosis. Je nach Höhe<br />
der Dosis <strong>und</strong> damit je nach dem Grad der Einwirkung auf<br />
Strukturen kann der bestrahlte Körperteil sofort erkranken<br />
<strong>und</strong> nach Überwindung der akuten Krankheit viele Jahren<br />
später über zelluläre Gen-Veränderungen überlebender Zellen<br />
einen bösartigen Tumor entwickeln. Die Wahrscheinlichkeit<br />
einer akuten Strahlenkrankheit sowie auch einer Krebserkrankung<br />
hängt wiederum von der Fähigkeit des gesam-<br />
44
ten Organismus ab, Störungen im System zu korrigieren,<br />
bzw. Krebszellen als Ursachen von Störungen zu beseitigen.<br />
Bei einer Einschränkung dieser Korrekturen im System<br />
wird z. B. einer Krebsentwicklung ebenso Vorschub geleistet,<br />
wie anderen Erkrankungen, die von solchen Korrekturen<br />
in Schach gehalten werden, zum Beispiel verschiedene Infektionskrankheiten.<br />
Dass ein ges<strong>und</strong>er Organismus über immense Abwehrkräfte<br />
verfügt, ist nicht nur eine tägliche Erfahrung, zum Beispiel<br />
bei der Immunabwehr von Infektionen, sondern zeigt sich<br />
auch in den Quantitäten der Schäden, die nach Bestrahlung<br />
in den verschiedenen Organisationsebenen des Körpers erkennbar<br />
werden. Solche Daten sind in der Abb. 2.11 für den<br />
Fall einer Strahlenexposition mit 1 mGy im roten Knochenmark<br />
zusammengefasst.<br />
Bei Bestrahlung des roten Knochenmarks als besonders<br />
strahlenempfindliches Gewebe mit 1 mGy Röntgenstrahlung<br />
wird pro Zelle, wie oben erklärt, im Mittel ein Strahleneinfangereignis<br />
mit dem entsprechenden Energiepaket erzeugt.<br />
Dieses verursacht direkte <strong>und</strong> indirekte Wechselwirkungen<br />
mit zellulären Substraten. So entstehen durch Ionisierung<br />
von Wassermolekülen etwa 150 Sauerstoff-Radikale; insgesamt<br />
werden etwa 2 Veränderungen der DNS beobachtet,<br />
<strong>und</strong> davon sind etwa 1 DNS-DSB in jeder fünf<strong>und</strong>zwanzigsten<br />
Zelle, <strong>und</strong> die Wahrscheinlichkeit einer Chromosomenaberration,<br />
wie sie Abb. 6 zeigt, ist pro Zelle etwa 1 zu<br />
10.000. Während diesen Daten präzise Messungen zu<br />
Gr<strong>und</strong>e liegen, ist die Wahrscheinlichkeit einer so getroffenen,<br />
potentiell Leukämie bildenden Stammzelle, eine tödliche<br />
verlaufende Leukämie auszulösen, eine Schätzung. Sie<br />
beruht auf der linearen Extrapolation der bei hoher Dosis<br />
beobachteten Leukämierate pro Dosiseinheit, wie sie unten<br />
im Abschnitt 2.4.2.4 besprochen ist. So ergibt sich für die<br />
tödliche Leukämie ein geschätztes Risiko von etwa 1 zu<br />
einh<strong>und</strong>ert Billionen (10 -14 ) pro blutbildender Stammzelle pro<br />
1 mGy. Mit anderen Worten, die Wahrscheinlichkeit einer<br />
tödlichen Leukämie pro DNS-DSB in der Stammzelle ist hier<br />
ungefähr 10 -12 , d. h. bei 1 zu einer Billion. Die immense Zahl<br />
von DNS-DSB, die hier für eine tödliche Leukämie nötig<br />
sind, verdeutlicht die Fähigkeit des ges<strong>und</strong>en Organismus<br />
45
46<br />
Der Körper als<br />
komplex adaptives System<br />
in verschiedenen Ebenen<br />
Röntgen-<br />
Strahlen<br />
Organismus<br />
Gewebe<br />
Zellen<br />
Moleküle<br />
Atome<br />
Feinendegen LE et al, 1995<br />
Abb. 2.11<br />
Risko für eine Stammzelle<br />
pro 1 mGy 100 kV Rö.-Strahlen<br />
im menschlichen roten Knochenmark<br />
durch Extrapolation von hoher Dosis<br />
~ 10 -14 Maligne Transformation<br />
mit tödlichem Krebs<br />
?<br />
~ 10 -4 Chromosomen Aberr.<br />
~ 4 x 10 -2 DNS - DSB<br />
~ 2 � DNS Änderungen<br />
~ 150 Sauerstoff-Radikale<br />
zur Schadensabwehr <strong>und</strong> lässt die oft von Nichtfachleuten<br />
gehörte Aussage, dass jeder durch Strahlen induzierte Doppelstrangbruch<br />
eine potentiell krebsauslösende DNS Störung<br />
ist, als zumindest übertrieben <strong>und</strong> sogar als ungerechtfertigt<br />
erscheinen.<br />
Die dem Körper physiologisch gegebenen Reparatur- <strong>und</strong><br />
Abwehrmechanismen sind, wie bereits aus den Abb. 2.10<br />
<strong>und</strong> 2.11 zu erkennen, überaus vielfältig <strong>und</strong> auf jeder Organisationsebene<br />
wirksam. Sie umfassen biochemische<br />
Entgiftungsreaktionen, vor allem von ROS, zelluläre Reparaturmechanismen,<br />
vor allem von DNS-Schäden, Änderungen<br />
des Zellzyklus zwischen Zellteilungen, <strong>und</strong> Beseitigung von<br />
geschädigten Zellen einmal durch signalausgelösten Zelltod,<br />
Apoptose, zum anderen durch Immunreaktionen, <strong>und</strong><br />
auch durch Differenzierung zu Zellen mit begrenzter Lebensdauer.<br />
Die beseitigten Zellen werden durch Nachschub<br />
funktionstüchtiger Zellen ersetzt. Daraus ergibt sich, dass<br />
jede Organisationsebene Barrieren setzt, die Schäden sozusagen<br />
aszendierend überwinden müssen, um zu einer<br />
Ges<strong>und</strong>heitsstörung zu führen. Die kaskadenförmig aszendierend<br />
aktiven Abwehr- <strong>und</strong> Korrekturmechanismen auf<br />
den verschiedenen Organisationsebenen des Körpers reagieren<br />
prinzipiell in ähnlicher Weise insofern, als das jeweils
eagierende System eine Störung, bzw. Schädigung zunächst<br />
auf seiner Ebene blockiert <strong>und</strong> erst dann auf höhere<br />
Ebene weiter gibt, wenn die Störung bzw. Schädigung von<br />
dieser Ebene nicht ausreichend kompensiert oder beseitigt<br />
werden kann. So kann Schaden von der molekularen auf<br />
die zelluläre, Gewebe- bzw. Organebene, <strong>und</strong> schließlich<br />
auf Gesamtkörper-Ebene verstärkt zur ges<strong>und</strong>heitlichen Bedrohung<br />
werden. Aus dieser Darlegung ergibt sich, dass die<br />
Wahrscheinlichkeit einer bedrohlichen Ges<strong>und</strong>heitsstörung<br />
keinesfalls proportional mit dem Ausmaß eines Schadens<br />
auf der molekularen Ebene, inklusive der DNS, ansteigt,<br />
sondern dass auf jeder Ebene zunächst ein bestimmter Minimalschaden<br />
vorhanden sein muss, bevor er die Barriere<br />
der Abwehrmechanismen durchringt. Die Wahrscheinlichkeit<br />
der Überwindung einer solchen Barriere ist sicherlich auch<br />
abhängig von Art, Qualität <strong>und</strong> Quantität, die ein gegebener<br />
Anfangsschaden besitzt. Auch bei der Entstehung einer<br />
Krebserkrankung aus einer bösartig transformierten Zelle<br />
mit lokaler Vermehrung, d.h. mit klonalem Wachstum, sind<br />
die genannten Abwehrmechanismen auf zellulärer <strong>und</strong> Gewebe<br />
bzw. Organebene wesentlich über das Immunsystem<br />
wirksam. Es ist offensichtlich, dass die hier kurz angedeuteten<br />
Reaktionsmuster bei Störungen biologischer Systeme<br />
auf ihren verschiedenen Organisationsebenen für das Verständnis<br />
der akuten <strong>und</strong> späten Strahlenwirkungen <strong>und</strong> ihrer<br />
Risiken bedeutsam sind.<br />
Stochastische Strahlenwirkungen<br />
Die Unterscheidung zwischen so genannten stochastischen<br />
<strong>und</strong> deterministischen Wirkungen von ionisierenden Strahlen<br />
bedarf einer gr<strong>und</strong>sätzlichen Erläuterung. Stochastisch<br />
werden allgemein solche Schäden genannt, welche durch<br />
zufällige Interaktionen von durch ionisierende Strahlen erzeugten<br />
Energiepaketen mit biologisch bedeutsamen Strukturen,<br />
wie dem genetischen Material, proportional zur Zahl<br />
der Interaktionen ausgelöst werden. Folgendes Beispiel mag<br />
dies erläutern. Mit einem Beil lassen sich Kerben in einen<br />
Holzstamm von bestimmter Härte schlagen. Die Tiefe der<br />
Kerbe hängt von der Kraft ab, mit der das Beil auf das Holz<br />
trifft. Jedoch ist eine minimale Kraft nötig, um überhaupt ei-<br />
47
ne Kerbe zu erzeugen. Andererseits kann eine bestimmte<br />
Kerbentiefe durch eine bestimmte Kraft des Beiles erzeugt<br />
werden. Nimmt man allerdings nun zahlreiche solcher Holzstämme<br />
<strong>und</strong> bearbeitet sie alle parallel oder hintereinander<br />
getrennt mit einem definiert kräftigen Beilschlag, so zeigt<br />
sich, dass die Kerbentiefe nicht immer ganz genau gleich ist<br />
sondern dass sie um einen Mittelwert schwankt. Die Zahl<br />
der Kerben in diesem Beispiel steigt mit der Zahl der Beilschläge<br />
jeweils auf einen getrennten Holzstamm. Man sagt<br />
auch, dass hier die Zahl der Kerben linear mit der Zahl der<br />
definierten Beilschläge im Kollektiv der bearbeiteten Holzstämme<br />
ansteigt. Diese Situation findet ihre Analogie in der<br />
Schädigung der DNS in einem Strahlenfeld. Die DNS bietet<br />
ein Kollektiv von räumlich getrennten Abschnitten, welche im<br />
obigen Beispiel den Holzstämmen entsprechen. Die von<br />
ionisierenden Strahlen im Gewebe erzeugten Energiepakete<br />
haben einen mittleren Wert pro Strahlenart <strong>und</strong> stellen somit<br />
Kraftinkremente dar, die im obigen Beispiel den definierten<br />
Beilschlägen entsprechen. Mit der Dosis steigt die Zahl der<br />
erzeugten Energiepakete pro Einheit Gewebemasse an, wie<br />
obern besprochen, <strong>und</strong> dementsprechend steigt die Zahl der<br />
von diesen bewirkten DNS-Veränderungen, welche im obigen<br />
Beispiel der Zahl der Kerben mit einer bestimmten Tiefe<br />
entsprechen. Welche DNS-Abschnitte von Energiepaketen<br />
direkt <strong>und</strong> indirekt getroffen werden, ist weitgehend zufällig.<br />
Wenn allerdings die Dosis soweit ansteigt, dass zahlreiche<br />
Energiepakete sich überschneiden <strong>und</strong> so gemeinsam auf<br />
einen DNS-Abschnitt stoßen, werden zunehmend schließlich<br />
alle DNS-Abschnitte nicht nur einmal getroffen. Der daraus<br />
resultierende lokale Zusammenbruch macht das Ausmaß<br />
des Gesamtschadens größer als die Summe der Einzelschäden.<br />
Es ist somit offensichtlich, dass unterhalb einer bestimmten<br />
Dosis für eine bestimmte Strahlenart die Zahl der DNS-<br />
Schäden linear mit der Dosis ansteigt, <strong>und</strong> bei steigender<br />
Dosis, je nach Strahlenart Effektüberschneidungen auftreten,<br />
was sich durch einen Übergang in eine exponentiell<br />
steigende Effektkurve ausdrückt. Diese Art von Dosis-Wirkungskurve<br />
folgt dann zunächst der Funktion E = �D x �D 2 ,<br />
wobei E der Effekt <strong>und</strong> D Dosis ist, <strong>und</strong> � <strong>und</strong> � sind die für<br />
niedrige wie höhere Dosen gemessenen Proportionalitäts-<br />
48
konstanten. Bei weiter ansteigender Dosis beginnt der Effekt<br />
zunehmend abzunehmen, weil die involvierten Zellen absterben<br />
<strong>und</strong> den Effekt nicht mehr zeigen können, wie dies<br />
in Abb. 2.12 zu sehen ist.<br />
Es ist unbestritten, dass die Wahrscheinlichkeit, dass eine Zelle<br />
mit einer Latenzzeit von vielen Jahren eine Krebserkrankung<br />
auslöst, von der Schädigung ihrer DNS abhängt. Diese<br />
Erkenntnis <strong>und</strong> die auch experimentell bestätigte Proportionalität<br />
zwischen DNS-Schäden <strong>und</strong> der Dosis unterhalb eines bestimmten<br />
Wertes stellen die Gr<strong>und</strong>lage der Annahme, dass<br />
die Häufigkeit von Krebserkrankungen linear mit der Dosis<br />
bis zu einem bestimmten Wert ansteigt. Da die DNS-Schäden,<br />
die für eine Krebserkrankung wesentlich sind, durch Strahlen<br />
verursachte, zufällig treffende Energiepakete entstehen,<br />
bezeichnet man die durch ionisierende Strahlen bedingten<br />
Krebserkrankungen auch als stochastische Spätschäden.<br />
Wie schon im vorigen Abschnitt <strong>und</strong> unten des weiterten<br />
dargelegt ist, wird bei der Annahme der linearen Beziehung<br />
zwischen absorbierter Dosis <strong>und</strong> Krebshäufigkeit in einer<br />
exponierten Population allerdings oft übersehen, dass gerade<br />
im kleinen Dosisbereich auch solche Zell- <strong>und</strong> Gewebereaktionen<br />
auftreten, die als Antworten im Kontext des gesamten<br />
biologischen Systems auf Störungen der Homöostase<br />
zu verstehen sind. Wie bereits besprochen, wird durch<br />
den Versuch des biologischen Systems zur Wiederherstellung<br />
der Homöostase, die Weitergabe von Schäden aufsteigend<br />
zu höheren Organisationsebenen erschwert oder ganz<br />
unterb<strong>und</strong>en. Darüber hinaus tendieren diese Reaktionen<br />
vor allem bei kleinen Dosen zur Auslösung von den bereits<br />
erwähnten adaptiven Veränderungen in dem Sinne, dass<br />
das betroffene biologische System für eine bestimmte Zeit<br />
vor erneuter Attacke ähnlich wirkender toxischer Substanzen,<br />
wie z. B der im Stoffwechsel ständig gebildeten ROS,<br />
geschützt wird.<br />
Die stochastische Dosis-Effekt-Kurve in Abb. 2.12 beginnt<br />
hier konventionell mit einem linearen Ansatz (�D) <strong>und</strong> das<br />
Fragezeichen soll die in den letzten Jahren bekannt gewordene<br />
Unsicherheit im kleinen Dosisbereich betonen, worauf<br />
später noch einmal verwiesen wird. Der spätere Kurvenverlauf<br />
folgt der Gleichung �D + �D 2 .<br />
49
50<br />
E (W)<br />
Abb. 2.12<br />
Dosis-Effekt Kurven bei niedrig-LET Strahlung<br />
Stochastische Effekte Deterministische Effekte<br />
(Späte E.) (Meist akute E.)<br />
�D + �D 2<br />
?<br />
�D<br />
E (S)<br />
Schwelle<br />
D D<br />
Niedrige Dosis Region: < 200 mGy<br />
Deterministische Strahlenwirkungen<br />
Unter deterministischen Strahlenwirkungen versteht man<br />
solche Effekte, deren Schweregrad mit der Dosis, d. h. der<br />
einwirkenden Kraft, ansteigt. Um beim obigen Beispiel der<br />
Beilschläge auf Holzstämme zu bleiben, wird die Tiefe einer<br />
Kerbe im Holzstamm von der Kraft des Beilschlages bestimmt.<br />
Bei sehr geringem Beilschlag kommt es je nach Härte<br />
des Holzes nicht zur Kerbe. Und jenseits einer bestimmten<br />
starken Wucht des Beilschlages wird der Holzstamm<br />
stets voll zertrennt <strong>und</strong> zwar dann unabhängig von der<br />
Wucht des Beilschlages. Wenn dieses Beispiel auf Strahlenexposition<br />
übertragen wird, entspricht eine Dosis bestimmter<br />
Strahlenart mit ihren Energiepaketen einer Summe<br />
von Beilschlägen für dieselbe Kerbe. Wenn die Summe der<br />
primären biologischen Schäden einen gewissen Wert überschreitet,<br />
wird eine bestimmte Zahl von Zellen entweder innerhalb<br />
kurzer Zeit in ihren Funktionen wesentlich verändert<br />
oder stirbt, so dass z. B. die Gewebefunktion nicht mehr voll<br />
aufrecht erhalten werden kann. Um einen solchen Systemschaden<br />
zu machen, muss die absorbierte Dosis einen Mindestwert<br />
übersteigen. Mit einer Maximaldosis wird auch das<br />
Maximum eines definierten Schadens erreicht, z. B. alle Zel-
len inaktiviert oder getötet, <strong>und</strong> bei einer weiteren Dosiserhöhung<br />
bleibt es beim Plateau des maximalen Schadens.<br />
Deterministische Schäden können sich als akute Strahlenkrankheit<br />
oder mit einer Latenzzeit von Jahren in verschiedenen<br />
Geweben, wie Haut, Lunge, Bindegewebe als chronische<br />
Erkrankungen manifestieren.<br />
Den verschiedenen Formen der akuten wie auch chronischen<br />
Strahlenkrankheiten ist gemeinsam, dass sie durch<br />
Ausfall von funktionstragenden Zellen entstehen. Nur dann<br />
kommt es zur klinischen Erkrankung, wenn die Zahl der ausfallenden<br />
Zellen mit organspezifischen Funktionen einen für<br />
ein Organ bestimmten Wert überschreitet. Wie später weiter<br />
ausgeführt, wird der natürliche Verlust von Zellen mit organtragenden<br />
Funktionen durch Zellnachschub über Zellvermehrung<br />
<strong>und</strong> -reifung kompensiert. Hierbei ist die Integrität<br />
der Stammzellen als Vorläuferzellen für die Aufrechterhaltung<br />
der Zellerneuerung wesentlich. Knochenmark-Stammzellen<br />
sind generell besonders strahlenempfindlich, wie<br />
auch Abb. 2.6 zeigt. Die Schwere einer Strahlenkrankheit<br />
geht einher mit der Höhe des Verlustes an Stammzellen. Da<br />
die Zeit vom Stammzellenstadium über die Zellvermehrung<br />
<strong>und</strong> Zellreifung zur Ausbildung von Funktionszellen mehrere<br />
Tage in Anspruch nimmt, treten die Folgen von strahleninduziertem<br />
kritischen Verlust zum Beispiel von blutbildenden<br />
Stammzellen mit Verzögerung von etwa 6 Tagen auf; es<br />
kommt zu einem zunehmenden Mangel an reifen weißen<br />
Blutzellen <strong>und</strong> Blutplättchen, neben einem schon früher erkennbaren<br />
abrupten Abfall der im Blut zirkulierenden Lymphozyten,<br />
die ähnlich den Stammzellen relativ strahlenempfindlich<br />
sind. Infektbereitschaft <strong>und</strong> Blutungen des betroffenen<br />
Organismus sind nach Tagen auftretende herausragende<br />
klinische Symptome.<br />
So zeigen Dosis-Effekt Beziehungen für akute <strong>und</strong> chroni-<br />
sche Strahlenkrankheiten als deterministische Strahleneffek-<br />
te in Abb. 2.12 einen Dosis Schwellenwert für das Auftreten<br />
des jeweiligen Effektes. Mit steigender Dosis nimmt das<br />
Ausmaß der Erkrankung zu, bis das Krankheitsbild maximal<br />
ausgeprägt ist, d. h. die deterministische Kurve in Abb. 2.12<br />
zeigt einen so genannten sigmoiden Verlauf, der zum Plateau<br />
des maximalen Effektes führt.<br />
51
Genetische Strahlenwirkungen<br />
Die bisher angeführten Strahleneffekte werden generell als<br />
„somatische“ Strahlenwirkungen bezeichnet, da sie biologische<br />
Systeme als Ganz- oder Teilkörper betreffen. Hiervon<br />
getrennt sollen diejenigen Effekte gesehen werden, die man<br />
allgemein als „genetische“ Strahlenwirkungen kennt. Diese<br />
entstehen durch Bestrahlung von Keimgewebe, wie Hoden, in<br />
denen Samenzellen gebildet werden, <strong>und</strong> Eierstöcke, in denen<br />
Eizellen seit Geburt angelegt sind. Genetische Strahlenschäden<br />
können über mehrere Generationen vererbet werden <strong>und</strong> beruhen<br />
auf strahleninduzierten DNS-Schäden in den Keimzellen.<br />
Genetische Schäden mit den von ihnen hergeleiteten Mutationen<br />
äußern sich generell als körperliche Veränderungen in<br />
der Nachkommenschaft von Individuen, deren Keimgewebe<br />
einer gewissen Dosis ausgesetzt worden sind. Die Variabilität<br />
von strahleninduzierten Mutationen kann um den Faktor<br />
35 schwanken, so dass man generell eher von einer durchschnittlichen<br />
Mutationsrate spricht. Von Tierexperimenten wird<br />
abgeleitet, dass die Dosis, nach der sich die spontane Mutationsrate<br />
verdoppelt, – sie wird als Verdopplungsdosis bezeichnet,<br />
– etwa bei 1 Gy liegen dürfte. Bei Menschen sind genetische<br />
Strahleneffekte in diesem Bereich bisher kaum erkennbar<br />
geworden <strong>und</strong> daher für Risikoanalysen nicht auswertbar.<br />
Von den genetischen Schäden sind solche Schäden zu unterscheiden,<br />
die als Konsequenz von Bestrahlungen von Individuen<br />
in embryonaler oder fötaler Entwicklung auftreten, wie später<br />
besprochen wird.<br />
Faktorenabhängigkeit der Strahlenwirkungen<br />
Die unterschiedlichen Strahlenwirkungen sind je nach ihrer<br />
Art von einer Reihe von Faktoren abhängig, die im wesentlichen<br />
oben besprochen <strong>und</strong> Abb. 2.13 zusammengefasst<br />
sind.<br />
52
Abb. 2.13<br />
Zell-Type<br />
Milieu<br />
Strahlenempfindl.<br />
Strahlenart<br />
Strahlenwirkung<br />
Dosis<br />
in der Zeit<br />
2.3 Akute Strahlenschäden<br />
Zellerneuerungssysteme<br />
Dosis<br />
Dosis<br />
im Raum<br />
Akute Strahlenschäden treten klinisch je nach Dosis <strong>und</strong> ihrer<br />
räumlichen <strong>und</strong> zeitlichen Verteilung in sehr unterschiedlicher<br />
Weise auf. Der Gr<strong>und</strong> hierfür liegt in der breit gefächerten<br />
Strahlenempfindlichkeit einer Reihe von Zellerneuerungssystemen<br />
mit ihren jeweiligen Stammzellen. Insbesondere sind<br />
hier wichtig das blutbildende System im roten Knochenmark,<br />
das Schleimhautsystem des gesamten Verdauungstraktes,<br />
<strong>und</strong> die äußere Haut. Eine weitere wesentliche Rolle spielen<br />
die Lymphknoten, in denen die meisten Lymphozyten für das<br />
zirkulierende Blut <strong>und</strong> die Gewebe des Körpers gebildet werden.<br />
Den genannten Zellerneuerungssystemen ist gemeinsam,<br />
dass ein relativ hoher täglicher Verlust von Funktionszellen<br />
durch Zellvermehrung <strong>und</strong> -reifung von Vorläuferzellen wett ge-<br />
macht werden muss, um das Gleichgewicht zwischen Zellverlust<br />
<strong>und</strong> Zellerneuerung aufrecht zu halten. Im Durchschnitt werden<br />
im erwachsenen menschlichen Körper täglich etwa 550 g<br />
Zellen verloren, die ersetzt werden müssen. Davon sind etwa<br />
490 g Zellen, die im Blut zirkulieren. Die für den Zellnachschub<br />
erforderlichen jeweiligen Vorläuferzellen werden nach<br />
Bedarf aus dem Reservoir von Stammzellen geliefert, wobei die<br />
Teilung der Stammzellen je eine Vorläuferzelle <strong>und</strong> eine neue<br />
53
Stammzelle bringt. Die verschiedenen Zellerneuerungssysteme<br />
gehorchen speziellen Signalsubstanzen, welche die<br />
Homöostase im System sehr genau regulieren. Die Abb. 2.14<br />
zeigt das Schema von Zellerneuerungssystemen.<br />
54<br />
Schema System der Zellerneuerung<br />
Stammzelle Zellvermehrung -reifung Funktionszellen<br />
�<br />
�<br />
�<br />
�<br />
�<br />
�<br />
�<br />
�<br />
�<br />
�<br />
�<br />
�<br />
�<br />
�<br />
�<br />
�<br />
�<br />
�<br />
� �<br />
Strahlensensibel Strahlenresistent<br />
Abb. 2.14<br />
Für die Entwicklung von Strahlenkrankheiten ist die immer relativ<br />
hohe Strahlenempfindlichkeit der für ein Gewebe jeweils<br />
zuständigen Stammzellen ausschlaggebend. Die Blut bildenden<br />
Stammzellen sind ähnlich strahlenempfindlich wie die<br />
Lymphozyten, die Stammzellen der Haut <strong>und</strong> die der Schleimhäute<br />
des Verdauungstraktes sind strahlenresistenter. Bei<br />
anderen Geweben, wie zum Beispiel bei Bindegewebe, Gehirn,<br />
Lunge, Niere <strong>und</strong> Leber, ist der Zellumsatz außerordentlich<br />
oder wesentlich geringer, wodurch deren Strahlenempfindlichkeit<br />
vorwiegend durch die Funktionszellen bestimmt<br />
wird. Es ist somit erklärlich, dass unterschiedliche Ganzkörperdosen<br />
unterschiedliche klinische Symptome auslösen.<br />
Akute Strahlenkrankheiten nach einmaliger Ganzkörperexposition<br />
Die Symptome der verschiedenen Formen der akuten Strahlenkrankheit<br />
sind in Abb. 2.15 schematisch zusammengefasst,<br />
<strong>und</strong> zwar als Folge einer akuten, d.h. kurz dauernden,<br />
Strahlenexposition des Ganzkörpers mit unterschiedlichen<br />
�<br />
�<br />
�<br />
�<br />
�<br />
�<br />
�<br />
�<br />
�<br />
�<br />
�<br />
�
Dosen in Sv. Die Ordinate (Y-Achse) zeigt die Dosen, bei<br />
der die Krankheiten auftreten, <strong>und</strong> die Zeit ihrer maximalen<br />
Entwicklung zeigt die Abszisse (X-Achse) in St<strong>und</strong>en <strong>und</strong><br />
Wochen. Die akuten Strahlenkrankheiten erscheinen in drei<br />
wesentlichen klinischen Syndromen. Für die hier nicht näher<br />
aufgeführten späten stochastischen wie deterministischen<br />
Schäden erstreckt sich die Zeitachse auf Jahre. Die eingezeichnete<br />
Kurve verdeutlicht in ihren Abschnitten die drei<br />
akuten klinischen Syndrome: das Knochenmark-, oder Hämatologische<br />
Syndrom; das Magen-Darm-Trakt-, oder gastrointestinale<br />
Syndrom; <strong>und</strong> das Syndrom des zentralen Nervensystems,<br />
welches nach sehr hohen Dosen rasch als Folge<br />
des akuten Schadens der funktionstragenden Nervenzellen<br />
des Hirns auftritt. Die klinischen Symptome der drei akuten<br />
Strahlenkrankheiten sind jeweils unter der Syndrom-<br />
Bezeichnung in der Abb. Kurz skizziert. Der zeitliche Unter-<br />
Strahlenkrankheiten, abhängig von Dosis <strong>und</strong> Zeit<br />
Zeit nach Ganzkörperbestrahlung<br />
Cottier H et al., 1994, nach Cronkite<br />
Abb. 2.15<br />
schied zwischen dem Auftreten des hämatologischen Syndroms<br />
<strong>und</strong> des gastrointestinalen Syndroms wird weitgehend<br />
durch die Zeiten bestimmt, welche die Produktion von Funktionszellen<br />
nach Stammzellenteilung braucht.<br />
55
Unabhängig von diesen Syndromen können Strahleneffekte<br />
auch bei kleineren Dosen sozusagen klinisch subjektiv unauffällig<br />
bereits früh nach der Exposition durch die Zahl der<br />
im peripheren Blut zirkulierenden Lymphozyten erkannt werden.<br />
Wie bereits besprochen, besitzen Lymphozyten eine<br />
ähnlich hohe Strahlenempfindlichkeit wie blutbildende<br />
Stammzellen. So zeigen sich nach Ganzkörperexpositionen<br />
im Bereich von 0.2 bis 0.3 Sv bereits Blutbildveränderungen,<br />
<strong>und</strong> zwar sinkt zunächst die Zahl der Lymphozyten. Dementsprechend<br />
kann die Prognose eines Frühschadens mit dem<br />
Absinken der Lymphozytenzahl unter den Normalwert annähernd<br />
bestimmt werden.<br />
Die folgende Übersicht summiert ausführlicher die bei<br />
verschiedenen Dosen auftretenden klinischen Bef<strong>und</strong>e <strong>und</strong><br />
Symptome nach akuter Ganzkörperbestrahlung analog zur<br />
Abb. 2.15:<br />
SCHWELLEN- ERSTE KLINISCH FASSBARE STRAHLEN-<br />
DOSIS EFFEKTE (0.2-0.3 Sv)<br />
0.25 Sv Abfall der Blut zirkulierenden Lymphozyten<br />
innerhalb von 1–2 Tagen.<br />
SUBLETALE VORÜBERGEHENDE STRAHLENKRANK-<br />
DOSIS HEIT (0.75-1.5 Sv + )<br />
1 Sv Unwohlsein (Strahlenkater) am ersten Tag<br />
möglich. Absinken der Lymphozytenzahl im<br />
Verlauf von zwei Tagen auf Werte deutlich<br />
unter 1500/mm 3 . Nach einer Latenzzeit von<br />
zwei bis drei Wochen treten Haarausfall,<br />
w<strong>und</strong>er Rachen, Appetitmangel, Diarrhöe,<br />
Unwohlsein, Mattigkeit, stecknadelkopfgroße<br />
purpurfarbene Hautflecken (Petechien)<br />
auf. Bei Männern vorübergehendes<br />
Absinken der Spermienproduktion. Meist<br />
baldige Erholung.<br />
MITTELLETALE SCHWERE STRAHLENKRANKHEIT<br />
DOSIS (3-6 Sv + )<br />
4 Sv Übelkeit <strong>und</strong> Erbrechen am ersten Tag.<br />
Absinken der Lymphozytenzahl bei Dosen<br />
um ca. 3 Sv auf Werte unter 1000/mm 3, <strong>und</strong><br />
56
ei Dosen über 5 Sv fast vollkommenes<br />
Verschwinden aus der Blutbahn. Bei Granulozyten<br />
zunächst steiler Anstieg, dann<br />
steiler Abfall <strong>und</strong> nach erneutem abortiven<br />
kurzen Anstieg ab zweiter Woche wieder<br />
Abfall der Werte auf weniger als 2000/mm 3 .<br />
Hauptursache für große Infektionsneigung.<br />
- Nach 10 bis 14 Tagen zeigen sich Haarausfall,<br />
Appetitmangel, allgemeines Unwohlsein,<br />
Diarrhöe, schwere Entzündungen<br />
im M<strong>und</strong>- <strong>und</strong> Rachenraum, innere<br />
Blutungen (Hämorraghien), Fieber, Petechien,<br />
Purpura (größere purpurfarbene Hautflecken).<br />
Bei Männern je nach Dosis vorübergehende<br />
bis lebenslange Sterilität, bei<br />
Frauen Zyklusstörungen. Bei fehlenden The-<br />
rapiemaßnahmen ist bei Dosen über 5 Sv<br />
mit etwa 50 % Todesfällen zu rechnen. Bei<br />
spontaner Regeneration Wiederanstieg der<br />
Granulozyten etwa Ende der 4. Woche.<br />
LETALE TÖDLICHE STRAHLENKRANKHEIT<br />
DOSIS (6-10 Sv + )<br />
7 Sv Übelkeit <strong>und</strong> Erbrechen nach 1-2 St<strong>und</strong>en.<br />
Nach drei bis vier Tagen: Diarrhöe, Erbrechen,<br />
Entzündungen in M<strong>und</strong> <strong>und</strong> Rachen<br />
sowie im Magen-Darmtrakt mit Blutungen<br />
(Hämorraghie), Fieber, schneller Kräfteverfall.<br />
Bei fehlender Therapie Mortalität fast<br />
100 %.- Bei Dosen über 15 Gy innerhalb<br />
einer Woche zunehmend schnell Koma<br />
<strong>und</strong> Tod.<br />
Bei Dosen von über 20 Sv treten zunehmend die Symptome<br />
des Zusammenbruches des zentralen Nervensystems auf.<br />
Je nach Schweregrad kommt es z. B. bei Dosen von etwa<br />
100 Sv innerhalb von St<strong>und</strong>en bis zu wenigen Tagen zu Verwirrungszuständen,<br />
Krämpfe, Bewusstlosigkeit immer mit tödlichem<br />
Ausgang.<br />
Die Überwindung einer akuten Strahlenkrankheit ist von der<br />
Erholung der betroffenen Zellerneuerungssysteme abhängig<br />
57
<strong>und</strong> wird von der Zahl der überlebenden <strong>und</strong> funktionstüchtigen<br />
Stammzellen bestimmt. Zum Versagen des Systems<br />
kommt es erst beim Zusammenbruch der Zellerneuerung<br />
hauptsächlich durch Insuffizienz im Reservoir der Stammzellen.<br />
Daher gehört zur Therapie der schweren akuten Strahlenkrankheit<br />
auch der Versuch der Transplantation von<br />
Stammzellen des blutbildenden Systems. Wenn erfolgreich,<br />
gleichen die transplantierten Stammzellen Zellverluste wieder<br />
aus <strong>und</strong> sind in der Lage, die Infektionsabwehr zu stärken,<br />
Blutungsneigung zu verringern, <strong>und</strong> die Erholung von Schäden<br />
im Magendarmtrakt zu fördern.<br />
Strahlenschäden der Haut, verstärkende Schäden<br />
Die oben aufgeführten klinischen Bef<strong>und</strong>e <strong>und</strong> subjektiven<br />
Beschwerden können sich erheblich ändern, wenn noch andere<br />
ges<strong>und</strong>heitliche Sek<strong>und</strong>ärschäden zusätzlich verstärkend,<br />
d.h. synergistisch, auftreten, wie Weichteilverletzungen,<br />
Verbrennungen <strong>und</strong> Infektionen.<br />
Zudem entstehen je nach der Expositionsweise zum Beispiel<br />
anlässlich eines Unfalls <strong>und</strong> auch je nach Strahlenart<br />
sowohl akute wie chronische Hautverletzungen mit erheblicher<br />
Infektionsgefahr. Ausmaß <strong>und</strong> Entstehungszeit geben<br />
Auskunft über die erhaltene Dosis im Gewebereich der Verletzung.<br />
So tritt nach etwa 2 Gy akuter Röntgenbestrahlung<br />
innerhalb von 2 bis 24 St<strong>und</strong>en eine vorübergehende Hautrötung<br />
auf, die auch frühes Erythem genannt wird. Eine stär-<br />
kere, massive Rötung erscheint bei 6 Gy nach einer Zeit von<br />
etwa 10 Tagen. Temporären Haarausfall sieht man bei 3 Gy<br />
im Verlauf von etwa 3 Wochen. In derselben Zeit verursachen<br />
7 Gy permanenten Haarausfall. Schlecht heilende<br />
Geschwüre erleidet die Haut etwa 2 Monate nach akuter<br />
Bestrahlung mit etwa 20 Gy; diese können bis zu mehreren<br />
Jahren anhalten <strong>und</strong> zu Hautkrebs entarten.<br />
Strahlenschäden der Keimdüsen<br />
In diesem Zusammenhang sind auch die strahleninduzierten<br />
akuten Schäden in Keimdrüsen zu erwähnen. Untersuchungen<br />
an Menschen ergaben eine vorübergehende männliche Sterilität<br />
bereits nach einer akuten Dosis von 0.15 Gy; nach 2 Gy eine<br />
58
mehrere Jahre dauernde Sterilität, <strong>und</strong> permanente Sterilität<br />
nach 6-8 Gy. Weibliche Eizellen sind extrem strahlenempfindlich<br />
hinsichtlich Zelltod. Etwa 60–70 % von ihnen gehen bereits<br />
nach einer akuten Dosis von 0.12 Gy zugr<strong>und</strong>e. Einmal induzierte<br />
Sterilität bleibt lebenslang bestehen, da Eizellen sich nach<br />
ihrer Entstehung vor der Geburt nicht mehr teilen. Nicht abgestorbene<br />
Eizellen zeigen eine relativ hohe Reparaturfähigkeit.<br />
Strahlenschäden des ungeborenen Lebens<br />
Die aufgezeigten Verhältnisse verdeutlichen, dass Gewebe mit<br />
hoher Zellteilungsaktivität generell strahlenempfindlicher sind<br />
als Gewebe, in denen die Zellerneuerung sehr langsam ist.<br />
So ist erwartungsgemäß das ungeborene Leben im Mutterleib<br />
durch ionisierende Strahlen besonders gefährdet.<br />
Dabei bilden die ersten Entwicklungsmonate, in denen im gesamten<br />
Embryo rasch aufeinander folgende Zellteilungen ablaufen,<br />
das empfindlichste Stadium. Hier können schon relativ<br />
niedrige akute Dosen, wie bei Stammzellen, Zelltod verursachen,<br />
<strong>und</strong> in überlebenden Zellen solche DNS-Schäden induzieren,<br />
die Mutationen bringen <strong>und</strong> zu Missbildungen, d.h. teratogenen<br />
Schäden, führen. Vor allem werden während der<br />
Zeit embryonaler Anlage von Organen durch DNS-Schäden<br />
anhaltende Störungen von Zellfunktionen eingeleitet, die je<br />
nach Dosis während der Schwangerschaft schwerwiegende<br />
Organstörungen mit Missbildungen, vor allem am zentralen<br />
Nervensystem nach sich ziehen können.<br />
Die folgende Übersicht gibt die akuten Minimaldosen an, bei<br />
denen Effekte im Embryo <strong>und</strong> Föten beobachtet worden sind:<br />
TIEREXPERIMENTE:<br />
Verlust von Oozyten (Primaten) 50 % Letaldosis bei 0.5 Gy<br />
Schäden des zentralen Nerven-<br />
systems (Maus) Schwellendosis bei 0.1 Gy<br />
Hirnschaden <strong>und</strong> Verhaltens-<br />
störungen (Ratte) Schwellendosis bei 0.06 Gy<br />
BEOBACHTUNGEN AN MENSCHEN:<br />
Kleiner Kopfumfang mit<br />
geistiger Retardierung Schwellendosis bei 0.06 Gy<br />
59
Man kann zusammenfassend feststellen, dass messbare<br />
Schäden am ungeborenen Leben bei akuten Dosen unter<br />
0.1 Gy auftreten können, wenn diese Dosen in der besonders<br />
strahlenempfindlichen Phase der kindlichen Entwicklung einwirken.<br />
Die Abb. 16 fasst einige Ergebnisse zusammen, die<br />
bis auf Beobachtungen geistiger Retardierung bei Menschen<br />
von Tierexperimenten stammen, bei denen relativ hohe Dosen<br />
gebraucht wurden. Beim Menschen ist die für die Hirnentwicklung<br />
sensibelste Phase zwischen der 8. <strong>und</strong> 15.<br />
Schwangerschaftswoche.<br />
Abb. 2.16<br />
Die Wahrscheinlichkeit fötalen Todes nach akuter Bestrahlung<br />
nimmt von der Implantationsphase bis zur etwa 5. Woche<br />
rasch ab. Danach treten Missbildungen häufiger auf. Im<br />
letzten Drittel der Schwangerschaft nimmt die Resistenz auch<br />
gegen Missbildungen stark zu. In dieser Phase dürften akute<br />
Dosen oberhalb von etwa 0.1 Gy das Risiko kindlicher<br />
Krebserkrankungen erhöhen. Was die verringerte Schädelgröße,<br />
häufig in Kombination mit geistiger Behinderung, betrifft,<br />
wird zwar, wie oben angegeben, eine Schwellendosis<br />
von etwa 0.06 Gy angegeben, aber die Wahrscheinlichkeit einer<br />
solchen Fehlbildung lag in Hiroshima <strong>und</strong> Nagasaki bei<br />
etwa 2–3 % der Exponierten mit fraglicher statistischer Signifikanz.<br />
Erst nach etwa 0.25 Gy begann dieses Risiko mit der<br />
Dosis praktisch linear anzusteigen. In Hiroshima <strong>und</strong> Nagasa-<br />
60<br />
Tierstudien<br />
Atom-<br />
Bomben<br />
Überlebende<br />
Japan<br />
Hall E., 2000<br />
0 1 2 4 6 8 10 15 20 25 40<br />
Präimplan-<br />
Organanlagen Fötale Periode<br />
tation<br />
Pränataler<br />
Tod<br />
Mißbildungen<br />
Neotal er Tod<br />
Wachstum �<br />
Permanente<br />
Wachstumshemmung<br />
Geistige<br />
Retardierung<br />
Risiko<br />
hoch<br />
0 1 2 4 6 8 10 15 20 25 40<br />
Schwangerschaft in Wochen<br />
Geistige<br />
Retardierung<br />
Risiko<br />
4 x kleiner
ki waren etwa 50 % derjenigen Kinder geschädigt, die im<br />
Mutterleib einer mittleren Dosis von 1 bis 1,5 Gy ausgesetzt<br />
waren. Sorgfältige Dosiserhebungen sind bei etwaigen Unfällen<br />
schwangerer Frauen unerlässlich, um gegebenenfalls therapeutische<br />
Entscheidungen treffen zu können.<br />
2.4. Späte Strahlenschäden<br />
Bei späten Strahlenschäden nach akuter wie chronischer oder<br />
fraktionierter Exposition kann es sich um deterministische wie<br />
stochastische Schäden handeln. Auch hier müssen Erbanlagen,<br />
Alter des Individuums, <strong>und</strong> Lebensweise sowie Umwelteinflüsse<br />
berücksichtigt werden.<br />
Deterministische Spätschäden<br />
- Effekte durch chronische Strahlenexposition mit<br />
niedriger Dosisrate<br />
Die oben für bestimmte Dosisbereiche genannten Symptome<br />
akuter Strahlenkrankheit gelten für Ganzkörperexpositionen innerhalb<br />
von Sek<strong>und</strong>en bis wenigen Minuten, d. h. bei hoher<br />
Dosisleistung. Nimmt die Dosisleistung ab, so vermindert sich<br />
die Strahlenwirkung auf den Gesamtorganismus. Im allgemeinen<br />
reduziert sich die Wirkung einer bestimmten Strahlendosis<br />
mit wachsendem Zeitraum, in welchem der Körper dieser Dosis<br />
ausgesetzt ist. So wurde bereits erklärt, dass mit fallender<br />
Dosisrate der Zeitraum zwischen zwei aufeinander folgenden<br />
Strahleneinfangereignissen mit ihren Energiepaketen in einem<br />
definierten Gewebevolumen sich soweit vergrößern kann,<br />
dass Reparaturmechanismen auf einzelne Treffer optimal ablaufen<br />
können. Eine ähnliche Situation entsteht bei mehrmaliger<br />
Exposition mit kleinen Einzeldosen in entsprechend längeren<br />
zeitlichen Abständen, oder bei Teilkörperbestrahlung,<br />
bei der im Gesamtorganismus Reserven für Reparaturfähigkeit<br />
vor allem über im Blut zirkulierende Stammzellen erhalten<br />
bleiben.<br />
Eine bei kurzzeitiger Ganzkörperexposition tödlich wirkende<br />
Dosis lässt sich experimentell so weit strecken, dass sie auf<br />
Gr<strong>und</strong> der Reparatureffizienz des Körpers klinisch zunächst wirkungslos<br />
bleibt. Schließlich führt Dosisakkumulation jedoch über<br />
Akkumulation von DNS-Schäden vor allem in den Stammzellen<br />
für die Blutbildung zum relativ abrupten Zusammenbruch nicht<br />
61
selten mit Todesfolge. Auch ist zu berücksichtigen, dass während<br />
der Expositionszeit sich die Wirkung der dem Körper zur Verfügung<br />
stehenden Abwehr- <strong>und</strong> Reparaturmechanismen zur Erhaltung<br />
der Population funktionstüchtiger Zellen optimiert, solange<br />
Stammzellen differenzierende Zellen nachliefern können. Der klinische<br />
Verlauf <strong>und</strong> Ausgang solch spät auftretender Erkrankungen<br />
zeigt die Erschöpfung des Stammzellenreservoirs mit Insuffizienz<br />
der Bildung zirkulierender Blutzellen <strong>und</strong> geht gewöhnlich<br />
einher mit Infektionen <strong>und</strong> Blutungen.<br />
Andererseits liegen verschiedene Beobachtungen vor, dass<br />
kleine Dosisraten mit �-Strahlen im Bereich von 1 mGy pro<br />
St<strong>und</strong>e bei Mäusen die Immunabwehr stimulieren <strong>und</strong> dadurch<br />
auch therapeutisch wirksam sein können. Auch genetische<br />
Mutationsraten wurden bei kleinen Dosisraten in ähnlicher<br />
Größenordnung untersucht, <strong>und</strong> es ergab sich eine<br />
von der Dosisrate abhängige Minimierung der Mutationen<br />
unterhalb des Kontrollwertes. Diese Berichte deuten auf die<br />
Fähigkeit von Anpassungsreaktionen von Organismen auf<br />
kleine Dosen <strong>und</strong> zwar abhängig von der Dosisrate.<br />
- Somatische Spätschäden nach Strahlenexposition mit<br />
hoher Dosis oder Dosisrate<br />
Auch die relativ strahlenresistenten Gewebe <strong>und</strong> Organe des<br />
Körpers können nach akuter Einwirkung hoher Dosen <strong>und</strong> nach<br />
chronischer Exposition mit hohen Dosisraten im Verlaufe von<br />
Jahren klinisch deutliche Funktionsstörungen mit entsprechenden<br />
anatomischen Organveränderungen entwickeln. Bei diesen<br />
Krankheitsbildern sind die Symptome wiederum Folge von akkumulierten<br />
Zellschäden, <strong>und</strong> häufig von solchen Schäden, die<br />
sich in den entsprechenden Vorläuferzellen der betroffenen<br />
Gewebe <strong>und</strong> Organe angehäuft haben. So ist verständlich, dass<br />
eine Mindest- oder Schwellendosis zur Ausbildung solcher<br />
Schäden erforderlich ist. Die niedrigste Schwellendosis für deterministische<br />
Spätschäden betrug, wie sie bisher von den Erhebungen<br />
bei den Überlebenden der Atombomben in Japan erkennbar<br />
waren, etwa 0.5 Gy.<br />
Bei deterministischen Spätschäden können Herz- Kreislaufstrukturen,<br />
insbesondere Blutgefässe, Lungengewebe, Augenlinse,<br />
<strong>und</strong>, wie oben bereits genannt, auch Haut <strong>und</strong> Schleimhäute<br />
betroffen sein. Die für die Ausbildung einiger solcher<br />
Schäden erforderlichen Dosen sind relativ hoch <strong>und</strong> kommen<br />
62
praktisch nur bei Teilkörperbestrahlung als auslösende Ursache<br />
in Frage. So sind zur Entwicklung einer chronischen Hautentzündung<br />
(Dermatitis) mit trockener, atrophischer, haarloser Haut<br />
mit kleinen Blutgefäßerweiterungen <strong>und</strong> Pigmentierungen Dosen<br />
von 10 Gy <strong>und</strong> mehr nötig. Für die Ausbildung einer Augenlinsentrübung<br />
ist eine akute Exposition von 2 Gy erforderlich<br />
<strong>und</strong> bei Langzeitexposition braucht es dazu etwa 15 Gy. Auch<br />
die Lungen sind relativ zu einigen anderen Organen für deterministische<br />
Spätschäden strahlenempfindlich, so dass eine<br />
Strahlen-Pneumonie schon 2-6 Monate nach etwa 17-18 Gy<br />
auftreten kann <strong>und</strong> bei noch höheren Dosen eine irreversible<br />
Gewebeverhärtung durch so genannte Fibrose mit Verzögerungen<br />
von Jahren nach sich zieht. Diese Veränderungen werden<br />
als besondere Gefahren bei Strahlentherapieplanung im Brustbereich<br />
berücksichtigt. Das Ausmaß der Reaktionen hängt ab<br />
vom bestrahlten Gewebevolumen, der Dosis <strong>und</strong> der Art der<br />
fraktionierten Bestrahlung, wobei die letztere Expositionsart für<br />
die Lunge akut schädlicher sein kann als einmalige Dosis. Tabakrauchen<br />
mit Inhalation hat eine besonders starke Förderwirkung<br />
bei der Ausbildung von strahlenbedingten Lungenerkrankungen.<br />
Zu den deterministischen Schäden können auch chronische<br />
Infektionen auf Gr<strong>und</strong> eines kompromittierten Immunsystems<br />
gezählt werden, wobei je nach chronischer Belastung eine<br />
Dosisakkumulation von mehreren Gy schon ausreicht.<br />
Stochastische Spätschäden<br />
- Allgemeine Einleitung, Risikoanalyse<br />
Stochastische Spätschäden sind bösartige Erkrankungen, die<br />
mit einer zeitlichen Verzögerung, oder Latenzzeit, von Jahren<br />
auftreten. Auch heute noch, über 60 Jahre nach der Katastrophe,<br />
werden in der Gruppe der Überlebenden der Atombomben<br />
in Japan mehr Krebsfälle registriert, als in der gewählten Kontrollpopulation<br />
auftreten. Keine andere menschliche Gruppe ist<br />
unter so sorgfältiger <strong>und</strong> langfristiger medizinischer Kontrolle<br />
wie die der Japanischen Atombombenopfer. Diese Daten <strong>und</strong><br />
andere Kollektive, die langfristig nach akuter Bestrahlung klinisch<br />
beobachtet worden sind, zeigen eindeutig, dass Dosen<br />
über etwa 0.2 Gy eine erkennbare Anhebung der Krebshäufigkeit<br />
bei den Exponierten bedingen.<br />
Eine besondere Schwierigkeit der Risikoabschätzung bei stochastischen<br />
Spätschäden, vor allem nach Exposition mit kleinen<br />
63
Dosen, ist die Tatsache, dass die durch ionisierende Strahlen<br />
ausgelösten Krebs- <strong>und</strong> Leukämieerkrankungen, ebenso wie<br />
Erbschäden keine leicht erkennbaren spezifischen Merkmale<br />
als Strahleneffekte aufweisen. Solche Erkrankungen werden<br />
durch viele andere toxische Substanzen ebenfalls verursacht.<br />
Sie treten in großem Umfang „spontan“ auf, ohne dass die<br />
auslösende Ursache klar erkannt wird. Die Krebstodesrate in<br />
Industrieländern liegt bei etwa 25 %, wobei regionale Schwankungen<br />
unabhängig von einer Strahlenexposition registriert<br />
werden. Eine geringfügige Erhöhung dieser Todesrate um<br />
Bruchteile eines Prozents eventuell durch niedrige Dosen, wie<br />
im Bereich der natürlichen Strahlenexposition, ist daher, wenn<br />
überhaupt, nur an sehr großen Personengruppen, d.h. Kollektiven,<br />
nachweisbar, wobei die für eine sichere Aussage notwendige<br />
Größe des Kollektivs von der Höhe der Strahlenexposition<br />
abhängt: Je kleiner die Dosis, um so größer muss das Kollektiv<br />
sein, um einen Zusammenhang mit der Strahlung nachzuweisen.<br />
So kann leicht berechnet werden, dass zum etwaigen Hinweis<br />
auf eine strahlenbedingte Erhöhung der Krebsrate von einer<br />
zusätzlichen jährlichen Exposition mit 1 mGy die langfristige<br />
Beobachtung von 5 bis 10 Millionen so exponierter Menschen<br />
notwendig ist. In der Realität werden Kollektive, die auch nur<br />
annähernd diese Bedingungen erfüllen, wohl niemals zu finden<br />
sein. Aufgr<strong>und</strong> der hohen natürlichen oder spontanen Krebsraten<br />
auf der Welt, besonders in Industrieländern, mit erheblichen regionalen<br />
<strong>und</strong> auch zeitlich statistisch bedingten Schwankungen,<br />
die zum Teil durch individuelle Lebens- <strong>und</strong> Ernährungsweisen<br />
bestimmt werden. können gegenwärtig keine eindeutigen Aussagen<br />
der Epidemiologie gemacht werden, inwieweit kleine Dosen<br />
Krebs verursachen. Bessere Zugänge zur Frage der Krebshäufigkeit<br />
bei kleinen Dosen erlauben Tierexperimente, die Mechanismen<br />
etwaiger Zusammenhänge zwischen ionisierenden<br />
Strahlen, Krebsentwicklung <strong>und</strong> individuellen Umwelt- <strong>und</strong> Lebensbedingungen<br />
generell erklären lassen, aber durchaus nicht<br />
einfach auf menschliche Kollektive übertragen werden können.<br />
Bei der Entwicklung epidemiologischer Methoden, zwischen Dosishöhe<br />
<strong>und</strong> Krebsrate einen Zusammenhang herzustellen, sind<br />
einwandfrei gemessene Daten bei höheren Dosen zur Auswertung<br />
gekommen. Hier stellt das Kollektiv der Überlebenden der<br />
Atombomben in Hiroshima <strong>und</strong> Nagasaki den heute wichtigsten<br />
Ansatz. Aber auch andere Kollektive überexponierter<br />
64
Personen sind meist bei chronischer Exposition vorhanden.<br />
So stellen beispielsweise die Bergarbeiter im sächsischen<br />
Erzbergbau ein solches Kollektiv. Dieser Personenkreis<br />
wurde schon im 16. Jahrh<strong>und</strong>ert dadurch auffällig, dass ungewöhnlich<br />
viele Arbeiter an der so genannten „Schneeberger<br />
Krankheit" litten <strong>und</strong> starben. Diese 1879 als Lungenkrebs erkannte<br />
Krankheit hatte ihre Ursache in der Inhalation hoher<br />
Konzentrationen von Radon <strong>und</strong> seinen Folgeprodukten mit der<br />
Atemluft wegen unzureichender Bewetterung der Stollen, wobei<br />
Lungendosen von 10 bis 100 Sv auftraten.<br />
Für die Abschätzung des Risikos bei kleinen Dosen benutzen<br />
Epidemiologen meist die Methode der Extrapolation von beobachteten<br />
Effekten bei hohen Dosen. Somit wird die bei hoher<br />
Dosis <strong>und</strong> hoher Dosisleistung gef<strong>und</strong>ene mehr oder weniger<br />
lineare Dosisabhängigkeit des Risikos auf den niedrigen<br />
Dosisbereich umgerechnet. Die Rechtfertigung für das Modell<br />
der linearen Dosis-Risiko Beziehung basiert wesentlich<br />
auf der experimentell bestätigten linearen Beziehung zwischen<br />
Dosis <strong>und</strong> der Anzahl der DNS-Schäden <strong>und</strong> der daraus<br />
folgenden Mutationsfrequenzen in exponierten Zellen<br />
<strong>und</strong> Organismen. Lineare Extrapolationen für Krebserkrankungen<br />
unterstellen jedoch, dass ionisierende Strahlen im unteren<br />
Dosisbereich die gleiche Wirkung auf das Gesamtsystem<br />
pro Dosiseinheit haben wie bei hohen Dosen. In der Tat<br />
liegen heute Hinweise darauf vor, dass der Gesamtorganismus<br />
bei hohen Dosen anders reagiert als bei kleinen Dosen.<br />
- Sek<strong>und</strong>äre Faktoren bei der Risikoanalyse<br />
Bei der generellen Entscheidung der meisten Epidemiologen<br />
für das Modell der linearen Dosis-Risiko Beziehung bei<br />
kleinen Dosen, werden auch andere Faktoren in Betracht<br />
gezogen. Sie beziehen sich auf die Tatsache, dass Krebserkrankungen<br />
generell mit dem Alter häufiger auftreten. So<br />
sind zum Beispiel für das zeitliche Auftreten der einem<br />
Strahlenrisiko zugewiesenen Krebserkrankung nach einer<br />
Exposition zwei Modelle entwickelt worden.<br />
Das erste Modell bestimmt das relative Risiko <strong>und</strong> geht davon<br />
aus, dass nach der Exposition das Krebsrisiko um einen<br />
bestimmten Prozentsatz des Spontanrisikos erhöht ist, <strong>und</strong><br />
dass der Faktor der Erhöhung im Laufe des Lebens konstant<br />
bleibt. Nach heutiger Kenntnis entsprechen diesem<br />
65
Modell am besten die verfügbaren Daten über das Risiko<br />
bei hohen Dosen für solide Krebstumoren. Es gibt neuerdings<br />
aber auch Hinweise, dass nach einigen Jahrzehnten<br />
dieses Risiko wieder abnimmt.<br />
Das zweite Modell betont das absolute Risiko. Es geht nach<br />
der Exposition mit einer bestimmten Dosis von einer Gesamtzahl<br />
zusätzlicher Krebsfälle innerhalb eines bestimmten<br />
Zeitraums aus. Nach diesem Zeitraum entspricht die Krebsrate<br />
im exponierten Kollektiv wieder der Spontanrate. Mit<br />
diesem Modell decken sich die vorliegenden Daten über<br />
Knochenkrebs, wie Osteosarkome, <strong>und</strong> auch Leukämien<br />
nach hohen Dosen.<br />
Bei der Abschätzung der Gesamtzahl aller zusätzlichen<br />
Krebstodesfälle durch eine Strahlenexposition spielen im<br />
Modell des relativen Risikos die mittlere Lebenserwartung<br />
des Kollektivs <strong>und</strong> das Alter zur Zeit der Strahlenexposition<br />
eine besondere Bedeutung. Der notwendige Beobachtungszeitraum<br />
umfasst die gesamte Lebenszeit. Beim Modell des<br />
absoluten Risikos wird dagegen die abgeschätzte Zahl über<br />
einen bestimmten Zeitraum lediglich durch unterschiedliche<br />
Empfindlichkeiten der einzelnen Altersgruppen beeinflusst.<br />
Der notwendige Beobachtungszeitraum umfasst nur die<br />
Zeitspanne, in der das Risiko erhöht ist.<br />
- Die Überlebenden in Hiroshima <strong>und</strong> Nagasaki<br />
Aktuelle Daten aus Japan zeigt die Abb. 2.17. Hier sind die<br />
Zahlen der in den einzelnen Dosiskategorien beobachteten<br />
Personen <strong>und</strong> der in diesen Gruppen aufgetretenen Krebserkrankungen<br />
eingetragen <strong>und</strong> mit Erwartungswerten von<br />
Kontrollkollektiven verglichen, wobei die annähernde Standardabweichung<br />
mit angegeben ist. Für die mit diesen Zahlen<br />
durchgeführte epidemiologische Auswertung wurde die<br />
lineare Dosis-Risiko Beziehung gewählt, <strong>und</strong> zwar über den<br />
gesamten Dosisbereich von unter 0.005 Gy bis zu über 2 Gy.<br />
Die Begründung für die Annahme der Linearität ist, wie bereits<br />
erwähnt, die vielfach bestätigte Beobachtung, dass<br />
DNS-Schäden mit der Dosis proportional, d. h. linear ansteigen.<br />
Mit dieser Prämisse <strong>und</strong> unter Berücksichtung der be-<br />
obachteten Häufigkeit verschiedener Krebsarten bei den<br />
einzelnen Dosiskategorien wurde dann errechnet, dass Do-<br />
66
Registrierte <strong>und</strong> erwartete Tote mit solidem Carcinom<br />
1950 – 1997 bei Atombomben Überlebenden in Japan<br />
Dosis Nr. Pers. Solide Ca + Solid Ca +<br />
Gy beobachtet beobachtet erwartet<br />
< 0.005 37458 3833 ± 62 3844 ± 62<br />
0.005 - 0.1 31650 3277 ± 57 3221 ± 57<br />
0.1 - 0.2 5732 688 ± 26 622 ± 25<br />
0.2 - 0.5 6332 763 ± 28 678 ± 26<br />
0.5 - 1.0 3299 438 ± 21 335 ± 18<br />
1.0 - 2.0 1613 274 ± 17 157 ± 13<br />
2.0 + 488 82 ± 9 38 ± 6<br />
Gesamt 86 572 9335 ± 97 8895 ± 30<br />
Prozent 100 % 10.8 % 10.3 %<br />
nach Preston DL et al., 2003<br />
Abb. 2.17<br />
sen bereits im Bereich von 0.05 Gy krebsauslösend sein<br />
könnten. Die Zahlen in Abb. 2.17 belegen den relativ kleinen<br />
Anteil von etwa 0.5 % von tödlichen Krebserkrankungen, die<br />
im Gesamtkollektiv der exponierten Personen über die Jahre<br />
als strahleninduziert gelten könnten. Die hohe Zahl spontaner<br />
Krebserkrankungen macht es in kleinen Dosisbereichen<br />
besonders schwierig, wenn nicht gar unmöglich, den einer<br />
Strahlenexposition rechnerisch zugeordneten Anteil der<br />
Krebserkrankungen tatsächlich der Einwirkung von Strahlen<br />
zuzuschreiben. Die Anwendung des Modells der linearen<br />
Dosis-Risiko Beziehung, wie sie sich aus der Analyse von<br />
DNS-Schäden ergibt, gilt vielen Strahlenschützern bis heute<br />
noch als der sicherste Weg für einen optimalen Strahlenschutz.<br />
Das Bemühen, den best möglichen Strahlenschutz zu gewährleisten,<br />
führte die Internationale Strahlenschutzkommission<br />
(ICRP) schon in der 70er Jahren dazu, mit Hilfe des<br />
Modells der linearen Dosis-Risiko Beziehung die Krebshäufigkeit<br />
in der exponierten Population pro Dosis-Einheit<br />
anzugeben <strong>und</strong> zudem auch für einzelne Krebsarten solche<br />
Wahrscheinlichkeiten zu benennen <strong>und</strong> diese Werte jeweils<br />
den neuen im wesentlichen aus Japan stammenden Erhebungen<br />
anzupassen. Andere internationale Organisationen<br />
67
unternahmen ähnliche Bemühungen <strong>und</strong> veröffentlichten<br />
Daten zum Risiko im Laufe des Lebens an strahleninduziertem<br />
Krebs zu erkranken. Die folgende Aufstellung vergleicht<br />
die Schätzungen des Lebenszeitrisikos pro Dosis-Einheit für<br />
eine Reihe strahleninduzierter Krebserkrankungen, wie sie<br />
1991 von der Internationalen Strahlenschutzkommission<br />
(ICRP), <strong>und</strong> 2000 von der Wissenschaftlichen Kommission<br />
für Effekte Atomarer Strahlung der Vereinten Nationen<br />
(UNSCEAR) vorgetragen worden sind. Alle diese Angaben<br />
wurden unter Anwendung des Modells der linearen Dosis-<br />
Risiko Beziehung im kleinen Dosisbereich erstellt <strong>und</strong> zwar<br />
unter Berücksichtigung des relativen <strong>und</strong> absoluten Risikos.<br />
Geschätztes Lebenszeitrisiko pro 0.01 Gy pro 10 6<br />
exponierte Personen<br />
(Spontan-Risiko liegt bei etwa 250,000 pro 10 6 Personen)<br />
KREBS- ICRP 1991 UNSCEAR 2000 *<br />
ERKRANKUNG<br />
Leukämie<br />
Alle Krebserkrankungen<br />
50 50<br />
außer Leukämie<br />
Verdauungstrakt<br />
450 520<br />
Speiseröhre 30 25<br />
Magen 110 18<br />
Kolon 85 75<br />
Leber 15 20<br />
Lungen 85 160<br />
Weibliche Brust 20 43<br />
Knochen 5 -<br />
Haut 2 -<br />
Eierstöcke 10 -<br />
Blase 30 22<br />
Niere - -<br />
Schilddrüse 8 -<br />
Andere solide Krebserkrankungen 50 160<br />
Für UNSCEAR * = Mittelwert verschiedener Ansätze (relatives<br />
vs. absolutes Risiko)<br />
68
- Für einzelne Organe geschätzte Risikoanteile am<br />
Gesamtrisiko<br />
Aus den obigen Daten hat die ICRP 1991 für den praktischen<br />
Strahlenschutz eine Reihe von Wichtungsfaktoren<br />
empfohlen. Diese geben denjenigen geschätzten Anteil von<br />
zu erwartenden strahleninduzierten Gesamtkrankheitsfällen<br />
an, der in einer Population nach Ganzkörperexposition mit<br />
einer bestimmtem Dosis in Sv auf das jeweilig aufgeführte<br />
Organe entfällt. Wichtungsfaktoren sind somit Ausdruck von<br />
definierten Risiken <strong>und</strong> basieren auf der Annahme einer linearen<br />
Dosis-Risiko Beziehung in kleinen Dosisbereich. Die<br />
erfassten Erkrankungen schließen sowohl genetische Schäden<br />
als auch stochastische Spätschäden in Sinne von<br />
Krebserkrankungen ein:<br />
Keimdrüsen (Risiko durch vererbbare,<br />
d.h. genetische, Schäden) 0,20 (20 %);<br />
Rotes Knochenmark (Leukämierisiko), Lunge,<br />
Enddarm <strong>und</strong> Magen je 0,12 (je 12 %);<br />
Brust, Schilddrüse, Blase, Leber <strong>und</strong><br />
Speiseröhre je 0,05 (je 5 %);<br />
Knochenoberfläche <strong>und</strong> Haut je 0,01 (je 1 %);<br />
Alle übrigen Gewebe insgesamt 0,05 (5 %);<br />
Summe (Gesamtkörper) = 1 (100 %).<br />
Es ist offensichtlich, dass die hier genannten Wichtungsfaktoren<br />
Näherungswerte sind <strong>und</strong> Spätschäden zusammenfassen<br />
wollen, welche zum Zwecke des Strahlenschutzes<br />
auch zur Ermittlung der so genannten „effektiven Äquivalentdosis"<br />
dienen sollen. Diese Dosis in Sv repräsentiert das<br />
genetische <strong>und</strong> somatische Gesamtrisiko für strahleninduzierte<br />
Spätschäden; das heißt, sie ist die Summe aller entsprechend<br />
den Organempfindlichkeiten gewichteten Teilkörperäquivalentdosen.<br />
- Andere epidemiologische Studien an exponierten<br />
Populationen<br />
Neben den Studien in Japan sind verschiedene große epidemiologische<br />
Studien vor allem in den letzten Jahren veröffentlicht<br />
worden: an Arbeitern in der Kernkraftindustrie <strong>und</strong><br />
im Uranbergbau verschiedener Länder, <strong>und</strong> in Werften von<br />
69
Kernkraft getriebenen Schiffen, sowie an solchen Bevölkerungsgruppen,<br />
die erhöhter Strahlenexposition in der Nähe<br />
von Kernwaffen produzierenden Anlagen ausgesetzt waren,<br />
oder die in der medizinischen Strahlenk<strong>und</strong>e vor allem in der<br />
Frühphase der Röntgenologie gearbeitet haben. Bei nahezu<br />
all diesen Studien wurden die Daten prinzipiell nach dem<br />
Modell der linearen Dosis-Risiko Beziehung im kleinen Dosisbereich<br />
ausgewertet. Die entsprechenden Schlussfolgerungen<br />
sind widersprüchlich.<br />
Es scheint, dass bei chronischer Exposition mit kleinen Dosen<br />
erst bei relativ hohen akkumulierten Dosen das Krebsrisiko<br />
erkennbar ansteigt. Ein besonders hoher Schwellenwert<br />
von etwa 5 Gy zeigte sich bei Malerinnen von Uhrenzifferblättern<br />
mit Leuchtfarben, die Radium-226 <strong>und</strong> Radium-228<br />
enthielten. Die Malerinnen befeuchteten die feinen Pinsel<br />
mit der Zunge, <strong>und</strong> das so im Körper aufgenommene Radium<br />
mit seinen �-Teilchen führte zu chronischer Bestrahlung<br />
<strong>und</strong> nach Jahren zur Entwicklung von Knochensarkomen.<br />
Ein noch höherer Schwellenwert von etwa 10 Gy war für<br />
Knochensarkom bei chronisch exponierten H<strong>und</strong>en mit<br />
Strontium-90, einem reinen �-Strahler, zu sehen. Auch bei<br />
epidemiologischen Analysen von Kernindustrie-Arbeitern,<br />
die chronisch hauptsächlich �-Strahlung ausgesetzt waren,<br />
ergaben ohne Anpassung der in den Dosis-Kategorien beobachteten<br />
Krebshäufigkeiten an das Modell der linearen<br />
Dosis-Risiko Beziehung, dass im kleinen Dosisbereich die<br />
erhobenen Zahlen an Krebskrankheiten nicht nur keine statistisch<br />
signifikante Anhebung erkennen lassen, sondern<br />
eher einen Dosis-Schwellenwert für die Induktion von<br />
Krebserkrankungen ergaben oder sogar eine Verringerung<br />
der Krebserkrankungen zeigten.<br />
Zablotska LB et al. publizierten 2004 die Mortalität bei<br />
45.468 Arbeitern der kanadischen Kernkraftindustrie nach<br />
chronischer Exposition mit niedrigen Strahlendosen: „Für alle<br />
soliden Krebsarten zusammen zeigt die kategorische<br />
Analyse eine signifikante Verringerung des Risikos in der<br />
Kategorie 1–49 mSv im Vergleich zur niedrigsten Kategorie<br />
(< 1 mSv) mit einem relativen Risiko von 0.699 (95 % VI:<br />
0.548, 0.892).“ <strong>und</strong> „Über 100 mSv schien das Risiko zu<br />
steigen.“<br />
70
Auf Gr<strong>und</strong> früher bekannter Daten <strong>und</strong> nun neuerer zahlreicher<br />
experimenteller <strong>und</strong> epidemiologischer Untersuchungsergebnisse<br />
über den Mangel an beobachtbarer Linearität<br />
der Beziehung zwischen Krebs <strong>und</strong> kleinen Dosen hat sich<br />
vor allem in den letzten Jahren der Zweifel an der Richtigkeit<br />
der wissenschaftlichen Gr<strong>und</strong>lage der Anwendung der linearen<br />
Dosis-Risiko Beziehung verstärkt. Diese Tendenz wird<br />
unterstützt durch strahlenbiologische Gr<strong>und</strong>lagenforschung<br />
über die Wirkung kleiner Dosen auf komplexe biologische<br />
Systeme. Zunehmend werden systemimmanente <strong>und</strong><br />
Schutz bringende Reaktionen neben DNS- <strong>und</strong> anderen<br />
Schäden berichtet. Auch die ICRP hat stets betont, dass die<br />
Annahme einer linearen Dosis-Risiko Beziehung bis zur<br />
kleinsten Dosis zwar für den Strahlenschutz die höchste Sicherheit<br />
bringt, aber für die Anwendung in epidemiologischen<br />
Studien wissenschaftlich nicht begründet ist. Vor allem<br />
erscheint es nicht angebracht, unter Einsatz der linearen<br />
Dosis-Risiko Beziehung im kleinen Dosisbereich Vorraussagen<br />
zu machen, wie viele Krebserkrankungen nach<br />
einer Exposition im kleinen Dosisbereich auftreten, wie dies<br />
vor allem nach der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl ausgiebig<br />
gemacht worden ist.<br />
2.5. Anstehende Modifikationen der Risikoanalyse<br />
Die möglichen Dosis-Risiko Beziehungen für Strahlenkrebs<br />
Angesichts dieser neueren Entwicklungen ist es angebracht,<br />
alternative Modelle der Dosis-Risiko Beziehung zu betrachten.<br />
Sicher hat das Modell der linearen Dosis-Risiko Beziehung<br />
eine gewisse Stütze in der Gr<strong>und</strong>lagenforschung <strong>und</strong><br />
auch viele Vorteile in der praktischen Anwendung für eine<br />
Risikoanalyse, wie oben dargelegt. Aber sie verführt auch zu<br />
nur scheinbar gültigen Aussagen, deren Gewicht in der breiten<br />
Öffentlichkeit eindeutig zu einer großen Strahlenangst<br />
geführt hat, welche auch medizinisch gerechtfertigte Strahlenexpositionen<br />
im Bereich ärztlicher Anwendung erschwert<br />
<strong>und</strong> jede beruflich bedingte Strahlenexposition wo auch immer<br />
ausschließen will, wenn sie sogar unter den Dosen liegen,<br />
die natürlicherweise auf der Erde unvermeidbar sind.<br />
71
So ergibt sich die Situation, dass Patienten aufgr<strong>und</strong> ihrer<br />
Angst vor Strahlen strahlendiagnostische Untersuchungen<br />
ablehnen, damit das frühzeitige Erkennen einer Erkrankung<br />
verhindern <strong>und</strong> sich somit selbst einen größeren Schaden<br />
durch eine zu späte oder unterlassene Therapie zufügen.<br />
Für eine rationale Risiko-Nutzen-Analyse einer Strahlenexposition<br />
haben sowohl das eigentliche Strahlenrisiko als<br />
auch medizinisch-psychologischen Risiken wie auch die mit<br />
diesen verb<strong>und</strong>enen Kosten für die Allgemeinheit hohen<br />
Rang.<br />
Die für die Strahlenschutz offensichtlich zentrale Bedeutung<br />
der linearen Dosis-Risiko Beziehung für Krebserkrankungen<br />
durch kleine Dosen wird gegenwärtig von Befürwortern <strong>und</strong><br />
Gegnern kontrovers diskutiert. Die Befürworter sehen in der<br />
Linearität der Beziehung zwischen DNS-Schäden <strong>und</strong> Dosis<br />
die stärkste Stütze ihrer Argumente, wobei sie auch auf die<br />
große Tradition der mit dem Nobelpreis gewürdigten strahlenbiologischen<br />
Mutationsforschung verweist. Die Gegner<br />
der linearen Dosis-Risiko Beziehung für strahleninduzierten<br />
Krebs bei kleinen Dosen berufen sich sowohl auf neuere<br />
Analysen epidemiologischer Daten wie vor allem auf die<br />
neueren Forschungsergebnisse der Strahlenbiologie vor allem<br />
der beiden letzten Jahrzehnte mit Entdeckungen von<br />
strahleninduzierten komplexen Systemreaktionen bei kleinen<br />
Dosen, wie adaptive Protektion, Bystander Effekten,<br />
<strong>und</strong> der Instabilität des Genoms.<br />
Es ist daher nicht verw<strong>und</strong>erlich, dass große Anstrengungen<br />
gemacht werden, um zu einer vernünftigen <strong>und</strong> dem Schutz<br />
des Menschen wie der Natur dienenden Modell einer wissenschaftlich<br />
begründeten <strong>und</strong> gesellschaftlich akzeptablen<br />
Dosis-Risiko Beziehung bei kleinen Dosen zu kommen. Die<br />
Abb. 2.18 zeigt die gr<strong>und</strong>sätzlich bestehenden Alternativen<br />
der Dosis-Risiko Beziehungen: die supra-lineare, die lineare,<br />
die linear-quadratische, die Schwellen- <strong>und</strong> Hormesis-<br />
Funktion. In dieser Darstellung ist die Dosis als Logarithmus<br />
eingetragen, um die im kleinen Dosisbereich großen Varia-<br />
tionsmöglichkeiten leichter zu veranschaulichen.<br />
Bei der Abwägung der unterschiedlichen Wahrscheinlichkeiten<br />
dieser fünf prinzipiell möglichen <strong>und</strong> auf Modellen basierenden<br />
Funktionen müssen zelluläre Besonderheiten je nach<br />
72
Abb. 2.18<br />
Alternative Dose-Risk Functions<br />
Mögliche Dosis-Risiko Beziehungen<br />
für durch Radiation-Induced Strahlung bedingten Cancer Krebs<br />
Options of Low-Dose Induced Cancer Risk<br />
relatives Risiko für Krebs<br />
Linearität ?<br />
Supralinearität ?<br />
�D •�D 2 ?<br />
1<br />
Log. Dosis Dose D<br />
Schwelle ?<br />
Hormesis ?<br />
Organismus, Zellart, Zellstoffwechsel <strong>und</strong> Zellzyklusphase<br />
berücksichtigt werden. Aber ungeachtet der indivi-duell speziellen<br />
Strahlenempfindlichkeit verschiedener Organismen<br />
<strong>und</strong> Zellsysteme ist doch allen biologischen Systemen gemeinsam,<br />
dass sie in hierarchisch organisierten Strukturen<br />
mit ihren besonderen Signalnetzen Mechanismen besitzen,<br />
die dem Erhalt des gesamten Organismus dienen, wie dies<br />
bereits erläutert wurde.<br />
Physiologische Abwehr- <strong>und</strong> Anpassungsreaktionen<br />
biologischer Systeme<br />
Die biologischen Antwortreaktionen auf Störungen der Homöostase<br />
in biologischen Systemen hängen vom Ausmaß der<br />
Störung ab, d. h. von ihrer Qualität <strong>und</strong> Quantität, <strong>und</strong> von der<br />
Art der betroffenen Zellen <strong>und</strong> Gewebe. Um es erneut zum<br />
Ausdruck zu bringen, bei minimalen Störungen kommt es generell<br />
relativ schnell zur Wiederherstellung der physiologischen<br />
Ausgangslage, während bei größeren bzw. ernsteren<br />
Störungen zunehmend kompliziertere Regelkreise mitspielen,<br />
die wiederum andere Signalnetze mit ihren Folgereaktionen<br />
auf höheren Organisationsebenen beeinflussen können.<br />
Kommt es zu partieller Zerstörung funktionstragender Strukturen,<br />
reagieren biologische Systeme mit dem Bemühen der<br />
73
