Geometrieunterricht abstrakt - Institut für Mathematik
Geometrieunterricht abstrakt - Institut für Mathematik
Geometrieunterricht abstrakt - Institut für Mathematik
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Lutz Führer (Frankfurt am Main) (Stand 8.08.2008)<br />
<strong>Geometrieunterricht</strong> <strong>abstrakt</strong> –<br />
Vom Begründensollen zum Vermutenwollen<br />
Wichtiger aber als alles bisher Gesagte ist <strong>für</strong> die Erhaltung der Staatsform eine Maßregel, die bis<br />
jetzt allgemein vernachlässigt wird: die Erziehung im Geiste der Verfassung.<br />
ARISTOTELES 1<br />
Wenn wir es nämlich nicht erreichen, bei einer Mehrheit von Schülern... ein Bedürfnis nach Begründungen,<br />
Erklärungen, „Verursachungen“ und damit also nach Einsicht und prinzipiellem Denken<br />
zu wecken, so ist kaum erkennbar, welchen Sinn ein <strong>Mathematik</strong>unterricht [jenseits des bürgerlichen<br />
Rechnens; L. F.], der <strong>für</strong> alle obligat ist, noch haben könnte. Es wäre dann gerechtfertigt,<br />
mit Wagenschein von einer „Tragik des <strong>Mathematik</strong>unterrichts“ zu sprechen, nämlich: „Dass den<br />
meisten das Durchsichtige dunkel, das Zugängliche verschlossen bleibt“, obwohl doch gerade das<br />
Lernen von <strong>Mathematik</strong> der Idealfall <strong>für</strong> ein Lernen durch Verstehen sein sollte und auch – das ist<br />
meine Überzeugung – sein könnte.<br />
WINTER 1983, S. 64<br />
Beschäftigung mit Beweisen kann (möglicherweise) Beiträge zu allgemeinen Lernzielen liefern. Solche<br />
sind u. a.:<br />
• Argumente formulieren können<br />
• Argumente finden können<br />
• Argumentationen wiedergeben können<br />
• Argumentationen analysieren können<br />
• Argumentationen finden können<br />
• auf Argumente anderer eingehen können<br />
• Erkennen der Notwendigkeit einer gemeinsamen<br />
Argumentationsbasis als Voraussetzung <strong>für</strong> sinnvolle Kommunikation<br />
• Begriffe präzisieren können<br />
• Notwendigkeit der Präzisierung von Begriffen erkennen<br />
• Mängel von Schlussweisen erkennen können<br />
• falsche Schlüsse erkennen können<br />
• logisch richtige Schlüsse führen können<br />
• generalisieren, spezialisieren und analogisieren können.<br />
BÜRGER 1979, S. 130<br />
Ohne Festlegung auf irgendwelche schulischen Rahmenbedingungen und mit Zugeständnis<br />
informeller (alters- und kontextabhängiger) Bedeutungen von „Beweisen“ soll im Vortrag über<br />
Wege nachgedacht werden, wie Schüler zur mathematischen Gewohnheit des stichhaltig<br />
begründen Wollens geführt werden könnten. Es geht in diesem Vortrag nicht um konkreten<br />
<strong>Geometrieunterricht</strong>, aber um dessen Rechtfertigung, Motivation und Verteidigung, kurz: um<br />
etwas, das Lehrer im Geiste des ARISTOTELES-Zitats wollen sollen könnten.<br />
Warnung:<br />
Die Ausführungen zum didaktischen Vortragshintergrund in Kapitel 1 sind sehr ausführlich;<br />
wer nur den Vortrag selbst ein- oder abschätzen möchte kann sie getrost überspringen.<br />
1 zit. n. J.-M. ZEMB: Aristoteles. Rowohlts Bild-Monographien 1961/1997, S. 138.
1. Hintergedanken des Vortrags<br />
1.1 Aktuelle Didaktik des Beweisens<br />
2<br />
Die Ausführungen im eigentlichen Vortrag stützen sich weitgehend auf Literatur, die mindestens<br />
zwanzig Jahre alt. ist. Das bedarf einer Rechtfertigung.<br />
Soweit ich sehe, hat sich das Thema Beweisenlehren in den letzten beiden Jahrzehnten seitens<br />
der veröffentlichten <strong>Mathematik</strong>didaktik weitgehend auf drei nur schwach verbundene Teilbereiche<br />
zurückgezogen, nämlich auf die ad hoc begründete Empfehlung singulärer Unterrichtsbeispiele<br />
an Lehrer, auf die kommerzialisierte Beobachtung von Schülerverhalten und auf die<br />
verwässernde Gleichsetzung von Begründen, Argumentieren und Beweisen in der deskriptivphänomenologischen<br />
Grundschuldidaktik. 2 Während die eklektische Beispieltradition am<br />
Rande der wissenschaftlichen Didaktik abwechselnd geduldet oder mit dem Totschlagsargument<br />
„unwissenschaftlich“ ausgegrenzt wird („Stoffdidaktik“), haben die sog. „empirische<br />
Unterrichtsforschung“ und die verbal durchgeadelte Kindermund-Phänomenologie bedenkliche<br />
Verdrängungserfolge in der Wissenschaft vom <strong>Mathematik</strong> Lernen und Lehren. Diese Erfolge<br />
sind freilich weniger Ausdruck einer besonderen methodischen Gediegenheit, die ihre<br />
Nutznießer gerne <strong>für</strong> sich beanspruchen 3 , und vom retrospektiv-analytischen Erkenntnisinteresse<br />
her sind konstruktive Erträge zum Lernenlehren auch nicht zu erwarten. Wo sie pressewirksam<br />
behauptet werden, wie z. B. KLIEMEs Großforschungsbefund, der Pythagorassatz<br />
werde mit strukturiertem Unterricht nachhaltiger gelehrt als mit unstrukturiertem 4 , handelt es<br />
sich regelmäßig um Alte Hüte, die modisch empirisch-reformpädagogisch-fremdenfreundlich<br />
aufgeputzt werden, notfalls als Artefakte der eingesetzten Methoden. 5 Den eigentlichen Motor<br />
der drittmittelorientierten Themenselbstbeschränkung vieler Wissenschaftszweige hat Jürgen<br />
MITTELSTRAß 1980 so beschrieben:<br />
„Gemeint ist das Folgende: Moderne Industriegesellschaften sind in ihrem Bewusstsein und in ihren Strukturen<br />
so beschaffen, dass sie nur diejenigen Wissenschaften bzw. diejenigen wissenschaftlichen Resultate aufnehmen,<br />
die ihnen selbst »technisch« d. h. in Form von Technikwissenschaften, angeboten werden. Gegenüber diesen<br />
Bedingungen technischer Kulturen müssen sich folglich auch die nicht-technischen Wissenschaften oder<br />
Humanwissenschaften (ich meine die Geistes- und Sozialwissenschaften) technisch machen, um »anwendbar«<br />
zu werden bzw. schon ihren Ressourcenfrieden mit technischen Kulturen, hier vertreten durch die Kultusbürokratien,<br />
zu schließen. Diese Entwicklung ist verheerend – nicht nur <strong>für</strong> die Wissenschaften, die nunmehr unter dem<br />
Paradigma technischer Rationalitäten kritische und Orientierungspotentiale degenerieren lassen, sondern auch<br />
<strong>für</strong> die technischen Kulturen selbst, die außer einem (wissenschaftsgestützten) Verfügungswissen kein rationales<br />
Orientierungswissen außerhalb „technischer“ Rationalitäten mehr auszubilden vermögen.<br />
2 Dieses bewusst etwas provozierende Urteil ist nicht allzu ernsthaft recherchiert, weil ich nach vielem „eleganten<br />
Unsinn“, den ich zum Thema in den letzten Jahren fand, müde wurde „alles“ zu lesen. Immerhin sehe<br />
ich keinen großen Widerspruch, wenn ich Google zum Stichwort „International Newsletter on the Teaching<br />
and Learning of Mathematical Proof“ durchsehe, oder auch http://www.lettredelapreuve.it/ , das ZDM-<br />
Archiv zu den Stichworten „Beweis“, „Beweisen“ oder „Proof“ und das aktuelle ZDM-Heft 40.3 (2008) mit<br />
dem schönen Titel „Didactical and Epistemological Perspectives on Mathematical Proof“. (Als vierte Kategorie<br />
wäre evtl. noch „drittmittelträchtige Trivialitäten auf sehr internationalem Verbalniveau“ zu erwähnen;<br />
von FREUDENTHAL einst „Jet-Set-Didaktik“ genannt. )<br />
3 denn sie verdanken sich vielfach naturalistischen Fehlschlüssen, wie ich auf der AK-Tagung in Königswinter<br />
gezeigt habe. Das „Problem der theoretischen Terme“ wird schlicht ignoriert; vgl. z. B. JAHNKE 1978. Bei<br />
ARISTOTELES heißt es dazu: „Aber man kann auch nicht durch sinnliche Wahrnehmung allein erkennen und<br />
wissen. Denn wenn sich auch die sinnliche Wahrnehmung auf ein Qualitatives und nicht auf ein bestimmtes<br />
Einzelne bezieht, so kann man doch notwendig nur ein Einzelnes und irgendwo und jetzt wahrnehmen. Was<br />
aber allgemein ist und in allem, das ist (als solches) unmöglich wahrzunehmen. Denn es ist kein räumlich<br />
Einzelnes und Jetzt; denn dann wäre es nicht allgemein. Was immer ist und allenthalben, nennen wir allgemein.“<br />
ARISTOTELES 1967, S. 49.<br />
4 Vgl. FAZ vom 20.06.2007 (http://www.afw-fernstudium.de/wordpress/?p=11) sowie<br />
http://www.dipf.de/bildungsforschung/biqua_pythagoras_videostudie.htm<br />
5 Vgl. Klaus KLEMM in der ZEIT vom 15.5.2008 (http://www.zeit.de/2008/21/C-Bildungsforschung )
3<br />
Das Glück des Wissenschaftlers und das Glück der Gesellschaft wären also doch nicht immer dasselbe? Festzustehen<br />
scheint, dass dies nur <strong>für</strong> den Fall des Unglücks gilt. Wer da mehr aus dem Ruder läuft, die Wissenschaft<br />
oder die Gesellschaft, ist schwer zu sagen. Einerseits stellt sich mit der zunehmenden Verwissenschaftlichung<br />
der gesellschaftlichen Verhältnisse die Gesellschaft als ein Produkt wissenschaftlicher Rationalitäten<br />
dar, andererseits hat die Wissenschaft ihre Rationalitäten längst auf die Erwartungen der Gesellschaft eingestellt:<br />
sie bietet im wesentlichen Expertenwissen <strong>für</strong> das, was die Gesellschaft will.“ (MITTELSTRAß 1982, S. 19)<br />
„Die Adressaten sind wir selbst: die Gelehrten neuester Konfektion (in der Regel kleine Größen) und die Kultus-<br />
und Wissenschaftsbürokratien mit ihrem unstillbaren, von technischen Kulturen verordneten Hang zur Rationalisierung<br />
und Arithmetisierung der Bildungsverhältnisse.“ (Ebenda, S. 29)<br />
1.2 Langer Atem<br />
„In der didaktischen Literatur werden zwei Lernziele genannt:<br />
1. Die Schüler gewinnen die Einsicht, dass man eine geometrische Behauptung beweisen muss.<br />
2. Die Schüler erkennen, dass man nicht alles beweisen kann. - Wozu »muss« man aber auch solche Sätze<br />
beweisen, die ebenso evident sind wie die »Axiome«?<br />
Man »muss« sie gar nicht beweisen...“ (ZAHN 1979, S. 161)<br />
