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Qualitätsanforderungen an zahnärztliche Gerichtsgutachten

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516 Fortbildung – Allgemeine Zahnheilkunde<br />

sachlichen Inhalts muss die Beurteilung die zu<br />

begutachtende Versorgungsstufe, den Zeitpunkt<br />

der Beh<strong>an</strong>dlung berücksichtigen und<br />

die Methodenfreiheit im Blick behalten [1, 33].<br />

Im Allgemeinen sollten der Begutachtung als<br />

gesichert geltende, medizinische Erkenntnisse<br />

zugrunde gelegt werden. Oftmals k<strong>an</strong>n der<br />

Sachverständige nur mit den Begriffen der<br />

mehr oder minder großen Wahrscheinlichkeit<br />

operieren [22]. Sofern die Be<strong>an</strong>twortung einer<br />

Gutachtenfrage die Einbeziehung medizinischer<br />

Hypothesen und die Darstellung kontroverser<br />

Ansichten erfordert, sollte dies aus der<br />

Argumentation zweifelsfrei hervorgehen. Der<br />

Gutachter selbst steht vor der Schwierigkeit,<br />

subjektive Beschwernisse ebenso wie objektive<br />

Kr<strong>an</strong>kheitssymptome, labortechnische<br />

und apparative Untersuchungsbefunde berücksichtigen<br />

zu müssen, deren Brauchbarkeit<br />

und prognostische Bedeutung mit einem absoluten,<br />

allgemeinverbindlichen Maßstab eigentlich<br />

nicht zu fassen sind [24]. Besonders<br />

Fragen nach der Prognose sind in der Medizin<br />

mit einer großen Unsicherheit behaftet und<br />

unterliegen zumeist der subjektiven Einschätzung<br />

[32]. Auch wenn der Anspruch der absoluten<br />

medizinischen Wahrheit nicht erfüllbar<br />

ist, sollte die Be<strong>an</strong>twortung der Fragen nach<br />

der Leistungsfähigkeit und vor allem nach ursächlichen<br />

Zusammenhängen unter dem Primat<br />

exakter Wissenschaftlichkeit erfolgen<br />

[24]. Der Beh<strong>an</strong>dlungsst<strong>an</strong>dard ist naturgemäß<br />

nicht gesetzlich festgelegt [13]. Der Beh<strong>an</strong>dlungsst<strong>an</strong>dard,<br />

so definierte Ankerm<strong>an</strong>n,<br />

ist „die nach gesicherter medizinischer Erkenntnis<br />

und Erfahrung erreichte und erreichbare<br />

Qualität der <strong>zahnärztliche</strong>n Versorgung<br />

innerhalb einer B<strong>an</strong>dbreite akzeptierter Variationen“<br />

[1]. Dieser Beh<strong>an</strong>dlungsst<strong>an</strong>dard entwickelt<br />

sich durch neue Materialien, Verfahren<br />

und Gesetzesregeln kontinuierlich weiter [12].<br />

Für die Frage nach dem allgemein <strong>an</strong>erk<strong>an</strong>nten<br />

St<strong>an</strong>d des ärztlichen H<strong>an</strong>delns gilt dies<br />

cum gr<strong>an</strong>o salis [15]. D.h. die Frage des fachärztlichen<br />

St<strong>an</strong>dards ist stets aus der Sicht ex<br />

<strong>an</strong>te zu beurteilen, sodass sich der Sachverständige<br />

bei der Begutachtung räumlich, zeitlich<br />

und sachlich in die Beh<strong>an</strong>dlung zurückversetzen<br />

muss. Gerade auch deshalb, da der<br />

heutige Qualitätsst<strong>an</strong>dard der Beh<strong>an</strong>dlungsfehler<br />