Reparatur. Beispiele solcher Reaktionen wurden bereits im<br />
Kapitel “Abwehr- <strong>und</strong> Reparaturmechanismen“ genannt.<br />
Über die direkten Reaktionen immanenter Abwehrmechanismen<br />
hinaus können kleine Dosen wie auch andere Stress<br />
auslösende Störungen in betroffenen biologischen Systemen<br />
verspätet einsetzende <strong>und</strong> meist nur zeitweise wirksame<br />
Reaktionen verursachen, welche die vorhandenen Abwehrmechanismen<br />
vorübergehend stärken <strong>und</strong> somit das<br />
System vorübergehend anpassen, d. h. adaptieren, um erneut<br />
auftretende Störungen effektiver zu bewältigen als dies<br />
bei der vorangegangenen Störung der Fall war. Adaptive<br />
Reaktionen können alle Organisationsebenen umfassen,<br />
Gen-Expressionen ändern, <strong>und</strong> erscheinen als 1.) verbesserte<br />
Abwehr gegen toxische Agenzien, wie reaktive Sauerstoffradikale,<br />
d.h. ROS, 2.) verbesserte <strong>und</strong> beschleunigte<br />
DNS-Reparatur mit Änderungen des Zellzyklus zwischen<br />
den Zellteilungen, <strong>und</strong> 3.) Stimulierung der Schadensbeseitigung<br />
zum Beispiel durch Signal-induzierten Zelltod, d. h.<br />
Apoptose, oder durch Stimulierung der Immunabwehr, sowie<br />
Zelldifferenzierung. Bei Dosen über etwa 0.1–0.2 Gy wurde<br />
das Versagen dieser adaptiven Reaktionen ausgenommen<br />
die Apoptose zunehmend deutlich. Eine Zusammenfassung<br />
veröffentlichter Daten zur Dosisabhängigkeit beobachteter<br />
adaptiver Reaktionen zeigt schematisch die Abb. 2.19.<br />
74<br />
Induktion von Schutz durch niedrigere Dosen<br />
Schema der Dosisabhängigkeit des adaptiven Schutzes<br />
Schutz vor Gewebeschaden<br />
max. � Schutz<br />
� 0.6 - 1<br />
Adaptiver Schutz involviert<br />
Gen Expression <strong>und</strong> bringt:<br />
Schutz vor DNS-Schaden<br />
Reparatur von DNS-Schaden<br />
Immunreaktion<br />
Zelltod (Apoptose)<br />
0.1 0.2 0.3 0.4 0.5 0.6 0.7<br />
Dosis (Gy)<br />
Feinendegen LE, 2005 A<br />
Abb. 2.19
Normalisierte Reaktion<br />
0<br />
0<br />
Induktion von Schutz durch niedrige Dosen<br />
Schema der Dauer des adaptiven Schutzes (t p)<br />
DNS Schutz (ROS Abbau); Apoptose<br />
DNS Reparatur; Zellproliferation<br />
Sofort-Reparatur<br />
Immunreaktion<br />
St<strong>und</strong>en Tage Wochen Monate<br />
Log Zeit nach einmaliger Bestrahlung<br />
Feinendegen LE 2005<br />
Abb. 2.20<br />
Die Dauer der Wirkung dieser Reaktionen ist schematisch in<br />
Abb. 2.20 aufgetragen. Die in verschiedenen biologischen<br />
Systemen insbesondere in Mäusen <strong>und</strong> Ratten erhobenen<br />
experimentellen Daten lassen erkennen, dass die unterschiedlichen<br />
Schutzmechanismen nach ihrer Induktion von<br />
St<strong>und</strong>en bis mehrere Wochen anhalten. Besonders lange<br />
währt der induzierte Immunschutz, der sich über mehrere<br />
Monte erstrecken kann. Diese relativ neuen Untersuchungsergebnisse<br />
bei unterschiedlichen biologischen Systemen<br />
schließen auch Dosis spezifische Änderungen der Expression<br />
von zahlreichen Genen ein.<br />
Abb. 2.21<br />
Reaktion biologischer Systeme<br />
auf ionisierende Strahlung<br />
Organismus<br />
Zellen<br />
DNS<br />
Feinendegen LE, Neumann RD, 2005<br />
�������������������������<br />
������������������<br />
��������������������������<br />
����������������������<br />
����������������������<br />
�����������������<br />
��������������������<br />
����������������<br />
75
Die Abb. 2.21 skizziert schematisch die Bedeutung der physiologischen<br />
sofortigen Abwehr- <strong>und</strong> verspäteten Anpassungsprozesse<br />
biologischer Systeme für das Ausmaß von<br />
Ges<strong>und</strong>heitsschäden als Folge von Primärschäden auf der<br />
atomar-molekularen Organisationsebene, d. h. auch der<br />
DNS. Der für DNS-Schäden beobachtete lineare Anstieg mit<br />
zunehmender Dosis setzt sich im Gesamtsystem des Organismus<br />
nicht fort. Erst wenn die physiologischen Prozesse<br />
zur sofortigen Kontrolle der Homöostase <strong>und</strong> für die adaptiven<br />
Reaktionen auf den verschiedenen Organisationsebenen<br />
erlahmen oder zerstört werden, zum Beispiel durch hohe<br />
Dosen, kann ein Schaden auf der untersten Organisationsebene<br />
sich sozusagen wenig gehindert mit hoher Wahrscheinlichkeit<br />
im gesamten System ausbreiten, z. B. vom<br />
DNS-Schaden zur Krebszelle, <strong>und</strong> mit Latenzzeiten von<br />
Jahren zum tödlichen Tumor führen. Daher erscheint die<br />
Wahrscheinlichkeit strahlenbedingter Krebserkrankungen<br />
solange nicht proportional zum Ausmaß strahleninduzierter<br />
DNS-Schäden zunehmen, wie die sofortigen Abwehr- <strong>und</strong><br />
verspäteten Anpassungsprozesse intakt funktionieren. Erst<br />
hohe Dosen, wie experimentell <strong>und</strong> epidemiologisch nachgewiesen,<br />
bedrohen den Gesamtorganismus proportional<br />
zum Ausmaß des DNS-Primärschadens. Die Information in<br />
Abb. 2.21 dient als Begründung für die Rechtfertigung der<br />
Annahme, dass in Abb. 2.18 diejenigen Dosis-Risiko Funktionen<br />
unwahrscheinlich sind, die im kleinen Dosisbereich<br />
eine lineare oder supra-lineare Dosis-Risiko Beziehung annehmen.<br />
So bleiben die Schwellendosis oder/<strong>und</strong> die Hormesis<br />
Funktionen eher wahrscheinlich.<br />
2.6. Hormesis <strong>und</strong> kleine Dosen<br />
Wie im diesem Abschnitt näher erläutert wird, verdient die<br />
Hormesis Funktion nach Bestrahlung mit niedriger Dosis eine<br />
besondere Erwähnung <strong>und</strong> Erklärung, auch wenn sie gegenwärtig<br />
von zahlreichen im Strahlenschutz arbeitenden Personen<br />
<strong>und</strong> vielen Strahlenbiologen als völlig konträr zum bestehenden<br />
System des Strahlenschutzes zurück gewiesen wird.<br />
Die Frage lautet, wie kann eine niedrig dosierte Strahlenexposition<br />
zu einer Verringerung der spontanen Krebshäufigkeit<br />
in einer Population führen, oder wie kann die Wahr-<br />
76
scheinlichkeit einer Krebserkrankung oder einer anderen Erkrankung<br />
in einer mit kleiner Dosis bestrahlten Person unter<br />
die entsprechend natürlich gegebene Wahrscheinlichkeit<br />
sinken? Wie können vorliegende diesbezügliche epidemiologische<br />
<strong>und</strong> tierexperimentelle Daten erklärt werden? In<br />
den letzten Jahren sind viele wissenschaftliche Untersuchungen<br />
gemacht worden, deren Ergebnisse die gestellte<br />
Frage einer Beantwortung zumindest nahe bringen.<br />
Die wesentliche Erklärung geht von der Tatsache aus, dass<br />
die von ionisierenden Strahlen erzeugten biologischen Effekte<br />
im kleinen Dosisbereich sehr ähnlich solchen Effekten<br />
sind, die im normalen Zellstoffwechsel auftreten. Hier spielen<br />
die reaktiven Sauerstoff-Radikale, ROS, eine besondere<br />
Rolle. Diese sind je nach dem Ort ihrer Entstehung <strong>und</strong> ihrer<br />
Konzentration in der Zelle sowohl Signalsubstanzen wie<br />
auch Gifte. So wird heute allgemein zugestimmt, dass im<br />
Stoffwechsel der Zelle produzierte ROS ständig DNS-<br />
Schäden verursachen. Das Ausmaß dieser Schäden ist so<br />
groß, dass mit modernen Methoden erkannt wird, dass pro<br />
Zelle im Körper im Mittel pro Tag etwa zwischen 0.1 <strong>und</strong> etwa<br />
5 DNS-Doppelstrangbrüche, DNS-DSB, entstehen, wobei<br />
wahrscheinlich ist, dass mit fortschreitendem Alter des<br />
Individuums die Zahl der DNS-DSB zunimmt <strong>und</strong> eher im<br />
oberen Bereich liegt. Diese DNS-Schäden werden wesentlich<br />
verantwortlich für das Auftreten spontaner Krebserkrankungen<br />
gemacht. Die Wahrscheinlichkeit tödlicher Krebserkrankungen<br />
in Industrieländern liegt pro Person bei etwa<br />
0.25, d. h. etwa 1 von 4 Personen mit langer Lebenserwartung<br />
in Industrieländern stirbt an einem bösartigen Tumor.<br />
Die Wahrscheinlichkeit durch Strahlen induzierter Krebserkrankungen<br />
ist dagegen verhältnismäßig sehr klein, wie<br />
Abb. 2.17 zeigt.<br />
Es wurde berechnet <strong>und</strong> experimentell untermauert, dass<br />
die endogen im Laufe des normalen Stoffwechsels auftretenden<br />
DNS-DSB etwa 1000 mal häufiger im Mittel pro Zelle<br />
pro Tag sind als die durch normale Hintergr<strong>und</strong>strahlung im<br />
Körper unausweichlich erzeugten DNS-DSB. Wenn die in<br />
Abschnitt „Die Überlebenden von Hiroshin and Nagasaki“<br />
genannten Zahlen auch für kleine Dosen angenommen werden,<br />
wäre wohl wegen der relativ häufig qualitativ komplexeren<br />
Art der durch Strahlen verursacht DNS-DSB das Ver-<br />
77
hältnis der spontanen Krebshäufigkeit ( ~ 250 000) in einer<br />
Population von einer Million Personen zu der durch lebenslanger<br />
Hintergr<strong>und</strong>strahlung (50 x 0.002 Gy ~ 0.1 Gy) verursachten<br />
Krebshäufigkeit in dieser Population (5000) nicht<br />
1000 sondern nur etwa 50. Dies dürfte bedeuten, dass DNS-<br />
DSB von ionisierenden Strahlen etwa 20 (1000 / 50) mal effektiver<br />
für die Erzeugung von zum Tode führenden Krebs<br />
sind als die DNS-DSB durch endogene Stoffwechselgifte,<br />
wie ROS.<br />
Die oben detaillierter erwähnten adaptiven Reaktionen nach<br />
kleinen Dosen bringen nicht nur Schutz gegen ionisierende<br />
Strahlen, sondern auch gegen andere toxische Substanzen,<br />
die DNS-Schäden verursachen. Hier spielen die ROS eine<br />
besondere Rolle. So darf man zu Recht annehmen, dass<br />
adaptiver Schutz auch gegen ROS wirksam ist. Diese Annahme<br />
ist konsistent mit einer Reihe von tierexperimentellen<br />
Untersuchungen. Unter dieser Annahme stellt sich die Frage,<br />
ob der von kleinen Dosen bewirkte Schutz gegen spontane<br />
Krebsentstehung so groß sein kann, dass der von kleinen<br />
Dosen selbst verursachte Schaden ausgeglichen wird,<br />
oder der Schutz sogar größer ist als der durch Strahlen induzierte<br />
Schaden. Verschiedene, auf experimentellen Beobachtungen<br />
beruhende Berechnungen zeigen, dass die gestellte<br />
Frag positive beantwortet werden kann. Das folgende<br />
Beispiel soll dies erläutern, auch wenn das Resultat eine<br />
grobe Vereinfachung der Abschätzung ist:<br />
1. Die Krebshäufigkeit mit tödlichem Ausgang beträgt in<br />
den Industrieländern etwa 250 000 pro einer Million<br />
Menschen.<br />
2. Das von 0.01 Gy induzierte Lebenszeitrisiko für Krebserkrankungen<br />
liegt nach den Angaben im Abschnitt 2.4.2.3.<br />
bei etwa 550-600 pro einer Million erwachsene Personen.<br />
Dabei ist nochmals zu betonen, dass diese Zahl auf<br />
der Annahme einer linearen Dosis-Risiko Beziehung basiert,<br />
welche wie oben erläutert eher eine Überschätzung<br />
des tatsächlichen Risikos bringen dürfte.<br />
3. Wird das Lebenszeitrisiko für zum Tode führende Krebserkrankungen<br />
auf einen Zeitraum von 50 Jahren, d.h. 600<br />
Monaten, angesetzt, entstehen im Mittel etwa 420 tödliche<br />
Krebserkrankungen pro Monat (250 000/ 600 ~ 420).<br />
78
4. Wenn der von 0.01 Gy induzierte adaptive Schutz umfassend<br />
etwa 1.5 Monate anhalten würde, wie dies Abb.<br />
20 zeigt, wäre der durch Strahlen induzierte Schutz vor<br />
spontanem Krebsrisiko etwa gleich hoch wie das durch<br />
Strahlen induzierte Risiko.<br />
5. Damit würde klinisch keine Erhöhung der Krebshäufigkeit<br />
nach 0.01 Gy zu erkennen sein.<br />
Bei der Annahme einer kleineren oder höheren Dosis würden<br />
sich die obigen Zahlen natürlich ändern; aber der Effekt<br />
eines Schutzes gegen spontane Krebserkrankung würde<br />
bleiben, <strong>und</strong> zwar so lange, wie die Dosis in demjenigen Bereich<br />
bleibt, in dem adaptive Schutzmechanismen optimal<br />
beobachtet werden, wie dies in Abb. 2.19 zu erkennen ist.<br />
Generell erscheint das Nettorisiko von durch Strahlen induzierten<br />
Krebserkrankungen gleich zu sein der Differenz zwischen<br />
den beiden dosisabhängigen Wahrscheinlichkeiten: 1.<br />
der durch Strahlen induzierten Krebserkrankungen hier maximal<br />
basierend auf der linearen Dosis-Risiko Beziehung<br />
über primäre DNS-Schäden, <strong>und</strong> 2. der durch Strahlen systembiologisch<br />
verminderten spontanen Krebserkrankungen.<br />
Dies illustriert das Schema in Abb. 2.22 für den Fall einer<br />
Dualer Effekt kleiner Dosen (niedrig-LET)<br />
Schema von Dosis-Risiko Beziehungen bei Krebserkrankungen<br />
– Krebsrisiko +<br />
Induktion von<br />
primären<br />
DNS-Schäden<br />
0.2 0.4 0.6 0.8<br />
Dosis (Gy)<br />
Feinendegen LE, Neumann RD, 2005<br />
Abb. 2.22<br />
?<br />
Netto<br />
Krebsrisiko<br />
„Spontaner“ Krebs<br />
Wirkung von<br />
physiologischem <strong>und</strong><br />
adaptivem Schutz<br />
79
einmaligen Exposition. Die in dieser Abb. eingezeichneten<br />
Kurven veranschaulichen schematisch eine Reihe von Bef<strong>und</strong>en,<br />
die weiter zu präzisieren sind aber gr<strong>und</strong>sätzlich eine<br />
experimentelle Gr<strong>und</strong>lage haben.<br />
2.7 Literatur<br />
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81
3. Anwendung ionisierender Strahlung<br />
in Technik, Wissenschaft <strong>und</strong> Medizin<br />
3.1 Energieerzeugung (Kernspaltung, Fusion)<br />
Im Jahre 1938 machten Otto Hahn <strong>und</strong> Fritz Strassmann die<br />
Entdeckung, dass beim Beschuss von Uran mit thermischen<br />
Neutronen ein radioaktives Bariumisotop entsteht. Nachdem<br />
Lise Meitner <strong>und</strong> Otto Frisch die Beobachtungen der beiden<br />
kurze Zeit später als Spaltung der Urankerne interpretiert<br />
hatten, dauerte es nur 4 Jahre, bis Enrico Fermi die erste<br />
auf der Spaltung von 235 Uran basierende Kettenreaktion in<br />
Gang gesetzt hatte. Durch den gerade stattfindenden Zweiten<br />
Weltkrieg wurde auch an die militärische Nutzung dieser<br />
Entdeckung gedacht <strong>und</strong> entsprechende Forschungs- <strong>und</strong><br />
Entwicklungsarbeiten fanden ihren grimmen Höhepunkt im<br />
Bau von Atombomben („Manhattan Projekt“). Die tragischen<br />
Folgen der Atombombenabwürfe von Hiroshima <strong>und</strong> Nagasaki<br />
machten klar, welch zerstörerisches Potential in der<br />
Kernspaltung innewohnen kann. Nach Beendigung des<br />
Krieges wurde intensiv an Wegen zur friedlichen Nutzung<br />
der in Atomkernen enthaltenen Energie gearbeitet. Im Jahre<br />
1997 existierten weltweit 437 Kernkraftwerke, die zusammen<br />
eine Kapazität von 352 GW elektrischer Leistung<br />
aufwiesen. Die mittels Kernkraft produzierte elektrische<br />
Energie entsprach einem Anteil von etwa 17 % an der global<br />
produzierten elektrischen Energie <strong>und</strong> machte etwa 6 % des<br />
globalen Energieverbrauchs aus (UNSCEAR 2000).<br />
Für das Verständnis der Kernenergie ist die Tatsache wichtig,<br />
dass sich die Bindungsenergie eines jeden Nukleons<br />
(d.h. eines Protons oder Neutrons) im Atomkern, ausgehend<br />
von leichten Kernen bis hin zu Kernen mit einer Massenzahl<br />
von etwa 60 erhöht. Dort erreicht sie ihr Maximum von circa<br />
8,5 MeV pro Nukleon <strong>und</strong> nimmt dann für noch höhere<br />
Atommassen wieder ab (Abb. 3.1).<br />
82
Lithium<br />
Abb. 3.1: Kernbindungsenergie pro Nukleon in Abhängigkeit<br />
von der Massenzahl des Atomkerns (Quelle: Lexikon der Kernenergie)<br />
Daher ist es möglich, sowohl durch Fusion zweier leichter<br />
Kerne als auch durch die Spaltung zweier schwerer Kerne<br />
nukleare Energie zu gewinnen.<br />
Kernfusion<br />
Bei leichten Kernen mit gerader Neutronen- <strong>und</strong> Protonenzahl<br />
(z. B. 4 He) ist die Bindungsenergie pro Nukleon verglichen<br />
mit der Bindungsenergie benachbarter Kerne besonders<br />
hoch (Abb. 3.1). Eine typische Fusionsreaktion, bei<br />
der 4 He entsteht, ist die so genannte DT-Reaktion. Dabei<br />
verschmelzen ein Deuterium- <strong>und</strong> ein Tritiumkern, wobei<br />
ein 4 He-Kern <strong>und</strong> ein Neutron entstehen. Etwa 80 % der dabei<br />
freigesetzten Energie von 17,6 MeV wird auf das Neutron<br />
übertragen, das deshalb wieder durch Sek<strong>und</strong>ärprozesse<br />
"eingefangen" <strong>und</strong> energetisch genutzt werden muss.<br />
Der Energiegewinn der Reaktion beträgt also etwa 3,5 MeV<br />
pro Nukleon <strong>und</strong> ist damit deutlich höher als der Wert von<br />
83
0,9 MeV pro Nukleon, der beispielsweise für die Spaltung<br />
von 235 U typisch ist (siehe unten).<br />
Problematisch für die technische Realisierung <strong>und</strong> Nutzung<br />
der Kernfusion als Energiequelle ist, dass zur Fusion zweier<br />
Kerne erst deren Coulomb-Abstoßung überw<strong>und</strong>en werden<br />
muss. Aus klassischen Überlegungen geht hervor, dass im<br />
Falle der DT-Reaktion dazu eine Energie von 0,4 MeV benötigt<br />
würde, was in einem thermischen Plasma einer Temperatur<br />
von etwa 3 x 10 9 Kelvin entspräche. Quantenmechanische<br />
Effekte führen zwar dazu, dass bereits deutlich<br />
niedrigere Temperaturen ausreichen, um eine Fusion beider<br />
Kerne zu erlauben. Allerdings sind die für einen kontrollierten,<br />
kontinuierlichen Betrieb eines Fusionsreaktors nötigen<br />
Temperaturen immer noch so hoch, dass die damit verb<strong>und</strong>enen<br />
wissenschaftlichen <strong>und</strong> technologischen Schwierigkeiten<br />
die Entwicklung eines routinemäßig einsetzbaren Fusionsreaktors<br />
bis jetzt verhindert haben. Da im Gegensatz<br />
dazu weltweit eine Vielzahl an Kernreaktoren in Betrieb ist,<br />
soll der Schwerpunkt der weiteren Diskussion auf der Kernspaltung<br />
liegen.<br />
Kernspaltung<br />
Bei der asymmetrischen Spaltung des Uranisotops 235 U (das<br />
in der Natur nur mit einer Isotopenhäufigkeit von 0,7 % vorkommt)<br />
in zwei Spaltfragmente mit Massenzahlen im Bereich<br />
von etwa 90 <strong>und</strong> 140 werden im Mittel circa 0,85 MeV<br />
pro Nukleon an Bindungsenergie frei, was einer Energie von<br />
etwa 200 MeV entspricht. Diese Energie verteilt sich auf die<br />
kinetische Energie der Spaltfragmente (83 %), sowie auf<br />
prompte Gammastrahlung (4 %) <strong>und</strong> die bei den �-Zerfällen<br />
der Spaltfragmente entstehenden Elektronen (3 %), Anti-<br />
neutrinos (5 %) <strong>und</strong> Gammaquanten (3 %). Pro Spaltung eines<br />
235 U-Kerns werden zudem im Mittel 2,5 Neutronen frei,<br />
die eine kinetische Energie von etwa 5 MeV (ca. 2 %) mit<br />
sich führen. Ein großer Teil der bei der Kernspaltung frei<br />
werdenden Energie führt durch Abbremsung der emittierten<br />
energetischen Partikel letztendlich zu einer Aufheizung des<br />
verwendeten Kernbrennstoffs. Über ein Kühlmittel kann diese<br />
primäre Wärme beispielsweise über einen Wärmetauscher<br />
abgegeben <strong>und</strong> der in einem Sek<strong>und</strong>ärkreislauf er-<br />
84
zeugte Dampf Turbinen zur Elektrizitätserzeugung zugeführt<br />
werden.<br />
Nicht alle spaltbaren Isotope sind für die Energieerzeugung<br />
gleichermaßen geeignet. Besonders gut eignen sich Isotope<br />
wie 233 U, 235 U, 239 Pu, oder 241 Pu, die aus einer geraden Anzahl<br />
von Protonen <strong>und</strong> einer ungeraden Anzahl von Neutronen<br />
bestehen („gu-Kerne“). Diese Isotope („starke Spaltstoffe“)<br />
zeichnen sich dadurch aus, dass beim Einfang eines<br />
Neutrons ein besonders stabiler Kern mit einer geraden Anzahl<br />
von Protonen <strong>und</strong> Neutronen („gg-Kern“) entsteht (z. B.<br />
234 236 240 242<br />
U, U, Pu, Pu). Die durch den Einfang des Neutrons<br />
freiwerdende Energie ist dabei so groß, dass die Spaltbarriere<br />
schon durch den Einfang eines niederenergetischen,<br />
thermischen Neutrons überw<strong>und</strong>en <strong>und</strong> der Kern gespalten<br />
wird. Bei den so genannten schwachen Spaltstoffen ( 232 Th,<br />
238 240 242<br />
U, Pu, Pu) dagegen muss das Neutron eine Energie<br />
im MeV-Bereich mitbringen, da die beim Einfang des Neutrons<br />
<strong>und</strong> der Bildung des dabei entstehenden „gu-Kerns“<br />
frei werdende Bindungsenergie alleine nicht ausreicht, um<br />
die Spaltbarriere zu überwinden. Daher kann die Spaltung<br />
von 235 U bereits durch thermische Neutronen, die Spaltung<br />
von 238 U dagegen nur durch schnelle Neutronen mit kinetischen<br />
Energien im MeV-Bereich induziert werden.<br />
Ein Vergleich mit dem Energiegehalt fossiler Brennstoffe<br />
macht deutlich, wie immens die beispielsweise in 235 U innewohnende<br />
Kernenergie ist. Der primäre Energieinhalt eines<br />
Kilogramms Steinkohle beträgt 3x10 7 Joule. Mit den oben<br />
genannten Zahlen kann man abschätzen, dass die bei der<br />
Spaltung von einem Kilogramm 235 U freigesetzte Kernenergie<br />
in etwa dem Energieinhalt von mehr als 2,5 Millionen Kilogramm<br />
Kohle entsprechen.<br />
Reaktortypen<br />
Die bei der Entwicklung der Kernenergie zur kommerziellen<br />
Energieumwandlung entwickelten unterschiedlichen Reaktorkonzepte<br />
werden im Folgenden kurz skizziert. Für die<br />
Spaltung eines 235 U-Kerns reicht bereits ein die Reaktion<br />
auslösendes Neutron aus, <strong>und</strong> es werden dabei im Mittel 2,5<br />
neue Neutronen freigesetzt. Stehen diese Neutronen für<br />
weitere Kernspaltungen zur Verfügung, kommt es zu einer<br />
85
Kettenreaktion (Abb. 3.2), in deren Verlauf es in kürzester<br />
Zeit (typischerweise in �s) zu einer großen Energiefreisetzung<br />
kommen kann (Explosion).<br />
Abb. 3.2: Prinzip einer Kettenreaktion (Quelle: Lexikon der<br />
Kernenergie)<br />
Eine wesentliche Aufgabe der Reaktortechnik besteht darin,<br />
sicherzustellen, dass beim Betrieb eines Reaktors im Mittel<br />
pro Kernspaltung unter Berücksichtigung aller Verluste an<br />
Neutronen genau ein Neutron für die nächste Spaltung zur<br />
Verfügung steht. Verluste an Neutronen entstehen zum Beispiel<br />
dadurch, dass der Bereich des Brennstoffs nicht unendlich<br />
groß ausgedehnt ist, dass ein Teil der schnellen<br />
Spaltneutronen während des Prozesses der Moderation absorbiert<br />
wird, dass thermalisierte Neutronen beispielsweise<br />
von Strukturmaterialien, vom Moderator oder von den Regelstäben<br />
<strong>und</strong> nicht von 235 U absorbiert werden, <strong>und</strong> dass<br />
nur ein Teil der in 235 U absorbierten Neutronen tatsächlich<br />
eine Kernspaltung induziert.<br />
Ein Reaktor besteht im Wesentlichen aus einem Reaktorkern,<br />
in dem sich der Kernbrennstoff befindet. Zur Kühlung<br />
des Kerns <strong>und</strong> Abführung der bei der Kernspaltung frei werdenden<br />
Wärmeenergie ist ein mit einem Kühlmittel gefüllter<br />
Kühlkreislauf installiert. Je nach verwendetem Kühlmittel un-<br />
86
terscheidet man zwischen Leichtwasser-, Schwerwasser-,<br />
<strong>und</strong> gasgekühlten Reaktoren. Bei Reaktoren, die auf der<br />
Spaltung durch thermische Neutronen basieren („thermische<br />
Reaktoren“), ist zusätzlich ein Moderator vorhanden, der die<br />
bei der Spaltung entstehenden schnellen Neutronen abbremst.<br />
In vielen Fällen dient das Kühlmittel gleichzeitig als<br />
Moderator. Bei manchen Typen wird Graphit als Moderator<br />
verwendet. Reaktoren, die auf der Spaltung durch schnelle<br />
Neutronen basieren („schnelle Reaktoren“), benötigen dagegen<br />
keinen Moderator. Geregelt wird ein Reaktor über<br />
Steuerstäbe, die je nach Bedarf in den Kern eingefahren<br />
werden können <strong>und</strong> aus Material wie zum Beispiel Cadmium<br />
bestehen, das thermische Neutronen besonders gut absorbiert.<br />
Die bei der Kernspaltung entstehenden Spaltprodukte sind<br />
größtenteils radioaktiv, <strong>und</strong> auch in den Materialien, die den<br />
erzeugten Neutronen ausgesetzt sind, können durch den<br />
Einfang von Neutronen radioaktive Isotope entstehen. Daher<br />
wird bei Kernreaktoren eine Kombination aus unterschiedlichen<br />
Barrieren verwendet, um zu verhindern, dass die erzeugte<br />
<strong>Radioaktivität</strong> unkontrolliert in die Umgebung gelangen<br />
kann. Zu diesen Barrieren zählen die Hüllen der Brennelemente,<br />
der Reaktordruckbehälter, sowie der Reaktor-<br />
Sicherheitsbehälter aus Strahl, der schließlich von der Außenschale<br />
des Reaktorgebäudes aus Strahlbeton umgeben<br />
ist.<br />
Bei einem Druckwasserreaktor (Abb. 3.3) wird als Kühlmittel<br />
normales („leichtes“) Wasser verwendet. Im Primärkreislauf<br />
besteht ein hoher Druck von typischerweise 16 Mpa (Megapascal,<br />
entspricht 160 bar), der es erlaubt, das Kühlwasser<br />
auf etwa 300 °C aufzuheizen, ohne dass es zum Sieden <strong>und</strong><br />
der damit verb<strong>und</strong>enen Dampfblasenbildung kommt. In einem<br />
Sek<strong>und</strong>ärkreislauf wird Dampf erzeugt, der dann eine<br />
Turbine antreibt. Beim Siedewasserreaktor (Abb. 3.4)<br />
herrscht dagegen im Primärkreislauf ein niedrigerer Druck<br />
von etwa 7 Mpa (70 bar), so dass das Kühlwasser teilweise<br />
siedet. Der entstehende Dampf wird direkt (d.h. ohne dazwischen<br />
geschalteten Wärmetauscher) zur Turbine geleitet.<br />
Da der im Wasser vorhandene Wasserstoff zudem einen guten<br />
Neutronen-Moderator darstellt, kann bei beiden Reaktortypen<br />
auf einen zusätzlichen Moderator verzichtet werden.<br />
87
Abb. 3.3: Prinzip eines Druckwasserreaktors (Quelle: Lexikon<br />
der Kernenergie).<br />
Abb. 3.4: Prinzip eines Siedewasserreaktors (Quelle: Lexikon<br />
der Kernenergie).<br />
88
Bei Schwerwasserreaktoren, die hauptsächlich in Kanada<br />
eingesetzt werden, wird als Kühlmittel <strong>und</strong> Moderator<br />
schweres Wasser (D2O) eingesetzt. Zwar benötigen schnelle<br />
Neutronen mehr Stöße an Deuterium als an Wasserstoff,<br />
bevor sie thermalisiert werden. Dieser Nachteil wird jedoch<br />
aufgewogen durch die Tatsache, dass Neutronen, die bereits<br />
thermalisiert sind, in schwerem Wasser deutlich seltener<br />
absorbiert werden als in leichtem Wasser. Daher kann<br />
ein Schwerwasserreaktor mit Natururan betrieben werden,<br />
während für Leichtwasserreaktoren eine Anreicherung des<br />
235<br />
U auf etwa 3 % nötig ist.<br />
Gasgekühlte Reaktoren, bei denen z. B. CO2 oder Helium<br />
als Kühlmittel verwendet werden, erlauben eine höhere<br />
Kühlmitteltemperatur <strong>und</strong> erreichen einen Wirkungsgrad von<br />
etwa 40 %, der deutlich über dem der übrigen, thermischen<br />
Reaktortypen von etwa 33 % liegt. Beim schnellen Reaktor<br />
wird als Kühlmittel beispielsweise flüssiges Natrium verwendet<br />
<strong>und</strong> auf einen Neutronen-Moderator verzichtet.<br />
Im Hinblick auf die kommerzielle Nutzung <strong>und</strong> den routinemäßigen<br />
Einsatz haben sich global im Wesentlichen die<br />
beiden Arten von Leichtwasser-Reaktoren, Druck-, <strong>und</strong> Siedewasserreaktoren<br />
durchgesetzt. Zwar werden vereinzelt<br />
auch andere Typen (gasgekühlte Reaktoren, Schwerwasserreaktoren)<br />
eingesetzt. Deren Anteil an der globalen Energieproduktion<br />
durch Kernkraft ist jedoch vergleichsweise gering.<br />
In Abb. 3.5 ist die Entwicklung der weltweit durch Kernkraftwerke<br />
produzierten elektrischen Energie im Zeitraum<br />
von 1970 bis 1997, aufgeschlüsselt nach den verschiedenen<br />
Reaktortypen, dargestellt.<br />
89
Erzeugte elektrische elektrische Energie Gw a<br />
Abb. 3.5: Entwicklung der global durch Kernspaltung produzierten<br />
elektrischen Energie von 1970 bis 1997. PWR: Druckwasserreaktor<br />
(„Pressurized water reactor“), BWR: Siedewasserreaktor<br />
(„boiling water reactor“), GCR: gasgekühlter<br />
Reaktor („gas-cooled reactor“), HWR: Schwerwasserreaktor<br />
(„heavy water reactor“), LWGR: graphitmoderierter Leichtwasserreaktor<br />
(„light-water-cooled graphite-moderated reactor“)<br />
(UNSCEAR 2000).<br />
Strahlenexposition durch den Betrieb von Kernkraftwerken<br />
- Beschäftigte<br />
Mit der Zahl an Kernkraftwerken nahm die Anzahl der in<br />
Kernkraftwerken beschäftigten <strong>und</strong> überwachten Personen<br />
seit 1975 kontinuierlich zu. Dies führte bis 1989 zu einer Zunahme<br />
der kollektiven Dosis. Im Zeitraum 1990–1994 war<br />
dagegen im angegebenen Zeitraum erstmals eine Abnahme<br />
der kollektiven Dosis zu verzeichnen, die daher rührt, dass<br />
die mittlere jährliche effektive Dosis für einen überwachten<br />
Arbeiter in einem Kernkraftwerk seit 1975 kontinuierlich <strong>und</strong><br />
deutlich abnahm (Tabelle 3.11).<br />
90
Zeitraum Überwachte<br />
Personen<br />
Mittlere jährliche Effektivdosis<br />
(mSv)<br />
1975–1979 150.000 4.1<br />
1980–1984 290.000 3.6<br />
1985–1989 430.000 2.5<br />
1990–1994 530.000 1.4<br />
Tab. 3.1: Anzahl <strong>und</strong> mittlere jährliche Effektivdosis von Personen,<br />
die in Kernkraftwerken beschäftigt waren <strong>und</strong> deren Exposition<br />
überwacht wurde (Unscear 2000).<br />
- Bevölkerung<br />
Durch den Betrieb von Kernkraftwerken werden im Reaktorkernbereich<br />
radioaktive Spalt- <strong>und</strong> Aktivierungsprodukte erzeugt,<br />
die zu einem sehr geringen Teil trotz effektiver Rückhaltevorrichtungen<br />
in die Umwelt kontrolliert abgegeben<br />
werden. Dazu zählen radioaktive Isotope von Edelgasen wie<br />
133<br />
Xe (T1/2 = 5,3 Tage) <strong>und</strong> 85 Kr (T1/2 = 10,7 Jahre). Tritium<br />
(T1/2 = 12,26 Jahre) kann insbesondere von Schwerwasserreaktoren<br />
freigesetzt werden, bei denen es durch Neutronenaktivierung<br />
von Deuterium entsteht. Auch 14 C (T1/2 =<br />
5.730 Jahre) kann ein wesentlicher Bestandteil gasförmiger<br />
Freisetzungen sein. Tabelle 3.2 fasst die hauptsächlichen<br />
gasförmigen <strong>und</strong> flüssigen Freisetzungen eines modernen<br />
kommerziellen Druckwasserreaktors zusammen.<br />
Freisetzung<br />
(Bq/Jahr)<br />
Edelgasisotope<br />
9,75 x<br />
10 11<br />
14<br />
C<br />
(gasförmig)<br />
5,14 x<br />
10 11<br />
Tritium<br />
(gasförmig)<br />
3,85 x<br />
10 11<br />
Tritium<br />
(flüssig)<br />
2,37 x<br />
10 13<br />
Tab. 3.2: Typische jährliche gasförmige bzw. flüssige Freisetzungen<br />
eines großen modernen Druckwasserreaktors in<br />
Deutschland (Landold-Börnstein, Bd 3, 2005).<br />
Die Konzentrationen der freigesetzten Radionuklide sind in<br />
der Umwelt – außer manchmal nahe eines Reaktors – nicht<br />
messbar. Daher muss sich die Abschätzung der dadurch<br />
91
verursachten Dosen für die Bevölkerung auf Modellrechnungen<br />
stützen, die den atmosphärischen <strong>und</strong> aquatischen<br />
Transport dieser Radionuklide beschreiben, ihren möglichen<br />
Transport durch Umweltmedien <strong>und</strong> Nahrungsmittel <strong>und</strong> eine<br />
eventuelle Inkorporation durch den Menschen berücksichtigen<br />
<strong>und</strong> daraus für Referenz-Personen <strong>und</strong> -Szenarien<br />
externe <strong>und</strong> interne Expositionen quantitav <strong>und</strong> konservativ<br />
abschätzen. Unter der Modellannahme, dass in einem Umkreis<br />
von 50 km um einen Reaktorstandort eine Bevölkerungsdichte<br />
von 400 Personen/km 2 typisch ist, ergibt sich für<br />
Anwohner in diesem Umkreis beispielsweise durch den Betrieb<br />
eines Druckwasserreaktors zusätzlich eine jährliche,<br />
über diese Bevölkerung gemittelte, effektive Dosis von etwa<br />
5 �Sv. Für einen Siedewasserreaktor liegt der entsprechende<br />
Jahres-Wert bei 10 �Sv (UNSCEAR 2000), was vergleichsweise<br />
numerisch etwa dem Doppelten der mittleren<br />
täglichen Strahlenexposition eines deutschen Bürgers aus<br />
natürlichen Quellen entspricht. Konkrete Werte für deutsche<br />
Kernkraftwerke werden in Kapitel 4.3 ausführlicher diskutiert.<br />
Radionuklide mit langen Halbwertszeiten, die sich leicht in<br />
der Umwelt ausbreiten, können zudem global zu einer Erhöhung<br />
der Strahlenexposition führen. Dazu zählen neben<br />
den bereits erwähnten Tritium, 14 C <strong>und</strong> 85 Kr das langlebige<br />
radioaktive Iodisotop 129 I (T1/2 = 1,6 x 10 7 Jahre). Würden<br />
beispielsweise die 14 C-Freisetzungen in den Aktivitäts-Mengen<br />
des Jahres 2000 auch in Zukunft stattfinden, ergäbe<br />
sich für die Bevölkerung im Jahre 2050 global eine zusätzliche,<br />
durch die 14 C-Freisetzungen bedingte Dosis von etwa<br />
0,1 �Sv/a (UNSCEAR 2000).<br />
3.2 Beispiele für Anwendungen in der Industrie<br />
Ionisierende Strahlung findet bei einer Reihe von industriellen<br />
Verfahren Anwendung. Dabei handelt es sich beispielsweise<br />
um Verfahren der zerstörungsfreien Materialanalyse<br />
oder um Bestrahlungen zur Sterilisation medizinischer <strong>und</strong><br />
pharmazeutischer Produkte. Auch Radioisotope werden als<br />
Quellen ionisierender Strahlung verwendet – sei es als Tracer<br />
zum Studium kinetischer Prozesse, zum Monitoring von<br />
Abbrandprozessen oder in der pharmazeutischen Industrie<br />
92
für diagnostische oder therapeutische Zwecke in der Nuklearmedizin.<br />
Radiographie<br />
- Werkstoffprüfung<br />
Die physikalischen Eigenschaften hochenergetischer elektromagnetischer<br />
Strahlung (Röntgen-, Gammastrahlung) erlauben<br />
deren Einsatz auch bei der zerstörungsfreien Untersuchung<br />
von Proben unterschiedlichster Herkunft. Bei der<br />
Radiographie wird die elementspezifische Schwächung<br />
elektromagnetischer Strahlung beim Durchgang durch Materie<br />
ausgenutzt <strong>und</strong> beispielsweise für Materialprüfungen<br />
eingesetzt – etwaige Herstellungsfehler an Gussteilen oder<br />
Autoreifen sind nach Durchleuchtung auf einem radiographischen<br />
Bild sichtbar.<br />
Prinzipiell werden zwei Vorgehensweisen angewendet:<br />
Entweder werden die zu untersuchenden Objekte zu einem<br />
fest installierten Gerät gebracht, oder ein tragbares Gerät<br />
wird eingesetzt, das die Untersuchung fest installierter<br />
Objekte (wie zum Beispiel die Untersuchung von Pipelines<br />
auf Schäden in den Schweißnähten) vor Ort erlaubt. Als<br />
Strahlenquellen kommen meist entweder 192 Ir (Halbwertszeit:<br />
74 Tage) einer Aktivität zwischen 1,8 x 10 12 <strong>und</strong> 4,4 x<br />
10 12 Bq, 60 Co einer Aktivität von etwa 3 x 10 8 Bq oder 137 Cs<br />
einer Aktivität zwischen 3 x 10 8 <strong>und</strong> 8 x 10 10 Bq zum Einsatz.<br />
Bei den verwendeten Röntgenröhren liegen die<br />
Spannungen typischerweise zwischen 60 <strong>und</strong> 300 kV.<br />
Weltweit waren zwischen 1990 <strong>und</strong> 1994 bei der industriellen<br />
Anwendung radiographischer Verfahren mehr als<br />
100.000 Personen beschäftigt, die mit einer mittleren jährlichen<br />
effektiven Dosis von etwa 1,6 mSv exponiert waren,<br />
53.000 davon waren einer entsprechenden Dosis von mehr<br />
als 3 mSv ausgesetzt (UNSCEAR 2000).<br />
- Röntgenfluoreszenz-Analyse<br />
Bei der Röntgenfluoreszenz-Analyse werden mittels Röntgenstrahlung<br />
die Atome des zu untersuchenden Materials<br />
elementspezifisch angeregt. Die bei der Abregung freige-<br />
93
setzte charakteristische Röntgenstrahlung dient dem Nachweis<br />
der entsprechenden Elemente.<br />
Industriell genutzte Bestrahlungsanlagen<br />
- Anlagen zur Sterilisation <strong>und</strong> Konservierung<br />
Seit Ende der 1950er Jahre wird ionisierende Strahlung industriell<br />
für Bestrahlungen eingesetzt. Laut (UNSCEAR<br />
2000) sind weltweit etwa 160 Einrichtungen vorhanden, die<br />
zur Bestrahlung Gammastrahlung, <strong>und</strong> 600 weitere, die Beta-Strahlung<br />
verwenden. In den meisten Fällen handelt es<br />
sich dabei um Anlagen zur Sterilisation medizinischer oder<br />
pharmazeutischer Produkte, zur Konservierung von Nahrungsmitteln<br />
(die Konservierung von Nahrungsmitteln ist bis<br />
auf wenige Ausnahmen, z. B. Gewürze, in Deutschland nicht<br />
zugelassen), zur Materialbearbeitung oder zur Desinfektion<br />
nach Insektenbefall. Im Falle der Gammabestrahlungs-<br />
Einrichtungen werden meistens 60 Co-Quellen (Halbwertszeit:<br />
5,3 Jahre; Gammaenergie: 1,1 MeV <strong>und</strong> 1,3 MeV) einer<br />
Aktivität im Bereich von 10 15 Bq–10 16 Bq verwendet, seltener<br />
werden auch 137 Cs-Quellen (Halbwertszeit: 30,2 Jahre;<br />
Gamma-Energie: 661 keV) eingesetzt. Da am Ort der Bestrahlung<br />
mit hohen Dosen gearbeitet wird – typische Dosisraten<br />
liegen bei einem Gray pro Sek<strong>und</strong>e – sind die Anlagen<br />
mit dicken Abschirmeinrichtungen ausgerüstet, um die<br />
Strahlenexpositionen für das Personal gering zu halten.<br />
Im Zeitraum 1990–1994 erhielten die weltweit etwa 57.000<br />
in diesem Bereich Beschäftigten nur eine mittlere jährliche<br />
effektive Dosis von 0,1 mSv. Bei etwa 2.500 Personen kam<br />
es aber zu höheren Expositionen, die zu einer mittleren jährlichen<br />
effektiven Dosis dieser Gruppe von 2,3 mSv führten<br />
(UNSCEAR 2000).<br />
- Anlagen zur Polymerisation von Kunststoffen<br />
Da bei Bestrahlung chemische Bindungen aufgebrochen<br />
werden, können dadurch die Eigenschaften verschiedenster<br />
Kunststoffe verändert werden. Diese Eigenschaft wird beispielsweise<br />
bei der Polimerisation von Kunststoffen bei der<br />
Herstellung von Schrumpfmaterialien angewendet.<br />
94
Herstellung von Radioisotopen<br />
Radioaktive Isotope werden hergestellt für einen weiten Anwendungsbereich<br />
in Industrie <strong>und</strong> Medizin. Beispiele für die<br />
Anwendungen von Gammastrahlern wie 137 Cs <strong>und</strong> 60 Co<br />
wurden bereits weiter oben angesprochen. Radioisotope<br />
finden außerdem Anwendung bei der Untersuchung des kinetischen<br />
Verhaltens bestimmter Elemente in verschiedensten<br />
Umgebungen. Dazu zählt zum Beispiel die Untersuchung<br />
des menschlichen Metabolismus bestimmter Elemente<br />
mit radioaktiven Isotopen desselben Elements („Tracer-<br />
Verfahren“, siehe unten). Man macht sich dabei zunutze,<br />
dass die chemischen Eigenschaften eines Elements nur von<br />
der Anzahl der Elektronen in der Atomhülle abhängen, <strong>und</strong><br />
dementsprechend alle Isotope desselben Elements identische<br />
chemische Eigenschaften aufweisen. Wenn physikalische<br />
Unterschiede zwischen den Isotopen eines Elements<br />
(z. B. Atomgewicht, Atomdurchmesser) vernachlässigt werden<br />
können, dann kann ein radioaktives Isotop, das wegen<br />
der beim Zerfall ausgesandten Strahlung leicht nachgewiesen<br />
werden kann, verwendet werden, um das Verhalten der<br />
stabilen Isotope desselben Elements zu untersuchen. Weitere<br />
wichtige Anwendungen von Radioisotopen finden sich in<br />
der Nuklearmedizin sowie in der medizinischen Diagnostik<br />
(PET, Szintigraphie). Diese werden an anderer Stelle diskutiert.<br />
- Radioisotope in Kalibrierquellen<br />
Ein weiterer Anwendungsbereich von Radioisotopen stellt<br />
die Herstellung von Prüf- <strong>und</strong> Kalibrierquellen definierter Aktivität<br />
<strong>und</strong> Geometrie (Punkt-, Flächen-, Volumenquelle) dar,<br />
die eingesetzt werden, um beispielsweise Messgeräte für<br />
den Nachweis von ionisierender Strahlung auf ihre Funktionsfähigkeit<br />
zu überprüfen <strong>und</strong> ihr energieabhängiges Ansprechvermögen<br />
zu quantifizieren. Stellvertretend sei hier<br />
das Radioisotop 152 Eu erwähnt (Halbwertszeit: 13,33 Jahre),<br />
das beim Zerfall eine Reihe Gammaquanten unterschiedlichster<br />
Energie mit unterschiedlichen, aber gleichfalls bekannten<br />
Intensitäten emittiert (von 122 keV bis 1,4 MeV).<br />
Hiermit können die Nachweiswahrscheinlichkeiten von Photonen<br />
unterschiedlicher Energien von Halbleiter- oder Szintillationsdetektoren<br />
über einen weiten Energiebereich be-<br />
95
stimmt werden. Die in diesem Bereich eingesetzten radioaktiven<br />
Quellen kommen mit einer deutlich geringeren Aktivität<br />
aus als die weiter oben diskutierten Quellen, die in der Radiographie<br />
oder in Bestrahlungsanlagen eingesetzt werden.<br />
In vielen Fällen ist eine Aktivität im unteren kBq-Bereich bereits<br />
ausreichend.<br />
- Radioisotope für Rauchmelder<br />
Auch Produkte im Alltag können in kleinen Konzentrationen<br />
künstlich hergestellte Radioisotope enthalten. Ein Beispiel<br />
dafür sind Rauchmelder, in denen häufig eine 241 Am-Quelle<br />
eingebaut ist. In einer Ionisationskammer werden die beim<br />
Zerfall des 241 Am (Halbwertszeit: 433 Jahre) emittierten Alpha-Teilchen<br />
nachgewiesen. Falls Rauchteilchen eindringen,<br />
verringert sich das von der Ionisationskammer nachgewiesene<br />
Signal. Bei dieser Anwendung reicht bereits eine<br />
241<br />
Am-Aktivität von einigen kBq aus.<br />
- Radioisotope in Regel- <strong>und</strong> Messeinrichtungen<br />
Die Abschwächung von Gammastrahlung beim Durchgang<br />
durch Materie wird in der Industrie beispielsweise auch genutzt<br />
bei der Messung von Füllstandshöhen in Behältern<br />
oder bei der Überprüfung von Restwandstärken von sich<br />
abnutzenden Bauteilen.<br />
Weltweit waren von 1990–1994 in der Herstellung von Radioisotopen<br />
etwa 24.000 Personen beschäftigt. Diese waren<br />
einer mittleren jährlichen effektiven Dosis von etwa 2 mSv<br />
ausgesetzt.<br />
3.3 Beispiele für Anwendungen in der Wissenschaft<br />
Ionisierende Strahlung besitzt ein enorm breites Anwendungsspektrum<br />
in der allgemeinen Wissenschaft, sodass an<br />
dieser Stelle nur eine kleine Auswahl davon gegeben werden<br />
kann. Alles was der Mensch heute über das unendliche<br />
Universum <strong>und</strong> die kleinsten Elementarteilchen, die die Welt<br />
im Inneren zusammenhalten, weiß, beruht letztlich auf der<br />
wissenschaftlichen Beobachtung, Analyse <strong>und</strong> Interpretation<br />
96
von Strahlenmessungen. Die Temperatur der Erde wird<br />
durch die radioaktive Zerfallswärme natürlicher Radionuklide<br />
im Erdinneren auf das für das Leben wichtige Niveau erhöht.<br />
<strong>Radioaktivität</strong> ist überall (ubiquitär) <strong>und</strong> seit der Entstehung<br />
der Erde (primordial) in der Natur vorhanden. Die meisten<br />
(ca. 1.800) der bekannten Isotope (über 2.700) des Periodensystems<br />
der Elemente zeigen diese Eigenschaft. Die<br />
Wissenschaft zieht daraus vielfältigen Nutzen auf vielen Gebieten.<br />
Radioisotope<br />
Im vorhergehenden Kapitel wurde bereits die industrielle<br />
Herstellung <strong>und</strong> der Einsatz von Radionukliden als zugesetzte,<br />
"exogene" Tracer in Forschung <strong>und</strong> Wissenschaft<br />
erwähnt. Dabei werden Radioisotope desjenigen Elements,<br />
dessen dynamisches Verhalten im Menschen, einer Pflanze,<br />
etc. oder in einem unbelebten Umweltkompartent untersucht<br />
werden soll, in Spurenmengen dem System kontrolliert zugegeben.<br />
Diese Spurenmengen sollen möglichst das studierte<br />
Objekt oder das Verhalten des Elements in ihm nicht<br />
verändern <strong>und</strong> in den Proben, die dem System entnommen<br />
werden, gerade noch quantitativ hinreichend genau nachweisbar<br />
sein. Es sei aber auch darauf hingewiesen, dass<br />
auch Radionuklide, die aus technischen Anlagen routinemäßig<br />
(z. B. aus den Wiederaufarbeitungsanlagen in Sellafield<br />
<strong>und</strong> an der französischen Atlantikküste) oder bei Stör<strong>und</strong><br />
Unfällen (z. B. beim Reaktorunfall von Tschernobyl) in<br />
die Atmosphäre oder die aquatische Umwelt abgegeben<br />
werden, zum wissenschaftlichen Studium z. B. von Laufzeiten<br />
<strong>und</strong> Transportwegen von Wasserkörpern in Meeresströmungen<br />
im Atlantik, von kontaminierten Luftmassen in der<br />
Troposphäre <strong>und</strong> Stratosphäre, oder von Stoffen in der Nahrungskette<br />
für wissenschaftliche Zwecke benutzt werden.<br />
Bei der kontrollierten Verwendung von kleinen Mengen von<br />
Radioisotopen wird z B. das Verhalten von interessierenden<br />
Atomen oder chemischen, pharmazeutischen Molekülen im<br />
Menschen für Zwecke der Pharmazie oder der internen Dosimetrie<br />
untersucht, das Verhalten von Düngemitteln in der<br />
Umwelt oder der Fluss von Wasserkörpern im Untergr<strong>und</strong>,<br />
in Flüssen oder im Meer.<br />
97
Die dabei eingesetzten Radionuklide sollten u. a. die Eigenschaft<br />
haben, dass sie in den benötigten Konzentrationen<br />
nicht toxisch auf die untersuchte Einheit wirken, ihre Halbwertszeiten<br />
der zeitlichen Länge der jeweiligen Untersuchungen<br />
optimal angepasst sind <strong>und</strong> ionisierende Strahlung<br />
emittieren, die hinsichtlich Strahlenart <strong>und</strong> -Energie effizient<br />
nachgewiesen werden kann. Die zugesetzten Radionuklide<br />
(es können auch gleichzeitig mehrere verschiedene Isotope<br />
in unterschiedlicher chemischer Art <strong>und</strong> mit unterschiedlichen<br />
Halbwertszeiten eingesetzt werden) stellen oft eine im<br />
Moment der Zugabe gestartete "Stoppuhr" dar, mit deren<br />
Hilfe auch Laufzeiten von Stoffen in den untersuchten Systemen<br />
studiert werden können (z. B. Meeresströmungen,<br />
atmosphärische Verfrachtungen).<br />
Es können aber auch Konzentrationen von "endogenen",<br />
d.h. einem untersuchten Kompartment nicht künstlich von<br />
außen zugesetzte, sondern in ihm natürlicherweise vorkommende<br />
Tracerisotope wissenschaftlich analysiert werden<br />
z. B. zum Zwecke der Alters- <strong>und</strong>/oder Herkuftsbestimmung<br />
eines Objektes. Diese nutzen den Vorteil, dass die<br />
intranuklearen Kernbindungkräfte um viele Größenordnungen<br />
größer sind als die thermischen <strong>und</strong> chemischen Energien,<br />
die in der Umwelt überhaupt vorliegen können. In der<br />
Geochronologie, d.h. der Altersbestimmung von Gesteinen,<br />
betrachtet man Radionuklide mit sehr langen Halbwertszeiten<br />
(HWZ, in aufsteigender Reihenfolge), wie z. B.<br />
- die 235 U - 207 P - Datierung ( 0,7 Mrd. Jahre HWZ),<br />
- die 40 K - 40 Ar - Datierung ( 1,3 Mrd. Jahre HWZ),<br />
- die 238 U - 206 Pb - Datierung ( 4,5 Mrd. Jahr HWZ),<br />
- die 232 Th - 208 Pb - Datierung ( 14 Mrd. Jahre HWZ),<br />
- die 87 Rb - 87 Sr - Datierung ( 49 Mrd. Jahre HWZ),<br />
- die 147 Sm - 143 Nd - Datierung (106 Mrd. Jahre HWZ).<br />
Bei Verwendung der sog. Isochronendiagramme müssen die<br />
anfänglichen Radionuklidkonzentrationen <strong>und</strong> Isotopenverhältnisse<br />
der Folgenuklide der Zerfallsketten nicht bekannt<br />
sein. Sie resultieren aber – neben dem meist primär zu bestimmenden<br />
Alter der Probe – auch aus der Untersuchung<br />
<strong>und</strong> erlauben Aussagen über eventuelle Einflüsse der Umwelt<br />
auf die Messungen.<br />
98
Zu Lebens-Beginn des Sonnensystems gab es in den solaren<br />
Nebeln bereits die relativ kurzlebigen Radionuklide 26 Al,<br />
60 53 129<br />
Fe, Mn <strong>und</strong> J, die vermutlich durch Explosionen von<br />
Supernovae entstanden waren. Sie selbst sind zwar inzwischen<br />
völlig zerfallen, aber ihre Folgeprodukte können noch<br />
in alten Meteoriten entdeckt <strong>und</strong> gemessen werden (z. B.<br />
durch Massenspektrometer). Mit Hilfe von Isochrondiagrammen<br />
können dann relative Zeiten seit Ereignissen in der<br />
Frühgeschichte unseres Universums bestimmt werden; bei<br />
zusätzlicher U-Pb Datierung können hier manchmal sogar<br />
absolute Alter abgeschätzt werden.<br />
Viele Minerale zeigen auch die physikalische Eigenschaft<br />
der Thermolumineszenz. Die Gehalte an natürlichen 40 K-,<br />
238 232<br />
U- <strong>und</strong> Th-Isotopen <strong>und</strong> das natürliche externe Strahlungsfeld<br />
am Gesteinsort bewirken bei der Wechselwirkung<br />
von ionisierender Strahlung mit den Steinen (oder zivilisatorischen<br />
Keramikobjekten) die Bildung von Elektronen-<br />
Lochpaaren. Diese Mineralien verhalten sich wie ein zeitlich<br />
integrierendes Dosimeter, was u. a. in der Archäologie zur<br />
Altersbestimmung ausgenutzt wird. Die Elektronen bleiben<br />
recht langfristig in den energetisch höheren Haftstellen der<br />
vorhandenen Verunreinigungen hängen <strong>und</strong> senden erst bei<br />
der Aufheizung des Minerals <strong>und</strong> der dabei stattfindenden<br />
Leerung der Haftstellen <strong>und</strong> Rücksetzung des Signals im<br />
Labor (oder durch eine Erhitzung im Feld oder bei der Keramikfabrikation)<br />
optisch messbare Strahlung aus. Aus der<br />
Menge dieser Strahlung an geeigneter Stelle im Spektrum<br />
kann – nach dann erfolgter Kalibrierung – das Alter oder die<br />
thermische Vorgeschichte eines Steins oder einer Keramik<br />
bestimmt werden.<br />
In der Archäologie werden auch Radionuklide verwendet, allerdings<br />
mit bedeutend kürzeren HWZ. Hier wird sehr oft die<br />
Radiokohlenstoff ( 14 C)- Datierung (HWZ = 5.730 Jahre) auf<br />
organische Testobjekte angewandt, die allerdings dann nicht<br />
älter als 60.000 Jahre sein sollten.<br />
Radiokohlenstoff entsteht ständig (mit leichten, durch die<br />
Sonnenaktivität gegebenen Schwankungen) global in der<br />
Atmosphäre durch Einwirkung von sek<strong>und</strong>ären, thermalisierten<br />
Neutronen der kosmischen Strahlung auf Luft-Stickstoff<br />
nach dem Schema 14 N (n,p) 14 C. Dieser zuerst atomare<br />
99
Kohlenstoff ist schnell in der chemischen Form von CO 2 zu<br />
finden, nimmt so am normalen Kohlenstoffkreislauf in der<br />
Biosphäre <strong>und</strong> an der pflanzlichen Assimilation teil, solange<br />
diese Pflanzen leben. Nach dem Absterben verringert sich<br />
durch den radioaktiven Zerfall des 14 C ständig sein Konzentrations-Verhältnis<br />
zu stabilem 12 C (z. Zt. ist dieses bei<br />
lebenden Pflanzen ca. 16 Zerfälle pro Minute pro Gramm<br />
Kohlenstoff), woraus die Zeit seit dem Absterben der Pflanzen<br />
abgeleitet werden kann.<br />
Partikel- <strong>und</strong> Photonenstrahlung<br />
Es gibt weltweit eine große Anzahl großer wissenschaftlicher<br />
linearer oder kreisförmiger Teilchenbeschleuniger (z. B.<br />
bei CERN, DESY, GSI, etc.) <strong>und</strong> viele Beschleuniger niedrigerer<br />
Energien an Universitäten <strong>und</strong> außeruniversitären<br />
Forschungseinrichtungen, die letztlich ionisierende Strahlung<br />
zu wissenschaftlichen Zwecken erzeugen. Diese haben<br />
zu großartigen wissenschaftlichen Entdeckungen geführt<br />
(z. B. unzählige neue Isotope <strong>und</strong> Elementarteichen wurden<br />
entdeckt), die durch eine große Zahl hierfür vergebener Nobelpreise<br />
ausgezeichnet wurden.<br />
Seit der Entwicklung der Prinzipien eines Zyklotrons durch<br />
den Schweizer Wideroe <strong>und</strong> dessen erste, Handteller-große<br />
Realisierung (10 cm Durchmesser) durch E.O. Lawrence<br />
1930 an der University of California in Berkeley haben derartige<br />
kreisförmigen Maschinen (Synchrotrons) heute deutlich<br />
größere Dimensionen (LEP-CERN 8,5 km Durchmesser)<br />
angenommen <strong>und</strong> benutzten supraleitende Magnete. Kreisförmige<br />
Beschleuniger erzeugen auch Photonenstrahlung,<br />
Synchrotronstrahlung genannt, die heute weltweit (z. B.<br />
deutsche Anlagen BESSY <strong>und</strong> DESY, europäische Anlage<br />
in Grenoble, Rutherford-Appleton Laboratory, Harwell, UK,<br />
Advanced Light Source, Argonne,USA, Stanford Linear Accelerator<br />
(3 km lang): SPEAR, CA) intensiv auch zur Strukturaufklärung<br />
biologischer Moleküle (z. B. Röntgenstreuung<br />
an Proteinen) eingesetzt wird.<br />
Der Schutz der Ges<strong>und</strong>heit der an Hochenergie-Beschleunigeranlagen<br />
Arbeitenden vor ionisierender Strahlung <strong>und</strong><br />
die geforderte Orts- <strong>und</strong> Personendosimetrie stellen in vielen<br />
Fällen eine ungewöhnlich schwierige Aufgabe des Strah-<br />
100
lenschutzes dar. Dies liegt zum einen an der großen Vielfalt<br />
von primären <strong>und</strong> sek<strong>und</strong>ären Teilchen <strong>und</strong> Atomen, die zur<br />
externen <strong>und</strong> internen Strahlenexposition in Beschleunigerumwelten<br />
beitragen können. Zum anderen können die Messungen<br />
der externen Photonen- <strong>und</strong> Teilchen-Strahlungen<br />
an diesen Stellen wegen der teilweise extrem kurzen Pulszeiten,<br />
den oft sehr hohen Teilchen-Energien <strong>und</strong> der dort<br />
noch fehlenden Strahlenwirkungsquerschnitte <strong>und</strong> Instrumentenkalibrierungen<br />
sehr schwierige Aufgaben des Strahlenschutzes<br />
darstellen.<br />
Untersuchungen im Forschungsreaktor FRM2-<br />
Die neue deutsche Hochfluss-Neutronenquelle "Heinz Maier-Leibnitz<br />
(FRM-II)", als Nachfolger des berühmten Garchinger<br />
Atom-Ei's, dient vielfältigen Zwecken der Forschung,<br />
Wissenschaft, Medizin <strong>und</strong> Technik. Vor allem ist sie ausgelegt<br />
für Strahlrohrexperimente in den Materialwissenschaften<br />
<strong>und</strong> der Katalyseforschung, für Oberflächen- <strong>und</strong> Defektanalyse<br />
mit Positronen, für verschiedenste Forschungsfragen<br />
in den Lebenswissenschaften <strong>und</strong> der Medizin (z. B.<br />
Tumortherapie), aber auch für Radiographie <strong>und</strong> Tomographie.<br />
Es können zusätzlich Proben intern bestrahlt werden,<br />
unterschiedliche Isotope produziert <strong>und</strong> Silizium dotiert werden.<br />
3.4 Beispiele für Anwendungen in der Medizin zur<br />
Diagnostik <strong>und</strong> Therapie<br />
Radionuklide in der modernen medizinischen<br />
Diagnostik <strong>und</strong> Therapie<br />
- Voraussetzungen zur Anwendung von Radionukliden<br />
in der Medizin<br />
Radioaktive Elemente, auch Radionuklide genannt, sind zur<br />
Untersuchung elementarer Lebensprozesse in den verschiedenen<br />
Organen <strong>und</strong> Geweben eines Patienten heute<br />
unentbehrliche Werkzeuge der medizinischen Diagnostik.<br />
Darüber hinaus können sie auch therapeutisch höchst wirksam<br />
sein.<br />
101
Wie alle lebenden Gewebe ist auch der menschliche Körper<br />
aus nur wenigen Atomarten aufgebaut: im wesentlichen sind<br />
es Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff, Stickstoff, Schwefel<br />
<strong>und</strong> Phosphor; dazu kommen Kalzium, insbesondere für den<br />
Knochenaufbau, <strong>und</strong> darüber hinaus noch eine Vielzahl sehr<br />
kleiner Mengen von Elementen, die als Spurenelemente<br />
Hilfsfunktionen zur Aufrechterhaltung der elementaren Lebensvorgänge<br />
wahrnehmen. Atome einzelner Elemente sind<br />
im Körper nach bestimmten Gesetzen zu vielfältigen Molekülen<br />
verb<strong>und</strong>en. Ihre besondere Struktur <strong>und</strong> Funktion<br />
bestimmen wiederum als Bausteine größere Strukturen.<br />
Der Mensch nimmt mit seiner Nahrung die für ihn notwendigen<br />
Bausteine auf. Diese werden im Körper auf eine höchst<br />
komplexe Weise mit Hilfe von spezifischen biologischen<br />
Konstruktionsmolekülen, den so genannten Enzymen, für<br />
den Aufbau von größeren, funktionstragenden Strukturen<br />
eingesetzt <strong>und</strong> kompensieren dadurch gleichzeitig ablaufende<br />
strukturelle Abbauprozesse im Körper. Diese Vorgänge<br />
nennt man in ihrer Gesamtheit den Stoffwechsel.<br />
Auch die einzelnen Zellen sind wie in einem großen Netzwerk<br />
aufeinander abgestimmt <strong>und</strong> unterliegen Regulationen,<br />
die durch als Signalsubstanzen bezeichnete Moleküle vermittelt<br />
werden. Diese werden von spezialisierten Zellen abgegeben<br />
<strong>und</strong> finden auf der Oberfläche anderer Zellen für<br />
die Erkennung der Signalsubstanzen spezifische Rezeptoren,<br />
die wie ein Schlüsselloch nur bestimmte Schlüssel erkennen<br />
können. Jeder Zelltyp im Körper hat ganz spezielle<br />
Aufgaben, die den Organen <strong>und</strong> Geweben ihre besondere<br />
Funktion verleihen. In Organen mit hohem Zellverlust, wie<br />
der Haut, der Magen-Darm-Schleimhaut, dem Knochenmark<br />
<strong>und</strong> den Lymphknoten findet man stets eine mehr oder weniger<br />
stark ausgeprägte Zellteilung, die den normalen Zellverlust<br />
ersetzt. Auch die Zellteilungen werden nicht nur<br />
durch den Stoffwechsel der Zellen selbst, sondern auch<br />
durch Signalsubstanzen zwischen verschiedenen Zellen gesteuert.<br />
Fällt diese gezielte Zellteilung aus, kann dies zu<br />
bösartigen Tumoren führen.<br />
Auch einzelne Organe kommunizieren als Ganzes über spezialisierte<br />
Zellen mit entsprechend spezialisierten Zellen<br />
anderer Organe, da auch Steuerungsmechanismen zwischen<br />
den verschiedenen Organen des Körpers bestehen.<br />
102
Nur so funktioniert der Körper als Einheit. Die Gesamtfunktion<br />
des Körpers ist somit schließlich abhängig vom Stoffwechsel<br />
der einzelnen Organe.<br />
Bis Anfang des letzten Jahrh<strong>und</strong>erts waren Stoffwechselvorgänge<br />
nur wenig bekannt, da man sie nur indirekt mit<br />
aufwändigen biochemischen Methoden an dem Organismus<br />
entnommenem Gewebe untersuchen konnte. Nach Entdeckung<br />
der Radionuklide <strong>und</strong> nach deren Einsatz für wissenschaftliche<br />
Untersuchungen bekamen Wissenschaft <strong>und</strong><br />
Medizin ein ideales Werkzeug in die Hand, mit dem die<br />
Stoffwechselprozesse im lebenden Organismus untersucht<br />
werden konnten. Radioaktive Isotope eines Elementes sind<br />
zwar chemisch identisch mit den entsprechenden nicht radioaktiven<br />
Elementen, sie senden jedoch Strahlen aus, die<br />
man mit entsprechend empfindlichen Geräten außerhalb<br />
des Körpers nachweisen kann. Da der Organismus nicht<br />
zwischen radioaktiven <strong>und</strong> nicht radioaktiven Elementen unterscheiden<br />
kann, nimmt er auch die radioaktiven Substanzen<br />
in gleicher Weise wie die nicht radioaktiven Elemente in<br />
seinen Stoffwechsel auf, wenn ihm die radioaktiven Isotope<br />
angeboten werden. Dies kann mit der Nahrungsaufnahme<br />
(per oral) oder, in der Regel, als intravenöse Injektion erfolgen.<br />
Radionuklide, die am Stoffwechsel teilnehmen, können<br />
mit einer geeigneten Technik außerhalb des Körpers verfolgt<br />
werden.<br />
Die Möglichkeit zur Nutzung von Radionukliden als Indikatoren<br />
des Stoffwechsels wurde früh von G. von Hevesy erkannt,<br />
der 1923 mit dem natürlichen Radionuklid des Blei Untersuchungen<br />
an Pflanzen durchführte. Dieser Anstoß zum<br />
Einsatz von Radionukliden als Indikatoren zur Prüfung des<br />
Stoffwechsels in lebenden Systemen führte letztlich zu deren<br />
heutigen breiten Anwendung in der gesamten Biologie <strong>und</strong><br />
Medizin. Von Hevesy erhielt hierfür 1943 den Nobelpreis.<br />
Schon wenige Jahre nach der ersten Veröffentlichung durch<br />
von Hevesy konnten H. L. Blumgard <strong>und</strong> S. Weiss 1927 mit<br />
Hilfe des natürlichen Radionuklids Wismut (Wismut-210,<br />
auch Radium C genannt) <strong>und</strong> einfachen Strahlennachweisgeräten<br />
die Zirkulationszeit des Blutes im Menschen von der<br />
Injektionsstelle am Arm zum Herzen <strong>und</strong> wieder zum anderen<br />
Arm messen; dabei wurden bei Patienten mit Herzschwäche<br />
veränderte Werte gef<strong>und</strong>en. Diesen <strong>und</strong> anderen<br />
103
vereinzelten Pionierleistungen folgte im Jahr 1934 die Entdeckung<br />
der künstlichen Radionuklide Stickstoff-13 <strong>und</strong><br />
Phosphor-30 durch Madame I. Curie <strong>und</strong> ihren Mann, J. F.<br />
Joliot. Dadurch wurde eine größere Anwendung der Radionuklide<br />
als Indikatoren für Stoffwechseluntersuchungen<br />
überhaupt erst möglich. Sehr bald wurden auch weitere<br />
künstlich hergestellte Radionuklide entdeckt. So erzeugte<br />
noch im selben Jahr 1934 E. Fermi radioaktives Iod, das<br />
biologisch deswegen interessant ist, weil die Schilddrüse als<br />
einziges Organ eine relativ große Menge Iod benötigt, <strong>und</strong><br />
zwar für die Synthese der Schilddrüsenhormone. 1935 berichtete<br />
v. Hevesy über seine Experimente mit radioaktivem<br />
Phosphor (Phosphor-32) an Ratten <strong>und</strong> konnte feststellen,<br />
dass der im Körper vorkommende Phosphor in den einzelnen<br />
Organen einen unterschiedlichen Umsatz hat, der in<br />
bösartigen Tumoren relativ hoch ist. Schon 1937 begann in<br />
Boston eine interdisziplinäre Gruppe mit dem Arzt S. Hertz<br />
<strong>und</strong> den Physikern A. Roberts <strong>und</strong> R. D. Evans radioaktives<br />
Iod (Iod-128) als Indikator der Schilddrüsenfunktion bei Kaninchen<br />
auszuprobieren. Die Gr<strong>und</strong>lage der Schilddrüsendiagnostik<br />
mit radioaktivem Iod wurde 1938 von diesen Forschern<br />
veröffentlicht.<br />
Nach dem zweiten Weltkrieg konnte der von E. Fermi am<br />
2.12.1942 in Betrieb genommene Kernreaktor in Chicago<br />
als große Neutronenquelle für die Großproduktion von vielen<br />
verschiedenen Radionukliden eingesetzt werden, womit<br />
der Weg für den allgemeinen klinischen Einsatz dieser Indikatortechnik<br />
freigemacht wurde. Das erste Angebot zum<br />
Verkauf von Radionukliden wurde am 14.6.1946 in der Zeitschrift<br />
„Science" bekannt gegeben.<br />
- Radionuklide in der Diagnostik<br />
Voraussetzung für die Anwendung von Radionukliden in der<br />
medizinischen Diagnostik ist, dass die von diesen Radionukliden<br />
ausgehende Strahlung den Organismus der Patienten<br />
durchdringen <strong>und</strong> von außen gemessen werden kann. Hierfür<br />
eignen sich nur Radionuklide mit einer höheren Reichweite der<br />
Strahlung, der Gammastrahlung.<br />
Die erweiterte Anwendung von Radionukliden in der medizinischen<br />
Diagnostik setzte die Entwicklung von Strahlennachweisgeräten<br />
voraus, welche auch in der Lage sein mussten, die<br />
104
äumliche Verteilung der Radionuklide im Organismus bildlich<br />
darzustellen. Gr<strong>und</strong>prinzip aller dieser Nachweisgeräte<br />
ist ein besonders aktivierter Natrium-Iodid-Kristall, der in der<br />
Lage ist, einfallende Gammastrahlen in sichtbares Licht umzuwandeln,<br />
das dann weiter verarbeitet werden kann. Die<br />
ersten Geräte dieser Art, Szintigraphen genannt, wurden Anfang<br />
der 50er Jahre entwickelt. Bei diesen Geräten bewegte<br />
sich ein kleiner Mess-Kristall zeilenförmig über das zu untersuchende<br />
Gebiet des Körpers hinweg <strong>und</strong> das jeweilige<br />
Messergebnis wurde in Form von schwarzen, bzw. bunten<br />
Strichmarkierungen auf Papier ausgedruckt (Szintigramm).<br />
Dabei war die Intensität der Schwärzung, bzw. die Art der<br />
Farbe proportional zur Intensität der gemessenen Strahlung.<br />
Schon wenige Jahre später wurde diese Technik durch so<br />
genannte Gammakameras (Abb. 3.6a) bereichert, die durch<br />
einen großen Mess-Kristall gleichzeitig die Intensität <strong>und</strong><br />
die Lokalisation der Strahlung in einem Feld von bis zu etwa<br />
50 cm x 50 cm erfassen können. Zusätzlich haben diese<br />
Gammakameras den Vorteil, auch sehr schnell ablaufende<br />
Änderungen der von den Radionukliden stammenden Strahlung<br />
registrieren zu können; so sind z. B. bei der Herzdiagnostik<br />
bis zu 100 Aufnahmen pro Sek<strong>und</strong>e möglich, so dass<br />
die im Herzen sehr schnell ablaufenden Funktionsabläufe erfasst<br />
werden können. Diese Szintigramme werden heute in<br />
der Regel an speziellen EDV-Bearbeitungsstationen sichtbar<br />
gemacht <strong>und</strong> ausgewertet (Abb. 3.6b). Eine zusätzliche Dokumentation<br />
dieser digitalen Daten kann auf CD, Papier oder<br />
Röntgenfilm erfolgen.<br />
Abb. 3.6a Doppelkopf-Gamma-Kamera<br />
105
Abb. 3.6b EDV-Bearbeitungsstation zur Bildbetrachtung <strong>und</strong><br />
Bef<strong>und</strong>ung<br />
Im Laufe der letzten Jahrzehnte gelang es, eine Vielzahl<br />
von Substanzen, die in den Stoffwechsel einzelner Orga-<br />
ne eingeschleust werden können, mit gammastrahlenden<br />
Nukliden zu markieren <strong>und</strong> damit die Funktion dieser Organe<br />
zu erfassen. Die radioaktiven Substanzen, die für die<br />
Diagnostik am Menschen eingesetzt werden, werden Radiopharmaka<br />
oder Radiopharmazeutika genannt.<br />
Auch heute noch ist man bei dieser Technik mit der Schwierigkeit<br />
konfrontiert, dass nur die Radiopharmaka mit Radionukliden<br />
markiert werden können, welche sich wie natürliche<br />
Bausteine im Stoffwechsel der Zellen <strong>und</strong> Organe verhalten.<br />
Ein wesentlicher Gr<strong>und</strong> für diese Schwierigkeit liegt in der<br />
Tatsache, dass es von den meisten Elementen, welche den<br />
Körper aufbauen, nur Radionuklide gibt, die entweder keine<br />
Gammastrahler sind oder nur eine sehr kurze Zeit strahlen.<br />
Deshalb musste für den Routineeinsatz nach Alternativen<br />
gesucht werden: das heute in der Medizin meist gebräuchliche<br />
Radionuklid ist das Technetium-99m (Tc-99m), mit dem<br />
sich sehr viele für eine Organuntersuchung relevante Substanzen<br />
markieren lassen. Für spezielle Untersuchungen<br />
werden auch Indium-111, Iod-123 <strong>und</strong> Iod-131 verwendet.<br />
Da die für die verschiedenen diagnostischen Untersuchungen<br />
dem Patienten verabreichten Radiopharmaka zu einer<br />
nicht unerheblichen Strahlenexposition führen (Tab. 3.3),<br />
verlangen nuklearmedizinische Untersuchungen im Rahmen<br />
106
einer Nutzen-Risiko-Betrachtung eine besondere Sorgfalt<br />
bei der Indikationsstellung, Auswahl des geeigneten Radionuklids<br />
(möglichst kurze biologische <strong>und</strong> physikalische<br />