Diese Sätze entstammen einer gründlichen Auseinandersetzung mit den logischen Grundlagen<br />
und Hintergründen schulischen Beweisens. Hier ging es dem damaligen Autor speziell um<br />
vorgebliche Beweispflichten <strong>für</strong> Beobachtungen, Feststellungen oder Urteile, die schon evident<br />
sind. Weil Schüler über den längsten Teil ihrer Schulzeit nichts von alternativen Modellen<br />
konkreter Axiomensysteme erführen,<br />
„fällt die Forderung zum Beweisen evidenter Folgesätze vom Himmel. Entsprechendes gilt auch <strong>für</strong> Sätze, die<br />
zwar nicht von Anfang an evident sind, aber z. B. durch Ziehen von Hilfslinien und anschaulichen Erläuterungen<br />
evident gemacht werden können.“ (Ebenda)<br />
Schulisches Beweisen beschränke sich nun einmal die weitaus meiste Zeit auf gegenständliche<br />
Evidenzsicherung. 6 Daher könne es dort nicht um die Vermittlung von Inhalten der mathematischen<br />
Logik gehen, sondern „nur“ um die Einübung in schlüssiges Denken und Reden.<br />
Das dürfte heute zum allgemeinen Konsens gehören. Trotzdem wurde das Beweisenlehren<br />
seitdem mitnichten einfacher.<br />
Yuri MANIN habe gesagt: „Ein guter Beweis ist ein Beweis, der uns klüger macht.“ schrieb<br />
Thomas MORMANN (1981, S. 139). Unter dem Stichwort „Beweiswürdigkeit mathematischer<br />
Sätze in der Schulmathematik“ (ebenda, S. 136-142) erlaubte er sich im Geiste des MANIN-<br />
Zitats sogar, die schulische Beweiswürdigkeit des Pythagorassatzes in Frage zu stellen:<br />
„Man kann so beispielsweise den Satz des Pythagoras als eine Formel verstehen, mit der<br />
man aus den Längen zweier Seiten eines rechtwinkligen Dreiecks die Länge der dritten berechnet.<br />
Ein solches Umgehen mit dem Satz des Pythagoras mag vom Standpunkt der wissenschaftlichen<br />
<strong>Mathematik</strong> als ziemlich unwissenschaftlich erscheinen, es ist <strong>für</strong> viele Zwecke<br />
jedoch angemessen. Mit gewissen Einschränkungen kann man nämlich das mathematische<br />
Wissen geradezu als Formelwissen bezeichnen. Ein mathematischer Satz kondensiert das mathematische<br />
Wissen zu einer Formel oder zu einem auf andere Weise sehr stark stilisierten<br />
Ausdruck; dadurch gewinnt das mathematische Wissen eine größere Beweglichkeit, und man<br />
braucht bei seiner Anwendung nicht mehr den ganzen Hintergrund einzubeziehen, der es begründet.<br />
Eine Formel kann als <strong>abstrakt</strong>es Modell eines inhaltlichen Sachverhaltes verstanden werden.<br />
Die Formel F = ½ g⋅h ist so ein algebraisches Modell der Fläche eines Dreiecks. Auch ein zunächst<br />
rein instrumentelles Verständnis mathematischer Sätze ist daher ein möglicher Ausgangspunkt<br />
der Entwicklung des mathematischen Wissens. Es ist legitim und in gewissem<br />
Sinne auch kaum zu umgehen, dass der Prozess der Begriffsentwicklung zunächst einmal an<br />
einer formalen Zeichentätigkeit festgemacht wird. Es kommt darauf an, die Anwendungspra-<br />
6 Hier schließe ich mich der ganz anderen Ansicht (nach SNEED) an, die z. B. in JAHNKE 1978, JAHNKE/OTTE<br />
1979 und MORMANN 1981 vertreten wird: Beweisen ist nicht tautologisch. Es „verallgemeinert“ und verändert<br />
das Wissen, indem es nach „Erklärungen“ aus allgemeinerer Sicht zielt, besser: auf wechselwirkende<br />
Einbettung des Beobachteten, Gewussten oder Vermuteten in übergreifende Bezugs- und Deutungsrahmen.
4<br />
xis der Begriffe so anspruchsvoll und vielschichtig zu gestalten, dass ein über das rein formale<br />
Hantieren mit den Begriffen hinausgehendes Verständnis erreicht wird. In der Beziehung<br />
von Satz und Beweis konzentriert sich die komplexe Beziehung zwischen Entwicklung und Begründung<br />
des mathematischen Wissens.<br />
Der Logiker Y. MANIN hat einen guten Beweis folgendermaßen charakterisiert: »Ein guter<br />
Beweis, ist ein Beweis, der uns klüger macht.« Was das heißt, ist oben erläutert worden: Ein<br />
guter Beweis verdeutlicht die theoretische (begriffliche) und praktische (operative) Bedeutung<br />
des Satzes, den er beweist. Klüger werden wir aber durch einen Beweis nur dann, wenn<br />
wir imstande sind, ihn zu einem bestimmenden Bestandteil unserer mathematischen Tätigkeit<br />
und Reflexion zu machen. Die Dualität eines Beweises 7 ergibt sich daher nicht ausschließlich<br />
aus ihm selbst, sondern hängt ab von der Umgebung, in der er sich befindet.“<br />
(MORMANN 1981, S. 136 f.)<br />
Wenn es so ist, wie ich mit vielen Didaktikern behaupte, dass der eigentliche Sinn des Beweisens,<br />
nämlich Wissen mit anderem Wissen zu verbinden und intuitiv wirksam in den Sinnzusammenhang<br />
eines Sachgebietes einzubetten 8 , nur langfristig vermittelbar ist, dann wäre in<br />
der Tat zu überlegen, ob der fragend-entwickelnde Vortrag von drei isolierten Beweisen im<br />
<strong>Mathematik</strong>unterricht der Mittelstufe – am Gymnasium üblicherweise <strong>für</strong> den Winkelsummensatz,<br />
den Pythagorassatz und die Irrationalität von 2 – irgend jemanden „klüger machen“<br />
kann.<br />
Wo sich Lehrer überhaupt (noch) bemühen, ins Beweisenlernen einzuführen, um intuitiven<br />
Sinn und – mittelbar – flexiblere Anwendbarkeit zu fördern, brauchen sie einen Langen Atem<br />
und neuerdings auch Mut, denn Beweise vorführen, erklären, nachmachen ist bekanntlich etwas<br />
anderes als zum Beweise Erfinden anstiften und anleiten. Zwar gibt es noch das offizielle<br />
Feigenblatt „mathematisch<br />
argumentieren“ in<br />
den KMK-Standards, aber<br />
dieses begriffslose<br />
Assoziationsfeld ist ein<br />
so weitläufiges Dach,<br />
dass die halbe Welt darunter<br />
Platz findet, nicht<br />
nur die ganze <strong>Mathematik</strong><br />
und die KMK-<br />
Musteraufgaben. Was<br />
hier an „Kompetenzgraden“<br />
in Prüfungsorgien<br />
eingebracht und nachgemessen<br />
werden soll, gilt<br />
anscheinend eher der<br />
Verhütung allzu groben<br />
gedanklichen und sprachlichen<br />
Unsinns als der<br />
Förderung und Anerkennung<br />
irgendwelcher kreativen<br />
gedanklichen Leistungen.<br />
So erfordert es<br />
7 MORMANN meint damit die wechselwirkende Einbindung des Satzes in ein Satzgefüge („Begriffsentwicklung“)<br />
zugleich mit der Erschließung von Satzanwendungen („Formel“). Bezogen auf ein Gebiet (wie hier<br />
„Geometrie“) könnte man auch MITTELSTRAß’ Begriffe Orientierungswissen und Verfügungswissen bemühen.<br />
8 bei MORMANN und JAHNKE etwa: Kenntnisse zu Erkenntnissen verallgemeinern...<br />
ZAHN 1979, S. 113 f.
5<br />
denn Mut und Zähigkeit auf Lehrerseite, das unvermeidlich langwierige Beweisenlehren trotz<br />
Lehrplänen, Standards und Outputfixierung durchzuhalten.<br />
Dass es Langen Atem braucht, war unter den zahlreichen Spezialisten, die sich vor dem Siegeszug<br />
der outputfixierten Unterrichtsforschung um vernünftige Einstellungen zum Beweisenlehren<br />
bemühten, einhelliger, wohlbegründeter Konsens, den Heinrich WINTER in seiner<br />
fundamentalen Arbeit von 1983 so ausdrückte:<br />
„Logik in der Schule nicht als Stoffgebiet sondern als permanente Sprechkritik... Die Aufgabe des Lehrers ist<br />
es, Beweissprechakte zu initiieren (direkt oder indirekt) und den weiteren Verlauf diskret zu steuern... Speziell<br />
bei jüngeren Schülern (die Erziehung zum argumentativen Verhalten beginnt mit dem 1. Schultag!) hat es sich<br />
als fruchtbar erwiesen, Beweissprechakte mit der Frage »Woher weißt du das?« zu initiieren, denn hierdurch<br />
wird das Reflektieren angeregt, das nicht nur irgendein Nachdenken über die Behauptung darstellt, sondern<br />
ein Nachdenken über die Herkunft des eigenen Wissens und vor allem darüber, wie der Gesprächspartner die<br />
Behauptung wohl versteht: beim Reflektieren in diesem Sinne versucht man die Gedanken des Gesprächspartners<br />
kennen zu lernen einschließlich der Gedanken, die der andere über die eigenen Gedanken hat.“<br />
(WINTER 1983, S. 85, 91 f.)<br />
Dieses Zitat soll zugleich auf eine delikate Grenzziehung hinweisen, zwischen kindlichen Begründungssprechakten<br />
und altersspezifischem Herstellen von intersubjektiv mitteilbaren<br />
Sachzusammenhängen. „Argumentatives Verhalten“ kann vor jedem Problemhorizont exaktifizierbares,<br />
prototypisches, „präformales Beweisen“ sein, anschaulich oder handelnd vorbereiten,<br />
aber nicht jede mit „weil das ist ...“ eingeleitete Sprechblase sollte schon als Beweissprechakt<br />
gefeiert werden, hauptsächlich weil der alltägliche Gebrauch von sprachlichen Begründungsformen<br />
sehr oft nur affirmativ ist, nicht auf Bezugserweiterung zielt („Verallgemeinerung“).<br />
WINTER gibt dazu viele Beispiele und warnt vor einer Vermengung von Alltags-<br />
mit systematischen Begründungen. Es kommt bei letzteren schon auf epistemische und soziale<br />
Funktionen „des“ Beweisens an; der Austausch privater Weltbildchen und Befindlichkeitszusammenhänge<br />
ist nicht gemeint. Dieser Hinweis scheint mir notwendig, weil sich die Infiltration<br />
der schwach institutionalisierten Sekundarstufendidaktik in Deutschland mit erziehungswissenschaftlich<br />
unterfütterten Grundschulmoden auch in diesem Bereich kaum übersehen<br />
lässt.<br />
1.3 Relativierungen „des Beweisens“<br />
„Über den Begriff ‚Beweis’ bestehen keine einheitlichen Vorstellungen. Dieser Begriff kann in der Umgangssprache unterschiedlich<br />
aufgefasst werden, er wird in verschiedenen Wissenschaften nicht in gleicher Weise verwendet und auch<br />
in der <strong>Mathematik</strong> wird im allgemeinen nicht mit einem definierten Beweisbegriff gearbeitet. Den folgenden Ausführungen<br />
