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8. Von der Zentralprojektion zur projektiven Geometrie.

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<strong>8.</strong> <strong>Von</strong> <strong>der</strong> <strong>Zentralprojektion</strong> <strong>zur</strong><br />

<strong>projektiven</strong> <strong>Geometrie</strong>.<br />

Neben <strong>der</strong> Euklidischen <strong>Geometrie</strong>, wie sie im Buch<br />

von Euklid nie<strong>der</strong>gelegt und wie wir sie im vorigen<br />

Abschnitt behandelt haben, gibt es noch weitere <strong>Geometrie</strong>n.<br />

In diesem Kapitel behandeln wir eine neue<br />

Raumlehre - die projektive <strong>Geometrie</strong>. Die Geschichte<br />

<strong>der</strong> <strong>projektiven</strong> <strong>Geometrie</strong> begann mit <strong>der</strong> Entdeckung<br />

<strong>der</strong> Perspektive in <strong>der</strong> Renaissance.<br />

Die Entdeckung <strong>der</strong> Perspektive.<br />

Die Grundprobleme <strong>der</strong> Renaissance Maler und Baumeister<br />

waren die folgenden:<br />

(1) Wie kann man auf einer Fläche die Illusion des<br />

Raumes herstellen.<br />

(2) Mit welchem Experiment kann man verifizieren,<br />

dass die korrekten Gesetze <strong>der</strong> Perspektive gefunden<br />

wurden.<br />

Klaus Johannson, <strong>Geometrie</strong> (L2)


72 . <strong>Geometrie</strong> (L2)<br />

Die Maler kamen auf diese Frage, weil sie bei ihren Erforschungen<br />

<strong>der</strong> römischen Ruinen entdeckten, dass die<br />

Römer offensichtlich die Perspektive kannten und sie<br />

nutzten, um Räumen durch perspektivische Wandgemälde<br />

die Illusion von Größe zu geben. Die Lösung<br />

<strong>der</strong> Probleme hat Brunelleschi (1377-1446) gegeben<br />

(<strong>der</strong> gleiche <strong>der</strong> auch die Kuppel des florentiner Domes<br />

gebaut hat). Für die zweite Frage benutzte er die folgende<br />

Versuchsanordnung:<br />

Gebaeude<br />

Guckloch<br />

halber Spiegel<br />

Rueckwand des Gemaeldes<br />

Gemaelde (umgedreht)<br />

Das Experiment von Brunelleschi<br />

Brunnelleschi stellte zunächst, nach <strong>der</strong> von ihm entdeckten<br />

Methode des perspektivischen Malens, ein Gemälde<br />

eines Gebäude her und bohrte ein kleines Loch<br />

in die Mitte. Wenn man durch dieses Guckloch schaut,<br />

Klaus Johannson, <strong>Geometrie</strong> (L2)


§8 Projektive <strong>Geometrie</strong> 73<br />

dann sieht man zwei Hälften: in <strong>der</strong> unteren Hälfte<br />

das gemalte Gebäude im Spiegel und in <strong>der</strong> oberen<br />

Hälfte das wirkliche Gebäude. Wenn nun die perspektivische<br />

Methode wirklich korrekt ist, dann müsste<br />

die Illusion entstehen, als wenn man das vollständige<br />

Haus sieht (obwohl ja eigentlich die untere Hälfte in<br />

Wirklichkeit durch den Spiegel verdeckt ist). Dies war<br />

Brunnellschi’s Experiment. Es wurde tatsächlich erfolgreich<br />

ausgeführt. Und zwar auf dem Vorplatz des<br />

Florenzer Doms. Das Gemälde stellte dabei das Baptisterium<br />

dar. Danach war die Perspektive anerkannt.<br />

Damit hatte man das Experiment für Frage 2. Aber<br />

wie lauten die Gesetze <strong>der</strong> Perspektive?<br />

Physiologie des Sehens.<br />

Der Grund <strong>der</strong> Perspektive liegt in <strong>der</strong> Physiologie des<br />