Halbwertszeit) <strong>und</strong> Durchführung der Untersuchung. Allgemein<br />
soll für eine bestimmte Untersuchung dasjenige Radionuklid<br />
als Indikator ausgesucht werden, das aufgr<strong>und</strong> der<br />
Energie der Strahlung <strong>und</strong> der Zerfallszeit die niedrigste<br />
Strahlenexposition bei größtmöglicher diagnostischer Aussage<br />
mit sich bringt.<br />
Untersuchtes<br />
Organ<br />
Schilddrüse (Tc-<br />
99m-Pertechnetat)<br />
Skelett<br />
(Tc-99m -MDP)<br />
Aktivitätsmenge<br />
(Referenzwert,<br />
MBq)<br />
Effektive<br />
Dosis<br />
(mSv)<br />
75 1,0<br />
500–700 2,9–4<br />
Herz (Tc-99m-MIBI) 600–1000 7,2–8,2<br />
Nieren<br />
(Tc-99m-MAG3)<br />
Positronen-<br />
Emissions-<br />
Tomographie<br />
(PET ) (F18-FDG)<br />
100 0,7<br />
200–370 3,8–7,0<br />
Tab. 3.3 Größenordnung der Strahlenexposition in der<br />
nuklearmedizinischen Diagnostik<br />
Die diagnostischen Referenzwerte dieser Tabelle sowie die<br />
mit den Untersuchungen verb<strong>und</strong>enen Strahlenexpositionen<br />
wurden der Publikation von D. Noßke, V. Minkov <strong>und</strong> G. Brix<br />
“Festlegung <strong>und</strong> Anwendung diagnostischer Referenzwerte<br />
für nuklearmedizinische Untersuchungen“ in: Nuklearmedizin<br />
(2004) 3:79-85 entnommen.<br />
107
- Spezielle nuklearmedizinische Untersuchungen<br />
Die Schilddrüse verwendet für die Synthese ihrer Hormone<br />
Iod. Der Einbau von radioaktivem Iod in die Schilddrüse erlaubt<br />
so die Untersuchung von Organstruktur <strong>und</strong> -funktion.<br />
Das kurzlebige Iod-123 (Halbwertszeit 12 St<strong>und</strong>en) bringt im<br />
Vergleich zur selben Menge von langlebigerem Iod-131<br />
(Halbwertszeit 8 Tage) eine Reduktion der Strahlenexposi-<br />
tion für die Schilddrüse um den Faktor 100. Die Nutzung von<br />
Technetium-99m, das auch von der Schilddrüse aufgenommen<br />
wird, jedoch im Gegensatz zu Iod nicht in die Schilddrüsenhormone<br />
eingebaut wird, reduziert pro applizierter<br />
Menge des Radionuklids die Strahlenexposition im Vergleich<br />
zum Iod-123 noch einmal um den Faktor 30. Daher wird<br />
heute zur Darstellung von funktionstüchtigem Schilddrüsengewebe<br />
Technetium-99m bevorzugt. Etwa 20 Minuten nach<br />
intravenöser Injektion von Technetium-Pertechnetat wird die<br />
Radionuklidverteilung in der Schilddrüse mit der Gamma-<br />
Kamera bildlich dargestellt (Abb. 3.7).<br />
5<br />
c c<br />
m m<br />
108<br />
Normalbef<strong>und</strong><br />
Abb. 3.7 Schilddrüsen-Szintigramm (ohne krankhaften Bef<strong>und</strong>)
Neben Größe <strong>und</strong> Form der funktionsfähigen Schilddrüse<br />
kann mit diesem Verfahren bei verminderter Speicherung<br />
des Technetiums eine Unterfunktion (Hypothyreose) sowie<br />
bei vermehrter Speicherung eine Überfunktion (Hyperthyreose)<br />
nachgewiesen werden. Von noch wesentlicherer Bedeutung<br />
ist jedoch die Beurteilung, ob Knoten in der Schilddrüse<br />
eine vermehrte Speicherung (heiße Knoten) oder eine<br />
verminderte Speicherung (kalte Knoten) aufweisen.<br />
Für Skelettuntersuchungen werden mit Technetium-99m<br />
markierte Phosphonat-Verbindungen, die in das Blut eingeschleust<br />
werden, durchblutungsabhängig in die einzelnen<br />
Knochenstrukturen eingebaut. Da das Skelettsystem einem<br />
kontinuierlichen Knochenaufbau <strong>und</strong> Knochenabbau unterworfen<br />
ist – wobei bei Kindern <strong>und</strong> Jugendlichen der Knochenaufbau<br />
überwiegt, während bei Älteren der Knochenabbau<br />
überwiegt (Osteoporose) – lässt sich mit Hilfe der<br />
Skelettszintigraphie das gesamte Skelett 3 Std. nach Injek-<br />
tion der radioaktiven Substanz detailreich darstellen (Abb.<br />
3.8).<br />
Alle Erkrankungen mit Knochenbeteiligung wie Knochenverletzungen,<br />
Entzündungen, Tumoren <strong>und</strong> Verschleißerscheinungen<br />
führen zu einem erhöhten Knochenumbau <strong>und</strong> lassen<br />
sich durch eine vermehrte Aufnahme des Radiopharmakons<br />
im betroffenen Skelettareal nachweisen. Da diese<br />
Methode außerordentlich empfindlich ist, können z. B. entzündliche<br />
Veränderungen oder auch Verletzungsfolgen des<br />
Knochens zu einem Zeitpunkt erkannt werden, zu dem das<br />
Röntgenbild dieses Skelettabschnittes noch unauffällig ist.<br />
Nach Injektion des Radiopharmakons wird dessen Weg in<br />
den betroffenen Skelettabschnitt mit der Gammakamera<br />
aufgezeichnet (Angiographie- <strong>und</strong> Blutpoolphase). 3 bis 4<br />
Std. nach Injektion erfolgt die Abbildung des gesamten Skelettes<br />
mit Hilfe einer Ganzkörper-Gammakamera (Mineralisationsphase,<br />
Abb. 3.8).<br />
109
Abb. 3.8 Ganzkörper-Szintigramm des Skelett eines Kindes (besonders<br />
deutlich sind die einzelnen Wachstumsfugen zu erkennen,<br />
kein krankhafter Bef<strong>und</strong>)<br />
Bei der Diagnose von Herzerkrankungen hat die Anwendung<br />
von Radionukliden in den letzten Jahren eine wesentliche<br />
Bedeutung erlangt. So können mit dieser Technik sowohl<br />
die Pumpleistung, die Muskelwandbewegung, die<br />
Muskeldurchblutung <strong>und</strong> schließlich der Energiestoffwechsel<br />
des Herzmuskels untersucht werden.<br />
Für die Ermittlung der Pumpleistung werden mit Techne-<br />
tium-99m markierte rote Blutkörperchen verwendet, welche<br />
nach Verteilung im zirkulierenden Blut im Gamma-Kamera-<br />
Bild die Herzhöhlen <strong>und</strong> ihre Bewegung <strong>und</strong> damit die<br />
Pumpleistung messbar machen.<br />
Für die diagnostische Abklärung des Verdachts einer<br />
Durchblutungsstörung des Herzmuskels, z. B. bei Verengung<br />
der Koronararterien, werden heute vorwiegend mit<br />
Technetium-99m markierte Isonitrile verwendet.<br />
Dieses Radionuklid wird durchblutungsabhängig in die Muskelzellen<br />
des Herzens aufgenommen; eine Verminderung<br />
der Durchblutung führt somit zu einer verminderten Anreicherung<br />
des Radiopharmakons in dem zugehörigen Muskelbereich.<br />
110
Die Untersuchung selbst wird in zwei Phasen durchgeführt<br />
<strong>und</strong> zwar nach körperlicher oder medikamentöser Belastung<br />
sowie in körperlicher Ruhe nach jeweiliger intravenöser Injektion<br />
des Radiopharmakons. Ist bei der Ruheuntersuchung<br />
der Herzmuskel unauffällig dargestellt <strong>und</strong> zeigt sich<br />
bei der Untersuchung nach Belastung eine verminderte<br />
Speicherung, so handelt es sich um eine belastungsabhängige<br />
Minderdurchblutung (Ischämie, Abb. 3.9), während eine<br />
verminderte <strong>Radioaktivität</strong>sspeicherung sowohl in Ruhe als<br />
auch nach Belastung für eine Narbe (Infarkt) spricht.<br />
Abb. 3.9 Herzmuskel-Szintigraphie mit Minderdurchblutung<br />
unter Belastung (Ischämie) in der Seitenwand des Herzmuskels<br />
(Pfeil)<br />
Mit Radionukliden lassen sich die Funktionen der Urinproduktion<br />
in den Nieren <strong>und</strong> des Urinflusses in die Blase<br />
seitengetrennt quantitativ verfolgen. Dabei werden unterschiedliche<br />
Erkrankungen der Nieren <strong>und</strong> einzelner<br />
Nierenabschnitte funktionell getrennt erfassbar. Zudem kann<br />
auch ein krankhaftes Zurückfließen des Urins aus der Blase<br />
in die Nieren sichtbar gemacht werden (Reflux).<br />
Als Radiopharmakon wird heute vorwiegend Technetium-<br />
99m-Mercaptoacetyltriglycin (MAG3) verwendet, das sich<br />
sehr schnell im Nierengewebe anreichert <strong>und</strong> anschließend<br />
über das Nierenhohlraumsystem <strong>und</strong> die Harnleiter in die<br />
Blase ausgeschieden wird.<br />
111
- Nuklearmedizinische Tomographie-Untersuchungen<br />
Single-Photon-Emissions-Computertomographie<br />
(SPECT)<br />
Bei diesem Verfahren dreht sich der Kopf einer Gamma-<br />
kamera bzw. drehen sich die Köpfe einer Mehrkopf-<br />
Gammakamera um den Patienten, bleiben kurz stehen,<br />
messen die Strahlung, die aus dem Patienten herauskommt<br />
(Emission), drehen sich erneut, bleiben wieder stehen <strong>und</strong><br />
messen usw.. Auf diese Weise entsteht ein “Datenwürfel“,<br />
der anschließend mit speziellen nuklearmedizinischen Auswertecomputern<br />
in einzelne Schichten des Körpers aufgelöst<br />
werden kann. Diese einzelnen Schichten – vergleichbar<br />
den Schichtaufnahmen der röntgenologischen Computertomographie<br />
– haben den Vorteil, dass sie die dreidimensionale<br />
Lokalisation des die Strahlung aussendenden Organs<br />
(z. B. des Herzens) überlagerungsfrei darstellen können. Ein<br />
Beispiel findet sich in Abb. 3.9, die SPECT-Aufnahmen des<br />
Herzmuskels darstellt.<br />
Positronen-Emissions-Tomographie (PET)<br />
In den letzten Jahren sind die technischen Voraussetzungen<br />
auch zur Anwendung der sehr kurzlebigen Radionuklide<br />
Kohlenstoff-11, Stickstoff-13, Sauerstoff-15 <strong>und</strong> Fluor-18 mit<br />
Hilfe der Positronen-Emissions-Tomographie geschaffen<br />
worden. Diese Radionuklide senden Positronen aus, die<br />
sich praktisch sofort mit benachbarten Elektronen vereinigen.<br />
Dabei entsteht eine Vernichtungsstrahlung mit 2 Gam-<br />
maquanten, welche im Winkel von 180 Grad zueinander<br />
ausgesandt werden. Ein spezielles Messgerät für diese<br />
„doppelte" Gammastrahlung der Positronen-Emissions-<br />
Tomographie (PET-Scanner, Abb. 3.10) erlaubt die Szintigraphie<br />
in Form von Körperschnittbildern.<br />
112
Abb. 3.10 Positronen-Emissions-Tomograph mit Bedienungsplatz.<br />
Während in der “konventionellen" Nuklearmedizin in der Regel<br />
größere Moleküle radioaktiv markiert werden, die meist<br />
nicht direkt in den menschlichen Stoffwechsel eingeschleust<br />
werden können, werden für die Positronen-Emissions-Tomographie<br />
die Bausteine des Lebens, wie Kohlenstoff, Stickstoff<br />
<strong>und</strong> Sauerstoff, in radioaktiver Form in einem Zyklotron hergestellt.<br />
Diese radioaktiven Verbindungen zeigen bei Verwendung<br />
eines PET-Scanners direkt den Stoffwechsel <strong>und</strong><br />
insbesondere krankhafte Stoffwechselveränderungen an.<br />
Dies gilt auch für den mit dem Positronenstrahler Fluor-18<br />
markierten Zucker, Difluorodeoxyglucose (FDG), der insbesondere<br />
im Bereich der onkologischen Diagnostik eingesetzt<br />
wird. Da seit langer Zeit bekannt ist, dass die Zellen vieler<br />
Tumorarten einen vermehrten Zuckerverbrauch aufweisen, ist<br />
es verständlich, dass bei Verwendung von FDG mit Hilfe der<br />
PET diese Tumoren <strong>und</strong> deren Metastasen durch ihren erhöhten<br />
Zuckerverbrauch sichtbar gemacht werden können.<br />
Wesentlicher Nachteil der Positronenstrahler ist, dass sie in<br />
der Regel nur eine sehr kurze physikalische Halbwertszeit<br />
haben, die die Kombination von Zyklotron <strong>und</strong> PET-Scanner<br />
erforderlich macht; lediglich das Fluor-18-FDG macht hier eine<br />
Ausnahme, da bei einer Halbwertszeit von 110 Minuten<br />
auch noch ein Transport vom Zyklotron in andere Krankenhäuser<br />
<strong>und</strong> Praxen möglich ist. Die Abb. 3.11 zeigt eine<br />
113
Ganzkörper-F18-FDG-PET-Untersuchung eines 11-jährigen<br />
Mädchens mit bösartigem Tumor der Muskulatur. Die PET<br />
zeigt multiple Steigerungen des Zuckerstoffwechsels, die Metastasen<br />
entsprechen (der intensive Zuckerstoffwechsel im<br />
Gehirn des Kindes ist durch seine Aktivität bedingt <strong>und</strong> somit<br />
normal).<br />
Weitere Anwendungsgebiete der Positronen-Emissions-Tomographie<br />
sind entzündliche Erkrankungen, Erkrankungen<br />
des Herzmuskels <strong>und</strong> des Gehirnes.<br />
Abb. 3.11 Das F18-FDG-PET zeigt multiple Metastasen<br />
Seit kurzer Zeit stehen insbesondere für die Diagnostik in der<br />
Onkologie kombinierte Systeme aus Positronen-Emissions-<br />
Tomographie (PET) <strong>und</strong> Computer-Tomographie (CT) zur<br />
Verfügung (Abb. 3.12). Diese PET/CT-Systeme haben den<br />
wesentlichen Vorteil, dass die funktionellen Aussagen der<br />
PET, die primär nur schwer den anatomischen Strukturen des<br />
Körpers zuzuordnen sind, mit den morphologischen Aussagen<br />
der CT zusammen aufgezeichnet werden. Durch die<br />
Überlagerung der Funktionsaussage im PET <strong>und</strong> der morphologischen<br />
Aussage des CT lässt sich eine genaue Zuordnung,<br />
z. B. von Tumoren <strong>und</strong> Metastasen, erreichen. Allerdings<br />
ist die Strahlenexposition für den Patienten bei den<br />
kombinierten PET/ CT-Systemen erheblich höher; sie liegt bei<br />
10 bis 25 mSv.<br />
114
Gleiches gilt für eine neue Generation von Geräten, die seit<br />
kurzer Zeit erhältlich ist, die SPECT/CT-Systeme. Bei diesen<br />
Geräten ist eine SPECT-fähige Doppelkopfkamera mit einem<br />
Computertomographie (CT)-System fest verb<strong>und</strong>en. Dabei<br />
dient die Röntgenstrahlung der Computertomographie sowohl<br />
zur Schwächungskorrektur der SPECT-Aufnahmen, als auch<br />
– wie beim PET/CT – zur gleichzeitigen morphologischen<br />
Diagnostik.<br />
Abb. 3.12 PET <strong>und</strong> CT-Kombinationsgerät (links CT, rechts PET)<br />
- Radionuklide in der Therapie<br />
Neben dem Einsatz für diagnostische Zwecke werden Radionuklide<br />
auch in der Therapie zur Zerstörung von wuchernden,<br />
meist bösartigen, Tumorzellen oder von solchen Zellen, die<br />
z. B. in Gelenken eine chronische Entzündung unterhalten,<br />
eingesetzt.<br />
Gr<strong>und</strong>sätzlich können bestimmte Zellen <strong>und</strong> Gewebe im Körper<br />
auf drei Wegen vernichtet werden:<br />
1. durch chirurgische Entfernung des die Zellen enthaltenden<br />
Gewebes,<br />
2. durch Behandlung mit solchen Medikamenten, die Zellen<br />
abtöten, so genannte Zytostatika, <strong>und</strong><br />
115
3. durch ionisierende Strahlung, wobei das zu behandelnde<br />
Gewebe entweder von außen oder durch die Einschleusung<br />
von Radionukliden in das betroffene Gebiet bestrahlt<br />
wird.<br />
Hierbei haben die Radionuklide generell den Vorteil, dass sie<br />
ähnlich wie bei ihrem diagnostischen Einsatz in das kranke<br />
Gewebe eingeschleust werden können, wo ihre Strahlung lokal<br />
bei nahezu vollständiger Schonung des ges<strong>und</strong>en Gewebes<br />
wirken kann. Entsprechend der Zielsetzung der Strahlentherapie,<br />
Zellen abzutöten, liegen die applizierten lokalen<br />
Dosen sehr hoch, z. B. bei Schilddrüsenüberfunktion (Hyperthyreose)<br />
bei etwa 400 Gy.<br />
Trotz dieser hohen Dosen wird das den Krankheitsherd umgebende<br />
ges<strong>und</strong>e Gewebe weitestgehend geschont. Es ist<br />
ein aktuelles Forschungsziel, möglichst alle Krebsarten so<br />
speziell behandeln zu können wie die z. B. der Schilddrüse.<br />
Röntgendiagnostik<br />
Die von Wilhelm Konrad Röntgen 1895 entdeckten <strong>Röntgenstrahlen</strong><br />
eroberten in wenigen Jahren das Gebiet der medizinischen<br />
Diagnostik, da es mit ihnen zum ersten Mal möglich<br />
wurde, Bilder vom Inneren des lebenden <strong>und</strong> unverletzten<br />
Menschen herzustellen. 1901 erhielt Röntgen für diese wissenschaftliche<br />
Leistung als erster den Nobelpreis für Physik.<br />
Zur Durchführung von Röntgenuntersuchungen ist es notwendig,<br />
einerseits <strong>Röntgenstrahlen</strong> zu erzeugen <strong>und</strong> mit diesen<br />
das zu untersuchende Objekt – in unserem Fall den Patienten<br />
– zu durchdringen <strong>und</strong> andererseits die in den einzelnen<br />
Teilen des Patientenkörpers unterschiedlich geschwächten<br />
unsichtbaren <strong>Röntgenstrahlen</strong> im Röntgenbild für unser<br />
Auge sichtbar werden zu lassen. Erzeugt werden die <strong>Röntgenstrahlen</strong><br />
in einer Röntgenröhre, zu deren Betrieb ein<br />
Röntgengenerator erforderlich ist. In der Röntgenröhre sind<br />
eine Glühkathode in Form einer kleinen Drahtspirale aus hitzebeständigem<br />
Wolframdraht <strong>und</strong> eine Anode eingeschmolzen.<br />
Wird die Kathode auf über 2000 Grad Celsius aufgeheizt,<br />
so treten aus ihrer Oberfläche kleinste negativ geladene<br />
Masseteilchen – Elektronen – aus. Wird zwischen Anode <strong>und</strong><br />
Kathode eine Hochspannung angelegt – die vom Generator<br />
116
erzeugt wird –, so werden die Elektronen mit großer Geschwindigkeit<br />
von der Anode angezogen <strong>und</strong> erzeugen beim<br />
Aufprallen <strong>und</strong> Abbremsen die <strong>Röntgenstrahlen</strong>.<br />
Die Wiedergabe des durch die <strong>Röntgenstrahlen</strong> erzeugten<br />
Röntgenbildes – hier muss erneut betont werden, dass die in<br />
der Röntgenröhre erzeugten <strong>Röntgenstrahlen</strong> im lebenden<br />
Organismus unterschiedlich geschwächt werden, so werden<br />
sie durch die Lunge kaum, durch das Skelettsystem dagegen<br />
sehr intensiv abgeschwächt – erfolgt entweder auf Röntgenfilmen<br />
oder heute zunehmend in digitaler Form auf speziellen<br />
radiologischen Monitoren (Workstations).<br />
Der Begriff „digitale Radiographie“ fasst alle Bereiche der digitalen<br />
Röntgentechnik zusammen, bei denen die auftreffenden<br />
<strong>Röntgenstrahlen</strong> mittels Speicherfolie oder Halbleiterdetektoren<br />
ausgelesen <strong>und</strong> digitalisiert werden. Mit digitalen Bildverarbeitungssystem<br />
können diese Bilder aufgenommen <strong>und</strong><br />
weiter bearbeitet werden.<br />
Bei einer konventionellen Aufnahme ist der Röntgenfilm<br />
gleichzeitig Aufnahme -, Speicher- <strong>und</strong> Darstellungsmedium.<br />
Im Gegensatz hierzu wird es mit der digitalen Radiographie<br />
möglich, jede einzelne Bearbeitungsstufe zu optimieren <strong>und</strong><br />
zwar die Aufnahme des durch die <strong>Röntgenstrahlen</strong> erzeugten<br />
Bildes, seine Verarbeitung sowie seine Darstellung <strong>und</strong> Speicherung.<br />
Generell wird die Röntgendiagnostik heute in vier Bereiche<br />
unterteilt <strong>und</strong> zwar:<br />
- Röntgendurchleuchtung<br />
- konventionelle Röntgendiagnostik (Projektionsradiographie)<br />
- Interventionelle Radiologie<br />
- Computertomographie (CT)<br />
Die Röntgendurchleuchtung hatte in früheren Jahren eine<br />
weite Verbreitung, da mit ihr insbesondere die Lunge, aber<br />
auch Strukturen <strong>und</strong> Bewegungen von Speiseröhre, Magen<br />
<strong>und</strong> Darm beurteilt werden konnten. Da diese Untersuchungen<br />
jedoch bei angeschalteter Röntgenröhre <strong>und</strong> damit kontinuierlicher,<br />
zum Teil über viele Minuten andauernder Röntgenstrahlung<br />
durchgeführt wurden, waren sie trotz aller Strah-<br />
117
lenschutzmaßnahmen mit einer hohen Strahlenexposition<br />
sowohl des Patienten als auch des Untersuchers verb<strong>und</strong>en.<br />
Aus diesen Strahlenschutzgründen, aber auch weil heute andere<br />
diagnostische Maßnahmen für diese Zwecke zur Verfügung<br />
stehen, hat die Röntgendurchleuchtung heute nur noch<br />
eine geringe Bedeutung, vor allem in speziellen internistischen<br />
Fachgebieten.<br />
Die konventionelle Röntgendiagnostik wird heute zunehmend<br />
als Projektions-Radiographie bezeichnet.<br />
Hierunter versteht man alle Röntgenuntersuchungen, bei denen<br />
Röntgenaufnahmen als Röntgenfilme oder in digitaler<br />
Form angefertigt werden, z. B. nach Verletzungen von Extremitäten.<br />
Die interventionelle Radiologie ist ein spezielles Arbeitsfeld<br />
der Radiologie, das die Möglichkeit bietet, mit Hilfe von venösen<br />
oder arteriellen Kathetern röntgenologisch-kontrolliert Zugang<br />
zu den Gefäßregionen <strong>und</strong> Organen des Patienten zu<br />
erlangen <strong>und</strong> an diesen diagnostische (mit Kontrastmittel) <strong>und</strong><br />
insbesondere auch therapeutische Maßnahmen durchzuführen.<br />
So können beispielsweise verschlossene Gefäße mittels<br />
Ballonkatheter wieder geöffnet oder durch Katheter spezielle<br />
dauerhafte Materialen in den Körper eingebracht werden, wie<br />
z. B. gefäßerweiternde Hülsen (Stents) oder knochenausfüllenden<br />
Zement bei den Knochen auflösenden Metastasen.<br />
Ein wesentliches röntgendiagnostisches Verfahren u. a. in der<br />
interventionellen Radiologie ist die Digitale Subtraktions-<br />
angiographie (DSA). Bei der DSA handelt es sich um ein<br />
Verfahren zur besseren Darstellung der mit einem Röntgenkontrastmittel<br />
markierten Blutgefäße im Körper. Hierfür wird<br />
zuerst ein digitales Röntgenbild des Untersuchungsgebietes<br />
zu einem Zeitpunkt, zu dem die Gefäße noch nicht kontrastiert<br />
sind („Leeraufnahme“), aufgenommen <strong>und</strong> gespeichert.<br />
Zu einem späteren Zeitpunkt, zu dem die Blutgefäße bereits<br />
maximal mit Kontrastmittel gefüllt sind, erfolgt eine neue digitale<br />
Röntgenaufnahme, die von der vorher erstellten “Leeraufnahme“<br />
subtrahiert wird. Das daraus resultierende neue<br />
Bild zeigt als Differenz der beiden subtrahierten Bilder die<br />
kontrastgefüllten Gefäße (Abb. 3.13).<br />
118
Abb. 3.13 Digitale Subtraktionsangiographie (DSA) zur Darstellung<br />
der Beckengefäße<br />
Zwar ist die Kontrastauflösung dieser digitalen Angiographie<br />
etwas schlechter als die der konventionellen Angiographie,<br />
jedoch führt sie zu einer erheblich geringeren Strahlenexposition<br />
des Patienten. Zudem kann nach der durchgeführten Untersuchung<br />
mit Hilfe von EDV-Bildverarbeitungsmethoden eine<br />
Optimierung der Bildqualität herbeigeführt werden.<br />
Die Computer-Tomographie (CT) ist ein Verfahren zur Herstellung<br />
von Querschnittsbildern des Körpers mit Hilfe von<br />
<strong>Röntgenstrahlen</strong>. Die Anfertigung dieser Schnittbilder erfolgt<br />
durch ein eng begrenztes <strong>Röntgenstrahlen</strong>bündel, welches<br />
die zu untersuchende Körperschnittebene aus verschiedenen<br />
Richtungen abtastet. Zu diesem Zweck umkreisen der Strahler<br />
<strong>und</strong> der Detektor den Patienten in der Schnittebene. Die<br />
so erreichten Körperquerschnitte haben eine variable Dicke<br />
zwischen 1 <strong>und</strong> 10 mm. Die durch den Körper abgeschwächten<br />
<strong>Röntgenstrahlen</strong> werden durch Detektoren erfasst, in<br />
elektrische Signale umgewandelt <strong>und</strong> in einem Computersystem<br />
zu einem Querschnittsbild aufgebaut. Dieses erscheint in<br />
verschiedenen Grauabstufungen auf einem Monitor, wo es<br />
ausgewertet <strong>und</strong> beurteilt werden kann (Abb. 3.14).<br />
119
Abb. 3.14 CT-Querschnittsbild des Bauchraumes. Zu erkennen<br />
sind die Wirbelsäule, beide Nieren, die Leber, die Bauchspeicheldrüse<br />
<strong>und</strong> die Magenblase (unauffälliger Bef<strong>und</strong>).<br />
Die Scanzeiten haben sich heute auf 0,5 bis 2 Sek<strong>und</strong>en reduziert.<br />
Bei moderneren Geräten können gleichzeitig mehrere<br />
Schichten des Körpers gescannt werden; hierzu stehen zur<br />
Zeit bis zu 64-Schichten-Scanner zur Verfügung, weitere<br />
Entwicklungen sind jedoch abzusehen. Wesentlicher Vorteil<br />
der Mehrschicht-Scanner ist die kürzere Untersuchungszeit<br />
die es z. B. erlaubt, während der Atemstillstandsphase des<br />
Patienten nahezu den ganzen Körper zu untersuchen. Durch<br />
besondere Rechenverfahren ist nicht nur die Darstellung einer<br />
Schicht sondern auch die Darstellung dreidimensionaler<br />
Bilder (3-D-Darstellung) möglich. Diese 3-D-Darstellung gewinnt<br />
für die plastische Chirurgie <strong>und</strong> allgemein für die Operationsplanung<br />
immer mehr an Bedeutung.<br />
Klinische Einsatzbereiche der Computertomographie finden<br />
sich in vielen Gebieten der Medizin, angefangen von der Diagnostik<br />
des Kopfes <strong>und</strong> Gehirnes über die Diagnostik der<br />
Lunge, der Wirbelsäule, über das Herz, bei dem heute mit<br />
dem CT sehr gut Verkalkungen der Herzkranzgefäße erfasst<br />
werden können, bis hin zur Diagnostik von durch Unfälle<br />
schwer verletzter Patienten, aus deren Erstversorgung die<br />
Computertomographie nicht mehr wegzudenken ist.<br />
120
Da alle bisher angeführten Methoden der Röntgendiagnostik<br />
mit einer Strahlenexposition des Patienten verb<strong>und</strong>en sind<br />
(Tab. 3.4), hat sich die Radiologie schon seit vielen Jahrzehnten<br />
intensiv mit bildgebenden diagnostischen Verfahren beschäftigt,<br />
die keine Strahlenexposition mit sich bringen <strong>und</strong><br />
zwar insbesondere mit den Ultraschallverfahren (Sonographie)<br />
<strong>und</strong> der Kernspintomographie (auch Magnet-Resonanz-<br />
Tomographie genannt), auf die hier jedoch nicht eingegangen<br />
werden soll.<br />
Untersuchungsart Effektive<br />
Dosis (mSv)<br />
Durchleuchtung Magen-Darm-<br />
Passage<br />
6–10<br />
Thorax 1–2<br />
Röntgenaufnahmen Thorax 0,05–0,1<br />
LWS 0,5 –1,0<br />
Interventionelle Radiologie<br />
5–10<br />
Computertomographie Thorax 5–10<br />
Abdomen 5–10<br />
Tab. 3.4 Größenordnung der Strahlenexposition in der Röntgendiagnostik<br />
Perkutane Strahlentherapie<br />
Als Begründer der therapeutischen Anwendung von <strong>Röntgenstrahlen</strong><br />
gilt der Wiener Dermatologe Leopold Fre<strong>und</strong>, der bereits<br />
1896 ein Muttermal auf dem Rücken eines Mädchens<br />
bestrahlte <strong>und</strong> zwar erfolgreich, wie eine Nachuntersuchung<br />
der damals mittlerweile 64-jährigen ehemaligen Patientin im<br />
Jahre 1956 zeigte. Die bald erkannten Nachteile der <strong>Röntgenstrahlen</strong><br />
für therapeutische Zwecke wurden in den folgenden<br />
Jahrzehnten durch technische Verbesserungen (Filterung,<br />
Mehrfeldtechnik, Bewegungsbestrahlung usw.) gemindert.<br />
121
Weitere Entwicklungen in der Strahlentherapie waren die Tele-<br />
Radiumtherapie (mit natürlichem Radium 226), die Tele-Kobalttherapie<br />
(mit Kobalt 60) sowie die Tele-Cäsiumtherapie<br />
(mit Cäsium 137). Diese Bestrahlungssysteme, die über viele<br />
Jahrzehnte zusammen mit einfacheren Beschleunigern in der<br />
Strahlentherapie verwendet wurden, sind seit den 70er Jahren<br />
fast vollständig von den technisch stabileren Linearbeschleunigern<br />
abgelöst worden, die neben Photonen auch Elektronen<br />
für die Strahlenbehandlung liefern.<br />
Auch für die so genannte intrakavitäre Strahlentherapie mit<br />
umschlossenen radioaktiven Stoffen, die z. B. für die Behandlung<br />
von bösartigen Erkrankungen der Gebärmutter eingesetzt<br />
wird, sind im Laufe der Jahre wesentliche technische Verbesserungen<br />
möglich geworden. So werden heute hierfür nur<br />
noch Afterloading-Geräte eingesetzt, die zu einer nur noch minimalen<br />
Strahlenexposition des Bedienpersonals führen.<br />
Gr<strong>und</strong>lage der modernen Strahlentherapie (heute vorwiegend<br />
als Radioonkologie bezeichnet) ist die Elektronenstrahlung. Ihre<br />
Attraktivität, vor allem zur Behandlung oberflächlich gelegener<br />
Tumoren <strong>und</strong> Metastasen, verdanken die Elektronen ihrem,<br />
gegenüber der Photonen (elektromagnetischen Wellen),<br />
unterschiedlichem Verhalten beim Durchgang durch die Materie,<br />
in der sie ihre Energie über die Ladungswechselwirkung<br />
an die Atome der zu behandelnden Tumoren <strong>und</strong> Metastasen<br />
abgeben. Weitere strahlentherapeutische Maßnahmen verwenden<br />
Neutronen, die in Forschungsreaktoren, z. B. dem<br />
FRM II, oder in Beschleunigern (Zyklotron) erzeugt werden.<br />
Seit kurzem werden auch Protonen in der Strahlentherapie<br />
verwendet. Diese Teilchen sind trotz des enormen technischen<br />
Aufwandes <strong>und</strong> der hohen Kosten für einige strahlentherapeutische<br />
Anwendungen geeignet, allerdings fehlen für<br />
verschiedene Einsatzbereiche der Protonen noch größere klinische<br />
Studien.<br />
Auch die Integration der modernen bildgebenden Verfahren<br />
CT, MRT <strong>und</strong> PET in die Bestrahlungsplanung <strong>und</strong> die Entwicklung<br />
einer 3-D-Bestrahlungsplanung haben zu weiteren<br />
Verbesserungen in der modernen Strahlentherapie geführt, die<br />
heute unter dem Stichpunkt “intensitätsmodulierte Strahlentherapie“<br />
(IMRT) als Optimum in der Radioonkologie angesehen<br />
werden.<br />
122
Neben der Behandlung von bösartigen Erkrankungen wird die<br />
Strahlentherapie mit niedrigen Dosen bereits seit über 100<br />
Jahren auch zur Behandlung von entzündlichen Veränderungen<br />
eingesetzt. Hauptindikation hierfür sind verschiedene entzündliche<br />
Erkrankungen, insbesondere entzündliche Gelenkerkrankungen<br />
aber auch Verschleißerscheinungen verschiedener<br />
Formen. Die therapeutische Wirkung dieser niedrig dosierten<br />
Strahlentherapie bei entzündlichen Veränderungen erfolgt<br />
durch eine Reduzierung der entzündlich gesteigerten<br />
Durchblutung sowie durch eine Verminderung der die Entzündung<br />
fördernden weißen Blutkörperchen, so dass bei Gesamtdosen<br />
von wenigen Gy eine rasche Verbesserung der<br />
klinischen Symptome möglich ist.<br />
Eine – allerdings umstrittene – Sonderform der Strahlentherapie<br />
stellt die Radon- oder Radiumtherapie dar, die in einzelnen<br />
Heilbädern angeboten wird. Hierbei entsteht die paradoxe Situation,<br />
dass einerseits eine generelle <strong>und</strong> größtenteils auch<br />
berechtigte Sorge über die Gefährdung durch ionisierende<br />
Strahlen aus <strong>Radioaktivität</strong> besteht, andererseits vor allem Patienten<br />
mit chronischen entzündlichen Gelenkerkrankungen in<br />
diese Radonbäder oder -heilstollen kommen, um dort mit Hilfe<br />
der <strong>Radioaktivität</strong> ihre Leiden zu lindern. Bei diesen Kuren erhält<br />
der Patient mit 2-3 mSv in 3 bis 4 Wochen in etwa die<br />
gleiche Strahlenmenge, wie sie jeder Deutsche jedes Jahr aus<br />
natürlichen Quellen aufnimmt.<br />
Die Wirksamkeit dieser Radonkuren ist in Doppelblindversuchen<br />
bewiesen worden; insbesondere bei Patienten mit entzündlichen<br />
Gelenk- <strong>und</strong> Wirbelsäulenveränderungen können<br />
lang andauernde Linderungen der Schmerzen <strong>und</strong> der entzündlichen<br />
Veränderungen beobachtet werden.<br />
Versucht man, diese paradoxe Situation zusammenzufassen,<br />
so lässt sich sagen, dass zwar durch die erhöhte Radonkonzentration<br />
in den Heilbädern eine potenzielle Gefährdung der<br />
Patienten besteht, dass aber letztlich die nachgewiesene heilende<br />
Wirkung bei den meist älteren Patienten, die in der Regel<br />
ohne die Behandlung unter außerordentlich unangenehmen<br />
Schmerzen leiden, im Vordergr<strong>und</strong> steht.<br />
123
3.5 Behandlung radioaktiver Abfälle<br />
Was sind radioaktive Abfälle?<br />
Beim Umgang mit radioaktiven Stoffen fallen viele unterschiedliche<br />
Formen radioaktiver Abfälle an, d.h. radioaktive<br />
Stoffe, die nicht weiter genutzt werden können, die aber<br />
auch nicht einfach wie normaler Müll in eine Deponie verbracht<br />
werden können. Vielmehr müssen die radioaktiven<br />
Abfälle derart behandelt <strong>und</strong> gelagert werden, dass die<br />
durch sie hervorgerufenen Strahlenexpositionen für die beteiligten<br />
Arbeiter <strong>und</strong> die Bevölkerung so niedrig wie praktisch<br />
möglich gehalten werden, <strong>und</strong> dass die vorgegebenen<br />
Grenzwerte für die Strahlenexposition eingehalten werden.<br />
Bei der Sortierung, Verarbeitung, Verpackung <strong>und</strong> Entsorgung<br />
radioaktiver Abfälle spielen eine Reihe von physikalischen<br />
<strong>und</strong> chemischen Eigenschaften eine Rolle, so dass<br />
es sinnvoll ist, sie durch Einteilung in verschiedene Klassen<br />
zu charakterisieren. Man unterscheidet aufgr<strong>und</strong> des Aktivitätsgehaltes<br />
zwischen hoch-, mittel- <strong>und</strong> schwachradioaktiven<br />
Abfällen. Häufig werden hierfür die Bezeichnungen<br />
HAW, MAW <strong>und</strong> LAW (von den englischen Bezeichnungen<br />
high, middle <strong>und</strong> low active waste) verwendet. Die mittel<strong>und</strong><br />
schwachradioaktiven Abfälle werden häufig noch in<br />
kurz- <strong>und</strong> langlebige Abfälle eingeteilt (je nachdem, ob die<br />
Halbwertszeiten der enthaltenen Radionuklide kürzer oder<br />
länger als 30 Jahre sind). Für die Behandlung der Abfälle ist<br />
wegen der großen biologischen Wirksamkeit von Alphastrahlung<br />
oft auch eine Unterteilung in solche, die wenig<br />
oder keine, <strong>und</strong> solche die viele Alpha-Strahler enthalten,<br />
sinnvoll. Für die Endlagerung von radioaktiven Abfällen<br />
spielt vor allem eine wesentliche Rolle, ob ihre Wärmeentwicklung<br />
(aufgr<strong>und</strong> ihrer <strong>Radioaktivität</strong>) vernachlässigbar ist<br />
oder nicht: im Wirtsgestein eines Endlagers sollen aus geologischen<br />
Gründen keine wesentlichen Temperaturerhöhungen<br />
(d.h. mehr als 3 Grad) auftreten.<br />
Quellen radioaktiver Abfälle<br />
Eine wesentliche Quelle für radioaktive Abfälle ist der nukleare<br />
Brennstoffkreislauf (einschließlich Uranabbau <strong>und</strong> -aufbereitung,<br />
Anreicherung, Behandlung bestrahlter Kern-<br />
124
ennstoffe). In Kernkraftwerken fallen neben den bestrahlten<br />
Brennelementen eine Reihe weiterer Abfälle wie Verdampferkonzentrate,<br />
Filter, Reinigungsmittel <strong>und</strong> Schutzkleidung<br />
an. Das Abfallaufkommen eines typischen Kernkraftwerks<br />
liegt in der Größenordnung von einh<strong>und</strong>ert m³<br />
konditionierter Abfälle im Jahr. Nur ein kleiner Anteil davon<br />
zählt zu den hochaktiven Abfällen mit starker Wärmeentwicklung.<br />
Hochaktive, wärmeentwickelnde Abfälle (Rückstände<br />
der Brennelemente, Spaltproduktkonzentrat, Hülsen<br />
<strong>und</strong> Strukturteile, Schlämme), aber auch alle anderen Arten<br />
radioaktiver Abfälle fallen in Wiederaufarbeitungsanlagen<br />
an. Eine Vielfalt an verschiedenen radioaktiven Abfällen entsteht<br />
auch bei der Stilllegung <strong>und</strong> dem Rückbau kerntechnischer<br />
Anlagen.<br />
Neben dem nuklearen Brennstoffkreislauf stammen radioaktive<br />
Abfälle aus der Anwendung von Radioisotopen in Medizin,<br />
Industrie <strong>und</strong> Forschung. Diese in der Regel mittel- <strong>und</strong><br />
schwachaktiven Abfälle werden in Landessammelstellen gesammelt<br />
<strong>und</strong> zwischengelagert, bevor sie einer geeigneten<br />
Behandlung <strong>und</strong> Entsorgung zugeführt werden.<br />
Radioaktive Abfälle fallen aber auch beim Umgang mit Materialien,<br />
welche natürlich radioaktive Stoffe enthalten, an.<br />
So sind z. B. die Bohr- <strong>und</strong> Fördergestänge aus der Erdölförderung<br />
mit radioaktiven Stoffen wie Radium oder Uran<br />
aus dem Untergr<strong>und</strong> kontaminiert <strong>und</strong> sind deswegen als<br />
radioaktiver Abfall zu betrachten.<br />
Behandlungsmethoden<br />
Die Anforderungen an Sortierung, Verarbeitung, Verpackung<br />
<strong>und</strong> Entsorgung der radioaktiven Abfälle richten sich nach<br />
deren Eigenschaften. Hauptziel der Abfallbehandlung ist die<br />
Reduzierung des zu entsorgenden Abfallvolumens <strong>und</strong> der<br />
Einschluss in feste Strukturen.<br />
Radionuklide mit sehr kurzen Halbwertszeiten können dem<br />
natürlichen Zerfall überlassen werden. Dies wird z. B. bei<br />
den kurzlebigen Iodisotopen, die in der medizinischen Diagnose<br />
<strong>und</strong> Therapie verwendet werden, angewandt. Die radioaktiv<br />
kontaminierten Abwässer eines Krankenhauses<br />
werden in Abklingbehältern gesammelt <strong>und</strong> gelagert, bis<br />
125
sich ihre Aktivität so weit verringert hat, dass sie in die Kanalisation<br />
entlassen werden können.<br />
Feste radioaktive Abfälle werden, soweit möglich, in ihrem<br />
Volumen reduziert (Zerkleinern, Pressen, Veraschen) <strong>und</strong><br />
dann in Fässern oder Containern eingeschlossen. Handhabung<br />
<strong>und</strong> Transport schwachaktiver Abfälle erfordern dabei<br />
keinen wesentlichen Aufwand für die Abschirmung der<br />
Strahlung.<br />
Sind die radioaktiven Stoffe in nichtaktiven Flüssigkeiten gelöst<br />
oder suspendiert, so werden sie durch Eindampfen, Fällen,<br />
Filtern oder Ionenaustausch daraus abgetrennt. Die<br />
verbleibenden radioaktiven Rückstände werden z. B. mit Bitumen<br />
oder Zement verfestigt <strong>und</strong> dann in Stahlfässern o. ä.<br />
verpackt.<br />
Hochaktive Abfälle mit erheblicher Wärmeentwicklung aus<br />
Wiederaufarbeitungsanlagen (so genannte Spaltproduktlösungen)<br />
liegen in flüssiger Form vor. Sie werden durch Verdampfen<br />
aufkonzentriert <strong>und</strong> in Edelstahltanks gelagert.<br />
Während einer Lagerzeit von fünf Jahren sinkt die Rate der<br />
Wärmeproduktion auf etwa 6 %. Dies erleichtert die Überführung<br />
in eine endlagerungsfähige Form, wobei die Abfälle<br />
mit glasbildenden Stoffen gemischt <strong>und</strong> daraus Glasblöcke<br />
geschmolzen werden, welche dann zusätzlich mit Edelstahl<br />
umkleidet werden.<br />
Zwischen- <strong>und</strong> Endlager<br />
Für eine Endlagerung der behandelten radioaktiven Abfälle<br />
ist in Deutschland die Einlagerung in geeignete tiefe geologische<br />
Strukturen – z. B. in Steinsalzlagerstätten – vorgesehen.<br />
Lediglich 1967 wurden 80 Fässer mit radioaktiven Abfällen<br />
im Atlantik versenkt.<br />
Das Salzbergwerk Asse II bei Wolfenbüttel wurde 1965 von<br />
der B<strong>und</strong>esregierung als Forschungsbergwerk zur Untersuchung<br />
von Verfahren <strong>und</strong> Techniken zur Endlagerung radioaktiver<br />
Abfälle erworben. Die Gesellschaft für Strahlenforschung<br />
(GSF; heutiger Name: Forschungszentrum für Umwelt<br />
<strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit) übernahm die Betriebsführung <strong>und</strong><br />
startete 1967 mit Forschungs- <strong>und</strong> Entwicklungsarbeiten.<br />
Bis 1978 wurden hier ca. 125.000 Behälter mit schwach-<br />
126
<strong>und</strong> r<strong>und</strong> 1.300 Fässer mit mittelaktiven Abfällen eingelagert.<br />
Seit 1979 findet keine Einlagerung radioaktiver Abfälle<br />
mehr statt, doch liefen die Forschungsarbeiten weiter. Bis<br />
2017 soll die Schließung der Schachtanlage nach B<strong>und</strong>esberggesetz<br />
vollzogen sein.<br />
Auch in der bei Salzgitter gelegenen Eisenerzgrube Konrad,<br />
welche 1976 ihre Produktion wegen Unwirtschaftlichkeit einstellte,<br />
wurden seit 1975 Voruntersuchungen zur Endlagerung<br />
radioaktiver Abfälle mit vernachlässigbarer Wärmeentwicklung<br />
durchgeführt. 1982 stellte die Physikalisch-Technische<br />
B<strong>und</strong>esanstalt (PTB) einen ersten Antrag auf Einleitung<br />
eines Planfeststellungsverfahrens. 2002 erging hierfür<br />
der Planfeststellungsbeschluss an das B<strong>und</strong>esamt für Strahlenschutz<br />
(BfS). Am 8. März 2006 hat das Oberverwaltungsgericht<br />
Lüneburg alle Klagen gegen diesen Planfeststellungsbeschluss<br />
abgewiesen, eine Revision gegen dieses<br />
Urteil wurde nicht zugelassen. Allerdings steht den Klägern<br />
noch der Weg einer Nichtzulassungsbeschwerde beim B<strong>und</strong>esverwaltungsgericht<br />
offen. Sollte das Urteil rechtskräftig<br />
werden, kann nach der notwendigen technischen Einrichtung<br />
des Endlagers frühestens ab 2012/13 mit der Einlagerung<br />
radioaktiver Abfälle mit vernachlässigbarer Wärmeentwicklung<br />
begonnen werden.<br />
1970 begann in der Steinsalzgrube Bartensleben bei Morsleben<br />
(damals DDR) die Einrichtung eines Endlagers für mittel-<br />
<strong>und</strong> schwachaktiven Abfall. Seit Anfang der 80er Jahre<br />
wurden in das „Endlager für radioaktive Abfälle Morsleben“<br />
(ERAM) insgesamt etwa 37.000 m 3 niedrig- <strong>und</strong> mittelradioaktive<br />
Abfälle mit überwiegend kurzlebigen Radionukliden<br />
<strong>und</strong> einer Gesamtaktivität von etwa 10 14 Bq eingelagert. Die<br />
Dauerbetriebsgenehmigung für dieses Endlager ging bei der<br />
Wiedervereinigung Deutschlands als befristete Genehmigung<br />
auf das B<strong>und</strong>esamt für Strahlenschutz (BfS) über.<br />
1998 wurde die Annahme <strong>und</strong> Einlagerung radioaktiver Abfälle<br />
aufgr<strong>und</strong> einer Klage des B<strong>und</strong>es für Umwelt <strong>und</strong> Naturschutz<br />
(BUND) ausgesetzt, <strong>und</strong> 1999 wurde beschlossen,<br />
die Einlagerung nicht wieder aufzunehmen. Seitdem laufen<br />
die Arbeiten zur Stilllegung des Endlagers. So wurden seit<br />
2003 Teile des Zentralteils zur bergbaulichen Gefahrenabwehr<br />
mit Salzbeton verfüllt. Nach dem Vorliegen eines Plan-<br />
127
feststellungsbeschlusses wird für die Stilllegungsarbeiten mit<br />
einem Zeitraum von 17 Jahren gerechnet (/BFS-05/).<br />
Die 2000/2001 getroffene „Vereinbarung zwischen der B<strong>und</strong>esregierung<br />
<strong>und</strong> den Energieversorgungsunternehmen“<br />
(„Atomkonsens“) enthielt u. a. das Verbot, ab 2005 abgebrannte<br />
Brennelemente zur Wiederaufarbeitung an ausländische<br />
Wiederaufarbeitungsanlagen abzugeben. Damit ist<br />
für bestrahlte Brennelemente die direkte Endlagerung der allein<br />
mögliche Entsorgungsweg. Da jedoch hierfür noch kein<br />
Endlager existiert, ergab sich für den Weiterbetrieb der laufenden<br />
Kernkraftwerke die Notwendigkeit, die verbrauchten<br />
Brennelemente für lange Zeit – bis zur Betriebsbereitschaft<br />
eines Endlagers – zwischenzulagern. Deshalb wurden so<br />
genannte Standortzwischenlager (Trockenlager) beantragt<br />
<strong>und</strong> zum Teil bereits errichtet. Einige Kernkraftwerke haben<br />
Interimslager errichtet, in denen die Brennelemente vorübergehend<br />
(etwa 5-6 Jahre) aufbewahrt werden sollen, da die<br />
Fertigstellung der eigentlichen Zwischenlager nicht schnell<br />
genug geschehen kann, ohne den Betrieb der Anlagen zu<br />
unterbrechen.<br />
Die Suche nach einem Endlager für hochaktive Abfälle wurde<br />
in Deutschland bereits in den siebziger Jahren begonnen.<br />
Im Jahre 1974 wurde von der B<strong>und</strong>esregierung das<br />
Konzept eines „Integrierten Nuklearen Entsorgungszentrums“<br />
erstellt. Hier sollten an einem Ort die Wiederaufarbeitung<br />
bestrahlter Brennelemente, die Fabrikation von Brennelementen,<br />
die Behandlung <strong>und</strong> die Endlagerung aller Arten<br />
radioaktiver Abfälle durchgeführt werden. Nach Prüfung einer<br />
Reihe von potentiellen Standorten hierfür wurde 1977<br />
das Planfeststellungsverfahren zur Endlagerung schwach-,<br />
mittel- <strong>und</strong> hochradioaktiver Abfälle im Salzstock Gorleben,<br />
nahe an der Grenze zur DDR, eingeleitet. Nach dem Gorleben-Hearing<br />
1979 (welches vom Unfall im amerikanischen<br />
Kernkraftwerk Harrisburg überschattet wurde) gab man die<br />
Wiederaufarbeitung am Standort Gorleben auf <strong>und</strong> es wurde<br />
nur noch die Eignung des Salzstocks als Endlagerstätte weiter<br />
untersucht. Nach der deutschen Wiedervereinigung wurden<br />
für den Fall, dass sich Gorleben als ungeeignet für ein<br />
Endlager erweisen sollte, eine Reihe weiterer Salzlagerstätten,<br />
aber auch andere Gesteinsformationen zur Vervollständigung<br />
des Kenntnisstandes über potentielle Endlager-<br />
128
standorte überprüft. Dabei wurden vier als weiter untersuchungswürdig<br />
eingestuft. Derzeit ist die Erk<strong>und</strong>ung des<br />
Salzstocks Gorleben unterbrochen (Gorleben-Moratorium).<br />
Aus den bisherigen Resultaten der bereits weit fortgeschrittenen<br />
Erk<strong>und</strong>ung ergeben sich allerdings keine Hinweise,<br />
die gegen eine Eignungshöffigkeit dieses Standorts sprechen<br />
würden.<br />
3.6 Literatur<br />
Büll, U., H. Schicha, H.J. Biersack, et al. (1999) Nuklearmedizin.<br />
Stuttgart, Thieme Verlag. 3. Auflage.<br />
Kauffmann, G.W., E. Moser, R. Sauer (2006). Radiologie.<br />
München, Jena, Elsevier-Verlag, Urban & Fischer. 3. Aufl.<br />
B<strong>und</strong>esamt für Strahlenschutz (2005). Endlagerung radioaktiver<br />
Abfälle als nationale Aufgabe. (/BFS-05/).<br />
http://www.bfs.de/bfs/druck/broschueren/Endlagerung_natio<br />
nal.pdf<br />
Heinz Maier-Leibnitz (FRM II) (2005). Forschungsneutronenquelle.<br />
Landolt-Börnstein. 3.<br />
http://www.new.frm2.tum.de.<br />
Bryant, P. J. (1994). A brief history and review of accelerators.<br />
CERN Report 199.<br />
http://documents.cern.ch/archive/cernrep/199.<br />
Koelzer, W. (2001). Lexikon der Kernenergie. Karlsruhe,<br />
Forschungszentrum Karlsruhe GmbH.<br />
Landolt-Börnstein (2005). Energy Technologies: Nuklear<br />
Energy. Landolt-Börnstein – Group VIII Advanced Materials<br />
and Technologies 3, Subvolume B. Berlin, Heidelberg, New<br />
York, Springer Verlag.<br />
Paretzke, H. G. (2001). Konzentrationen <strong>und</strong> Wirkungen von<br />
Radionukliden in Böden <strong>und</strong> Pflanzen. Handbuch der Umweltveränderungen<br />
<strong>und</strong> Ökotoxiologie. R. Guderian. Springer<br />
Verlag, Berlin: 149-172.<br />
Siehl, A. (1996). Umweltradioaktivität. Berlin, Ernst & Sohn.<br />
United Nations Scientific Committee on the Effects of Atomic<br />
Radiation (UNSCEAR) (2000). Report to the General<br />
Assembly.<br />
Bamberg, M, M. Molls, H. Sack (2004). Radioonkologie.<br />
München, Wien, New York, W. Zuckschwerdt Verlag.<br />
129
4. Strahlenexposition <strong>und</strong> Umweltradioaktivität<br />
4.1 Das Verhalten radioaktiver Stoffe in der Umwelt<br />
(Radioökologie)<br />
Die Radioökologie beschäftigt sich damit, was mit radioaktiven<br />
Stoffen geschieht, wenn sie in unsere Umwelt freigesetzt<br />
werden. Dies umfasst<br />
� die Ausbreitung in der Atmosphäre <strong>und</strong> in Gewässern,<br />
� die Ablagerung auf Pflanzen, Böden oder anderen<br />
Oberflächen in der Umgebung des Menschen,<br />
� weitere Transportvorgänge, z. B. in Böden oder in<br />
Nahrungsketten (Pflanzen � Futtermittel � Tiere<br />
� Tierprodukte � Nahrungsmittel � Mensch),<br />
� das Verhalten der radioaktiven Stoffe im Körper des<br />
Menschen <strong>und</strong> die von ihnen ausgehende Strahlung.<br />
Das Ziel dieser Betrachtungen ist es, die resultierende<br />
Strahlenexposition des Menschen abzuschätzen. Diese<br />
kann dadurch zustande kommen, dass der Körper durch die<br />
radioaktiven Stoffe außerhalb seines Körpers bestrahlt wird<br />
(externe Exposition), oder aber die radioaktiven Stoffe gelangen<br />
in den menschlichen Körper <strong>und</strong> bestrahlen ihn von<br />
innen heraus (interne Exposition).<br />
All diese Überlegungen gelten sowohl für natürliche, in unserer<br />
Umwelt seit jeher vorhandene radioaktive Stoffe, als<br />
auch für solche, die durch menschliche Aktivitäten (z. B. bei<br />
Kernwaffentests, in kerntechnischen Anlagen, Verwendung<br />
in Medizin, Wissenschaft <strong>und</strong> Technik) erzeugt worden sind.<br />
Die meisten der beschriebenen Prozesse treffen außerdem<br />
auch für nicht-radioaktive Stoffe zu.<br />
Das Gebiet der Radioökologie entwickelte sich ganz wesentlich<br />
in den Zeiten der weltweiten Verteilung <strong>und</strong> Ablagerung<br />
radioaktiver Stoffe, welche bei den mehr als tausend oberirdischen<br />
Kernwaffentests vor allem Anfang der sechziger<br />
Jahre des letzten Jahrh<strong>und</strong>erts freigesetzt wurden. Die Beobachtung<br />
der radioaktiven Stoffe, die in fast allen Bereichen<br />
unserer Umwelt messbar waren, führte zu einem um-<br />
130
fangreichen Wissen über das Verhalten von Stoffen in der<br />
Umwelt, wie es mit nicht-radioaktiven Stoffen wegen des in<br />
der Regel viel höheren Messaufwands nicht erreichbar ist.<br />
Um diese Kenntnisse praktisch zur Abschätzung von Strahlenexpositionen<br />
anwenden zu können, wurden verschiedene<br />
Rechenmodelle entwickelt, welche die einzelnen Ausbreitungsprozesse<br />
durch mehr oder weniger vereinfachende<br />
Formeln beschreiben. Je nach dem Ziel der Berechnungen<br />
ist dabei die Komplexität der Modelle unterschiedlich: geht<br />
es darum, nachzuweisen, dass aus einer Freisetzung radioaktiver<br />
Stoffe eine bestimmte Strahlenexposition der Menschen<br />
nicht überschritten wird, so genügen relativ einfache<br />
Modellannahmen, welche den ungünstigsten Fall betrachten.<br />
Ein Beispiel hierfür ist die Verwaltungsvorschrift zur Ermittlung<br />
der Strahlenexposition (B<strong>und</strong>esanzeiger 1990; eine<br />
Neufassung ist in Vorbereitung), welche im Genehmigungsverfahren<br />
für kerntechnische Anlagen Anwendung findet.<br />
Wenn andererseits Berechnungen der Strahlenexpositionen<br />
in einem akuten Fall von Umweltkontaminationen durchgeführt<br />
werden sollen mit dem Ziel, eventuell nötige Schutz- <strong>und</strong><br />
Gegenmaßnahmen zu optimieren, dann muss das Rechenmodell<br />
möglichst realistische Abschätzungen machen. Hierzu<br />
muss es viele Ausbreitungs- <strong>und</strong> Transportprozesse detaillierter<br />
betrachten. Ein Beispiel hierfür ist das am GSF-Forschungszentrum<br />
für Umwelt <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit (früher Gesellschaft<br />
für Strahlen- <strong>und</strong> Umweltforschung) entwickelte radioökologische<br />
Rechenmodell ECOSYS (Matthies et. al. 1982,<br />
Müller u. Pröhl 1993), welches inzwischen u. a. im Entscheidungshilfesystem<br />
RODOS (Real-time, on-line decision support<br />
system, Ehrhardt et al.1997) in vielen Ländern eingesetzt wird.<br />
Ein zweiter Anstoß für die radioökologische Forschung <strong>und</strong><br />
die Entwicklung von Rechenmodellen war die großräumige<br />
radioaktive Kontamination der Umwelt durch den Reaktorunfall<br />
von Tschernobyl (1986). Durch die Vielzahl der in der<br />
Folge durchgeführten Messungen konnten die vorhandenen<br />
Rechenmodelle überprüft <strong>und</strong> weiterentwickelt werden.<br />
Ausbreitung in der Atmosphäre<br />
Werden radioaktive Stoffe in Form von sehr kleinen Partikeln<br />
oder gasförmig in die Atmosphäre freigesetzt, so kön-<br />
131
nen sie hier u. U. weit transportiert werden, wobei die Konzentration<br />
dieser Stoffe auf ihrem Weg durch die Atmosphäre<br />
i. Allg. stetig abnimmt. Der Transport wird dabei im Wesentlichen<br />
von den großräumigen Luftbewegungen (Advektion,<br />
„Wind“) bestimmt, die Verdünnung durch die Turbulenzen<br />
der Luft <strong>und</strong> durch Diffusion.<br />
Einflussgrößen bei der Ausbreitung<br />
Die Ausbreitung der radioaktiven Stoffe in der Atmosphäre<br />
wird von vielen Dingen beeinflusst, von denen hier nur die<br />
wichtigsten genannt werden:<br />
- Wind<br />
Es mag vielleicht zunächst trivial klingen, dass die Windrichtung<br />
bestimmt, wohin die freigesetzten Stoffe transportiert<br />
werden. Das Problem bei der Prognose der atmosphärischen<br />
Ausbreitung ist jedoch, dass es meist die Windrichtung<br />
nicht gibt: sie kann sich von einem Ort zum anderen<br />
ändern, hervorgerufen durch Einflüsse der Landschaftsform<br />
(Hügel, Täler) oder auch durch Luftmassengrenzen. Auch<br />
mit der Höhe ändert sich die Windrichtung: Durch den Einfluss<br />
der Reibung <strong>und</strong> der Erdrotation dreht sich die Windrichtung<br />
mit wachsender Entfernung vom Boden. In Extremfällen,<br />
etwa wenn Kaltluft <strong>und</strong> Warmluft aufeinander stoßen,<br />
kann die Windrichtung am Boden sich bis zu 180° von der<br />
Windrichtung in der Höhe unterscheiden.<br />
Natürlich hat auch die Windgeschwindigkeit einen großen<br />
Einfluss auf die Konzentration der freigesetzten Stoffe: je<br />
höher die Windgeschwindigkeit, desto stärker die Verdünnung.<br />
Wie die Windrichtung, so kann sich auch die Windgeschwindigkeit<br />
räumlich ändern: zum einen kann die Landschaftsform<br />
Änderungen hervorrufen (z. B. Kanalisierungseffekt<br />
in einem Tal), zum anderen bewirkt die Reibung der<br />
Luft am Boden, dass mit zunehmender Höhe die Windgeschwindigkeit<br />
zunimmt.<br />
- Turbulenzzustand der Atmosphäre<br />
In der Atmosphäre bilden sich ständig Luftwirbel ganz unterschiedlicher<br />
Größe, hervorgerufen z. B. durch die Reibung<br />
am Boden, durch die Landschaftsform, <strong>und</strong> durch Erwärmung<br />
<strong>und</strong> Abkühlung der Erdoberfläche. Diese Turbulenzen<br />
132
ewirken, dass die freigesetzten Partikel nicht einfach geradlinig<br />
mit dem Wind transportiert werden, sondern dass<br />
sich die Wolke zur Seite, nach oben <strong>und</strong> unten ausbreitet.<br />
Die Turbulenzen in der Atmosphäre hängen stark damit<br />
zusammen, wie sich die Lufttemperatur mit der Höhe ändert.<br />
Im Normalfall nimmt die Temperatur alle 100 Meter<br />
etwa um 1 Grad ab. Wird der Erdboden <strong>und</strong> damit die unteren<br />
Luftschichten durch starke Sonneneinstrahlung aufgeheizt<br />
(Temperaturabnahme mit der Höhe mehr als 1 Grad<br />
pro 100 m), so steigt die erwärmte Luft auf <strong>und</strong> es bilden<br />
sich verstärkte Turbulenzen. Kühlt sich dagegen der Boden<br />
<strong>und</strong> damit die unteren Luftschichten ab (z. B. in einer klaren<br />
Nacht), so bleibt die kühle Luft am Boden liegen <strong>und</strong> die<br />
Turbulenz nimmt ab; dies wird als stabile Luftschichtung bezeichnet.<br />
Je stabiler die Luftschichtung, desto geringer ist also die<br />
Turbulenz, <strong>und</strong> damit desto geringer die Ausbreitung der<br />
freigesetzten Stoffe in vertikaler Richtung. Umgekehrt: je<br />
turbulenter die Atmosphäre ist, desto stärker die vertikale<br />
Durchmischung, desto schneller erreicht die Wolke den Erdboden.<br />
Bei instabiler (turbulenter) Luftschichtung liegt also<br />
das Konzentrationsmaximum am Boden nahe am Freisetzungspunkt,<br />
bei stabiler Schichtung weiter entfernt.<br />
Jeder hat dies schon an der „Rauchfahne“ (meist Wasserdampf)<br />
an einem Schornstein beobachten können. Nach einer<br />
klaren Winternacht (stabile Schichtung) ist die Fahne oft<br />
über eine weite Strecke hin sichtbar <strong>und</strong> sehr schmal. Am<br />
Mittag bei Sonneneinstrahlung (instabile, turbulente Schichtung)<br />
verbreitert sich die Fahne dagegen sehr schnell <strong>und</strong><br />
löst sich bald auf (Abb. 4.1).<br />
- Freisetzungshöhe<br />
Je höher der Schornstein ist, aus dem die radioaktiven Stoffe<br />
freigesetzt werden, desto länger dauert es, bis die Fahne<br />
den Erdboden erreicht. Deshalb nimmt der Abstand des Ortes<br />
am Boden mit maximaler Konzentration mit wachsender<br />
Freisetzungshöhe zu. Wegen der dabei auch zunehmenden<br />
Verbreiterung der Wolke ist die maximale Konzentration am<br />
Boden umso niedriger, je höher die Freisetzung erfolgt.<br />
133
m<br />
200<br />
100<br />
134<br />
0<br />
18 19 20 °C<br />
m<br />
200<br />
100<br />
0<br />
18 19 20 °C<br />
m<br />
200<br />
100<br />
0<br />
18 19 20 °C<br />
Instabile Wetterlage<br />
neutrale Wetterlage<br />
stabile Wetterlage (Inversion)<br />
Abb. 4.1 Luftschichtungen <strong>und</strong> zugehörige Rauchfahnen<br />
Werden die radioaktiven Stoffe am Kaminende mit einem<br />
Luftstrom nach oben geblasen, oder werden sie zusammen<br />
mit heißer Luft freigesetzt (was einen Auftrieb erzeugt), so<br />
liegt die Achse der Abluftfahne höher als die Kaminhöhe.<br />
Durch diese Vergrößerung der „effektiven Freisetzungshöhe“<br />
werden ebenfalls eine Vergrößerung des Abstandes <strong>und</strong><br />
eine Verringerung der Konzentration des Punktes maximaler<br />
Konzentration am Boden erreicht.<br />
Beim Thema „Wind“ wurde schon darauf hingewiesen, dass<br />
sich Windrichtung <strong>und</strong> Windgeschwindigkeit mit der Höhe<br />
ändern können, manchmal sogar sehr stark. Deshalb kann<br />
eine Vergrößerung der Freisetzungshöhe auch bewirken,<br />
dass die freigesetzten Stoffe in eine andere Richtung transportiert<br />
werden. Dies macht eine Prognose der atmosphärischen<br />
Ausbreitung bei einer unfallbedingten Freisetzung
sehr schwierig, wenn man nicht weiß, wie viel Wärme (z. B.<br />
bei einem Brand) dabei mit freigesetzt wird.<br />
- Physikalisch-chemische Form<br />
Die in die Atmosphäre freigesetzten Teilchen werden dort so<br />
lange mit dem Wind transportiert, bis sie durch trockene<br />
Deposition oder durch den Regen auf den Boden, auf<br />
Pflanzen oder andere Oberflächen abgelagert werden. Wie<br />
im Abschnitt “Depositon“ näher erläutert wird, spielt bei den<br />
Depositionsprozessen die Größe der Teilchen, auch die<br />
chemische Form eine Rolle. So werden z. B. sehr große<br />
Teilchen schnell abgelagert <strong>und</strong> können deshalb nicht weit<br />
in der Atmosphäre transportiert werden. Auf der anderen<br />
Seite werden Edelgase nicht abgelagert <strong>und</strong> verbleiben<br />
deshalb in der Atmosphäre, bis sie durch radioaktiven Zerfall<br />
verschwinden (sofern es sich um ein radioaktives Edelgas<br />
handelt).<br />
Ausbreitungsmodelle<br />
Entsprechend den komplexen Prozessen <strong>und</strong> Einflussfaktoren<br />
bei der atmosphärischen Ausbreitung gibt es eine Vielzahl<br />
von Modellen, mit denen sich die Ausbreitung berechnen<br />
lässt. Es sollen hier nur kurz einige wichtige Modell-<br />
Typen vorgestellt werden.<br />
- Gauss-Modelle<br />
Der für praktische Anwendungen wichtigste Modelltyp ist<br />
das Gauss-Modell. Es hat seinen Namen daher, dass es die<br />
Konzentrationsverteilung in der Abluftwolke senkrecht zur<br />
Windrichtung (horizontal <strong>und</strong> vertikal) in Form einer<br />
Gauss’schen-Normalverteilung („Glockenkurve“) beschreibt<br />
(siehe Abb. 4.2). Diese Verteilung ergibt sich aus den physikalischen<br />
Modellansätzen, wenn man eine Reihe von vereinfachenden<br />
Annahmen macht, z. B. dass<br />
� Windgeschwindigkeit <strong>und</strong> -richtung räumlich <strong>und</strong><br />
zeitlich konstant sind,<br />
� die atmosphärische Turbulenz sich räumlich <strong>und</strong><br />
zeitlich nicht ändert,<br />
� die Ausbreitung in ebenem Gelände stattfindet,<br />
135
� die Rauhigkeit des Untergr<strong>und</strong>s räumlich konstant<br />
ist,<br />
� usw.<br />
Das Gauss-Modell verwendet zur Beschreibung des vertikalen<br />
<strong>und</strong> horizontalen Auseinanderdriftens der Abluftwolke<br />
(Breite der Gauss-Verteilungen) Parameter, welche experimentell<br />
bestimmt wurden.<br />
Wenn auch die genannten vereinfachenden Annahmen in<br />
der Realität nie ganz erfüllt sind, so gibt das Gauss-Modell<br />
doch oft ohne viel Rechenaufwand eine brauchbare Abschätzung<br />
für die Konzentration in der Umgebung des Emittenten.<br />
Allerdings muss man sich davor hüten, dieses Modell<br />
in ungeeigneten Situationen anzuwenden, etwa in stark<br />
hügeligem Gelände oder in zu großem Abstand (mehr als<br />
etwa 10 km) vom Freisetzungspunkt.<br />
y<br />
136<br />
z<br />
Konzentrationsverteilung<br />
horizontal<br />
vertikal<br />
x<br />
=Windrichtung<br />
Abb. 4.2 Konzentrationsverteilung in einer Abluftwolke nach<br />
dem Gauss-Modell<br />
Um die oben genannten vereinfachenden Annahmen abzumildern<br />
wurde eine Reihe von verfeinerten Gauss-Modellen<br />
entwickelt, welche jeweils mit geeigneten Korrekturen näherungsweise<br />
den Einfluss von nicht im Gauss-Modell enthaltenen<br />
Effekten abschätzen. So lassen sich etwa zeitliche<br />
Änderungen der Atmosphäreneigenschaften (Windrichtung<br />
<strong>und</strong> -geschwindigkeit, Turbulenz) dadurch berücksichtigen,
dass man die Abluftfahne für jeweils kurze Zeitintervalle<br />
(z. B. 10 Minuten) mit dem Gauss-Modell berechnet <strong>und</strong> diese<br />
dann im nächsten Zeitintervall als Freisetzungsquelle<br />
einer erneuten Ausbreitungsrechnung betrachtet, wobei gegenüber<br />
dem ersten Zeitintervall geänderte Ausbreitungsbedingungen<br />
herrschen können.<br />
Ein großer Vorteil der Gauss-Modelle ist, dass sie mit relativ<br />
geringem Rechenaufwand zu Ergebnissen führen. In vielen<br />
Fällen ist es jedoch nötig, sehr viel detailliertere Modelle zu<br />
verwenden, um die Ausbreitungsverhältnisse in der Atmosphäre<br />
hinreichend genau zu beschreiben. Hierbei sind<br />
dann sehr leistungsfähige Computer nötig. Für solche komplexen<br />
Rechenmodelle gibt es zwei gr<strong>und</strong>sätzlich verschiedene<br />
Modellansätze, die im Folgenden kurz charakterisiert<br />
werden.<br />
- Eulersche Ausbreitungsmodelle<br />
Die Atmosphäre in der Umgebung des Freisetzungsortes<br />
wird in dreidimensionale Gitterzellen eingeteilt. Die Größe<br />
der Gitterzellen ändert sich dabei meist mit der Höhe über<br />
Gr<strong>und</strong> <strong>und</strong> mit dem Abstand vom Freisetzungsort. In jeder<br />
Gitterzelle können individuelle, zeitlich variable Bedingungen<br />
(z. B. Temperatur, Windrichtung <strong>und</strong> -geschwindigkeit, Turbulenz)<br />
herrschen. Die Ausbreitungsepisode wird in kleine<br />
Zeitabschnitte unterteilt. In jedem Zeitabschnitt wird berechnet,<br />
welche Menge des freigesetzten Stoffes von jeder Zelle<br />
in ihre Nachbarzellen transportiert wird.<br />
- Lagrangesche Ausbreitungsmodelle<br />
Zur Bestimmung des Ausbreitungsverhaltens eines Schadstoffes<br />
werden im Computer die „Flugbahnen“ (Trajektorien)<br />
von einzelnen Schadstoffpartikeln verfolgt. Die Partikelbewegung<br />
wird dabei in kurzen Zeitabschnitten berechnet unter<br />
Berücksichtigung des aktuellen Windfeldes (das sich<br />
räumlich <strong>und</strong> zeitlich ändern kann) <strong>und</strong> einer Zufallskomponente,<br />
welche die turbulente Diffusion beschreibt. Nacheinander<br />
werden sehr viele Partikel verfolgt, von denen jedes<br />
einen anderen Weg nimmt. An den interessierenden<br />
Stellen wird gezählt, wie viele Partikel ein bestimmtes Volumen<br />
durchqueren; dies ist ein Maß für die Konzentration des<br />
freigesetzten Stoffes an diesem Ort.<br />
137
Lagrangesche Ausbreitungsmodelle sind heute Stand der<br />
Technik: sie finden z. B. in der Technischen Anleitung Luft<br />
(TA-Luft) für konventionelle Schadstoffe Anwendung.<br />
Deposition <strong>und</strong> Verbleib auf Oberflächen<br />
Die in die Atmosphäre freigesetzten radioaktiven Stoffe<br />
verbleiben natürlich nicht beliebig lange dort, sondern werden<br />
durch verschiedene Prozesse auf den Boden, auf<br />
Pflanzen <strong>und</strong> andere Oberflächen (z. B. Häuser, Gewässer)<br />
abgelagert. Bei dieser so genannten Deposition unterscheidet<br />
man je nach den vorherrschenden Mechanismen vor allem<br />
trockene <strong>und</strong> nasse Deposition.<br />
- Trockene Deposition<br />
Bei trockenen Wetterbedingungen tragen vor allem zwei<br />
Prozesse zu einer Deposition der radioaktiven Stoffe (oft<br />
auch Fallout genannt) bei:<br />
� bei relativ großen Partikeln (d.h. Teilchen von mehr<br />
als etwa 1/100 Millimeter Durchmesser) bewirkt die<br />
Schwerkraft ein Absinken auf den Boden,<br />
� sehr kleine Partikeln (vor allem bei Teilchen mit<br />
Durchmessern von weniger als ein Tausendstel<br />
Millimeter) sinken durch die Schwerkraft kaum ab,<br />
sondern bewegen sich im Wesentlichen mit den<br />
turbulenten Luftbewegungen. Kommen sie dabei in<br />
Bodennähe, so können sie mit Hindernissen (z. B.<br />
Pflanzen) zusammenstoßen <strong>und</strong> daran haften bleiben.<br />
Radioaktive Stoffe, welche nicht partikelgeb<strong>und</strong>en, sondern<br />
gasförmig vorliegen, können ebenfalls z. B. auf Pflanzenoberflächen<br />
abgelagert werden, besonders, wenn es sich<br />
um reaktionsfähige Gase handelt: wenn es sich um ein Gas<br />
handelt, welches am Stoffwechsel der Pflanzen teilnimmt<br />
(z. B. elementares Iod, Tritium, Kohlenstoff-14 in Form von<br />
Kohlendioxid), können dabei relativ schnell durch die Blattoberflächen<br />
ins Innere der Pflanze gelangen <strong>und</strong> dort geb<strong>und</strong>en<br />
werden. Reaktionsträge Gase dagegen, vor allem<br />
Edelgase, werden dagegen praktisch nicht abgelagert.<br />
138
Bei der technischen Nutzung der Kernenergie, besonders aus Wiederaufarbeitungsanlagen,<br />
werden auch radioaktive Edelgase in die<br />
Atmosphäre freigesetzt. Hier spielt besonders das langlebige Krypton-85<br />
(Halbwertszeit 10,8 Jahre) eine Rolle. Da es nicht abgelagert<br />
wird, reichert es sich in der Atmosphäre an: in den vergangenen<br />
20 Jahren stieg seine Konzentration in der Atmosphäre um etwa<br />
den Faktor 3 an. Für die Strahlenexposition von Mensch <strong>und</strong><br />
Umwelt spielt dieses Krypton-85 jedoch keine nennenswerte Rolle.<br />
- Nasse Deposition<br />
Wenn es während des atmosphärischen Transports von partikelgeb<strong>und</strong>enen<br />
radioaktiven Stoffen regnet, so können diese<br />
mit dem Niederschlag zum Boden transportiert werden.<br />
Bei dieser so genannten nassen Deposition können zwei<br />
Mechanismen eine Rolle spielen:<br />
� Die radioaktiven Partikel können in der Atmosphäre<br />
als Kondensationskeime für Regentröpfchen dienen<br />
<strong>und</strong> mit diesen zum Boden fallen, sobald die Tröpfchen<br />
groß genug geworden sind. Dieser Prozess<br />
wird als „Rainout“ bezeichnet.<br />
� Wenn sich die Regenwolke oberhalb der Abluftfahne<br />
mit den radioaktiven Partikeln befindet, können<br />
die aus der Regenwolke fallenden Regentropfen die<br />