soll gleichfalls ein etwas unscharfer Beweisbegriff zugrunde gelegt werden, der Überlegungen im Hinblick auf den<br />
<strong>Mathematik</strong>unterricht angepasst ist, also ein didaktischer orientierter Beweisbegriff ist. Beweisen soll als eine (noch genauer<br />
zu beschreibende) Form des Begründens von Aussagen (Behauptungen, Feststellungen) angesehen werden.“<br />
„Der Schüler soll lernen zu argumentieren<br />
• sich an Vereinbarungen halten (z. B. Definitionen)<br />
• allgemeine Aussagen an Spezialfällen testen (Beispiele – Gegenbeispiele)<br />
• begründen, folgern, beweisen<br />
• Begründungen auf Stichhaltigkeit prüfen, Scheinargumente aufdecken<br />
• mathematische Überlegungen bzgl. ihrer Bedeutung bewerten.“<br />
BÜRGER 1979, S. 103<br />
(WITTMANN 1981/1997, S. 55 (nach WINTER))<br />
»Ich habe durch Ausmessen der Winkel stets eine Summe von rund 180° erhalten.«<br />
»Ich kann immer ein Papierdreieck so falten, dass die drei Innenwinkelfelder sich zu einem gestreckten
Winkelfeld zusammensetzen.«<br />
6<br />
»Ich kann immer die Parallele zu einer Seite durch die gegenüberliegende Ecke zeichnen und durch Vergleich<br />
von Wechselwinkelpaaren den Satz begründen.«<br />
»Die Winkelsumme muss 180° betragen, wenn der Wechs elwinkelsatz an Parallelen gilt.«<br />
»Die Winkelsumme muss 180 ° betragen, wenn die Punk tspiegelung winkeltreu ist.«<br />
Man könnte noch hinzufügen:<br />
(WINTER 1972, S. 72)<br />
»Zeichne ich ein Dreieck rundherum so, dass das Lineal oder Geo-Dreieck nur (verschoben und) immer<br />
nur im Uhrzeigersinn gedreht wird, dann ergeben die Winkel-Drehungen zusammen einen einfachen<br />
Richtungswechsel der Linealkante.« (Das ist im Wesentlichen der sog. THIBAUT-Beweis von 1809; vgl.<br />
auch die Bedenken dazu in LIETZMANN 1912, S. 6 f.)<br />
Angesichts der alten Erfahrungen mit dem Beweisenlehren im realen Unterricht wurde auch<br />
von didaktischer Seite seit Jahrhunderten <strong>für</strong> eine behutsame, genetische, altersangepasste<br />
Stufung der mathematischen Argumentationsansprüche im Unterricht geworben. Zwölf Jahre<br />
nach seiner Promotion bei HILBERT schrieb Walter LIETZMANN, die „rechte Hand KLEINs in<br />
didaktischen Fragen“, mit Bezug auf die damals aktuellste Axiomatik:<br />
„Das Gesagte wird hinreichen, um zum Schluss zu kommen, dass <strong>für</strong> die Planimetrie der Schule die<br />
rationale Geometrie nicht in Frage kommt ...<br />
Man beachte, was das <strong>für</strong> unsere Schulmathematik bedeutet. Sie ist von Anfang an, am Maßstabe der<br />
heutigen <strong>Mathematik</strong> gemessen, unstreng. Und wer das Wesen der <strong>Mathematik</strong> in der Strenge ihres<br />
Aufbaues sieht, der muss bekennen, dass unsere Schulmathematik, wenigstens die Geometrie, keine<br />
<strong>Mathematik</strong> ist. Gott sei Dank hat man aber auch schon vor den modernen Axiomatikern und vor den<br />
modernen Analytikern <strong>Mathematik</strong> getrieben, und damit schon ist unsere Schulmathematik als <strong>Mathematik</strong><br />
gerettet.“ (LIETZMANN 1916, S. 105; vgl. dazu auch den Anfang von LIETZMANN 1912)<br />
Um noch ein neueres Beispiel (von vielen möglichen) zu geben:<br />
„Das Beweisen soll im folgenden nicht nur als »ausgereifte« mathematische Aktivität verstanden, sondern<br />
im Zusammenhang mit anderen, weniger strengen Formen, mit in der Schule möglichen Vorformen,<br />
sowie mit außenmathematischen Formen rationaler Argumentation, gesehen werden. Gegenüber diesen<br />
weniger strengen Formen des Begründens stellen Argumentationen in mathematischem Kontext hochstilisierte<br />
und sehr weitgehend normierte Formen der Argumentation dar.<br />
Aus zwei Gründen erscheint es notwendig, vor- und außenmathematische Formen des Begründens in den<br />
mathematischen Unterricht einzubeziehen.<br />
Zum einen erwächst mathematisches Beweisen aus solchen Vorformen, indem diese zunehmend im Verlauf<br />
mehrerer Schuljahre verfeinert, ausdifferenziert werden; die jeweils erworbenen Begründungsformen<br />
werden einer zunehmend strengeren Analyse unterzogen, als unzureichend [?] erkannt und auf diese<br />
Weise modifiziert.<br />
Zum anderen soll mathematisches Argumentieren als Teil einer allgemeinen Argumentationsfähigkeit angesehen<br />
werden; die strengeren mathematischen Begründungsformen können Rückwirkungen haben auf<br />
Begründungen in außermathematischen Zusammenhängen, sie korrigieren oder Unvollständigkeiten in<br />
einer Argumentation deutlich werden lassen, bzw. umgekehrt können vormathematische und alltägliche<br />
Begründungsformen oder Formen, Zusammenhänge zwischen Dingen in Gedanken herzustellen, in<br />
strengere Begründungen oder gar mathematische Beweise einmünden.“ (BECKER 1980, S. 89 f.)<br />
WINTER hat sich eingehend mit dem delikaten Verhältnis zwischen inner- und außermathematischem<br />
Begründen auseinander gesetzt. Diesbezüglich sei einmal mehr auf seinen Aufsatz<br />
(1983, S. 85-88) verwiesen.<br />
Historisch betrachtet, haben die Schüler selber allen „Strengewellen“ am Ende doch getrotzt.<br />
Man hätte sich die vielen didaktischen Plädoyers <strong>für</strong> „anschauliches“, „prototypisches“, „generisches“<br />
und „präformales“ Beweisen als „mathematisch seriös“ sparen können, wenn die<br />
Hochschulmathematik mit ihrem Ausbildungs- und Urteilsmonopol in Sachen Wissenschaftlichkeit<br />
im Laufe des 20. Jahrhunderts ebenso von der platonisch-aristotelischen Begrifflichkeit<br />
abgerückt wäre wie die philosophische Erkenntnistheorie.<br />
„Im Folgenden wird gezeigt, dass auch unter <strong>Mathematik</strong>ern der Beweisbegriff zu tief greifenden Fragestel-
7<br />
lungen führt, und dass diese nicht durch rein mathematische Argumentationen, sondern nur durch Übereinkunft<br />
beigelegt werden können. Die Frage, was als Beweis gilt, ist also nicht nur eine mathematische, sondern<br />
auch eine soziologische. Es ist daher die Verantwortung der Lehrer, die Natur des Beweises im jeweiligen<br />
Klassenzimmer mitzubestimmen.“<br />
(DREYFUS 2002, S. 15 f.)<br />
Spätestens seit der grundsätzlichen Wissenschaftskritik von KUHN und LAKATOS hat sich in<br />
der Erkenntnistheorie die Vorstellung verflüchtigt, jede Wissenschaft wisse in ihrer Zeit genau,<br />
was zünftiges Argumentieren heiße, mag es nun je nach Bereichstradition als „Beweisen“,<br />
Erweisen, Belegen, Rechtfertigen, Stützen, Widerlegen o. Ä. bezeichnet werden. Dass<br />
Beweisbegriffe oft nur relationale, soziale, kontextuelle und historische Klarheit besitzen, hatte<br />
<strong>für</strong> die Wissenschaftstheorie schon Ernst CASSIERER 1910 hinreichend dargelegt. LAKATOS<br />
hat es dann im Anschluss an POPPER und KUHN mit dem Eulerschen Polyedersatz <strong>für</strong> <strong>Mathematik</strong>er<br />
durchdekliniert. 9 In KLINE 1980 kann man nachlesen, dass sich die Relativierungen<br />
des mathematischen Wissens auf viele seiner Wurzeln verallgemeinern lassen. HANNA 1997<br />
referiert weitere Relativierungen. In der Regel, so HANNA, würden freilich innermathematische<br />
Grenzfälle und neue Computeraktivitäten gern ins mathematisch Grundsätzliche übertrieben.<br />
10<br />
Man muss die Vorstellungen von „strengem“ Beweisen, die sich in der heutigen Wissenschaftspraxis<br />
eingebürgert haben, gar nicht in Zweifel ziehen, um deren unvermeidliche Einbettung<br />
in ein (historisch gewachsenes) professionelles Problembewusstsein zu Kenntnis zu<br />
nehmen. Für <strong>Mathematik</strong> in allgemeinbildender Funktion können jedenfalls professionelle<br />
Standards nicht ohne zusätzliche Rechtfertigungen maßgeblich werden. Außerhalb der Scientific<br />
Community muss Mathematisches immer als sowohl gesellschaftlich wie auch subjektiv<br />
konnotiertes Bildungsgut gedacht werden. Dort sind ernsthafte Begriffe seit hundert Jahren<br />
Begriffsfelder mit weit reichenden Querbezügen auf unterschiedlichsten Bewusstheitsstufen,<br />
nicht Erfüllungsmengen von Definitionen im Geiste der aristotelischen Logik. Ohne „Metasprache(n)“,<br />
ohne vor- und übermathematisches Zielbewusstsein und Zielstreben sind keine<br />
Axiomatik, keine Begrifflichkeit und kein Beweisen möglich (auch keine Empirie), das haben<br />
Erkenntnistheoretiker von ARISTOTELES über KANT bis DINGLER und LORENZEN immer neu<br />
erklärt. In JAHNKEs Dissertation von 1978 sind die vielfältigen philosophischepistemologischen<br />
Schwierigkeiten zusammen getragen, in HEINTZ 2000 und ULLMANN 2008<br />
die wissenschaftssoziologischen.<br />
Es macht also auch innerhalb der wissenschaftlichen Praxis nicht ohne soziale Kontextuierungen<br />
und ohne semantisches Urteilsvermögen Sinn, „vom“ (= von dem) Beweisen zu reden.<br />
Demzufolge ist es nur konsequent, wenn <strong>für</strong> den Schulunterricht höchst unterschiedliche Ansprüche<br />
an „stringentes Argumentieren“ reklamiert werden. Am weitesten hat das wohl Astrid<br />
BECKMANN im Anschluss an HOLLAND begründet und ausgeführt. Hier eine Übersicht von Ihrer<br />
Website (Abruf 23.07.2008):<br />
9 Ob das ein halbwegs typisches Beispiel <strong>für</strong> mathematische Erkenntnisprozesse ist, kann <strong>für</strong> unsere weiteren<br />
Überlegungen offen bleiben. (Ich möchte ja mitnichten behaupten, <strong>Mathematik</strong> sei eine empirische oder quasi-empirische<br />
Wissenschaft.)<br />
10 Daraus dann gleich neue Schul-Curricula <strong>für</strong> die USA und den Rest der Welt abzuleiten, entspringt leider einer<br />
ebenso modischen wie naiv-mechanistischen Trivialisierung der Wechselwirkungen zwischen Wissenschafts-,<br />
Bildungs- und Gesellschaftspraxis.
