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FREIHEIT PUR - Blogsport

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Amorphie und neuer Gesellschaft zu schließen gedenkt – wann und wo also neue ›Tugenden‹<br />

und Einrichtungen entstehen sollen. Spontaneität und Phantasie allein dürften dazu<br />

kaum ausreichen. Spätere anarchistische Denker haben diese Frage schlüssiger beantwortet;<br />

hier soll im Moment nur interessieren, daß der von Bakunin eingebrachte Vorbehalt nicht<br />

einfach abgetan werden kann: daß nämlich Konzepte und Programme, die der unfreien<br />

Atmosphäre einer autoritären Gesellschaft entstammen, mit Sicherheit nicht so frei, kühn,<br />

souverän und visionär* sein können wie die Ideen, die Menschen womöglich in einer befreiten<br />

Gesellschaft entwickeln könnten. Daher braucht der Anarchismus weniger Programme<br />

und Regeln einer künftigen Gesellschaft, als vielmehr ein allgemeines Modell wandelbarer<br />

Strukturen.<br />

Ideen und Positionen<br />

»Ja, zum Kuckuck, wollen die Anarchisten denn überhaupt irgendetwas Konkretes, oder verstecken<br />

sie sich nur hinter Ausflüchten, warum sie dieses oder jenes nicht wollen – –?«<br />

Doch, es gibt konkrete Vorstellungen; die Anarchisten haben nur kein starres Programm<br />

daraus gemacht.<br />

Das Ziel des Anarchismus ist die Abschaffung der Herrschaft von Menschen über Menschen;<br />

im Zentrum seiner politischen Aktivität steht ein sozial geprägter Freiheitsgedanke.<br />

Hieraus leitet er die Notwendigkeit ab, den Staat abzuschaffen. Der Staat sei schließlich kein<br />

Phantom, sondern ein Ausdruck ganz bestimmter – vor allem wirtschaftlich bedingter<br />

– Macht- und Herrschaftsverhältnisse. Es geht also nicht um die Feindschaft zu dieser Regierung<br />

oder jenem Tyrannen, sondern darum, den Staat an sich zu bekämpfen und zugleich<br />

Alternativen zur Staatlichkeit zu entwickeln.<br />

Aus diesem allgemeinen Ziel ergibt sich eine Reihe praktischer Forderungen, Ideen und Ziele,<br />

die sich die anarchistische Bewegung im Laufe ihrer Geschichte zu eigen gemacht hat:<br />

Gleiche Freiheit für alle Menschen einer Gesellschaft. Niemand soll herrschen, das Leben<br />

soll gemeinschaftlich von den betroffenen Menschen selbst organisiert werden. Daraus ergeben<br />

sich soziale Systeme, in denen soviel Kollektivität* wie nötig und soviel Individualität*<br />

wie möglich nebeneinander bestehen. Den Grad von ›nötig‹ und ›möglich‹ entscheidet der<br />

einzelne Mensch nach seinen Bedürfnissen, insofern er sich ›seine‹ Gesellschaft aussuchen<br />

oder schaffen kann. Keine Gleichmacherei, aber gleiche Chancen und Rechte.<br />

Diese Forderung scheitert in erster Linie an wirtschaftlicher Ungerechtigkeit. Deshalb treten<br />

die Anarchisten für die Abschaffung der kapitalistischen Produktionsweise ein, die sie als<br />

menschenverachtend, umweltzerstörend und in ihrem Wachstumszwang als irrational* ansehen.<br />

An ihre Stelle wollen sie nicht etwa die sozialistische Planwirtschaft setzen, sondern<br />

eine dezentrale und föderierte solidarische Bedarfswirtschaft, in der die Ökologie über der<br />

Ökonomie* und die Bedürfnisse der Menschen über denen des Profits stehen.<br />

Eng mit der sozialen Gleichheit verknüpft ist die Forderung nach Überwindung von<br />

Klassen, Schichten und Machthierarchien. Menschen sind nach anarchistischer Auffassung<br />

durchaus unterschiedlich und sollen es auch bleiben, aber keine soziale Schicht soll kraft ihrer<br />

Geburt oder aus wirtschaftlichen, religiösen, rassischen oder geschlechtlichen Gründen<br />