Partikel „einfangen“ <strong>und</strong> mit zum Boden transportieren<br />
(„Washout“).<br />
Die nasse Deposition findet naturgemäß nur in bestimmten<br />
Situationen, nämlich wenn Niederschlag fällt, statt. Wenn sie<br />
aber erfolgt, so spielt sie eine weit wichtigere Rolle als die<br />
trockene Deposition.<br />
Dies konnte besonders deutlich in den 60-er Jahren des vergangenen<br />
Jahrh<strong>und</strong>erts beobachtet werden: Die durch die oberirdischen<br />
Kernwaffentests hoch in die Atmosphäre gebrachten radioaktiven<br />
Partikel wurden dort weiträumig transportiert bis sie relativ gleichmäßig<br />
in hohen Atmosphäreschichten verteilt waren. Die Deposition<br />
auf den Erdboden ging über viele Jahre vor sich. Das Ausmaß<br />
der auf den Boden deponierten Aktivität z. B. von Cäsium-137 oder<br />
Strontium-90 hing dabei in hohem Maße von der regionalen mittleren<br />
Niederschlagsmenge ab, d.h. in trockenen Gebieten waren wesentlich<br />
geringere Aktivitäten messbar als in Regionen mit hohen<br />
Niederschlägen.<br />
139
Auch nach dem Durchzug der Wolke mit radioaktiven Partikeln aus<br />
dem Tschernobyl-Unfall war vor allem in Süddeutschland eine ausgeprägte<br />
räumliche Variabilität der deponierten radioaktiven Stoffe<br />
feststellbar, welche durch die starken regionalen Unterschiede der<br />
Regenmengen (aufgr<strong>und</strong> lokaler Gewitterschauer) hervorgerufen<br />
wurde.<br />
Trockene Deposition (Fallout)<br />
Nasse Deposition (Rainout)<br />
Nasse Deposition (Washout)<br />
Abb. 4.3 Depositionsprozesse<br />
- Interzeption<br />
Wie im letzten Abschnitt beschrieben, ist für die gesamte<br />
Deposition aus der Atmosphäre zum Boden hin vor allem<br />
die nasse Deposition wichtig. Fällt der Niederschlag dabei<br />
140
auf eine Fläche, welche mit Pflanzen bewachsen ist, so<br />
bleibt nur ein gewisser Anteil der insgesamt deponierten radioaktiven<br />
Stoffe auf den Blättern hängen, der Rest fällt mit<br />
dem Regenwasser zum Boden. Das Ausmaß dieser Rückhaltung<br />
durch die Pflanzen (Interzeption genannt) spielt vor<br />
allem dann eine Rolle, wenn es sich bei den Pflanzen um<br />
Nahrungsmittel (z. B. Salat, Gemüse) oder Futtermittel für<br />
Haustiere (z. B. Gras für Kühe) handelt, denn nur der von<br />
der Pflanze zurückgehaltene Anteil deponierter radioaktiver<br />
Stoffe gelangt unmittelbar in die menschliche Nahrungskette.<br />
Das Ausmaß der Interzeption hängt von verschiedenen<br />
Faktoren ab, z. B.<br />
� Je weiter die Pflanzen entwickelt sind, d.h. je größer<br />
die Blattfläche ist, desto höher ist die Rückhaltung.<br />
� Je größer die Regenmenge ist, desto geringer ist<br />
der Anteil, der auf der Blattoberfläche verbleibt.<br />
� Die physikalisch-chemischen Eigenschaften des radioaktiven<br />
Stoffs beeinflussen, wie stark die<br />
Pflanzenoberfläche diesen Stoff binden kann.<br />
Das Ausmaß der Interzeption kann über einen weiten Bereich<br />
variieren, von 100 % (alles verbleibt auf den Blättern;<br />
dies kann z. B. bei sehr dichtem Blattwerk <strong>und</strong> nur leichtem<br />
Nieselregen auftreten) bis nahe 0 % (alles geht auf den Boden;<br />
bei kleinen Pflänzchen, starkem Regen).<br />
- Verbleib auf Oberflächen<br />
Nach einer Ablagerung von radioaktiven Stoffen auf den<br />
Erdboden, auf Pflanzen oder andere Oberflächen, verbleiben<br />
diese häufig nur für eine beschränkte Zeit an dieser<br />
Stelle. Nur wenn eine chemische oder physikalische Bindung<br />
an die Oberfläche (z. B. Aufnahme ins Blattinnere von<br />
Pflanzen, Adhäsion an kristalline Strukturen von Bodenpartikeln)<br />
erfolgt, verbleiben die abgelagerten Stoffe lange Zeit<br />
am selben Ort. Ansonsten bewirkt vor allem das Regenwasser,<br />
dass die Stoffe im Laufe der Zeit abgewaschen <strong>und</strong><br />
fortgespült werden. Allgemein gilt: je glatter die Oberflächen<br />
sind <strong>und</strong> je steiler deren Neigung ist, desto schneller werden<br />
die darauf deponierten Stoffe wieder entfernt.<br />
141
Man kann dies näherungsweise durch Halbwertszeiten beschreiben,<br />
d.h. durch Angabe des Zeitraums, in dem die Hälfte des deponierten<br />
Stoffes wegtransportiert wird. Diese Halbwertszeiten<br />
können z. B. bei Fenstern (glatte, vertikale Fläche) in der Größenordnung<br />
von Tagen, bei rauen Dächern dagegen in der Größenordnung<br />
von Jahren liegen.<br />
Insbesondere in städtischen Umgebungen spielt dieses so<br />
genannte „Abwittern“ eine große Rolle; es führt im Laufe der<br />
Zeit zu einer ganz anderen räumlichen Verteilung der radioaktiven<br />
Stoffe im Vergleich zur Situation unmittelbar nach<br />
der Deposition. Durch ein Einspülen in die Kanalisation können<br />
sich so manche Stoffe im Klärschlamm anreichern.<br />
Nach einer Deposition auf den Erdboden verbleiben die<br />
Stoffe dagegen meist relativ lange am gleichen Ort. Durch<br />
das Regenwasser können sie zwar etwas in den Boden ein-<br />
gewaschen werden, doch aufgr<strong>und</strong> von Bindungen an Bodenpartikel<br />
geht dies meist langsam vor sich.<br />
So ist z. B. das radioaktive Casium-137, welches von den oberirdischen<br />
Kernwaffenversuchen zu Beginn der 1960er Jahre stammt,<br />
in den meisten Böden auch heute noch fast vollständig in den<br />
obersten Bodenschichten zu finden.<br />
- Resuspension<br />
Wenn radioaktive Stoffe auf dem Boden oder auf anderen<br />
Oberflächen abgelagert worden sind, dann können sie durch<br />
den Wind auch wieder aufgewirbelt werden <strong>und</strong> dann in der<br />
Atmosphäre weiter transportiert werden. Diesen Effekt nennt<br />
man Resuspension. Durch die Resuspension kann sich das<br />
Verteilungsmuster der radioaktiven Stoffe, das sich durch<br />
atmosphärische Ausbreitung <strong>und</strong> Depositionsprozesse im<br />
Anschluss and eine Freisetzung ergeben hat, auch langfristig<br />
noch ändern. Allerdings ist das Ausmaß der Resuspension<br />
abhängig davon, wie feucht es in einer Region ist. In<br />
Mitteleuropa z. B. spielt sie keine wesentliche Rolle, dagegen<br />
ist sie in Trockengebieten viel stärker ausgeprägt.<br />
Durch die Resuspension kann es auch längerfristig zu einer<br />
Deposition der radioaktiven Stoffe auf Pflanzenoberflächen<br />
kommen. Neben dem Aufwirbeln mit dem Wind kann hierfür<br />
auch das Hochspritzen von Wasser <strong>und</strong> Erdpartikeln (mit<br />
anhaftenden radioaktiven Stoffen) bei starkem Regen wirksam<br />
sein („Rainsplash“).<br />
142
Die Resuspension führt auch zu einer langfristigen Aufnahme<br />
der radioaktiven Stoffe in den Körper durch Einatmen<br />
(Inhalation). Im Vergleich zur Aufnahme mit kontaminierten<br />
Nahrungsmitteln ist sie aber nur für solche radioaktiven Stoffe<br />
bedeutsam, die eine sehr geringe Mobilität in den Nahrungsketten<br />
(z. B. Aufnahme aus dem Boden in die Pflanzen,<br />
Übergang vom Tierfutter in Milch oder Fleisch) haben.<br />
Ein Beispiel hierfür ist das Plutonium.<br />
Ausbreitung in Gewässern<br />
Werden radioaktive Stoffe in ein Gewässer freigesetzt, so<br />
findet auch dort, ähnlich wie in der Atmosphäre, eine Ausbreitung<br />
dieser Stoffe aufgr<strong>und</strong> des Fließens des Wassers,<br />
aber auch aufgr<strong>und</strong> von Turbulenzen statt.<br />
Bei einer Einleitung in einen Fluss sind drei Phasen zu beobachten.<br />
Ganz zu Beginn wird die Ausbreitung oft überwiegend<br />
durch die Turbulenzen, welche durch den eingeleiteten<br />
Strahl verursacht werden, bestimmt. Bei geplanten Einleitungen<br />
in Gewässer wird oft durch entsprechende Einleitungsvorrichtungen<br />
ganz gezielt eine möglichst starke anfängliche<br />
Durchmischung erzeugt. In der zweiten Phase findet<br />
die Ausbreitung der eingeleiteten Stoffe durch turbulente<br />
Diffusion im Fließgewässer statt. Besonders Flusskrümmungen,<br />
Buhnen etc. verstärken dabei die Ausbreitung quer<br />
zur Fließrichtung. Nach genügend langer Wegstrecke (bei<br />
einem großen Fluss nach mehreren Kilometern bis mehreren<br />
10 Kilometern) wird die dritte Phase erreicht, in der die<br />
eingeleiteten Stoffe gleichmäßig horizontal <strong>und</strong> vertikal über<br />
das gesamte Flussprofil verteilt sind.<br />
Bei einer Einleitung radioaktiver Stoffe in stehende Gewässer<br />
(Teich, See) sind die Ausbreitungsverhältnisse viel stärker<br />
von den individuellen Eigenschaften des Gewässers abhängig.<br />
Dabei haben die Strömungsverhältnisse, z. B. verursacht<br />
durch Zu- <strong>und</strong> Abflüsse, einen großen Einfluss. Außer<br />
durch Strömung wird Turbulenz durch Wind <strong>und</strong> durch<br />
Temperaturunterschiede hervorgerufen. Eine besondere<br />
Rolle spielt dabei die vertikale Temperaturschichtung des<br />
Wassers. Im Laufe des Winters sinkt das an der Oberfläche<br />
abgekühlte Wasser in die Tiefe. Im Sommer erfolgt eine Er-<br />
143
wärmung des oberflächennahen Wassers, welches aufgr<strong>und</strong><br />
seiner geringeren Dichte über dem kalten Tiefenwasser<br />
liegt. Hierbei erfolgt kaum ein Austausch zwischen den verschiedenen<br />
Höhenschichten. Im Laufe des Sommers weitet<br />
sich die erwärmte Oberflächenschicht aus, <strong>und</strong> wenn im<br />
Herbst Stürme stattfinden, dann erreicht die vertikale<br />
Durchmischung des Sees ein Maximum.<br />
Radionuklide in Nahrungsketten<br />
Bei der Deposition von radioaktiven Stoffen aus der Atmosphäre<br />
auf den Boden oder auf Pflanzen, welche der Viehfütterung<br />
oder der menschlichen Ernährung dienen, gelangen<br />
diese Stoffe in die Nahrungsketten, an deren Ende der<br />
Mensch steht. Der Mensch nimmt damit radioaktive Stoffe in<br />
seinen Körper auf, was zu einer internen Strahlenexposition<br />
des Körpers führt.<br />
- Kontamination von Pflanzen<br />
Die Kontamination von pflanzlichen Produkten durch radioaktive<br />
Stoffe kann auf verschiedenen Wegen erfolgen (siehe<br />
Abb. 4.4).<br />
Die direkte Deposition auf die als Futter- oder Nahrungsmittel<br />
genutzten Pflanzenteile spielt vor allem bei solchen<br />
Pflanzen eine Rolle, die als Ganzes geerntet <strong>und</strong> gegessen<br />
oder verfüttert werden (z. B. Blattgemüse, Gras, Silomais).<br />
Je größer hierbei das Verhältnis von exponierter Blattoberfläche<br />
zur Gesamtmasse ist, desto höher ist die Aktivitätskonzentration<br />
im geernteten Produkt: während z. B. Kopfsalat,<br />
Spinat oder Gras mit am höchsten kontaminiert werden,<br />
ist die Aktivitätskonzentration z. B. in Weiß- oder Blaukraut<br />
deutlich niedriger, da bei letzteren nur die äußeren Blätter,<br />
welche meist bei der Zubereitung entfernt werden, kontaminiert<br />
werden. Bei Pflanzen, von denen nur bestimmte Teile<br />
genutzt werden (z. B. Tomaten, Bohnen) spielt die direkte<br />
Deposition auf diese Teile seltener eine wichtige Rolle, da<br />
diese Früchte nur während eines relativ kleinen Zeitraums<br />
im Jahr eine entsprechend große Oberfläche haben. Zudem<br />
sind manche Pflanzenteile z. B. durch Spelzen oder den<br />
Erdboden (Kartoffeln) vor einer direkten Deposition geschützt.<br />
144
Ein wichtiger Kontaminationspfad bei teilweise genutzten<br />
Pflanzen ist die Deposition auf das Blattwerk (große Oberfläche)<br />
<strong>und</strong> der anschließende Transport (Translokation) in<br />
die genutzten Teile. Dies spielt z. B. bei Getreide <strong>und</strong> Kartoffeln<br />
eine große Rolle. Das Ausmaß der Translokation hängt<br />
davon ab, in welchem Entwicklungszustand die Pflanzenblätter<br />
kontaminiert werden; am effektivsten ist die Translokation,<br />
wenn die Deposition etwa zu Beginn der Entwicklung<br />
der Speicherorgane (Kartoffelknollen, Getreidekörner) stattfindet.<br />
Die Translokation ist auch nicht für alle radioaktiven<br />
Stoffe gleich groß. Manche Elemente (z. B. Cäsium, Iod)<br />
sind hier als mobil, andere (z. B. Strontium) als immobil einzustufen.<br />
Um das Ausmaß der Translokation zu veranschaulichen:<br />
Wird Cäsium zu Beginn des Ährenschiebens<br />
auf die Blätter von Getreide abgelagert, so werden r<strong>und</strong><br />
10 % der abgelagerten Aktivität in die Getreidekörner verlagert.<br />
Während die direkte Ablagerung auf den Pflanzenblättern<br />
(mit oder ohne Translokation) nur bei einer Deposition zu<br />
bestimmten Jahreszeiten (nämlich dann, wenn die Pflanzen<br />
auf den Feldern stehen) eine Rolle spielt, kann eine Deposition<br />
auf den Boden immer stattfinden. Durch Regenwasser,<br />
Pflügen usw. wird die deponierte Aktivität im oberen Boden<br />
verteilt <strong>und</strong> kann von den Pflanzen über die Wurzeln aufgenommen<br />
werden. Diese Art der Pflanzenkontamination ist<br />
– im Gegensatz zur direkten Deposition auf den Blättern –<br />
nicht nur im ersten Jahr nach der Deposition, sondern langfristig<br />
wirksam. Auch hier gibt es Elemente, die von den<br />
Pflanzen gut aufgenommen werden (z. B. Strontium), <strong>und</strong><br />
andere, die nur in sehr geringem Maße über die Wurzeln<br />
transportiert werden (z. B. Plutonium). Die in den Boden eingebrachten<br />
Radionuklide stehen auch nicht voll für die<br />
Wurzelaufnahme zur Verfügung, sondern manche Elemente,<br />
z. B. Cäsium, werden relativ schnell an Bodenpartikel<br />
geb<strong>und</strong>en.<br />
Ein anderer Transportweg vom Boden hin zu den Pflanzen<br />
ist das Aufwirbeln von Bodenpartikeln (mit den daran haftenden<br />
radioaktiven Stoffen) durch den Wind <strong>und</strong> die anschließende<br />
Deposition auf der Pflanze. Diese so genannte<br />
Resuspension ist der dominierende langfristige Kontaminationspfad<br />
für die Pflanzen bei Elementen mit sehr geringer<br />
145
Wurzelaufnahme (z. B. Plutonium). Auch das Hochspritzen<br />
von Bodenpartikeln bei starken Regenfällen kann den Pflanzen<br />
radioaktive Stoffe aus dem Boden zuführen.<br />
146<br />
2<br />
3<br />
1<br />
4<br />
Abb. 4.4 Pfade für die Kontamination von Pflanzenprodukten:<br />
1: Direkte Deposition auf die genutzten Pflanzenteile (z. B. Früchte),<br />
2: Deposition auf die Blätter <strong>und</strong> anschließender Transport in die<br />
Früchte (Translokation),<br />
3: Deposition auf den Boden <strong>und</strong> anschließende Aufnahme in die<br />
Pflanze über die Wurzeln,<br />
4: Deposition auf den Boden <strong>und</strong> anschließendes Hochwirbeln <strong>und</strong><br />
Deposition auf die Blätter oder Früchte (Resuspension).<br />
- Kontamination von Tierprodukten<br />
Werden radioaktiv kontaminierte Futtermittel an Tiere verfüttert,<br />
so wird ein Teil der radioaktiven Stoffe durch das Blut in<br />
verschiedene Organe transportiert <strong>und</strong> so in den Tierprodukten<br />
(Fleisch, Milch, Eier) zu finden sein.<br />
Die Zufuhr radioaktiver Stoffe zum Tier wird dabei wesentlich<br />
durch die Art <strong>und</strong> Menge der Futtermittel bestimmt. Häufig<br />
wird der so genannte „Weide-Kuh-Milch-Pfad“ betrachtet,<br />
der zumindest in der Anfangsphase nach einer Deposition<br />
radioaktiver Stoffe zu einer relativ hohen Kontamination der
Milch führt. Will man dagegen realistische Werte der Kontamination<br />
von Tierprodukten abschätzen, so müssen die tatsächlichen<br />
Fütterungsgewohnheiten zugr<strong>und</strong>e gelegt werden.<br />
Diese können regional <strong>und</strong> saisonal stark schwanken,<br />
so dass es zu einer großen Bandbreite der beobachteten<br />
Kontamination von Tierprodukten kommen kann.<br />
Wird einem Tier von einem bestimmten Zeitpunkt an täglich<br />
die gleiche Menge eines radioaktiven Stoffs gefüttert, so ist<br />
in der Milch oder im Fleisch nicht schlagartig eine bestimmte<br />
Konzentration dieses Radionuklids zu finden, sondern es<br />
stellt sich erst im Laufe der Zeit ein Gleichgewichtswert ein<br />
(siehe Abb. 4.5). Dieser wird meist beschrieben durch den<br />
so genannten Transferfaktor, welcher das Verhältnis der Aktivitätskonzentration<br />
im Tierprodukt (angegeben in Bq/kg) zu<br />
der täglich dem Tier zugeführten Aktivitätsmenge (Bq/Tag)<br />
angibt. Nach Beendigung der Aktivitätszufuhr zum Tier geht<br />
die Aktivität im Tierprodukt auch nicht schlagartig zurück,<br />
sondern sie klingt langsam ab, weil der im Körper vorhandene<br />
radioaktive Stoff langsam ausgeschieden wird.<br />
Aktivität im Tierprodukt<br />
Zeitraum der<br />
Aktivitätszufuhr<br />
Gleichgewichtswert<br />
Zeit<br />
Abb. 4.5 Schematische Darstellung des Radionuklid-Transfers<br />
in Tierprodukte<br />
Die Transferfaktoren können sehr unterschiedliche Werte<br />
annehmen; sie hängen stark vom betrachteten radioaktiven<br />
Stoff <strong>und</strong> der chemischen Verbindung, in der er vorliegt,<br />
147
aber auch von der Tierart bzw. dem Tierprodukt ab. Es ist<br />
aber auch zu bedenken, dass die Transferfaktoren keine<br />
Naturkonstanten, wie man sie aus der Physik kennt, sind. In<br />
biologischen Systemen gibt es immer natürliche Variationen,<br />
<strong>und</strong> so kann z. B. der Transferfaktor für Milch von einer Kuhrasse<br />
zur anderen verschieden sein, aber auch innerhalb einer<br />
Rasse gibt es Variabilitäten von einer Kuh zur anderen.<br />
Der Zeitraum, in dem sich bei konstanter Aktivitätszufuhr ein<br />
Gleichgewichtswert im Tierprodukt einstellt, hängt ebenfalls<br />
von vielen Faktoren ab. Während sich z. B. beim Übergang<br />
von Cäsium in die Milch bereits nach wenigen Tagen ein<br />
mehr oder weniger konstanter Wert einstellt, dauert es bei<br />
Elementen, welche sich langfristig in bestimmten Organen<br />
akkumulieren (z. B. Strontium im Knochen), viel länger.<br />
- Einfluss der Verarbeitung <strong>und</strong> Lagerung auf die<br />
Kontamination<br />
Häufig werden pflanzliche oder tierische Produkte erst eine<br />
Zeit lang gelagert <strong>und</strong>/oder verarbeitet, bevor sie als Futteroder<br />
Nahrungsmittel dienen. Dies kann den Transfer der radioaktiven<br />
Stoffe in den Nahrungsketten deutlich beeinflussen.<br />
Durch die Lagerung ergibt sich bei kurzlebigen Radionukliden<br />
durch den radioaktiven Zerfall eine Reduktion der Kontamination.<br />
So bewirkt z. B. eine Lagerung von 2 Monaten<br />
bei dem potentiell wichtigen Radionuklid Iod-131 (8 Tage<br />
Halbwertszeit) eine Reduktion der Aktivität um den Faktor<br />
180. Ein anderer Effekt der Lagerung besteht darin, dass<br />
sich die Aktivitätszufuhr zum Menschen am Ende der Nahrungskette<br />
zeitlich nach hinten verschiebt. Nach dem<br />
Tschernobyl-Unfall Ende April 1986 wurde so der maximale<br />
Körper-Gehalt an Cäsium-137 bei einer großen Probanden-<br />
Gruppe in München erst im April 1987 gemessen.<br />
Bei der Verarbeitung von Pflanzen- oder Tierprodukten zu<br />
Futter- <strong>und</strong> Nahrungsmitteln kann es in den verarbeiteten<br />
Produkten zu einer Erhöhung oder Reduktion der Aktivitätskonzentration<br />
gegenüber dem Rohprodukt kommen. Im Jahre<br />
1986 hatte Winterweizen im Raum München eine Cäsium-137-Konzentration<br />
von r<strong>und</strong> 100 Bq/kg. Nach dessen<br />
Verarbeitung in einer Mühle war im Mehl eine Kontamination<br />
148
von 50 Bq/kg zu messen, während das Nebenprodukt des<br />
Mahlvorgangs, die Kleie, einen Cäsium-137-Gehalt von r<strong>und</strong><br />
300 Bq/kg aufwies (Abb. 4.6). Für die Radioökologie wichtige<br />
Verarbeitungsprozesse in den Nahrungsketten sind auch<br />
die Herstellung von Butter, Käse <strong>und</strong> anderen Produkten<br />
aus Milch.<br />
Abb. 4.6 Änderung der Aktivitätskonzentration beim Mahlen<br />
von Getreide<br />
Auch die Verarbeitung von Nahrungsmitteln in der Küche<br />
kann zu Veränderungen (in der Regel zur Reduktion) der<br />
radioaktiven Kontamination führen. Äußerlich auf Pflanzen<br />
haftende radioaktive Partikel können teilweise abgewaschen<br />
werden. Beim Kochen gehen die wasserlöslichen radioaktiven<br />
Stoffe teilweise ins Kochwasser <strong>und</strong> werden so – falls<br />
das Kochwasser weggeschüttet wird – aus der Nahrungskette<br />
entfernt. Es wurden nach dem Tschernobyl-Unfall eine<br />
Reihe von „Rezepten“ weitergegeben, mit denen sich z. B.<br />
aus Pilzen oder Fleisch der allergrößte Teil des Radio-<br />
Cäsiums entfernen ließ; es erscheint jedoch dabei teilweise<br />
fraglich, was dabei an Nährstoffen <strong>und</strong> Geschmack der Lebensmittel<br />
übrig bleibt.<br />
Interne Strahlenexposition<br />
Von einer internen Strahlenexposition spricht man dann,<br />
wenn ein radioaktiver Stoff in den menschlichen Körper gelangt.<br />
Während des Aufenthalts im Körper zerfallen dessen<br />
Atome teilweise <strong>und</strong> senden dabei Strahlung aus, die den<br />
Körper von innen heraus bestrahlt.<br />
149
Die wichtigsten Pfade, auf denen bei einer radioaktiven Kontamination<br />
der Umwelt radioaktive Stoffe in den Körper gelangen<br />
können, sind die Aufnahme durch kontaminierte<br />
Nahrungsmittel (Ingestion) <strong>und</strong> mit der Atemluft (Inhalation).<br />
Darüber hinaus gibt es auch die Aufnahme über die Haut,<br />
über eine W<strong>und</strong>e oder durch Injektion; diese Pfade sind<br />
aber im Allgemeinen weniger wichtig <strong>und</strong> werden hier nicht<br />
weiter behandelt.<br />
Für eine Abschätzung der internen Strahlenexposition sind<br />
gr<strong>und</strong>sätzlich zwei Schritte nötig: zum einen die Abschätzung,<br />
wie groß die Menge (Aktivität) des vom Menschen in<br />
den Körper aufgenommenen radioaktiven Stoffes ist, zum<br />
anderen die Berücksichtigung, wo <strong>und</strong> wie lange der Stoff im<br />
Körper verbleibt <strong>und</strong> wie viel der ausgesandten Strahlung<br />
die verschiedenen Organe <strong>und</strong> Gewebe des Körpers trifft.<br />
- Ingestion<br />
Die Menge (Aktivität) eines mit der Nahrung aufgenommenen<br />
radioaktiven Stoffes hängt zum einen davon ab, wie<br />
hoch die Nahrungsmittel kontaminiert sind (dies wurde im<br />
letzten Abschnitt diskutiert), zum anderen, wie viel der<br />
Mensch von den Nahrungsmitteln isst. Will man also eine<br />
quantitative Abschätzung der Aktivitätszufuhr machen, benötigt<br />
man realistische Daten über die Verzehrsmengen.<br />
Meist werden hierfür mittlere Verzehrsmengen der Gesamtbevölkerung<br />
genommen. Die Verzehrsgewohnheiten von Individuen<br />
können jedoch stark von den mittleren abweichen;<br />
deswegen sind auch Abschätzungen für besondere Gruppen<br />
(z. B. Vegetarier, überdurchschnittliche Milchtrinker,<br />
Fleischesser etc.) von Interesse.<br />
Das Ausmaß der aktuellen radioaktiven Kontamination der<br />
Nahrungsmittel lässt sich durch Messung an repräsentativen<br />
Nahrungsmittelproben ermitteln. Um eine Prognose in die<br />
Zukunft zu erstellen, kann man es aber auch mit radioökologischen<br />
Rechenmodellen abschätzen, welche die im letzten<br />
Abschnitt diskutierten Prozesse in den Nahrungsketten berücksichtigen.<br />
Ausgangspunkt hierzu ist die Menge der auf<br />
Böden <strong>und</strong> Pflanzen deponierten <strong>Radioaktivität</strong>.<br />
Wenn eine Region (Land, Wirtschaftsraum) jedoch sehr unterschiedlich<br />
hoch mit radioaktiven Stoffen kontaminiert ist, wie es<br />
150
z. B. nach dem Tschernobyl-Unfall in Deutschland der Fall war,<br />
dann ist es für die Abschätzung der Aktivitätszufuhr einer bestimmten<br />
Personengruppe wichtig zu wissen, welche Nahrungsmittel von<br />
wo bezogen werden. Dies ist kein Problem für Selbstversorger, die<br />
sämtliche Nahrungsmittel lokal produzieren. Allerdings hat diese<br />
Gruppe heutzutage einen verschwindend geringen Anteil an der<br />
Gesamtbevölkerung. Selbst auf dem Land werden heute viele Nahrungsmittel<br />
im Handel bezogen, wobei die Nahrungsmittel häufig<br />
einen weiten Transport vom Ort der Produktion zum Ort des<br />
Verbrauchs hinter sich haben.<br />
Noch vor wenigen Jahrzehnten wäre die Abschätzung der Nahrungsmitteltransporte<br />
wesentlich einfacher gewesen, denn es gab<br />
viele Gebiete, welche mehr oder weniger autark waren, d. h. weitgehend<br />
alle verzehrten Nahrungsmittel produziert haben. Heute<br />
dagegen liegt die Nahrungserzeugung <strong>und</strong> -verteilung weitgehend<br />
in den Händen großer Handelsketten, was ein starkes Anwachsen<br />
<strong>und</strong> auch eine große Variabilität der Nahrungsmitteltransporte zur<br />
Folge hat. Nahrungsmittel werden überwiegend dort gekauft, wo sie<br />
gerade am billigsten sind; Transportkosten spielen dabei meist keine<br />
entscheidende Rolle. Traditionell wichtige Erzeuger-Verbraucher-Beziehungen<br />
sind dabei unwichtiger geworden.<br />
Dies macht es äußerst schwer, in einer Abschätzung der Strahlenexposition<br />
durch kontaminierte Nahrungsmittel die wahren Transportwege<br />
zu berücksichtigen. Das Problem wird noch größer bei<br />
einer Prognose der Ingestionsdosis nach einer größeren radioaktiven<br />
Kontamination (wie z. B. der Situation nach dem Tschernobyl-<br />
Unfall): hierbei können sich die vorhandenen Handelswege schlagartig<br />
<strong>und</strong> unvorhersagbar ändern, auch aufgr<strong>und</strong> der Reaktion der<br />
Bevölkerung.<br />
- Inhalation<br />
Solange radioaktive Stoffe als sehr feine Partikel oder an<br />
Aerosolpartikel geb<strong>und</strong>en in der Luft schweben, können Sie<br />
vom Menschen beim Einatmen inkorporiert werden. Je nach<br />
Größe der Partikel gelangen die Teilchen mehr oder weniger<br />
tief in den Atemtrakt <strong>und</strong> werden dort abgeschieden. Je<br />
nach Eindringtiefe verbleiben sie einige Zeit in der Lunge,<br />
<strong>und</strong> die beim radioaktiven Zerfall ausgesandte Strahlung<br />
bestrahlt das umgebende Gewebe.<br />
Die Menge der dabei inkorporierten radioaktiven Stoffe<br />
hängt zum einen von der Konzentration dieser Stoffe in der<br />
Luft, zum anderen von der Menge der eingeatmeten Luft ab.<br />
151
Die Atemrate, d. h. das pro Zeiteinheit eingeatmete Luftvolumen,<br />
hängt vor allem vom Lebensalter des Menschen <strong>und</strong><br />
von der momentanen körperlichen Aktivität ab, schwankt<br />
aber auch individuell von Person zu Person. Einen Eindruck<br />
von der Schwankungsbreite vermittelt Abb. 4.7.<br />
Atemrate<br />
(Liter/Minute)<br />
50<br />
40<br />
30<br />
20<br />
10<br />
0<br />
152<br />
Kleinkind<br />
(1 Jahr)<br />
Kind<br />
(10 Jahre)<br />
schwere<br />
Arbeit<br />
leichte<br />
Aktivität<br />
ruhend<br />
Erwachsene<br />
Abb. 4.7 Schwankungsbreiten von Atemraten<br />
Nach einer Freisetzung radioaktiver Stoffe in die Atmosphäre<br />
kann die Inhalation zu einer bedeutenden Quelle der<br />
Strahlenexposition werden, wenn sich der Mensch in der<br />
Ausbreitungsfahne aufhält. Besonders bei kurzlebigen Radionukliden,<br />
die beim Transfer in den Nahrungsketten zerfallen,<br />
gewinnt die Inhalation relativ an Bedeutung. Das Einatmen<br />
radioaktiver Edelgase jedoch führt nur zu sehr geringen<br />
Dosen, da diese sich nicht in der Lunge ablagern, sondern<br />
schnell wieder ausgeatmet werden.<br />
Langfristig führt die Inhalation von resuspendierten radioaktiven<br />
Partikeln zu einer Strahlenexposition. Diese spielt aber<br />
nur für solche Radionuklide eine nennenswerte Rolle, die<br />
über die Nahrungsketten nur in sehr geringem Umfang zum<br />
Menschen gelangen <strong>und</strong> die aufgr<strong>und</strong> ihrer ausgesandten<br />
Strahlung bei Einatmen zu einer hohen Dosis führen (z. B.<br />
Plutonium).<br />
- Verhalten der radioaktiven Stoffe im Körper<br />
Die Abschätzung der in den Körper durch Ingestion oder Inhalation<br />
aufgenommenen Aktivität besagt noch nichts über
die daraus resultierende Wirkung, wie z. B. das Risiko einer<br />
Krebsentstehung. Um ein Maß für die Wirkung zu haben,<br />
muss erst noch abgeschätzt werden, welche Dosis aus der<br />
Inkorporation des radioaktiven Stoffes entsteht. Die Umrechnung<br />
von der aufgenommenen Aktivität in die Dosis ist<br />
für jedes Radionuklid verschieden, denn sie hängt u. a. davon<br />
ab<br />
� in welchem Ausmaß der radioaktive Stoff ins Blut aufgenommen<br />
(resorbiert) wird,<br />
� wie er sich im Körper verteilt,<br />
� wie schnell er wieder ausgeschieden wird,<br />
� wie schnell er durch radioaktiven Zerfall reduziert wird,<br />
� welche Art von Strahlung er aussendet,<br />
� welche Energie diese Strahlung hat.<br />
Um das Verhalten von Radionukliden im Körper <strong>und</strong> die<br />
daraus resultierende Strahlenexposition abzuschätzen, gibt<br />
es so genannte biokinetische Rechenmodelle, welche den<br />
Transport des Stoffes zwischen den einzelnen Organen <strong>und</strong><br />
Geweben simulieren.<br />
Ist in einem Organ oder Gewebe die Aktivität eines bestimmten<br />
Radionuklids je Masseeinheit bekannt, lässt sich aus der absorbierten<br />
Energie die Energiedosisleistung (pro Zeiteinheit an das<br />
betroffene Gewebe übertragene Energiemenge) errechnen. Berücksichtigt<br />
man dabei zusätzlich, dass in lebendem Gewebe die<br />
einzelnen Strahlenarten unterschiedliche Qualitätsfaktoren der<br />
biologischen Wirksamkeit besitzen, ergibt sich die Äquivalentdosisleistung<br />
(siehe Kapitel 1.3). Aus der Dosisleistung (beispielsweise<br />
in Mikrosievert pro St<strong>und</strong>e) <strong>und</strong> der Zeit, über die sie<br />
einwirkt (beispielsweise 1 Jahr), ist die Dosis in diesem Zeitraum<br />
errechenbar (im gewählten Beispiel die Jahresdosis in Mikrosievert<br />
oder Millisievert).<br />
Die auf Aktivitätszufuhr bezogene Integraldosis, also diejenige<br />
Dosis, die ein Organ oder Gewebe als Folge einer einmaligen<br />
Zufuhr eines oder mehrerer Radionuklide im gesamten (unbegrenzten)<br />
Zeitraum nach der Aufnahme bis zum vollständigem<br />
Verschwinden dieser Nuklide aus dem Körper erhält,<br />
wird als Folgedosis bezeichnet.<br />
153
Begrenzt man den betrachteten Zeitraum nach der Aufnahme,<br />
ergibt sich die beschränkte Folgedosis (englisch: dose commitment),<br />
zum Beispiel die 50-Jahre Folgedosis.<br />
Daten über anatomische Werte oder das Stoffwechselgeschehen<br />
unterliegen naturgemäß starken individuellen<br />
Schwankungen. Für die Berechnung der Strahlendosis hat<br />
die ICRP daher in ihrer Veröffentlichung Nr. 23 /ICR-75/ für einen<br />
Durchschnittsmenschen (Reference Man) Standardwerte<br />
in allen Einzelheiten festgelegt. Auf der Gr<strong>und</strong>lage dieser Standardwerte<br />
ist auch die Referenzperson der deutschen Strahlenschutzverordnung<br />
definiert.<br />
Im praktischen Strahlenschutz ist es zur Ermittlung der Folgedosis<br />
aus einer Inkorporation eines radioaktiven Stoffes<br />
nicht nötig, aufwendige Rechnungen mit einem biokinetischen<br />
Modell durchzuführen. Vielmehr kann auf Dosisfaktoren<br />
zurückgegriffen werden, welche aus solchen Rechenmodellen<br />
gewonnen wurden. Diese Faktoren geben jeweils für ein<br />
bestimmtes Nuklid die aus der Inkorporation von einem Becquerel<br />
resultierende Folgedosis an. Dosisfaktoren sind getrennt<br />
für Ingestion <strong>und</strong> Inhalation <strong>und</strong> für verschiedene Altersgruppen<br />
verfügbar.<br />
Aufgenommene Radionuklide werden dann zu einer vergleichsweise<br />
hohen Strahlenexposition führen, wenn sie<br />
• eine hohe spezifische Aktivität (Becquerel pro Gramm)<br />
besitzen,<br />
• im Körper stark angereichert werden,<br />
• lange dort verweilen <strong>und</strong> schließlich noch<br />
• eine biologisch besonders wirksame Strahlung aussenden.<br />
Solche Radionuklide (beispielsweise die Alpha-Strahler Radium-226<br />
oder Plutonium-238 <strong>und</strong> -239) bezeichnet man als<br />
hoch radiotoxisch (strahlengiftig). Auf der anderen Seite gibt<br />
es auch radioaktive Stoffe, die vom Körper kaum aufgenommen<br />
werden, eine biologisch wenig wirksame Strahlung<br />
aussenden <strong>und</strong> im Falle der äußeren Strahlenexposition nur<br />
die Haut bestrahlen. Ihre Radiotoxizität ist gering (Beispiel:<br />
Krypton-85).<br />
154
Bei Iod-131, das bevorzugt in die Schilddrüse aufgenommen wird,<br />
führt zum Beispiel die Zufuhr von 1.000 Becquerel mit der Nahrung zu<br />
Folgedosen für die Schilddrüse von 0,43 mSv beim Erwachsenen beziehungsweise<br />
3,5 mSv beim Kleinkind (wegen einer hohen Aktivitätskonzentration<br />
in der sehr kleinen Schilddrüse).<br />
Bei Cäsium-137, das sich im Körper annähernd gleichmäßig verteilt,<br />
liegt die Folgedosis (Effektivdosis) durch Zufuhr von 1.000 Bq für den<br />
Erwachsenen bei ca. 0,01 mSv. Für Kinder (mit Ausnahme der unter<br />
1-Jährigen) ist die Dosis wegen der kürzeren Verweilzeit des Cäsiums<br />
im Körper niedriger als für Erwachsene.<br />
Externe Strahlenexposition<br />
Radioaktive Stoffe können zu einer externen Strahlenexposition<br />
des Menschen führen, wenn sie sich außerhalb des<br />
Körpers befinden <strong>und</strong> die von ihnen ausgehende Strahlung<br />
auf den Körper trifft.<br />
- Strahlung aus einer „radioaktiven Wolke“<br />
Wenn radioaktive Stoffe in die Atmosphäre freigesetzt wurden<br />
<strong>und</strong> sich in der Atmosphäre ausbreiten, so zerfällt ein<br />
Teil der radioaktiven Atome hierbei <strong>und</strong> sendet ionisierende<br />
Strahlung aus. Hält sich ein Mensch in oder nahe bei der<br />
vorbeiziehenden radioaktiven Wolke auf, so kann diese<br />
Strahlung von außen seinen Körper treffen. Hierbei hat Alpha-Strahlung<br />
keine Bedeutung, da sie in Luft nur eine<br />
Reichweite von wenigen Zentimetern hat. Auch Beta-<br />
Strahlung ist hier von sehr untergeordneter Bedeutung, da<br />
ihre Reichweite in Luft maximal einige Dezimeter bis einige<br />
Meter beträgt. Es kommt dazu, dass Alpha- <strong>und</strong> Betastrahlung<br />
beim Auftreffen auf den Körper in der Haut absorbiert<br />
werden, so dass die strahlenempfindlicheren Organe <strong>und</strong><br />
Gewebe keine Strahlung abbekommen.<br />
Gammastrahlung dagegen hat eine Reichweite in Luft, die in<br />
der Größenordnung von 100 m liegt (abhängig von der Photonenenergie<br />
des jeweiligen Radionuklids). Dies bedeutet,<br />
der Mensch kann von Gammastrahlung der Radionuklide im<br />
diesem Umkreis getroffen werden. Gammastrahlung kann<br />
auch ins Innerste des Körpers eindringen, d.h. alle Organe<br />
<strong>und</strong> Gewebe des Menschen werden bestrahlt. Aus diesen<br />
Gründen spielt bei der äußeren Bestrahlung die Gammastrahlung<br />
die überragende Rolle.<br />
155
Die Strahlenexposition des Menschen beim Vorbeiziehen<br />
einer radioaktiven Wolke wird stark reduziert, wenn sich der<br />
Mensch in einem Gebäude aufhält. Je nach Gebäudeausmaßen,<br />
Wandstärken <strong>und</strong> Baumaterial kann die Bestrahlung<br />
im Gebäude einen Faktor 2 bis 20 niedriger sein als beim<br />
Aufenthalt im Freien, beim Aufenthalt im Keller bei großen<br />
Gebäuden kann der Reduktionsfaktor sogar bis in die Größenordnung<br />
von 1.000 gehen!<br />
- Strahlung von abgelagerten Nukliden<br />
Die Bestrahlung durch die in der Atmosphäre vorbeiziehenden<br />
Radionuklide stellt lediglich eine relativ kurzzeitige<br />
Strahlenquelle dar. Dagegen können die am Boden <strong>und</strong> auf<br />
anderen Oberflächen in der Umgebung des Menschen (z. B.<br />
Bäume, Hausdächer) deponierten Radionuklide als eine<br />
sehr lang anhaltende Strahlenquelle wirken. Deswegen<br />
kann dieser Expositionspfad einen relativ großen Beitrag zur<br />
gesamten Strahlenexposition liefern. So stammt der größte<br />
Teil der Strahlenexposition, den ein Mensch in Deutschland<br />
langfristig durch die Ablagerung radioaktiver Stoffe vom Reaktorunfall<br />
in Tschernobyl bekommt, von den am Boden abgelagerten<br />
Radionukliden, vor allem vom Cs-137.<br />
Auch hier spielen Alpha- <strong>und</strong> Beta-Strahlung eine unwesentliche<br />
Rolle, in erster Linie ist hier die Gammastrahlung maßgebend. Wegen<br />
der großen Reichweite der Gammastrahlung trägt hier die gesamte<br />
Umgebung bis zu mehreren 10 Metern Abstand zur Bestrahlung<br />
bei: wenn man sich auf einer ebenen Wiese aufhält, die<br />
gleichmäßig mit Cs-137 kontaminiert worden ist, dann stammt r<strong>und</strong><br />
die Hälfte der auf einen wirkenden Strahlung aus Bereichen, die<br />
mehr als 7 m entfernt sind, <strong>und</strong> r<strong>und</strong> ein Viertel stammt aus Bereichen,<br />
die mehr als 25 m entfernt sind (Zähringer <strong>und</strong> Pfister 1998)!<br />
Radioaktive Edelgase werden nicht am Boden abgelagert,<br />
spielen deswegen bei diesem Expositionspfad keine Rolle.<br />
Auch bei der Strahlenexposition durch am Boden abgelagerte<br />
Radionuklide ergibt sich eine starke Reduktion der Bestrahlung,<br />
wenn man sich in Gebäuden aufhält. So verringert<br />
sich beispielsweise die Dosisleistung nach einer Deposition<br />
von Cs-137 in Gebäuden gegenüber einem Aufenthalt<br />
im Freien um den Faktor 2 bis 100, im Keller sogar bis zum<br />
Faktor 500 (Jacob 1991).<br />
156
Eine spezielle Art der Strahlenexposition durch abgelagerte<br />
radioaktive Stoffe entsteht, wenn die Ablagerung auf die<br />
Haut oder die Kleidung des Menschen erfolgt. Hierbei vergrößert<br />
sich der relative Anteil von Alpha- <strong>und</strong> Betastrahlung<br />
an der Strahlenexposition etwas, da eine Bestrahlung der<br />
Haut durch diese Strahlenarten auftritt. Insgesamt ist dieser<br />
Expositionspfad aber im Allgemeinen von geringer Bedeutung,<br />
da davon auszugehen ist, dass die Verweilzeit der radioaktiven<br />
Stoffe durch Waschen, Duschen <strong>und</strong> Kleidungswechsel<br />
relativ gering ist.<br />
4.2 Strahlenexposition aus natürlichen Quellen<br />
Seit es Leben gibt, ist dieses unter dem Einfluss der natürlichen<br />
Strahlung. Die so genannte „natürliche Untergr<strong>und</strong>strahlung“,<br />
d.h. die ionisierende Strahlung, die durch in unserer<br />
Natur vorhandenen Quellen bedingt ist, hat mit Sicherheit<br />
eine wichtige Rolle in der Evolution gespielt, kann<br />
zugleich aber erkennbare Strahlenschäden verursachen. So<br />
ist zweifelsfrei das natürliche radioaktive Edelgas Radon für<br />
viele ernste Lungenschädigungen bei Bergwerksarbeitern<br />
bereits in den vergangenen Jahrh<strong>und</strong>erten ursächlich.<br />
Wenn man auch jede Exposition des Menschen mit ionisierender<br />
Strahlung als potentiell ges<strong>und</strong>heitsschädigend betrachtet,<br />
wobei die Wahrscheinlichkeit eines Schadens mit<br />
der Dosis ansteigt, so haben wir doch bisher damit überlebt<br />
<strong>und</strong> uns trotz der natürlichen Untergr<strong>und</strong>strahlung (vielleicht<br />
sogar mit ihrer Hilfe) zu unserer gegenwärtigen Form entwickelt.<br />
Häufig denkt man bei der natürlichen Untergr<strong>und</strong>strahlung<br />
nur an die leicht messbare Strahlung, die von außen<br />
auf uns einwirkt, dabei darf man gerade die so genannte innere<br />
Strahlenexposition, die durch natürliche Radionuklide<br />
in unserem Körper verursacht wird, keinesfalls vernachlässigen,<br />
zumal sie verglichen mit der äußeren Strahlenexposition<br />
eine deutlich höhere Dosis <strong>und</strong> damit ein größeres Risiko<br />
beschert.<br />
Externe Strahlenexposition<br />
Die äußere Strahlenexposition stammt aus ganz unterschiedlichen<br />
Quellen, die die Natur für uns bereithält. Neben<br />
157
der ionisierenden Strahlung, die von den in der Erdkruste<br />
vorhandenen radioaktiven Isotopen als so genannte ter-<br />
restrische Strahlung ausgeht, „prasseln“ ständig hochenergetische<br />
ionisierende Teilchen aus dem Weltraum als kosmische<br />
Strahlung auf uns nieder.<br />
- Kosmische Strahlung<br />
Entstehung<br />
Der Ursprung der Strahlung aus dem Weltall ist bislang noch<br />
nicht endgültig geklärt, wenngleich mehrere plausible Theorien<br />
angeboten werden können. Prinzipiell können Supernova-Explosionen<br />
als ihr Ursprung angesehen werden, bei<br />
denen durch den Gravitationskollaps große Energiemengen<br />
freigesetzt werden, doch können kosmische Magnetfelder<br />
geladene Teilchen ebenfalls auf beträchtliche Energien beschleunigen<br />
(aber auch abbremsen), wobei nach vielen derartigen<br />
Wechselwirkungen bei hochenergetischen Teilchen<br />
der Energiegewinn gegenüber dem -verlust durch Abbremsung<br />
überwiegt. Nach heutiger Vorstellung ist davon auszugehen,<br />
dass die kosmische Strahlung in unserer eigenen<br />
Galaxis, der Milchstraße, entsteht, lediglich der Ursprung<br />
sehr hochenergetischer Teilchen (� 10 17 eV) dürfte in fremden<br />
Galaxien (schwarze Löcher, Neutronensterne, Quasare)<br />
zu finden sein.<br />
Unsere Sonne leistet nur einen geringen Beitrag zur kosmischen<br />
Strahlung, die wir auf der Erdoberfläche erleben. In<br />
unregelmäßigen Abständen werden bei Strahlungsausbrüchen<br />
auf der Sonne („solar flares“) geladene Teilchen mit<br />
Energien bis zu einigen GeV in den Weltraum geschleudert<br />
<strong>und</strong> führen einige Male im Jahr zu einer kurzfristig messbaren<br />
Dosisleistungserhöhung in den unteren Atmosphärenschichten.<br />
Wenngleich solche Eruptionen für uns auf der Erde<br />
vernachlässigbar sind, da die Erdatmosphäre sehr gut<br />
gegen diese relativ niederenergetischen Teilchen schützt, so<br />
können sie in den äußeren Atmosphärenschichten kurzfristig<br />
die Flussdichte um mehr als das H<strong>und</strong>ertfache ansteigen<br />
lassen <strong>und</strong> für die Kosmonauten im freien Weltraum ohne<br />
jeglichen Schutz durch die Atmosphäre ernste Probleme bereiten.<br />
158
Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang auch, dass<br />
magnetische „Stürme“ auf der Sonnenoberfläche zusammen<br />
mit dem Erdmagnetfeld die Erde gegen niederenergetische<br />
Nukleonen aus dem Kosmos abschirmen <strong>und</strong> die galaktische<br />
Strahlung kurzfristig verringern können. Allerdings ist<br />
dieser Effekt für uns zwar messbar aber ohne größere Bedeutung.<br />
Abb. 4.8 lässt auch erkennen, dass die Sonnenaktivität<br />
(etwa 11-jähriger Zyklus) die Dosis in Äquatorgegend<br />
selbst in typischer Flughöhe nicht mehr beeinflusst.<br />
1<br />
1<br />
Abb. 4.8 Zeitlicher Verlauf der Dosisleistung (effektive Dosis<br />
pro St<strong>und</strong>e) vergangener Jahrzehnte in 11,3 km Höhe für verschiedene<br />
geographische Breiten (mit fre<strong>und</strong>licher Genehmigung<br />
der AG3, Inst. f. Strahlenschutz, GSF)<br />
Primäre <strong>und</strong> sek<strong>und</strong>äre kosmische Strahlung: Die Erdatmosphäre<br />
schwächt die kosmische Strahlung nicht nur, sie<br />
verändert sie auch, sodass die für die Strahlenexposition auf<br />
der Erdoberfläche verantwortliche sek<strong>und</strong>äre kosmische<br />
Strahlung keinesfalls identisch ist mit der primären kosmischen<br />
Strahlung, die vom Weltall auf die oberen Atmosphärenschichten<br />
trifft.<br />
Die primäre kosmische Strahlung aus dem Weltraum besteht<br />
überwiegend aus energiereichen Protonen (bis zu 10 14<br />
MeV), weiters aus Heliumkernen (etwas mehr als 10 %) <strong>und</strong><br />
zu einem kleineren Anteil aus schwereren Kernen, Elektronen<br />
<strong>und</strong> Photonen (Abb. 4.9). Die hochenergetischen Protonen<br />
<strong>und</strong> Kernteilchen aus dem Kosmos werden nicht nur<br />
159
über Ionisation <strong>und</strong> Anregung abgebremst, sondern erzeugen<br />
über die starke Wechselwirkung mit den Sauerstoff- <strong>und</strong><br />
Stickstoffkernen der Atmosphäre Sek<strong>und</strong>ärteilchenkaskaden<br />
einschließlich vieler kurzlebiger Elementarteilchen, mit einem<br />
Maximum in ungefähr 20 km Höhe (Pfotzer-Maximum).<br />
In den oberen Atmosphärenschichten tragen vornehmlich<br />
Protonen <strong>und</strong> Neutronen zur effektiven Dosis bei, in Meereshöhe<br />
hingegen vorwiegend Myonen.<br />
Abb. 4.9 Beiträge der Komponenten der kosmischen Strahlung<br />
zur effektiven Dosis in unterschiedlichen Höhen der Atmosphäre<br />
in Äquatorgegend bei Minimum der Sonnenaktivität (mit<br />
fre<strong>und</strong>licher Genehmigung der AG3, Inst. f. Strahlenschutz, GSF)<br />
Auf Meeresniveau liefert die kosmische Strahlung eine<br />
effektive Dosis von etwa 0,3 mSv pro Jahr. In größeren<br />
Höhen steigt der Beitrag zur effektiven Dosis durch die erwähnten<br />
Teilchenkaskaden merklich an, in typischen Flughöhen<br />
von 10 bis 12 Kilometern auf etwa das H<strong>und</strong>ertfache<br />
(Abb. 4.10).<br />
160
Abb. 4.10 Höhenabhängigkeit der Ortsdosisleistung durch<br />
kosmische Strahlung<br />
Abb. 4.11 Weltübersichtskarte der Dosisleistung (effektive Dosis<br />
pro St<strong>und</strong>e) in 11,3 km Höhe (April 2005) (mit fre<strong>und</strong>licher<br />
Genehmigung der AG3, Inst. f. Strahlenschutz, GSF)<br />
Aus Abb. 4.11 ist deutlich zu erkennen, dass die Dosis neben<br />
der Flughöhe maßgeblich durch die geographische<br />
Breite mitbestimmt wird, was den Einfluss des Erdmagnetfeldes<br />
auf die geladenen Teilchen der primären kosmischen<br />
161
Strahlung widerspiegelt. Aufgr<strong>und</strong> der Form des Erdmagnetfeldes<br />
(siehe Abb. 4.12) werden die geladenen Teilchen der<br />
kosmischen Strahlung, die in Polgegend annähernd parallel<br />
zu den Magnetfeldlinien auf die Erde niederprasseln, viel<br />
weniger abgelenkt als Teilchen, die in Äquatorgegend weitgehend<br />
senkrecht zu den Feldlinien fliegen. Dank der Erdatmosphäre<br />
ist dieser Einfluss auf die Dosis in Meereshöhe<br />
nur gering, für typische Flughöhen liest man hingegen aus<br />
Abb. 4.11 eine etwa 3 mal höhere Dosis für Flüge in Polargegend<br />
gegenüber der Äquatorregion ab, was einem etwa<br />
100fachen bzw. 30fachen Dosisleistungsanstieg verglichen<br />
mit dem Beitrag auf der Erdoberfläche entspricht.<br />
Abb. 4.12 Schematische Darstellung des Magnetfelds der Erde<br />
Dieser Unterschied macht sich in der folgenden Abb. im Vergleich<br />
der Dosiswerte mit der Flugdauer der jeweiligen<br />
Flugrouten deutlich bemerkbar. Individuelle Flugdosen können<br />
mit einer von der GSF kostenlos zur Verfügung gestellten<br />
Online-Version von EPCARD (European Program Pack-<br />
age for the Calculation of Aviation Route Doses) berechnet<br />
werden unter: www.gsf.de/epcard.<br />
Für die Strahlenexposition des Flugpersonals ist das<br />
vorwiegend durch die sek<strong>und</strong>äre kosmische Strahlung bedingte<br />
Strahlungsfeld in etwa 10 bis 14 Kilometer Höhe ausschlaggebend.<br />
Während die daraus resultierende Dosis für<br />
162
Abb. 4.13 Vergleich von effektiver Dosis <strong>und</strong> Dauer für Flüge<br />
von München oder Frankfurt(*) zu ausgewählten Zielen auf<br />
dem jeweils kürzesten Weg in 11,3 km Flughöhe; Steig- <strong>und</strong><br />
Sinkflug sind mit je 30 min berücksichtigt (mit fre<strong>und</strong>licher Genehmigung<br />
der AG3, Inst. f. Strahlenschutz, GSF)<br />
einzelne Flüge verglichen mit der Jahresdosis der natürlichen<br />
Strahlenexposition von insgesamt etwa 2,1 Millisievert<br />
im allgemeinen bedeutungslos ist (Abb. 4.13), ist sie für das<br />
fliegende Personal mit vielen Flugst<strong>und</strong>en als berufliche<br />
Strahlenexposition durchaus zu berücksichtigen. Als obere<br />
Abschätzung der jährlichen Strahlenexposition des Flugpersonals<br />
gibt das B<strong>und</strong>esamt für Strahlenschutz einen Wert<br />
von etwa 8 mSv effektive Dosis an, wenn ausschließlich<br />
Flüge auf der Nordatlantik-Route angenommen werden <strong>und</strong><br />
die maximal zulässige Arbeitszeit von 1.000 Flugst<strong>und</strong>en<br />
jährlich voll ausgenutzt wird.<br />
- Kosmogene Radionuklide<br />
Es darf nicht unerwähnt bleiben, dass durch die Wechselwirkung<br />
der kosmischen Strahlung mit der Atmosphäre auch<br />
radioaktive Nuklide gebildet werden, deren Inkorporation<br />
ebenfalls zu einer geringen Strahlenexposition führt. In der<br />
folgenden Tabelle sind einige dieser Radionuklide mit ihren<br />
Halbwertzeiten angeführt.<br />
163
Radionuklid Halbwertzeit Radionuklid Halbwertzeit<br />
Tritium (H-3) 12,3 Jahre<br />
Silizium-32<br />
(Si-32)<br />
101 Jahre<br />
Beryllium-7<br />
(Be-7)<br />
53,3 Tage<br />
Phosphor-<br />
32 (P-32)<br />
14,3 Tage<br />
Beryllium-10<br />
(Be-10)<br />
1,6 � 10 6<br />
Jahre<br />
Argon-39<br />
(Ar-39)<br />
269 Jahre<br />
Kohlenstoff-<br />
14 (C-14)<br />
5730 Jahre<br />
Krypton-81<br />
(Kr-81)<br />
2,1 � 10 5<br />
Jahre<br />
Natrium-22<br />
(Na-22)<br />
2,6 Jahre<br />
Krypton-85<br />
(Kr-85)<br />
10,7 Jahre<br />
Tab. 4.1 Kosmogene Radionuklide<br />
Für die Strahlenexposition des Menschen sind die kos-<br />
mogenen Radionuklide mit einem Gesamtbeitrag von ca.<br />
15 µSv effektive Dosis pro Jahr von untergeordneter Bedeutung.<br />
Der größte Beitrag geht auf Kohlentstoff-14 zurück (ca.<br />
12 µSv/a), gefolgt von Beryllium-7, welches für eine effektive<br />
Dosis von etwa 3 µSv pro Jahr verantwortlich ist.<br />
- Terrestrische Strahlung<br />
Die Erdkruste enthält eine Vielzahl natürlicher radioaktiver<br />
Stoffe, von denen die meisten einer der drei Zerfallsreihen<br />
entstammen, deren Anfangsglieder eine dem Alter des Sonnensystems<br />
vergleichbar lange Halbwertzeit �1/2 besitzen:<br />
Uran/Radium-Reihe<br />
(Muttersubstanz U-238; �1/2 = 4,5 Mrd. Jahre)<br />
Uran/Actinium-Reihe<br />
(Muttersubstanz U-235; �1/2 = 0,7 Mrd. Jahre)<br />
Thorium-Reihe<br />
(Muttersubstanz Th-232; �1/2 = 14 Mrd. Jahre)<br />
Diese langlebigen Nuklide sind somit noch immer in unserer<br />
Erdkruste vorhanden, andererseits entstehen durch ihre<br />
Umwandlung (radioaktiver Zerfall) ständig weitere, oft viel<br />
kurzlebigere Radionuklide, die in unserer Erdkruste ebenfalls<br />
als natürliche Radionuklide zu finden sind.<br />
Außer den Radionukliden der natürlichen Zerfallsreihen sind<br />
noch mehrere primordiale Radionuklide (Radionuklide, die<br />
164
ei der Bildung der irdischen Materie entstanden <strong>und</strong> heute<br />
noch vorhanden sind) mit zum Teil extrem langen Halbwertzeiten<br />
anzutreffen, von denen dem Kalium-40 im Hinblick<br />
auf die Strahlenexposition des Menschen die größte Bedeutung<br />
zukommt.<br />
Nuklid<br />
K-40<br />
V-50<br />
Ge-76<br />
Se-82<br />
Rb-87<br />
Zr-96<br />
Mo-100<br />
Cd-113<br />
Halbwertzeit<br />
Jahre<br />
1,3 �<br />
10 9<br />
1,4 �<br />
10 17<br />
1,5 �<br />
10 21<br />
1,0 �<br />
10 20<br />
4,8 �<br />
10 10<br />
3,9 �<br />
10 19<br />
1,2 �<br />
10 19<br />
9,0 �<br />
10 15<br />
Nuklid<br />
Cd-116<br />
In-115<br />
Te-123<br />
Te-128<br />
Te-130<br />
La-138<br />
Nd-144<br />
Nd-150<br />
Halbwertzeit<br />
Jahre<br />
2,6 �<br />
10 19<br />
4,4 �<br />
10 14<br />
1,2 �<br />
10 13<br />
7,2 �<br />
10 24<br />
2,7 �<br />
10 21<br />
1,1 �<br />
10 11<br />
2,3 �<br />
10 15<br />
1,7 �<br />
10 19<br />
Tab. 4.2 Primordiale Radionuklide (aus /KOE-06/)<br />
Nuklid<br />
Sm-147<br />
Sm-148<br />
Gd-152<br />
Lu-176<br />
Hf-174<br />
Ta-180<br />
Re-187<br />
Os-186<br />
Pt-190<br />
Halbwertzeit<br />
Jahre<br />
1,1 �<br />
10 11<br />
7,0 �<br />
10 15<br />
1,1 �<br />
10 14<br />
2,6 �<br />
10 10<br />
2,0 �<br />
10 15<br />
1,2 �<br />
10 10<br />
5,0 �<br />
10 10<br />
2,0 �<br />
10 15<br />
6,5 �<br />
10 11<br />
Die unterschiedliche Aktivitätskonzentration im Boden bedingt<br />
regionale Schwankungen der Strahlenexposition. Die<br />
folgende Abbildung (Abb. 4.14) gibt eine Übersicht über die<br />
mittlere Gamma-Ortsdosisleistung für die B<strong>und</strong>esrepublik<br />
Deutschland einschließlich des Beitrags der kosmischen<br />
Strahlung. Die üblichen Werte für Norddeutschland liegen<br />
zwischen 0,5 <strong>und</strong> 0,9 mSv/Jahr, während die Spitzenwerte<br />
in den Mittelgebirgen bis zu 2 mSv/Jahr betragen <strong>und</strong> im<br />
weltweiten Vergleich mit Spitzenwerten von etwa 50 mSv/a<br />
165
in Kerala (Indien), 180 mSv/a in Esperito Santo (Brasilien)<br />
bzw. über 800 mSv/a in Ramsar (Iran) noch relativ günstig<br />
liegen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Anteil durch<br />
kosmische Strahlung (Jahresdosis in Meereshöhe ca.<br />
0,3 mSv) sich alle 1.500 Höhenmeter etwa verdoppelt. In<br />
unseren Breiten kann man von einer mittleren Strahlen-<br />
exposition von etwa 0,4 mSv effektive Dosis pro Jahr infolge<br />
der terrestrischen Strahlung ausgehen.<br />
Abb. 4.14 Übersicht über die mittlere Gamma-Ortsdosisleistung<br />
in Deutschland (aus /BMU-04/).<br />
166
Interne Strahlenexposition<br />
- Das radioaktive Edelgas Radon<br />
Im Rahmen der natürlichen Zerfallsreihen entstehen als Zerfallsprodukte<br />
auch die radioaktiven Isotope Radon-222<br />
(Halbwertzeit: 3,8 Tage), Radon-220 (Halbwertzeit 55,6 Sek<strong>und</strong>en)<br />
<strong>und</strong> Radon-219 (Halbwertzeit: 3,96 Sek<strong>und</strong>en), die<br />
als Edelgas aus dem Erdboden in die Luft freigesetzt <strong>und</strong><br />
eingeatmet werden <strong>und</strong> zu einer nicht unbeträchtlichen Teilkörperexposition<br />
der Lungen führen können. Wegen der größeren<br />
Halbwertzeit trägt besonders das Radon-222 mit seinen<br />
kurzlebigen Folgeprodukten Polonium-218, Blei-214<br />
<strong>und</strong> Polonium-214 zur Strahlenexposition des Menschen bei<br />
<strong>und</strong> ist für den größten Beitrag zur natürlichen Strahlenexposition<br />
verantwortlich. Jedoch sind auch die Beiträge des<br />
Radon-220 nicht ganz zu vernachlässigen. Der Zerfall des<br />
Radons selbst verursacht den geringeren Teil der Strahlenexposition,<br />
den deutlich größeren Teil liefern seine kurzlebigen<br />
Folgeprodukte.<br />
Als Anhaltspunkt zur Einschätzung geologisch bedingter Gefährdung<br />
durch zu hohe Radonexposition kann die Radonkonzentration<br />
in der Bodenluft gesehen werden, deren regionale<br />
Verteilung für Deutschland in folgender Übersichtskarte<br />
(Abb. 4.15) dargestellt ist.<br />
Die Radonkonzentration in der Raumluft hängt maßgeblich<br />
davon ab, wie viel Radon aus dem Boden austreten kann<br />
<strong>und</strong> zeigt große regionale <strong>und</strong> zeitliche Schwankungen nicht<br />
nur infolge Unterschieden der geologischen Verhältnisse,<br />
sondern auch der Bausubstanz (Abdichtung des Kellers gegen<br />
das Erdreich) als auch der Lüftungsgewohnheiten. Hinzu<br />
kommen jahreszeitlich <strong>und</strong> klimatisch bedingte Schwankungen.<br />
In Deutschland sind erhöhte Radonkonzentrationen in Gebäuden<br />
vornehmlich auf eine erhöhte Radonfreisetzung aus<br />
dem Untergr<strong>und</strong> zurückzuführen, Baumaterialien sind hier<br />
zu Lande selten die Ursache einer erhöhten Radonkon-<br />
zentration. Damit kommt in geologisch belasteten Gebieten,<br />
wo vor allem Kellerwohnungen, Souterrain-Wohnungen, in<br />
geringerem Maße auch Wohnungen im Erdgeschoss betroffen<br />
sind, der Abdichtung des Kellers gegen das Erdreich be-<br />
167
Abb. 4.15 Übersichtskarte der regionalen Verteilung der Radonkonzentration<br />
in der Bodenluft für Deutschland (Kemski &<br />
Partner 2004)<br />
sondere Bedeutung zu. In höher gelegenen Wohnungen<br />
(Hochhäuser), in denen die Radonkonzentration durch den<br />
Beitrag der Baumaterialien bestimmt wird, ist im Mittel mit<br />
einer Radonaktivitätskonzentration von 30 Bq/m 3 zu rechnen.<br />
168
Eine besondere Situation ergibt sich in einigen Gebieten, wo<br />
durch hohe Permeabilität des Untergr<strong>und</strong>es (Sand- oder<br />
Schotterböden) hohe Radonmengen freigesetzt werden<br />
bzw. in Bergbaugebieten über Klüfte <strong>und</strong> Risse im Deckgebirge<br />
Grubenwetter mit sehr hoher Radonkonzentration<br />
auftreten <strong>und</strong> über Undichtigkeiten in die Gebäude gelangen<br />
können. So wurden in Gegenden mit Granit-haltigem<br />
Untergr<strong>und</strong> lokal Raumluftkonzentrationen von bis zu<br />
10.000 Bq/m 3 gemessen, in einzelnen Häusern in Uran-<br />
Bergbaugebieten kurzzeitig sogar mehr als 100.000 Bq/m 3 .<br />
Von untergeordneter Bedeutung für die Radonkonzentration<br />
in den meisten Haushalten hingegen ist das Radon, das<br />
im Wasser gelöst bei dessen Verwendung im Haushalt<br />
freigesetzt wird, von einzelnen Ausnahmen abgesehen, da<br />
durch die Nutzung individueller Brunnen in Granitgebieten<br />
erhöhte Radon-Konzentrationen in Gebäuden auftreten<br />
können, ebenso wie generell in Anlagen der Wassergewinnung,<br />
<strong>und</strong> -aufbereitung.<br />
Will man die Radonkonzentration in der Wohnung bestimmen,<br />
so stehen mehrere Messverfahren zur Verfügung. Um<br />
über die erheblichen tageszeitlichen Schwankungen zu mitteln,<br />
die, abgesehen von Luftdruckschwankungen, in Wohnräumen<br />
primär auf die übliche Lüftung zurückgehen, sind integrierende<br />
Methoden erforderlich, die mindestens über<br />
mehrere Tage mitteln. Neben elektronischen Messgeräten<br />
sind als wichtige integrative <strong>und</strong> kostengünstige Messverfahren<br />
das track-etch-Verfahren, Elektrete <strong>und</strong> Aktivkohlenexposimeter<br />
zu nennen. Während als einer der Hauptvorteile<br />
des track-etch-Verfahrens lange Integrationszeiten bis zu<br />
einem Jahr <strong>und</strong> darüber hinaus anzuführen sind, ist als<br />
Nachteil anzusehen, dass Messperioden von ein bis zwei<br />
Wochen wegen zu geringer Empfindlichkeit bei üblichen<br />
Raumluftkonzentrationen nicht erreichbar sind. Hier setzen<br />
sowohl die Elektret-Ionisationskammer als auch die Aktivkohlenmethode<br />
mit ihrem Vorteil kurzer Integrationszeiten<br />
ein.<br />
Der b<strong>und</strong>esweite Jahresmittelwert der Radonkonzentration<br />
in Wohnräumen liegt bei ungefähr 50 Bq/m 3 Raumluft, die<br />
Mehrzahl der Messwerte liegt unter diesem Wert. Die Radonkonzentration<br />
im Freien ist etwa um einen Faktor 3 bis 5<br />
169
geringer, da das Radon dort nicht in geschlossenen Räumen<br />
„gefangen“ wird. Für den größten Teil Deutschlands<br />
liegen die Werte im Freien im Bereich von 5 bis 30 Bq/m 3 ,<br />
unter ungünstigen atmosphärischen Bedingungen wie bei<br />
Inversion in Tallagen wurden jedoch Spitzenwerte bis<br />
350 Bq/m 3 gemessen (vornehmlich in unmittelbarer Nähe<br />
von Abwetterschächten oder großflächigen Halden). Unter<br />
der Annahme, dass wir etwa 80 % unserer Zeit in Gebäuden<br />
verbringen, resultiert daraus eine mittlere jährliche effektive<br />
Dosis von etwas über 1 Millisievert.<br />
- Natürliche radioaktive Stoffe in der Nahrung<br />
Wie erwähnt, enthält unsere Erdkruste eine Vielzahl natür-<br />
licher radioaktiver Stoffe, die für die terrestrische Strahlung<br />
verantwortlich sind, von denen aber auch unser Nahrungskreislauf<br />
nicht verschont bleibt. Infolge dieser mit Nahrung<br />
<strong>und</strong> Trinkwasser aufgenommenen Radionuklide ist in<br />
Deutschland eine jährliche effektive Dosis im Bereich<br />
von 0,3 mSv zu erwarten, etwa 0,17 mSv davon ist dem<br />
primordialen Radionuklid Kalium-40 zuzuschreiben.<br />
Gesamte natürliche Strahlenexposition<br />
Die natürliche Umgebungsstrahlung bewirkt im Mittel für eine<br />
Person der Bevölkerung in Deutschland eine effektive<br />
Dosis von 2,1 mSv pro Jahr, vergleichbar mit dem weltweiten<br />
Mittelwert von 2,4 mSv/a. Weltweite Spitzenwerte liegen<br />
bei etwa 50 mSv/a in Kerala (Indien), 180 mSv/a in Esperito<br />
Santo (Brasilien) bzw. über 800 mSv/a in Ramsar (Iran).<br />
Den mit Abstand größten Beitrag in Deutschland mit mehr<br />
als 1 mSv effektive Dosis pro Jahr liefert die Inhalation des<br />
radioaktiven Edelgases Radon, gleichzeitig besitzt dieser<br />
Beitrag die größte Variationsbreite. Die übrigen Beiträge,<br />
bedingt durch kosmische Strahlung, terrestrische Strahlung<br />
<strong>und</strong> durch mit der Nahrung aufgenommene natürliche Radionuklide<br />
liegen jeweils etwa bei 0,3 bis 0,4 mSv pro Jahr<br />
effektive Dosis.<br />
170
4.3 Strahlenexposition aus zivilisatorischen<br />
Quellen<br />
Strahlenexposition in der Nähe kerntechnischer<br />
Anlagen<br />
Mehr als 98 % der gesamten Strahlenexposition durch den<br />
bestimmungsgemäßen Betrieb einer kerntechnischen Anlage<br />
werden von relativ wenigen Radionukliden verursacht.<br />
Für die Abschätzung der maximal möglichen Strahlenexposition<br />
in der Umgebung genügt daher im Regelfalle die Betrachtung<br />
der Nuklide in der nachfolgenden Zusammenstellung.<br />
Von den physikalischen Daten nach Seelmann-Eggebert<br />
1981 sind dabei nur die wichtigsten Zerfallsarten <strong>und</strong><br />
-energien angegeben (bei Betastrahlung jeweils die maximale<br />
Energie des Kontinuums), angeregte zwischenstabile<br />
Zustände sind nur aufgeführt, wenn sie radiologisch relevant<br />
sind. Kritische Organe sind in der Reihenfolge ihrer radiologischen<br />
Bedeutung angegeben.<br />
• Tritium (H 3)<br />
Beta-Strahlung 0,02 MeV;<br />
Tochternuklid: Helium-3 (stabil);<br />
physikalische Halbwertszeit:12,3 Jahre,<br />
kritische Organe: Ganzkörper, Körperflüssigkeiten.<br />
• Kohlenstoff-14 (C 14)<br />
Beta-Strahlung 0,2 MeV;<br />
Tochternuklid: Stickstoff-14 (stabil);<br />
physikalische Halbwertszeit: 5730 Jahre,<br />
kritisches Organ: Ganzkörper<br />
• Phosphor-32 (P 32)<br />
Beta-Strahlung 1,7 MeV;<br />
Tochternuklid: Schwefel-32 (stabil);<br />
physikalische Halbwertszeit:14,3 Tage,<br />
kritische Organe: Knochen, Ganzkörper, Hirn, Leber.<br />
• Schwefel-35 (S 35)<br />
Beta-Strahlung 0,2 MeV;<br />
Tochternuklid: Chlor-35 (stabil);<br />
physikalische Halbwertszeit: 87,5 Tage<br />
kritische Organe: Haut, Hoden, Knochen, Ganzkörper.<br />
171
• Kobalt-60 (Co 60)<br />
Beta-Strahlung 0,3 <strong>und</strong> 1,5 MeV,<br />
Gamma-Strahlung 1,2 <strong>und</strong> 1,3 MeV;<br />
Tochternuklid: Nickel-60 (stabil);<br />
physikalische Halbwertszeit: 5,27 Jahre,<br />
kritische Organe: Leber, Milz, Pankreas, Ganzkörper.<br />
• Krypton-85 (Kr 85)<br />
Beta-Strahlung 0,7 MeV,<br />
kaum Gamma-Strahlung;<br />
Tochernuklid: Rubidium-85 (stabil);<br />
physikalische Halbwertszeit: 10,76 Jahre;<br />
keine Teilnahme am Stoffwechsel;<br />
kritische Organe: Haut (Submersion), Lunge, Blut, Fettgewebe,<br />
Ganzkörper (Inhalation).<br />
• Strontium-89 (Sr 89)<br />
Beta-Strahlung 1,5 MeV,<br />
kaum Gamma-Strahlung;<br />
Tochternuklid: Yttrium-89 (stabil).<br />
• Strontium-90 (Sr 90)<br />
Beta-Strahlung 0,5 MeV;<br />
Tochternuklid: Yttrium-90 (radioaktiv);<br />
physikalische Halbwertszeit: 50,5 Tage (Sr 89), 28,5 Jahre (Sr 90)<br />
kritische Organe: Knochen, Ganzkörper.<br />
• Yttrium-90 (Y 90)<br />
Beta-Strahlung 2,3 MeV,<br />
Gamma-Strahlung 0,2 <strong>und</strong> 0,48 MeV,<br />
Tochternuklid des Strontium-90,<br />
physikalische Halbwertszeit: 61,1 St<strong>und</strong>en<br />
im Körper im Gleichgewicht mit Sr 90.<br />
• Ruthenium-103(Ru 103)<br />
Beta-Strahlung 0,2 <strong>und</strong> 0,7 MeV,<br />
Gamma-Strahlung 0,5 <strong>und</strong> 0,61 MeV;<br />
Tochternuklid: Rhodium-103 (stabil).<br />
• Ruthenium-106 (Ru 106)<br />
Beta-Strahlung 0,04 MeV;<br />
Tochternuklid: Rhodium-106 (radioaktiv, phys. Halbwertszeit<br />
2,2 St<strong>und</strong>en)<br />
physikalisch Halbwertszeit: 39,35 Tage (Ru 103), 368 Tage<br />
(Ru 106)<br />
kritische Organe: Knochen, Ganzkörper, Nieren.<br />
Beta-Strahlung 0,2 MeV,<br />
Gamma-Strahlung 0,04 MeV, Konversionselektronen;<br />
Tochternuklid: Xenon-129 (stabil).<br />
172
• Iod-131 (1131)<br />
Beta-Strahlung 0,6 <strong>und</strong> 0,8 MeV,<br />
Gamma-Strahlung 0,28, 0,36 <strong>und</strong> 0,64 MeV;<br />
Tochternuklid: Xenon-131 (stabil);<br />
physikalische Halbwertszeit: 15,7 Millionen Jahre (1129), 8 Tage<br />
(I 131)<br />
kritisches Organ: Schilddrüse.<br />
• Xenon-133(Xe133)<br />
Beta-Strahlung 0,3 MeV,<br />
Gamma-Strahlung 0,08 MeV;<br />
Tochternuklid: Cäsium-133 (stabil);<br />
physikalisch Halbwertszeit: 5,25 Tage<br />
keine Teilnahme am Stoffwechsel;<br />
kritische Organe: Haut (Submersion), Lunge, Ganzkörper (Inhalation).<br />
• Cäsium-134(Cs134)<br />
Beta-Strahlung 0,7 MeV,<br />
Gamma-Strahlung 0,6 <strong>und</strong> 0,79 MeV;<br />
Tochternuklid: Barium-134 (stabil).<br />
• Cäsium-137(Cs137)<br />
Beta-Strahlung 0,5 <strong>und</strong> 1,2 MeV,<br />
Gamma-Strahlung 0,66 MeV aus dem angeregten Zustand des<br />
Tochternuklids (Barium-137m), das mit einer Halbwertszeit von<br />
2,55 Minuten in den Gr<strong>und</strong>zustand übergeht;<br />
Tochternuklid: Barium-137 (stabil);<br />
physikalische Halbwertszeit: 2,06 Jahre (Cs 134), 30,17 Jahre<br />
(Cs 137)<br />
kritische Organe: Ganzkörper, Muskel, Leber.<br />
• Cer-144(Ce144)<br />
Beta-Strahlung 0,3 MeV,<br />
Gamma-Strahlung 0,08 <strong>und</strong> 0,13 MeV;<br />
Tochternuklide: Zerfall über Praseodym-144 (Beta-Strahler, Halbwertszeit<br />
17,3 Minuten) zum Neodym-144, einem natürlich vorkommenden<br />
praktisch stabilen Alpha-Strahler (Halbwertszeit<br />
2,1 Billiarden Jahre);<br />
physikalische Halbwertszeit: 284,8 Tage<br />
kritische Organe: Knochen, Nieren, Ganzkörper, Leber.<br />
• Die Actinidenelemente<br />
wichtig sind besonders Plutonium, Neptunium, Americium <strong>und</strong><br />
Curium<br />
meist Alpha-Strahler.<br />
Kritische Organe: bei Inhalation Lunge, Lymphknoten <strong>und</strong><br />