8<br />
Mehr oder minder geistreiche Kurzfassungen solcher Kataloge finden sich in diversen amtlichen<br />
Bestimmungen zum KMK-Stichwort „mathematisch Argumentieren“, z. B. im aktuellen<br />
niedersächsischen „Kerncurriculum <strong>für</strong> Realschulen“. Leider beschränkt sich zu oft die Einsicht,<br />
Beweisansprüche relativieren zu müssen, auf unterrichtsmethodischen Ablasshandel im<br />
platonischen Geiste der Herablassung. Das ist immer dort so, wo sich Mitglieder einer Scientific<br />
Community eines „eigentlichen Beweisstandards“ oder „-ideals“ gewiss sind oder „irgendwie“<br />
zu sein glauben, indem sie die kontextuellen Bindungen schlicht ignorieren. Bei<br />
Frau BECKMANN steht in diesem Geiste – und die bestimmten Artikel sind wohl keine Unachtsamkeit,<br />
wie man etwa bei ihrem Lehrer HOLLAND 1996 deutlich sehen kann:<br />
„Beweisen ist das begründete Folgern auf Grund der Voraussetzungen und bekannter Sätze.“<br />
(http://www.mathematik-unterrichten.de/; Abruf 23.07.2008)<br />
Umgekehrt hat JAHNKE 1978 sehr überzeugende Gründe zusammengetragen, warum wissenschaftliches<br />
Beweisen nicht auf tautologische Theoriesicherung, sondern auf Theorieerweiterung<br />
zielt, in der die Voraussetzungen und bekannten Sätze genetisch „aufgehoben“ (im Sinne<br />
von „besser erklärt“) sind. Und das sollte sich mit einiger Anstrengung vollkommen gleichsinnig<br />
auf das Beweisen im <strong>Mathematik</strong>unterricht jedweder Reflexionsstufe übertragen lassen.<br />
Bei WINTER, der auch die epistemologische Relativität durchschaut, heißt es zum zweifelhaften<br />
Stichwort „objektives Beweisbedürfnis“ ganz salomonisch:<br />
„Üblicherweise wird in der didaktischen Literatur Beweisbedürfnis definiert als Einsicht des Schülers in die<br />
Notwendigkeit, dass eine mathematische Aussage (auf ‚fachmathematische Art‘) bewiesen werden muss.<br />
Damit ist die Beweisbedürftigkeit vorzugsweise eine kognitive Angelegenheit: Schüler x erkennt, dass die<br />
Aussage y eines Beweises bedarf. Es handelt sich insofern um ein objektives Beweisbedürfnis, als es der<br />
Satz ist [und nicht der Schüler; L. F.], der innerhalb eines bestimmten Kontextes eines Beweises bedarf.“<br />
(WINTER 1983, S. 64)<br />
Was den „bestimmten Kontext“ ausmacht, kann durch ein lokales oder globales System von<br />
angenommenen Basissätzen und -urteilen beschrieben sein:
9<br />
„Wenn wir von einem geometrischen Satz sagen, dass er eines Beweises bedarf, so meinen wir aus mathematischer<br />
Sicht [d. h. hier: aus den Traditionen und Spielregeln der <strong>Mathematik</strong>erzunft heraus; L. F.], dass<br />
dieser Satz nicht zum Fundament bzw. zu den Axiomen der Geometrie gehört, die letztlich Denkvereinbarungen<br />
sind. Dabei wird stillschweigend vorausgesetzt, dass der betreffende Satz aus diesen Vereinbarungen gefolgert<br />
werden kann. Wir sprechen dann von objektiver Beweisbedürftigkeit.<br />
Für den [heutigen; L. F.] <strong>Geometrieunterricht</strong> in der Sekundarstufe I spielen indes solche Überlegungen kaum<br />
eine Rolle.“ (KRATZ 1983, S. 81)<br />
Auch in der Sekundarstufe II wird man einer Aussage nur ausnahmsweise Beweisbedürfnis in<br />
diesem strengen Sinne unterstellen. WINTER liefert aber in seinem ganzen Aufsatz von 1993<br />
genug Gründe, das schulische Beweisenlehren auf die unterschiedlichen Problemhorizonte<br />
der Schüler abzustimmen, die sich eben über die ganze Schulzeit entwickeln und auch qualitativ<br />
verändern (man denke nur an die Beobachtungen der VAN HIELEs). Gewöhnlich wird der<br />
fachliche Rahmen eines Argumentationsversuchs heute nicht mehr wie noch bei KRATZ auf<br />
„das Fundament bzw. die Axiome der Geometrie“ bezogen, sondern – im Anschluss an BÜR-<br />
GER – auf eine lokale „Argumentationsbasis“. 11 Ein solcher Bezugsrahmen aus meist nur stillschweigend<br />
vorausgesetzten, aber konsensfähig berufbaren Basissätzen, -urteilen und zulässigen<br />
Schlussweisen wird im Schulrahmen lokal, unvollständig und nicht frei von ad-hoc-<br />
Regeln bleiben, aber er soll von vornherein dem rein Subjektiven gegenüber gestellt werden,<br />
wohl mit sachlichen Gründen modifizierbar, aber nicht abdingbar. 12 Will man die Rede vom<br />
„Beweisbedürfnis einer Behauptung“ (und nicht des Schülers oder Redners) beibehalten, dann<br />
muss sie im Schulrahmen auch mit dem jeweils erreichten Wissens- und Reflexionsstand kontextuiert<br />
werden – auch wenn das explizit nicht geht. 13<br />
Im geistreichen Geometrielehrbuch von DENK/HOFMANN wird schon am Anfang in diese<br />
Richtung erzogen:<br />
11 Vgl. BÜRGER 1979 und FISCHER/MALLE 1985<br />
12 Hier muss auf die Charakterisierung von „präformalen“ Beweisen bei SEMANDINI 1974 und KIRSCH 1979<br />
hingewiesen werden, auch auf die etwas anders gewichteten Ausführungen von WITTMANN/MÜLLER 1988 zu<br />
inhaltlich-anschaulichen Beweisen. In beiden Fällen sollen auch die informellen Argumentationen das Allgemeine<br />
im Besonderen, Prototypischen, nicht-Singulären enthalten,<br />
13 Das bei Anfängern häufige Unbehagen, was denn nun vorausgesetzt werden dürfe, schwindet meist mit einiger<br />
Gewöhnung. Schlimm wird es nur, wenn zu rasch benotet und abgeurteilt wird.
10<br />
Die Liberalisierung schulischer Beweisstandards ist schulisch und erkenntnistheoretisch zeitgemäß,<br />
sollte aber nicht auf das Bemühen um Sachlogik verzichten und Geltungsbindung an<br />
Sachverhalte, überlokale Wirklichkeiten und professionelles Fachwissen anstreben. Manche<br />
hochmodischen Hinweise auf die soziale und/oder subjektive Bedingtheit von Geltungs- und<br />
Wahrheitsurteilen laufen leider Gefahr, der Ermutigung geistiger Kleingärtnerei zu dienen.<br />
(Vgl. das folgende Zitat aus LERGENMÜLLER/SCHMIDT 2001 oder auch KADUNZ/STRÄßER<br />
2007, S. 69-75, 87-94 und 159-176 sowie GRAUMANN u. a. 1996, S. 180-181.)<br />
1.4 Beweisen <strong>für</strong> alle?<br />
„Aspekt des Begründens und Beweisens:<br />
Dieser Aspekt wird nur noch am Rande von der Hauptschule berührt. Die Schüler sollen durch diesen Aspekt<br />
angeregt werden, Argumentationen zu einem geometrischen Satz zu präzisieren und logische Schlüsse zu<br />
ziehen.<br />
Ein geometrischer Satz enthält eine Voraussetzung und eine Folgerung. Dies ist besonders dann gut zu erkennen,<br />
wenn dieser Satz in eine Wenn-Dann-Form gebracht wird...<br />
Die Umkehrung des geometrischen Satzes (Voraussetzung und Folgerung werden vertauscht) führt entweder<br />
zu einer wahren oder zu einer falschen Aussage...<br />
Der Wahrheitsgehalt von geometrischen Sätzen lässt sich durch Mess-, Falt-, Dreh- und viele andere Aktivitäten<br />
überprüfen.“<br />
LEUTENBAUER 2003, S. 32 f.