Privilegien* genießen. Hieraus ergibt sich ein ganzer Katalog einzelner Forderungen, der<br />

von der ›direkten Demokratie‹ über die Kritik an Religion, Patriarchat* und Familie bis hin<br />

zum Besitz- und Erbrecht reicht.<br />

Mit der Überwindung des Staates werden auch sein Apparat und seine Institutionen in<br />

Frage gestellt: Regierung, Bürokratie, Armee, Grenzen, Justiz, Polizei, Medienhoheit, Erziehungsmonopol*<br />

und dergleichen. Für diejenigen Funktionen des Staates, die ihrem Wesen<br />

nach notwendig sind, bemüht sich der Anarchismus um die Schaffung alternativer Modelle.<br />

Ihre Basis sind gemeinsame Bedürfnisse, ihre Elemente* Selbstorganisation, freie Vereinbarung,<br />

dezentrale Vernetzung und autonome Föderation. Aus den als überflüssig verstandenen<br />

Staatsfunktionen erwachsen typisch anarchistische Aktionsfelder wie beispielsweise<br />

der Antimilitarismus, die freie Erziehung oder die bürokratiefeindliche Selbstverwaltung.<br />

Direkt nach dem Staat rangiert die Kirche als klassische freiheitshemmende Institution.<br />

Die meisten Anarchisten sind Atheisten und lehnen Religion ab. Sie unterwerfen sich nicht<br />

gerne höheren Wesen oder Mächten; die Kirche betrachten sie als eine gigantische* Einrichtung<br />

der Verdummung. Dabei wollen Anarchisten niemandem das Recht auf Glauben<br />

absprechen, solange dieser anderen Menschen nicht die Freiheit einschränkt. Tatsächlich<br />

gibt es zwischen der Ethik einiger Religionen und der des Anarchismus zahlreiche Übereinstimmungen.<br />

Der Anarchismus ist deshalb eher antiklerikal* als antireligiös.<br />

In freien Gesellschaften darf es kein Eigentum an Menschen mehr geben. Anarchisten<br />

wenden sich deshalb gegen die alltäglichen Abhängigkeits- und Unterdrückungsverhältnisse<br />

– speziell die von Frauen und Kindern. Die meisten Libertären lehnen daher auch die<br />

Institution der Ehe und der ›bürgerlichen Kleinfamilie‹ ab. In ihr sehen sie eine wichtige<br />

Stütze des Staates. Sie ziehen freiwillige Zusammenschlüsse nach dem Prinzip der Wahlverwandtschaft<br />

vor, etwa in Großfamilien, Wohngemeinschaften oder Kommunen, deren<br />

Zusammensetzung wechseln kann. Das bedeutet übrigens nicht, daß alle Menschen so leben<br />

müßten, oder daß sich zwei Menschen nicht etwa lebenslang lieben und ›treu‹ sein dürften<br />

– vorausgesetzt, sie tun dies freiwillig und ohne den erpresserischen Zwang des Eherechts.<br />

Vielmehr geht es darum, auch andere Formen zuzulassen, und die in normalen Familien übliche<br />

Hierarchie zu überwinden: Frauen und Kinder sollen als gleichberechtigte Menschen<br />

akzeptiert sein, und die religiös gefärbte Sexualmoral soll einer lustvollen Gleichberechtigung<br />

weichen. Das Patriarchat als die bei uns gängige Form der Herrschaft steht damit<br />

automatisch im Zielkreuz anarchistischer Kritik.<br />

Eine noch so schöne Utopie kann nicht in einer sterbenden Welt gedeihen. Der Mensch<br />

kann nur im Einklang mit seiner Umwelt überleben. Anarchisten gehen davon aus, daß die<br />

dringend nötigen ökologischen Veränderungen so radikal sein müssen, daß sie im Rahmen<br />

einer kapitalistischen Wachstumswirtschaft kaum möglich sind. Sie meinen, daß eine dezentrale<br />

Organisation kleiner Einheiten mit einer ›Bedürfniswirtschaft nach menschlichem<br />

Maß‹ die einzig wirklich ökologische Gesellschaftsstruktur ist und deshalb das Modell der<br />

Zukunft sein wird.<br />

Kein Paradies<br />

Anarchisten räumen ein, daß es auch in einer libertären Gesellschaft Ungerechtigkeit, Kriminalität<br />

und Aggression geben wird. Anarchistische Modelle versprechen kein Paradies,<br />

sondern versuchen, Strukturen zu entwickeln, in denen sich soziales Fehlverhalten soweit<br />

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