Knochen, bei Ingestion Knochen, Leber <strong>und</strong> Lymphknoten.<br />
173
Aus den Daten über die Ableitung radioaktiver Stoffe mit<br />
Fortluft oder Abwasser aus kerntechnischen Anlagen lässt<br />
sich die Strahlenexposition der Bevölkerung in der Umgebung<br />
der Anlagen abschätzen. Dazu wird die Exposition für<br />
eine fiktive Referenzperson an den ungünstigsten Einwirkstellen<br />
gemäß Anlage VII, Teil A bis C der Strahlenschutzverordnung<br />
ermittelt, um sicherzustellen, dass der so ermittelte<br />
Referenzwert die reale Strahlenexposition von Einzelpersonen<br />
der Bevölkerung selbst im ungünstigsten Fall nicht<br />
unterschätzt. Für das Jahr 2004 wurden unter diesen Annahmen<br />
folgende Strahlenexpositionen in der Umgebung<br />
von Atomkraftwerken durch die Ableitung radioaktiver Stoffe<br />
mit der Fortluft oder mit dem Abwasser ermittelt *) (/BMU-<br />
04/):<br />
*) Werte < 0,1 µSv werden im Balkendiagramm als 0,1 µSv wieder-<br />
gegeben.<br />
Abb. 4.16 Strahlenexposition für das Jahr 2004 in der Umgebung<br />
von Kernkraftwerken durch Ableitung radioaktiver Stoffe<br />
mit der Fortluft für eine Referenzperson unter ungünstigsten<br />
Bedingungen (aus /BMU-04/)<br />
174
*)<br />
Werte < 0,1 µSv werden im Balkendiagramm als 0,1 µSv wiedergegeben.<br />
Abb. 4.17 Strahlenexposition für das Jahr 2004 in der Umgebung<br />
von Kernkraftwerken durch Ableitung radioaktiver Stoffe<br />
mit dem Abwasser für eine Referenzperson unter ungünstigsten<br />
Bedingungen (aus /BMU-04/)<br />
Die Abb. 4.16 <strong>und</strong> 4.17 zeigen als größten Wert für die effektive<br />
Jahresdosis 3 µSv für Erwachsene bzw. 5 µSv für<br />
Kleinkinder beim Kernkraftwerk Philippsburg, jeweils bedingt<br />
durch Ableitung radioaktiver Stoffe mit der Fortluft. Die entsprechenden<br />
Werte aus den Ableitungen radioaktiver Stoffe<br />
mit dem Abwasser sind meist geringer. Der größte daraus<br />
resultierende Wert der effektiven Dosis beträgt 1,3 µSv für<br />
Kleinkinder am Standort Emsland.<br />
Ähnliche Werte erhält man auch für einschlägige Forschungszentren,<br />
wobei für 2004 der höchste Referenzwert<br />
der effektiven Dosis infolge Ableitung radioaktiver Stoffe mit<br />
der Fortluft mit 5 µSv für Erwachsene bzw. 8 µSv für Kleinkinder<br />
für das Forschungszentrum Jülich angegeben wird.<br />
Für die Ableitung radioaktiver Stoffe über das Abwasser<br />
weist das Forschungszentrum Rossendorf mit 22 µSv effektive<br />
Dosis für Erwachsene den höchsten errechneten Wert<br />
der betrachteten Forschungszentren auf.<br />
175
Für die Kernbrennstoff verarbeitenden Betriebe in Deutschland<br />
wird für 2004 als ungünstigster Referenzwert der effektiven<br />
Dosis infolge Ableitung radioaktiver Stoffe mit der Fortluft<br />
3 µSv für Kleinkinder bzw. 1 µSv für Erwachsene beim<br />
Betrieb NUKEM in Hanau angegeben. Die durch Ableitungen<br />
von Alphastrahlern mit dem Abwasser bedingten Werte<br />
lagen in diesen Fällen jeweils bei weniger als 0,1 µSv effektive<br />
Dosis.<br />
Für das Endlager für radioaktive Abfälle Morsleben führt die<br />
Ableitung radioaktiver Stoffe mit der Abluft im Jahr 2004 unter<br />
den erwähnten ungünstigen Annahmen zu einer effektiven<br />
Dosis von 0,2 µSv für eine erwachsene Referenzperson,<br />
für Kleinkinder (Altersgruppe 1 bis 2 Jahre) bzw. für mit<br />
Muttermilch ernährte Säuglinge liegen die Werte bei 0,4<br />
bzw. 1,2 µSv pro Jahr. Die entsprechenden Werte infolge<br />
Ableitung mit dem Abwasser liegen in allen diesen Fällen<br />
unter 0,1 µSv pro Jahr.<br />
Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die Strahlenexposition<br />
durch reguläre Ableitungen radioaktiver Stoffe<br />
aus kerntechnischen Anlagen weniger als 10 µSv effektive<br />
Dosis pro Jahr für die Bewohner in der Nähe der Anlagen<br />
beträgt <strong>und</strong> damit deutlich kleiner ist als es der Schwankungsbreite<br />
der natürlichen Strahlenexposition in Deutschland<br />
entspricht.<br />
Strahlenexposition durch den Reaktorunfall von<br />
Tschernobyl<br />
Die Strahlenexposition durch die beim Reaktorunfall in<br />
Tschernobyl in Deutschland deponierten Radionuklide rührt<br />
heute fast ausschließlich von Cäsium-137 mit 30 Jahren<br />
Halbwertzeit her, die Radionuklide mit kürzerer Halbwertzeit<br />
sind schon weitgehend zerfallen. Das B<strong>und</strong>esamt für Strahlenschutz<br />
kalkuliert mit einer externen Strahlenexposition<br />
von etwa 10 µSv effektive Dosis für das Jahr 2004 durch<br />
das im Boden deponierte Cs-137. Die Abschirmwirkung der<br />
Wände bei Aufenthalt in Gebäuden ist in dieser Abschätzung<br />
bereits berücksichtigt.<br />
Zur Abschätzung der Dosis infolge des mit der Nahrung aufgenommenen<br />
Cs-137 (Ingestion) wurden in Deutschland<br />
176
verzehrsfertige Menüs aus Kantinen, Heimen, Gaststätten<br />
<strong>und</strong> Krankenhäusern hinsichtlich ihres Aktivitätsgehalts vermessen.<br />
Mit knapp 1,5 µSv effektive Dosis pro Jahr ist dieser<br />
Beitrag vergleichsweise gering. In Gebieten mit höherer<br />
Radionukliddeposition nach dem Unfall, wie man sie südlich<br />
der Donau findet, können diese Werte bis zu einer Größenordnung<br />
höher sein. Die folgende Tabelle gibt einen Überblick<br />
über den zeitlichen Verlauf der mittleren effektiven Dosis<br />
in Deutschland durch den Reaktorunfall in Tschernobyl.<br />
Jahr Strahlenexposition<br />
extern<br />
(mSv/a)<br />
Strahlenexposition<br />
intern<br />
(mSv/a)<br />
gesamte<br />
Strahlenexposition<br />
1986 ca. 0,07 a) ca. 0,04 b) ca. 0,11<br />
1987 ca. 0,03 ca. 0,04 c) ca. 0,07<br />
1988 ca. 0,025 ca. 0,015 d) ca. 0,04<br />
1989 ca. 0,02 ca. 0,01 ca. 0,03<br />
1990 ca. 0,02 < 0,01 ca. 0,025<br />
1991-<br />
1993<br />
< 0,02 < 0,01 ca. 0,02 e)<br />
1994 < 0,02 < 0,01 < 0,02<br />
1995-<br />
1999<br />
< 0,015 < 0,001 < 0,02<br />
2000-<br />
2003<br />
< 0,01 0,001 < 0,015<br />
Tab. 4.3 Mittlere effektive Dosis durch den Reaktorunfall in<br />
Tschernobyl für Erwachsene in Deutschland in verschiedenen<br />
Zeiträumen (aus /BMU-03/)<br />
a) Im Münchner Raum um etwa den Faktor 4, im Berchtesgadener<br />
Raum um etwa den Faktor 10 höher; dies<br />
gilt in etwa auch für die folgenden Jahre<br />
b) In Bayern um etwa den Faktor 4, in Südbayern um etwa<br />
den Faktor 6 höher<br />
c) In Bayern um etwa den Faktor 3, in Südbayern um etwa<br />
den Faktor 6 höher<br />
d) Die regionalen Unterschiede sind nicht mehr so stark<br />
ausgeprägt wie in den Vorjahren<br />
e) Die mittlere effektive Dosis wird ab 1991 fast ausschließlich<br />
durch die Bodenstrahlung des deponierten<br />
Cs-137 verursacht<br />
177
Für einzelne Personen kann die individuelle Dosis insbesondere<br />
im südbayerischen Raum nach wie vor die in der<br />
Tabelle angegebenen Werte beträchtlich überschreiten. So<br />
wurden auch 2003 in einzelnen Nahrungsmitteln wie Blütenhonig,<br />
Waldbeeren oder Pilzen Cäsium-137-Aktivitäten von<br />
einigen h<strong>und</strong>ert Becquerel pro Kilogramm Frischmasse<br />
nachgewiesen, der Mittelwert von im Rahmen eines BMU-<br />
Forschungsvorhabens analysierten 45 Wildschweinproben<br />
aus dem Bayerischen Wald lag sogar bei 3.900 Bq/kg Muskelfleisch,<br />
wobei Werte über 600 Bq/kg nicht mehr verkehrsfähig<br />
sind. Der Verzehr eines Nahrungsmittels mit einer Aktivität<br />
von 1.000 Becquerel Cs-137 würde zu einer effektiven<br />
Dosis von etwa 13 Mikrosievert insgesamt führen (d.h. auf<br />
die gesamte Lebenszeit hochgerechnet).<br />
Der Strontium-90-Gehalt der Nahrungsmittel blieb in letzter<br />
Zeit ziemlich konstant <strong>und</strong> verursachte eine effektive Dosis<br />
von ca. 2 µSv pro Jahr, wobei dieses Radionuklid zu mehr<br />
als 90 Prozent aus oberirdischen Kernwaffenversuchen der<br />
Fünfziger <strong>und</strong> Sechziger Jahre stammt <strong>und</strong> nur zu einem<br />
kleinen Teil aus dem Reaktorunfall von Tschernobyl.<br />
Strahlenexposition durch den Transport von radioaktiven<br />
Stoffen (Castor)<br />
Der Transport von radioaktiven Stoffen unterliegt strengen<br />
Bestimmungen hinsichtlich der zulässigen Strahlenexposition<br />
sowohl für die Bevölkerung als auch für das Begleitpersonal.<br />
Abgebrannte Brennelemente aus einem Kernreaktor,<br />
die in eine Zwischen- oder Endlagerstätte bzw. in eine Wiederaufbereitungsanlage<br />
transportiert werden, stellen die am<br />
stärksten emittierenden radioaktiven Frachten dar. Ihr<br />
Transport erfolgt in speziell konstruierten unfallsicheren<br />
Transportbehältern (z. B. CASTOR – Cask for Storage and<br />
Transport of Radioactive Material), die extremen mechanischen<br />
<strong>und</strong> thermischen Belastungen standhalten <strong>und</strong> strengen<br />
Sicherheitsanforderungen genügen müssen. Weiters<br />
darf in zwei Metern Abstand von der Fahrzeugoberfläche die<br />
Dosisleistung 0,1 mSv effektive Dosis pro St<strong>und</strong>e nicht überschreiten,<br />
wobei die tatsächlich gemessenen Werte in<br />
der Regel eine Größenordnung unter diesem Grenzwert lagen.<br />
In umfangreichen Messkampagnen wurde die Personendosis<br />
von mehr als 1.000 Personen der Polizei- <strong>und</strong> Si-<br />
178
cherheitskräfte während ihres Einsatzes bei CASTOR-<br />
Transporten ermittelt, keiner der Messwerte fand sich oberhalb<br />
der Nachweisgrenze des Personendosimeters von<br />
0,1 mSv. Lediglich bei Dosimetern, die einige St<strong>und</strong>en direkt<br />
an der Oberfläche des Containers fixiert waren, wurden<br />
Werte über der Nachweisgrenze registriert.<br />
Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass nach bisher<br />
vorliegenden Ergebnissen <strong>und</strong> Sicherheitsanalysen<br />
beim Transport von radioaktiven Brennelementen keine nennenswerten<br />
Strahlenexpositionen für die polizeilichen Sicherheitskräfte<br />
oder die Bevölkerung aufgetreten sind <strong>und</strong><br />
die Dosen für alle Beteiligten deutlich unter den vorgeschriebenen<br />
Grenzwerten lagen.<br />
Strahlenexposition durch Quellen in Industrie, Wissenschaft<br />
<strong>und</strong> Medizin<br />
In der Industrie kommen vor allem umschlossene radioaktive<br />
Quellen als auch Röntgenanlagen oder Beschleuniger<br />
zum Einsatz. Laut UNSCEAR /UNS-00/ ist die Strahlenexposition<br />
für die Beschäftigten generell gering. Im Folgenden<br />
sollen einige Anwendungsgebiete genannt werden.<br />
- Bestrahlungsanlagen<br />
Besonders hohe Dosen sind zur Sterilisation von medizinischen<br />
<strong>und</strong> pharmazeutischen Produkten erforderlich. Meist<br />
werden in Gamma-Bestrahlungsanlagen 60 Co- oder 137 Cs-<br />
Quellen verwendet, wobei die Bestückung der Anlagen wegen<br />
der extremen Dosen in unmittelbarer Umgebung der<br />
Quellen unter ganz speziellen Abschirm- <strong>und</strong> red<strong>und</strong>ant<br />
ausgelegten Sicherheitseinrichtungen zu erfolgen hat. Der<br />
Betrieb selbst benötigt nur wenig Bedienpersonal, die Strahlenexposition<br />
ist niedrig.<br />
- Zerstörungsfreie Materialprüfung<br />
Die zerstörungsfreie Materialprüfung verwendet sowohl umschlossene<br />
radioaktive Quellen als auch Röntgenanlagen.<br />
Spezielle Sicherheitsvorschriften <strong>und</strong> Schutzmaßnahmen<br />
gewährleisten bei korrekter Handhabung, dass die Strahlenexposition<br />
des Personals sowohl bei fest installierten Anlagen<br />
als auch beim variablen Einsatz auf Bau- oder Monta-<br />
179
gestellen im üblichen niedrigen Dosisbereich für beruflich<br />
strahlenexponierte Personen liegt.<br />
- Leuchtziffern (Lumineszenz)<br />
Radioaktive Stoffe in Lumineszenzmaterialien für Leuchtziffern<br />
stellen eine der ältesten Anwendungsgebiete ionisierender<br />
Strahlung dar. Im Gegensatz zu früher, als man Radium<br />
unter absolut unzureichenden Sicherheitsvorkehrungen<br />
gehandhabt hat, trägt dieser Industriezweig heute kaum<br />
noch zur Strahlenexposition des Personals bei. Meist verwendet<br />
man Tritium-haltige Leuchtfarben oder Tritium als<br />
Gas eingeschlossen in mit phosphoreszierendem Material<br />
ausgekleidetem Glas, die jedoch im Konsum-Bereich in<br />
Deutschland nicht zugelassen sind.<br />
- Radioisotope – Produktion <strong>und</strong> Versand<br />
Radioisotope finden in vielen Industriezweigen Anwendung,<br />
zum Beispiel für Füllstands- oder Schichtdickenmessungen<br />
oder zur Präzisionsuntersuchung des Verschleißes von Maschinenteilen<br />
nach radioaktiver Markierung ihrer Oberfläche.<br />
Die Strahlenexposition der in Produktion <strong>und</strong> Versand Beschäftigten<br />
stammt größtenteils von außen, in Einzelfällen<br />
ist die Inkorporation von Radionukliden von Bedeutung.<br />
- Bohrlochmessungen („Well Logging“)<br />
Für geophysikalische Bohrlochmessungen kommen sowohl<br />
Gammastrahler als auch Neutronenquellen zum Einsatz.<br />
Wenngleich für dieses Einsatzgebiet keine detaillierten Angaben<br />
der Einzeldosen vorliegen, kann der Beitrag zur von<br />
der Industrie verursachten Strahlenexposition auf weniger<br />
als 10 % geschätzt werden. /UNS-00/<br />
- Beschleuniger<br />
Der Hauptbeitrag zur Strahlenexposition von Beschleunigern<br />
im Forschungsbereich entstammt den Aktivierungsprodukten<br />
in der unmittelbaren Umgebung der Targets. Die größten<br />
Dosen treten bei der Wartung, Reparatur oder bei Umbauten<br />
der Anlagen auf.<br />
- Medizinische Strahlenexposition<br />
Betrachtet man die im medizinischen Bereich applizierte<br />
Dosis, so muss man zweifelsfrei die Strahlentherapie an erster<br />
Stelle nennen. Die Anwendung der Strahlentherapie be-<br />
180
schränkt sich auf einen kleinen, schwer erkrankten Teil der<br />
Bevölkerung *) mit dem Ziel, durch hohe Dosen im Tumorbereich<br />
die bösartig veränderten Zellen zu zerstören. Da bei<br />
derart hohen Dosen eindeutig die deterministische Wirkung<br />
im Vordergr<strong>und</strong> steht, verliert das Konzept der effektiven<br />
Dosis, das ausschließlich auf stochastische Schäden abzielt,<br />
seine Gültigkeit. Eine Mittelung der therapeutisch verabreichten<br />
Dosen über die Gesamtbevölkerung ist daher<br />
nicht geeignet, die therapeutische Strahlenexposition zu<br />
charakterisieren.<br />
Dies gilt nicht für die Anwendung ionisierender Strahlung im<br />
Rahmen der Diagnostik. Für Röntgenuntersuchungen oder<br />
in der nuklearmedizinischen Diagnostik kann man aus der<br />
effektiven Dosis einen vernünftigen Anhaltspunkt zum Vergleich<br />
der strahlenbedingten Risiken ableiten. Der entscheidende<br />
Vorteil der effektiven Dosis besteht zweifelsfrei darin,<br />
Teilkörperexpositionen mit unterschiedlichen Expositionsbedingungen,<br />
wie sie in der Röntgen- oder nuklearmedizinischen<br />
Diagnostik vorliegen, mit einer Dosisangabe charakterisieren<br />
<strong>und</strong> hinsichtlich des Risikos vergleichen zu können,<br />
wenngleich das Konzept der effektiven Dosis nicht vorbehaltlos<br />
anzuwenden ist. So kann das Konzept nicht den<br />
mitunter für den Behandlungserfolg entscheidenden Nutzen<br />
der jeweiligen Untersuchung berücksichtigen. Ebenso findet<br />
die unterschiedliche Altersverteilung von medizinisch strahlenexponierten<br />
Patienten <strong>und</strong> der Gesamtbevölkerung im<br />
Konzept der effektiven Dosis keine Entsprechung, genauso<br />
wie die Tatsache, dass viele (oft dosisintensive) Untersuchungen<br />
vornehmlich schwer kranke Personen betreffen, für<br />
die das strahlenbedingte Krebsmortalitätsrisiko angesichts<br />
ihres krankheitsbedingten Sterberisikos <strong>und</strong> der langen Latenzzeiten<br />
bis zum Auftreten der meisten Malignome deutlich<br />
geringer ist als bei der gleichen Altersgruppe der Normalbevölkerung.<br />
Diese Aspekte dürfen insbesondere beim<br />
Vergleich der auf die Gesamtbevölkerung umgelegten Do-<br />
*) In Deutschland werden etwa 220.000 Personen jährlich mit ionisierender<br />
Strahlung behandelt, ca. 20.000 davon durch Brachytherapie<br />
(Bezugsjahr 2001)<br />
181
sen der medizinischen Strahlenexposition <strong>und</strong> der natürlichen<br />
Umgebungsstrahlung nicht unbeachtet bleiben.<br />
Der folgenden Tabelle 4.4 sind typische Dosiswerte für häufige<br />
Röntgenuntersuchungen zu entnehmen. Die Werte beziehen<br />
sich auf einen Standardpatienten von 70 kg ± 5 kg,<br />
dickere Patienten haben bei Untersuchungen im Körperstammbereich<br />
mit höheren Dosen zu rechnen, entsprechend<br />
einer Halbwertschichtdicke von etwa 3 cm bezogen auf<br />
Weichteilgewebe <strong>und</strong> typische <strong>Röntgenstrahlen</strong>qualitäten im<br />
Diagnostikbereich.<br />
Untersuchungsart Effektive<br />
Dosis [mSv]<br />
Untersuchungen mit Röntgenaufnahmen<br />
Zahnaufnahme � 0,01<br />
Extremitäten (Gliedmaßen) 0,01–0,1<br />
Schädelaufnahme 0,03–0,1<br />
Halswirbelsäule in 2 Ebenen 0,1–0,2<br />
Brustkorb (Thorax), 1 Aufnahme 0,02–0,08<br />
Mammographie beidseits in je 2 Ebenen 0,2–0,6<br />
Brustwirbelsäule in 2 Ebenen 0,5–0,8<br />
Lendenwirbelsäule in 2 Ebenen 0,8–1,8<br />
Beckenübersicht 0,5–1,0<br />
Bauchraum (Abdomenübersicht) 0,6–1,1<br />
Röntgenuntersuchungen mit Aufnahmen <strong>und</strong> Durchleuchtung<br />
Magen 6–12<br />
Darm (Dünndarm bzw. Kolonkontrast-<br />
10–18<br />
einlauf)<br />
Galle 1–8<br />
Harntrakt 2–5<br />
Bein-Becken-Phlebographie 0,5–2<br />
Arteriographie <strong>und</strong> Interventionen<br />
CT-Untersuchungen<br />
10–30<br />
Kopf 2–4<br />
Wirbelsäule / Skelett 2 –11<br />
Brustkorb (Thorax) 6–10<br />
Bauchraum (Abdomen) 10 –25<br />
Tab. 4.4 Bereiche mittlerer Dosiswerte einiger Röntgenuntersuchungen<br />
(bezogen auf Standardpatienten von 70 ± 5 kg Körpergewicht)<br />
(aus /BMU-03/)<br />
182
Im Jahr 2001 wurden in Deutschland etwa 147 Millionen<br />
Röntgenuntersuchungen durchgeführt, womit die Anzahl der<br />
Untersuchungen seit 1996 annähernd konstant bei etwa 1,8<br />
Untersuchungen pro Einwohner geblieben ist. Ebenso lässt<br />
die relative Häufigkeit der verschiedenen Untersuchungsverfahren<br />
nur wenig Veränderung erkennen, wobei in den vergangenen<br />
Jahren eine stete Zunahme der CT-Untersuchungen<br />
um etwa 7 % pro Jahr sowie ein geringer Rückgang der<br />
konventionellen Untersuchungen im Bauchraum am auffälligsten<br />
waren. Auf die Bevölkerung hochgerechnet liegt die<br />
effektive Dosis durch röntgendiagnostische Maßnahmen bei<br />
1,8 mSv pro Jahr <strong>und</strong> Einwohner (Bezugsjahr 2001).<br />
Die folgenden Abbildungen zeigen die Häufigkeit der einzelnen<br />
Röntgenuntersuchungen sowie den Anteil an der kollektiven<br />
effektiven Dosis in Deutschland für das Jahr 2001.<br />
Mammographie<br />
5 %<br />
Verdauungsu.<br />
Harntrakt<br />
4 %<br />
Arteriographie,<br />
Intervention<br />
Zähne<br />
34 %<br />
2 %<br />
CT<br />
6 %<br />
Sonstige<br />
3 % Thorax<br />
15 %<br />
Skelett<br />
35 %<br />
Abb. 4.18 Relative Häufigkeit von Röntgenuntersuchungen in<br />
Deutschland 2001<br />
183
Sonstige<br />
2 %<br />
Abb. 4.19 Relativer Anteil an der kollektiven effektiven Dosis<br />
von Röntgenuntersuchungen in Deutschland 2001<br />
Für die meisten nuklearmedizinischen Untersuchungen werden<br />
vom B<strong>und</strong>esamt für Strahlenschutz mittlere effektive<br />
Dosen zwischen 5 mSv <strong>und</strong> 10 mSv angegeben (/BMU-02/),<br />
abgesehen von Nierenuntersuchungen (0,7 mSv) <strong>und</strong><br />
Schilddrüsenszintigraphien (0,9 mSv). Im Bericht /UNS-00/<br />
finden sich etwas niedrigere Werte. In den Jahren 1996 bis<br />
2000 wurden etwa 47 nuklearmedizinische Untersuchungen<br />
pro 1.000 Einwohner jährlich durchgeführt mit einer hochgerechneten<br />
effektiven Dosis von 0,14 mSv pro Jahr <strong>und</strong> Einwohner.<br />
Die nominelle Strahlenexposition der Bevölkerung<br />
in Deutschland durch Röntgendiagnostik <strong>und</strong> nuklearmedizinische<br />
Untersuchungen lässt sich damit auf etwa 1,9 mSv<br />
effektive Dosis jährlich pro Einwohner schätzen.<br />
Berufliche Strahlenexposition<br />
Gemäß § 40 der Strahlenschutzverordnung bzw. § 35 der<br />
Röntgenverordnung unterliegen alle Personen, die mit radioaktiven<br />
Stoffen umgehen, <strong>Röntgenstrahlen</strong> anwenden<br />
oder an anderen Anlagen zur Erzeugung ionisierender<br />
Strahlung tätig sind <strong>und</strong> sich dabei im Kontrollbereich aufhalten,<br />
der physikalischen Strahlenschutzüberwachung. In<br />
der Regel erfolgt die Strahlenschutzüberwachung durch<br />
Personendosimeter, die von amtlichen Personendosismessstellen<br />
ausgegeben <strong>und</strong> ausgewertet werden. Besteht die<br />
Möglichkeit der Inkorporation radioaktiver Stoffe, kann die<br />
184<br />
Thorax<br />
9 %<br />
Skelett<br />
11 %<br />
Zähne<br />
0,2<br />
%<br />
Verdauungsu.<br />
Harntrakt<br />
11 % Mammographie<br />
2 %<br />
Arterio-<br />
graphie, Intervention<br />
18 %<br />
Computer-Tomographie<br />
47 %
effektive Dosis durch spezielle Messverfahren wie Ganzkörperzähler<br />
oder Ausscheidungsmessungen ermittelt werden.<br />
Im Jahr 2004 lag der Jahresmittelwert der mehr als 313.000<br />
in Deutschland überwachten Personen bei 0,13 mSv, für<br />
mehr als 262.000 der Überwachten war keine Dosis nachweisbar.<br />
Das folgende Diagramm (Abb. 4.20) gibt einen<br />
Überblick über die Verteilung der Jahrespersonendosen der<br />
beruflich strahlenexponierten Personen einschließlich des<br />
fliegenden Personals für das Jahr 2004 (/BMU-04/)<br />
Abb. 4.20 Verteilung der Jahrespersonendosen beruflich strahlenexponierter<br />
Personen im Jahr 2004<br />
4.4 Problematik epidemiologischer Studien<br />
zur Strahlenexposition der Bevölkerung (Fall-<br />
Kontroll-Studien)<br />
Epidemiologie beschäftigt sich mit der wissenschaftlichen<br />
Untersuchung von Faktoren, die die Ges<strong>und</strong>heit (z. B. toxische<br />
Stoffe, ionisierende Strahlung) <strong>und</strong> die Krankheit (z. B.<br />
Suche nach optimalen Heilverfahren) von Individuen <strong>und</strong><br />
von menschlichen Populationen beeinflussen können. Sie<br />
dient als Gr<strong>und</strong>lage für Interventionen im Interesse der öffentlichen<br />
Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> der Vorsorgemedizin, aber auch<br />
185
der Verbesserung von medizinischen diagnostischen <strong>und</strong><br />
therapeutischen Verfahren. Epidemiologen versuchen deshalb<br />
u. a. möglichst unverfälschte Beziehungen zwischen<br />
einer vorherigen Exposition durch eine toxische Substanz,<br />
ein Spektrum von Nahrungsmittel, von Stressfaktoren, Viren,<br />
ionisierende Strahlung, einem Medikament, einer Therapiemaßnahme,<br />
etc. <strong>und</strong> ges<strong>und</strong>heitlichen Konsequenzen zu erkennen.<br />
Die dabei durchgeführten Studienarten können als beschreibend,<br />
analytisch oder experimentell klassifiziert werden.<br />
Epidemiologen arbeiten immer in einem Dreieck aus a)<br />
betrachteter Person, b) Agens <strong>und</strong> c) Umwelt um diese<br />
Person. Nicht immer lassen sich diese drei Punkte eindeutig<br />
voneinander trennen. So wird z. B. ein Zigaretten-<br />
(Agens)raucher nicht nur die Verdickung seiner (Person)<br />
Schleimschicht in der Lunge bewirken, sondern auch durch<br />
die emittierten Aerosolteilchen in seiner Umwelt die Exposition<br />
durch partikelgeb<strong>und</strong>ene Radonfolgeprodukte verändern.<br />
Es gibt verschiedene Arten von epidemiologischen Studien,<br />
für die es wissenschaftliche Standards gibt. Bei so genannten<br />
Fall-Kontrollstudien werden zu jeder erkrankten Person<br />
ein bis zwei Kontrollpersonen nach dem Zufallsprinzip gesucht,<br />
die aber im Alter, Geschlecht <strong>und</strong> anderen wichtigen<br />
Faktoren sehr ähnlich sind. Für die mathematische Korrelationsrechnung<br />
muss die Exposition der Individuen bekannt<br />
sein. Bei Kohortenstudien vergleicht man Bevölkerungsgruppen,<br />
von denen eine Gruppe als belastet oder exponiert<br />
bezeichnet wird. Betrachtet man einen zurückliegenden Zeitraum,<br />
spricht man von retrospektiven Studien, bei denen die<br />
methodische Schwierigkeit in der Erfassung der Exposition<br />
liegt. Bei prospektiven Studien kann die Exposition für die<br />
kommende Zeit genau bestimmt werden, aber das Personenkollektiv<br />
kann sich ändern. Der "Gold-Standard" eines<br />
Studiendesigns ist die doppelt blinde, prospektive, randomisierte<br />
Kontrollstudie. Dieser wird gefolgt von der Kohortenstudie.<br />
Um aber mit einer dieser beiden Methoden bei sehr<br />
seltenen Ereignissen zu statistisch signifikanten Fallzahlen<br />
zu kommen, werden sehr große Populationen benötigt (in<br />
der außergewöhnlich großen <strong>und</strong> lang andauernden Kohortenstudie<br />
der Atombombenüberlebenden von Hiroshima <strong>und</strong><br />
186
Nagasaki sind in einer Population von etwa 80 000 Überlebenden<br />
in den über 50 Beobachtungsjahren bislang gerade<br />
etwas über 500 zusätzliche Krebsfälle aufgetreten für beide<br />
Städte, beide Geschlechter, alle Jahre seit der Exposition,<br />
alle Tumorarten <strong>und</strong> alle Geburtsjahrgänge). Wenn die Entwicklung<br />
des Ges<strong>und</strong>heitseffektes eine lange Zeit benötigt,<br />
müssen diese großen Populationen über eine lange Zeit<br />
wissenschaftlich beobachtet werden. Dies kann auch zu vielen<br />
"Verlusten" (z. B. durch unbekanntem Verzug) führen.<br />
Epidemiologische Studien, die über viele Beobachtungsjahre<br />
mit großen Kollektiven durchgeführt werden, führen zu<br />
hohen Gesamtkosten.<br />
Schneller <strong>und</strong> viel billiger sind da Fall-Kontroll-Studien. Hierbei<br />
handelt es sich um rückblickende (retrospektive) Untersuchungen<br />
einerseits einer Stichprobe erkrankter Personen<br />
(Fälle) <strong>und</strong> andererseits einer Stichprobe ges<strong>und</strong>er Personen<br />
(Kontrollen), die ansonsten in möglichst allen anderen<br />
relevanten Werten/Eigenschaften mit den Werten/Eigenschaften<br />
der jeweils zugeordneten Fallperson übereinstimmen<br />
sollten. Für beide Personengruppen wird nun untersucht,<br />
ob in der Vergangenheit Unterschiede in der Art <strong>und</strong><br />
dem Ausmaß der Exposition durch ein hypothetisches<br />
Agens vorlagen. Dies sollten möglichst die einzigen Unterschiede<br />
sein. Finden sich signifikante Unterschiede, kann<br />
eine Korrelation/Assoziation zwischen dem Risiko-Agens<br />
<strong>und</strong> der Erkrankung vorliegen. Man darf allerdings deswegen<br />
keinesfalls auf eine Ursache-Wirkungs-Beziehung für<br />
dieses Agens <strong>und</strong> diese Erkrankung schließen. Allenfalls<br />
sollten dann robustere <strong>und</strong> umfassendere Studien der beiden<br />
weiter oben genannten Arten zu diesem Thema durchgeführt<br />
werden, um den Verdacht zu erhärten oder entkräften.<br />
Fall-Kontroll-Studien haben zu einer Reihe wichtiger epidemiologischer<br />
Entdeckungen <strong>und</strong> Fortschritte geführt. Das<br />
klassische Beispiel für eine erfolgreiche Fall-Kontroll-Studie<br />
ist die Aufdeckung der Korrelation zwischen Zigarettenrauchen<br />
<strong>und</strong> Lungenkrebs durch Sir Richard Doll (Doll u. Hill,<br />
1954). Mittels einer Fall-Kontroll-Studie konnte Doll eine statistisch<br />
signifikante Assoziation zwischen beiden feststellen.<br />
Aber erst die Ergebnisse einer daraufhin durchgeführten<br />
prospektiven doppelten Blindstudie ergab die notwendige<br />
187
Sicherheit über diese Ursache-Wirkungsbeziehung, die für<br />
ernste Schlussfolgerungen aus diesem Verdacht unbedingt<br />
nötig war.<br />
Die Verdienste von Fall-Kontroll-Studien durch Hinweise auf<br />
Assoziationen, zu denen genauere Studien durchgeführt<br />
werden sollten, haben aber leider auch zu unberechtigt großem<br />
Vertrauen in ihre Aussagekraft <strong>und</strong> in der Folge auch<br />
zu einem Verlust ihrer Glaubwürdigkeiten geführt hat (z. B.<br />
bei Studien zu Hormonersatztherapie <strong>und</strong> Herzkreislauferkrankungen<br />
(Lawlor et al. 2004, Pettiti 2004, Stampfer et al.<br />
2004), Sicherheitsgewinn durch Fahrradhelme). Schuld haben<br />
wohl hauptsächlich Missverständnisse über die Natur<br />
<strong>und</strong> Grenzen (z. B. wegen des Einflusses der durchführenden<br />
Person bei Spezifikationen, investigation, selection and<br />
recall biases) eines derartigen Studiendesigns.<br />
In dieser Stelle soll kurz die Problematik in epidemiologischen<br />
Studien betrachtet werden, die in der Quantifizierung<br />
der Strahlenexposition (<strong>und</strong> nicht die der Strahlenwirkung)<br />
bestehen <strong>und</strong> dies insbesondere für Fall-Kontroll- Studien.<br />
Strahlenepidemiologische Studien wurden durchgeführt für<br />
eine Vielzahl exponierter Gruppen (UNSCEAR 2000) u. a.<br />
- der Atombombenüberlebenden von Hiroshima <strong>und</strong> Nagasaki,<br />
- der beruflich strahlenexponierten Radiologen,<br />
- der beruflich strahlenexponierten Arbeiter in vielen kerntechnischen<br />
Anlagen ,<br />
- von durch den Reaktorunfall von Tschernobyl höher exponierten<br />
Arbeitern <strong>und</strong> Personen in der allgemeinen<br />
Bevölkerung,<br />
- von Bevölkerungsgruppen, die höher dem natürlichen Edelgas<br />
Radon <strong>und</strong> seinen Folgeprodukten exponiert sind,<br />
- von Bevölkerungsgruppen, die im Bereich des russischen<br />
Flusses Techa gelebt haben, in den nach dem Zweiten<br />
Weltkrieg für längere Zeit größere Mengen an <strong>Radioaktivität</strong><br />
aus der Wiederaufarbeitungsanlage MAJAK abgeleitet<br />
wurden,<br />
- von weiteren Bevölkerungsgruppen, die in Bereichen gelebt<br />
haben in denen die Explosion eines großen Lager-<br />
188
tanks bei Kyschtym am 29.09.1957 <strong>und</strong> die Verteilung von<br />
Radionukliden durch einen Wirbelwind aus dem vertrockneten<br />
See Karachay (benutzt als offene Deponie für radioaktives<br />
Material) im Sommer 1967 zur Kontaminierung von<br />
Tausenden von Quadratkilometern <strong>und</strong> geringfügiger Exposition<br />
von H<strong>und</strong>erttausenden von Menschen geführt hat,<br />
- von Bevölkerungsgruppen, die um tatsächliche oder geplante<br />
Standorte von kerntechnischen Anlagen leben,<br />
- von Personen, die aus diagnostischen Gründen mit Röntgenstrahlung<br />
oder Radioisotopen medizinisch untersucht<br />
wurden,<br />
- von Personen, die aus therapeutischen Gründen mit externer<br />
ionisierender Strahlung oder mit Radionukliden exponiert<br />
wurden,<br />
- etc., etc.<br />
Zumeist waren die Häufigkeiten von Krebs- <strong>und</strong> Leukämieerkrankungen<br />
die studierten Wirkungen, aber auch andere<br />
medizinische Endpunkte (fruchtschädigende – teratogene –<br />
Wirkungen, nicht-Krebserkrankungen, Lebenserwartung)<br />
wurden vereinzelt epidemiologisch untersucht.<br />
In praktisch allen Fällen mussten retrospektiv die früheren<br />
externen <strong>und</strong> internen Strahlenexpositionen für viele Personen<br />
möglichst genau abgeschätzt werden. Zu diesem Themenkreis<br />
<strong>und</strong> über die in der Praxis erreichbare Genauigkeit<br />
hat die ICRU für die verschiedensten wissenschaftlichen<br />
Möglichkeiten (Orts-, Personen-, biologische Dosimetrie, radioökologische<br />
Rechenmodelle, etc.) einen ausführlichen<br />
Bericht veröffentlicht (ICRU 2002). Dabei ist sie zu dem Ergebnis<br />
gekommen, dass derartige retrospektive Abschätzungen<br />
der individuellen Strahlenexpositionen insbesondere<br />
in dem Fall niedriger, zusätzlicher externer Strahlenexpositionen<br />
mit sehr großen Unsicherheiten verb<strong>und</strong>en sein können.<br />
Für den Fall interner Strahlenexpositionen ergibt sich<br />
eine noch größere Unsicherheit durch die Tatsache, dass<br />
zum einen die von der ICRP für Referenzpersonen publizierten<br />
Dosis-Konversions-koeffizienten für Inhalation <strong>und</strong> Ingestion<br />
für viele Radionuklide von Tierdaten ausgehend für<br />
den Menschen geschätzt werden müssen <strong>und</strong> zum zweiten<br />
hier eine noch größere individuelle natürliche Variabilität im<br />
189
Metabolismus als in der Geometrie bei der externen Bestrahlung<br />
besteht. Außerdem bestehen über die Höhe der<br />
Aufnahmerate verschiedener Nahrungsmittel <strong>und</strong> deren<br />
Herkunftsorte in längst vergangenen Zeiten, sowie über die<br />
örtlichen Aufenthaltsgewohnheiten sehr große Quantifizierungsunsicherheiten.<br />
Für das für die Bevölkerung wichtige, überall vorkommende<br />
(ubiquitäre) Agens Radon (7) <strong>und</strong> seine Folgeprodukte ergeben<br />
sich zusätzliche messtechnische Schwierigkeiten.<br />
Üblicherweise können nur ortsdosimetrische Daten für Konzentrationen<br />
an natürlichem Edelgas Radon erhoben werden<br />
<strong>und</strong> dies meist nicht einmal für die Zeit der täglich ca.<br />
10 St<strong>und</strong>en Aufenthalt außerhalb des eigenen Hauses. Für<br />
die epidemiologischen Studien wären aber individuelle Personendosen<br />
durch die an den Aerosolteilchen der Atemluft<br />
anhaftenden <strong>und</strong> nicht anhaftenden (unattached fraction)<br />
Folgeprodukte seines radioaktiven Zerfalls nötig. Letztere<br />
zeichnen nach mechanistischen Organ-Dosisabschätzungen<br />
für ca. 90 % der Lungenexposition verantwortlich, das Gas<br />
nur für ca. 10 %. Das Verhältnis von Gas- zu Folgeproduktkonzentration<br />
hängt u. a. vom Lüftungsverhalten in einem<br />
Raum, seiner Möblierung <strong>und</strong> der variablen Aerosol-Teilchen-Konzentration<br />
in der Luft, die durch Raucher (ca. 95 %<br />
der Lungenkrebserkrankungen treten bei Rauchern auf),<br />
Kerzen, Klimaanlagen, etc. stark beeinflusst wird.<br />
Für entsprechende Fall-Kontroll-Studien wären diese individuellen<br />
Expositionsdaten retrospektiv zumindest für die letzten<br />
dreißig Jahre, jeweils zu den damaligen Lebensbedingungen<br />
zu bestimmen. Darüber hinaus ist dabei eine Genauigkeit<br />
notwendig, die Unterschiede in zeitlich differentiellen<br />
<strong>und</strong> integralen Expositionen zu anderen Personen erkennen<br />
lassen würden. Die zeitliche Differenzierung ist auch<br />
deshalb notwendig, da gegenwärtig keine ausreichend abgesicherten<br />
theoretischen Strahlenkrebs-Entstehungsmodelle<br />
existieren, die die relative Gewichtung von historischen<br />
Expositionswerten hinsichtlich des zeitabhängigen Risikos<br />
einer Erkrankung eines exponierten Organs erlauben würden.<br />
Eine genaue Expositionsquantifizierung wäre nötig, da im<br />
Niedrigdosisbereich epidemiologische Studien zudem schon<br />
190
durch kleine Unterschiede in den Parametern (wie z. B. genetischer<br />
Untergr<strong>und</strong>, Lebensweise, andere Agentien, etc.),<br />
die nicht gemessen werden, von höher <strong>und</strong> geringer exponierten<br />
Personen verfälscht werden können. Diese Personen<br />
führen jeweils ein normales Leben <strong>und</strong> leben nicht unter<br />
eng <strong>und</strong> stark kontrollierten experimentellen Bedingungen<br />
(z. B. "SPF" - specific pathogene free environment") in einem<br />
Labor. Deshalb haben Studien insbesondere im Niedrigdosisbereich<br />
ein großes Potential für falsch-negative oder<br />
falsch-positive Assoziationen <strong>und</strong> für eine substantielle<br />
Überschätzung der wahren Größe von Risiken (Land, 1980).<br />
Zusammenfassend ist festzustellen, dass es aus prinzipiellen<br />
Gründen, die zu einem großen Teil in der oben angesprochenen<br />
Problematik der methodisch unvermeidbaren<br />
(inhärenten) Unsicherheiten bei der Expositionsabschätzung<br />
liegen, nicht erwartet werden kann, dass die möglichen<br />
ges<strong>und</strong>heitlichen Wirkungen niedriger Strahlendosen<br />
(< 10 mSv) mit Hilfe von in diesem Dosis-Bereich durchgeführten<br />
epidemiologischen Studien quantifiziert werden können.<br />
Hier ist Fortschritt nur vom besseren mechanistischen<br />
Verständnis der molekularen, zellulären <strong>und</strong> systemaren<br />
Vorgänge in betroffenen Organen bei Störungen des Funk-<br />
tionsgleichgewichts (der Homöostase) durch niedrige Strahlendosen<br />
zu erhoffen.<br />
191
4.5 Literatur:<br />
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193
5. Strahlenschutz <strong>und</strong> gesetzliche Vorschriften<br />
5.1 Planung <strong>und</strong> Durchführung des praktischen<br />
Strahlenschutzes<br />
Der Zweck des Strahlenschutzes ist es, die Exposition von<br />
Mensch <strong>und</strong> Umwelt mit ionisierender Strahlung so gering<br />
wie möglich zu halten. Insbesondere hat der Betreiber einer<br />
Anlage, in der mit radioaktiven Substanzen umgegangen<br />
wird, dafür Sorge zu tragen, dass die Radionuklide nicht in<br />
die Umwelt gelangen.<br />
Schutz vor äußerer Exposition<br />
Die wichtigsten Verhaltensregeln zur Verringerung der äußeren<br />
Strahlenexposition sind die drei „A“ des Strahlenschutzes:<br />
- Abstand<br />
- Abschirmung<br />
- Aufenthaltszeit im Strahlungsfeld.<br />
Den Abstand von der Strahlenquelle zu vergrößern, ist immer<br />
die erste Schutzmaßnahme <strong>und</strong> meistens einfach zu<br />
realisieren. Für einen isotrop strahlenden punktförmigen<br />
Strahler im Vakuum verringert sich die Dosis bei Verdoppelung<br />
des Abstandes zur Strahlenquelle auf ein Viertel, oder<br />
allgemein: die Dosis ist umgekehrt proportional zum Quadrat<br />
des Abstandes. Dies wird als Abstandsquadratgesetz bezeichnet.<br />
Das Abstandsquadratgesetz ist rein geometrischer natur. Es<br />
lässt sich am einfachsten anhand der Abb. 5.1 erklären. Bei<br />
einem divergierenden Strahl deckt die rechteckige Fläche im<br />
Abstand 1r einen bestimmten Teil des Strahlungsfeldes ab.<br />
Beim doppelten Abstand 2r werden nach dem Strahlensatz<br />
vier solcher Flächenstücke benötigt um dasselbe Strahlenbündel<br />
abzudecken. Wegen der Erhaltung der Strahlungsenergie<br />
entfällt auf jedes dieser Flächenstücke nur noch ein<br />
Viertel der Dosis. Beim dreifachen Abstand 3r sind es dann<br />
schon 9 Flächenstücke, die Dosis verringert sich auf ein<br />
Neuntel.<br />
194
Abb. 5.1 Das Abstandsquadratgesetz<br />
In der Praxis kann das Abstandsquadratgesetz für viele<br />
Strahlenquellen in Luft mit ausreichender Genauigkeit angewendet<br />
werden. Eine Strahlenquelle kann als punkförmig<br />
angesehen werden, wenn ihre räumliche Ausdehnung sehr<br />
viel kleiner ist als der zu betrachtende Abstand. Für Strahlenquellen,<br />
die nicht als Punkförmig angesehen werden<br />
können (z. B. Linienquellen), oder für stark kollimierte Strahlung<br />
ist dieses Gesetz nicht gültig. Ebenso muss für Alphastrahlung<br />
auch die beträchtliche Abschirmwirkung der Luft<br />
(Reichweite in Luft nur wenige Zentimeter) in Betracht gezogen<br />
werden.<br />
Eine wichtige Konsequenz des Abstandquadratgesetzes ist<br />
die Verwendung von Pinzetten beim Arbeiten mit radioaktiven<br />
Stoffen. Eine gewöhnliche Pinzette vergrößert den Abstand<br />
der Quelle zur Hand von 1 mm auf 10 cm (Faktor 100)<br />
<strong>und</strong> verringert die Hautdosis auf ein Zehntausendstel.<br />
Die zweite wichtige Schutzmaßnahme ist die Abschirmung<br />
der ionisierenden Strahlung. Je nach Strahlenart <strong>und</strong> Strahlenqualität<br />
muss eine geeignete Abschirmung gewählt werden.<br />
195
Alpha- <strong>und</strong> Betastrahlung sind relativ leicht abzuschirmen<br />
(Alphastrahlung: Blatt Papier, Betastrahlung: einige cm Plexiglas,<br />
vgl. Kapitel 1.2). Prinzipiell kann zur Abschirmung jedes<br />
Material verwendet werden, solange es nur genügend<br />
dick ist. Bei der Abbremsung von geladenen Teilchen (�, ß)<br />
in Materie entsteht allerdings Bremsstrahlung. Gerade bei<br />
Betastrahlung darf die Bremsstrahlung nicht vernachlässigt<br />
werden. Die Intensität der Bremsstrahlung nimmt annähernd<br />
proportional mit der Kernladungszahl Z des Abschirmmaterials<br />
zu. Idealerweise sollte die Abschirmung von Betastrahlung<br />
daher aus zwei Komponenten bestehen: die erste<br />
Schicht aus einem niedrig Z Material (z. B. Plexiglas) zur<br />
vollständigen Abschirmung der Betateilchen, die zweite<br />
Schicht aus einem hoch Z Material (z. B. Blei oder Wolfram)<br />
zur Abschirmung der entstandenen Bremsstrahlung.<br />
Zur Abschirmung von Gamma- <strong>und</strong> Röntgenstrahlung ist ein<br />
Material von hoher Dichter <strong>und</strong> hoher Ordnungszahl am<br />
besten geeignet. Gängige Materialien sind Blei, Wolfram<br />
oder Schwerbeton. Neuere Untersuchungen zeigen, dass<br />
unter gewissen Voraussetzungen auch körniger Gips geeignet<br />
ist. Das Spektrum der benötigten Abschirmdicken reicht<br />
je nach Energie <strong>und</strong> Intensität der Strahlung von einigen<br />
Zehntel Millimetern Blei in Röntgenschürzen in der Medizin<br />
über Zentimetern bei typischen Radionukliden in der Nuklearmedizin<br />
(I-131, F-18) bis zu Meter dicken Betonwänden in<br />
Kernreaktoren oder Teilchenbeschleunigern. Bei letztern<br />
beiden handelt es sich allerdings auch um eine Kombination<br />
aus Neutronen- <strong>und</strong> Gammastrahlung bzw. Protonen- <strong>und</strong><br />
Gammastrahlung.<br />
Die dritte Verhaltensregel ist die Minimierung der Aufenthaltszeit<br />
im Strahlungsfeld. Die Dosisreduktion durch diese<br />
Vorsichtsmaßnahme ist leicht einzusehen. Die Halbierung<br />
der Expositionszeit halbiert ebenfalls die absorbierte Dosis.<br />
Eine einfache Maßnahme hierzu ist die gute Vorbereitung<br />
jeglicher Arbeiten in Strahlungsfeldern. Die Arbeitszeit selber,<br />
z. B. Reparaturmaßnahmen oder radiochemische Analysen<br />
oder Synthesen, kann nur in den seltensten Fällen<br />
verkürzt werden. Allerdings sollten Verzögerungen durch<br />
das Beschaffen benötigter Werkzeuge <strong>und</strong> Hilfsmittel vermieden<br />
werden.<br />
196
Ionisierende Strahlung ist mit den menschlichen Sinnen<br />
nicht wahrnehmbar. So weiß zwar der Verursacher eines<br />
erhöhten Strahlungspegels (Einschalten eines Beschleunigers<br />
/ einer Röntgenröhre, Herausnehmen eines radioaktiven<br />
Präparats aus der Abschirmung) von der möglichen Gefährdung,<br />
nicht aber seine Mitarbeiter, geschweige denn der<br />
zufällige Passant. Zu diesem Zweck sieht der Gesetzgeber<br />
die Einrichtung von gekennzeichneten Strahlenschutzbereichen<br />
vor. Je nach möglicher Jahresdosis bzw. Dosisleistung<br />
sind dies der Überwachungsbereich, der Kontrollbereich <strong>und</strong><br />
der Sperrbereich. Außerhalb des Betriebsgeländes können<br />
keine Strahlenschutzbereiche ausgewiesen werden. Daher<br />
hat der Betreiber einer Einrichtung, in der ionisierende<br />
Strahlung erzeugt wird oder in der mit radioaktiven Substanzen<br />
umgegangen wird, dafür zu sorgen, dass außerhalb des<br />
Betriebsgeländes eine über dem Grenzwert erhöhte Dosisleistung<br />
ausgeschlossen ist.<br />
Die Zuweisung der Strahlenschutzbereiche <strong>und</strong> der Nachweis,<br />
dass keine Gefährdung der übrigen Bevölkerung besteht,<br />
erfolgt anhand eines Strahlenschutzplans. Bei dessen<br />
Aufstellung müssen die Äquivalentdosen aller Strahlenquellen<br />
unter Berücksichtigung des Abstands <strong>und</strong> der Abschirmung<br />
addiert werden. Bei innerbetrieblichen Strahlenschutzbereichen<br />
kann auch die eingeschränkte Aufenthaltszeit<br />
der Mitarbeiter in diesen Bereichen in Betracht gezogen<br />
werden. Außerhalb des Betriebsgeländes muss allerdings<br />
von einem Daueraufenthalt ausgegangen werden. Strahlenschutzbereiche,<br />
die aufgr<strong>und</strong> temporärer Strahlenquellen<br />
(Röntgengeräte, Beschleuniger) eingerichtet wurden, können<br />
ebenfalls temporär sein, also nur bei laufendem Betrieb<br />
der Strahlenquellen.<br />
Vorraussetzung zur Aufstellung eines Strahlenschutzplans<br />
ist die Kenntnis der Äquivalentdosisleistung jeder Strahlenquelle.<br />
Diese kann durch Messung oder Rechnung erlangt<br />
werden. Die von radioaktiven Stoffen verursachte Dosisleistung<br />
wird durch Multiplikation der Aktivität mit der entsprechenden<br />
Dosisleistungskonstante �H dividiert durch das<br />
Quadrat des Abstandes ermittelt. Die Dosisleistungskonstante<br />
berücksichtigt Strahlenart <strong>und</strong> -qualität <strong>und</strong> damit die<br />
biologische Wirksamkeit der Strahlung individuell für jedes<br />
Radionuklid. Sie hat die Dimension µSv·m 2 /GBq/h. Einige<br />
197
Dosisleistungskonstanten gängiger Radionuklide sind in Tabelle<br />
5.1 zusammengestellt.<br />
Radionuklid<br />
�H in µSv·m 2 /GBq/h<br />
F-18 155<br />
Na-22 322<br />
Mn-56 243<br />
Co-60 351<br />
Tc-99m 16<br />
I-123 39<br />
I-125 39<br />
I-128 14,31<br />
I-131 59<br />
Ba-133 80<br />
Cs-137 88<br />
Ir-192 125<br />
Ra-226 251<br />
U-235 19,17<br />
Am-241 6,6<br />
Tab. 5.1 Dosisleistungskonstanten gängiger Radionuklide<br />
Die Abschirmwirkungen verschiedener Materialen, die ebenfalls<br />
in die Aufstellung eines Strahlenschutzplans eingehen,<br />
kann für die Strahlung einiger Radionuklide der DIN 6844<br />
Teil 3 <strong>und</strong> für die Strahlung aus Röntgenanlagen der DIN<br />
6812 entnommen werden. Für nicht aufgeführte Strahlungsarten<br />
<strong>und</strong> Abschirmmaterialien bzw. Abschirmungen unbekannter<br />
Materialzusammensetzung sind Messungen notwendig,<br />
um die Schwächungsfaktoren zu bestimmen.<br />
Personenkontamination <strong>und</strong> Dekontaminationsmöglichkeiten<br />
Beim Umgang mit offenen radioaktiven Substanzen besteht<br />
neben der rein äußerlichen Strahlenexposition die Gefahr<br />
der Kontamination der Kleidung oder, noch gefährlicher, der<br />
Haut. Eine Kontamination ist das Aufbringen eines radioaktiven<br />
Stoffes auf eine Person oder einen Gegenstand, d.h. die<br />
Person, der Gegenstand ist kontaminiert. Oft sind die Stoff-<br />
198
mengen so klein, dass eine Kontamination unter Umständen<br />
erst viel später bemerkt wird, aber dennoch eine erhebliche<br />
Strahlenexposition verursacht. Dies bewirkt der minimale<br />
Abstand durch den direkten Körperkontakt. Zudem kann das<br />
Strahlungsfeld nicht wie bei einer stationären Strahlungsquelle<br />
ohne weiteres verlassen werden.<br />
Besonders Radionuklide, die Alpha- oder Betastrahlung<br />
emittieren, können nicht unerhebliche Strahlenschäden verursachen.<br />
Die Eindringtiefe der Strahlung ins Gewebe ist<br />
zwar relativ begrenzt, das heißt aber, dass ihre gesamte<br />
Energie lokal deponiert wird. Entsprechend groß ist ihre<br />
schädigende Wirkung. Gerade Alphastrahlung, deren Anteil<br />
an der Personendosis sonst allein wegen der Abschirmwirkung<br />
der Luft vernachlässigt werden kann, ist besonders gefährlich.<br />
Die anzuwendenden Schutzmaßnahmen sind trivial, werden<br />
in der Praxis aber leider häufig vernachlässigt. Das Tragen<br />
von entsprechender Schutzkleidung ist beim Umgang mit offenen<br />
radioaktiven Stoffen obligatorisch. Diese lässt sich im<br />
Falle einer Kontamination leicht wechseln. Kontaminationen<br />
der Haut lassen sich so vermeiden. Beim Umgang mit Alpha-<br />
oder Betastrahlern sollte auf besonders dichte Kleidung<br />
<strong>und</strong> Handschuhe geachtet werden.<br />
Da eine Kontamination nicht ohne weiteres bemerkt werden<br />
kann, ist eine regelmäßige Messung mit einem Kontaminationsmonitor<br />
notwendig. Das sind Strahlungsmessgeräte, mit<br />
denen je nach Auslegung kleine Flächenstücke (tragbare<br />
Handgeräte), Hände <strong>und</strong> Füße gleichzeitig (stationäre Hand-<br />
Fuß-Kleider-Monitore) oder sogar der ganze Körper (Ganzkörperzähler)<br />
auf Kontaminationen untersucht werden können.<br />
Eine regelmäßige Kontrolle von Kleidung <strong>und</strong> Arbeitsplatz<br />
ist nicht nur aus Gründen des Selbstschutzes geboten,<br />
sondern auch zum Schutz der übrigen Mitarbeiter durch die<br />
Vermeidung unbemerkter Verschleppungen von radioaktiven<br />
Substanzen.<br />
Hat eine Kontamination stattgef<strong>und</strong>en <strong>und</strong> ist diese erkannt<br />
worden, so müssen unverzüglich Dekontaminationsmaßnahmen<br />
getroffen werden. Der radioaktive Stoff muss entfernt<br />
<strong>und</strong> so gelagert werden, dass eine weitere Personengefährdung<br />
ausgeschlossen werden kann. Betrifft die Kon-<br />
199
tamination ausschließlich die Kleidung, so kann die Dekontamination<br />
durch einen einfachen Kleiderwechsel vorgenommen<br />
werden. Die kontaminierten Kleidungsstücke sind<br />
dann solange zu lagern, bis die Aktivität durch den radioaktiven<br />
Zerfall auf ein ungefährliches Maß abgeklungen ist,<br />
wobei die Lagerzeit von der Aktivitätsmenge, der Qualität<br />
der emittierten Strahlung <strong>und</strong> den Halbwertszeiten der zur<br />
Kontamination beitragenden Radionuklide abhängt.<br />
Bei einer Kontamination der Haut ist vor allen Dingen<br />
Schnelligkeit gefragt, nicht nur wegen der akuten Strahlenexposition,<br />
sondern auch weil je nach chemischer Verbindung<br />
der Radionuklide die Gefahr einer Diffusion der radioaktiven<br />
Stoffe in die Haut besteht. Eine Dekontamination ist<br />
dann sehr viel aufwendiger wenn nicht gar unmöglich. Die<br />
Dekontamination des Körpers erfolgt durch sorgfältiges Waschen<br />
der betroffenen Körperteile. Hierzu gibt es spezielle<br />
Waschlotionen, die die Dekontamination auf mechanische<br />
(Peeling) oder chemische Art unterstützen. Beim Waschen<br />
ist darauf zu achten, dass eine Aufnahme der Radionuklide<br />
in den Körper vermieden wird. So sollte z. B. die Dekontamination<br />
der Haare nur über den Hinterkopf erfolgen (wie<br />
beim Friseur), so dass kein Wasser in Augen, Ohren oder<br />
gar Nase <strong>und</strong> M<strong>und</strong> gerät. Deswegen sollte bei der Dekontamination<br />
des Kopfes eine weitere Person behilflich sein.<br />
In der Regel ist eine Dekontamination so oft zu wiederholen,<br />
bis die Kontamination vollständig beseitigt ist oder keine<br />
Verbesserungen mehr erreicht werden.<br />
Inkorporation <strong>und</strong> Dekorporationsmöglichkeiten<br />
Die größte Gefahr geht von der Aufnahme radioaktiver Stoffe<br />
in den Körper aus. Die Inkorporation kann über den Magen<br />
(Ingestion), die Lunge (Inhalation) oder über offene<br />
W<strong>und</strong>en geschehen. Die Radionuklide gelangen so in den<br />
Stoffwechselkreislauf <strong>und</strong> können sich unter Umständen in<br />
einigen für die jeweilige chemische Verbindung typischen<br />
Organen anreichern. Hierdurch kann es zu erheblichen Aktivitätskonzentrationen<br />
<strong>und</strong> hohen Organdosen in diesen Organen<br />
kommen. Wie bei der Kontamination sind auch bei<br />
der Inkorporation die Alpha- <strong>und</strong> Betastrahler die Nuklide mit<br />
dem größten Gefährdungspotential. Sie deponieren die<br />
200
Energie ihrer Strahlung direkt in den betroffenen Organen.<br />
Bei manchen Radionukliden (z. B. Uran, Plutonium) geht die<br />
Radiotoxizität mit einer Chemotoxizität einher, die meist das<br />
weitaus größere Risiko darstellt.<br />
Ein zusätzliches Problem stellt die unter Umständen lange<br />
Verweildauer der Radionuklide im Körper dar. Sie verbleiben<br />
solange im Organismus bis sie abgeklungen sind oder auf<br />
natürlichem Wege ausgeschieden werden. Durch die zusätzliche<br />
Möglichkeit der Ausscheidung nimmt die Aktivität<br />
im Körper schneller ab als alleine durch den radioaktiven<br />
Zerfall. Man spricht in diesem Fall auch von einer effektiven<br />
Halbwertszeit.<br />
Da die Abnahme der Aktivität im Körper von zwei voneinander<br />
unabhängigen Prozessen bestimmt wird, ist der Kehrwert<br />
der effektiven Halbwertszeit gleich der Summe der<br />
Kehrwerte der physikalischen <strong>und</strong> der biologischen Halbwertszeit<br />
(1/T1/2,eff = 1/T1/2,phys + 1/T1/2,biol). Beispiel: I-131 in<br />
der Schilddrüse, T1/2,phys � 8 Tage, T1/2,biol � 80 Tage, T1/2,eff �<br />
7,27 Tage.<br />
Im praktischen Strahlenschutz kann zur Ermittlung der Folgedosis,<br />
also derjenigen Dosis, die ein Organ oder Gewebe<br />
als Folge einer einmaligen Zufuhr eines oder mehrerer Radionuklide<br />
im gesamten Zeitraum nach der Aufnahme bis<br />
zum vollständigen Verschwinden dieser Nuklide aus dem<br />
Körper erhält, auf Dosiskoeffizienten zurückgegriffen werden.<br />
Diese Koeffizienten geben jeweils für ein bestimmtes<br />
Nuklid die aus der Inkorporation von einem Becquerel resultierende<br />
Folgedosis an. Dabei werden folgende Daten berücksichtigt:<br />
Physikalisch/chemische Daten des zugeführten Nuklids:<br />
Nuklidart<br />
Halbwertszeit (physikalisch)<br />
Aus der Aktivitätszufuhr abgeleitete Aktivitätskonzentration im Organ<br />
oder Gewebe<br />
Strahlenart(en)<br />
Strahlenenergie(n)<br />
Zerfallsenergie<br />
Absorbierter Anteil der Zerfallsenergie<br />
Chemische Form<br />
Stofflicher Zustand (Gas, Aerosol usw.)<br />
201
Biologische Daten für die Aufnahme durch den Menschen:<br />
Alter (Kleinkind, Kind, Erwachsener)<br />
Geschlecht<br />
Körpergewicht<br />
Aufnahmeweg (Inhalation, Ingestion)<br />
Resorbierter Anteil der zugeführten Aktivitätsmenge<br />
Verteilungsmuster des aufgenommenen Nuklids im Körper (bestimmt<br />
durch physikalische Halbwertszeit sowie Anreicherung,<br />
Stoffwechsel <strong>und</strong> Ausscheidung)<br />
Kritische Organe für das aufgenommene Nuklid<br />
Gewicht <strong>und</strong> Größe der kritischen Organe<br />
Die heute gültigen Dosiskoeffizienten sind im B<strong>und</strong>esanzeiger<br />
veröffentlicht (Bekanntmachung der Dosiskoeffizienten<br />
zur Berechnung der Strahlenexposition vom 23.07.2001,<br />
BAnz. Nr. 160a <strong>und</strong> 160b) /BUA-01/.<br />
In der Medizin ist die Inkorporation <strong>und</strong> Anreicherung von Radionukliden<br />
zu therapeutischen Zwecken erwünscht, wie z. B. bei der<br />
Radioiod-Therapie bei Schilddrüsenerkrankungen. Der Betastrahler<br />
I-131 reichert sich vorwiegend in der Schilddrüse an <strong>und</strong> kann dort<br />
seine strahlentherapeutische Wirkung entfalten. Das übrige Iod,<br />
das nicht in der Schilddrüse gespeichert wird, wird über die Nieren<br />
ausgeschieden. Der Ausscheidungsprozess kann durch Flüssigkeitsgabe<br />
beschleunigt werden, um die Strahlenexposition der Nieren<br />
<strong>und</strong> der Blase gering zu halten.<br />
Ein Beispiel für die unerwünschte Inkorporation ist die Inhalation<br />
von Polonium-210 mit dem Zigarettenrauch. Das in der Natur seltene<br />
Polonium-210, ein Alphastrahler, reichert sich auf den Tabakblättern<br />
an <strong>und</strong> wird mit dem Feinstaub des Zigarettenrauchs inhaliert.<br />
Aufgr<strong>und</strong> der geringen Selbstreinigungsfähigkeit der Lunge<br />
von Feinstaub verbleibt es dort praktisch ein Leben lang <strong>und</strong> ist<br />
mitverantwortlich für das erhöhte Lungenkrebsrisiko.<br />
Generell gilt zur Vermeidung von Inkorporationen wie auch<br />
zur Vermeidung von Kontaminationen das Tragen von<br />
Schutzkleidung am Arbeitsplatz, speziell von Handschuhen.<br />
Leicht flüchtige Substanzen sollten nur in einem Abzug verarbeitet<br />
werden, die Abluft ist mit entsprechenden Filtern zu<br />
reinigen. Insbesondere gilt an allen Arbeitsplätzen, an denen<br />
mit offenen radioaktiven Substanzen umgegangen wird, ein<br />
absolutes Verbot von Rauchen, Essen, Trinken, Schminken<br />
etc. Hierdurch wird die Möglichkeit einer Inkorporation durch<br />
eventuell kontaminierte Hände eingeschränkt. Alle Tätigkei-<br />
202
ten, bei denen die Hände ins Gesicht bzw. an den M<strong>und</strong> geführt<br />
werden, sollten erst dann durchgeführt werden, nachdem<br />
die Hände auf eventuelle Kontamination geprüft worden<br />
sind.<br />
Ähnlich wie bei der Kontaminationsüberwachung bedient<br />
man sich zur Überwachung möglicher Inkorporationen<br />
hochempfindlicher Messgeräte wie z. B. Ganzkörper- bzw.<br />
Teilkörperzähler. Daneben besteht auch die Möglichkeit der<br />
Messung der Aktivitätskonzentrationen in den Ausscheidungen<br />
oder im Blut. Ein gängiges Verfahren zur Abschätzung<br />
eines generellen Inkorporationsrisikos durch Inhalation ist<br />
die Bestimmung der Aktivitätskonzentration in der Raumluft.<br />
Die erste Dekorporationsmaßnahme ist die Beschleunigung<br />
des natürlichen Stoffwechsels, um die Ausscheidung der<br />
Radionuklide zu forcieren. Denkbar ist z. B. die verstärkte<br />
Gabe von Flüssigkeit zur Ausschwemmung oder Abführmittel,<br />
sofern sich die Radionuklide noch im Verdauungstrakt<br />
befinden.<br />
Generell ist nach einer Inkorporation rasches Handeln erforderlich.<br />
Hat erst mal die Anreicherung der inkorporierten<br />
Substanzen in den Organen stattgef<strong>und</strong>en, sind die Radionuklide<br />
meist nur schwer <strong>und</strong> in langwierigen Prozessen<br />
wieder aus dem Körper entfernbar. In diesen Fällen muss<br />
zwischen den Ges<strong>und</strong>heitsgefährdungen der medikamentösen<br />
Ausscheidungskuren einerseits <strong>und</strong> des Verbleibs der<br />
radioaktiven Nuklide im Körper andererseits sorgfältig abgewogen<br />
werden. Sind die inkorporierten Elemente nicht toxisch,<br />
so können auch große Mengen stabiler Nuklide desselben<br />
Elements eingenommen werden. Dies führt zu einer<br />
Verdünnung <strong>und</strong> Verdrängung der instabilen, radioaktiven<br />
Nuklide im Körper. Genau dieses Verfahren lag der Empfehlung<br />
zu Gr<strong>und</strong>e, nach dem Reaktorunglück in Tschernobyl<br />
Algen zu essen. Die iodreiche Nahrung sollte den Iodbedarf<br />
der Schilddrüse mit stabilem Iod-127 stillen, so dass das radioaktive<br />
Iod-131 nicht aufgenommen <strong>und</strong> gespeichert wird.<br />
Zum Zweck der medizinischen Versorgung <strong>und</strong> Risikoabschätzung<br />
bei Inkorporationen größerer Mengen radioaktiver<br />
Stoffe sowie bei schweren Kontaminationen sind regionale<br />
Strahlenschutzzentren eingerichtet worden. In ihnen ist das<br />
203
physikalische <strong>und</strong> medizinische Know-how für sofortige<br />
Hilfsmaßnahmen vorhanden. In Bayern sind dies:<br />
Regionales Strahlenschutzzentrum München<br />
Städtisches Krankenhaus Schwabing<br />
Institut für medizinische Physik<br />
Regionales Strahlenschutzzentrum Neuherberg<br />
GSF Forschungszentrum<br />
Institut für Strahlenschutz<br />
Regionales Strahlenschutzzentrum Würzburg<br />
Universität Würzburg<br />
Klinik <strong>und</strong> Poliklinik für Nuklearmedizin<br />
5.2 Gesetzliche Schutzvorschriften<br />
Der Umgang mit radioaktiven Substanzen sowie die Errichtung<br />
<strong>und</strong> der Betrieb von Anlagen, die ionisierende Strahlung<br />
erzeugen, sind im Atomgesetz (AtG) /ATG-85/ geregelt.<br />
Vornehmlich ist damit die friedliche Nutzung der Kernenergie<br />
gemeint. Das Atomgesetz enthält aber auch alle Rechtsvorschriften,<br />
um Leben, Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> Sachgüter vor der<br />
schädlichen Wirkung ionisierender Strahlen zu schützen. Im<br />
Atomgesetz ist die Möglichkeit vorgesehen Rechtsverordnungen<br />
zur Konkretisierung der Schutzmaßnahmen zu erlassen.<br />
Dies ist mit dem Erlass der Strahlenschutzverordnung<br />
(StrlSchV) <strong>und</strong> der Röntgenverordnung (RöV) geschehen.<br />
Vorsorgemaßnahmen <strong>und</strong> ein wirksames <strong>und</strong> koordiniertes<br />
Vorgehen aller beteiligten Dienststellen in B<strong>und</strong><br />
<strong>und</strong> Ländern bei großräumig wirkenden Verfrachtungen von<br />
<strong>Radioaktivität</strong> auf das Gebiet der B<strong>und</strong>esrepublik sind im<br />
Strahlenschutzvorsorgegesetz (StrVG) geregelt.<br />
Strahlenschutzverordnung (StrlSchV)<br />
Die Strahlenschutzverordnung /STR-01/ enthält Gr<strong>und</strong>sätze<br />
<strong>und</strong> Anforderungen für Vorsorge- <strong>und</strong> Schutzmaßnahmen<br />
zum Schutz von Mensch <strong>und</strong> Umwelt vor der schädigenden<br />
Wirkung ionisierender Strahlung natürlichen oder zivilisatorischen<br />
Ursprungs. Mit der Neufassung der Strahlenschutzverordnung<br />
vom 20.7.2001 (zuletzt geändert am 1.9.2005)<br />
sind die europäischen Richtlinien 96/29/EURATOM <strong>und</strong><br />
204
97/43/EURATOM in deutsches Recht umgesetzt worden. In<br />
ihr sind weiterführende Regelungen zum Umgang mit radioaktiven<br />
Stoffen sowie zu der Errichtung <strong>und</strong> dem Betrieb von<br />
Anlagen zur Erzeugung ionisierender Strahlung enthalten.<br />
Für die Genehmigung <strong>und</strong> die Überwachung des Umgangs<br />
mit radioaktiven Stoffen <strong>und</strong> des Betriebs von Beschleunigeranlagen<br />
nach der Strahlenschutzverordnung ist in Bayern<br />
das Landesamt für Umwelt zuständig.<br />
- Festlegung der Grenzwerte unter ges<strong>und</strong>heitlichen,<br />
gesellschaftspolitischen <strong>und</strong> ökonomischen Aspekten<br />
Die internationale Strahlenschutzkommission (ICRP) bewertet<br />
die Ergebnisse <strong>und</strong> Erkenntnisse über die biologische<br />
Wirksamkeit ionisierender Strahlung <strong>und</strong> veröffentlicht in regelmäßigen<br />
Abständen aktualisierte Strahlenschutzempfehlungen.<br />
Die derzeit gültigen Empfehlungen zu Dosisgrenzwerten<br />
sind 1991 in der ICRP Publikation Nr. 60 erschienen<br />
/ICR-91/. Der Entwurf einer Neufassung ist als Diskussionsgr<strong>und</strong>lage<br />
erhältlich. Die ICRP ist ein international anerkanntes,<br />
unabhängiges Expertengremium von derzeit 13 Wissenschaftlern.<br />
Ihre Empfehlungen bilden in vielen Ländern<br />
die Gr<strong>und</strong>lage für die gesetzlichen Schutzvorschriften. So<br />
sind die empfohlenen Grenzwerte unter anderem auch in<br />
der europäischen Richtlinie 96/29/EURATOM übernommen<br />
worden <strong>und</strong> seit Bekanntgabe der Strahlenschutzverordnung<br />
vom 20.7.2001 <strong>und</strong> der Röntgenverordnung (RöV)<br />
vom 18.06.2002 in der B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland bindend.<br />
Die festgelegten Grenzwerte sollen die möglichen Risiken<br />
auf ein akzeptables Maß begrenzen. Diese Begründung<br />
bedeutet, dass das Risiko auch bei Einhaltung des<br />
Grenzwertes nicht gleich Null ist <strong>und</strong> bei Überschreitung<br />
nicht sofort bedrohliche Ausmaße erreicht.<br />
Dem praktischen Strahlenschutz liegt das ALARA-Prinzip<br />
(As Low As Reasonably Achievable) der internationalen<br />
Strahlenschutzkommission zugr<strong>und</strong>e. Im Einzelnen beinhaltet<br />
das ALARA-Prinzip:<br />
Rechtfertigung<br />
Der Nutzen aus einem Umgang mit ionisierender Strahlung<br />
muss die möglichen Gefährdungen überwiegen.<br />
205
Dosisbegrenzung<br />
Die Grenzwerte der Personendosis für Einzelpersonen der<br />
Bevölkerung (1 mSv/a, StrlSchV, RöV) <strong>und</strong> für beruflich<br />
strahlenexponierte Personen (20 mSv/a, StrlSchV, RöV)<br />
müssen eingehalten werden.<br />
Dosisreduzierung<br />
Die Dosis soll auch unterhalb der Grenzwerte nach wirtschaftlichen<br />
<strong>und</strong> sozialen Gesichtspunkten bestmöglich reduziert<br />
werden.<br />
Kritiker halten der ICRP oft vor, zu industriefre<strong>und</strong>lich zu<br />
sein. Sie würde mit ihren Grenzwerten <strong>und</strong> dem Zusatz der<br />
Wirtschaftlichkeit bei der Dosisreduzierung den aktuellen<br />
Belastungsstand festschreiben. Ebenso seien neue wissenschaftliche<br />
Erkenntnisse, dass das Risiko niederer Strahlendosen<br />
unterschätzt wird, nicht berücksichtigt worden. Umgekehrt<br />
versuchen einige Vertreter der Industrie, die ICRP<br />
zur Wiedereinführung des Schwellenmodels für stochastische<br />
Strahlenschäden zu bewegen. Beträchtliche Investitionsersparnisse<br />
im baulichen Strahlenschutz aufgr<strong>und</strong> höherer<br />
Grenzwerte wären die Folge.<br />
Es sollte dabei aber nicht vergessen werden, dass es gute<br />
Argumente für die Wahl der Grenzwerte gibt. So liegt der<br />
Grenzwert für die effektive Dosis von 1 mSv/a, die Einzelpersonen<br />
der Bevölkerung zugemutet werden darf, innerhalb<br />
der Schwankungsbreite der natürlichen Strahlenbelastung.<br />
Auswirkungen auf die Ges<strong>und</strong>heit des Menschen<br />
konnten in diesem Dosisbereich bisher nicht nachgewiesen<br />
werden. Bei einer effektiven Jahresdosis von 20 mSv, das<br />
ist der Grenzwert für beruflich strahlenexponierte Personen,<br />
ist das Risiko strahlenbedingter Erkrankungen ebenso hoch<br />
wie das Unfallrisiko in anderen hoch technisierten Berufszweigen,<br />
in denen das Unfallrisiko gesellschaftlich akzeptiert<br />
ist.<br />
Bei der Anwendung des Konzepts der effektiven Dosis, das<br />
die relative Strahlenempfindlichkeit der einzelnen Organe<br />
<strong>und</strong> Gewebe berücksichtigt, wird die Festsetzung gesonderter<br />
Dosisgrenzwerte für einzelne Organe oder Gewebe im<br />
Prinzip unnötig, zur sicheren Vermeidung akuter (nichtstochastischer)<br />
Schäden ist sie jedoch in bestimmten Fällen<br />
sinnvoll (vgl. Tabelle 5.2).<br />
206
Organ Über 18 Unter 18<br />
Augenlinse 150 15<br />
mSv/a mSv/a<br />