11<br />
Demnach haben der heutige Hauptschüler und die heutige Hauptschule kein Beweisbedürfnis<br />
und auch kaum Begründungsbedürfnisse. 14 Wozu dann <strong>Geometrieunterricht</strong>? Nach einigen<br />
„Aspekten des <strong>Geometrieunterricht</strong>s“ – a) zeichnerisch-konstruktiver; b) Figurenlehre; c)<br />
räumliches Anschauungs- und Vorstellungsvermögen; d) Messen und Berechnen; e) organischer<br />
Begriffserwerb; f) Aspekte des Begründens und Beweisens (s. Zitat oben); g) Problemlöseübungen;<br />
h) Anwendungen – nennt das Handbuch als „Zielbereiche“:<br />
• Förderung des räumlichen Anschauungsvermögens,<br />
• Förderung des funktionalen Vorstellens und Denkens und Hinführung zum Beweisbedürfnis<br />
(Figuren und Körper sind „nicht starr vorgegeben, sondern sie werden<br />
bewegt und verändert abgebildet. Die Schüler können dadurch Zusammenhänge<br />
und Abhängigkeiten entdecken.“),<br />
• Förderung der zeichnerischen und sprachlichen Ausdrucksfähigkeit und<br />
• Weckung einer ‚geometrischen Neugier‘ an Hand interessanter und merkwürdiger<br />
Problemstellungen.<br />
Anschließend heißt es bei LEUTENBAUER 2003, S. 33:<br />
„Wichtig ist dabei, dass der Lehrer behutsam ohne Gängelung zu einer von den Schülern selbst vollzogenen<br />
Erkenntnisgewinnung führt. Hilfe dabei sind tabellarische Anordnungen.“<br />
Und damit endet dort der Abschnitt „Aufgaben und Ziele des <strong>Geometrieunterricht</strong>s“.<br />
Grundphilosophie eines solchen Unterrichts ist offenbar die „getarnte Unterweisung“ in Fakten<br />
und Fertigkeiten. Zu Argumentationsbedürfnissen wird nur hingeführt, denn aus wohlfeilen<br />
Gründen will dieser Unterricht gar nicht intellektuell fordern, sondern Vorzufindendes affirmativ,<br />
d. h. bestätigend und beschwichtigend, sichern. Im weiteren nenne ich diese pragmatisch-affirmative<br />
Unterrichtsauffassung kurz „pagUFF“.<br />
Zugegeben, real-existierene Disziplin-, Niveau- und Bewertungsprobleme, Standards und andere<br />
Test-Artefakte, können zur pagUFF (mit mehr oder weniger Tarnungsanteil) zwingen.<br />
Das sei jedem Hauptschullehrer zugestanden. Ich halte es aber <strong>für</strong> inakzeptabel, <strong>Geometrieunterricht</strong><br />
an öffentlichen Sekundarstufen welchen Typs auch immer, von vornherein als pagUFF<br />
zu anzulegen. Die Tugend, Tatsachenbehauptungen sachlich zu begründen, gehört zum<br />
demokratischen Miteinander. Sie kann natürlich nicht durch den <strong>Mathematik</strong>unterricht allein<br />
anerzogen werden, aber kein Teilgebiet der Sek. I-<strong>Mathematik</strong> kann so zum begründenden<br />
Argumentieren und vernünftigen Reden anregen wie die Elementargeometrie. Kann, könnte,<br />
sollte, eigentlich... Die Sek.I-Geometrie tut es sicher nicht, wenn die Lehrperson nur pagUFF<br />
will (und kann?).<br />
Ein Großteil des verordneten Geometriestoffs ist überdies „das Pulver nicht wert“, wenn er<br />
nur im Rahmen der pagUFF verabfolgt wird: zahllose Vokabeln und Begriffe, viele Figurentypen,<br />
Zirkel- und Lineal-Konstruktionen, Pythagoras, Berechnungen von Standardwinkeln,<br />
-flächen und -körpern, Problemlöseaktivitäten ... können vergessen werden und werden vergessen,<br />
wenn sie nicht in den aktiven Begriffs- und Wortschatz der Schüler eindringen, d. h.<br />
wenn sie nicht ernsthaft argumentativ genutzt werden. Bedeutung können die geometrischen<br />
Bezeichnungen, Beobachtungen, Entdeckungen, Vermutungen und Praktiken in der pagUFF<br />
nur noch auf einem Wege bekommen: über Anwendungen, die den Lernenden nachhaltig beeindrucken,<br />
die also innerhalb seines aktuellen Horizonts als persönlich nützlich erscheinen,<br />
oder außerhalb dieses Horizonts als „irgendwie attraktiv“ genug. Das geht, solange niemand<br />
14 obwohl solche „wissenschaftsorientierten“ Ansprüche vor fünfzig Jahren im Kern der Begründungen standen,<br />
die zum Ersatz der Volksschule durch Grund- und Hauptschule führten. (Vgl. z.B. MEYER 1969; BAU-<br />
MERT u. a. 1994, Kap. 9-10; DAMEROW 1977; HENNES/SCHMIDT 1982)
12<br />
offen sagt: „Ich will aber nicht Landvermesser werden, und Maurer oder Schreinermeister<br />
auch nicht. Ich würde gern ins Büro, oder in die Verwaltung. Da kommt man nicht so dreckig<br />
und kaputt nach Hause. Aber ich krieg später wohl eh nur Hartz IV.“ Und wenn es nur heimlich<br />
gesagt wird? Umso schlimmer. Wo auch immer der pagUFF unvermeidlich sein mag,<br />
gewollt werden sollte er nicht, weil das hieße, die erzieherische Hoffnung und Legitimation<br />
von vornherein aufgeben.<br />
Man kann über Friedrich DRENCKHAHNs Haltung während der Nazizeit heute urteilen, wie<br />
man mag, 15 er gehörte zweifellos zu den fähigsten Volksschuldidaktikern der Nachkriegszeit.<br />
Ich kenne keine andere Quelle, wo die sonst nur heimlich gehegte und bis heute wohl mehrheitlich<br />
verbreitete Grundhaltung der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit so deutlich ausgesprochen<br />
wird:<br />
„Die Volksschule ist <strong>für</strong> Kinder vom 6. bis zum 14. (15.) Lebensjahr bestimmt. Sie zählt ihre Klassen von unten<br />
nach oben (1 bis 8 [9]) und gliedert sich in Grundschule und Volksschuloberstufe. Ihre Aufgabe ist die Entwicklung<br />
der kindlichen Kräfte und die Vermittlung von grundlegendem Wissen und Können in Verbindung mit<br />
einer Persönlichkeitsentwicklung bis zu dem Grade, dass sich die Jugendlichen bei ihrer Schulentlassung in<br />
bescheidenem Ausmaße dem werktätigen und öffentlichen Leben zuwenden können und dieses mit ihnen fertig<br />
wird. Sie ist die einzige Schulform ohne Positivauslese, d. h., sie hat in der Grundschule alle bildungsfähigen,<br />
körperlich und geistig gesunden Kinder aufzunehmen und in der Oberstufe jene zu behalten, die nicht zu<br />
weiterführenden Schulen übergehen.“<br />
DRENCKHAHN 1958, S. 21 f. (Klammern im Original; kursive Hervorhebung von mir, L. F.)<br />
Nach meiner Erfahrung machen es sich die heutigen Bildungspropheten zu leicht, wenn sie<br />
diese öffentliche Einstellung und den davon hart betroffenen „unteren sozialen Rand“ mit der<br />
Hauptschule abzuschaffen versprechen. Gesamtschulen funktionieren auch nicht ohne materielle<br />
Ausstattung und ohne motiviertes Personal, und sie kaschieren die Probleme oft nur<br />
schlecht und recht, weil sie die voranschreitende soziale Spaltung der Gesellschaft nicht aufheben<br />
können.<br />
Bei allem Respekt vor den Schwierigkeiten der Hauptschule: Ein <strong>Geometrieunterricht</strong>, der nur<br />
pagUFF will, verdient seine Steuergelder nicht. Natürlich strengt jeder <strong>Geometrieunterricht</strong><br />
an, der mehr als pagUFF will. Das ist – je nach Zielansprüchen und auf unterschiedliche Weise<br />
– in jeder Schulform so, und in der Hauptschule gewiss besonders mühsam. Man darf sich<br />
und die Schüler/innen aber – siehe das obige DRENCKMANN-Zitat – von Zeit zu Zeit daran erinnern,<br />
dass öffentliche Schulpflicht und -finanzierung nicht (nur) deswegen eingeführt wurden,<br />
damit die Jugendlichen sich irgendwie entwickeln und irgendwo, irgendwann Spaß haben,<br />
ohne das „wahre“ Wirtschafts- und Gesellschaftsleben zu stören.<br />
Damit soll keineswegs autoritärer Paukunterricht anempfohlen werden, der wäre nicht nur unzeitgemäß<br />
und rechtlich bedenklich, er würde auch das hier gesetzte Ziel torpedieren, Jugendliche<br />
demokratisch zum aufrechten Gang und zur sozialen Empathie zu erziehen. Das zentrale<br />
unterrichtsmethodische und curriculare Problem jedes auf Begründungen, Zusammenhänge<br />
und Wechselbezüge zielenden <strong>Geometrieunterricht</strong>s in der Sek. I liegt zweifellos in der Frage<br />
„Wie kann im <strong>Geometrieunterricht</strong> echte Begründungsbereitschaft oder gar Begründungsbedürfnis<br />
erzeugt werden?“ Es muss im Alltag auch dann noch zu Begründungen angehalten<br />
werden, wenn – Motivationstheorie hin, Lehrerversagen her – „die“ oder nicht alle anwesenden<br />
Schüler dazu partout keine Lust haben. Dann bedarf es zusätzlich anderer Unterrichtswege<br />
als Motivieren, Anregen, Anweisen und Prüfen.<br />
Nach HENNES/SCHMIDT 1982, S. 169, besteht jedoch kein Grund zum Defätismus:<br />
„Das folgende thesenartige Fazit ist auch hier als Herausforderung zu weiterem fachdidaktischen Bemühen<br />
anzusehen:<br />
• Die Leistungen von Hauptschülern bzgl. des logischen Schließens dürften nicht so schlecht sein, als dass<br />
15 s. z. B. ULLMANN 2008.
13<br />
es aussichtslos erschiene, sich hier um Verbesserungen zu bemühen. Die Leistungsfähigkeit im Hinblick<br />
auf elementare (aussagen-)logische Schlüsse ist vermutlich nicht schlechter als bei anderen gleichaltrigen<br />
Gruppen.<br />
• Das Niveau der ermittelten Leistungen - sowohl hier als auch in den zitierten Untersuchungen - kann<br />
nicht als befriedigend betrachtet werden. Hierbei ist allerdings zu beachten, dass ein <strong>Mathematik</strong>unterricht,<br />
der es versäumt, das logische Schließen auf einem breiten Betätigungsfeld explizit zu beachten,<br />
zur Fähigkeit des korrekten logischen Schließens - manch verbreiteten Transferhoffnungen zum Trotz -<br />
wenig oder gar nichts beiträgt (...).<br />
• Die Erwartung, im <strong>Mathematik</strong>unterricht der Hauptschule (und nicht nur hier!) die Fähigkeit zum logischen<br />
Schließen spürbar zu fördern, dürfte keineswegs unbegründet sein. Auch unter Beibehaltung der »üblichen<br />
Inhalte« erscheint dies realistisch, und zwar bereits dadurch, dass die faktisch ohnehin auftretenden<br />
Schlussweisen bewusst gemacht werden.<br />
Es wird hier nicht da<strong>für</strong> plädiert, die Schlussregeln unbedingt zum Gegenstand der unterrichtlichen Betrachtungen<br />
zu machen. Es geht vielmehr darum, diese »im Zusammenhang mit dem Begründen verschiedener<br />
Aussagen oder Verfahrensweisen immanent« zu üben (WALSCH 1975, S. 112). Dann erscheint die Programmatik<br />
von WALSCH ( ... ) auch <strong>für</strong> den <strong>Mathematik</strong>unterricht der Hauptschule als eine keineswegs von vornherein illusionäre<br />
Herausforderung.“ (HENNES/SCHMIDT 1982, S. 169; ohne die dort zahlreichen Unterstreichungen)<br />
2. Einige Beweisaktivitäten (Beginn des eigentlichen Vortrags)<br />
2.1 Induktion aus Messungen?<br />
Ein Beispiel aus Unterrichtsbesuchen:<br />
Ref. X teilt ein Arbeitsblatt mit sechs verschiedenen Dreiecken aus. Die Fünftklässler/innen sollen die Innenwinkel<br />
messen und zusammenzählen. Fast alle bekommen 180° heraus. Aber es gibt drei Abweichungen:<br />
178°, 180,5° und 181°. Ref. X fordert zur Diskussio n dieser Resultate auf, lässt dann abstimmen und fügt der<br />
Vereinbarung im rot umrandeten Merkkasten „Wir wollen fortan ... 180°.“ einen fachwissenschaftlichen Se gen<br />
vom Hörensagen hinzu. Auf die anschließende Frage des Besuchers, warum und was die Kinder hier lernen<br />
sollten, antwortet statt des Ref. X sein Fachlehrer-Mentor Y nicht ohne Stolz: „So können wir Zeit sparen und<br />
die wichtigen Winkelaufgaben schon früher rechnen. Das hat sich bei mir immer bewährt.“<br />
Wie ich hörte, haben Kollegen sehr Ähnliches beobachtet und dann die nämliche Erfahrung gemacht<br />
16 : Alle Versuche, die „alle Wirklichkeit“, Wahrnehmung und Denken, normativ strukturierende<br />
Funktion des Winkelsummensatzes (oder des gleichwertigen Parallelenaxioms) zu verteidigen, wurden<br />
als Aufforderung zur Unterwerfung unter unseren didaktischen Geschmack verstanden. Leider gilt:<br />
„Von dem so stark hervorgehobenen epistemologischen Status des Satzes bliebe jedenfalls nichts übrig,<br />
wenn er, wie vielfach üblich, einfach nur durch Messung verifiziert würde.“ (KROLL 1994, S. 94)<br />
Geistreicher als Arbeitsblätter vom o.g. Typ wäre zweifellos eine „induktive“ Einführung ins<br />
Thema durch Nachahmung und -„messung“ der Entfernungsverhältnisse im rechtwinkligen<br />
Halbmonddreieck über der Hypothenuse Erde-Sonne, wie sie ARISTARCH Anfang des dritten<br />
vorchristlichen Jahrhunderts vorgenommen hatte. ARISTARCH fand bei der Sonne 3° statt 10’.<br />
Können’s Schüler besser? (S. z. B. VAN DER WAERDEN 1966, S. 336-339.)<br />
Ganz im Sinne der präformalen Einführung mit prototypischen Aktivitäten und Beispielen<br />
sind die beiden folgenden Ansätze von Könnern formuliert. Erfahrungsgemäß haben Studierende<br />
große Schwierigkeiten, die fundamentalen Unterschiede zwischen der naiven Beispielmesserei<br />