Auges. Stellen wir uns vor wir sehen entlang einer<br />

langen Allee mit den Randpunkten a, b, c, d. Die<br />

Sehstrahlen von diesen Punkten gehen durch die Pupille<br />

des Auges und durch einen Fokuspunkt in <strong>der</strong> Mitte<br />

des Auges und werden dann als Punkte a ′ , b ′ , c ′ , d ′ auf<br />

<strong>der</strong> Netzhaut des Auges erscheinen. Dort befinden sich<br />

die Rezeptoren mit denen wir das Bild physiologisch<br />

Klaus Johannson, <strong>Geometrie</strong> (L2)


74 . <strong>Geometrie</strong> (L2)<br />

wahrnehmen. Es erscheint also spiegelverkehrt, aber<br />

das wird im Gehirn korrigiert.<br />

a<br />

Allee<br />

c<br />

Auge<br />

d’<br />

b’<br />

a’<br />

c’<br />

b<br />

d<br />

Physiologie des Sehens<br />

Wichtig ist nun zu beobachten, dass in <strong>der</strong> Projektion<br />

das Puntepaar a ′ , b ′ viel dichter zusammenliegt<br />

als das Paar c ′ , d ′ . Wir sehen also ein Punktepaar<br />

als dichter und dichter zusammenliegend je weiter es<br />

vom Auge fortbewegt wird. Die Kanten <strong>der</strong> Allee erscheinen<br />

als zwei zueinan<strong>der</strong> zulaufende Geraden, die<br />

sich (wenn die Allee lang genug ist) in einem fernen<br />

Punkt zu treffen scheinen (da sie die Netzhaut nicht<br />

mehr unterscheiden kann).<br />

Das gleiche Bild auf <strong>der</strong> Netzhaut können wir uns (nun<br />

aber richtig herum) auf die Pupille projiziert vorstellen<br />

o<strong>der</strong> auf irgendeinen durchsichtigen Schirm vor dem<br />

Auge. Wir werden die Projektion <strong>der</strong> Alle auf diesen<br />

Klaus Johannson, <strong>Geometrie</strong> (L2)


§8 Projektive <strong>Geometrie</strong> 75<br />

Schirm nicht von <strong>der</strong> wirklichen Allee unterschieden<br />

können, da sie ja auf <strong>der</strong> Netzhaut dasselbe Bild wie<br />

die wirkliche Allee erzeugt. Das war es was Brunellesci<br />

mit seinem Experiment zeigen wollte.<br />

Es bleibt schließlich noch die Frage zu klären warum<br />

ein Punkt, wie z.B. a, nur einen einzigen Projektionspunkt,<br />

nämlich a ′ , hat. <strong>Von</strong> allen Lichstrahlen,<br />

die von a ausgehen, wählt das Auge offenbar den<br />

einen aus, <strong>der</strong> durch den Mittelpunkte (Fokuspunkt)<br />

des Auges geht. Dies wird nun durch die Linse in<br />

<strong>der</strong> Pupille bewerkstelligt. Die Krümmung <strong>der</strong> Linsenoberfläche<br />

bewirkt, dass das Bündel <strong>der</strong> Lichtstrahlen,<br />

die von a ausgehen, so gebrochen wird, dass sich<br />

danach alle Lichtstrahlen im Punkt a ′ treffen (<strong>der</strong><br />

Lichtstrahl, <strong>der</strong> durch den Fokuspunkt geht, ist <strong>der</strong><br />

einzige <strong>der</strong> nicht gebrocehn wird). Auf diese Weise erscheint<br />

es so, als wenn das Auge einen einzigen Lichtstrahl<br />

unter diesem Bündel auswählt.<br />

Klaus Johannson, <strong>Geometrie</strong> (L2)


