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FREIHEIT PUR - Blogsport

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Frauen den Beweis erbringen wollen, sozusagen die ›besseren Männer‹ zu sein. Bei den<br />

damals tonangebenden »Frauenrechtlerinnen«, deren »aseptischen* Puritanismus« sie als<br />

»Beschränktheit« anprangert, kommt sie mit solchen Attacken natürlich nicht gut an.<br />

Vehement* reklamiert* sie das Recht auf die eigenen Werte der Frau, und die sind bei<br />

Emma Goldman immer stark gefühlsbetont, kämpferisch, selbstbewußt, spontan und auch<br />

erotisch. In fast romantischen Bildern beschwört sie die subversiven Kräfte, die in der Befreiung<br />

von Frau und Mann liegen. Den »zwangsmäßigen, alten Jungfern« der reinen Frauenlehre<br />

setzt sie ihre erfrischende, lebensbejahende und durchaus optimistisch angelegte These<br />

der »freien Liebe« entgegen, in der die Freiheit der Sexualität eine entscheidende Rolle spielt.<br />

Und sie lebt sie auch vor, selbstbestimmt und provokant.<br />

Es geht ihr dabei nicht um ›Sex‹. Sexualität, Freiheit, Emotion, menschliche Wärme,<br />

Selbstbestimmung, bewußte Mutterschaft, Liebe, Revolution, Partnerschaft und Verantwortlichkeit<br />

sind bei ihr Begriffe, die alle etwas miteinander zu tun haben und untrennbar<br />

verbunden bleiben müssen. Falls nicht, würde sich auch nichts Wesentliches ändern.<br />

Ihr Ansatzpunkt dabei ist die Ehe, die sie als sklavischen »Versicherungs- und Wirtschaftsvertrag«<br />

beschreibt, notwendig, um die Frauen in Abhängigkeit und den Staat stabil<br />

zu erhalten. Ehe habe mit Liebe nichts zu tun und Liebe nichts mit Ehe: Wo keine Gefühle<br />

bestehen, könne die Ehe sie auch nicht herstellen, und wo sie existieren, brauche es die Ehe<br />

nicht. Folgerichtig werde Sexualität – für Emma Goldman die »natürlichste und gesündeste<br />

Sache« der Welt – nach der Hochzeit nur zu oft zur Prostitution um den Preis der wirtschaftlichen<br />

Sicherheit. Die Alternative für die Frau bestünde höchstens in beruflicher Karriere.<br />

In dieser Gesellschaft jedoch, so zeigt sie auf, führe auch dies selten zur Unabhängigkeit der<br />

Frau – geschweige denn zu Freiheit oder gar zu Glück.<br />

An die Stelle einer solchen Zwangsinstitution setzt Emma Goldman die freie Beziehung<br />

zwischen verantwortlichen Individuen. Die Sicherheit von Mutter und Kind soll – wenn eine<br />

Beziehung emotional stirbt – nicht durch das künstliche Zwangskonstrukt einer Ehe garantiert<br />

werden, sondern durch ein System gegenseitiger Hilfe in solidarischen Gemeinschaften,<br />

die allen Menschen Unabhängigkeit bieten – nicht nur wirtschaftliche. Gemeinschaften, in<br />

denen Frauen in die Lage versetzt wären, auch ohne ›ihren Mann‹, mit oder ohne Kind, den<br />

eigenen Weg zu gehen. Das bedeutete ihr zufolge das Ende patriarchaler Erpreßbarkeit und<br />

den Triumph ehrlicher Liebe in Selbstbestimmung. In letzter Konsequenz bedürfe es dazu<br />

einer neuen Gesellschaft. Genau deshalb war Emma Goldman Revolutionärin und nicht<br />

Reformistin. Gleichzeitig war sie insoweit konsequent und realistisch, die Umsetzung ihrer<br />

Ideen nicht auf den Sankt-Nimmerleinstag zu verschieben. Hier und heute müsse begonnen<br />

werden, solche Rechte einzufordern und entsprechende Utopien in den Kreisen emanzipierter<br />

Menschen vorzuleben.<br />

Natürlich beschränkt sich die Idee der freien Liebe nicht nur auf Frau und Mann, Mutter<br />

und Kind. Sie fordert die freie Entscheidung der Menschen für jede Art von Zuneigung und<br />

Sexualität. Das schließt homosexuelle* Liebe ebenso mit ein wie etwa Mehrfachbeziehungen<br />

oder Selbstbefriedigung. Bis heute sind Lesben* und Schwule* Opfer von Verfolgung und<br />