und diesen Erkenntnisanläufen zu sehen:<br />
16 Vgl. etwa WALSCH 1975, S. 125 ff.
16<br />
Es macht keinen pädagogischen und keinen epistemologischen Sinn, die physikalische Wirklichkeit<br />
von der mathematisch korrekt erfundenen zu trennen. Aber es ist eher ein Wechsel-<br />
als Zusammenspiel, denn es ist in der <strong>Mathematik</strong> nicht anders als in anderen Wissenschaften:<br />
Wo sich theoretische Gewohnheiten und Traditionen eingeschliffen haben, verteidigt man<br />
Theorien notfalls auch gegen die Phänomene (solange es geht, s. KUHN 1999).<br />
„Ob z. B. die Winkelsumme im Dreieck genau zwei Rechte beträgt, kann empirisch niemals festgestellt werden.<br />
Und selbst wenn sich eine Abweichung von zwei Rechten ergäbe, so wäre dieses Ergebnis immer noch<br />
kein Argument gegen die Gültigkeit der euklidischen Geometrie; denn die Winkel müssen ja irgendwie realisiert<br />
sein, z. B. bei einem großen Dreieck durch den Winkel der Lichtstrahlen, mit denen die beiden anderen<br />
Ecken anvisiert werden. Verlaufen aber die Lichtstrahlen geradlinig? Aus einer Abweichung der Winkelsumme<br />
von zwei Rechten könnte nur geschlossen werden, dass die g l e i c h z e i t i g e Annahme der Gültigkeit der<br />
euklidischen Geometrie und der geradlinigen Ausbreitung des Lichtes unmöglich ist.“ (WOLFF 1967, S. 100)<br />
MORMANN 1981 weist wiederholt darauf hin, dass in der Absoluten Geometrie (nach Sätzen<br />
von LEGENDRE 17 ) die Dreieckswinkelsumme stets höchstens 180° beträgt und dass<br />
diese Summe stets genau 180° wäre, sobald man sie <strong>für</strong> ein Dreieck garantieren könnte.<br />
„Wie würde eine mögliche Widerlegung von ‘Die Winkelsumme im Dreieck beträgt 180°’ aussehen? Wir würden<br />
ein Dreieck finden müssen, seine Winkel messen und herausfinden, dass sie zusammen nicht 180° betr agen.<br />
Nun wird ein Dreieck aus drei einander schneidenden Geraden gebildet. Um ein Dreieck zu finden, hat<br />
man also zuerst drei einander schneidende Geraden zu finden. Schieben wir einmal Bedenken darüber beiseite,<br />
dass geometrische Geraden überhaupt unzugänglich <strong>für</strong> die Sinne sind. Die Optik lehrt uns, dass das<br />
Licht sich in homogenen Medien auf geraden Linien bewegt. So könnten wir uns also vorstellen, dass wir ein<br />
‘Lichtdreieck’ bilden, etwa dadurch, dass wir drei Blinklichter so anordnen, dass an dem Ort, an dem sich jedes<br />
dieser drei Blinklichter befindet, die anderen beiden sichtbar sind. Wir könnten also an jedem Ort eines<br />
Blinklichts den Winkel zwischen den beiden anderen messen. Wenn wir die Winkel dann addieren, haben wir<br />
die Winkelsumme unseres ‘Lichtdreiecks’. Nehmen wir an, diese Summe betrage 190°. Haben wir uns hier<br />
eingebildet, unsere geometrische Aussage widerlegt zu haben?<br />
Natürlich nicht. Wir würden sagen, unsere Messung müsse falsch gewesen sein, oder das Medium, durch das<br />
sich die Lichtstrahlen unserer Blinklichter bewegt haben, sei keineswegs homogen gewesen. Und wenn beides<br />
nicht funktionieren würde, wären wir genötigt, der geometrischen Optik die Schuld zu geben und zu sagen,<br />
dass Licht sich in homogenen Medien nicht immer in geraden Linien bewegt. Was wir aber niemals tun<br />
würden, wäre der Geometrie die Schuld zu geben...<br />
Aber warum? Die Antwort ist in aller Kürze, dass wir Euklid nicht nur in der Optik, sondern allgemein in den<br />
Wissenschaften benötigen, ganz zu schweigen vom Alltagsleben. Euklid aufzugeben, würde bedeuten, unser<br />
ganzes Wissen in Verwirrung zu stürzen, dadurch, dass wir keine Geometrie mehr hätten. Im Gegensatz dazu<br />
würden wir, wenn wir die Idee aufgäben, dass sich Licht in geraden Linien bewegt, nur unsere Optik zu modifizieren<br />
haben. Das würde zwar bedenklich sein, aber keine Katastrophe. Es ist also, wie unser kleines Argument<br />
zeigt, logisch möglich, Euklid die Schuld zu geben, aber es ist tatsächlich praktisch nicht möglich. Man<br />
könnte sagen, Euklid sei praktisch unwiderlegbar oder praktisch a priori.“ (MUSGRAVE 1993, S. 192 f.)<br />
17 S. z. B. ALEXANDROFF U. A. 1971, S. 390-397.<br />
DRENCKHAHN 1935, S. 38.
17<br />
Um 1827 hat bekanntlich GAUß im Rahmen der „Hannoverschen Landesvermessung“ die<br />
Winkelsumme im Dreieck Inselsberg, Brocken und Hohehagen nachmessen lassen. Er erhielt<br />
180°15“ – was im Rahmen der Messgenauigkeit leider nicht als Falsifikation gelten konnte.<br />
(Abb. aus REIDT/WOLFF/ATHEN 1965, S. 326; Näheres zur Gaußschen Messung in FÜHRER<br />
1997, S. 262 f.)<br />
In FÜHRER/GEY/WESTERMANN 1984 (S. 47 f.) habe ich eine Unterrichtsstunde mit Siebentklässlern<br />
geschildert, in der ausgehend von einer Wiederholung von THIBAUTS Beweis die<br />
(globale) Messproblematik ernsthaft aufgeworfen wurde (vgl. zu diesem Beispiel auch die<br />
Ausführungen in LIETZMANN 1912, S. 6 f.).<br />
Dass jede ernsthafte Messkritik heikel ist und dass sie alle mühsam aufgebauten „Beweisbedürfnisse“<br />
auf eine harte Probe stellt, darf nicht als Ausflucht genommen werden, intellektuell<br />
redliche Verbindungen zwischen Anschauungsraum und euklidischer Geometrie zu suchen, z.<br />
B. nach dem Vorbild von BENDER/SCHREIBER 1985. Ein Absondern der „wahren Geometrie<br />
der geistigen Formen“ ist spätestens seit der Relativitätstheorie unzeitgemäß. Um auch dazu<br />
ein Beispiel zu nennen, gewissermaßen ein hochkarätiges Pendant zur naiven Messerei: Im<br />
Anhang von FÜHRER 1997 (S. 224-230) ist ein Ausschnitt aus WAGENSCHEINs berühmter<br />
Schilderung von 1974 abgedruckt, die ich im selben Buch sehr kritisch analysiert habe (S. 95-<br />
98). Sie bildet gewissermaßen ein reformpädagogisch-sokratisches Gegenstück mit klassizistischer<br />
Hintergrundideologie, wie sie ULLMANN 2008 geißelt. Es ist also gar nicht so weltfremd,<br />
wenn Schüler – wie Lehrer und Unterrichtsforscher immer wieder berichten – gleichzeitig<br />
einen Beweis <strong>für</strong> überzeugend erklären und dann im nächsten konkreten Fall lieber<br />
noch einmal nachmessen und -rechnen möchten.
2.2 Eigenmann-Aufgaben<br />
Einführende Übungen:<br />
Aus einer Übung zur Didaktik der Geometrie:<br />
18<br />
a) Einige Ihrer Schüler bekommen <strong>für</strong> Aufgabe 1 in einer Stillarbeit ebenfalls 23° heraus, andere 22°, 22, 5°,<br />
23,7° und manche sogar 12°. Was tun Sie als Lehrer?<br />
b) Lösen Sie gemäß Verabredung in Ihrer Übungsgruppe eine der anderen Aufgaben sowohl „rechnerisch“<br />
als auch „zeichnerisch“ – jeweils mit einer Skizzenfolge.