76 . <strong>Geometrie</strong> (L2)<br />

Die Regeln des perspektivischen Zeichnens.<br />

Die Gesetze nach denen perspektivisch getreue Bil<strong>der</strong><br />

gemalt werden können wurden in <strong>der</strong> Rennaissance<br />

formuliert (sie wurden in <strong>der</strong> Rennaissance wie<strong>der</strong>entdeckt,<br />

denn man kennt aus dem antiken Rom auch<br />

schon perspektivische Wandmalereien). iEs war ein<br />

komplizierter Prozess. Sie wurden schließlich ebenfalls<br />

von Brunelleschi gefunden und stellten eine Revolution<br />

des Malens (und Sehens dar). Die Gesetze liefen auf<br />

die Verwendung folgen<strong>der</strong> Methode hinaus:<br />

Gitterschirm<br />

Auge<br />

Methode <strong>zur</strong> Konstruktion perspektivischer Gemälde<br />

Klaus Johannson, <strong>Geometrie</strong> (L2)


§8 Projektive <strong>Geometrie</strong> 77<br />

Die erste Entdeckung war die Entdeckung eines unendlich<br />

fernen Punktes. Auf ihn liefen im Gemälde alle<br />

parallelen Linien zu, die vom Betrachter wegführten.<br />

Als nächstes entdeckte man die unendlich ferne Gerade,<br />

d.h. den Horizont. Büschel von parallelen Linien<br />

in je<strong>der</strong> Richtung laufen auf einen unendlichen fernen<br />

Punkt zu und alle diese unendlich fernen Punkte<br />

ergeben eine unendlich ferne Gerade auf dem Schirm.<br />

Damit ist jetzt klar wie sich ein Schachbrett- muster<br />

auf dem Schirm darstellt.<br />

Methode <strong>zur</strong> Konstruktion perspektivischer Gemälde<br />

Beschreibung. Man muss die beiden Fluchtpunkte<br />

bestimmen, die durch zwei Büschel von Parallelen gebildet<br />

werden. Einmal die Parallelen des Schachbrettmusters,<br />

die vom Betrachter weglaufen und dann die<br />

Parallelen die durch die Diagonalen <strong>der</strong> Kacheln bestimmt<br />

werden. Danach kann man das Schachbrettmuster<br />

nach obiger Vorschrift auf den Schirm malen.<br />

Klaus Johannson, <strong>Geometrie</strong> (L2)


78 . <strong>Geometrie</strong> (L2)<br />

Mit diesen Regeln kann man nun alle möglichen Objekte<br />

darstellen und zwar ohne zu rechnen. Das ganze<br />

Verfahren wurde von Dürer in verschiedenen Holzstichen<br />

festgehalten. Bei Dürer sieht das alles natürlich<br />

viel schöner aus:<br />

Die perspektivische Methode nach Dürer<br />

o<strong>der</strong> so<br />

Klaus Johannson, <strong>Geometrie</strong> (L2)


§8 Projektive <strong>Geometrie</strong> 79<br />

Abwandlung desselben Verfahrens<br />

Klaus Johannson, <strong>Geometrie</strong> (L2)


80 . <strong>Geometrie</strong> (L2)<br />

Die <strong>Zentralprojektion</strong> in <strong>der</strong><br />

darstellenden <strong>Geometrie</strong>.<br />

Ziel <strong>der</strong> darstellenden <strong>Geometrie</strong> ist es einen räumlichen<br />

Körper so in <strong>der</strong> Ebene darzustellen, dass alle<br />

wesentlichen Geschtspunkte möglichst realistisch zum<br />

Ausdruck kommen. Hierzu benutzt man in <strong>der</strong> darstellenden<br />

<strong>Geometrie</strong> verschiedene Projektion: Aufriss,<br />

Seitenriss und <strong>Zentralprojektion</strong>. Die beiden ersten<br />

Projektionen sind einfach Parallelprojektionen auf<br />

Ebenen. Die Erstellung <strong>der</strong> <strong>Zentralprojektion</strong> ist am<br />

Aufwendigsten.<br />

Hier ist eine Beispiel für die <strong>Zentralprojektion</strong>:<br />

<strong>Zentralprojektion</strong> eines Werkstücks<br />

Klaus Johannson, <strong>Geometrie</strong> (L2)