Demütigung – umso lebhafter dürfen wir uns den Skandal vorstellen, den solche Ideen um<br />

die Jahrhundertwende auslösten. Vom Untergang der Zivilisation war die Rede und vom<br />

unnatürlichen Zwang zu Promiskuität* und sexueller Hochleistung. Das ist, wenn keine<br />

gewollte Verleumdung, zumindest eine völlig falsche Auffassung von der freien Liebe. Sie<br />

ist weder ein Leistungssport noch eine Zwangsübung darin, mehrere Menschen lieben zu<br />

müssen und keine Eifersucht kennen zu dürfen. Sie schließt aber die Freiheit derjenigen ein,<br />

die dies wollen oder können, es auch zu tun.<br />

Ideen dieser Art waren zu jener Zeit zwar nicht mehr völlig neu – schon Bakunin und<br />

Kropotkin hatten sich für die Freiheit von Liebe und Sexualität ausgesprochen – aber noch<br />

allemal brisant*. Die Diskussionen in der heutigen Frauenbewegung zeigen, wie aktuell sie<br />

nach wie vor sind. Generationen von Anarchistinnen und Anarchisten haben inzwischen<br />

versucht, die Visionen der Emma Goldman zu leben – allen voran sie selbst. ›Freie Liebe‹<br />

wurde ein fester Bestandteil anarchistischer Überzeugung, und viele machten ernst: Die<br />

Ehe als übliche Norm sozialer Organisation ist bei den meisten Anarchisten – zumindest<br />

theoretisch – verpönt; an ihre Stelle traten die verschiedensten Formen offener Beziehungen.<br />

Von einzelnen Paaren über Gruppen, Gemeinschaften und Kommunen bis hin zu sozialen<br />

Großgebilden wie den libertären Kollektiven Spaniens oder den Kibbuzim in Israel wurde<br />

und wird nach Alternativen zu den sozialen Fesseln von Ehe und Abhängigkeit gesucht.<br />

Die Erfahrungen hierbei waren vielfältig und widersprüchlich. Es gab ebensogut Tragödien<br />

wie Triumphe und niemand – am wenigsten Emma Goldman – hätte geglaubt, mit dem<br />

Konzept der ›Freien Liebe‹ eine Zauberformel zur ungetrübten Glückseligkeit gefunden zu<br />

haben. Neue soziale Umgangsformen fallen nicht vom Himmel, sie müssen erlernt werden.<br />

Eines aber scheinen all jene Versuche zu bestätigen: Eine ehrliche, offene und gleichberechtigte<br />

Beziehung zwischen den Geschlechtern ist – auch wenn es ein schwieriges Lernen ist<br />

– möglich. Und sie ist gewiß menschlicher, freier und vielfältiger als die herkömmliche<br />

Institution der Ehe.<br />

Die freie Schule<br />

Für Anarchisten ist auch das herkömmliche Erziehungssystem ein rotes Tuch. Ebenso wie in<br />

Ehe und Normfamilie, sehen sie im staatlichen Schulsystem eine tragende Säule der Macht<br />

– beide trügen dazu bei, Hierarchie immer wieder neu zu verinnerlichen:<br />

In der Schule – gleichgültig ob staatlich oder religiös geprägt – würden Untertanen hergestellt.<br />

Auch wenn als Erziehungsziel offiziell der ›kritische und mündige Staatsbürger‹<br />

gefordert werde, bleibe es immer noch beim Staatsbürger. Neben Lesen, Schreiben, Rechnen<br />

und viel ›Sachwissen‹ werde vor allem eines gelehrt: Anpassung an die bestehenden<br />

Gesellschaftsverhältnisse – zwar nicht als Lehrfach, aber überall versteckt. Und selbst das<br />

angeblich wertfreie ›Sachwissen‹ stecke bei näherem Hinsehen voller Einseitigkeit, Ideologie<br />

und Phantasielosigkeit. Vielfalt, wirkliche Alternativen und vor allem Freiheit des Lernens<br />

gebe es nicht.<br />

Nach anarchistischer Auffassung ist Lernen in allen unseren Gesellschaften ein institutionalisierter*<br />

Zwangsprozeß, und der Staat hält hierüber in der Regel das Monopol. Er weiß<br />

auch, warum: Staatlich gesteuertes Lernen ist die beste Garantie dafür, daß alles beim alten<br />

bleibt. Ideologien mögen wechseln, Lehrpläne sich ändern – die entscheidenden gesellschaftlichen<br />

Grundwerte, die vermittelt werden, tun es nicht. Egal, ob ich Mathe, Geschichte<br />

oder Deutsch pauke, immer lerne ich auch mit, daß es oben und unten, Herrscher und Beherrschte,<br />

Staat und Autorität gibt. Dies in Frage zu stellen, wird an keiner Schule gelehrt.<br />

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