Haut, Hände, Unterarme, Füße, 500 50<br />
Knöchel<br />
mSv/a mSv/a<br />
Keimdrüsen, Gebärmutter, Knochenmark<br />
50 mSv/a<br />
Schilddrüse, Knochenoberfläche 300<br />
mSv/a<br />
Dickdarm, Lunge, Magen, Blase, 150<br />
Brust, Leber, Speiseröhre, andere<br />
Organe<br />
mSv/a<br />
Tab. 5.2 Grenzwerte der jährlichen Organdosen beruflich strahlenexponierter<br />
Personen<br />
Besonderer Schutz gilt dem ungeborenen Leben. So ist die<br />
Dosis an der Gebärmutter gebärfähiger Frauen auf 2 mSv<br />
im Monat beschränkt. Ab Bekantwerden einer Schwangerschaft<br />
darf die Dosis für das ungeborene Kind bis zum Ende<br />
der Schwangerschaft höchstens 1 mSv betragen.<br />
Ausnahmen von den Grenzwerten gibt es in der Anwendung<br />
radioaktiver Stoffe <strong>und</strong> ionisierender Strahlen am Patienten<br />
zu medizinischen Zwecken. Hier sind die Grenzwerte durch<br />
die Vorschrift ersetzt, dass die durch die ärztlichen Untersuchungen<br />
bzw. Therapien bedingte Strahlenexposition so<br />
weit einzuschränken ist, wie dies mit den Erfordernissen der<br />
medizinischen Wissenschaft vereinbar ist. Entsprechende<br />
Regelungen finden sich auch in der Röntgenverordnung.<br />
Das ALARA-Prinzip ist in der deutschen Strahlenschutzverordnung<br />
(StrlSchV) verankert (§§ 4, 5, 6), allerdings mit<br />
einer entscheidenden Änderung. Die Dosisminimierung soll<br />
hier nicht nach wirtschaftlichen Aspekten erfolgen sondern<br />
nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft <strong>und</strong> Technik.<br />
Der Schutz der Einzelperson steht hierbei eindeutig im Vordergr<strong>und</strong>.<br />
Die deutsche Strahlenschutzkommission (SSK) ist das nationale<br />
Pendant zur ICRP. Sie veröffentlicht ebenfalls<br />
Empfehlungen <strong>und</strong> Stellungnahmen zu Strahlenschutzthemen<br />
<strong>und</strong> berät das B<strong>und</strong>esministerium für Umwelt, Natur-<br />
207
schutz <strong>und</strong> Reaktorsicherheit. Ihr Einfluss auf die Grenzwerte<br />
ist allerdings gering, da die B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland<br />
an die EURATOM-Richtlinien geb<strong>und</strong>en ist. Einzig eine Verschärfung,<br />
d.h. eine Absenkung, der nationalen Grenzwerte<br />
gegenüber denjenigen in den europäischen Richtlinien ist<br />
möglich. Der Schwerpunkt der SSK liegt bei Empfehlungen<br />
zur praktischen Durchführung des Strahlenschutzes <strong>und</strong> zur<br />
Handhabung der Grenzwerte.<br />
- Höchstwerte der Oberflächen- <strong>und</strong> massenbezogenen<br />
Kontamination<br />
Dem Betreiber einer Anlage, in der mit radioaktiven Substanzen<br />
umgegangen wird oder in der ionisierende Strahlung<br />
erzeugt wird, obliegt die Einhaltung der Grenzwerte.<br />
Der Schutz vor äußerer Strahlenexposition durch die beim<br />
Betrieb entstehende ionisierende Strahlung kann durch die<br />
bekannten Maßnahmen Abstand, Abschirmung <strong>und</strong> Aufenthaltszeit<br />
(vgl. Kapitel 5.1) realisiert werden.<br />
Ebenso wichtig ist die Vermeidung einer unkontrollierten<br />
Verbreitung radioaktiver Substanzen. Die Verbreitung kann<br />
mit der Abluft, dem Abwasser, Abfällen oder kontaminierten<br />
Gegenständen geschehen. Einmal freigesetzt, gelangen die<br />
radioaktiven Nuklide über die Nahrungskette in den menschlichen<br />
Körper <strong>und</strong> führen so zu einer inneren Strahlenexposition.<br />
Daher ist das Herausbringen eines Gegenstandes<br />
aus Kontrollbereichen, in denen mit offenen radioaktiven<br />
Substanzen umgegangen wird, streng reglementiert. Erlaubt<br />
ist das Entfernen nur für Kleidung, Werkzeuge, Messgeräte<br />
<strong>und</strong> sonstige Apparate, die auf Kontaminationen überprüft<br />
worden sind, d.h. deren Oberflächenaktivität bzw. massenspezifische<br />
Aktivität unterhalb bestimmter Grenzwerte liegt<br />
(StrlSchV § 44).<br />
Die Festlegung von Grenzwerten, die vor den Gefahren einer<br />
inneren Strahlenexposition schützen sollen, kann nur<br />
nuklidspezifisch getroffen werden. Denn neben der freigesetzten<br />
Aktivität sind auch Strahlenart <strong>und</strong> Strahlenqualität<br />
für die biologische Wirksamkeit entscheidend. Genauso gilt<br />
es, die physikalische <strong>und</strong> die biologische Halbwertszeit der<br />
Nuklide zu berücksichtigen, wie auch die unterschiedliche<br />
Strahlenempfindlichkeit der verschiedenen Organe, in denen<br />
208
eine Aktivitätsanreicherung wahrscheinlich ist. Zuletzt sind<br />
die unterschiedlichen Expositionspfade, Ingestion oder Inhalation,<br />
in Betracht zu ziehen. Die effektive Dosis von Einzelpersonen<br />
der Bevölkerung bei Inkorporation von Radionukliden<br />
können der Bekanntmachung der Dosiskoeffizienten zur<br />
Berechnung der Strahlenexposition vom 23.07.2001, BAnz.<br />
Nr. 160a <strong>und</strong> 160b /BUA-01/, entnommen werden. Den Berechnungen<br />
liegt ein alters- <strong>und</strong> geschlechtsabhängiges<br />
Stoffwechselmodell zugr<strong>und</strong>e.<br />
In der Strahlenschutzverordnung wurden die Grenzwerte unter<br />
der Vorgabe festgelegt, dass für Einzelpersonen der Bevölkerung<br />
eine zusätzliche effektive Dosis von nicht mehr<br />
als 10 �Sv/a (1/100 des Jahresgrenzwertes) durch die Freisetzung<br />
kontaminierter Gegenstände auftreten kann. Dem<br />
Ausbreitungsverhalten der freigesetzten radioaktiven Substanzen<br />
wird unter anderem dadurch Rechnung getragen,<br />
dass die Grenzwerte nicht für absolute Aktivitätsmengen<br />
sondern für Aktivitätskonzentrationen angegeben werden<br />
(vgl. Tabelle 5.3). Wenn der Gegenstand mit mehr als einem<br />
radioaktiven Nuklid kontaminiert ist, wird die Summenformel<br />
angewendet. Die Summenformel verhindert die Erhöhung<br />
des Gefährdungspotentials durch Nuklidgemische. Ein Gegenstand<br />
gilt demnach als nicht kontaminiert, wenn die<br />
Summe der Quotienten aus Aktivitätskonzentration <strong>und</strong> dem<br />
jeweiligen Grenzwert kleiner als 1 ist, d.h. wenn z. B. bei einem<br />
Gemisch aus zwei Nukliden die Aktivitätskonzentration<br />
des einen Nuklids bereits 60 % des spezifischen Grenzwertes<br />
beträgt, dann darf die Aktivitätskonzentration des anderen<br />
höchstens 40 % seines Grenzwertes betragen.<br />
In Strahlenschutzbereichen muss die Oberflächenkontamination<br />
der Arbeitsflächen regelmäßig kontrolliert werden. Die<br />
Grenzwerte hierbei beziehen sich allerdings nur auf die nicht<br />
haftenden Kontaminationen zur Vermeidung von unbemerkten<br />
Personenkontaminationen <strong>und</strong> Inkorporationen. Da in<br />
den Strahlenschutzbereichen ausschließlich eingewiesenes<br />
Personal tätig ist, das um die möglichen Gefährdungen weiß<br />
<strong>und</strong> sich entsprechend verhält, liegen die Grenzwerte im<br />
Überwachungsbereich um den Faktor 10, im Kontrollbereich<br />
um den Faktor 100 höher als beim Herausbringen von Gegenständen<br />
aus dem Kontrollbereich.<br />
209
RadioOberflächenkontaminuklidnation in Bq/cm 2<br />
Spezifische Aktivität<br />
in Bq/g<br />
H-3 1 E+2 1 E+3<br />
C-14 1 E+2 8 E+1<br />
F-18 1 1 E+1<br />
Co-60 1 0,1<br />
Tc-99m 1 E+1 1 E+2<br />
I-131 1 E+1 2<br />
Cs-137 1 5 E-1<br />
U-235 1 5 E-1<br />
U-238 1 6 E-1<br />
Tab. 5.3 Grenzwerte einiger Radionuklide für Oberflächen- <strong>und</strong><br />
massenbezogene Kontaminationen (StrlSchV Anlage III Tabelle 1)<br />
- Freigabeverfahren<br />
Bis zur Neufassung der Strahlenschutzverordnung vom<br />
20.7.2001 konnten nur nicht kontaminierte oder dekontaminierte<br />
Gegenstände aus Kontrollbereichen entfernt werden.<br />
Der Gegenstand selbst aber musste inaktiv sein. Zudem beschränkten<br />
sich die entfernbaren Gegenstände auf Kleidung,<br />
Werkzeuge, Messgeräte <strong>und</strong> sonstige Apparate. Aber<br />
auch ursprünglich radioaktive Substanzen zerfallen mit ihren<br />
spezifischen Halbwertszeiten <strong>und</strong> sind schließlich inaktiv.<br />
Eine Abgabe dieser nunmehr inaktiven Stoffe in den normalen<br />
Umgang war bisher nicht vorgesehen, die teure Einlagerung<br />
in Sonderlager war die Regel.<br />
Mit dem neuen Freigabeverfahren unterliegen ehemals radioaktive<br />
Stoffe nach der Freigabe nicht mehr der Strahlenschutzverordnung.<br />
Sie können wie inaktive Stoffe behandelt<br />
werden. Freigegeben werden können bewegliche, feste <strong>und</strong><br />
flüssige Gegenstände, aber auch Einrichtungen, Räume <strong>und</strong><br />
sogar ganze Gebäude. Jede Freigabe muss zuvor bei der<br />
zuständigen Aufsichtsbehörde (in Bayern das Landesamt für<br />
Umwelt) beantragt <strong>und</strong> von dieser genehmigt werden. Das<br />
genaue Verfahren ist in § 29 der Strahlenschutzverordnung<br />
beschrieben.<br />
Vorraussetzung für die Freigabe ist, wie beim Herausbringen<br />
von nicht kontaminierten Gegenständen aus dem Kontrollbereich,<br />
die Beschränkung der zusätzlichen effektiven<br />
210
Dosis von Einzelpersonen der Bevölkerung durch die freigegebenen<br />
Aktivitäten auf höchstens 10 �Sv/a. Die Grenzwerte<br />
der erlaubten Aktivitätskonzentrationen für die Freigabe<br />
sind ebenfalls nuklidspezifisch. Je nach Weiterverwendung<br />
der freigegebenen Gegenstände gelten verschieden strenge<br />
Werte. Unterschieden wird dabei zwischen einer uneingeschränkten<br />
Freigabe <strong>und</strong> einer Freigabe zur Beseitigung.<br />
Die strengeren Grenzwerte gelten für die uneingeschränkte<br />
Freigabe, für die keine Angaben über den Verbleib der<br />
freigegebenen Gegenstände oder Räume gemacht werden<br />
müssen. Sollen die freigegebenen Gegenstände beseitigt<br />
bzw. die Gebäude abgerissen werden, kann davon ausgegangen<br />
werden, dass diese auf einer Mülldeponie landen.<br />
Hier ist mit keinem großen Publikumsverkehr zu rechnen<br />
<strong>und</strong> die Gefährdungswahrscheinlichkeit für Einzelpersonen<br />
der Bevölkerung weitaus geringer als bei einer Wiederverwertung.<br />
Dementsprechend höher sind die Grenzwerte angesetzt.<br />
Unabhängig davon ob eine uneingeschränkte Freigabe oder<br />
eine Freigabe zur Beseitigung / zum Abriss erlangt werden<br />
soll, entscheidend für das Freigabeverfahren ist, dass die<br />
Stoffe nicht absichtlich verdünnt werden dürfen, um die<br />
Grenzwerte für die massenbezogenen Aktivitätskonzentrationen<br />
zu unterschreiten. Das Abklingen der Aktivität durch<br />
entsprechende Lagerzeiten aufgr<strong>und</strong> des radioaktiven Zerfalls<br />
ist das alleinig gültige Verfahren zum Unterschreiten<br />
der Grenzwerte. Bei Nuklidgemischen ist die Summenformel,<br />
wie im vorangegangenen Abschnitt beschrieben, anzuwenden.<br />
Röntgenverordnung (RöV)<br />
Auf gleicher Ebene mit der Strahlenschutzverordnung steht<br />
die Röntgenverordnung /RÖV-01/. Wie mit der aktuellen<br />
Strahlenschutzverordnung werden mit der Neufassung der<br />
RöV vom 30.4.2003 die europäischen Richtlinien 96/29/<br />
EURATOM <strong>und</strong> 97/43/EURATOM umgesetzt. Im Gegensatz<br />
zur StrlSchV ist der Zweck der RöV nicht explizit erwähnt. Er<br />
ergibt sich aus §1 des Atomgesetzes <strong>und</strong> dem vollständigen<br />
Titel der Röntgenverordnung: Verordnung über den Schutz<br />
vor Schäden durch <strong>Röntgenstrahlen</strong>.<br />
211
Der Anwendungsbereich der Röntgenverordnung ist auf den<br />
Betrieb von Röntgeneinrichtungen <strong>und</strong> Störstrahlern mit<br />
Elektronenenergien von 5 keV bis 1 MeV beschränkt. Röntgeneinrichtungen<br />
sind Einrichtungen, die zum Zweck der<br />
Erzeugung von <strong>Röntgenstrahlen</strong> betrieben werden. Zur<br />
Röntgeneinrichtung gehören der Röntgenstrahler, der Generator,<br />
Anwendungsgeräte <strong>und</strong> Zubehör. Die bekanntesten<br />
Anwendungen von Röntgeneinrichtungen sind die Aufnahme-<br />
<strong>und</strong> Durchleuchtungseinrichtungen sowie die Computertomographie<br />
in der Medizin. Ein weiteres großes Anwendungsgebiet<br />
ist die zerstörungsfreie Materialprüfung. Stör-<br />
strahler sind Einrichtungen, die <strong>Röntgenstrahlen</strong> erzeugen,<br />
ohne zu diesem Zweck betrieben zu werden. Typische Störstrahler<br />
im genannten Energiebereich sind Spezialröhren<br />
zur Mikrowellenerzeugung, Elektronenröhren zum Senden,<br />
Schalten, Gleichrichten, Geräte zur Materialuntersuchung<br />
durch Elektronenstrahlen, z. B. Elektronenmikroskope, Geräte<br />
zur Materialbearbeitung durch Elektronenstrahlen, z. B.<br />
Elektronenstrahlschweißanlagen oder Elektronenbeschleunigeranlagen<br />
zur Kunststoffvernetzung, Abwasserentfärbung,<br />
Sterilisation. Vielen ist aber nicht bewusst, dass sie<br />
beinahe täglich mit Störstrahlern nach der Röntgenverordnung<br />
zu tun haben, mit dem Fernseher oder dem Computerbildschirm.<br />
Gemeint sind nicht die neuen TFT- oder<br />
Plasmabildschirme, sondern die üblichen Röhrenbildschirme,<br />
in denen Elektronen zur Bilderzeugung beschleunigt<br />
werden. Das ist eine der wenigen Ausnahmen, bei denen<br />
nicht der Betreiber sondern der Hersteller für den Strahlenschutz<br />
verantwortlich ist. Explizit ist hier nur der Betrieb <strong>und</strong><br />
nicht wie in der StrlSchV auch die Errichtung gemeint, da bei<br />
Röntgenanlagen ausschließlich beim Betrieb ionisierende<br />
Strahlung entsteht. Die RöV hat einen uneingeschränkten<br />
Geltungsbereich. Es wird nicht unterschieden zwischen den<br />
industriellen, technischen, wissenschaftlichen oder medizinischen<br />
Zwecken. Die RöV gilt folglich, soweit ihr Geltungsbereich<br />
in den einzelnen Bestimmungen der Verordnung nicht<br />
ausdrücklich beschränkt ist, für den gewerblichen Unternehmer,<br />
freiberuflich Tätige, also für Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte,<br />
Wissenschaftler, für Unternehmen ohne Erwerbscharakter,<br />
z. B. gemeinnützige Krankenhäuser, für Privatpersonen<br />
<strong>und</strong> auch für die öffentliche Verwaltung (B<strong>und</strong>, Länder,<br />
212
Gemeinden, Gemeindeverbände, Körperschaften, Stiftungen<br />
<strong>und</strong> Anstalten des öffentlichen Rechts). Für die Genehmigung<br />
<strong>und</strong> die Überwachung des Betriebs von Röntgeneinrichtungen<br />
nach der Röntgenverordnung sind in Bayern die<br />
Gewerbeaufsichtsämter bei den Regierungen zuständig.<br />
Die Strahlenschutzgr<strong>und</strong>sätze <strong>und</strong> die Grenzwerte für beruflich<br />
strahlenexponierte Personen sowie für Einzelpersonen<br />
der Bevölkerung sind in der Röntgenverordnung <strong>und</strong> in der<br />
Strahlenschutzverordnung gleich. Die Äquivalentdosis<br />
macht gerade unterschiedliche Strahlenarten vergleichbar,<br />
so dass für die Grenzwerte die Herkunft der Strahlung (<strong>Radioaktivität</strong><br />
oder Röntgenröhre) keine Rolle spielt. Die einzelnen<br />
Regelungen sind ähnlich <strong>und</strong> lediglich an die Besonderheiten<br />
angepasst.<br />
Gr<strong>und</strong>sätzlich bedarf der Betrieb jeder Röntgeneinrichtung<br />
der Genehmigung. Unter bestimmten Voraussetzungen genügt<br />
eine Anzeige. Im Genehmigungsverfahren wird geprüft,<br />
ob Strahlenschutzbeauftragte in der entsprechenden Anzahl<br />
schriftlich bestellt sind <strong>und</strong> die Fachk<strong>und</strong>e im Strahlenschutz<br />
auf dem jeweiligen Verwendungsgebiet besitzen, ob Hilfskräfte<br />
Kenntnisse im Strahlenlschutz haben <strong>und</strong> ob alle<br />
Maßnahmen zur Gewährleistung ausreichenden Strahlenschutzes<br />
einschließlich der Qualitätssicherung getroffen<br />
sind.<br />
Alle Röntgeneinrichtungen, auch Hochschutz- <strong>und</strong> Vollschutzgeräte<br />
müssen einer wiederkehrenden Prüfung durch<br />
einen Sachverständigen unterzogen werden. Der Zeitabstand<br />
zwischen den wiederkehrenden Prüfungen beträgt<br />
maximal 5 Jahre.<br />
Personen, denen der Zutritt zum Kontrollbereich erlaubt ist,<br />
oder Personen, die <strong>Röntgenstrahlen</strong> anwenden, sind über<br />
die Arbeitsmethoden, Gefahren <strong>und</strong> Schutzmaßnahmen zu<br />
unterweisen.<br />
Außergewöhnliche Ereignisabläufe oder Betriebszustände<br />
beim Betrieb einer Röntgeneinrichtung oder eines Störstrahlers<br />
nach § 5 Abs. 1 sind der zuständigen Behörde unverzüglich<br />
zu melden, wenn zu besorgen ist, dass eine Person<br />
eine Strahlenexposition erhalten haben kann, die die<br />
Grenzwerte der Körperdosis nach § 31a Abs. 1 oder 2 über-<br />
213
steigt, oder sie von erheblicher sicherheitstechnischer Bedeutung<br />
sind.<br />
Neue Regelungen in der StrlSchV <strong>und</strong> in der RöV<br />
Neben dem bereits besprochenen Freigabeverfahren sind in<br />
die Neufassung der Strahlenschutzverordnung vom 20.7.<br />
2001 weitere bisher nicht enthaltene Regelungen aufgenommen<br />
worden. Einige betreffen die medizinische Anwendung<br />
radioaktiver Stoffe <strong>und</strong> ionisierender Strahlung am<br />
Menschen. Mit den Paragraphen zur rechtfertigenden Indikation,<br />
den Dosisreferenzwerten <strong>und</strong> der ärztlichen Stelle<br />
sollen unnötige Patientendosen vermieden werden. Außerdem<br />
werden nun erstmals natürliche Strahlenquellen bei der<br />
Arbeit berücksichtigt.<br />
- Rechtfertigende Indikation<br />
Bevor ein Patient zu diagnostischen oder therapeutischen<br />
Zwecken ionisierender Strahlung ausgesetzt wird, muss die<br />
rechtfertigende Indikation gestellt werden. Die Frage nach<br />
der rechtfertigenden Indikation steht bewusst vor Beginn der<br />
Untersuchung bzw. Behandlung. Damit wird geklärt, ob der<br />
Nutzen für den Patienten größer ist als der mögliche Schaden<br />
durch die Strahlenexposition.<br />
Verantwortlich ist dabei immer der untersuchende bzw. behandelnde<br />
fachk<strong>und</strong>ige Arzt. Die Anwendung radioaktiver<br />
Stoffe <strong>und</strong> ionisierender Strahlung alleine auf die Anforderung<br />
des überweisenden Arztes ist nicht zulässig. Die rechtfertigende<br />
Indikation muss vom verantwortlichen fachk<strong>und</strong>igen<br />
Arzt gestellt werden. Insbesondere sind dabei eventuell<br />
vorhandene Voruntersuchungen zur Vermeidung von Doppeluntersuchungen<br />
zu berücksichtigen. Ebenso müssen alternative<br />
Untersuchungs- <strong>und</strong> Behandlungsmethoden erwogen<br />
werden, die eine Strahlenexposition des Patienten verringern<br />
oder sogar ganz vermeiden.<br />
Besonders muss der fachk<strong>und</strong>ige Arzt bei der Stellung der<br />
rechtfertigenden Indikation auf die Möglichkeit einer<br />
Schwangerschaft weiblicher Patienten achten. Zum Schutz<br />
des ungeborenen Kindes ist die Untersuchung bzw. Behandlung<br />
mit radioaktiven Stoffen <strong>und</strong> ionisierender Strah-<br />
214
lung meist nur in besonders dringlichen Situationen angebracht.<br />
Gerade wenn offene radioaktive Stoffe angewendet<br />
werden sollen, gilt dies auch für stillende Patientinnen. Eine<br />
Stillpause ist unbedingt zu empfehlen.<br />
- Teleradiologie<br />
Erstmals werden Regelungen zur Teleradiologie getroffen.<br />
Teleradiologie umfasst die Untersuchung des Patienten mit<br />
Röntgenstrahlung <strong>und</strong> die Feststellung des Bef<strong>und</strong>es mit<br />
Hilfe der angefertigten Röntgenaufnahmen an unterschiedlichen<br />
Orten, die über moderne Telekommunikation „online“<br />
miteinander verb<strong>und</strong>en sind. Die Regelung soll einerseits<br />
dem Patienten einen unnötigen Transport in ein anderes<br />
Krankenhaus ersparen, aber andererseits zum Schutz des<br />
Patienten gewährleisten, dass er von ausreichend fachk<strong>und</strong>igem<br />
Personal versorgt wird <strong>und</strong> die zur Datenübertragung<br />
genutzten Einrichtungen nicht zu Verfälschungen der übertragenen<br />
Bilder führen. Um zu verhindern, dass Teleradiologie<br />
im Krankenhaus zum „Normalfall“ <strong>und</strong> damit das entsprechende<br />
Fachpersonal nicht mehr vorgehalten wird, wird<br />
Teleradiologie gr<strong>und</strong>sätzlich auf den Nacht-, Wochenend<strong>und</strong><br />
Feiertagsdienst beschränkt. Die zuständige Landesbehörde<br />
kann eine weitergehende Ausnahmegenehmigung erteilen,<br />
wenn hierfür ein Bedürfnis im Hinblick auf die Patientenversorgung<br />
besteht.<br />
- Diagnostische Referenzwerte<br />
Nachdem die rechtfertigende Indikation gestellt <strong>und</strong> die Anwendung<br />
von radioaktiven Stoffen oder ionisierender Strahlung<br />
am Patienten entschieden ist, gilt es, die Strahlenexposition<br />
auf ein Minimum zu beschränken. Dies geschieht nach<br />
dem Gr<strong>und</strong>satz: So viel wie nötig, so wenig wie möglich.<br />
Aus Sicht des Strahlenschutzes soll die effektive Dosis des<br />
Patienten möglichst gering sein. In der Diagnostik verlangt<br />
der Mediziner detailreiche, rauscharme Bilder, in der Therapie<br />
h<strong>und</strong>ertprozentigen Heilerfolg. Hier gilt es den entsprechenden<br />
Kompromiss zu finden. Ein Szintigramm beispielsweise,<br />
das wegen des Bildrauschens oder der schlechten<br />
Auflösung nicht aussagekräftig ist, verursacht nur unnötige<br />
Strahlenbelastung für den Patienten. Die entsprechende Un-<br />
215
tersuchung müsste wiederholt werden. Umgekehrt bedeutet<br />
jedes Becquerel Aktivität zu viel eine unnötig hohe Strahlenbelastung.<br />
Der Kompromiss schlägt sich in den diagnostischen<br />
Referenzwerten nieder. Für die gängigsten Untersuchungen<br />
werden Dosiswerte bzw. Standardaktivitäten angegeben, die<br />
ohne Begründung nicht überschritten werden dürfen. Mit<br />
den Referenzwerten wird eine einheitliche Basis geschaffen,<br />
fehlerhafte Untersuchungen aufgr<strong>und</strong> falscher Aktivitätsgaben<br />
werden vermieden.<br />
Die diagnostischen Referenzwerte sind Werte aus der Praxis<br />
<strong>und</strong> unter Mitarbeit führender Radiologen <strong>und</strong> Nuklearmediziner<br />
entstanden. Sie spiegeln jahrelange Erfahrungen<br />
gepaart mit den technischen Möglichkeiten wider.<br />
- Ärztliche Stelle<br />
Die rechtfertigende Indikation <strong>und</strong> die diagnostischen Referenzwerte<br />
sind Bestimmungen zur Minimierung der Strahlenexposition<br />
des einzelnen Patienten. Der vollständige Untersuchungs-<br />
<strong>und</strong> Behandlungsprozess mit radioaktiven<br />
Stoffen <strong>und</strong> ionisierender Strahlung wird von der ärztlichen<br />
Stelle überprüft. Mit dieser Form der Qualitätssicherung sollen<br />
generelle, methodische Fehler vermieden werden.<br />
Die ärztliche Stelle entsendet ein Prüfungskomitee, bestehend<br />
aus Medizinern <strong>und</strong> Physikern, das regelmäßig alle<br />
Kliniken <strong>und</strong> Praxen entweder vor Ort oder anhand eingesendeter<br />
Unterlagen bewertet. Kontrolliert wird dabei nicht<br />
nur die Qualität der verwendeten Apparate <strong>und</strong> Einrichtungen,<br />
sondern auch die Durchführung deren regelmäßiger<br />
Funktionsprüfungen. Neu hinzugekommen ist die Bewertung<br />
der ärztlichen Arbeit. Anhand einiger Stichproben vollzieht<br />
die ärztliche Stelle den vollständigen Untersuchungsverlauf<br />
nach. Dies geht von der ersten Anamnese, über die Durchführung<br />
der Untersuchungen bis zur Stellung der Diagnose.<br />
Besonderes Augenmerk wird auf die korrekte Stellung der<br />
rechtfertigenden Indikation <strong>und</strong> die Einhaltung der diagnostischen<br />
Referenzwerte gerichtet.<br />
Die vorrangige Aufgabe der ärztlichen Stelle ist die Beratung<br />
der überprüften Institute. Sie soll vor allem Verbesserungs-<br />
216
vorschläge zur Optimierung der Arbeitsabläufe geben. Entsprechend<br />
der Schwere der gef<strong>und</strong>enen Mängel können die<br />
Intervalle zur nächsten Überprüfung verkürzt werden. Die<br />
Ergebnisse der Untersuchung werden gegebenenfalls an die<br />
zuständige Behörde weitergereicht, die weitere Schritte einleitet.<br />
Besonders wenn die Verbesserungsvorschläge der<br />
ärztlichen Stelle wiederholt ignoriert werden, hat die betreffende<br />
Einrichtung mit Folgen zu rechnen.<br />
- Berücksichtigung natürlicher Strahlenquellen bei der<br />
Arbeit<br />
Bis zur Neufassung der Strahlenschutzverordnung vom<br />
20.7.2001 wurden bei der Bestimmung der beruflichen<br />
Strahlenexposition ausschließlich diejenigen Strahlenquellen<br />
berücksichtigt, mit denen zielgerichtet umgegangen wurde.<br />
Gemeint sind Handlungen, bei denen bewusst ionisierte<br />
Strahlung erzeugt wird oder radioaktive Stoffe verwendet<br />
werden, deren physikalische Eigenschaften genutzt werden<br />
sollen. In der Neufassung der Strahlenschutzverordnung<br />
werden diese Handlungen mit dem Begriff Tätigkeiten bezeichnet.<br />
Neu ist die Berücksichtigung natürlicher Strahlenquellen, die<br />
nicht direkt mit der eigentlichen Arbeit in Verbindung stehen.<br />
Gemeint sind Handlungen, die nicht zum Zweck der Nutzung<br />
der ionisierten Strahlung sondern die aus anderen<br />
Gründen nur an diesen Orten mit erhöhter Strahlenexposition<br />
ausgeführt werden können. Diese Handlungen werden in<br />
der Strahlenschutzverordnung Arbeiten genannt. Arbeiten<br />
im Sinne der Strahlenschutzverordnung sind beispielsweise<br />
Bergwerksarbeiten, ausgenommen die Gewinnung von<br />
Uranerzen, da hier die zielgerichtete Nutzung des Urans beabsichtigt<br />
ist.<br />
Ebenso gehört das fliegende Personal in Flugzeugen (Flugbegleiter,<br />
Piloten), das der extraterrestrischen (Höhen-)<br />
Strahlung verstärkt ausgesetzt ist, zu den beruflich strahlenexponierten<br />
Personen. Die Arbeitgeber sind angehalten zu<br />
prüfen, ob eine Bestimmung der Körperdosis notwendig ist,<br />
d.h. ob die effektive Jahresdosis des fliegenden Personals<br />
über 1 mSv liegt. Die Strahlenexposition ist umso größer, je<br />
höher die Flughöhe ist, da die abschirmende Wirkung der<br />
217
Atmosphäre mit zunehmender Höhe abnimmt. Über den Polen,<br />
an denen die Magnetfeldlinien senkrecht auf der Erdoberfläche<br />
stehen, fällt zusätzlich die Schutzwirkung des<br />
Erdmagnetfeldes weg, das vor Strahlung geladener Teilchen<br />
wie den Elektronen schützt. Daher ist die Strahlenexposition<br />
auf den Polrouten, die wegen des kurzen Weges die bevorzugte<br />
Verbindung zwischen Europa <strong>und</strong> Nordamerika sind,<br />
besonders groß. Diese bedeutet allerdings nach heutigem<br />
Wissensstand keine Gefährdung für den einzelnen Touristen,<br />
der auf dieser Strecke nur wenige Male im Jahr fliegt<br />
(ca. 0,05 mSv pro Transatlantikflug). Erst die vielen Flugst<strong>und</strong>en<br />
der Berufsflieger erhöhen deren Strahlenbelastung<br />
deutlich.<br />
Eine Berufsgruppe, die bislang selten mit einer erhöhten<br />
Strahlenexposition in Verbindung gebracht wurde, sind die<br />
Mitarbeiter der Wasserwirtschaft. Dabei gehören sie zu den<br />
am stärksten exponierten Berufsgruppen. Praktisch jede<br />
Quelle in Bayern spült mit dem Wasser nicht unerhebliche<br />
Mengen Radon, ein Zerfallsprodukt des Uran-238, aus dem<br />
Gestein an die Oberfläche. In geschlossenen Räumen, wie<br />
z. B. den Trinkwasserspeichern, kann die Konzentration des<br />
Edelgases Radon, ein Alphastrahler, in der Raumluft erhöhte<br />
Werte annehmen. Eine Überwachung der Mitarbeiter wird<br />
in vielen Fällen angebracht sein. Auf dem Weg von der<br />
Quelle zum Wasserhahn hat sich das Radon durch die<br />
Wasserbewegung verflüchtigt, so dass für den Endverbraucher<br />
kein Gefährdungspotential besteht.<br />
Strahlenschutzvorsorgegesetz (StrVG)<br />
Messungen der Aktivitätskonzentrationen in der Umwelt<br />
werden bereits seit den 50iger Jahren durchgeführt. B<strong>und</strong>esweit<br />
waren aber weder die Messdatenerfassung noch<br />
die Interpretation derselben einheitlich geregelt. Außerdem<br />
führten widersprüchliche Empfehlungen zu Verwirrungen der<br />
Bürger nach dem Unglück in Tschernobyl 1986. Mit dem<br />
Strahlenschutzvorsorgegesetz (StrVG) /STR-86/ sollte diese<br />
Misere beseitigt werden. Das StrVG regelt Aufgaben <strong>und</strong><br />
Kompetenzen von B<strong>und</strong> <strong>und</strong> Ländern im Ereignisfall, d.h. im<br />
Falle von großräumigen Verfrachtungen von <strong>Radioaktivität</strong><br />
auf das Gebiet der B<strong>und</strong>esrepublik.<br />
218
Zu den Aufgaben des B<strong>und</strong>es zählen insbesondere:<br />
- Großräumige Ermittlung der Umweltradioaktivität<br />
- Entwicklung <strong>und</strong> Festlegung von Mess- <strong>und</strong> Berechnungsverfahren<br />
- Aufbereitung, Sammlung <strong>und</strong> Bewertung der Umweltradioaktivitätsdaten<br />
Die Aufgaben der Länder bestehen in erster Linie in:<br />
- Ermittlung der <strong>Radioaktivität</strong> in bestimmten Umweltbereichen<br />
- Übermittlung der Daten an die B<strong>und</strong>eszentrale<br />
- Umsetzung von Vorsorgemaßnahmen<br />
Auf der Gr<strong>und</strong>lage des Strahlenschutzvorsorgegesetzes<br />
können B<strong>und</strong>esbehörden Empfehlungen von Verhaltensweisen<br />
zum Schutz der Bevölkerung aussprechen sowie Verbote<br />
<strong>und</strong> Beschränkungen bei Lebensmitteln, Futtermitteln,<br />
Arzneimitteln <strong>und</strong> sonstigen Stoffen aussprechen, um den<br />
<strong>Radioaktivität</strong>seintrag in die Ernährungsketten zu begrenzen.<br />
- Immissions- <strong>und</strong> Emissionsüberwachung<br />
Die Zuständigkeiten für die Messungen der Umweltradioaktivität<br />
sind zwischen B<strong>und</strong> <strong>und</strong> Ländern aufgeteilt. Der B<strong>und</strong><br />
ist verantwortlich für die großräumige Überwachung der<br />
Ortsdosisleistung <strong>und</strong> der Aktivitätskonzentration in der Luft<br />
<strong>und</strong> in den Niederschlägen. Hierzu wurde ein flächendeckendes<br />
Netz von über 2000 automatischen Messstellen errichtet,<br />
die Daten r<strong>und</strong> um die Uhr ermitteln <strong>und</strong> an die Leitstellen<br />
weiterleiten. Weiterhin gibt der B<strong>und</strong> auch die Mess<strong>und</strong><br />
Analyseverfahren für die von den Ländern durchzuführenden<br />
<strong>Radioaktivität</strong>sermittlungen vor.<br />
Die Länder sind verpflichtet, die Aktivitätskonzentrationen im<br />
Boden <strong>und</strong> im Wasser, in der Nahrung <strong>und</strong> in Medikamenten<br />
zu bestimmen. Dies geschieht durch Auswertung von Stichproben,<br />
die nach einheitlichen Vorgaben gesammelt werden.<br />
Die von den Ländern erhobenen Daten werden ebenfalls<br />
an eine B<strong>und</strong>eszentralstelle weitergeleitet. Im Rahmen<br />
dieses Umweltüberwachungsprogramms werden zur Zeit in<br />
Bayern jährlich rd. 7000 Messdaten erhoben. Ein landeseigenes<br />
Überwachungsprogramm liefert zusätzlich mehrere<br />
100 weitere Messungen in verschiedensten Medien, u. a.<br />
219
auch bei Wild <strong>und</strong> wild wachsenden Pilzen. Als Serviceleistung<br />
für den Bürger können die in Bayern ermittelten Messwerte<br />
auf den Internetseiten des Landesamtes für Umwelt<br />
unter http://www.bayern.de/lfu/strahlen/ abgerufen werden.<br />
Zur Sammlung, Bearbeitung <strong>und</strong> Darstellung der aus den<br />
verschiedenen <strong>Radioaktivität</strong>süberwachungsprogrammen<br />
gewonnenen Daten hat der B<strong>und</strong> Anfang 1994 das Integrierte<br />
Mess- <strong>und</strong> Informationssystem zur Überwachung der<br />
Umweltradioaktivität (IMIS) eingerichtet. In dieses System<br />
werden auch die in Bayern gesammelten Daten zur Umweltradioaktivität<br />
vom zuständigen Landesamt für Umwelt eingespeist<br />
<strong>und</strong> auf diese Weise allgemein verfügbar gemacht.<br />
Auch die Daten der automatischen Messnetze des B<strong>und</strong>es<br />
sowie die Daten aus rd. 40 Messlaboren in den Ländern<br />
fließen hier ein.<br />
Die Auswertung der so gewonnenen Daten im IMIS-System<br />
ermöglicht einen schnellen Überblick über die großflächige<br />
radiologische Belastungssituation. Darauf wiederum würden<br />
sich die Empfehlungen der zuständigen B<strong>und</strong>sbehörden<br />
zum vorsorgenden Schutz der Bevölkerung gründen.<br />
Außerdem betreibt das Bayerische Landesamt für Umwelt<br />
ein eigenes flächendeckendes Messsystem, das bayerische<br />
Immissionsmessnetz für <strong>Radioaktivität</strong> (IfR). Die Messstationen<br />
überwachen ebenfalls automatisch <strong>und</strong> kontinuierlich<br />
die Ortsdosisleistung <strong>und</strong> die Aktivitätskonzentrationen in<br />
der Luft. Das IfR ist ein unabhängiges Messnetz zur Früherkennung<br />
erhöhter Luftaktivitätskonzentration. Es ist wie das<br />
IMIS nach den Erfahrungen mit dem Tschernobyl-Unglück<br />
entstanden. Bis dahin existierte lediglich das 1978 errichtete<br />
bayerische Kernreaktor-Fernüberwachungssystem (KFÜ).<br />
Mit seinen ringförmig um die Kernreaktoren angeordneten<br />
Messsonden war es das weltweit erste System zur automatischen<br />
Immissionsüberwachung. Damit sollen Unregelmäßigkeiten<br />
im Betrieb <strong>und</strong> Emissionen radioaktiver Stoffe aus<br />
den Anlagen frühzeitig entdeckt werden können. Weitere<br />
Einzelheiten zur Überwachung der Umweltradioaktivität in<br />
Bayern sind in Kapitel 6.3 zu finden.<br />
Die Immissionsüberwachung wird durch die Emissionskontrolle<br />
wirkungsvoll ergänzt, z. B. durch das KFÜ, das auch<br />
der Überwachung der Aktivitätsemissionen dient. Daher soll<br />
220
in diesem Kapitel ebenfalls die Emissionsüberwachung besprochen<br />
werden, die in der Strahlenschutzverordnung<br />
(StrlSchV § 48) geregelt ist. Der Betreiber einer Anlage, in<br />
der mit radioaktiven Stoffen umgegangen wird, muss für die<br />
kontinuierliche Überwachung der Abluft <strong>und</strong> des Abwassers<br />
sorgen. Die abgegebenen Aktivitätskonzentrationen, aufgeschlüsselt<br />
nach den einzelnen Nukliden, sind mindestens<br />
einmal jährlich an das Landesamt für Umwelt zu melden.<br />
Darüber hinaus ist das Landesamt für Umwelt selber oder<br />
ein von ihm beauftragter Sachverständiger jederzeit berechtigt,<br />
die Gr<strong>und</strong>stücke bzw. Anlagen zu betreten, Proben zu<br />
ziehen <strong>und</strong> Messungen der <strong>Radioaktivität</strong>skonzentrationen<br />
vorzunehmen.<br />
- Höchstwerte der Aktivitätskonzentration in Luft <strong>und</strong><br />
Wasser<br />
Bei der Festlegung der Höchstwerte für die Aktivitätskonzentrationen<br />
in Abwasser <strong>und</strong> Abluft aus Strahlenschutzbereichen<br />
werden analog zu der Festlegung der Grenzwerte<br />
für die Freigabe die möglichen Expositionspfade berücksichtigt.<br />
Unterschieden wird hier zwischen der direkten Einwirkung,<br />
wie z. B. der Aufenthalt im Abluft- bzw. Abwasserstrom,<br />
<strong>und</strong> der indirekten Einwirkung über die Aufnahme mit<br />
der pflanzlichen <strong>und</strong> tierischen Nahrung. Zur Festlegung der<br />
indirekten Einwirkungen sind detaillierte radioökologische<br />
Berechnungen notwendig, die das Verhalten radioaktiver<br />
Stoffe in der Biosphäre beschreiben. Es handelt sich dabei<br />
um sehr komplexe Vorgänge (siehe auch Kapitel 4.1), wie<br />
- Ausbreitungs- <strong>und</strong> Verdünnungsvorgänge in Luft, Wasser<br />
<strong>und</strong> Boden,<br />
- Ablagerungen auf Boden <strong>und</strong> Pflanzen,<br />
- Verteilungs- <strong>und</strong> Anreicherungsvorgänge in Pflanze <strong>und</strong> Tier,<br />
- Verhalten der mit Nahrung <strong>und</strong> Atemluft aufgenommenen<br />
radioaktiven Stoffe im Körper des Menschen.<br />
Die Verfolgung des Weges radioaktiver Stoffe vom Abgabeort<br />
bis in ein menschliches Organ erlaubt die Abschätzung<br />
der möglichen Strahlenexposition des Menschen <strong>und</strong> damit<br />
auch die Festlegung maximal zulässiger Ableitungswerte<br />
(Emissionswerte) für bestimmte radioaktive Stoffe aus kern-<br />
221
technischen Anlagen. In die Berechnung gehen auch einige<br />
unsichere Faktoren ein, wie z. B. Annahmen über die Wetterlage<br />
<strong>und</strong> damit der Ausbreitung der Aktivität oder die Lebensgewohnheiten<br />
der Bevölkerung. Generell darf die effektive<br />
Dosis für eine Einzelperson der Bevölkerung, die sich<br />
an der ungünstigsten Stelle aufhält, 0,3 mSv im Jahr nicht<br />
überschreiten.<br />
Für die Betreiber einer Anlage oder Einrichtung, die keine<br />
Kernbrennstoffe verarbeitet oder lagert, das sind z. B. die<br />
Forschungslaboratorien der Physik oder der Radiochemie<br />
<strong>und</strong> die Nuklearmedizin, ergeben sich Erleichterungen. Hier<br />
ist die aufwändige Berechnung der möglichen Strahlenexposition<br />
nicht nötig. Stattdessen sind in der Strahlenschutzverordnung<br />
nuklidspezifische Grenzwerte für die Aktivitätskonzentrationen<br />
in Abluft <strong>und</strong> Abwasser vorgegeben, die im<br />
Jahresmittel eingehalten werden müssen (vgl. Tabelle 5.4).<br />
Die Grenzwerte sind so gewählt, dass eine Gefährdung der<br />
Bevölkerung ausgeschlossen ist. Sind mehrere Nuklide im<br />
Abwasser bzw. in der Abluft enthalten, dann gilt auch hier<br />
wiederum die Summenformel, um ein Ansteigen des Gefährdungspotentials<br />
zu verhindern.<br />
Radionuklid<br />
A = Aerosol (Luft)<br />
B = elementar (Luft) in der Luft<br />
O = organisch<br />
in Bq/m 3<br />
im Wasser<br />
in Bq/m 3<br />
H-3 A 1 E+2 1 E+7<br />
H-3 O 1 E+2 1 E+6<br />
C-14 A 6 6 E+5<br />
F-18 A 5 E+2 2 E+6<br />
Co-60 A 1 2 E+4<br />
Tc-<br />
99m<br />
A 2 E+3 4 E+6<br />
I-131 E 5 E-1 5 E+3<br />
Cs-<br />
137<br />
A 9 E-1 3 E+4<br />
U-235 A 4 E-3 3 E+3<br />
U-238 A 5 E-3 3 E+3<br />
Tab. 5.4 Grenzwerte einiger Radionuklide für Aktivitätskonzentrationen<br />
aus Strahlenschutzbereichen (StrlSchV Anlage VII<br />
Tabelle 4 /STR-01/)<br />
222
5.3 Genehmigungspflicht des Umgangs mit radioaktiven<br />
Stoffen<br />
In den Paragraphen 3, 4, 6, 7 <strong>und</strong> 9 des Atomgesetzes heißt<br />
es sinngemäß: Wer mit radioaktiven Stoffen umgeht, bedarf<br />
einer Genehmigung. Entsprechende Paragraphen finden<br />
sich in der Strahlenschutzverordnung für den Umgang mit<br />
radioaktiven Stoffen <strong>und</strong> den Betrieb von Anlagen, die ionisierende<br />
Strahlung erzeugen. Ausgenommen ist der Umgang<br />
mit radioaktiven Stoffen unterhalb der Freigrenze, wobei<br />
bei Nuklidgemischen wiederum die Summenformel zu<br />
berücksichtigen ist. Ist einmal eine Genehmigung für ein bestimmtes<br />
Radionuklid notwendig <strong>und</strong> erteilt, so muss auch<br />
für alle weiteren Nuklide, mit denen umgegangen werden<br />
soll, eine Genehmigung eingeholt werden, auch wenn die<br />
entsprechenden Mengen unterhalb der Freigrenze liegen.<br />
Genehmigungsvoraussetzungen<br />
(Rechtfertigung, Sicherheitsanforderungen)<br />
Die erste Voraussetzung zur Genehmigung des Umgangs<br />
mit radioaktiven Stoffen ist bereits in den Strahlenschutzgr<strong>und</strong>sätzen<br />
festgelegt. Hierin heißt es, dass der Nutzen aus<br />
einem Umgang größer sein muss als die möglichen Gefahren.<br />
Nur ein gerechtfertigter Umgang, der überwiegenden öffentlichen<br />
Interessen nicht entgegensteht, ist genehmigungsfähig.<br />
Weiterhin muss die Zuverlässigkeit des Antragstellers, des<br />
Strahlenschutzverantwortlichen, gegeben sein. Der Strahlenschutzverantwortliche<br />
bestellt zu seiner Unterstützung eine<br />
ausreichende Anzahl Strahlenschutzbeauftragte. Die<br />
Strahlenschutzbeauftragten sorgen in ihrem jeweiligen, vorher<br />
festgelegten Aufgabenbereich für die Einhaltung der<br />
Schutzvorschriften <strong>und</strong> der in der Genehmigung festgeschriebenen<br />
Auflagen. Verantwortlich für den Schutz von<br />
Mensch <strong>und</strong> Umwelt bleibt der Strahlenschutzverantwortliche.<br />
Die Strahlenschutzbeauftragten müssen ihre Fachk<strong>und</strong>e<br />
im Strahlenschutz nachweisen, die durch eine geeignete<br />
Ausbildung, durch praktische Erfahrung <strong>und</strong> durch die erfolgreiche<br />
Teilnahme an anerkannten Kursen erworben wird.<br />
Alle übrigen Mitarbeiter müssen wenigstens Kenntnisse im<br />
Umgang mit radioaktiven Stoffen <strong>und</strong> ionisierender Strahlung<br />
besitzen.<br />
223
Bei der Anwendung radioaktiver Stoffe am Menschen in der<br />
Medizin muss der Antragsteller oder wenigstens ein Strahlenschutzbeauftragter<br />
als Arzt approbiert sein. Die erforderliche<br />
Fachk<strong>und</strong>e zur Bestellung als Strahlenschutzbeauftragter<br />
erhält der Arzt in der Regel mit der Facharztprüfung<br />
in einer der drei Strahlenfächern, Radiologie, Strahlentherapie<br />
<strong>und</strong> Nuklearmedizin, wobei nur in den letzten beiden Fällen<br />
der Umgang mit radioaktiven Stoffen gestattet ist.<br />
Neben der Rechtfertigung <strong>und</strong> den personellen Voraussetzungen<br />
müssen geeignete Räume, Ausrüstungen <strong>und</strong><br />
Geräte vorhanden sein, um die geltenden Schutzvorschriften<br />
einhalten zu können. Neben der Gewährleistung eines<br />
regulären Betriebs schließt dies auch den Schutz vor äußeren<br />
Einwirkungen ein, durch die radioaktive Stoffe freigesetzt<br />
werden können. Denkbar sind Feuer <strong>und</strong> Naturereignisse,<br />
wie Erdbeben <strong>und</strong> Überschwemmungen, aber auch<br />
zerstörerische Absichten Dritter.<br />
Zuletzt ist für eine Ausreichende Deckungsvorsorge zu sorgen,<br />
d.h. der Antragsteller muss nachweisen, dass er die<br />
gesetzlichen Schadensersatzverpflichtungen erfüllen kann.<br />
Die Höhe der Deckungsvorsorge wird alle 2 Jahre von der<br />
zuständigen Behörde erneut festgelegt.<br />
Nachweis der Einhaltung der Schutzbestimmungen<br />
(Radioökologische Berechnungen u. a.)<br />
Der aufwändigste Teil im Genehmigungsverfahren ist der<br />
Nachweis der Einhaltung der gesetzlichen Schutzbestimmungen,<br />
insbesondere die Einhaltung der Grenzwerte für<br />
die effektive Dosis. Für den Fall einer äußeren Strahlenexposition<br />
durch ortsfeste Strahlenquellen geschieht dies mit<br />
Hilfe eines Strahlenschutzplans. Im Strahlenschutzplan wird<br />
die Äquivalentdosis aus den Aktivitätsmengen mit Hilfe der<br />
Dosisleistungskonstanten (vgl. Tabelle 5.1) unter Berücksichtigung<br />
des Abstandquadratgesetzes (vgl. Abb. 5.1) <strong>und</strong><br />
der vorhandenen Abschirmung (vgl. Abb. 1.5) berechnet.<br />
Hieraus ergibt sich auch die Notwendigkeit der Einrichtung<br />
von Strahlenschutzbereichen <strong>und</strong> die Pflicht der Überwachung<br />
der Personendosis der Mitarbeiter.<br />
Ferner müssen die Aktivitätskonzentrationen aller Ableitungen<br />
aus der Anlage kontrolliert werden. Je nach Verbreitung<br />
224
der Radionuklide in der Umwelt kann sich hieraus sowohl<br />
eine äußere wie auch eine innere Strahlenexposition für<br />
Einzelpersonen der Bevölkerung ergeben. Zu deren Abschätzung<br />
sind detaillierte radioökologische Berechnungen<br />
vorzulegen, die alle denkbaren Expositionspfade berücksichtigen.<br />
Das in seinen Abläufen außerordentlich komplexe radioökologische<br />
Geschehen lässt sich nicht in allen Details vollständig<br />
mathematisch erfassen. Eine Abschätzung der höchstmöglichen<br />
Dosis ist jedoch durch eine modellhafte Beschreibung<br />
durchaus möglich. Dazu werden alle notwendigen<br />
Annahmen so getroffen, dass sie stets den ungünstigsten<br />
Fall mit einbeziehen.<br />
Das Ergebnis eines solchen Vorgehens ist ein Rechenwert,<br />
der insgesamt höher liegt, als es der Realität entspricht, also<br />
„konservativ“ ist. Die Anwendung der Berechnungsprinzipien<br />
auf die Messwerte der <strong>Radioaktivität</strong> aus den Ablagerungen<br />
nach dem Tschernobyl-Unfall hat nun gezeigt, dass in allen<br />
Fällen die Strahlendosis überschätzt wurde. Die Rechenwerte<br />
lagen also in der Tat auf der sicheren Seite.<br />
Bei radioökologischen Berechungen im Rahmen des atomrechtlichen<br />
Genehmigungsverfahrens muss nicht jeder Einzelwert,<br />
sondern das Gesamtergebnis konservativ sein. So<br />
überschätzt beispielsweise der überdurchschnittlich hoch<br />
angenommene Nahrungsverbrauch der Referenzperson die<br />
stark unterschiedlichen Ernährungsgewohnheiten von Einzelpersonen,<br />
wie extremen Fleischessern, Vegetariern <strong>und</strong><br />
anderen. Die für die Referenzperson errechneten Höchstdosen<br />
werden deshalb von real existierenden Personen mit Sicherheit<br />
nicht erreicht.<br />
Für Überwachungsmessungen muss eine ausreichende Anzahl<br />
von Messinstrumenten zur Erfassung der Aktivitätskonzentrationen<br />
im Abfall, im Abwasser <strong>und</strong> in der Abluft vorhanden<br />
sein. Das Landesamt für Umwelt schreibt die Messprotokolle<br />
vor <strong>und</strong> kann im Einzelfall die korrekte Durchführung<br />
der Messungen kontrollieren. Genauso müssen Messgeräte<br />
zur Feststellung von Personenkontaminationen verfügbar<br />
sein <strong>und</strong> gegebenenfalls geeignete Dekontaminationseinrichtungen.<br />
Der Nachweis, dass alle Mitarbeiter mit den betriebsinternen<br />
Regelungen zum Einhalten der Schutzmaßnahmen vertraut<br />
225
gemacht worden sind, wird durch eine Strahlenschutzanweisung<br />
erbracht. Die Strahlenschutzanweisung wird von den<br />
zuständigen Strahlenschutzbeauftragten erstellt <strong>und</strong> ist von<br />
allen Mitarbeitern zur Kenntnis zu nehmen. Sie enthält alle<br />
Verhaltensweisen zum Umgang mit radioaktiven Stoffen im<br />
normalen Betrieb, sowie Verhaltensanweisungen bei möglichen<br />
Unfällen. Zudem müssen alle Mitarbeiter jährlich im<br />
Umgang mit radioaktiven Stoffen unterwiesen werden. Neben<br />
der Auffrischung allgemeiner Strahlenschutzgr<strong>und</strong>sätze<br />
soll hierbei auch auf betriebsspezifische Besonderheiten<br />
<strong>und</strong> Neuerungen hingewiesen werden.<br />
Ist der Umgang genehmigt <strong>und</strong> die Anlage in Betrieb, überprüft<br />
das Landesamt für Umwelt die Einhaltung aller<br />
Schutzmaßnahmen <strong>und</strong> Auflagen. Außerdem besteht eine<br />
Mitteilungspflicht über jeglichen Zu- <strong>und</strong> Abgang von Aktivitäten<br />
mit ihrem jeweiligen Verbleib. Die Überprüfung wird in<br />
regelmäßigen Abständen in Form einer Begehung der Einrichtung<br />
vollzogen. Neben der augenscheinlichen Begutachtung<br />
der örtlichen Gegebenheiten sind den Prüfern die Dokumentation<br />
der regelmäßigen Qualitätskontrollen der verwendeten<br />
Messgeräte, die Aufzeichnungen über die jährliche<br />
Unterweisung der Mitarbeiter <strong>und</strong> die Bestätigung ihrer<br />
Fachk<strong>und</strong>e bzw. Kenntnisse vorzulegen.<br />
5.4 Literatur<br />
Atomgesetz (1985). (/ATG-<br />
85/).http://b<strong>und</strong>esrecht.juris.de/atg/index.html.<br />
Dosiskoeffizienten bei äußerer <strong>und</strong> innerer Strahlenexposition.<br />
B<strong>und</strong>esanzeiger (/BUA-01/). (2001). 160 a <strong>und</strong> b.<br />
Röntgenverordnung (2001). (/RÖV-01/).<br />
http://b<strong>und</strong>esrecht.juris.de/strlschv_2001/index.html.<br />
Strahlenschutzvorsorgegesetz (1986). (/STR-86/).<br />
http://b<strong>und</strong>esrecht.juris.de/strvg/index.html.<br />
Strahlenschutzverordnung (2001). (/STR-01/).<br />
http://b<strong>und</strong>esrecht.juris.de/b<strong>und</strong>esrecht/strlschv_2001/<br />
gesamt.pdf.<br />
226
6. Vorsorgemaßnahmen bei Strahlenunfällen<br />
6.1 Reaktorunfälle (Beispiel Tschernobyl)<br />
Reaktorunfälle vor Tschernobyl<br />
Im Oktober 1957 kam es in Windscale, UK, in einem gasgekühlten<br />
Reaktor mit Graphitkern ohne Sicherheitscontainment<br />
zu einem schweren Unfall. Die Überhitzung des<br />
Graphitkerns führte zu einem Brand, der nur unter größten<br />
Schwierigkeiten am nächsten Tag gelöscht werden konnte.<br />
Es folgte eine Freisetzung von <strong>Radioaktivität</strong>, wobei Partikel<br />
von vorhandenen Filtern zurückgehalten werden konnten.<br />
Insgesamt wurden ca. 750 TBq flüchtiges I-131 in die Atmosphäre<br />
freigesetzt. In einem Umfeld von 300 Quadratkilometern<br />
wurde kontaminierte Milch für die Dauer von einem Monat<br />
mit einem Verzehrsverbot belegt. Die kollektive Schilddrüsendosis<br />
für die englische Bevölkerung wurde mit<br />
2,5*10 4 Personen-Sievert geschätzt. Hieraus wurden zusätzlich<br />
6,5 Schilddrüsenkrebsfälle pro Jahr abgeschätzt, die<br />
bei einer erwarteten natürlichen Inzidenz von über 600 pro<br />
Jahr statistisch nicht nachweisbar sind.<br />
Im März 1979 ereignete sich ein schwerer Unfall im Kernkraftwerk<br />
Three Mile Island in Harrisburg, Pennsylvania,<br />
USA. Hierbei handelt es sich um einen wassergekühlten<br />
Reaktor mit Sicherheitscontainment. Aufgr<strong>und</strong> einer Verkettung<br />
von Fehlern in der Bedienung des Reaktors kam es zu<br />
einem Versagen der Haupt- <strong>und</strong> Notkühlung. Die Folge war<br />
eine Kernschädigung mit einer Freisetzung von r<strong>und</strong> 50 %<br />
des Reaktorinventars an Radiocäsium <strong>und</strong> 40 % an Radioiod.<br />
Diese enormen <strong>Radioaktivität</strong>smengen wurden aber<br />
weitgehend vom Reaktorgebäude zurückgehalten, so dass<br />
kein Radiocäsium <strong>und</strong> nur ein sehr geringer Teil (0,00002 %)<br />
des Radioiods in die Umgebung entwichen. Die Gesamtmenge<br />
an freigesetztem Iod wurde mit 550 GBq geschätzt.<br />
Systematische Untersuchungen der exponierten Bevölkerung<br />
ergaben keine eindeutigen Hinweise dafür, dass die<br />
Freisetzung zu einer Erhöhung der Krebsmortalität geführt<br />
hat.<br />
227
Der Tschernobylunfall<br />
Am 26. April 1986 ereignete sich im Reaktorblock 4 der<br />
ukrainischen Kernkraftwerksanlage Tschernobyl 100 km<br />
nördlich von Kiew unweit der Grenze zu Weißrussland der<br />
folgenschwerste Unfall in der Geschichte der zivilen Nutzung<br />
der Kernenergie. Die Bedienmannschaft hatte einen<br />
unangekündigten Test des Kühlsystems nach Abschalten<br />
der Elektrizitätsversorgung für die Turbinen vorgenommen.<br />
Der Graphit moderierte Reaktor, der über kein heutigen<br />
Maßstäben genügendes Reaktordruckgefäß <strong>und</strong> kein Sicherheitscontainment<br />
verfügte, geriet innerhalb kürzester<br />
Zeit außer Kontrolle.<br />
Abb. 6.1 Der havarierte Reaktorblock 4 des KKW Tschernobyl<br />
am 26.04.1986 (Russian Research Centre „Kurchatov Institute“<br />
1996)<br />
Aufgr<strong>und</strong> der speziellen Bauweise des Reaktors führte die<br />
sich verstärkende Kettenreaktion zur Explosion des Reaktorkerns,<br />
wobei die Sprengkraft mit 30-40 t TNT gleichgesetzt<br />
wurde. Freigesetzt wurden große Teile des radioaktiven<br />
Reaktorinventars von etwa 40–50 % des Radiocäsiums<br />
<strong>und</strong> des Radioiods. Da der Graphitbrand innerhalb eines<br />
228
Zeitraums von 10 Tagen nicht gelöscht werden konnte, wurden<br />
täglich etwa 10 16 Bq I-131 <strong>und</strong> 10 15 Bq Cs-137 freigesetzt.<br />
Abb. 6.2 Freisetzung von I-131, Te-132 <strong>und</strong> Cs-137 während<br />
des Brands des Reaktorblocks 4 des KKW Tschernobyl in den<br />
10 Tagen nach dem 26.04.1986 (UNSCEAR 2000)<br />
Infolge der heftigen Explosion <strong>und</strong> des Feuers reichte die<br />
radioaktive Wolke bis zu 10 km hoch <strong>und</strong> führte zu einer<br />
Verfrachtung des radioaktiven Materials über Teile der<br />
Ukraine, Russlands <strong>und</strong> Weißrusslands. Die Wolke wurde<br />
aufgr<strong>und</strong> der anfangs vorherrschenden Winde zunächst<br />
nach Nordwesten abgetrieben, was dazu führte, dass vor allem<br />
weißrussische Gebiete (wie z. B. um die Großstadt Gomel<br />
herum) besonders vom Fallout betroffen wurden. Aber<br />
auch das Gebiet unmittelbar um den Reaktor <strong>und</strong> die Nachbarstadt<br />
Pripyat wurden erheblich kontaminiert. Die Bevölkerung<br />
von Pripyat wurde innerhalb von 2 Tagen evakuiert <strong>und</strong><br />
die Einwohner der Dörfer innerhalb einer 30-km-Zone in der<br />
Folgezeit. Insgesamt wurden etwa 30.000 Quadratkilometer<br />
mit mehr als 185 kBq/m 2 kontaminiert, was die Evakuierung<br />
von r<strong>und</strong> 115.000 Einwohnern zur Folge hatte. In den Jahren<br />
nach dem Unfall wurden zusätzlich 210.000 Einwohner<br />
in weniger kontaminierte Gebiete umgesiedelt.<br />
229
Abb. 6.3 Kontamination der näheren <strong>und</strong> weiteren Umgebung<br />
des Tschernobylreaktors mit Cs-137 (UNSCEAR 2000)<br />
Nachdem die Windrichtung in den folgenden Tagen mehrfach<br />
wechselte, wurden auch weiter entfernte Gebiete Europas<br />
zum Teil erheblich kontaminiert. In Skandinavien beispielsweise<br />
wurden Expositionen von Cäsium-137 bis zu<br />
120 kBq/m 2 gemessen. Aufgr<strong>und</strong> einer ausschließlich stabilen,<br />
mehrere Tage andauernden Ostwindlage zog die radioaktive<br />
Wolke auch über Deutschland hinweg, wobei sie insbesondere<br />
im süddeutschen Raum durch stärkere Regenfälle<br />
niedergeschlagen wurde. Südlich der Donau <strong>und</strong> im Bayerischen<br />
Wald wurde zwischen 10 <strong>und</strong> 50 kBq/m 2 Cäsium-<br />
137 am Boden gemessen.<br />
230
Abb. 6.4 <strong>Radioaktivität</strong>sverfrachtungen während 7 Tagen nach der<br />
Reaktorkatastrophe in Tschernobyl am 26.04.1986 (GRS 1996)<br />
Ges<strong>und</strong>heitliche Folgen des Tschernobylunfalls<br />
Die ges<strong>und</strong>heitlichen Folgen der Tschernobylkatastrophe<br />
wurden kürzlich von dem Tschernobylforum, einer Initiative<br />
der Weltges<strong>und</strong>heitsorganisation (WHO) <strong>und</strong> der Internationalen<br />
Atomenergie-Organisation (IAEO), bewertet. Zu diesem<br />
Tschernobylforum zählten zahlreiche internationale Experten<br />
sowie Vertreter der Wissenschaft aus den von der Tschernobylkatastrophe<br />
betroffenen Ländern Ukraine, Weißrussland<br />
<strong>und</strong> Russland. Das Tschernobylforum machte sich zur Aufgabe,<br />
die im Bericht des United Nations Scientific Committee<br />
on the Effects of Atomic Radiation (UNSCEAR) aus dem Jahre<br />
2000 publizierten Daten zu den Folgen des Tschernobylunfalls<br />
zur aktualisieren <strong>und</strong> durch neuere Publikationen in „peer<br />
reviewed journals“ sowie durch Berichte staatlicher Einrichtungen<br />
der betroffenen Länder zu ergänzen.<br />
231
Mangels Verfügbarkeit geeigneter Messinstrumente <strong>und</strong> der<br />
Durchführung systematischer Untersuchungen in der Bevölkerung<br />
unmittelbar nach der Katastrophe ist die Datenlage<br />
zu den Strahlendosen der Bevölkerung relativ schlecht. Hinzu<br />
kommt, dass die Exposition auf den kontaminierten Gebieten<br />
teilweise relativ niedrig ist. Hiervon ist allerdings die<br />
hohe, besser dokumentierte Strahlenbelastung der Schilddrüse,<br />
die vor allem auf den Verzehr kontaminierter Milch<br />
zurückzuführen ist, abzugrenzen. Auch zu den hoch exponierten<br />
Ersthelfern auf der Kernkraftwerksanlage liegen belastbarere<br />
Dosisabschätzungen vor.<br />
Was die ges<strong>und</strong>heitlichen Risiken infolge des Tschernobylunfalls<br />
betrifft, so ist zu berücksichtigen, dass die Lebenserwartung<br />
der davon betroffenen Bevölkerung nach dem Zusammenbruch<br />
der Sowjetunion auch in nicht kontaminierten<br />
Regionen dramatisch abgenommen hat. Über einen Zeitraum<br />
von 15 Jahren reduzierte sich die durchschnittliche<br />
Lebenserwartung für einen Mann von 70 auf 61 Jahre in<br />
Russland <strong>und</strong> von 67 auf 61 Jahre in der Ukraine (zum Vergleich:<br />
die durchschnittliche Lebenserwartung für Männer in<br />
Westeuropa liegt derzeit bei 75 Jahren). Man geht davon<br />
aus, dass die reduzierte Lebenserwartung durch die Verschlechterung<br />
der sozioökonomischen Bedingungen <strong>und</strong><br />
des Ges<strong>und</strong>heitssystems bedingt ist.<br />
Die von der Expertengruppe analysierten Studien weisen<br />
leider häufig Mängel durch kleine Fallzahlen oder unzulängliche<br />
Kontrollgruppen auf. Der Einfluss des Rauchens <strong>und</strong><br />
des Alkoholkonsums kann zu starken Veränderungen der<br />
Mortalität <strong>und</strong> Morbidität führen (insbesondere verschiedener<br />
Krebs- <strong>und</strong> kardiovaskulärer Erkrankungen). Ohne Zweifel<br />
kann die psychische Belastung durch bestehende oder<br />
vermutete Strahlenexposition zu einer Zunahme des Tabakoder<br />
Alkoholkonsums führen, was den Anstieg der Häufigkeit<br />
von Krebs <strong>und</strong> kardiovaskulärer Erkrankungen zur Folge<br />
haben kann, ohne dass Strahlung hierbei direkt die Ursache<br />
ist.<br />
Bei den ges<strong>und</strong>heitlichen Effekten müssen stochastische<br />
von deterministischen Strahleneffekten unterschieden werden<br />
(vgl. Kapitel 2.2).<br />
232
- Exponierte Personen<br />
Die von der Tschernobylkatastrophe betroffene Bevölkerung<br />
kann in drei Kategorien eingeteilt werden:<br />
� So genannte Liquidatoren, die unmittelbar nach dem<br />
Reaktorunfall oder später während der Aufräumphase<br />
strahlenexponiert wurden. Besonders hoch exponiert waren<br />
die 150 zum Zeitpunkt des Unfalls auf der Anlage beschäftigten<br />
Mitarbeiter. In den Jahren 1986 <strong>und</strong> 1987<br />
setzte man 240.000 Liquidatoren zur Beseitigung der<br />
Folgen der Reaktorkatastrophe ein. Bis 1990 wurde eine<br />
große Zahl weiterer ziviler <strong>und</strong> militärischer Kräfte hinzugezogen,<br />
so dass insgesamt 600.000 Personen an den<br />
Aufräumarbeiten beteiligt waren. Das gesamte Einsatzpersonal<br />
erhielt spezielle Zertifikate als Liquidatoren <strong>und</strong><br />
damit auch soziale Vergünstigungen. Es muss allerdings<br />
davon ausgegangen werden, dass nur ein kleiner Teil<br />
dieses Personenkreises hoch exponiert war, während der<br />
weitaus größte Teil der Liquidatoren, der in einiger Entfernung<br />
von der Anlage <strong>und</strong> auch zu späten Zeitpunkten<br />
eingesetzt wurde, allenfalls niedrige Strahlendosen erhielt.<br />
� Einwohner, die aus kontaminierten Gebieten evakuiert<br />
wurden. Hierbei handelt es sich um 116.000 Personen,<br />
die im Jahre 1986 aus der Umgebung des Tschernobylreaktors<br />
evakuiert wurden <strong>und</strong> zusätzliche 220.000<br />
Personen, die nach 1986 aus verschiedenen, relativ hoch<br />
kontaminierten Gebieten Weißrusslands, Russlands <strong>und</strong><br />
der Ukraine umgesiedelt wurden.<br />
� Einwohner kontaminierter Gebiete, die nicht evakuiert<br />
wurden. Es wird geschätzt, dass r<strong>und</strong> 5 Mio. Einwohner<br />
auf geringer kontaminierten Gebieten leben, für die eine<br />
Evakuierung als nicht erforderlich ertrachtet wurde.<br />
Die Art der Exposition war dabei meist unterschiedlich, so<br />
wurden die Ersthelfer <strong>und</strong> die höher exponierten Liquidatoren<br />
hauptsächlich einer äußeren Strahlenexposition ausgesetzt<br />
(durch Gamma- <strong>und</strong> Betastrahlung während der Tätigkeit<br />
auf der Anlage). Die allgemeine Bevölkerung wurde einerseits<br />
Direktstrahlung aus der radioaktiven Wolke <strong>und</strong><br />
233
später von auf dem Boden deponierten Radionukliden ausgesetzt.<br />
Hinzukommt die mögliche Inhalation von <strong>Radioaktivität</strong><br />
aus der Luft <strong>und</strong> die Ingestion von kontaminierter Nahrung<br />
<strong>und</strong> Wasser.<br />
- Strahlendosen<br />
Nachdem sich 1991–1992 erstmals zeigte, dass die steigende<br />
Häufigkeit von Schilddrüsenkrebs bei Kindern in Zusammenhang<br />
mit der Strahlenexposition zu bringen ist, wurden<br />
die Schilddrüsendosen intensiv untersucht. Sie variieren<br />
über einen weiten Bereich in Abhängigkeit vom Lebensalter<br />
der exponierten Personen, der Höhe der Bodenkontamination,<br />
dem Milchverzehr <strong>und</strong> der Höhe der Aktivitätskonzentration<br />
in der Milch. Die individuellen Schilddrüsendosen erreichten<br />
bis zu 50 Gy, mit durchschnittlichen Dosen zwischen<br />
0,03 <strong>und</strong> 0,3 Gy. Die Einschätzung dieser Schilddrüsendosen<br />
basieren auf r<strong>und</strong> 350.000 Messungen, die innerhalb<br />
weniger Wochen nach dem Unfall bei Einwohnern<br />
Weißrusslands, der Ukraine <strong>und</strong> Russlands durchgeführt<br />
wurden. Was die Strahleneffekte an der Schilddrüse betrifft,<br />
so ist zu berücksichtigen, dass die kontaminierten Gegenden<br />
Weißrusslands, Russlands <strong>und</strong> der Ukraine zum Teil als<br />
Gebiete mit mildem oder moderatem Iodmangel zu betrachten<br />
sind. Mit der verringerten Zufuhr stabilen Iods nehmen<br />
die Schilddrüsenmasse <strong>und</strong> die Aufnahme von Iod-131 zu.<br />
Iodtabletten zur Blockierung der Aufnahme von Radioiod<br />
wurden nur vereinzelt (wie z. B. in der Stadt Pripyat) innerhalb<br />
von 6 bis 30 St<strong>und</strong>en nach der Freisetzung von Radioiod<br />
verteilt. Man nimmt an, dass dies bei den Einwohnern<br />
Pripyats zu einer Reduktion der Schilddrüsendosis um etwa<br />
den Faktor 6 geführt hat. Im übrigen hat sich die Iodblockade<br />
in Polen, wo ebenfalls erhebliche Expositionen mit I-131<br />
zu vermelden waren, außerordentlich bewährt.<br />
Die Anlagenmitarbeiter <strong>und</strong> Ersthelfer erhielten Strahlendosen<br />
zwischen einigen Gy bis zu 16 Gy. Von den derart hoch<br />
exponierten verstarben 28 innerhalb der ersten 4 Monate<br />
nach der Strahlenexposition. Die Dosen, die bei den Liquidatoren<br />
registriert wurden, erreichten bis zu 500 mGy, mit<br />
einer durchschnittlichen Dosis von etwa 100 mGy.<br />
234
Die Strahlenexposition der Bevölkerung im Zeitraum 1986<br />
bis 2005 wird mit wenigen mSv bis zu einigen 100 mSv<br />
geschätzt, wobei die Durchschnittsdosen zwischen 10 <strong>und</strong><br />
20 mSv liegen (zum Vergleich: Die durchschnittliche Dosis<br />
durch natürliche Umgebungsstrahlung in Deutschland pro<br />
Person liegt bei etwa 2,4 mSv/Jahr. Während des gesamten<br />
Lebens kommt es somit zu einer akkumulierten Dosis von<br />
wenigstens 100 mSv).<br />
- Schilddrüsenerkrankungen<br />
Die Schilddrüse benötigt Iod als Baustein für die Schilddrüsenhormonsynthese<br />
<strong>und</strong> konzentriert auf die Art <strong>und</strong><br />
Weise auch Radioiod sehr stark. Es ist seit langem bekannt,<br />
dass ionisierende Strahlung Schilddrüsenkrebs erzeugen<br />
kann, wobei Kinder besonders strahlenempfindlich sind.<br />
Zwischen 1992 <strong>und</strong> 2000 wurden in Weißrussland, Russ-<br />
land <strong>und</strong> der Ukraine ca. 4.000 Fälle von Schilddrüsenkrebs<br />
bei Kindern <strong>und</strong> Jugendlichen (jünger als 18 Jahre zum<br />
Zeitpunkt der Reaktorkatastrophe) diagnostiziert, wobei etwa<br />
die Hälfte dieser Fälle auf die Strahlenexposition zurückzuführen<br />
ist. Nach den vorliegenden Daten zu den Verläufen<br />
der Krebserkrankungen bei 1.152 Schilddrüsenkrebsfällen<br />
bei Kindern aus Weißrussland liegen die Überlebensraten<br />
für den Zeitraum 1992 bis 2002 bisher bei r<strong>und</strong> 99 %. Da die<br />
Schilddrüsenkrebsfälle bei einem nicht unerheblichen Teil<br />
dieses weißrussischen Kollektivs (ca. 20 %) in fortgeschrittenen<br />
Tumorstadien (N+, M+) diagnostiziert wurden, ist eine<br />
sichere Beurteilung der Prognose erst nach Jahrzehnten<br />
möglich.<br />
In jüngster Zeit wird auch über eine Zunahme der Schilddrüsenkrebs-Häufigkeit<br />
bei Erwachsenen berichtet. Bei auch in<br />
anderen Regionen der Welt steigenden Inzidenzen <strong>und</strong> einer<br />
nicht eindeutigen Korrelation der zunehmenden Inzidenzen<br />
bei Erwachsenen aus den unmittelbar betroffenen Gebieten<br />
der ehemaligen Sowjetunion mit der Strahlendosis<br />
durch Tschernobyl ist ein kausaler Zusammenhang bisher<br />
unklar.<br />
235
Fälle pro 100 000<br />
236<br />
Kinder (0 - 14)<br />
Jugendliche (15 - 18)<br />
Erwachsene (19 - 34)<br />
Jugendliche<br />
Erwachsene<br />
Kinder<br />
Abb. 6.5 Jährliche Inzidenz der Schilddrüsenkarzinome bei<br />
Kindern, Jugendlichen <strong>und</strong> jungen Erwachsenen in Weißrussland<br />
(Cardis et al. 2006)<br />
Andere Schilddrüsenerkrankungen – wie gutartige Schilddrüsenerkrankungen,<br />
Hypothyreose oder Autoimmunthyreo-<br />
iditis – wurden vereinzelt berichtet. Die Zusammenhänge<br />
zwischen der Strahlenexposition nach Tschernobyl <strong>und</strong> derartigen<br />
Beobachtungen sind jedoch noch unklar.<br />
- Leukämie<br />
Nach den Beobachtungen, die an den Überlebenden der<br />
Atombombenabwürfe auf Hiroshima <strong>und</strong> Nagasaki gemacht<br />
wurden, zählt die Leukämie zu den gesicherten Folgen einer<br />
Strahlenexposition. Insbesondere Kinder gelten hierbei als<br />
besonders strahlenempfindlich. Die vorliegenden Daten lassen<br />
den Schluss nicht zu, dass die Strahlenexposition durch<br />
Tschernobyl zu einer signifikanten Erhöhung der Rate kindlicher<br />
Leukämien geführt hat. Gleichermaßen liegt kein eindeutiger<br />
Hinweis dafür vor, dass die Leukämie bei erwachsenen<br />
Einwohnern der exponierten Gebiete zugenommen<br />
hat. Für die Liquidatoren zeichnet sich ab, dass das Risiko<br />
der Leukämie nach Exposition mit mehr als 150 mGy um<br />
den Faktor 2 zunimmt. Diese Beobachtung bedarf jedoch<br />
noch einer Bestätigung durch weitere Untersuchungen.