§8 Projektive <strong>Geometrie</strong> 81<br />

Die Wahl <strong>der</strong> beiden Fluchtpunkte ist sehr wichtig.<br />

Hier ist man zwar ziemlich frei. Dennoch sehen die<br />

<strong>Zentralprojektion</strong>en bei manchen Fluchtpunkten besser<br />

aus als bei an<strong>der</strong>en.<br />

Perspektivische Verzerrungen.<br />

Wir führen unsere Betrachtung des Sehens noch etwas<br />

weiter. Als nächstes wenden wir uns <strong>der</strong> Pupille<br />

zu. Diese wirft ein ganz eigenes Problem auf. Die<br />

Pupille des menschliche Auges ist relative klein (im<br />

Gegensatz etwa <strong>zur</strong> Pupille von Fliegen). Dies ist auch<br />

gut so, denn so werden wir weniger mit Verzerrungen<br />

konfrontiert. Um dieses Verzerrungsproblem zu verstehen,<br />

stelle man sich einmal vor, die Pupille wäre<br />

viel grösser, etwa die Hälfte des gesamten Auges. Eine<br />

Hälfte des Auges besteht dann aus <strong>der</strong> Pupille und<br />

die an<strong>der</strong>e Hälfte aus dem Augenhintergrund. Nun<br />

beobachten wir mit unserem vergrösserten Auge einen<br />

auf und ab springenden Ball. Die <strong>Zentralprojektion</strong><br />

des Balles hinterlässt zwei Projektionen: eine Projektion<br />

auf <strong>der</strong> Pupille und eine an<strong>der</strong>e Projektion auf<br />

dem Sehschirm. Wir beobachten:<br />

(1) die Projektion des Balles auf die Pupille hinterlässt<br />

eine Schar von Kreisen, <strong>der</strong>en Grösse sich verän<strong>der</strong>n,<br />

Klaus Johannson, <strong>Geometrie</strong> (L2)


82 . <strong>Geometrie</strong> (L2)<br />

(2) die Projektion des Balles auf den Sehschirm hinterlässt<br />

eine Schar von Ellipsen, die sich verän<strong>der</strong>n.<br />

Auge<br />

Hintergrund<br />

Pupille<br />

Bild von Kugeln<br />

Das perspektivische Bild von Geraden ist dagegen weniger<br />

problematisch:<br />

Klaus Johannson, <strong>Geometrie</strong> (L2)


§8 Projektive <strong>Geometrie</strong> 83<br />

Auge<br />

k<br />

Hintergrund<br />

Pupille<br />

h<br />

g<br />

Bild von Geraden<br />

Das perspektivische Bild <strong>der</strong> Geraden g auf dem<br />

Sehschirm o<strong>der</strong> auf dem Auge ist Schnitt einer Ebene<br />

(nämlich <strong>der</strong> Ebene, die durch g und dem Mittelpunkt<br />

des Auges bestimmt wird) mit dem Sehschirm bzw.<br />

<strong>der</strong> Sehkugel. Es ist also eine Gerade auf dem Sehschirm<br />

und ein Grosskreis auf <strong>der</strong> Sehkugel. Wir haben<br />

also keine Verzerrungsprobleme, wenn wir uns auf<br />

Klaus Johannson, <strong>Geometrie</strong> (L2)


84 . <strong>Geometrie</strong> (L2)<br />

die Betrachtung von Punkten und Geraden beschränken.<br />

Fur an<strong>der</strong>e geometrische Figuren kann es aber Verzerrungen<br />

geben. Diese müsste man dann korrigieren,<br />

denn die perspektivischen Bil<strong>der</strong> stellen ja immer das<br />

gleiche Objekt dar. In dem Besipiel des springenden<br />

Ball stellen z.B. alle Bildellipsen das gleiche Objekt<br />

dar (nämlich den Ball) und müssten also gleich sein.<br />

Dann müssten aber Ellipsen und Kreise gleich sein.<br />

Das bedeutet aber, dass man in einer <strong>projektiven</strong> <strong>Geometrie</strong><br />

nicht zwischen verschiedene Kegelschnitte unterscheiden<br />

kann. Daraus folgt aber, dass wir in einer<br />

<strong>projektiven</strong> <strong>Geometrie</strong> nicht Euklidisch messen dürfen.<br />