19<br />
c) Lehrerin Lidl führt mithilfe solcher Skizzenfolgen <strong>für</strong> Eigenmann-Aufgaben in das Pflichtthema „Konstruieren“<br />
ein, Lehrer Aldi bevorzugt <strong>für</strong> seinen Unterricht die altbewährte „Türklinkendidaktik“, d. h., er holt beim<br />
Drücken der Türklinke zum Klassenraum sein Schulbuch mit Lösungseinträgen heraus, lässt am Stundenbeginn<br />
„Hausaufgaben vergleichen“, fragt nach Unklarheiten und überfliegt inzwischen die nächste Lehrbuchseite<br />
<strong>für</strong> den anschließenden Stundeneinstieg. Welche Vor- und Nachteile hat jede der beiden Methoden?<br />
Stichworte zur Nutzung im Unterricht 18 :<br />
• Lösungscomics (zunächst nur abzeichnen; später von Schülern mit Hilfsmodulen = Makros abgekürzt)<br />
• zeichnerische oder rechnerische Lösung (zunächst) frei<br />
• verdeckter Lösungsanschrieb<br />
• approximative Aufgaben und Lösungen („Wie gut ist ...?“)<br />
• Lösungsvarianten (auch unvollständige oder falsche Lösungsvorlagen)<br />
• unterbestimmte Aufgaben (funktionale Kinematisierung; früher: Determination)<br />
• überbestimmte Aufgaben („Warum geht es nie?“)<br />
• schrittweise explizitere Heuristik („Was ist der Trick beim Lösen?“ z. B. Hilfslinien zwischen<br />
prominenten, aber noch unverbundenen Punkten, Vergleich mit bekannten Aufgaben/Sätzen,<br />
Symmetriesierung ...; POLYA )<br />
2.3 Satzheuristik: Archimedes’ Winkeldreiteilung<br />
Die berühmte Einschiebekonstruktion <strong>für</strong> die Winkeldreiteilung, die nach arabischen Quellen<br />
Archimedes zugeschrieben wird (SCHNEIDER 1979, S. 165), ist von BREIDENBACH 1933 in einen<br />
organischen Zusammenhang mit vielen anderen solchen Konstruktionen gestellt worden.<br />
Leider ist dieser frei rekonstruierte Zusammenhang recht anspruchsvoll und kaum schulgeeignet.<br />
Im Vortrag wird ein sehr viel einfacherer heuristischer Zugang vorgestellt.<br />
18 Frei nach FÜHRER 1997, S. 69.<br />
Grafik teilweise aus WIKIPEDIA
20<br />
2.4 Satzheuristik: Freudenthals Taschentuch<br />
Es gibt viele genetische Beweisrekonstruktionen <strong>für</strong> den pythagoreischen Lehrsatz – wenn<br />
man ihn schon kennt. Gibt es solche Wege auch <strong>für</strong> die Behauptung des Satzes selbst?<br />
Eine genetische Rekonstruktion der Satzfindung aus Flechtwerken findet sich im Buch von<br />
GERDES 1990. Leider kann sie m. E. kaum anders in den Unterricht gebracht werden als berichtend<br />
– und würde zum Beweisen- und Vermutenlernen nicht viel beitragen können. Wir<br />
stellen daher noch drei andere, vermutlich weniger bekannte Versuche vor:<br />
A. WYSS u. a. 1978, S. 66<br />
Aus einer Übung zur Didaktik der Geometrie, die an WYSS’ Abbildungsfolge anknüpfte:<br />
a) Denken Sie sich <strong>für</strong> den Anfang eines „dynamischen Arbeitsblattes“, den Sie auf der Veranstaltungs-<br />
Homepage finden, einen sinnvollen Übungsauftrag <strong>für</strong> Schüler einer 9. Realschulklasse aus. (Hinweis: das<br />
Blatt läuft nur „dynamisch“ im Internet-Explorer. Wenn Sie Firefox o. Ä. benutzen, können Sie <strong>für</strong> IE-<br />
Ansichten den IE-Tab installieren, s. http://www.erweiterungen.de/detail/IE_Tab/ .)<br />
b) Wie kann man aus der Figurenschar einen strengen Beweis bekommen?<br />
c) Bekanntlich kann man den Kreisradius genau sechsmal außen herum „abzirkeln“. Das gibt – Vorsicht: leider<br />
nur bei sorgfältigster Ausführung – ein schönes Blumenmuster. Mit dieser Kreisteilung bekommt man<br />
natürlich auch ein gutes gleichseitiges Dreieck mit aufgesetzten „Bogen-Sehnen-Zweiecken“.<br />
Kann man die oben zitierte Bewegungsidee<br />
zu einem „pythagoreischen Lehrsatz <strong>für</strong> Bogen-Sehnen-Zweiecke“ ausbauen<br />
(kürzer: ... zu einem „Satz von Wilhelm Tell“)? Versuchen Sie<br />
eine druckreife Formulierung und einen Beweis zu geben.<br />
Eine Standardtechnik zur Beweis- und Satzfindung ist die Variation<br />
von Spezialfällen; wir kommen darauf noch allgemeiner im<br />
dritten Kapitel zurück. Rechts ein arithmetischer Zugang zum<br />
Pythagorassatz. Man variiere die Leiterstellung und messe nach,<br />
welche Achsenabschnitte zu jedem Stellungswinkel α gehören –<br />
oder welche Leiterlängen zu welchen Achsenabschnitten. (Das<br />
liefert mit angenäherten pythagoreischen Tripeln erst eine numerische<br />
Satzidee, dann eine geometrische Umdeutung zwecks Begründungsversuch.)<br />
α
21<br />
In FREUDENTHAL 1979 (S. 187 f.) heißt es in Bezug auf SOKRATES’ Lehrstunde <strong>für</strong> MENON:<br />
„Ich habe diese Sokratische Stunde zahllose Male wiederholt. Mit Variationen, und kürzlich ist mir die beste<br />
gelungen. Ein Quadrat – ein Taschentuch, auf dem Tisch ausgebreitet – durch Falten halbieren. Es gelingt,<br />
fast ohne Hilfe, mit 7-8jährigen. Das Halbieren ist leichter als das Verdoppeln, da es innerhalb der Figur stattfindet;<br />
nachher geht es auch mit dem Verdoppeln einfach. Das Kind faltet natürlich erst seitenparallel. Nein,<br />
das ist ein Rechteck. Dann von allen Seiten zugleich einen Streifen, aber das ist ungenau. Und nach einigem<br />
Zögern schlägt es die Ecken des Taschentuchs zur Mitte. Das ist das halbe Quadrat. Warum? Man sieht es,<br />
ad oculos demonstriert, auch wenn es nur das geistige Auge ist.“<br />
Wenn FREUDENTHALs Argument <strong>für</strong> innere Teilquadrate stimmt, dann sollte es auch mit der<br />
Aufforderung, ein Dreiviertel-Quadrat zu erzeugen Erleuchtungen geben:<br />
Leider ist das Quadrat rechts zu klein. Es fehlen die unschraffierten schmalen Dreiecke. Zusammen<br />
machen die immerhin 4 Zweiunddreißigstel des Anfangsquadrates aus. Aber dagegen<br />
kann man sich etwas überlegen ...<br />
2.5 Genese eines Sätzchens über Korbbögen<br />
Korbbögen sind ein höchst beziehungsreiches Thema, um auch erwachsenen Studierenden<br />
suggestiv klarzumachen, dass <strong>Geometrieunterricht</strong> Sehen lehrt, übt und verändert. 19 Nachdem<br />
ich auf der Bendorfer Tagung des AK Geometrie in einem schönen Vortrag von Eberhard<br />
SCHRÖDER über Korbbögen dessen beiläufige Bemerkung angezweifelt hatte, zweiteilige<br />
Korbbögen in einem<br />
Rechteck „müssten“ oder<br />
„würden stets“ mittels<br />
der Inkreismitte eines<br />
Diagonaldreiecks<br />
konstruiert, hat mich das<br />
Thema immer wieder<br />
fasziniert.<br />
Im Vortrag möchte ich<br />
darüber berichten, welch<br />
mühsamer Weg mich zu<br />
dem 20 Sätzchen rechts<br />
geführt hat.<br />
19 Auf der Homepage von Herrn WALSER (http://www.math.unibas.ch/~walser/ ) findet man sehr viel dazu. Unter<br />
http://www.juergen-roth.de/einparken/index.html kann man überraschend reichhaltige Bezüge zum Thema<br />
Einparken studieren.<br />
20 von der Behauptung her leicht zu beweisenden ...
2.6 Vierecksmitten (nach FÜHRER 1985/2005)<br />
22
2.7 Eine Satzfindungsstrategie<br />
Zitate aus der Methodenschrift von Archimedes (Werke, S. 382 ff,.).<br />
2.8 Wie gut ist die Feldmesserregel?<br />
23<br />
Untersuchung der Feldmesserregel <strong>für</strong> Rechtecksflächen. (Zitate aus FÜHRER 1997a und<br />
MORMANN 1981)<br />
2.9 Wie gut kann man wissen, wie ... ?<br />
Das Volumen des Berliner Fernsehturms – samt Erfahrungen mit dieser Aufgabe...<br />
3. Sätze erfinden lehren?<br />
Anfänge eines Katalogs heuristischer Satzfindungsstrategien...<br />
4. Statt eines Fazits<br />
„Wenn ich an einem Problemfeld interessiert bin, dann versuche ich einfach, es zu verstehen. Ich denke<br />
längere Zeit darüber nach und versuche, tiefer und tiefer zu bohren. Wenn ich ein gewisses Verständnis<br />
erreicht habe, weiß ich was richtig ist und was nicht.<br />
Natürlich ist es auch möglich, dass man sich täuscht, dass man nur glaubt, es verstanden zu haben,<br />
und dann stellt sich hinterher heraus, dass man im Irrtum war. Aber im allgemeinen bekommt man ein<br />
Gefühl da<strong>für</strong>, was los ist und welche Beziehungen gelten sollten, sobald man wirklich fühlt, dass man<br />
etwas verstanden hat, weil man durch zahlreiche Beispiele und durch Querbezüge genügend Erfahrung<br />
mit diesem bestimmten Problemfeld hat. Dann erst stellt sich die Frage: Wie beweist man es?<br />
Das kann lange dauern.... Ich schätze die Bedeutung von Beweisen nicht so hoch ein. Ich glaube, es<br />
ist wichtiger, etwas zu verstehen ...“<br />
(ATIYAH 1984, S. 16f; Übers. leicht modifiziert nach WITTMANN/MÜLLER 1988, S. 252).
Literatur<br />
24<br />
Alexandroff, P. S.; Markuschewitsch, A. I.; Chintschin: Enzyklopädie der Elementarmathematik, Band<br />
V. Berlin: VEB DVW 1971.<br />
Andelfinger, B.: Geometrie. Soest: Didaktischer Informationsdienst <strong>Mathematik</strong> des Landesinstituts <strong>für</strong><br />
Schule und Weiterbildung 1988.<br />
Archimedes: Werke. (Übers. von A. Czwalina) Darmstadt: Wiss. Buchges. 1972.<br />
Aristoteles: Elemente der aristotelischen Logik. (Übers. A. Trendelenburg) Reinbeck: Rowohlt 1967.<br />
Atiyah, M.: Interview with Michael Atiyah. In: Mathematical Intelligencer 6 (1984), 9-19.<br />
Baumert, J.; Brenckmann, R. u.a.: Das Bildungswesen in der Bundesrepublik Deutschland. Reinbeck:<br />
Rowohlt 1979/1994.<br />
Becker, G.: <strong>Geometrieunterricht</strong>. Bad Heilbrunn: Klinkhardt 1980.<br />
Beckmann, A.: Beweisen im <strong>Geometrieunterricht</strong> der Sekundarstufe I. Hamburg/ Münster/ London: Lit-<br />
Verlag 1997. (Vgl. http://www.mathematik-unterrichten.de/ )<br />
Bender, P.; Schreiber, A.: Operative Genese der Geometrie. Wien/Stuttgart: hpt/Teubner 1985.<br />
Bender, P.: Anschauliches Beweisen im Geometrie-Unterricht – unter besonderer Berücksichtigung<br />
von (stetigen) Bewegungen bzw. Verformungen. In: Kautschitsch/Metzler (Hrsg.): Anschauliches<br />
Beweisen. Wien: hpt 1989.<br />
Blum, W.; Kirsch, A.: Preformal proving – Examples and reflections. In: Educ. Studies in Math., 22.2<br />