- Andere solide Tumoren als Schilddrüsenkrebs<br />
Nach dem aktuellen Bericht des Tschernobylforums liegen<br />
für die Bevölkerung bisher keine gesicherten Erkenntnisse<br />
über die Zunahme der Inzidenzen anderer solider Tumoren<br />
als Schilddrüsenkrebs durch die Tschernobylkatastrophe<br />
vor. Eine Ausnahme stellt allerdings möglicherweise der<br />
Brustkrebs bei prämenopausalen Frauen dar. Auch die Gesamtzahl<br />
solider Tumoren bei Liquidatoren steigt möglicherweise<br />
an. Für die Nicht-Schilddrüsenkrebse müssen Latenzzeiten<br />
von 10 bis 15 <strong>und</strong> mehr Jahren angenommen<br />
werden, so dass die Beobachtungszeiträume hier zum Teil<br />
noch zu kurz sind.<br />
- Andere ges<strong>und</strong>heitliche Effekte<br />
Die Angaben zu durch Tschernobyl bedingten Todesfällen,<br />
die in den letzten 20 Jahren gemacht wurden, bewegen sich<br />
zwischen zweistelligen <strong>und</strong> sechsstelligen Zahlen. Als gesichert<br />
kann gelten, dass bis heute r<strong>und</strong> 48 Personen verstorben<br />
sind (darunter 31 an Folgen des akuten Strahlensyndroms<br />
<strong>und</strong> 9 an Schilddrüsenkrebs). Angaben zu mehr als<br />
100.000 nach Tschernobyl verstorbenen Einwohnern der<br />
Ukraine beziffern die Gesamtmortalität <strong>und</strong> nicht die auf die<br />
Strahlenexposition zurückzuführende Sterblichkeitsrate. Die<br />
Gesamtzahl aller in der Zukunft zu erwartenden Todesfälle<br />
durch Krebs, die auf den Tschernobylunfall zurückzuführen<br />
sind, wird nach derzeitigen Schätzungen mit 4.000 bis maximal<br />
9.000 beziffert.<br />
Was die psychologischen Effekte der Tschernobylkatastrophe<br />
betrifft, so handelt es sich hierbei um das bei weitem<br />
größte Problem. Das Ausmaß der Tschernobylkatastrophe<br />
<strong>und</strong> die große Zahl der betroffenen Personen auch in wei-<br />
ter entfernten Gebieten mit den dadurch verb<strong>und</strong>en Fol-<br />
gen der Evakuierung <strong>und</strong> Umsiedelung sowie dem Verlust<br />
der ökonomischen Stabilität der Länder der ehemaligen<br />
Sowjetunion führten bei den Betroffenen zu verständli-<br />
chen Ängsten, massiver Verunsicherung <strong>und</strong> damit verb<strong>und</strong>enen<br />
psychischen <strong>und</strong> psychosomatischen Beschwerden.<br />
Unter den Stresssymptomen herrschen Depression <strong>und</strong><br />
Angstsymptome vor; die Selbstmordrate ist stark angestiegen.<br />
Die Tatsache, dass diese Störungen auch von man-<br />
237
chen Ärzten als direkte Folgen der Strahlenexposition erklärt<br />
werden, verschlechtert die Befindlichkeit der betroffenen<br />
Personen.<br />
Besondere Besorgnis haben Berichte zur Störung der kindlichen<br />
Hirnentwicklung in utero durch die Tschernobylkatastrophe<br />
ausgelöst. Eine Pilotstudie der WHO <strong>und</strong> zwei<br />
weitere Untersuchungen ergeben hierfür jedoch keinen Hinweis.<br />
Bezüglich hereditärer Effekte <strong>und</strong> Sterilität bzw. Infertilität<br />
zeigen die Erfahrungen aus Hiroshima <strong>und</strong> Nagasaki, dass<br />
derartige Störungen nur oberhalb von Schwellendosen auftreten,<br />
mit denen allenfalls die Ersthelfer auf der Anlage exponiert<br />
waren. Für die Bevölkerung könnten somit derartige<br />
Effekte ausgeschlossen werden. Dies steht nicht in Widerspruch<br />
zu der Beobachtung, dass die Geburtenraten in den<br />
betroffenen Gebieten abgenommen haben, wobei hierfür<br />
andere Effekte, wie z. B. die Unsicherheit über die sozioökonomische<br />
Entwicklung, ursächlich verantwortlich sein<br />
dürften.<br />
Kardiovaskuläre Erkrankungen haben in den letzten Jahren<br />
in der Ukraine, Weißrussland <strong>und</strong> Russland stark zugenommen.<br />
Aus Russland wird auch über eine groß angelegte<br />
Studie an Liquidatoren berichtet, die eine Zunahme des relativen<br />
Risikos für Tod an kardiovaskulären Erkrankungen<br />
zeigt. Eine Korrelation mit der Strahlendosis fehlt jedoch. Es<br />
bedarf weiterer Studien an Ersthelfern unter Verwendung<br />
geeigneter Kontrollgruppen <strong>und</strong> adäquater Dosimetrie, um<br />
diesen Effekten nachzugehen.<br />
Ein weiteres in der Öffentlichkeit viel diskutiertes Thema ist<br />
eine auf die Strahlenexposition zurückgeführte Immunschwäche,<br />
auch als „Tschernobyl-AIDS“ bezeichnet. Bisher<br />
lassen sich für Dosen bis zu einigen 10 mGy keine eindeutigen,<br />
auf die Strahlenexposition zurückzuführenden Effekte<br />
nachweisen.<br />
- Strahlenexposition in Deutschland durch Tschernobyl<br />
Die Strahlenexposition von Menschen in Deutschland wurde<br />
durch folgende Expositionspfade verursacht:<br />
238
� Bestrahlung von außen durch radioaktive Stoffe in der<br />
umgebenden Luft <strong>und</strong> durch ihre Ablagerung am Boden<br />
� Bestrahlung von innen durch Inhalation von kontaminierter<br />
Luft sowie Ingestion von kontaminierten Lebensmitteln<br />
Die Bestrahlung aus der umgebenden Luft lieferte im Vergleich<br />
zu den anderen Expositionspfaden nur geringe Beiträge,<br />
dies gilt auch für die Inhalation von kontaminierter Luft<br />
(inklusive der Aufnahme von radioaktivem Iod). Die Aufnahme<br />
kontaminierter Nahrungsmittel (Ingestion) trug in höherem<br />
Maße zu der Gesamtdosis bei, die durch die Reaktorkatastrophe<br />
in Tschernobyl verursacht worden ist. Auch<br />
heute noch sind in damals hochkontaminierten Gebieten<br />
Wildfleisch <strong>und</strong> bestimmte Waldpilze mit langlebigem Cä-<br />
sium kontaminiert.<br />
Abb. 6.6 Strahlenexposition im ersten Jahr nach der Reaktorkatastrophe<br />
von Tschernobyl <strong>und</strong> als kumulative 50 Jahre-<br />
Folgedosis für verschiedene deutsche Gebiete in Relation zur<br />
Variationsbreite der natürlichen jährlichen Strahlenexposition<br />
(SSK 1996)<br />
239
Die gesamte Strahlenexposition der Menschen in Deutschland<br />
ist in Abb. 6.6 dargestellt. Im ersten Jahr nach der Reaktorkatastrophe<br />
war die zusätzliche Strahlendosis im Mittel<br />
kleiner als die normale Variation der jährlichen natürlichen<br />
Strahlenexposition, die durch Unterschiede im Aufenthaltsort<br />
innerhalb Deutschlands bedingt ist. Die Strahlenschutzkommission<br />
schätzte bereits 1996 zutreffend ab, dass die<br />
gesamte Lebenszeitdosis der Menschen in den relativ hoch<br />
kontaminierten Voralpengebieten durch den Reaktorunfall<br />
etwa gleich sein wird wie die Strahlendosis aus natürlichen<br />
Quellen innerhalb eines Jahres (2,4 mSv). Der mittlere Wert<br />
der Exposition für die deutsche Bevölkerung durch den<br />
Tschernobylunfall liegt unterhalb von einem mSv. Ges<strong>und</strong>heitliche<br />
Effekte für die Bevölkerung in Deutschland sind<br />
zwar vielfältig diskutiert worden. So finden sich Berichte<br />
über die Erhöhung von Missbildungen, Sterberaten bei<br />
Frühgeborenen <strong>und</strong> genetische Effekte (Mongolismus). Eine<br />
sorgfältige Überprüfung dieser Daten hat aber ergeben,<br />
dass ges<strong>und</strong>heitliche Effekte bei der Bevölkerung in<br />
Deutschland durch die Strahlendosen infolge der Reaktor-<br />
katastrophe in Tschernobyl nicht verursacht sein können.<br />
Dies gilt auch für Krebserkrankungen bzw. Krebstodesfälle.<br />
Aufgr<strong>und</strong> der strahlenbiologischen <strong>und</strong> klinischen Erfahrungen<br />
mit ionisierenden Strahlen waren derartige Effekte bei<br />
den aufgetretenen Strahlendosen auch nicht zu erwarten.<br />
Iodblockade als Maßnahme zur Strahlenschutzvorsorge<br />
Im Falle der Freisetzung von radioaktivem Iod durch einen<br />
Reaktorunfall kann die Aufnahme des radioaktiven Iods<br />
durch stabiles Iod in Tablettenform effektiv blockiert werden.<br />
Derartige Iodtabletten sind prinzipiell leicht verfügbar, preiswert<br />
<strong>und</strong> in geeigneter Verpackung lange haltbar. Um eine<br />
ausreichende Wirkung zu erzielen, muss die Tabletteneinnahme<br />
wenige St<strong>und</strong>en vor oder nach der Exposition mit radioaktivem<br />
Iod erfolgen.<br />
240
Vermeidbare<br />
Schilddrüsendosis (%)<br />
Iodversorgung ausrei-<br />
Iodman-<br />
Zeit der Kaliumiodid-Gabe relativ<br />
zur Radioiod-Inkorporation (h)<br />
Abb. 6.7 Effektivität – ausgedrückt als vermeidbare Dosis in Prozent<br />
– der Verordnung von Kaliumiodid in Relation zur Inkorporation<br />
von Radioiod (in St<strong>und</strong>en). Unterschiedliche Betrachtung für<br />
ausreichende (durchgezogene Linie) bzw. unzureichende (gestrichelte<br />
Linie) Zufuhr von Iod mit der Nahrung (Reiners 2006<br />
Die Iodtabletten dienen in erster Linie der Blockierung der<br />
Aufnahme von Radioiod durch Inhalation aus einer radioaktiven<br />
Wolke. Iodtabletten sollten im Prinzip nur einmal verabreicht<br />
werden, da ggf. zusätzliche Schutzmaßnahmen greifen<br />
müssen (wie Evakuierung oder Verzehrsverbot für kontaminierte<br />
Milch <strong>und</strong> Nahrungsmittel).<br />
Nach den vorliegenden epidemiologischen Erkenntnissen<br />
sind Ungeborene, Kleinkinder, Kinder sowie Schwangere<br />
<strong>und</strong> stillende Frauen besonders schutzbedürftig. Kinder bis<br />
zu 4 Jahren sind besonders empfindlich gegen die möglichen<br />
schädigenden Effekte ionisierender Strahlung. Außerdem<br />
nehmen kindliche Schilddrüsen – bezogen auf das geringere<br />
Volumen – stärker Iod auf als die Schilddrüsen älterer<br />
Personen. Neben dem Zeitpunkt der Verabreichung ist<br />
die Menge des stabilen Iods entscheidend für die Reduktion<br />
der Speicherung radioaktiven Iods. Eine möglichst vollständige<br />
Blockade wird durch die in der nachfolgenden Tabelle<br />
altersabhängig angegebenen Dosierungen erreicht.<br />
241
Personengruppe Tagesgabe<br />
in mg Iodid<br />
242<br />
< 1 Monat<br />
1–36 Monate<br />
3–12 Jahre<br />
13–45 Jahre<br />
> 45 Jahre<br />
12,5<br />
25<br />
50<br />
100<br />
0<br />
Tagesgabe<br />
in mg Kaliumiodid<br />
16,25<br />
32,5<br />
65<br />
130<br />
0<br />
Tabletten<br />
à 65 mg<br />
Kalium-<br />
iodid<br />
1/4<br />
1/2<br />
1<br />
2<br />
0<br />
Tab. 6.1 Empfohlene Dosis Iodid bzw. Kaliumiodid nach Alter<br />
(SSK 2004)<br />
Iodtabletten sind nur nach Aufforderung durch die zuständige<br />
Behörde einzunehmen. Schwangere <strong>und</strong> Stillende erhalten<br />
die gleiche Ioddosis wie die Gruppe der 13- bis 45-Jährigen.<br />
Im Regelfall ist eine einmalige Einnahme der Iodtabletten<br />
ausreichend, im Ausnahmefall kann die zuständige<br />
Behörde eine weitere Tabletteneinnahme empfehlen. Die<br />
Tabletteneinnahme ist jedoch bei Neugeborenen stets auf<br />
einen Tag, bei Schwangeren <strong>und</strong> Stillenden auf zwei Tage<br />
zu beschränken. Aufgr<strong>und</strong> des sehr geringen Risikos der<br />
Krebsinduktion durch radioaktives Iod bei älteren Menschen<br />
<strong>und</strong> einer zunehmenden Häufigkeit funktioneller Autonomien<br />
mit Krankheitswert bei fortschreitendem Lebensalter soll die<br />
Iodblockade bei über 45-Jährigen nicht durchgeführt werden.<br />
Kontraindikationen gegen die Iodblockade sind Iodallergien<br />
(nicht zu verwechseln mit einer Unverträglichkeitsreaktion<br />
gegenüber iodhaltigen Medikamenten oder Röntgenkontrastmitteln),<br />
Dermatitis herpetiformis Duhring, Iododerma<br />
tuberosum, hypokomplementämische Vaskulitis <strong>und</strong> Myotonia<br />
congenita. Für diese Patienten kommt alternativ eine<br />
Schilddrüsenblockade durch Natriumperchlorat (1 g täglich<br />
über 7 Tage) infrage.<br />
In der B<strong>und</strong>esrepublik wurden erstmals 1975 Empfehlungen<br />
zur Iodblockade für den Fall eines Kernkraftwerkunfalls ausgesprochen<br />
<strong>und</strong> Iodtabletten in einer Dosierung von 130 mg<br />
Kaliumiodid von den Ländern für den Katastrophenschutz im<br />
Umkreis von 25 km um die Atomkraftwerke beschafft. Auf<br />
der Gr<strong>und</strong>lage aktueller Empfehlungen der Strahlenschutz-
kommission wurden diese Tabletten im Frühjahr 2004 ausgetauscht.<br />
In der unmittelbaren Umgebung der Atomkraftwerke<br />
(bis 25 km) sorgen die Länder für die Versorgung der<br />
Bevölkerung. Neu ist, dass für den Entfernungsbereich bis<br />
100 km Iodtabletten in 7 Zentrallagern aufbewahrt werden<br />
<strong>und</strong> allen Ländern bei Bedarf für die Iodblockade zur Verfügung<br />
stehen. Geändert wurde auch die Dosierung: Die neuen<br />
Iodtabletten enthalten 65 mg Kaliumiodid, was die Dosierung<br />
bei Kindern erleichtert. Die Beschaffung von insgesamt<br />
137 Mio. Iodtabletten wurde von den Atomkraftwerksbetreibern<br />
finanziert <strong>und</strong> erfolgte in enger Kooperation mit dem<br />
B<strong>und</strong>esministerium für Umwelt, Naturschutz <strong>und</strong> Reaktorsicherheit<br />
(BMU).<br />
6.2 Missbrauch von radioaktiven Stoffen<br />
Der Missbrauch von nuklearen oder anderen radioaktiven<br />
Stoffen wird nach Auflösung der Sowjetunion <strong>und</strong> angesichts<br />
der Bedrohung durch den internationalen Terrorismus ausgehend<br />
von Staaten, Gruppen oder Einzeltätern <strong>und</strong> durch<br />
die Weiterverbreitung von Nuklearwaffen nicht länger nur als<br />
hypothetische sondern als reale Gefahr betrachtet. Das<br />
Spektrum des Missbrauchs reicht von der Nuklearkriminalität<br />
bis hin zum Nuklearterrorismus. Die zugr<strong>und</strong>e liegenden Motive<br />
sind entweder finanzieller oder terroristischer Art.<br />
Nuklearkriminalität<br />
Fälle von Nuklearkriminalität (illegaler Handel, vorsätzlicher<br />
Erwerb, Verkauf oder Schmuggel sowie versehentliches<br />
Verbringen von nuklearem oder anderem radioaktiven Material,<br />
wie unbeabsichtigte Entsorgung oder der Nachweis von<br />
kontaminierten Produkten) sind in der umfassenden IAEA<br />
Datenbank „Illicit Trafficking Database“ (ITDB) dokumentiert.<br />
243
Abb. 6.8 Bestätigte Vorfälle in der IAEA Datenbank „Illicit Trafficking<br />
Database“, 1993-2004 (IAEA 2005)<br />
Von 1993 bis Ende Dezember 2004 wurden 662 Vorfälle<br />
bestätigt, davon 196 mit nuklearem Material, 400 mit anderem<br />
radioaktiven Material sowie 24 Vorfälle sowohl mit nuklearem<br />
als auch anderem radioaktiven Material. Im Jahr<br />
1996 wurde mit 26 Vorfällen die geringste Zahl dokumentiert,<br />
2004 die höchste Anzahl mit 93 Vorkommnissen. In<br />
50 % der Fälle handelte es sich um kriminelle Aktivitäten<br />
wie Diebstahl, illegalen Besitz, versuchten Verkauf oder<br />
Schmuggel.<br />
Abb. 6.9 Verteilung der Vorkommnisse von illegalem Handel<br />
mit nuklearem Material, 1993-2003 (IAEA 2004)<br />
244
In der Mehrzahl der Vorfälle zwischen 1993–2004 lag nukleares<br />
Material in Form von natürlichem Uran, abgereichertem<br />
Uran oder niedrig angereichertem Uran vor. Bei 17 Vorfällen<br />
bis 2003 <strong>und</strong> bei einem Vorfall 2004 lag Handel mit hoch<br />
angereichertem Uran <strong>und</strong> Plutonium vor. Hoch angereichertes<br />
Uran (high enriched uranium: HEU) <strong>und</strong> Plutonium (Pu)<br />
sind geeignet für den unmittelbaren Gebrauch in einer improvisierten<br />
Nuklearbombe. Nuklearmaterial in der Form von<br />
niedrig angereichertem Uran (low enriched uranium), abgereichertem<br />
Uran (depleted uranium), natürlichem Uran (natural<br />
uranium) <strong>und</strong> Thorium erfordert dagegen eine intensive,<br />
technisch komplexe Verarbeitung, um in einer improvisierten<br />
Nuklearbombe Verwendung zu finden.<br />
Wie Tabelle 6.1 zeigt, kam es nach Auflösung der Sowjetunion<br />
in den frühen 90er Jahren zu einem Anstieg der Vorfälle<br />
mit nuklearem Material. Seit 1994 ist diese Tendenz<br />
stark rückläufig. In nur ganz wenigen Fällen ging es um waffentaugliches<br />
Nuklearmaterial, wobei es sich meist um kleine<br />
Proben von größeren Mengen Nuklearmaterials handelte,<br />
selten um waffentaugliches Nuklearmaterial in der Größenordnung<br />
von Kilogrammmengen. In Deutschland ist illegaler<br />
Handel mit nuklearem Material seit 1992 bekannt. Auch<br />
in Bayern wurden mehrere Fälle festgestellt. Die Herkunftsländer<br />
des nuklearen Materials waren überwiegend Staaten<br />
des ehemaligen Ostblocks.<br />
245
Datum Ort Material Vorfallbeschreibung<br />
24.05.<br />
1993<br />
März<br />
1994<br />
10.05.<br />
1994<br />
13.06.<br />
1994<br />
25.07.<br />
1994<br />
10.08.<br />
1994<br />
14.12.<br />
1994<br />
Juni<br />
1995<br />
06.06.<br />
1995<br />
08.06.<br />
1995<br />
246<br />
Vilnius<br />
Litauen<br />
St. Petersburg<br />
Russland<br />
Tengen-<br />
Wiechs<br />
Deutschland<br />
Landshut<br />
Deutschland<br />
München<br />
Deutschland<br />
München<br />
Deutschland<br />
Prag<br />
Tschechien<br />
Moskau<br />
Russland<br />
Prag<br />
Tschechien<br />
Ceske Budejovice<br />
Tschechien<br />
HEU/ 150 g<br />
HEU/ 2.972<br />
kg<br />
Pu/ 6.2 g<br />
HEU/ 0.795 g<br />
Pu/ 0.24 g<br />
Pu/ 363.4 g<br />
HEU/ 2.73 kg<br />
HEU/ 1.7 kg<br />
HEU/ 0.415 g<br />
HEU/ 16.9 g<br />
Auffinden von 140 kg mit<br />
HEU kontaminiertem Beryllium<br />
im Tresorraum einer<br />
Bank in Teilen einer Frachtsendung<br />
von 4.4 t legal importiertem<br />
Beryllium<br />
Verhaftung einer Person<br />
wegen Besitz von in einer<br />
nukleartechnischen Anlage<br />
gestohlenem HEU<br />
Auffinden von Pu bei einer<br />
polizeilichen Hausdurchsuchung<br />
Verhaftung mehrerer Personen<br />
wegen Besitz von<br />
HEU<br />
Konfiszierung einer geringen<br />
Menge eines PuO2-<br />
UO2 Gemischs im Zusammenhang<br />
mit einer größeren<br />
Beschlagnahme auf<br />
dem Flughafen München<br />
am 10.08.1994<br />
Beschlagnahme eines<br />
PuO2-UO2 Gemischs auf<br />
dem Flughafen München<br />
Beschlagnahme von HEU<br />
durch die Polizei in Prag<br />
Verhaftung einer Person<br />
wegen Besitz von in einer<br />
nukleartechnischen Anlage<br />
gestohlem HEU<br />
Beschlagnahme einer Probe<br />
HEU durch die Polizei<br />
in Prag<br />
Beschlagnahme einer Probe<br />
HEU durch die Polizei<br />
in Ceske Budejovice
29.05.<br />
1999<br />
02.10.<br />
1999<br />
19.04.<br />
2000<br />
16.09.<br />
2000<br />
Dezember<br />
2000<br />
28.01.<br />
2001<br />
16.07.<br />
2001<br />
26.06.<br />
2003<br />
Rousse<br />
Bulgarien<br />
Kara-Balta<br />
Kirgisien<br />
Batumi<br />
Georgien<br />
Tbilisi<br />
Georgien<br />
Karlsruhe<br />
Deutschland<br />
Asvestochori<br />
Griechenland<br />
Paris<br />
Frankreich<br />
Sadahlo<br />
Georgien<br />
HEU/ 10 g<br />
Pu/ 1.49 g<br />
HEU/ 770 g<br />
Pu/ 0.4 g<br />
Pu/ 0.001 g<br />
Pu/ ~3 g<br />
HEU/ 0.5 g<br />
HEU/ ~170 g<br />
Verhaftung einer Person<br />
durch Zollbehörden beim<br />
versuchten Schmuggel von<br />
HEU am Zollkontrollpunkt<br />
Rousse<br />
Verhaftung zweier Personen<br />
wegen versuchten<br />
Verkaufs von Pu<br />
Verhaftung von vier Personen<br />
wegen Besitz von<br />
HEU<br />
Beschlagnahme von nuklearem<br />
Material einschließlich<br />
Pu durch die Polizei<br />
auf dem Flughafen Tbilisi<br />
Diebstahl unterschiedlichen<br />
radioaktiven Materials einschließlich<br />
einer winzigen<br />
Menge Pu aus der ehemaligen<br />
Versuchsanlage zur<br />
Wiederaufarbeitung<br />
Auffinden von 245 kleinen<br />
Pu-haltigen Metallplatten in<br />
einem Geheimlager im<br />
Wald Kouri beim Dorf Asvestochori<br />
Verhaftung von drei Personen<br />
in Paris beim versuchten<br />
Verkauf von HEU<br />
Verhaftung einer Person<br />
wegen Besitz von HEU<br />
beim versuchten Schmuggel<br />
des Materials<br />
Tab. 6.2 Bestätigte Vorfälle mit high enriched uraniuim (HEU)<br />
oder Plutonium (Pu) (nach IAEA 2005)<br />
Bei anderem radioaktiven Material handelte es sich zumeist<br />
um umschlossene radioaktive Quellen mit unterschiedlicher<br />
Aktivität <strong>und</strong> unterschiedlichem Verwendungszweck.<br />
Die Mehrzahl der Quellen war Cs-137, gefolgt von<br />
247
Sr-90, Am-241, Co-60 <strong>und</strong> Ir-192. Bei einem Großteil der<br />
Vorkommnisse lag kein krimineller Hintergr<strong>und</strong> vor.<br />
Abb. 6.10 Verteilung der angegebenen Aktivität von anderem<br />
radioaktiven Material bei bestätigten Vorfällen, 1993-2003 (vorläufige<br />
Zahlen für 2003) (IAEA 2004)<br />
Nuklearterrorismus<br />
Unter Nuklearterrorismus versteht man den Gebrauch von<br />
nuklearem oder anderem radioaktiven Material sowie Handlungen<br />
gegen nukleare Anlagen aus terroristischen Motiven.<br />
Verschiedene Szenarien des Nuklearterrorismus mit unterschiedlicher<br />
Eintrittswahrscheinlichkeit <strong>und</strong> unterschiedlichen<br />
Auswirkungen <strong>und</strong> Folgen lassen sich differenzieren. Die<br />
Eintrittswahrscheinlichkeit ist beim Nuklearterrorismus von<br />
der technischen Machbarkeit abhängig; durch diese wird das<br />
Risiko in erster Linie bestimmt, nicht durch die Auswirkungen<br />
<strong>und</strong> Folgen.<br />
Drei Arten des Nuklearterrors lassen sich unterscheiden, erstens<br />
der Einsatz von radioaktivem Material als „schmutziger<br />
Bombe“ bzw. der Strahlenterrorismus (z. B. die Kontamination<br />
von Trinkwasser <strong>und</strong> Nahrungsmitteln oder das Ablegen<br />
von radioaktiven Quellen in dicht bewohnten Gebieten),<br />
zweitens die Sabotage von oder der Angriff auf kerntechnische<br />
Anlagen oder Wiederaufarbeitungsanlagen <strong>und</strong> drittens<br />
der Diebstahl von Nuklearwaffen oder von nuklearem Material<br />
zum Bau einer improvisierten nuklearen Bombe.<br />
248
Strahlenterrorismus<br />
/<br />
„Schmutzige<br />
Bombe“<br />
Sabotage /<br />
Anschlag<br />
auf kerntechnische<br />
Anlage<br />
ImprovisierteNuklearbombe<br />
Machbarkeit<br />
/<br />
Wahrscheinlichkeitschwierig,<br />
aber<br />
machbar<br />
sehr<br />
schwierig<br />
extrem<br />
klein<br />
Betroffenes<br />
Gebiet<br />
Vorwiegend<br />
lokal<br />
sehr groß<br />
(>100km 2)<br />
groß<br />
(>50km 2)<br />
Effekte / Schäden<br />
Mensch<br />
klein bis<br />
mittel<br />
beschränkt<br />
sehr<br />
groß bis<br />
katastrophal<br />
Umwelt /<br />
Wirtschaft<br />
groß<br />
sehr<br />
groß<br />
verheerend<br />
Psyche<br />
Risiko<br />
sehr<br />
groß mittel<br />
gewaltig<br />
sehr<br />
klein<br />
traum<br />
atisch extrem<br />
klein<br />
Tab. 6.3 Vergleichende Risikoabschätzung für verschiedene<br />
Formen des Nuklearterrorismus (nach Anet 2001)<br />
- „Schmutzige Bombe“<br />
Bei einer „schmutzigen Bombe“ handelt es sich um konventionellen<br />
Sprengstoff, z. B. Dynamit, dem radioaktive Stoffe<br />
in Form von Puder oder kleinsten Kugeln beigefügt oder<br />
beigemischt sind. Durch die Explosion kommt es zu einer<br />
Verteilung (Dispersion) von radioaktivem Material. Dadurch<br />
unterscheidet sich das Szenario eines „Radiological Dispersion<br />
Device“ („RDD“) bzw. einer „schmutzigen Bomben“ von<br />
einer Nuklearbombe, die auf einer Kernspaltung beruht.<br />
Unterschiedliche Radionuklide mit stark variierenden Aktivitäten<br />
finden in der zivilen Industrie, in Forschung <strong>und</strong> Medizin<br />
breite Anwendung. Zu den gebräuchlichsten radioaktiven<br />
Quellen gehören Kobalt-60 für die Bestrahlung von Lebensmitteln,<br />
Cäsium-137 für medizinische <strong>und</strong> wissenschaftliche<br />
Geräte, Americium-241 in Rauchmeldern <strong>und</strong> technischen<br />
Messgeräten, Tritium für Leuchtfarben, Iridium-192 in Geräten<br />
zur Überprüfung von Schweißnähten <strong>und</strong> Nickel-63 für<br />
chemische Analysen. Weitere wichtige Nuklide im Zusammenhang<br />
mit der "schmutzigen Bombe" sind Strontium-90<br />
<strong>und</strong> Plutonium-239.<br />
249
- Sabotage bzw. terroristischer Anschlag<br />
Als Ziele von Sabotage oder eines terroristischen Anschlags<br />
könnten vor allem Kernkraftwerke dienen. Radioaktive Freisetzungen<br />
aus nuklearen Anlagen sind nicht mit einer<br />
Nuklearbombe vergleichbar, da Nuklearanlagen nicht explodieren<br />
können. Auch Lager für militärisches <strong>und</strong> ziviles<br />
nukleares Material <strong>und</strong> für radioaktive Abfälle, Wiederaufarbeitungsanlagen<br />
für nukleare Brennstoffe, Urananreicherungsanlagen,<br />
Forschungsreaktoren <strong>und</strong> Nukleartransporte<br />
kämen als Ziele in Frage.<br />
Angriffe auf Kernkraftwerke sind zwar möglich, in Anbetracht<br />
der umfassenden Sicherheitsmaßnahmen von kerntechnischen<br />
Anlagen zeichnet sich dieses Szenario jedoch durch<br />
eine geringe Machbarkeit aus <strong>und</strong> stellt damit ein sehr unwahrscheinliches<br />
Ereignis dar.<br />
Im Gegensatz zur geringen Wahrscheinlichkeit steht das<br />
große Gefährdungspotential, das einem nuklearen Fallout<br />
gleichkäme. Aber selbst wenn Anschläge nicht oder nur zu<br />
einer geringen Freisetzung von <strong>Radioaktivität</strong> führen würden,<br />
wären die psychologischen Auswirkungen in der Bevölkerung<br />
sehr groß <strong>und</strong> der Schaden würde sich auf die gesamte<br />
Nuklearindustrie erstrecken.<br />
- Improvisierte Nuklearbombe<br />
Der Bau von improvisierten Nuklearbomben durch Terroristen<br />
setzt die Beschaffung einer genügenden Menge von geeignetem<br />
nuklearem Material, hoch angereichertem Uran<br />
bzw. Plutonium, voraus. Trotz der bekannt gewordenen Fälle<br />
von Schmuggel ist eine unentdeckte Abzweigung großer<br />
Mengen nuklearen Materials durch nicht-staatliche Organisationen<br />
äußerst unwahrscheinlich oder gar unmöglich. Zudem<br />
ist die Entwicklung selbst einer einfachen Nuklearbombe<br />
technisch äußerst anspruchsvoll <strong>und</strong> setzt eine aufwendige<br />
<strong>und</strong> teuere Ausrüstung voraus, die überdies unter internationaler<br />
Kontrolle steht. Das Szenario einer improvisierten<br />
Nuklearbombe ist daher äußerst unwahrscheinlich. Die<br />
Verwendung von gestohlenen Nuklearwaffen scheint dagegen<br />
eher möglich. Schwer berechenbare Risiken stellen der<br />
Verlust der Kontrolle Russlands <strong>und</strong> der Folgestaaten der<br />
250
früheren Sowjetunion über nukleares Material, über sensitive<br />
Technologien <strong>und</strong> über das Know-how auf dem Gebiet<br />
der Nuklearwaffen dar sowie die Rekrutierung arbeitsloser<br />
Nuklearspezialisten durch Länder <strong>und</strong> terroristische Organisationen.<br />
Die Folgen einer Nuklearbombe wären unvorstellbar groß,<br />
wobei die Auswirkungen von Druckwelle <strong>und</strong> Hitze die Folgen<br />
von <strong>Radioaktivität</strong> übersteigen würden. Die Anzahl der<br />
Betroffenen wäre groß <strong>und</strong> weite Gebiete wären kontaminiert.<br />
Gegenmaßnahmen<br />
Die in der B<strong>und</strong>esrepublik getroffenen Maßnahmen begründen<br />
einen im europäischen Vergleich hohen Standard. Initiativen<br />
der Europäischen Union zur Angleichung der in den<br />
Mitgliedsstaaten noch unterschiedlichen Standards sind eingeleitet.<br />
Der Prävention des illegalen Handels <strong>und</strong> des missbräuchlichen<br />
Einsatzes nuklearer <strong>und</strong> anderer radiologischer Quellen<br />
kommt der höchste Stellenwert zu. Maßnahmen gegen<br />
den illegalen Handel beinhalten einmal effektive Schutzmaßnahmen<br />
<strong>und</strong> zum anderen Kontroll- <strong>und</strong> Sicherungsmaßnahmen.<br />
Der sog. physische Schutz umfasst den<br />
Schutz des nuklearen Materials vor Diebstahl, Sabotage<br />
oder anderen illegalen Aktivitäten innerhalb der Landesgrenzen.<br />
Schutzmaßnahmen des Betreibers schließen umfassende<br />
technische <strong>und</strong> administrative Vorkehrungen gegen<br />
Abzweigung von nuklearem Material ein, z. B. Zaunüberwachung<br />
oder Wachdienste, die gesicherte Lagerung<br />
des nicht in Nutzung bzw. Verarbeitung befindlichen nuklearen<br />
Materials <strong>und</strong> die laufende Beobachtung mit automatischen<br />
Kameras. Aufgabe der IAEA <strong>und</strong> ihrer Mitgliedsstaaten<br />
ist es, illegalen Handel durch entsprechende Kontrollmaßnahmen<br />
zu verhindern. Kontroll- <strong>und</strong> Sicherungsmaßnahmen<br />
beinhalten die laufende Buchführung über den Eingang<br />
<strong>und</strong> Ausgang radioaktiver Stoffe <strong>und</strong> Abfälle, also die<br />
regelmäßige Bestimmung des Inventars <strong>und</strong> mindestens eine<br />
jährliche Inventur. Hoheitliche Kontrollen umfassen die<br />
regelmäßige visuelle Kontrolle vor Ort <strong>und</strong> Durchsicht der<br />
251
Dokumentation durch Inspektoren der IAEA sowie der Europäischen<br />
Atomgemeinschaft (EURATOM).<br />
Die Kontrolle des Schmuggels etwa durch <strong>Radioaktivität</strong>smessung<br />
beim grenzüberschreitenden Verkehr kommt zum<br />
Einsatz, wenn Präventionsmaßnahmen nicht greifen.<br />
6.3 Überwachung der Umweltradioaktivität<br />
in Bayern<br />
Die Überwachung der Umweltradioaktivität ist auch aufgr<strong>und</strong><br />
des § 1 des Strahlenschutzvorsorgegesetzes (StrVG) eine<br />
Verpflichtung für B<strong>und</strong>es- <strong>und</strong> Landesbehörden (siehe Nr.<br />
5.4.2). Die Überwachung der Umweltradioaktivität ist eine<br />
wichtige Komponente des präventiven Notfallschutzes bei<br />
einem nuklearen Ereignisfall <strong>und</strong> dient als Basis für die Bewertung<br />
eines Ereignisses <strong>und</strong> für das Ergreifen von entsprechenden<br />
Maßnahmen.<br />
Bei der <strong>Radioaktivität</strong>süberwachung werden zwei Bereiche<br />
unterschieden, erstens die großräumige Überwachung der<br />
allgemeinen Umweltradioaktivität im gesamten Staatsgebiet<br />
bzw. in einem B<strong>und</strong>esland <strong>und</strong> zweitens die Umgebungsüberwachung<br />
im Nahbereich einer kerntechnischen Anlage.<br />
Integriertes Mess- <strong>und</strong> Informationssystems (IMIS) zur<br />
Überwachung der allgemeinen Umweltradioaktivität<br />
In Deutschland begann die Überwachung der Umwelt in den<br />
frühen fünfziger Jahren mit der Messung des radioaktiven<br />
Fallouts der oberirdischen Atomwaffentests. Der Reaktorunfall<br />
in Tschernobyl war der Anlass, das bisherige seit dem<br />
EURATOM-Vertrag bestehende Überwachungssystem flächenmäßig<br />
auszuweiten, messtechnisch erheblich auszubauen<br />
<strong>und</strong> mit Hilfe der Informationstechnik zum Integrierten<br />
Mess- <strong>und</strong> Informationssystem (IMIS) zusammenzufassen.<br />
IMIS gewährleistet mit seinen Daten aus den Messstationen<br />
des B<strong>und</strong>es <strong>und</strong> ca. 400 Messstationen in Bayern, dass eine<br />
erhöhte Umweltradioaktivität flächendeckend, schnell <strong>und</strong><br />
sicher erkannt wird. Diese Überwachung erfolgt routinemäßig<br />
(Routinebetrieb) <strong>und</strong> bei Störfällen oder Unfällen (Störfallbetrieb).<br />
Damit spielt IMIS eine wichtige Rolle bei der<br />
252
Notfallvorsorge. Überschreitet die <strong>Radioaktivität</strong> einen bestimmten<br />
Schwellenwert wird automatisch ein Alarm ausgelöst.<br />
Dies ist eine wesentliche Gr<strong>und</strong>lage für Entscheidungen<br />
des BMU zur Einleitung umgehender koordinierter Vorsorgemaßnahmen.<br />
4. Ebene: „Entscheidung- <strong>und</strong><br />
Informationsebene“<br />
3. Ebene: „Datenzusammenführung“<br />
B<strong>und</strong>esmessnetze von<br />
B<strong>und</strong>esamt für Strahlenschutz<br />
Deutscher Wetterdienst<br />
B<strong>und</strong>esamt für Gewässerk<strong>und</strong>e<br />
B<strong>und</strong>esamt für Seeschifffahrt<br />
<strong>und</strong> Hydrographie<br />
B<strong>und</strong>esumweltamt<br />
2. Ebene: „Sammlung, Auswertung<br />
<strong>und</strong> Dokumentation von<br />
<strong>Radioaktivität</strong>sdaten in Bayern“<br />
1. Ebene: „Datenermittlung“<br />
B<strong>und</strong>esministerium für Umwelt,<br />
Naturschutz <strong>und</strong> Reaktorsicherheit<br />
Zentralstelle des B<strong>und</strong>es für die<br />
Überwachung der Umweltradioaktivität<br />
(ZdB)<br />
B<strong>und</strong>esamt für Strahlenschutz<br />
Neuherberg<br />
Zentralstelle für die Überwachung der<br />
Umweltradioaktivität in Bayern<br />
Landesmessstelle<br />
<strong>Bayerisches</strong> Landesamt für Umwelt,<br />
Augsburg<br />
B<strong>und</strong><br />
B<strong>und</strong>esleitstellen für<br />
die Überwachung der<br />
Umweltradioaktivität<br />
Freistaat Bayern<br />
Abb. 6.11 Übersicht über beteiligte Institutionen bei der Überwachung<br />
der Umweltradioaktivität (IMIS) in Bayern<br />
Die B<strong>und</strong>eseinrichtungen überwachen Luft, Niederschlag,<br />
Boden, Wasser, Schwebstoffe <strong>und</strong> Sediment, die Landeseinrichtungen<br />
überwachen Lebensmittel, Futtermittel, Düngemittel,<br />
Arzneimittel, Gebrauchsgegenstände usw. IMIS<br />
greift auf die b<strong>und</strong>esweit existierenden Messnetze der folgenden<br />
Behörden zu:<br />
� B<strong>und</strong>esamt für Strahlenschutz (BfS): etwa 2.150 Messstellen<br />
zur Überwachung der bodennahen Gamma-Ortsdosisleistung,<br />
die flächendeckend in einem Raster von<br />
jeweils 15 x 15 km über Deutschland verteilt sind <strong>und</strong><br />
12 Messstellen zur Überwachung der <strong>Radioaktivität</strong> in der<br />
Luft.<br />
� Deutscher Wetterdienst (DWD): 39 Messstellen zur Überwachung<br />
der <strong>Radioaktivität</strong> in Luft <strong>und</strong> Niederschlag.<br />
253
� B<strong>und</strong>esanstalt für Gewässerk<strong>und</strong>e (BfG): 40 Messstellen<br />
zur Überwachung der B<strong>und</strong>eswasserstraßen (Flüsse <strong>und</strong><br />
Kanäle).<br />
� B<strong>und</strong>esamt für Seeschifffahrt <strong>und</strong> Hydrografie (BSH): 12<br />
Messstellen zur Überwachung der Küstengewässer.<br />
� Die Dienststelle Freiburg des BfS sammelt die Daten der<br />
Messnetze des BfS <strong>und</strong> des DWD, wertet sie aus <strong>und</strong><br />
übergibt sie an die Zentralstelle des B<strong>und</strong>es (ZdB) im BfS<br />
zur Weiterleitung an das BMU.<br />
Abb. 6.12 Mittlere externe Strahlenexposition in Deutschland in<br />
Bodennähe im Freien, 2004 (BMU 2005)<br />
Immissionsmessnetz für <strong>Radioaktivität</strong> (IfR) zur Über-<br />
wachung der Umweltradioaktivität<br />
Neben dem b<strong>und</strong>esweiten IMIS haben einzelne Länder<br />
zusätzlich eigene Umweltüberwachungssysteme eingerichtet.<br />
In Bayern werden Daten zur Umweltradioaktivität mit<br />
dem Immissionsmessnetz für <strong>Radioaktivität</strong> (IfR) erfasst <strong>und</strong><br />
an die jeweiligen Landesbehörden automatisch weitergegeben.<br />
IfR entstand als Konsequenz des Reaktorunfalls von<br />
254
Tschernobyl 1986 ergänzend zum Kernreaktor-Fernüberwachungssystem<br />
(KFÜ).<br />
Bei einer <strong>Radioaktivität</strong>sbelastung der Umwelt sind für den<br />
Menschen 3 Belastungspfade von Bedeutung, erstens die<br />
externe Belastung durch Gamma-Strahlen, zweitens die Aufnahme<br />
luftgetragener Radionuklide mit der Atmung <strong>und</strong> drittens<br />
die Aufnahme von Radionukliden mit der Nahrung.<br />
Das IfR des Bayerischen Landesamtes für Umweltschutz (LfU)<br />
misst in 31 automatischen Messstationen kontinuierlich <strong>und</strong><br />
flächendeckend die Gamma-Ortsdosisleistung <strong>und</strong> die Aktivitätskonzentrationen<br />
in der Luft sowie mit 24 weiteren Messgeräten<br />
den Niederschlag. Als wichtigste Messgrößen werden<br />
radioaktive Edelgase mittels Proportional-Zählrohr-Detektoren,<br />
radioaktive Aerosole mittels Plastik-Szintillations-Detektoren<br />
<strong>und</strong> die Iod-131-Aktivitätskonzentration in der Luft mit Natrium-<br />
Iodid-Detektoren erfasst. Zusätzlich können auf der Zugspitze<br />
<strong>und</strong> in der Außenstelle des LfU in Kulmbach Aerosol geb<strong>und</strong>ene<br />
radioaktive Nuklide getrennt erfasst werden. Die Messergebnisse<br />
werden an die Messnetzzentrale im LfU in Augsburg<br />
zur Auswertung gesandt. Als Folge einer Überschreitung<br />
von Grenzwerten wird im LfU ein Alarm ausgelöst, um ggf.<br />
rechtzeitig Schutzmaßnahmen vorbereiten zu können.<br />
Abb. 6.13 IfR-Messstation mit Messgerät: Blick vom Schneeferner<br />
Haus auf das Zugspitzplatt (LfU 2005)<br />
255
Umgebungsüberwachung bayerischer Kernkraftwerke<br />
Die Umgebungsüberwachung kerntechnischer Anlagen stellt<br />
eine zusätzliche Überprüfung der Emissionsüberwachung<br />
dar <strong>und</strong> gibt unmittelbar Aufschluss über die Auswirkungen<br />
der Emissionen. Im Rahmen der Umgebungsüberwachung<br />
werden von den Betreibern der kerntechnischen Anlagen<br />
<strong>und</strong> von unabhängigen Messstellen regelmäßig Proben genommen<br />
<strong>und</strong> deren <strong>Radioaktivität</strong> bestimmt. Zu den unabhängigen<br />
Messstellen in Bayern gehören das Bayerische<br />
Landesamt für Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> Lebensmittelsicherheit<br />
(LGL), die Framatome ANP GmbH, Standort Erlangen<br />
(FANPE), die Universität Regensburg, Zentrales Radionuklidlaboratorium,<br />
UmweltRadioAktivität-Laboratorium (URA)<br />
<strong>und</strong> das Forschungszentrum für Umwelt <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit,<br />
Oberschleißheim (GSF). Die zehn erfassten Umweltbereiche<br />
sind Luft, Niederschlag, Boden/-Oberfläche, Pflanzen/Bewuchs,<br />
Futtermittel, Ernährungskette Land, Milch <strong>und</strong><br />
Milchprodukte, oberirdische Gewässer, Ernährungskette<br />
Wasser <strong>und</strong> Gr<strong>und</strong>-/Trinkwasser.<br />
Abb. 6.14 Übersicht über Expositionspfade in der Umgebung<br />
eines Kernkraftwerkes (BfS 2005)<br />
256
Kernreaktor-Fernüberwachungssystem (KFÜ)<br />
Ein Störfall des Kernkraftwerks G<strong>und</strong>remmingen im Jahre<br />
1977 war Anlass für das von Bayern ausgehende Kernreaktor-<br />
Fernüberwachungssystem (KFÜ). Dieses System erfasst automatisch<br />
die sicherheitstechnischen Parameter, die Emissionen,<br />
meteorologischen Werte <strong>und</strong> Immissionsgrößen in der<br />
Umgebung von Kernkraftwerken <strong>und</strong> leitet die Resultate an die<br />
atomrechtlichen Aufsichtsbehörden im Allgemeinen an die<br />
Länderministerien weiter. Die Betreiber des Kernreaktor-<br />
Fernüberwachungssystems (KFÜ), dessen Messstellen entlang<br />
des Zauns von Kernkraftwerken kreisförmig verteilt sind,<br />
sind die Kernkraftwerksbetreiber <strong>und</strong> die Länder.<br />
6.4 <strong>Radioaktivität</strong>smessungen beim<br />
grenzüberschreitenden Verkehr<br />
„Tschernobyl-Verordnung“<br />
Nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl wurden bei<br />
der Einfuhr von bestimmten Lebensmitteln aus Osteuropa<br />
erhöhte Werte für <strong>Radioaktivität</strong> nachgewiesen. 1987 hat<br />
deshalb die Europäische Kommission in der Verordnung<br />
(EWG) Nr. 3955/87, der „Tschernobyl-Verordnung“, zuletzt<br />
geändert durch Verordnung (EG) Nr. 616/2000 vom 20.03.<br />
2000, für die Einfuhr landwirtschaftlicher Erzeugnisse mit<br />
Ursprung in Drittländern Höchstwerte an <strong>Radioaktivität</strong> festgelegt.<br />
So darf die maximale kumulierte <strong>Radioaktivität</strong> von<br />
Cäsium 134 <strong>und</strong> 137 für Milch <strong>und</strong> Milcherzeugnisse sowie<br />
für Lebensmittel für die Ernährung speziell von Kleinkindern<br />
370 Bq/kg <strong>und</strong> für alle anderen betroffenen Erzeugnisse<br />
600 Bq/kg nicht überschreiten.<br />
Insbesondere bei bestimmten Pilzarten aus Drittländern sind<br />
wiederholt Fälle der Nichteinhaltung der zulässigen Höchstwerte<br />
an <strong>Radioaktivität</strong> festgestellt worden. Obgleich die<br />
festgelegten Höchstwerte nur für die Einfuhr von Nahrungsmitteln<br />
in die Europäische Union gelten, werden sie in der<br />
Praxis aber auch innerhalb der EU als solche angewendet.<br />
Die Einfuhr aller von der Verordnung erfassten Erzeugnisse<br />
aus osteuropäischen Ländern ist nur mit dem vorgeschriebenen<br />
Ausfuhrzeugnis zulässig, d.h. dass die Höchstwerte<br />
257
an radioaktiven Stoffen nicht überschritten werden. Die Geltungsdauer<br />
dieser Überwachungsmaßnahmen wurde bis<br />
zum 31. März 2010 verlängert.<br />
Die Zulässigkeit der Einfuhr der von der Tschernobyl-<br />
Verordnung erfassten Waren wird im Rahmen der Überwachung<br />
des grenzüberschreitenden Warenverkehrs geprüft<br />
<strong>und</strong> im Zweifelsfall wird von der Zollverwaltung eine Probeentnahme<br />
<strong>und</strong> Untersuchung durch die zuständigen Lebensmittelüberwachungsbehörden<br />
veranlasst. Für Fragen<br />
im Zusammenhang mit der Einfuhr von Lebensmitteln, die<br />
von der Tschernobyl-Verordnung erfasst werden, <strong>und</strong> den<br />
damit verb<strong>und</strong>enen besonderen Kontroll- <strong>und</strong> Überwachungsmaßnahmen<br />
stehen neben dem B<strong>und</strong>esministerium<br />
für Verbraucherschutz, Ernährung <strong>und</strong> Landwirtschaft <strong>und</strong><br />
den zuständigen Lebensmittelüberwachungsbehörden auch<br />
örtlich zuständige Zollstellen sowie das Zoll-Infocenter in<br />
Frankfurt/Main zur Verfügung.<br />
Grenzmonitoring<br />
Die Ein- <strong>und</strong> Ausfuhr von nuklearem oder sonstigem radioaktiven<br />
Material nach Deutschland ist gr<strong>und</strong>sätzlich nur mit<br />
einer Genehmigung des B<strong>und</strong>esamtes für Wirtschaft <strong>und</strong><br />
Ausfuhrkontrolle (BAFA) zulässig (§ 3 Atomgesetz <strong>und</strong> § 11<br />
Strahlenschutzverordnung). Die Zollverwaltung überprüft im<br />
Rahmen der Überwachung des grenzüberschreitenden Warenverkehrs<br />
die Zulässigkeit der Ein- <strong>und</strong> Ausfuhr von nuklearem<br />
oder sonstigem radioaktiven Material. Ziel ist die<br />
Prävention bzw. Kontrolle des Schmuggels über Landesgrenzen.<br />
Zum Aufspüren von illegal befördertem nuklearem oder anderem<br />
radioaktiven Material bzw. der unabsichtlichen<br />
Verbringung dieser Stoffe werden von den Zollstellen Messgeräte<br />
zur <strong>Radioaktivität</strong>süberwachung von Fracht, Fahrzeugen<br />
<strong>und</strong> Personen eingesetzt. Das Monitoring von Neu-<br />
tronenstrahlung ist essentiell für die Entdeckung von nukle-<br />
arem Material, anderes radioaktives Material wird durch<br />
Messung der Gamma-Strahlung erfasst. Zur Erstidentifizierung<br />
sind Strahlenmonitore geeignet, die radioaktives Material<br />
schnell <strong>und</strong> qualitativ erfassen. Zur Lokalisation, Verifizierung<br />
<strong>und</strong> Nuklididentifizierung werden Radioisotopen-<br />
258
detektoren eingesetzt. Nach ihrem Verwendungszweck lassen<br />
sich drei Messgerätetypen unterscheiden, erstens Taschenmonitore,<br />
zweitens tragbare oder mobile Messgeräte,<br />
die auch in Fahrzeugen, Helikoptern oder auf Schiffen zur<br />
Verfügung stehen <strong>und</strong> stationäre Monitore, die üblicherweise<br />
an Landesgrenzen <strong>und</strong> Flughäfen fest eingebaut sind. Ergibt<br />
sich bei der Überprüfung der Verdacht, dass radioaktive<br />
Stoffe illegal befördert oder mitgeführt werden, so benachrichtigt<br />
die Zollstelle unverzüglich die zuständige Landesbehörde<br />
<strong>und</strong> regelt das weitere Verfahren.<br />
Abb. 6.15 <strong>Radioaktivität</strong>smessung eines Fahrzeugs bei der<br />
Grenzkontrolle mit einem tragbaren Handmonitor (IAEA 2005)<br />
Zur Bekämpfung der Nuklearkriminalität hat die IAEA mit<br />
Schaffung eines neuen Programms reagiert <strong>und</strong> die Durchführung<br />
einer Pilotstudie zur praktischen Erprobung von<br />
Grenzmonitorsystemen angeregt. Die Pilotstudie ITRAP (Illicit<br />
Trafficking Radiation Detection Assessment Program)<br />
wurde von September 1997 bis September 2000 von den<br />
Austrian Research Centres Seibersdorf (ARCS) durchgeführt,<br />
um die technischen Voraussetzungen zur Detektion<br />
von nuklearem <strong>und</strong> anderem radioaktiven Material an<br />
Grenzübergängen zu erarbeiten <strong>und</strong> die Machbarkeit eines<br />
solchen Überwachungssystems abzuschätzen. Die Vorauswahl<br />
der Geräte <strong>und</strong> umfassende Laboruntersuchung im<br />
Forschungszentrum Seibersdorf bildeten die Basis für den<br />
Testbetrieb der Überwachungsgeräte am Flughafen Schwechat<br />
in Wien <strong>und</strong> am österreichisch-ungarischen Grenzübergang<br />
Nickelsdorf.<br />
259
Vier zentrale Ergebnisse sind:<br />
� einheitliche, international verwendbare Spezifikationen für<br />
die Überwachungssysteme<br />
� der Nachweis, dass Monitoringsysteme an den Grenzen<br />
installiert werden können, ohne den Ablauf gravierend zu<br />
stören, ein entsprechendes Training der Beamten vorausgesetzt<br />
� die Erarbeitung eines einheitlichen Verfahrensablaufs,<br />
der die reibungslose Zusammenarbeit der betroffenen<br />
Einsatzorgane sicherstellt<br />
� die Möglichkeit der Instandhaltung <strong>und</strong> Wartung der Geräte<br />
ohne größeren Aufwand.<br />
Die Resultate der Studie können somit zur Erarbeitung von<br />
realistischen Durchführungsbestimmungen für Grenzmonitorsysteme<br />
dienen unter Berücksichtigung von technischen<br />
<strong>und</strong> ökonomischen Gesichtspunkten.<br />
6.5 Katastrophenschutz-Maßnahmen<br />
Im Hinblick auf kerntechnische Unfälle wird in Deutschland<br />
zwischen anlageinternem <strong>und</strong> anlageexternem Notfallschutz<br />
unterschieden. Der anlageinterne Notfallschutz, Vorsorge<strong>und</strong><br />
Schutzmaßnahmen obliegen dem Betreiber auf der<br />
Gr<strong>und</strong>lage der Strahlenschutzverordnung. Beim Konzept des<br />
anlageexternen Notfallschutzes ist zu berücksichtigen, dass<br />
in Deutschland die gesetzlich vorgeschriebene Unterscheidung<br />
zwischen Katastrophenschutz <strong>und</strong> Strahlenschutzvorsorge<br />
gilt. In anderen Staaten dagegen werden die den deutschen<br />
Vorsorgemaßnahmen vergleichbaren Maßnahmen als<br />
Notfallschutzmaßnahmen in der späten Phase eines kerntechnischen<br />
Unfalls angesehen.<br />
Der Notfallschutzplanung liegen Eingreifrichtwerte zugr<strong>und</strong>e,<br />
bei deren Überschreitung die Einleitung von Maßnahmen zu<br />
prüfen ist <strong>und</strong> Eingreifwerte bei deren Überschreitung die<br />
Maßnahmen durchzuführen sind.<br />
Katastrophenschutz<br />
- Zuständigkeit <strong>und</strong> rechtliche Gr<strong>und</strong>lagen<br />
Die Planung <strong>und</strong> die Durchführung des Katastrophenschutzes<br />
fallen in die Zuständigkeit der B<strong>und</strong>esländer. Nach dem<br />
260
Bayerischen Katastrophenschutzgesetz vom 24. Juli 1996 ist<br />
das Staatsministerium des Innern das zuständige Ministerium<br />
für den allgemeinen Katastrophenschutz. Die zwischen<br />
B<strong>und</strong> <strong>und</strong> Ländern abgestimmten „Rahmenempfehlungen für<br />
den Katastrophenschutz in der Umgebung kerntechnischer<br />
Anlagen (RE 99)“ zielen auf die Angleichung der Verfahrensweisen<br />
im gesamten B<strong>und</strong>esgebiet <strong>und</strong> beinhalten die<br />
organisatorischen Vorgaben. Vorschläge für die Einleitung<br />
medizinischer Maßnahmen sind in den „Radiologischen<br />
Gr<strong>und</strong>lagen für Entscheidungen über Maßnahmen zum<br />
Schutz der Bevölkerung bei Unfall bedingten Freisetzungen<br />
von Radionukliden“ beschrieben.<br />
Für den Fall, dass bei einem kerntechnischen Unfall die gestaffelten<br />
Sicherheitsmaßnahmen nicht greifen <strong>und</strong> die Eingreifwerte<br />
überschritten werden könnten, wurden Katastrophenschutzplanungen<br />
für die Umgebung von Kernkraftwerken<br />
erarbeitet. Die Katastrophenschutzmaßnahmen zielen<br />
primär auf den Schutz der Bevölkerung vor einer Unfall<br />
bedingten Exposition <strong>und</strong> auf die Vermeidung deterministischer<br />
Strahlenschäden.<br />
- Maßnahmen<br />
Die Aufgaben der Katastrophenschutzbehörden sind vorbeugender<br />
<strong>und</strong> abwehrender Katastrophenschutz, der Maßnahmen<br />
für die Umgebung der kerntechnischen Anlage bis zu<br />
einem Radius von 25 km vorsieht.<br />
Die vorbeugenden Maßnahmen der behördlichen Katastrophenschutzplanungen<br />
beinhalten besondere festgelegte<br />
Planungszone, Alarmpläne <strong>und</strong> Alarmierungsprozeduren. Eine<br />
gr<strong>und</strong>legende Maßnahme bildet die Einteilung der Umgebung<br />
der kerntechnischen Anlage in 3 Planungszonen, die<br />
Zentralzone mit bis zu 2 km Umkreis um die Anlage, die Mittelzone<br />
mit etwa 10 km <strong>und</strong> die Außenzone mit ca. 25 km um<br />
die Anlage. Bei der Anordnung von Katastrophenschutzmaßnahmen<br />
kann hiermit auf eindeutige <strong>und</strong> einfache Weise<br />
festgelegt werden, in welchen Zonen <strong>und</strong> Sektoren welche<br />
Maßnahmen erforderlich sind.<br />
Zwei Alarmstufen werden unterschieden: Voralarm wird ausgelöst,<br />
wenn bei einem Ereignis noch keine oder geringe<br />
261
Auswirkungen auf die Umgebung auftreten. Katastrophenalarm<br />
wird ausgelöst, wenn bei einem kerntechnischen Unfall<br />
eine Gefahr bringende Freisetzung radioaktiver Stoffe in die<br />
Umgebung festgestellt wird oder droht. Die Bevölkerung wird<br />
dann durch Sirenensignale <strong>und</strong> Lautsprecherfahrzeuge gewarnt<br />
bzw. informiert. Weitere vorbeugende Maßnahmen sind<br />
Lageermittlung, d. h. Prognose der radiologischen Lage,<br />
Messungen in der Umgebung gemäß der „Richtlinie zur<br />
Emissions- <strong>und</strong> Immissionsüberwachung kerntechnischer<br />
Anlagen (REI)“ von Gamma-Ortsdosisleistung, Aktivitätskonzentrationen<br />
verschiedener Radionuklide <strong>und</strong> der Luft <strong>und</strong><br />
flächenbezogener Aktivität auf dem Boden. Die dabei gewonnenen<br />
Erkenntnisse sind Gr<strong>und</strong>lage für die zu treffenden<br />
Schutz- <strong>und</strong> Abwehrmaßnahmen.<br />
Abwehrende Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung<br />
sind in erster Linie der „Aufenthalt in Gebäuden“, die „Ausgabe<br />
von Iodtabletten“ <strong>und</strong> die „Evakuierung“. Weitere Maßnahmen<br />
des Katastrophenschutzes sind u. a. Umsiedlung,<br />
Unterrichtung <strong>und</strong> Warnung der Bevölkerung, Verkehrseinschränkungen<br />
(Zugangsbeschränkungen <strong>und</strong> Sperrung von<br />
Gebieten), Warnung vor dem Verzehr frisch geernteter Lebensmittel,<br />
Dekontamination in Notfallstationen <strong>und</strong> ärztliche<br />
Betreuung <strong>und</strong> Versorgung. Ziele, Konzepte, Strategien <strong>und</strong><br />
Methoden des medizinischen Notfallschutzes werden im<br />
Notfallplan festgelegt <strong>und</strong> umfassen alle administrativen<br />
Maßnahmen zur Vorbereitung auf Strahlennotfälle.<br />
Vier Bereiche der medizinischen Notfallvorbereitung lassen<br />
sich unterscheiden:<br />
� Der Aufbau <strong>und</strong> die Vorhaltung notwendiger Organisationsstrukturen<br />
beinhalten die Festlegung der Zuständigkeiten<br />
bei der Rettung, die Bestimmung der ärztlichen<br />
Leitung der Notfallstation, die Regelung des Einsatzablaufs<br />
sowie Anordnungen zur Informationsvermittlung <strong>und</strong><br />
Dokumentation.<br />
� Die raumplanerische Notfallvorbereitung definiert neben<br />
den Gefahren- <strong>und</strong> Kontrollbereichen am Unfallort, Planungszonen<br />
von Notfallstationen, d. h. Ausweisung eines<br />
separaten Eingangs, von kontaminierten, Puffer- <strong>und</strong><br />
nicht kontaminierten Zonen <strong>und</strong> die Festlegung von<br />
Messstellen an den Übergangszonen.<br />
262
� Die technische Notfallvorbereitung umfasst die Planung<br />
<strong>und</strong> Einrichtung der Notfallstation, Lagerhaltung <strong>und</strong> Bereitstellung<br />
von Ausrüstung zur Kontaminationskontrolle<br />
der Notfallstation, Ausrüstung zum Selbstschutz des Personals,<br />
von Hilfs- <strong>und</strong> Arbeitsmitteln zur Dekontamination,<br />
Mess- <strong>und</strong> Analysegeräten, medizinischen Hilfsmitteln<br />
<strong>und</strong> Medikamenten zur Dekorporation.<br />
� Zu den personellen Kapazitäten gehören Rufbereitschaften<br />
von ärztlichen <strong>und</strong> nicht ärztlichen Fachkräften, medizinischem<br />
<strong>und</strong> technischem Assistenzpersonal sowie ihre<br />
fachliche Schulung, Fortbildung <strong>und</strong> Übung.<br />
Abb. 6.16 Organisationsschema der ärztlichen Versorgung in<br />
Notfallstationen (SSK 1995)<br />
Die Durchführung effektiver <strong>und</strong> rechtzeitiger medizinischer<br />
Notfallmaßnahmen zur Rettung <strong>und</strong> Behandlung von Betroffenen<br />
beinhaltet die Übernahme von Patienten an der<br />
Grenze zum Gefahrenbereich, den Transport der Patienten,<br />
Triage <strong>und</strong> medizinische Erstversorgung in Notfallstationen,<br />
Identifizierung von bzw. Weiterleitung an geeignete stationäre<br />
Behandlungszentren, Durchführung von Dekorporations-<br />
<strong>und</strong> Dekontaminationsmaßnahmen, Ausführung von Kontrollmessungen,<br />
Probenentnahme <strong>und</strong> Dokumentation.<br />
263
Strahlenschutzvorsorgezentren<br />
Regionale Strahlenschutzzentren<br />
Zur Versorgung bei betrieblichen Strahlenunfällen wurde<br />
von der Berufsgenossenschaft der Feinmechanik <strong>und</strong> Elektrotechnik<br />
das Institut für Strahlenschutz (IfS) gegründet,<br />
das ein System der Regionalen Strahlenschutzzentren<br />
(RSZ) aufgebaut hat. Durch vertragliche Vereinbarungen<br />
entstanden so an verschiedenen Instituten, Kliniken <strong>und</strong><br />
Forschungseinrichtungen die RSZ als Leitstellen für alle<br />
Fragen, die einer strahlenmedizinischen Beratung <strong>und</strong> Versorgung<br />
bedürfen. Das RSZ Netzwerk umfasst zurzeit 11<br />
Einrichtungen. Die RSZ verfügen im Allgemeinen über alle<br />
erforderlichen Einrichtungen für eine eventuell notwendige<br />
Direktversorgung <strong>und</strong> für die ambulante oder stationäre<br />
Überwachung von beruflich Strahlenverunfallten. Bei schweren<br />
Strahlenunfällen kann die Spezialstation der Berufgenossenschaftlichen<br />
Unfallklinik in Ludwigshafen-Oggersheim<br />
<strong>und</strong> bei schweren Hautverbrennungen die Fachklinik Hornheide<br />
bei Münster nach Vermittlung durch ein RSZ in Anspruch<br />
genommen werden.<br />
264<br />
Jülich<br />
Homburg<br />
Hamburg<br />
Karlsruhe<br />
Hannover<br />
Würzburg<br />
Ludwigshafen<br />
München<br />
Greifswald<br />
Berlin<br />
Dresden<br />
Neuherberg<br />
Abb. 6.17 Netz der Regionalen Strahlenschutzzentren (RSZ) in<br />
Deutschland
Ein Arzt <strong>und</strong> ein Physiker des Regionalen Strahlenschutzzentrums<br />
sind 24 St<strong>und</strong>en erreichbar, stehen telefonisch für<br />
konkrete Beratungen zur Verfügung <strong>und</strong> bieten Informationen<br />
<strong>und</strong> Entscheidungshilfen an. Ärzte geben Anweisungen<br />
zu Dekontaminationsmaßnahmen, Dekorporationstherapien,<br />
zur Überwachung von Verunfallten, zum Vorgehen bei kombinierten<br />
Verletzungen (Kontamination <strong>und</strong> offene W<strong>und</strong>en,<br />
Frakturen <strong>und</strong> Verbrennungen) <strong>und</strong> zu Selbstschutzmaßnahmen<br />
von Einsatzkräften <strong>und</strong> Sicherheits- <strong>und</strong> Rettungspersonal.<br />
REMPAN-Netzwerk der WHO – Kollaborationszentren für<br />
medizinische Vorsorge <strong>und</strong> Hilfe bei Strahlenunfällen<br />
Das REMPAN (Radiation Emergency Medical Preparedness<br />
and Assistance Network) System der WHO ist der Zusammenschluss<br />
von zurzeit 17 fachk<strong>und</strong>igen medizinischen Einrichtungen<br />
<strong>und</strong> etwa 15 assoziierten Instituten zu einem<br />
weltweiten Wissens- <strong>und</strong> Kompetenznetzwerk. Die primären<br />
Ziele sind die medizinische Vorsorge <strong>und</strong> Förderung von<br />
vorkehrenden Schutzmaßnahmen im Hinblick auf Strahlenunfälle,<br />
die internationale Hilfeleistung <strong>und</strong> Beratung bei<br />
Strahlenunfällen <strong>und</strong> die Förderung der Nachbereitung eines<br />
Unfalls in Form von wissenschaftlichen Studien.<br />
*<br />
* *<br />
*<br />
*<br />
* **<br />
* * *<br />
*<br />
* *<br />
* * * *<br />
* *<br />
*<br />
* *<br />
Abb. 6.18 Internationales Netzwerk der WHO REMPAN Zentren<br />
*<br />
*<br />
*<br />
265
Seit Juni 2005 ist die Klinik <strong>und</strong> Poliklinik für Nuklearmedizin<br />
des Universitätsklinikums Würzburg das offizielle deutsche<br />
WHO REMPAN-Kollaborationszentrum für medizinische Vorsorge<br />
<strong>und</strong> Hilfe bei Strahlenunfällen, das im Auftrag des<br />
B<strong>und</strong>esministeriums für Umwelt, Naturschutz <strong>und</strong> Reaktorsicherheit<br />
(BMU) etabliert wurde. Die drei Aufgabenschwerpunkte<br />
des WHO REMPAN-Zentrums Würzburg liegen in der<br />
Verbesserung der medizinischen Versorgung von Strahlenunfallpatienten<br />
in Deutschland, der Repräsentanz Deutschlands<br />
im internationalen WHO REMPAN-Netzwerk zur gegenseitigen<br />
Hilfe bei Strahlenunfällen <strong>und</strong> in der medizinischen<br />
Auswertung von Strahlenunfällen auf der Basis des<br />
Datenbanksystems SEARCH (System for Evaluation and<br />
Archiving of Radiation Accidents based on Case Histories).<br />
6.6. Literatur<br />
Gesellschaft für Anlagen- <strong>und</strong> Reaktorsicherheit (GRS) mbH<br />
(1996). Der Unfall <strong>und</strong> die Sicherheit der RBMK-Anlagen.<br />
Köln.<br />
Russian Research Centre "Kurchatov Institute" (1996).<br />
Tschernobyl nach dem Unfall. Moskau, Bilddokumentation.<br />
Strahlenschutzkommission des B<strong>und</strong>esministeriums für<br />
Umwelt, Naturschutz- <strong>und</strong> Reaktorsicherheit (SSK) (1996).<br />
10 Jahre nach Tschernobyl, Informationen der Strahlenschutzkommission<br />
zu den radiologischen Auswirkungen <strong>und</strong><br />
Konsequenzen insbesondere in Deutschland. Berichte der<br />
Strahlenschutzkommission 4.<br />
Strahlenschutzkommission des B<strong>und</strong>esministeriums für<br />
Umwelt, Naturschutz <strong>und</strong> Reaktorsicherheit (SSK) (1997).<br />
Durchführung der Iodblockade der Schilddrüse bei kerntechnischen<br />
Unfällen. Veröffentlichungen der Strahlenschutzkommission<br />
41.<br />
Gesellschaft für Anlagen- <strong>und</strong> Reaktorsicherheit (GRS) mbH<br />
(2000). Tschernobyl: Ges<strong>und</strong>heitliche Folgen. BMU-<br />
Sachstandsbericht 1. Köln.<br />
266
Reiners, Chr. Iodblockade der Schilddrüse bei kerntechnischen<br />
Unfällen. Nuklearmedizin 3 (2006) 97-100.<br />
Cardis E. et al. Consequences of the Chernobyl accident:<br />
20 years on. J. Radiol. Prot. 26 (2006) 127-140.<br />
National Research Council of National Academies (2003).<br />
Distribution and Administration of Potassium Iodide in the<br />
Event of a Nuclear Incident. Washington, DC, National<br />
Academies Press.<br />
Strahlenschutzkommission des B<strong>und</strong>esministeriums für<br />
Umwelt, Naturschutz <strong>und</strong> Reaktorsicherheit (SSK) (2004).<br />
Verwendung von Iodtabletten zur Iodblockade der Schilddrüse<br />
bei einem kerntechnischen Unfall (Iodmerkblätter).<br />
BAnz 220.<br />
United Nations Scientific Committee on the Effects of Atomic<br />
Radiation (UNSCEAR) (2000). Sources and Effects of Ionizing<br />
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United Nations.<br />
World Health Organization (WHO) (1999). Guidelines for<br />
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1999. Geneva, WHO.<br />
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Anet, B. (2001). Terrorismus: Stehen wir vor der letzten Stufe,<br />
dem Nuklearterrorismus? 7. Chemical and Biological<br />
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<strong>Bayerisches</strong> Staatsministerium für Umwelt, Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong><br />
Verbraucherschutz (2005). Verhinderung des Spaltstoffmissbrauchs.<br />
München. http://www.stmugv.bayern.de.<br />