von morgen sein k<strong>an</strong>n [35]. Zahnärztliche<br />

Eingriffe sind im juristischen Sinne tatbest<strong>an</strong>dsmäßige<br />

Körperverletzungen [2, 38] und<br />

bedürfen zu ihrer Rechtfertigung die Einwilligung<br />

des Patienten [14, 27, 38]. Die Patientenaufklärung<br />

bildet das Gegengewicht zur medizinischen<br />

Autorität [2]. Dabei sollte die Aufklärung<br />

des Patienten im Allgemeinen sowohl<br />

über den Befund, die Therapie, mögliche Alternativen,<br />

das jeweilige Risiko der Therapie,<br />

das Risiko bei Unterlassung der Therapie als<br />

auch über die Kosten erfolgen [17]. Häufig<br />

muss der Sachverständige Stellung nehmen,<br />

ob eine Aufklärung stattgefunden hat bzw. ob<br />

diese ausreichend erfolgt war. Hier sollte der<br />

Sachverständige sich bewusst machen, dass er<br />

keine juristische Wertung abgeben soll, sondern<br />

vielmehr aus <strong>zahnärztliche</strong>r Sicht darlegen,<br />

wie m<strong>an</strong> als Zahnarzt im streitgegenständlichen<br />

Fall bei gleichem Kenntnisst<strong>an</strong>d<br />

zum damaligen Zeitpunkt verfahren und aufgeklärt<br />

hätte. Die Praxis zeigt, dass von Patienten<strong>an</strong>wälten<br />

scheinbar routinemäßig infrage<br />

gestellt wird, ob eine Aufklärung überhaupt<br />

stattgefunden hat und diese ausreichend war,<br />

mit dem Ziel der Beweislastumkehr. Bei der<br />

Bewertung durch den Sachverständigen ist generell<br />

eine emotionale und eine sachgerechte,<br />

dem <strong>zahnärztliche</strong>n Eingriff adäquate Bewertung<br />

zu unterscheiden [17]. Im guten Gutachten<br />

ist nur Platz für eine sachgerechte, dem<br />

<strong>zahnärztliche</strong>n Eingriff adäquate Bewertung.<br />

Eine Beurteilung im Sinne von einem in dubio<br />

pro aegroto ist unzulässig [18, 25, 31]. Die Beurteilung<br />

selbst muss nachvollziehbar sein.<br />

Sachverständigengutachten sind wie gerichtliche<br />

Urteile nicht verständlich, wenn Zwischenschritte<br />

in einem durchgehenden Ged<strong>an</strong>keng<strong>an</strong>g<br />

fehlen [31]. Der gerichtliche Sachverständige<br />

sollte zu einem klaren Ergebnis<br />

kommen, auf das sich das Gericht im Urteil<br />

stützen k<strong>an</strong>n. Es dürfen mit der Erstattung des<br />

Gutachtens keine neuen Zweifel aufgeworfen<br />

werden [31]. Aus Sicht der <strong>zahnärztliche</strong>n Profession<br />

ist es von Bedeutung, dass die Zahnmedizin<br />

in der Beurteilung in ihrer tatsächlichen<br />

Komplexität und Kompliziertheit dargestellt<br />

wird [17, 18]. Bei der Vermutung, dass<br />

ein psychosomatisches Geschehen (Mit-)Auslöser<br />

für das Scheitern einer <strong>zahnärztliche</strong>n<br />

Beh<strong>an</strong>dlung ist, darf dies der Gutachter keinesfalls<br />

verschweigen, sondern muss darauf<br />

aufmerksam machen. Bei strittigen Sachverhalten<br />

sollten die Sachverhalte getrennt bewertet<br />

werden. Bei Fragen nach der Kausalität<br />

wird die (Fehl-)Deutung einer vorh<strong>an</strong>denen<br />

zeitlichen Verbindung zwischen 2 Ereignissen<br />

als Post-hoc-ergo-propter-hoc-Trugschluss bezeichnet<br />

[39]. Als weitere typische Fehler in<br />

der gutachterlichen Beurteilung sind ein überhebliches<br />

Urteil und die Überschätzung der<br />

eigenen Expertenschaft zu nennen [18].<br />

Sachlichkeit<br />

Der Sachverständige beurteilt prospektiv oder<br />

retrospektiv eine <strong>zahnärztliche</strong> Beh<strong>an</strong>dlungsstrategie<br />

und/oder ein <strong>zahnärztliche</strong>s Beh<strong>an</strong>dlungsergebnis<br />

[18]. Der Gutachter muss sich<br />

um Objektivität bemühen [31]. Diese Verpflichtung<br />

zur Objektivität als Grundlage jeder<br />

ZWR ̶ Das Deutsche Zahnärzteblatt 2008; 117 (10)

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