(1991), 183-203.<br />
Breidenbach, W.: Die Dreiteilung des Winkels. Leipzig/Berlin: Teubner 1933.<br />
Bürger, H.: Beweisen im <strong>Mathematik</strong>unterricht. In: Dörfler/Fischer 1979, 103-134.<br />
Cassirer, E.: Substanzbegriff und Funktionsbegriff. 1910 (Engl. Übersetzung unter<br />
http://www.archive.org/details/substanceandfunc00cassuoft )<br />
Damerow, P.: Die Reform des <strong>Mathematik</strong>unterrichts in der Sek. I, Band 1. Stuttgart: Klett 1977.<br />
Denk, F.; Hofmann, J. E.: Ebene Geometrie <strong>für</strong> höhere Lehranstalten. München: Blutenburg 1957.<br />
Dörfler, W.; Fischer, R. (Hrsg.): Beweisen im <strong>Mathematik</strong>unterricht. Wien/Stuttgart: hpt/Teubner 1979.<br />
Drenckhahn, F.: Raumlehre in der deutschen Volksschule. Langensalza: Beltz 1935.<br />
Drenckhahn, F. (Hrsg.): Der mathematische Unterricht <strong>für</strong> die sechs- bis fünfzehnjährige Jugend in der<br />
Bundesrepublik Deutschland. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1958.<br />
Dreyfus, T.: Was gilt im <strong>Mathematik</strong>unterricht als Beweis? In: Beiträge zum <strong>Mathematik</strong>unterricht<br />
2002, 15-22.<br />
Eigenmann, P.: Geometrische Denkaufgaben. Stuttgart: Klett 1981.<br />
Elschenbroich, H.-J.: Tod des Beweisens oder Wiederauferstehung? – Zu Auswirkungen des Computereinsatzes<br />
auf die Stellung des Beweisens im Unterricht. http://www.dynamischegeometrie.de/dgs-workshop/mat-elsch5.rtf<br />
(Abruf: 22.07.2008)<br />
Fetissow, A.I.; Gibsch, I. A.; Semuschin, A. D.: Die Entwicklung des logischen Denkens im <strong>Mathematik</strong>unterricht.<br />
Berlin: Volk und Wissen 1962.<br />
Fischer, R.; Malle G.: Mensch und <strong>Mathematik</strong>. Mannheim: BI 1985.<br />
Frank, R.; Walser, H.: Korbbögen ... Unter:<br />
http://www.math.unibas.ch/~walser/Miniaturen/M14/14_Korbboegen.pdf<br />
Freudenthal, H.: Konstruieren, Reflektieren, Beweisen in phänomenologischer Sicht. In: Dörfler/Fischer<br />
1979, S. 183—200.<br />
Führer, L.; Gey, S.; Westermann, L.: Widersprüche und Trugschlüsse als Unterrichtsmittel. In: <strong>Mathematik</strong><br />
lehren 5 (1984), 44-49.<br />
Führer, L.: Welche Vierecke haben einen „Mittelpunkt“? In: <strong>Mathematik</strong> lehren 8 (1985), 38-47. (Wie-
25<br />
derabdruck in Weigand, H.-G.: ml-Sammelband Geometrie. Velber: Friedrich/Klett 2005, 18-27.)<br />
Führer, L.: Pädagogik des <strong>Mathematik</strong>unterrichts. Wiesbaden: Vieweg 1997.<br />
Führer, L.: Zur frühen Feldmessung. In: Mathematica didactica 20.1 (1997a), S. 20-25.<br />
Gerdes, P.: Ethnogeometrie. Hildesheim: Franzbecker 1990.<br />
Graumann, G.; Hölzl, R.; Krainer, K.; Neubrand, M.; Struve, H.: Tendenzen der Geometriedidaktik der<br />
letzten 20 Jahre. In: JMD 17.3-4 (1996), 163-237.<br />
Hanna, G. Rigorous Proof in Mathematics Education. Toronto: Ontario <strong>Institut</strong>e for Studies in Education<br />
1983.<br />
Hanna, G.: The Ongoing Value of Proof. In: JMD 18 (1997), 171-185.<br />
Hanna, G.: Proof, Explanation and Exploration – An Overview. In: Ed. Studies in Math. 44 (2000), 5-<br />
23.<br />
Heidenreich, K.: Kritische Anmerkungen und ergänzende Vorschläge zu Hürtens heuristischem Prinzip<br />
<strong>für</strong> die Abbildungegeometrie. In: Beiträge zum <strong>Mathematik</strong>unterricht 1987, 166-170.<br />
Heintz, B.: Die Innenwelt der <strong>Mathematik</strong>. Wien/New York: Springer 2000. (Vgl.<br />
http://books.google.de/books?id=Tjzlm0B9fUgC&dq=Heintz+die+Innenwelt+der+<strong>Mathematik</strong>&sour<br />
ce=gbs_summary_s&cad=0 )<br />
Hennes, C.; Schmidt, S.: Logisches Schließen von Hauptschülern gegen Ende ihrer Schulzeit. In:<br />
JMD 3.2 (1992), S. 145-171.<br />
Heske, H.: Methodische Überlegungen zum Umgang mit Beweisen. In: Math. lehren 110 (2002), 52-<br />
54.<br />
Holland, G.: Geometrie in der Sekundarstufe. Heidelberg: Spektrum (2. Aufl.) 1996.<br />
Holland, G.: Geometrie in der Sekundarstufe. Hildesheim: Franzbecker (neubearb. 3. Aufl.) 2007.<br />
Hürten, K. H.: Das heuristische Prinzip der Geometrie ... In: MNU 29 (1976), 276-281.<br />
Jahnke, H. N.: Zum Verhältnis von Wissensentwicklung in der <strong>Mathematik</strong> - Beweisen als didaktisches<br />
Problem. Bielefeld: IDM 1978.<br />
Jahnke, H. N.; Otte, M.: Der Zusammenhang von Verallgemeinerung und Gegenstandsbezug beim<br />
Beweisen – am Beispiel Geometrie diskutiert. In: Dörfler/Fischer 1979, S. 225-242.<br />
Jahnke, H. N.: Anschauung und Begründung in der Schulmathematik. In: Beiträge zum <strong>Mathematik</strong>unterricht<br />
1984, 32-41.<br />
Kadunz, G.; Sträßer, R.: Didaktik der Geometrie in der Sekundarstufe I. Hildesheim: Franzbecker<br />
2007.<br />
Kautschitsch, H.; Metzler, W. (Hrsg.): Anschauliches Beweisen. Wien: hpt 1989.<br />
Kerncurriculum <strong>für</strong> Realschulen (Niedersachsen):<br />
http://db2.nibis.de/1db/cuvo/datei/kc_rs_mathe_nib.pdf (Abruf 23.07.2008).<br />
Kirsch, A.: Aspekte des Vereinfachens im <strong>Mathematik</strong>unterricht. In: Didaktik der <strong>Mathematik</strong> 5 (1977),<br />
87-101.<br />
Kirsch, A.: Beispiele <strong>für</strong> prämathematische Beweise. In: Dörfler/Fischer 1979, 261-274.<br />
Kline, M.: Mathematics – The Loss of Certainty. New York: Oxford Uni. Pr. 1980.<br />
Kratz, J.: Beweisen im <strong>Geometrieunterricht</strong>, Teile 1 und 2. In: Didaktik der <strong>Mathematik</strong> 11 (1983), S.<br />
283-296 bzw. 12 (1984), S. 45-56. Zusammenfassung und Neuformulierung als Kapitel 6: „Das geometrische<br />
Beweisverfahren“ in Kratz 1993, S. 80-102.<br />
Kratz, J.: Zentrale Themen des <strong>Geometrieunterricht</strong>s aus didaktischer Sicht. München: bsv 1993.<br />
Kroll, W.: (Rezension von Kratz 1994). In: ZDM 94.3 (1994), S. 93-95.<br />
Kuhn, T.: Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen. Frankfurt: Suhrkamp 1962/1969/1999.<br />
Lakatos, I.: Beweise und Widerlegungen. Braunschweig/Wiesbaden: Vieweg 1979.
26<br />
H. Leutenbauer (Hrsg.): Das praktische Handbuch <strong>für</strong> den MU der 5—10. Jahrgangsstufe, Bd.2 Geometrie.<br />
Donauwörth: Auer (5. Aufl.:) 2003.<br />
Lergenmüller, A.; Schmidt, G. (Hrsg.): <strong>Mathematik</strong> – Neue Wege, Band 7. Hannover: Schroedel 2001.<br />
Lietzmann, W.: Stoff und Methode des Raumlehreunterrichts in Deutschland. Leipzig/Berlin: Teubner<br />
1912.<br />
Lietzmann, W.: Methodik des mathermatischen Unterrichts, Band 2. Leipzig: Quelle und Meyer 1916.<br />
Meyer, E.: Didaktische Studien – <strong>Mathematik</strong> in der Hauptschule, Band 1. Stuttgart: Klett 1969.<br />
Meyer, T.: Über die pädagogische Verwendung von Beweisen. Jena: Ratz 1873 (Diss.).<br />
Mittelstraß, J.: Wissenschaft als Lebensform. Frankfurt: Suhrkamp 1982.<br />
Mormann, T.: Argumentieren, Begründen, Verallgemeinern. Königstein: Scriptor 1981.<br />
Musgrave, A.: Alltagswissen, Wissenschaft und Skeptizismus. Tübingen: Mohr 1993.<br />
Reidt, F.; Wolff, G.; Athen, H.: Elemente der <strong>Mathematik</strong>, Band 2. Hannover: Schroedel 1965.<br />
Savigny, E. v.: Grundkurs im logischen Schließen. München: dtv 1976.<br />
Schneider, I.: Archimedes. Darmstadt: Wiss. Buchges. 1979.<br />
Semadini, Z.: The Concept of Premathematics as a Theoretical Background for Primary Mathematics<br />
Teaching. Warschau: Polnische Akad. der math. Wiss. 1974.<br />
Stein, M.: Kommentierte Bibliographie – Zum Beweisen im <strong>Mathematik</strong>unterricht. In: ZDM 13 (1981),<br />
63-75.<br />
Stein, M.: Beweisen – Eine Analyse des Beweisprozesses. Bad Salzdetfurth: Franzbecker 1985.<br />
Stein, M.: Didaktische Beweiskonzepte. In: ZDM 17 (1985), 120-133.<br />
Ullmann, P.: <strong>Mathematik</strong> – Moderne – Ideologie. Konstanz: UVK 2008.<br />
Waerden, B. L. van der: Erwachende Wissenschaft. Basel/Stuttgart: Birkhäuser 1966.<br />
Wagenschein, M.: Die Entdeckung der Axiomatik. In: MU 1984, Heft 1, und in M. Wagenschein: Verstehen<br />
lehren. Weinheim: Beltz 1975, 105-130.<br />
Walsch, W.: Zur Realisierung der Leitlinie „Beweisen“. In: MidSch 10 (1972), S. 90-105.<br />
Walsch, W.: Zum Beweisen im <strong>Mathematik</strong>unterricht. Berlin: Volk und Wissen (2. Aufl.:) 1975.<br />
Walser, H.: Geschlossene Korbbögen. In: Praxis der <strong>Mathematik</strong> (38), 1996, 169-172.<br />
Walser, H.: 99 Schnittpunkte. Leipzig: Eagle 2004.<br />
Winter, H.: Vorstellungen zur Entwicklung von Curricula <strong>für</strong> den <strong>Mathematik</strong>unterricht in der Gesamtschule.<br />
In: KM NRW (Hrsg.): Beiträge zum Lernzielproblem. Ratingen: Henn 1972, S. 67-95.<br />
Winter, H.: Zur Problematik des Beweisbedürfnisses. In: Journal <strong>für</strong> <strong>Mathematik</strong>-Didaktik 1983,<br />
Heft 1, S. 59-95.<br />
Wittmann, E. C.: Grundfragen des <strong>Mathematik</strong>unterrichts. Braunschweig/Wiesbaden: Vieweg (6.<br />
Aufl.:) 1981 (zit. nach dem Nachdruck von 1997).<br />
Wittmann, E. C., Müller, G.; Wann ist ein Beweis ein Beweis? In: P. Bender (Hrsg.): <strong>Mathematik</strong>didaktik<br />
– Theorie und Praxis – Festschrift <strong>für</strong> Heinrich Winter. Berlin: Cornelsen 1988, S. 237-<br />
257.<br />
http://www.didmath.ewf.uni-erlangen.de/Verschie/Wittmann1/beweis.htm<br />
Witzel, W.: Lehren des Beweisens im <strong>Mathematik</strong>unterricht. Freiburg: Hochschulverlag 1981.<br />
Witzel, W.: Eine Untersuchung zum Lehren des Beweisens im <strong>Mathematik</strong>unterricht. In: Unterrichtswissenschaft<br />
1981, 378-384.<br />
Wolff, G. (Hrsg.): Handbuch der Schulmathematik, Band 5. Hannover: Schroedel 1967.<br />
Wyss, A. u.a.: Lebendiges Denken durch Geometrie. Stuttgart/Bern: Freies Geistesleben 1978.<br />
Zahn, P.: Beweisen im <strong>Mathematik</strong>-Unterricht. Darmstadt: Wiss. Buchges. 1979.
http://www.lettredelapreuve.it/<br />
27