<strong>Bayerisches</strong> Staatsministerium für Umwelt, Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong><br />
Verbraucherschutz (2005). Risiko des Spaltstoffmissbrauchs<br />
im Brennstoff-Kreislauf. München.<br />
http://www.stmugv.bayern.de.<br />
267
B<strong>und</strong>esamt für Strahlenschutz (BfS) (2005). Strahlenschutz<br />
bei der Verwendung von radioaktivem Material ("Schmutzige<br />
Bombe") in Verbindung mit konventionellem Sprengstoff.<br />
Salzgitter.<br />
http://www.bfs.de/ion/papiere/schmutzige_bombe.html.<br />
B<strong>und</strong>esministerium des Innern (2001). Zweiter Gefahrenbericht<br />
der Schutzkommission beim B<strong>und</strong>esminister des Inneren.<br />
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Center for International Security and Cooperation (CISAC)<br />
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International Atomic Energy Agency (IAEA) (2002). Detection<br />
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International Atomic Energy Agency (IAEA) (20021). Prevention<br />
of the inadvertent movement and illicit trafficking of<br />
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International Atomic Energy Agency (IAEA) (2005). IAEA<br />
Illicit Trafficking Database (ITDB). Fact Sheets for 1993-<br />
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International Atomic Energy Agency (IAEA) (2005). Combating<br />
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http://www.iaea.org/Publications/Booklets/Ssp/<br />
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Orlov, V. A. (2004). Illicit nuclear trafficking and the new<br />
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World Health Organization (WHO) (2003). Health protection<br />
guidance in the event of a nuclear weapon explosion.<br />
http://www.who.int/ionizing_radiation/en/WHORAD_<br />
InfoSheet_Nuclear_weapons21Feb.pdf<br />
268
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http://www.who.int/ionizing_radiation/en/WHORAD_<br />
InfoSheet_Dirty_bombs21Feb.pdf.<br />
Bayer, A. (1993). Überwachung der radioaktiven Kontamination<br />
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Bayer, A., L. Hornung-Lauxmann, et al. (1999). Stand der<br />
Überwachung der Umweltradioaktivität in Deutschland.<br />
Strahlenschutz: Wissenschaftliche Gr<strong>und</strong>lagen, rechtliche<br />
Regelungen, praktische Anwendungen. D. Borchardt, A.<br />
Kaul, W. Kraus and H. Rühle. Berlin, Hoffmann Verlag.<br />
<strong>Bayerisches</strong> Landesamt für Umwelt (2005). Das bayerische<br />
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http://www.bayern.de/lfu/strahlen/ifr/ifr_1.html.<br />
<strong>Bayerisches</strong> Landesamt für Umwelt. Strahlenschutz.<br />
http://www.bayern.de/lfu/strahlen/index.html.<br />
B<strong>und</strong>esamt für Strahlenschutz (BfS) (2005). Notfallvorsorge<br />
durch das BfS. München.<br />
http://www.bfs.de/bfs/druck/strahlenthemen/notfallvorsorge.h<br />
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<strong>Bayerisches</strong> Staatsministerium für Umwelt, Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong><br />
Verbraucherschutz (2005). Umgebungsüberwachung. München.<br />
http://www.stmugv.bayern.de/de/strahl/aufsicht/umgeb.html.<br />
<strong>Bayerisches</strong> Staatsministerium für Umwelt, Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong><br />
Verbraucherschutz (2005). Überwachung der Umweltradioaktivität.<br />
München.<br />
http://www.stmugv.bayern.de/de/strahl/sschutz/ueberw.html.<br />
B<strong>und</strong>esamt für Strahlenschutz (BfS) (2005). Strahlenthemen:<br />
Integriertes Mess- <strong>und</strong> Informationssystem zur Überwachung<br />
der <strong>Radioaktivität</strong> - (IMIS). Salzgitter.<br />
B<strong>und</strong>esamt für Strahlenschutz (BfS) (2005). <strong>Radioaktivität</strong>smessnetz.<br />
Salzgitter.<br />
B<strong>und</strong>esministerium für Umwelt, Naturschutz <strong>und</strong> Reaktorsicherheit<br />
(2005). Umweltradioaktivität <strong>und</strong> Strahlenbelastung<br />
im Jahr 2004. Berlin.<br />
269
B<strong>und</strong>esministerium für Umwelt, Naturschutz <strong>und</strong> Reaktorsicherheit<br />
(2004). Internationaler Vergleich der Modelle <strong>und</strong><br />
Parameter zur Entscheidungsbegründung in Notfallsituationen.<br />
Berlin.<br />
B<strong>und</strong>esministerium für Umwelt, Naturschutz <strong>und</strong> Reaktorsicherheit<br />
(2005). Überwachung der Umweltradioaktivität. Berlin.<br />
http://www.bmu.de/strahlenschutz.<br />
<strong>Bayerisches</strong> Landesamt für Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> Lebensmittelsicherheit<br />
(2005). <strong>Radioaktivität</strong> in Lebensmitteln. München.<br />
http://igl.bayern.de/de/left/fachinformationen/lebensmittel/rad<br />
ioaktivität_allgemein.html.<br />
<strong>Bayerisches</strong> Staatsministerium für Umwelt, Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong><br />
Verbraucherschutz (2005). <strong>Radioaktivität</strong> in <strong>und</strong> radioaktive<br />
Kontamination von Lebensmitteln. München.<br />
http://www.vis-ernaehrung.bayern.de/de/left/fachinformatio<br />
nen/verbraucherschutz/unerwuenschte_stoffe/radioaktivität.<br />
html.<br />
<strong>Bayerisches</strong> Staatsministerium für Umwelt, Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong><br />
Verbraucherschutz (2005). Aktuelle Empfehlungen <strong>und</strong> Hinweise.<br />
München.<br />
http://www.stmugv.bayern.de/de/strahl/notfall/empfehl.html.<br />
<strong>Bayerisches</strong> Landesamt für Umweltschutz (2005). Radioaktives<br />
Cäsium im Wildbret. München.<br />
http://www.bayern.de/lfu/strahlen/wild/wild/Caesium.html.<br />
Beck, P. (2000). ITRAP, Illicit Trafficking Radiation Detection<br />
Assessment Program, Final Report. Seibersdorf, Austrian<br />
Research Center.<br />
B<strong>und</strong>esamt für Strahlenschutz (2005). Nuklearmedizinische<br />
Gefahrenabwehr. Salzgitter. http://www.bfs.de.<br />
B<strong>und</strong>esministerium der Finanzen (2005). Pilze <strong>und</strong> andere<br />
radioaktiv belastete Lebensmittel. Bonn.<br />
http://www.zoll.de/b0_zoll_<strong>und</strong>_steuern/d0_verbote_<strong>und</strong>_<br />
beschraenkungen/c0_schutz_menschI_ges<strong>und</strong>h/f0_<br />
lebensmittel/I0_radioaktiv/index.html.<br />
B<strong>und</strong>esministerium der Finanzen (2005). Kernbrennstoffe<br />
<strong>und</strong> sonstige radioaktive Stoffe. Bonn.<br />
http://www.zoll.de/b0_zoll_<strong>und</strong>_steuern/d0_verbote_<strong>und</strong>_<br />
beschraenkungen/a0_oeffentliche_ordnung/c0_radioaktive_<br />
stoffe/.<br />
270
B<strong>und</strong>esministerium der Finanzen (2005). Überwachungen<br />
im Bereich der Verbote <strong>und</strong> Beschränkungen. Bonn.<br />
http://www.zoll.de/d0_zoll_im_einsatz/d0_mkg/d0_bereich_<br />
vub/index.html.<br />
B<strong>und</strong>esministerium der Finanzen (2005). Verbote <strong>und</strong> Beschränkungen.<br />
Bonn.<br />
http://www.zoll.de/b0_zoll_<strong>und</strong>_steuern/d0_verbote_<strong>und</strong>_<br />
beschraenkungen/index.html.<br />
B<strong>und</strong>esministerium der Finanzen (2005). Warenkreis der<br />
Tschernobyl-Verordnung. Bonn.<br />
http://www.zoll.de/b0_zoll_<strong>und</strong>_steuern/d0_verbote_<strong>und</strong>_<br />
beschraenkungen/c0_schutz_menschI_ges<strong>und</strong>h/f0_lebensmittel/<br />
I0_radioaktiv/a0_warenkreis/.<br />
Duftschmid, K. (1999). Preventing the next case. IAEA Bulletin<br />
41(3).<br />
European Commission (2005). Einfuhrregelung landwirtschaftlicher<br />
Erzeugnisse nach Tschernobyl. Brussels.<br />
http://europa.eu.int/scadplus/leg/de/lvb/I21110.html.<br />
International Atomic Energy Agency (IAEA) (2005). Combating<br />
Illicit Trafficking. Vienna.<br />
http://www.iaea.org/Publications/Booklets/Ssp/trafficking.html.<br />
International Atomic Energy Agency (IAEA) (2002). Prevention<br />
of the inadvertent movement and illicit trafficking of<br />
radioactive materials. IAEA-Tecdoc-1311. Vienna.<br />
International Atomic Energy Agency (IAEA) (2002). Detection<br />
of radioactive materials at borders. IAEA-Tecdoc-1312.<br />
Vienna.<br />
International Atomic Energy Agency (IAEA) (2005). Combating<br />
Illicit Trafficking. Vienna.<br />
http://www.iaea.org/Publications/Booklets/Ssp/trafficking.html.<br />
Umweltinstitut München e. V. (2004). 18 Jahre nach<br />
Tschernobyl. EU-Grenzwerte <strong>und</strong> radioaktive Belastung von<br />
Lebensmitteln. München.<br />
http://www.umweltinstitut.org/frames/all/m386.html.<br />
271
B<strong>und</strong>esministerium für Umwelt, Naturschutz <strong>und</strong> Reaktorsicherheit<br />
(1999). Übersicht über Maßnahmen zur Verringerung<br />
der Strahlenexposition nach Ereignissen mit nicht unerheblichen<br />
radiologischen Auswirkungen (Maßnahmenkatalog).<br />
B<strong>und</strong>esministerium für Umwelt, Naturschutz <strong>und</strong> Reaktorsicherheit<br />
(2004). Internationaler Vergleich der Modelle <strong>und</strong><br />
Parameter zur Entscheidungsbegründung in Notfallsituationen.<br />
Berlin.<br />
B<strong>und</strong>esministerium für Umwelt, Naturschutz <strong>und</strong> Reaktorsicherheit<br />
(2005). Schriftenreihe: Reaktorsicherheit <strong>und</strong><br />
Strahlenschutz. Berlin.<br />
http://www.bmu.de/strahlenschutz/schriftenreihe_<br />
reaktorsicherheit_strahlenschutz/doc/20112.php<br />
http://www.bmu.de/strahlenschutz/aktuell/aktuell/1782.php.<br />
Eder, E. (1999). Kernreaktor-Fernüberwachung. Strahlenschutz:<br />
wissenschaftliche Gr<strong>und</strong>lagen, rechtliche Regelungen,<br />
praktische Anwendungen. D. Borchardt, A. Kaul, W.<br />
Kraus and H. Rühle. Berlin, Hoffmann Verlag.<br />
Institut für Strahlenschutz (2005). Regionale Strahlenschutzzentren.<br />
Köln.<br />
Korn, H. and K. D. Borchardt (1999). Der anlageninterne<br />
Notfallschutz bei kerntechnischen Unfällen <strong>und</strong> die Information<br />
der betroffenen Bevölkerung. Strahlenschutz: Wissenschaftliche<br />
Gr<strong>und</strong>lagen, rechtliche Regelungen, praktische<br />
Anwendungen. D. Borchardt, A. Kaul, H. Rühle. Berlin,<br />
Hoffmann Verlag.<br />
Pfenninger, E., S. Himmelseher, et al. (2004). Untersuchung<br />
zur Einbindung des öffentlichen Ges<strong>und</strong>heitsdienstes in die<br />
katastrophenmedizinische Versorgung der B<strong>und</strong>esrepublik<br />
Deutschland. Bonn, B<strong>und</strong>esamt für Bevölkerungsschutz <strong>und</strong><br />
Katastrophenhilfe.<br />
Ständige Konferenz für Katastrophenvorsorge <strong>und</strong> Katastrophenschutz<br />
(2000). Katastrophenschutz in Gesetzen der<br />
Länder. Köln.<br />
272
Starke, H. (1993). Beitrag <strong>und</strong> Leistungsfähigkeit der B<strong>und</strong>esmessnetze<br />
in IMIS. Veröffentlichungen der Strahlenschutzkommission<br />
25.<br />
Strahlenschutzkommission des B<strong>und</strong>esministeriums für<br />
Umwelt (1995). Medizinische Maßnahmen bei Kernkraftwerksunfällen.<br />
Veröffentlichungen der Strahlenschutzkommission<br />
4.<br />
Strahlenschutzkommission des B<strong>und</strong>esministeriums für<br />
Umwelt, Naturschutz- <strong>und</strong> Reaktorsicherheit (1996). Der<br />
Strahlenunfall, Ein Leitfaden für Erstmaßnahmen. Veröffentlichungen<br />
der Strahlenschutzkommission 32.<br />
Strahlenschutzkommission des B<strong>und</strong>esministeriums für<br />
Umwelt, Naturschutz <strong>und</strong> Reaktorsicherheit (2000). Rahmenempfehlungen<br />
für den Katastrophenschutz in der Umgebung<br />
kerntechnischer Anlagen. Berichte der Strahlenschutzkomission<br />
24.<br />
Strahlenschutzkommission des B<strong>und</strong>esministeriums für<br />
Umwelt, Naturschutz <strong>und</strong> Reaktorsicherheit (2000). Radiologische<br />
Gr<strong>und</strong>lagen für Entscheidungen über Maßnahmen<br />
zum Schutz der Bevölkerung bei Unfall bedingten Freisetzungen<br />
von Radionukliden. Berichte der Strahlenschutzkomission<br />
24.<br />
Weiss, W. (1993). Beitrag <strong>und</strong> Leistungsfähigkeit der B<strong>und</strong>esmessnetze<br />
in IMIS. Veröffentlichungen der Strahlenschutzkommission<br />
25.<br />
World Health Organization (WHO). Würzburg, REMPAN<br />
Collaboration Center. http://www.rempan.de.<br />
World Health Organization (WHO).<br />
http://www.who.int/ionizing_radiation/en/.<br />
273
7. Erläuterung von Fachbegriffen<br />
A<br />
Absorption<br />
Aufnahme<br />
Aerosole<br />
Gase mit festen oder flüssigen Schwebeteilchen.<br />
Afterloading<br />
Nachladetechnik für die intrakavitäre <strong>und</strong> interstitielle Strahlentherapie,<br />
z. B. mit 137-Cäsium-Quellen, bei der zunächst<br />
der leere Applikator in das Zielvolumen, z. B. die weibliche<br />
Gebärmutter, gebracht <strong>und</strong> erst nach Lagekontrolle <strong>und</strong><br />
ferngesteuert mit dem radioaktiven Präparat beschickt wird.<br />
Akkumuliert<br />
-� kumulativ<br />
Aktivierung<br />
Entstehung eines -� Radionuklids aus einem stabilen -�<br />
Nuklid durch Beschuss von -� Protonen, -� Neutronen<br />
oder anderen Teilchen.<br />
Aktivität<br />
Maß für die -� <strong>Radioaktivität</strong>. Einheit: -� Becquerel.<br />
Aktivitätskonzentration<br />
Verhältnis der -� Aktivität eines -� Radionuklids zum Volumen<br />
des Materials, in dem das Radionuklid verteilt ist.<br />
Aktivkohledosimeter (-exposimeter)<br />
Mit Aktivkohle gefüllte, luftdicht verschließbare Dose (ca. 10<br />
cm Durchmesser), mit der die Radonkonzentration in der<br />
Luft bestimmt werden kann.<br />
Akutes Strahlensyndrom<br />
Folge einer Ganzkörperexposition ab 1 -� Gray. Schweregrad,<br />
Verlauf <strong>und</strong> -� Prognose sind von Art <strong>und</strong> -� Dosis<br />
der -� ionisierenden Strahlung abhängig.<br />
Alpha-Strahler<br />
-� Radionuklid, das unter Aussendung eines -� Alpha-<br />
Teilchens zerfällt (-� radioaktiver Zerfall).<br />
274
Alpha-Strahlung<br />
-� Strahlung aus -� Alpha-Teilchen.<br />
Alpha-Teilchen<br />
Heliumkern, bestehend aus zwei -� Protonen <strong>und</strong> zwei -�<br />
Neutronen.<br />
Alpha-Zerfall<br />
Kernumwandlung unter Aussendung eines -� Alpha-Teilchens.<br />
Americium-241<br />
Künstliches radioaktives Element, das -� Alpha-Strahlung<br />
aussendet.<br />
Anderes radioaktives Material<br />
Nicht durch -� Kernspaltung entstandene -� radioaktive<br />
Stoffe.<br />
Angiographie<br />
Radiologisches Verfahren zur Darstellung der Blutgefäße<br />
(Arterien <strong>und</strong> Venen) durch Injektion eines Röntgenkontrastmittels<br />
<strong>und</strong> anschließende Anfertigung schneller programmierter<br />
Aufnahmeserien.<br />
Äquivalentdosis<br />
Dosisgröße im Strahlenschutz unter Berücksichtigung der<br />
biologischen Wirksamkeit der -� Strahlung. Einheit: -�<br />
Einheit: -� Sievert.<br />
Atom<br />
Elektrisch neutraler Baustein der Materie, bestehend aus einem<br />
positiv geladenen -� Atomkern <strong>und</strong> einer negativ geladenen<br />
Elektronenhülle.<br />
Atomkern<br />
Zusammengesetzt aus den Kernbausteinen (-� Nukleonen).<br />
Er trägt beinahe die gesamte Masse des Atoms.<br />
Atomreaktor<br />
Umgangssprachlich für -� Kernreaktor.<br />
Atomwaffentest, oberirdischer<br />
Oberirdische Zündung eines nuklearen Sprengsatzes zu<br />
Testzwecken.<br />
275
Austrian Research Centres Seibersdorf (ARCS)<br />
Größte Tochtergesellschaft des ARC-Konzerns, die u. a. in<br />
Forschungs- <strong>und</strong> Entwicklungsprojekten für nationale <strong>und</strong> internationale<br />
Auftraggeber interdisziplinär zusammenarbeitet.<br />
B<br />
Becquerel (Bq)<br />
Einheit der -� Aktivität. Zerfälle pro Sek<strong>und</strong>e.<br />
Beryllium<br />
Leichtmetall, das meist als Legierungszusatz verwendet<br />
wird. Durch -� Alpha-Teilchen werden aus Beryllium -�<br />
Neutronen freigesetzt.<br />
Beta-Strahler<br />
-� Radionuklid, das unter Aussendung eines -� Beta-Teilchens<br />
zerfällt (-� radioaktiver Zerfall).<br />
Beta-Strahlung<br />
-� Strahlung aus -� Beta-Teilchen.<br />
Beta-Teilchen<br />
-� Elektron<br />
Beta-Zerfall<br />
Kernumwandlung unter Aussendung eines -� Beta-Teilchens.<br />
Biologische Halbwertszeit<br />
-� Halbwertszeit, biologische<br />
Brachytherapie<br />
Minimalinvasive strahlentherapeutische Methode, bei der<br />
radioaktive Strahlungsquellen entweder im Tumorgewebe<br />
oder kontaktierend am Tumorgewebe positioniert werden.<br />
Bremsstrahlung<br />
Elektromagnetische Strahlung. Sie entsteht durch Beschleunigung<br />
oder Abbremsung geladener Teilchen in Materie.<br />
Brennelement<br />
Aus einer Vielzahl von -� Brennstäben montierte Anordnung<br />
in der -� Kernbrennstoff in den -� Kernreaktor eingesetzt<br />
wird.<br />
276
Brennstab<br />
Bestimmte Form, in der -� Kernbrennstoff, umgeben von<br />
einem Hüllmaterial, in einem -� Kernreaktor eingesetzt<br />
wird.<br />
C<br />
Cäsium-137<br />
Das bedeutendste künstliche Cäsium- -� Isotop ist ein -�<br />
Beta- <strong>und</strong> -� Gamma-Strahler.<br />
Chemotoxizität<br />
Giftigkeit einer Substanz auf Gr<strong>und</strong> ihrer chemischen Eigenschaften.<br />
Chromosomen<br />
Strukturen einer lebenden Zelle, auf denen die Erbanlagen<br />
(Gene) lokalisiert sind. Die Gesamtheit der Chromosomen<br />
bezeichnet man als Genom. Außer bei den niederen Lebewesen<br />
(z. B. Bakterien) befinden sich die Chromosomen in<br />
einem Zellkern. Die Zellkerne der meisten Lebewesen enthalten<br />
mehrere Chromosomen, die sich in der Größe voneinander<br />
unterscheiden. Je nach der Zahl, in der jedes<br />
Chromosom vorhanden ist, spricht man von einem haploiden<br />
(jedes Chromosom einmal), von einem diploiden (jedes<br />
Chromosom doppelt) oder einem polyploiden (jedes Chromosom<br />
vielfach) Chromosomensatz.<br />
Curie (Ci)<br />
Alte Einheit für die -� Aktivität. 1 Ci = 37 GBq.<br />
D<br />
Dekontamination<br />
Beseitigung oder Verminderung von oberflächlichen Verunreinigungen<br />
mit -� radioaktiven Stoffen (-� Kontamination).<br />
Dekorporation<br />
Entfernung -� radioaktiver Stoffe, die vom menschlichen<br />
Organismus aufgenommen wurden.<br />
Deponiert<br />
abgelagert<br />
277
Deposition<br />
Ablagerung von in der Atmosphäre vorhandenen Schwebstoffen<br />
oder Gasen auf dem Boden, Pflanzen oder anderen<br />
Oberflächen.<br />
Detektor<br />
Hier Gerät zum Nachweis <strong>und</strong> zur Messung -� ionisierender<br />
Strahlung.<br />
Deterministische Strahleneffekte<br />
Treten in der Regel ab einer bestimmten -� Schwellendosis<br />
auf; die Schwere des Schadens nimmt mit der Dosis zu (vgl.<br />
-� stochastische Strahleneffekte).<br />
Diagnose<br />
Zuordnung der Symptome <strong>und</strong> Untersuchungsergebnisse in<br />
ein Krankheitsbild.<br />
Diagnostischer Referenzwert<br />
Auf Vorschlag der Strahlenschutzkommission wurden in<br />
Deutschland im Jahre 2003 vom B<strong>und</strong>esamt für Strahlenschutz<br />
diagnostische Referenzwerte für Radiopharmaka<br />
festgelegt <strong>und</strong> im B<strong>und</strong>esanzeiger veröffentlicht. Darin sind<br />
Referenzwerte der Radiopharmaka für häufige nuklearmedizinische<br />
Untersuchungsverfahren sowie dosisintensive nuklearmedizinische<br />
Untersuchungsverfahren enthalten. Eine<br />
Überschreitung dieser Referenzwerte bedarf einer Begründung<br />
durch einen fachk<strong>und</strong>igen Nuklearmediziner <strong>und</strong> muss<br />
entsprechend dokumentiert werden.<br />
Dicht ionisierend<br />
Strahlung, die bei Wechselwirkung mit Materie ihre Energie<br />
auf einem sehr kurzen Weg an diese überträgt <strong>und</strong> daher<br />
dicht beieinander liegende lonisationsereignisse auslöst.<br />
DNS<br />
Desoxyribonukleinsäure, im englischen Schrifttum mit DNA<br />
bezeichnet. Riesenmolekül, das aus zwei Strängen besteht<br />
<strong>und</strong> die Erbinformation in Form eines chemischen Codes<br />
enthält. Bestandteil der -� Chromosomen.<br />
278
Dosimeter<br />
Dosimeter dienen zur Messung der externen Strahlendosis<br />
(-� Personendosis). Man unterscheidet zwischen direkt anzeigenden<br />
Dosimetern (z. B. Stabdosimeter) <strong>und</strong> indirekt<br />
messenden Dosimetern (z. B. Filmplakette, Glasdosimeter),<br />
bei denen messtechnisch erfassbare Veränderungen der<br />
Dosis proportional sind.<br />
Dosimetrie<br />
Bestimmung der -� Dosis.<br />
Dosis<br />
-� lonendosis -� Energiedosis -� Äquivalentdosis -� effektive<br />
Äquivalentdosis<br />
Maß für die Wirkung -� absorbierter -� ionisierender Strahlung.<br />
- Gesamtdosis<br />
Summe der in Teilen zu verschiedenen Zeitpunkten -� applizierten<br />
oder erhaltenen -� Dosis.<br />
- Lebenszeitdosis<br />
Summe der im Lauf des Lebens in Teilen -� applizierten<br />
oder erhaltenen -� Dosis.<br />
Dosisabschätzung<br />
Abschätzung der -� Strahlenexposition unter Einbeziehung<br />
aller relevanten -� Expositionspfade.<br />
Dosisfaktor<br />
Faktor zur Umrechnung von -� Aktivität in Dosis. Dosisfaktoren<br />
für aufgenommene Aktivität berücksichtigen neben<br />
den physikalischen Größen (Energie pro Zerfallsereignis,<br />
Strahlenart, -Halbwertszeit) <strong>und</strong> der chemischen Form des<br />
aufgenommenen Radionuklids auch noch biologische Parameter<br />
(Alter, Aufnahmedauer, Anreicherung, Organgröße,<br />
Dosisverteilung u. s. w.) <strong>und</strong> schließlich die Art der Aufnahme<br />
(-� Inhalation, -� Ingestion). Dosisfaktoren für Inhalation<br />
erlauben z. B. aus der Aktivitätskonzentration in der Luft<br />
eine Berechnung der Organ-Dosen; Dosisfaktoren für äußere<br />
Bestrahlung erlauben aus der Aktivitätskonzentration in<br />
Luft oder Aktivität pro Fläche am Boden eine Berechnung<br />
der externen Körper-Dosen.<br />
Dosisleistung<br />
-� Dosis pro Zeiteinheit.<br />
279
Dosisrichtwert<br />
-� Eingreifrichtwert<br />
Down-Syndrom<br />
Angeborene Erkrankung, die auf das dreifache Vorhandensein<br />
des -� Chromosoms 21 zurückzuführen ist.<br />
DSA<br />
Digitale Subtraktionsangiographie<br />
Röntgenologische Kontrastdarstellung des Herzens <strong>und</strong> von<br />
Blutgefäßen unter Anwendung der digitalen Subtraktionsmethode.<br />
Dabei werden die digitalen Aufnahmen der Gefäße<br />
mit Kontrastmittel von denen ohne Kontrastmittel abgezogen:<br />
Es entsteht eine reine Darstellung der Gefäße.<br />
E<br />
Edelgas<br />
Gruppenbezeichnung für die Elemente Helium, Neon, Argon,<br />
Krypton, Xenon <strong>und</strong> das radioaktive Radon.<br />
Effektive Äquivalentdosis, effektive Dosis<br />
Größe im Strahlenschutz, unter Berücksichtigung der unterschiedlichen<br />
Strahlenempfindlichkeiten der Organe. Einheit:<br />
Sievert.<br />
Effektive Halbwertszeit<br />
-� Halbwertszeit eines radioaktiven Stoffes im Körper. Dabei<br />
gehen sowohl der -� radioaktive Zerfall wie auch die<br />
Ausscheidung des Stoffes ein.<br />
Eingreifrichtwert<br />
Dosiswert, bei dessen Erreichen die Einleitung von Schutzmaßnahmen<br />
zu prüfen ist.<br />
Elektron<br />
Elementarteilchen mit einer Ladung von einer negativen -�<br />
Elementarladung.<br />
Elektronenvolt (eV)<br />
Gebräuchliche Energieeinheit für -� Strahlung.<br />
Element<br />
Hier chemisches Element, -� Atom mit einer bestimmten<br />
-� Kernladungszahl bzw. -� Ordnungszahl.<br />
280
Elementarladung<br />
Kleinste nachgewiesene elektrische Ladung. Ein -� Elektron<br />
trägt eine negative E., ein -� Proton eine positive E.<br />
Embryo<br />
Frühes Entwicklungsstadium des keimenden Lebens (beim<br />
Menschen bis zum 3. Monat).<br />
Emission<br />
Abgabe von (Schad-)Stoffen an die Atmosphäre oder in<br />
Gewässer.<br />
Emittent<br />
Verursacher von -� Emissionen.<br />
Endlager<br />
Anlage zur langfristig wartungsfreien, zeitlich unbefristeten<br />
sicheren Lagerung von radioaktiven Abfällen ohne beabsichtigte<br />
Rückholung.<br />
Energiedosis<br />
Absorbierte Strahlungsenergie je Masseneinheit.<br />
Enzym<br />
„Biokatalysator", Eiweißstoff, der jeweils nur ganz bestimmte<br />
Stoffwechselreaktionen beschleunigt.<br />
Epidemiologie<br />
Erforschung von Krankheiten anhand der Beobachtung großer<br />
Bevölkerungs- -� kollektive.<br />
EURATOM<br />
Die 1957 gegründete Europäische Atomgemeinschaft<br />
EURATOM hat die friedliche Nutzung der Kernenergie sowie<br />
die Entwicklung einer entsprechenden Kernindustrie zum<br />
Ziel.<br />
EURATOM-Vertrag<br />
Die Gr<strong>und</strong>lage für die Arbeit von -� EURATOM trat 1958 in<br />
Kraft.<br />
Evakuierung<br />
Vorübergehende Räumung eines Gebietes.<br />
Exposition, exponiert<br />
-� Strahlenexposition<br />
281
Expositionspfad<br />
Weg radioaktiver Stoffe von der Ableitung aus einer Anlage<br />
oder Einrichtung über einen Ausbreitungs- oder Transportvorgang<br />
bis zu einer -� Strahlenexposition des Menschen<br />
(z. B. Luft - Futterpflanze - Kuh - Milch).<br />
Extraterrestrisch<br />
außerirdischen Ursprungs<br />
F<br />
Fälle<br />
Gruppe von Erkrankten, die mit einer Gruppe vergleichbarer<br />
Personen ohne diese Krankheit, sog. -� Kontrollgruppe, in<br />
Untersuchungen verglichen wird.<br />
Fallout<br />
Radioaktiver Niederschlag aus kleinsten Teilchen in der Atmosphäre.<br />
Fallzahl<br />
-� Fälle<br />
Fetus<br />
Spätes Entwicklungsstadium des Keimes der Säugetiere<br />
(beim Menschen ab dem 3. Monat).<br />
Folgedosis<br />
Strahlendosis, die als Folge einer einmaligen Aktivitätsaufnahme<br />
im gesamten (unbegrenzten) Zeitraum nach der Aufnahme<br />
resultiert. Die in der Radioökologie häufig verwendete<br />
50-Jahre-Folgeäquivalentdosis ist die Äquivalentdosis, die<br />
als Folge einer einmaligen Aktivitätszufuhr in einem Zeitraum<br />
von 50 Jahren (das Bezugsjahr mitgerechnet) resultiert<br />
(beschränkte Folgedosis).<br />
Forschungsreaktor<br />
Kernreaktor, der für wissenschaftliche Forschung verwendet<br />
wird.<br />
Freisetzung radioaktiver Stoffe<br />
Entweichen radioaktiver Stoffe aus den vorgesehenen Umschließungen<br />
in die Anlage oder in die Umgebung.<br />
282
G<br />
Gamma-Ortsdosisleistung<br />
-� Strahlenexposition, die von außen auf den Menschen<br />
einwirkt. Sie wird angegeben als -� Äquivalentdosis, gemessen<br />
an einem bestimmten Ort pro St<strong>und</strong>e.<br />
Gamma-Strahler<br />
-� Radionuklid, das unter Aussendung eines -� Gamma-<br />
Quants zerfällt (-� radioaktiver Zerfall).<br />
Gamma-Strahlung<br />
-� Strahlung aus -� Gamma-Quanten.<br />
Gamma-Quant<br />
-� Photon aus einem Kernzerfall.<br />
Gamma-Zerfall<br />
Kernumwandlung unter Aussendung eines -� Gamma-<br />
Quants.<br />
Gen, Genom<br />
-� Chromosomen<br />
Genmutation<br />
Änderungen des Erbgutes.<br />
Gray (Gy)<br />
Einheit der -� Energiedosis.<br />
Grenzmonitoring<br />
Messung der -� <strong>Radioaktivität</strong> des grenzüberschreitenden<br />
Verkehrs.<br />
H<br />
Halbwertszeit, biologische<br />
Zeit, nach der von der ursprünglichen Menge eines in den<br />
Körper aufgenommenen Stoffes die Hälfte vom Organismus<br />
ausgeschieden oder abgebaut ist.<br />
Halbwertszeit, effektive<br />
Zeit, nach der durch radioaktiven Zerfall <strong>und</strong> biologische<br />
Vorgänge (z. B. Ausscheidung) die Aktivitätskonzentration in<br />
einem Organismus auf den halben Wert abgeklungen ist.<br />
283
Halbwertszeit, physikalische<br />
Zeit, nach der von der ursprünglichen Menge der-� Radionuklide<br />
die Hälfte zerfallen ist.<br />
Havariert<br />
verunglückt<br />
Hereditärer Effekt<br />
Erblicher Effekt, Weitergabe von (Krankheits-)Anlagen an<br />
die nächste Generation.<br />
Hypothyreose<br />
Unterfunktion der Schilddrüse.<br />
I<br />
ICRP<br />
International Commission on Radiological Protection (Internationale<br />
Strahlenschutzkommission).<br />
ICRU<br />
International Commission on Radiation Units and Measurements<br />
(Internationale Kommission für radiologische Einheiten<br />
<strong>und</strong> Messungen).<br />
Immissionsgrößen<br />
Maß für schädliche Umwelteinwirkungen, die durch -� Emission<br />
entstanden sind.<br />
Infertilität<br />
Unfähigkeit, eine Schwangerschaft bis zu einem entwickelten<br />
Kind auszutragen.<br />
Ingestion<br />
Aufnahme von Stoffen durch den Magen-Darmtrakt.<br />
Inhalation<br />
Aufnahme von Stoffen über die Atemwege.<br />
Inkorporation<br />
Aufnahme von Stoffen in den Körper.<br />
Internationale Atomenergie Organisation (IAEO)<br />
Englisch: International Atomic Energy Agency (IAEA), ist eine<br />
eigenständige Organisation innerhalb der UN zur Förderung<br />
der friedlichen Anwendung <strong>und</strong> Nutzung der Atomenergie.<br />
284
Integriertes Mess- <strong>und</strong> Informationssystem (IMIS)<br />
Dient zur Überwachung der Umweltradioaktivität.<br />
Interzeption<br />
Anteil der deponierten Luftschwebstoffe (=> Deposition), der<br />
auf den Pflanzen verbleibt.<br />
In utero<br />
im Mutterleib<br />
Inzidenz<br />
Anzahl von Personen, die innerhalb eines Jahres neu an einer<br />
bestimmten Krankheit erkranken.<br />
J<br />
Iod<br />
Baustein für die -� Synthese von Schilddrüsenhormonen.<br />
- Stabiles Iod<br />
Nicht radioaktives -� Isotop des Iods<br />
- Instabiles Iod<br />
radioaktives -� Isotop des Iods (-� Radioiod).<br />
Iodblockade<br />
Vorbeugende Maßnahme zur Verhinderung der Einlagerung<br />
von -� radioaktivem Iod nach -� Reaktorunfällen durch<br />
z. B. Kaliumiodid.<br />
Iodid<br />
Chemisches Salz der Iodwasserstoffsäure, z. B. Kaliumiodid.<br />
Iododerma tuberosum<br />
Hautveränderung, die bei langer Iodeinnahme bei Überempfindlichkeit<br />
gegenüber -� Iod entsteht.<br />
Ion<br />
Durch überschüssige oder fehlende -� Elektronen geladenes<br />
-� Atom.<br />
Ionisationskammer<br />
Gerät zur Messung -� ionisierender Strahlung durch Messung<br />
des elektrischen Stromes, der entsteht, wenn Strahlung<br />
das Gas in der Kammer ionisiert.<br />
285
lonendosis<br />
Die erzeugte Ladung je Masseneinheit, gemessen in Coulomb<br />
pro Kilogramm (C/kg).<br />
Ionisierende Strahlung<br />
-� Strahlung, die in der Lage ist -� Ionen zu erzeugen.<br />
Iridium-192<br />
Eines der 20 radioaktiven Iridium -� Isotope.<br />
Isotope<br />
Unterscheiden sich in ihrem Kernaufbau durch die Anzahl<br />
ihrer -� Neutronen.<br />
ITRAP<br />
Abkürzung für Illicit Trafficking Radiation Detection Assessment<br />
Program, deutsch: Programm zur Aufdeckung des illegalen<br />
Schmuggels <strong>und</strong> Handels mit radioaktiven Stoffen.<br />
K<br />
Kardiovaskuläre Erkrankung<br />
Herzerkrankung<br />
Karzinogen<br />
krebserregend<br />
Kausal<br />
ursächlich<br />
Kernbrennstoff<br />
Spaltbare Materialien in Form von -� Uran als Metall, Legierung<br />
oder chemischer Verbindung (einschließlich -� natürlichen<br />
Urans), -� Plutonium als Metall, Legierung oder<br />
chemischer Verbindung.<br />
Kernkraftwerk (KKW)<br />
Ein mit -� Kernreaktoren betriebenes Dampfkraftwerk; umgangssprachlich<br />
Atomkraftwerk.<br />
Kernladungszahl<br />
Anzahl der -� Protonen, positiven -� Elementarladungen,<br />
in einem Atom.<br />
Kernreaktor<br />
Anlage zur Nutzung von Kernenergie.<br />
286
Kernspaltung<br />
Spaltung schwerer Atomkerne durch Beschuss mit -� Neutronen<br />
in jeweils zwei mittelgroße Kerne, die radioaktiven<br />
Spaltprodukte, wobei große Energiemengen freigesetzt<br />
werden.<br />
Kernspurdetektor<br />
Bestimmte Materialien, bei denen nach elektrochemischer<br />
Ätzung die Einschlagstellen der Alpha-Teilchen vergrößert<br />
dargestellt <strong>und</strong> elektronisch oder visuell mit dem Mikroskop<br />
gezählt werden können.<br />
Kerntechnische Anlagen<br />
Kerntechnische Anlagen sind -� Kernkraftwerk (KKW), -�<br />
Wiederaufarbeitungsanlagen, militärische Anlagen zur Erzeugung<br />
von -� Kernwaffen, Zwischenlager, -� Endlager<br />
<strong>und</strong> -� Anreicherungsanlagen <strong>und</strong> -� Forschungsreaktoren.<br />
Kernumwandlung<br />
Alle nicht stabilen Atomkerne („Radionuklide") wandeln sich<br />
– teilweise in mehreren Stufen – unter Abgabe energiereicher<br />
Strahlung in stabile Kerne um. Das jeweilige Produkt<br />
einer Kernumwandlung wird als Tochternuklid bezeichnet.<br />
Die Erscheinung, dass ein Stoff ohne vorherige Anregung<br />
<strong>und</strong> von außen nicht beeinflussbar Strahlung aussendet,<br />
wird als <strong>Radioaktivität</strong> bezeichnet. Da der ursprüngliche<br />
Stoff dabei allmählich „verschwindet", prägte man dafür den<br />
Begriff – radioaktiver Zerfall. Manche schweren Kerne zeigen<br />
mit einer gewissen Häufigkeit Spontanspaltungen; der<br />
Kern zerbricht dabei ohne äußere Einwirkung in zwei etwa<br />
gleich große Bruchstücke <strong>und</strong> es tritt Neutronenstrahlung<br />
auf.<br />
Kettenreaktion<br />
Die durch -� Absorption eines -� Neutrons ausgelöste -�<br />
Kernspaltung setzt ihrerseits wieder einige Neutronen frei,<br />
die weitere Spaltungen auslösen können.<br />
Kollektiv<br />
Gruppe von Personen mit ähnlichen Eigenschaften.<br />
287
Kontamination, kontaminierte<br />
Verunreinigung von Flächen, Gegenständen oder Personen<br />
mit -� radioaktiven Stoffen.<br />
Kontaminationsmonitor<br />
Messgerät zum Aufspüren von -� Kontaminationen.<br />
Kontrollbereich<br />
-� Strahlenschutzbereich in dem mit einer erhöhten -�<br />
Strahlenexposition zu rechnen ist.<br />
Kontrollgruppe<br />
Gruppe von Nicht-Erkrankten, die bezogen auf Risikofaktoren<br />
mit den sog. -� Fällen vergleichbar ist.<br />
Korrelation<br />
-� Statistische Bezeichnung für einen Zusammenhang.<br />
Krebsinduktion<br />
Hervorrufen einer Krebserkrankung.<br />
L<br />
Landesamt für Umwelt (LfU)<br />
Aufsichtsbehörde für Strahlenschutzbelange in Bayern.<br />
LET<br />
Linear energy transfer, Energieübertragungsvermögen einer<br />
Strahlung pro Wegeinheit.<br />
Linearbeschleuniger<br />
Teilchenbeschleuniger, in dem die Teilchen geradlinig,<br />
hochfrequenzgesteuert, energiezuführende elektrische Felder<br />
durchlaufen. Spezielle Konstruktionen für die Strahlentherapie<br />
liefern Elektronenstrahlen <strong>und</strong> ultraharte <strong>Röntgenstrahlen</strong>.<br />
Liquidator<br />
Person, die an der Beseitigung (Liquidation) der Folgen des<br />
Reaktorunfalls von Tschernobyl beteiligt war.<br />
Locker ionisierend<br />
Strahlung, die bei Wechselwirkung mit Materie ihre Energie<br />
auf einem verhältnismäßig langen Weg an diese überträgt<br />
<strong>und</strong> daher relativ weit voneinander entfernte lonisationsereignisse<br />
auslöst.<br />
Lymphatisches System<br />
Lymphbahnen <strong>und</strong> Lymphdrüsen.<br />
288
M<br />
Massenzahl<br />
Anzahl der Kernbausteine, -� Nukleonen, in einem Atom.<br />
Metastabiler Zustand<br />
Scheinbar stabiler Zustand eines -� Radionuklids mit beschränkter<br />
Lebensdauer.<br />
Moderiert, Moderator<br />
Ein Moderator bremst die schnellen bei einer Kernspaltung<br />
freigesetzten Neutronen ab. Der Moderator umgibt in der<br />
Regel den Brennstoff; er besteht z. B. aus Wasser oder Graphit.<br />
Molekül<br />
Chemische Verbindung aus mehreren -� Atomen.<br />
Monitor<br />
Gerät zur Aufzeichnung <strong>und</strong> Messung von nuklearem oder<br />
anderem radioaktivem Material.<br />
N<br />
NaI-Detektor<br />
Standard- -� detektor für -� Gamma-Strahlung in der<br />
Nuklearmedizin.<br />
Natriumperchlorat<br />
Hemmt die Aufnahme von -� radioaktivem Iod in die<br />
Schilddrüse dadurch, dass es wie -� Iod von der Schilddrüse<br />
aufgenommen wird.<br />
Natürliche Umgebungsstrahlung<br />
-� Exposition<br />
Neutron<br />
Elektrisch neutrales Elementarteilchen. Kernbaustein (-�<br />
Nukleon).<br />
Neutronenstrahlung<br />
Strahlung in Form elektrisch neutraler Elementarteilchen<br />
(-� Neutronen), die insbesondere bei der Kernspaltung freigesetzt<br />
werden.<br />
289
Nuklearbombe<br />
Beruht auf der Kernspaltung von -� Uran-235 oder -� Plutonium-239.<br />
Nukleares Material<br />
Durch -� Kernspaltung entstandene -� radioaktive Stoffe,<br />
abzugrenzen von -� anderem radioaktiven Material.<br />
Nuklearmedizin<br />
Anwendung radioaktiver Stoffe in der Medizin zu diagnostischen<br />
<strong>und</strong> therapeutischen Zwecken.<br />
Nuklearwaffen<br />
Bezeichnung für Geschosse, Raketen, -� Bomben, Minen<br />
mit Sprengladungen aus -� Kernbrennstoff.<br />
Nukleonen<br />
Kernbausteine: -� Protonen <strong>und</strong> -� Neutronen.<br />
Nuklid<br />
Atomkern<br />
Nuklididentifizierung<br />
Nachweis <strong>und</strong> Messung von -� Nukliden.<br />
O<br />
Ordnungszahl<br />
Anzahl der -� Protonen, positiven Ladungen, in einem -�<br />
Atom.<br />
Organdosis<br />
Mittelwert der -� Äquivalentdosis über ein Organ.<br />
Ortsdosis<br />
-� Äquivalentdosis gemessen an einem bestimmten Ort.<br />
P<br />
Partikel<br />
Teilchen<br />
Peer reviewed journals<br />
Wissenschaftliche Zeitschriften, in denen nur Veröffentlichungen<br />
erscheinen, die zuvor von mindestens einem Gutachter<br />
kritisch bewertet wurden.<br />
290
Personendosis<br />
Die an einer repräsentativen Stelle der Körperoberfläche<br />
gemessene -� Äquivalentdosis.<br />
PET<br />
Positronen-Emisssions-Tomographie.<br />
Nuklearmedizinisches, diagnostisches Verfahren, bei dem<br />
Positronen aussendende radioaktive Substanzen, insbesondere<br />
der radioaktiv markierte Zucker ( 18 F-FDG), vorwiegend<br />
zur Darstellung von vitalem Tumorgewebe verwendet werden.<br />
Photon<br />
Quant elektromagnetischer -� Strahlung. Ein Photon ist die<br />
kleinste Strahlungsmenge. Sie kann jede beliebige Energie<br />
tragen, aber nur als ganzes erzeugt oder vernichtet werden.<br />
Pilotstudie<br />
oder Machbarkeitsstudie untersucht, ob <strong>und</strong> unter welchen<br />
Bedingungen eine geplante aufwändige Untersuchung erfolgreich<br />
sein kann.<br />
Plutonium-239<br />
Der Alpha-Strahler entsteht bei normalem Betrieb eines -�<br />
Reaktors <strong>und</strong> kann in -� Nuklearwaffen verwendet werden.<br />
Positron<br />
Antiteilchen des -� Elektrons mit einer positiven -� Elementarladung.<br />
Prämenopausal<br />
Zeit vor den Wechseljahren.<br />
Primordiale Radionuklide<br />
Radionuklide, die bei der Bildung der irdischen Materie entstanden<br />
<strong>und</strong> heute noch vorhanden sind.<br />
Prognose<br />
Vorhersage einer zukünftigen Entwicklung, z. B. eines<br />
Krankheitsverlaufs.<br />
Proton<br />
Elementarteilchen mit einer positiven Elementarladung.<br />
Kernbaustein (-� Nukleon).<br />
PuO2-UO2<br />
Chemische Formel für Plutoniumdioxid <strong>und</strong> -� Urandioxid.<br />
291
R<br />
Radikal<br />
Kurzlebiges, extrem reaktionsfähiges Bruchstück eines -�<br />
Moleküls.<br />
Radioaktive Quelle<br />
bzw. Strahlungsquelle ist ein Gerät oder Material, das -�<br />
ionisierende Strahlung aussenden kann.<br />
- Umschlossene radioaktive Quellen sind ständig von einer<br />
allseitig dichten, festen, inaktiven Hülle umschlossen oder<br />
in festen inaktiven Stoffen ständig so eingebettet, dass bei<br />
üblicher betriebsmäßiger Beanspruchung ein Austritt radioaktiver<br />
Stoffe mit Sicherheit verhindert wird.<br />
- Offene radioaktive Quellen sind alle radioaktiven Quellen<br />
mit Ausnahme der umschlossenen.<br />
Radioaktiver Zerfall<br />
Kernumwandlung unter Aussendung von -� Strahlung. Das<br />
entstehende -� Tochternuklid kann wiederum instabil, d.h.<br />
radioaktiv, sein.<br />
<strong>Radioaktivität</strong><br />
-� Radioaktiver Zerfall<br />
Radiocäsium<br />
Radioaktives Cäsium -� Isotop<br />
Radioisotop<br />
Radioaktives � Isotop<br />
Radioisotopendetektor<br />
-� Detektor zur Lokalisation, -� Verifikation <strong>und</strong> -� Nuklididentifizierung.<br />
Radiological Dispersion Device (RDD)<br />
Englischer Fachbegriff für sog. -� „Schmutzige Bombe“.<br />
Radionuklid<br />
Instabiler Kern, der sich durch Aussendung von -� Strahlung<br />
in einen stabileren Kern umwandelt.<br />
Radioökologie<br />
Lehre vom Verhalten radioaktiver Stoffe in der Umwelt.<br />
Radiotoxizität<br />
Giftigkeit einer Substanz auf Gr<strong>und</strong> -� radioaktiver Strahlung.<br />
292
Reaktor<br />
Kurzbezeichnung für -� Kernreaktor.<br />
Reaktorunfall<br />
-� Strahlenunfall<br />
Regionale Strahlenschutzzentren (RSZ)<br />
Von der Berufsgenossenschaft der Feinmechanik <strong>und</strong> Elektrotechnik<br />
<strong>und</strong> der Berufsgenossenschaft der Chemischen<br />
Industrie eingerichtete Leitstellen zur optimalen Versorgung<br />
von -� beruflich strahlenexponierten Personen bei einem -<br />
� Strahlenunfall.<br />
Relatives Risiko<br />
Gibt den Faktor an, um den sich die Erkrankungshäufigkeit<br />
in einer -� exponierten Gruppe von der in einer -� Kontrollgruppe<br />
unterscheidet.<br />
REMPAN (Radiation Emergency Medical Preparedness and<br />
Assistance Network)<br />
Netzwerk von zur Zeit ca. 30 Kollaborationszentren der -�<br />
WHO.<br />
Resuspension<br />
Wiedereintritt von am Boden oder auf Pflanzen deponierten<br />
Luftschwebstoffen in die Atmosphäre, z. B. infolge Aufwirbelns<br />
durch den Wind.<br />
Röntgenkontrastmittel<br />
Substanz zur Verbesserung der röntgenologischen Darstellung<br />
von u. a. Körperräumen <strong>und</strong> Gefäßen.<br />
Röntgenstrahlung<br />
Elektromagnetische -� ionisierende Strahlung, entstanden<br />
durch Beschleunigen oder Abbremsen geladener Teilchen (-<br />
� Bremsstrahlung) oder Elektronenübergänge in der Atomhülle<br />
(charakteristische Röntgenstrahlung).<br />
RöV<br />
Verordnung über den Schutz vor Schäden durch <strong>Röntgenstrahlen</strong><br />
(Röntgenverordnung).<br />
293
S<br />
Schilddrüsendosis<br />
-� Organdosis für die Schilddrüse.<br />
Schmutzige Bombe<br />
Umgangssprachlicher Begriff für konventionellen Sprengstoff,<br />
dem -� radioaktive Stoffe beigefügt oder beigemengt<br />
sind (englisch: -� Radiological Dispersion Device (RDD)).<br />
SEARCH (System for Evaluation and Archiving of Radiation<br />
Accidents based on Case Histories).<br />
Datenbank zur Archivierung <strong>und</strong> Auswertung von -� Strahlenunfällen<br />
basierend auf Patientenkrankenakten.<br />
Sicherheitscontainment<br />
Schutzhülle zum Einschluss der -� <strong>Radioaktivität</strong> eines -�<br />
Reaktors, die besonders hohe Anforderungen hinsichtlich<br />
Dichtheit <strong>und</strong> Stabilität erfüllt.<br />
Sievert<br />
Einheit der -� effektiven Dosis <strong>und</strong> der -� Äquivalentdosis.<br />
Solider Tumor<br />
-� Tumor eines Organs.<br />
Somatisch<br />
körperlich<br />
Somatisches Strahlenrisiko<br />
Risiko für eine körperliche Schädigung der von der Bestrahlung<br />
betroffenen Person; zur Unterscheidung vom genetischen<br />
Risiko, das für die Schädigung der Folgegenerationen<br />
besteht.<br />
Spaltprodukte<br />
-� Nuklide, die bei der Spaltung schwerer -� Atomkerne<br />
entstehen.<br />
Spezifische Aktivität<br />
Verhältnis der -� Aktivität eines -� Radionuklids zur Masse<br />
des Materials, in dem das Radionuklid verteilt ist.<br />
Spontanspaltung<br />
Spaltung schwerer Atomkerne in mehrere größere Bruchstücke<br />
ohne äußere Einwirkungen.<br />
294
Sterilität<br />
Zustand der Unfruchtbarkeit.<br />
Stochastische Strahleneffekte<br />
Hierbei führt eine Erhöhung der -� Dosis zu einer höheren<br />
Eintrittswahrscheinlichkeit der Strahlenschäden. Eine -�<br />
Schwellendosis gibt es hier nicht (vgl. -� deterministische<br />
Strahleneffekte).<br />
Strahlenbiologisch, Strahlenbiologie<br />
Wissenschaft, die die Wechselwirkungen zwischen -�<br />
ionisierender Strahlung mit biologischer Materie untersucht.<br />
Strahlendosis<br />
Dosis an -� ionisierender Strahlung.<br />
Strahlenexposition<br />
Einwirkung -� ionisierender Strahlung auf den Menschen.<br />
Strahlenschutzbereich<br />
Gekennzeichneter Bereich, in dem mit erhöhter -� Strahlenexposition<br />
zu rechnen ist.<br />
Strahlenunfall<br />
Ereignisablauf, der für eine oder mehrere Personen eine -�<br />
effektive Dosis von mehr als 50 Millisievert zur Folge haben<br />
kann.<br />
Strahlung<br />
Energieform, die sich als elektromagnetische Welle oder als<br />
Teilchenstrahlung ausbreitet.<br />
- direkte Strahlung: -� Alpha- oder -� Beta-Strahlung<br />
- indirekte Strahlung: -� Photonen (-� Gamma- <strong>und</strong> Röntgenstrahlung)<br />
oder -� Neutronenstrahlung<br />
Strahlungsquelle<br />
-� Radioaktive Quelle<br />
Strahlenschutzverordnung (StrlSchV)<br />
Verordnung über den Schutz vor Schäden durch die Anwendung<br />
radioaktiver Substanzen.<br />
Strontium-90<br />
Der -� Beta-Strahler entsteht bei der -� Kernspaltung von<br />
-� Uran.<br />
295
Strahlenschutzvorsorgegesetz (StrVG)<br />
Verordnung zur Vorsorge vor Schäden durch ionisierende<br />
Strahlung.<br />
Szintigramm<br />
Abbildung der <strong>Radioaktivität</strong>skonzentration im Körper.<br />
T<br />
Teilchenstrahlung<br />
Aus geladenen (z. B. -� Elektronen, -� Protonen) oder ungeladenen<br />
Teilchen (z. B. Neutronen, Neutrinos) bestehende<br />
Strahlung (im Gegensatz zur elektromagnetischen Wellenstrahlung).<br />
Teleradiologie<br />
Durchführung einer Röntgenuntersuchung, bei der der verantwortliche<br />
Arzt per (Bild-)Telefon mit den durchführenden<br />
Personen in Verbindung steht.<br />
Thorium<br />
-� Isotop 232 ist ein -� Alpha-Strahler.<br />
TNT<br />
Abkürzung für den wichtigen Explosivstoff Trinitrotoluol,<br />
dessen Sprengwirkung als Maß der Wirkung von -� Nuklearwaffen<br />
dient.<br />
Tochternuklid<br />
Aus einer Kernumwandlung (-� radioaktiver Zerfall) entstehendes<br />
Nuklid.<br />
Track-etch-Detektor (Kernspurdetektor)<br />
Bestimmte Materialien, bei denen nach elektrochemischer<br />
Ätzung die Einschlagstellen der Alpha-Teilchen vergrößert<br />
dargestellt <strong>und</strong> elektronisch oder visuell mit dem Mikroskop<br />
gezählt werden können.<br />
Transferfaktor<br />
Beschreibt quantitativ den Übergang eines Radionuklids von<br />
einem Compartment in ein anderes (z. B. Boden - Pflanze,<br />
Futterpflanze - Milch usw.).<br />
Triage<br />
Einteilen von Verletzten (unter Katastrophenbedingungen)<br />
nach zunehmender Verletzungsschwere.<br />
296
Tritium<br />
Radioaktives -� Isotop des Wasserstoffs, das -� Betastrahlung<br />
sehr niedriger Energie aussendet.<br />
Tschernobylforum<br />
Sammelt seit 2003 im Auftrag der -� Weltges<strong>und</strong>heitsorganisation<br />
(WHO) wissenschaftliche Daten über die Auswirkungen<br />
der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl auf die Ges<strong>und</strong>heit,<br />
Psyche, Wirtschaft <strong>und</strong> Umwelt<br />
Tschernobyl-Verordnung<br />
Die Verordnung (EWG) Nr. 737/90 der Europäischen Kommission<br />
legt für die Einfuhr landwirtschaftlicher Erzeugnisse<br />
mit Ursprung in Drittländern Höchstwerte an -� <strong>Radioaktivität</strong><br />
fest, deren Einhaltung von den Mitgliedsstaaten überprüft<br />
wird.<br />
U<br />
United Nations Scientific Committee on the Effects of<br />
Atomic Radiation (UNSCEAR)<br />
Deutsch: Komitee der Vereinten Nationen über die Wirkung<br />
von atomarer Strahlung, ein wissenschaftliches Komitee,<br />
das regelmäßig Berichte für die UN-Vollversammlung über<br />
die -� Strahlenexposition <strong>und</strong> die Wirkungen -� ionisierender<br />
Strahlung erstellt.<br />
Uptake<br />
Aufnahme eines -� Radionuklids <strong>und</strong> dessen Anreicherung<br />
in einem bestimmten Organ.<br />
Uran<br />
Uran kommt in der Natur (-� Natururan) hauptsächlich in<br />
zwei -� Isotopen vor: U-238 <strong>und</strong> U-235; es enthält weniger<br />
als 1 Prozent spaltbares Uran (U-235).<br />
- Beim angereicherten Uran wird der Anteil an U-235 gegenüber<br />
dem U-238 durch Anreicherung erhöht. Schwach<br />
angereichertes Uran, englisch: low-enriched uranium<br />
(LEU), enthält etwa 2-4 % U-235; es wird gewöhnlich in<br />
-� Kernreaktoren eingesetzt. Hoch angereichertes, eng-<br />
lisch: high-enriched uranium (HEU), enthält mehr als 20 %<br />
U-235; es kann auch zur Herstellung von -� Nuklearwaffen<br />
verwendet werden.<br />
297
- Abgereichertes Uran, englisch: depleted uranium (DU), ist<br />
ein Rückstand, der bei der Erzeugung von -� Brennstäben<br />
oder -� Nuklearbomben entsteht. Es besteht zu fast<br />
100 Prozent aus U-238. DU ist chemisch hochgiftig <strong>und</strong><br />
schwach radioaktiv.<br />
Urananreicherungsanlage<br />
Einrichtung, in der der Prozentsatz des spaltbaren -� lsotops<br />
-� Uran-235 über den Gehalt von 0,72 % des -� Natururans<br />
hinaus gesteigert wird.<br />
Urandioxid (UO2)<br />
Häufigstes Uranoxid <strong>und</strong> chemisch sehr stabil. Der -� Kernbrennstoff<br />
für die meisten -� Reaktoren ist heute Urandioxid,<br />
früher wurde dagegen oft metallisches -� Uran (U)<br />
verwendet.<br />
V<br />
Verifikation<br />
Vorgehen, das durch Überprüfung die Richtigkeit bestätigt.<br />
W<br />
Weichteilgewebe<br />
Repräsentiert im Mittel die Eigenschaften aller Körpergewebe<br />
mit Ausnahme der Knochen <strong>und</strong> Knorpel. Definition für<br />
die -� Dosimetrie: Homogenes Material mit einem Massegehalt<br />
von 10,1 % Wasserstoff, 11,1 % Kohlenstoff, 2,6 %<br />
Stickstoff <strong>und</strong> 76,2 % Sauerstoff.<br />
Wellenstrahlung<br />
Aus elektromagnetischen Wellen bestehende Strahlung<br />
(z. B. Licht, Radiowellen, Röntgen- <strong>und</strong> -� Gammastrahlen).<br />
Weltges<strong>und</strong>heitsorganisation<br />
Englisch: World Health Organization (WHO).<br />
Wiederaufarbeitungsanlage<br />
Anlage, in der die Stoffe -� Uran <strong>und</strong> -� Plutonium (in<br />
Form chemischer Verbindungen) aus verbrauchten -�<br />
Brennelementen zurück gewonnen <strong>und</strong> die hoch radioaktiven<br />
Abfälle abgetrennt werden.<br />
298
Z<br />
Zerfallsreihe<br />
Für ein -� Radionuklid charakteristisches Zerfallsschema<br />
über wiederum instabile -� Tochternuklide bis zu seinem<br />
letztlich stabilen Tochternuklid.<br />
Zwischenlager<br />
Zeitlich befristete Lagerung bestrahlter -� Brennelemente<br />
oder radioaktiver Abfälle vor ihrer -� Endlagerung.<br />
Zyklotron<br />
Beschleuniger für positiv geladene Teilchen (Protonen,<br />
Deuteronen, Alphateilchen). Die Teilchen laufen unter<br />
Einfluss eines magnetischen Feldes auf halbkreisförmigen<br />
Bahnen von zunehmendem Durchmesser <strong>und</strong> treten jeweils<br />
nach halbem Umlauf aus der einen in die andere<br />
Umlaufkammer über, wodurch sie beschleunigt werden <strong>und</strong><br />
hohe kinetische Energien gewinnen. Zyklotrone werden in<br />
der Medizin zur Erzeugung kurzlebiger Radioisotope <strong>und</strong> zur<br />
Neutronentherapie eingesetzt.<br />
299
8. Sachverzeichnis<br />
A<br />
Abschirmung der Strahlung 12<br />
Abwehr- <strong>und</strong> Reparaturmechanismen vielzelliger Systeme 44<br />
Adaptive Reaktionen 43<br />
Äquivalentdosis (H) 20<br />
Ärztliche Stelle 216<br />
Aktivitätskonzentration in Luft <strong>und</strong> Wasser, Höchstwerte 221<br />
Akute Bestrahlung 37<br />
Akute Strahlenkrankheit 51<br />
Akute Strahlenkrankheiten nach einmaliger Ganzkörperexposition<br />
54<br />
Akute Strahlenschäden 53<br />
Alphastrahlung 6<br />
Anpassungsreaktionen von Organismen 62<br />
Apoptose 36<br />
Atome 1<br />
Ausbreitungsmodelle radioaktiver Stoffe in der Atmosphäre<br />
135<br />
Ausbreitung radioaktiver Stoffe in Gewässern 143<br />
B<br />
Bestrahlung des roten Knochenmarks 45<br />
Betastrahlung 6<br />
Biologische Dosimetrie 39<br />
Biologische Gr<strong>und</strong>lagen 25<br />
Bystander Effekte 41<br />
C<br />
Chronische Bestrahlung 37<br />
Chronische Strahlenkrankheit 51<br />
Comptoneffekt 11<br />
Computer-Tomographie (CT) 114, 119<br />
D<br />
Dekontaminationsmöglichkeiten 198<br />
Dekorporationsmöglichkeiten 200<br />
Deterministische Spätschäden 61, 62<br />
Deterministische Strahlenwirkungen 50<br />
Diagnostische Referenzwerte 215<br />
Digitale Radiographie 117<br />
Digitale Subtraktionsangiographie (DSA) 118<br />
DNS-Doppelstrangbrüche (DSB) 32<br />
300
DNS-Schäden 32<br />
Dosisleistung 18<br />
Druckwasserreaktor 87<br />
E<br />
Effektive Dosis (E) 15<br />
Effekte durch chronische Strahlenexposition mit niedriger<br />
Dosisrate 61<br />
Effektüberschneidungen 48<br />
Energiedosis (D) 13<br />
Energieerzeugung 82<br />
Epidemiologische Studien (Fall-Kontroll-Studien) 185<br />
Epidemiologische Studien an exponierten Populationen 69<br />
Externe Strahlenexposition 155<br />
F<br />
Faktorabhängigkeit der Strahlenwirkungen 52<br />
G<br />
Gammakamera 105<br />
Gammastrahlung 6<br />
Genetisch signifikante Dosis 16<br />
Genetische Mutationen 34<br />
Genetische Strahlenwirkungen 52<br />
Genom-Instabilität 36<br />
Gesetzliche Strahlenschutzvorschriften 204<br />
Gray (Gy) 13<br />
Grenzmonitoring 258<br />
H<br />
Herz-Diagnostik, nuklearmedizinisch 110<br />
Hiroshima <strong>und</strong> Nagasaki, Überlebende 66<br />
Hormesis <strong>und</strong> kleine Dosen 76<br />
I<br />
Immissions- <strong>und</strong> Emissionsüberwachung 219<br />
Immissionsmesssystem für <strong>Radioaktivität</strong> (IfR) 254<br />
Improvisierte Nuklearbombe 250<br />
Industrie 92<br />
Ingestion 150<br />
Inhalation 151<br />
Inkorporation 200<br />
Integriertes Mess- <strong>und</strong> Informationssystem (IMIS) 252<br />
Internationale Strahlenschutzkommission (ICRP) 67<br />
Interne Strahlenexposition 149, 167<br />
Interventionelle Radiologie 118<br />
301
Interzeption 140<br />
Iodblockade zur Strahlenschutzvorsorge 240<br />
Ionendosis (J) 13<br />
Isotope 2<br />
K<br />
Kalibrierquellen 95<br />
Katastrophenschutz 260<br />
Katastrophenschutz, abwehrende Maßnahmen 262<br />
Katastrophenschutz, vorbeugende Maßnahmen 261<br />
Katastrophenschutz-Maßnahmen 260<br />
Kernfusion 83<br />
Kernspaltung 84<br />
Kollektivdosis 16<br />
Kontamination von Pflanzen 144<br />
Kontamination von Tierprodukten 146<br />
Konventionelle Röntgendiagnostik 118<br />
Kosmische Strahlung 158<br />
Kosmogene Radionuklide 163<br />
Kritische Organe 17<br />
L<br />
Letal-Dosen 36<br />
Leukämie 45<br />
Leukämie nach Tschernobylunfall 236<br />
Lineares Energie-Übertragungsvermögen (LET) 20<br />
M<br />
Mechanismen der Zellschädigung 28<br />
Medizinische Strahlenexposition 180<br />
Messgrößen im Strahlenschutz 20<br />
Missbildungen 60<br />
Missbrauch von radioaktiven Stoffen 243<br />
N<br />
Nasse Deposition 139<br />
Neutronen-Therapie 122<br />
Nieren-Diagnostik, nuklearmedizinisch 111<br />
Nuklearkriminalität 243<br />
Nuklearterrorismus 248<br />
Nuklide 2<br />
P<br />
Paarbildung 11<br />
Partikel- <strong>und</strong> Photonenstrahlung 100<br />
Perkutane Strahlentherapie (Radioonkologie) 121<br />
302
Personenkontamination 198<br />
PET/CT-Systeme 114<br />
Photoeffekt 11<br />
Physiologische Abwehr- <strong>und</strong> Anpassungsreaktionen biologi-<br />
scher Systeme 73<br />
Polymerisation von Kunststoffen 94<br />
Positronen-Emissions-Tomographie (PET) 112<br />
Projektions-Radiographie 118<br />
Protonen-Therapie 122<br />
R<br />
Radioaktive Abfälle 124<br />
Radioaktive Abfälle, Behandlungsmethoden 125<br />
Radioaktive Abfälle, Quellen 124<br />
Radioaktive Stoffe, Verhalten in der Umwelt<br />
(Radioökologie) 130<br />
Radioaktive Stoffe, Ausbreitung in der Atmosphäre 132<br />
<strong>Radioaktivität</strong> 2<br />
<strong>Radioaktivität</strong>smessungen beim grenzüberschreitenden Ver--<br />
kehr 257<br />
Radiographie 93<br />
Radioisotope, Herstellung 95<br />
Radioisotope in der Wissenschaft 97<br />
Radionuklide in der Medizin, Voraussetzungen 101<br />
Radionuklide in der medizinischen Diagnostik 104<br />
Radionuklide in der Therapie 115<br />
Radionuklide in Nahrungsketten 144<br />
Radioökologie 17<br />
Radiopharmaka 106<br />
Radiopharmazeutika 106<br />
Radon 167<br />
Radon-/Radium-Therapie 123<br />
Rauchmelder 96<br />
Reaktortypen 85<br />
Reaktorunfälle 227<br />
Reaktorunfall von Tschernobyl 228<br />
Reaktorunfall von Tschernobyl, ges<strong>und</strong>heitliche Folgen 231<br />
Reaktorunfälle vor Tschernobyl 227<br />
Rechtfertigende Indikation 214<br />
Regel- <strong>und</strong> Messeinrichtungen 96<br />
Regionale Strahlenschutzzentren 264<br />
Reichweite der Strahlung 9<br />
Relative Biologische Wirksamkeit (RBW) 31<br />
REMPAN-Netzwerk der WHO 265<br />
303
Reparatur von Strahlenschäden 33<br />
Resuspension 142<br />
Risikoanalyse 63<br />
Risikoanalyse, Modifikationen 71<br />
Risikoanalyse, sek<strong>und</strong>äre Faktoren 65<br />
Röntgendiagnostik 116<br />
Röntgendurchleuchtung 117<br />
Röntgenfluoreszenz-Analyse 93<br />
Röntgenverordnung (RöV) 211<br />
S<br />
Schilddrüsen-Diagnostik, nuklearmedizinisch 108<br />
Schilddrüsenerkrankungen nach Tschernobylunfall 235<br />
Schmutzige Bombe 249<br />
Siedewasserreaktor 87<br />
Sievert (Sv) 14<br />
Single-Photon-Emissions-Computer-Tomographie (SPECT) 112<br />
Skelett-Diagnostik, nuklearmedizinisch 109<br />
Somatische Spätschäden nach Strahlenexposition mit hoher<br />
Dosis/-rate 62<br />
SPECT/CT-Systeme 115<br />
Sterilisation <strong>und</strong> Konservierung 94<br />
Stochastische Spätschäden 49,-63<br />
Stochastische Strahlenwirkungen 47<br />
Strahlenarten 5<br />
Strahlendosen nach Tschernobylunfall 234<br />
Strahlendosisbegriffe 13<br />
Strahleneinfangereignisse 38<br />
Strahlenempfindliche Teile der Zelle 31<br />
Strahlenexposition aus natürlichen Quellen 157<br />
Strahlenexposition aus zivilisatorischen Quellen 171<br />
Strahlenexposition, beruflich 184<br />
Strahlenexposition des Flugpersonals 163<br />
Strahlenexposition durch den Betrieb von Kernkraftwerken, Be-<br />
schäftigte 90<br />
Strahlenexposition durch den Betrieb von Kernkraftwerken, Be-<br />
völkerung 90<br />
Strahlenexposition durch den Reaktorunfall von Tscherno-<br />
byl 176<br />
Strahlenexposition durch den Transport von radioaktiven Stof-<br />
fen (Castor) 178<br />
Strahlenexposition durch nuklearmedizinische Untersuchun-<br />
gen 106, 107<br />
304
Strahlenexposition durch Quellen in Industrie, Wissenschaft<br />
<strong>und</strong> Medizin 179<br />
Strahlenexposition in der Nähe kerntechnischer Anlagen 171<br />
Strahlenexposition in der Röntgendiagnostik 121<br />
Strahlenexposition in Deutschland durch Tschernobyl 238<br />
Strahleninduzierte Störungen des biologischen Gleich-<br />
gewichtes 43<br />
Strahlenschäden der Haut, verstärkende 58<br />
Strahlenschäden der Keimdrüsen 58<br />
Strahlenschäden des ungeborenen Lebens 59<br />
Strahlenschäden, späte 61<br />
Strahlenschutz <strong>und</strong> gesetzliche Vorschriften 194<br />
Strahlenschutzverordnung (StrlSchV) 204<br />
Strahlenschutz vor äußerer Exposition 194<br />
Strahlenschutzvorsorgegesetz (StrVG) 218<br />
Strahlenschutzvorsorgezentren 264<br />
Strahlungs-Wichtungsfaktor 13<br />
Szintigramm 105<br />
T<br />
Teleradiologie 215<br />
Terrestrische Strahlung 164<br />
Tomographie-Verfahren, nuklearmedizinisch 112<br />
Trockene Deposition 138<br />
Tschernobyl-Verordnung 257<br />
U<br />
Überwachung der Umweltradioaktivität in Bayern 252<br />
Umgang mit radioaktiven Stoffen, Genehmigungspflicht 223<br />
Umgebungsüberwachung bayerischer Kernkraftwerke 256<br />
Unterschiedliche Strahlenempfindlichkeiten im Körper 35<br />
W<br />
Wechselwirkung der Strahlung mit der Materie 9<br />
Werkstoffprüfung 93<br />
Wirkungsweise ionisierender Strahlen 25<br />
Wirkungsweise ionisierender Strahlen auf vielzellige Orga-<br />
nismen 40<br />
Z<br />
Zellen als kleinste Funktionseinheiten 25<br />
Zellerneuerungssysteme 53<br />
Zwischen- <strong>und</strong> Endlager 126<br />
305
www.ges<strong>und</strong>heit.bayern.de<br />
Herausgeber: <strong>Bayerisches</strong> Staatsministerium für<br />
Umwelt, Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> Verbraucherschutz (StMUGV)<br />
Rosenkavalierplatz 2, 81925 München<br />
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E-Mail: poststelle@stmugv.bayern.de<br />
Stand: Oktober 2006<br />
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