Wir werden also zunächst weiterhin auf ein Messen<br />

verzichten müssen. Dies ist kein Nachteil son<strong>der</strong>n wird<br />

sich zunächst als ein Vorteil <strong>der</strong> <strong>projektiven</strong> <strong>Geometrie</strong><br />

herausstellen.<br />

Bemerkung. Um die Verzerrungsprobleme wirklich<br />

in den Griff zu bekommen, müssten wir jetzt genaugenommen<br />

eine Äquivalenzrelation einführen unter denen<br />

alle verzerrten Figuren wie<strong>der</strong> gleich werden. Dies<br />

wird durch die sog. <strong>projektiven</strong> Transformationen bewerkstelligt.<br />

Wir werden aber im folgenden wie bisher<br />

nur Punkte und Geraden und keine kreisförmigen Figuren<br />

betrachten. Dies ist eine vereinfachte <strong>Geometrie</strong><br />

Klaus Johannson, <strong>Geometrie</strong> (L2)


§8 Projektive <strong>Geometrie</strong> 85<br />

in <strong>der</strong> die in diesem Abschnitt betrachteten Verzerrungsprobleme<br />

nicht auftreten. Deswegen werden wir<br />

sie auch nicht weiter behandeln.<br />

Die Projektive Ebene.<br />

Wir gehen in unserer Betrachtung des Sehens nun noch<br />

einen Schritt weiter. Diesmal stellen wir uns vor, dass<br />

unser Auge vollkommen ist, d.h. sein Sehfeld 360 0<br />

beträgt. Wir haben also den Extremfall vor uns in<br />

dem das gesamte Auge Pupille ist (und gleichzeitig<br />

Augenhintergrund).<br />

Die von den Punkten ausgehenden Sehstrahlen treffen<br />

die Pupille zweimal - einmal beim Eintreten in<br />

das Auge und einmal beim Austreten aus dem Auge.<br />

Da je<strong>der</strong> Sehstrahl durch den Augenmittelpunkt geht,<br />

liegen sich Eintrittspunkt und Austrittspunkt diametral<br />

gegenüber. Das Auge sieht jeden Gegenstand<br />

zweimal. Die beiden perspektivischen Bil<strong>der</strong> des Gegenstandes<br />

auf dem Auge unterscheiden sich durch<br />

eine Diametralpunktvertauschung <strong>der</strong> Sphäre des Auges.<br />

Aus diesem Grund identifiziert man in <strong>der</strong> Mathematik<br />

die gegenüberliegenden Punkte <strong>der</strong> Sphäre.<br />

Klaus Johannson, <strong>Geometrie</strong> (L2)


86 . <strong>Geometrie</strong> (L2)<br />

Definition. Die projektive Ebene entsteht aus <strong>der</strong><br />

Sphäre durch Identifizierung diametral gegenüberliegen<strong>der</strong><br />

Punkte.<br />

Die projektive Ebene liegt nicht mehr im dreidimensionalen<br />

Raum und lässt sich auch dort nicht einbetten.<br />

Dennoch kann man sich eine ganz gute Vorstellung<br />

verschaffen wie eine projektive Ebene aussieht<br />

und wie es ist etwa in einer <strong>projektiven</strong> Ebene zu leben.<br />

Gegenüberliegende Punkte <strong>der</strong> Ausgangssphäre sind<br />

gleich (d.h. sie werden identifiziert unter <strong>der</strong> Diametralpunktabbildung).<br />

Wir können also genausogut alle<br />

Punkte <strong>der</strong> oberen Halbsphäre vergessen, denn allen<br />

Punkte <strong>der</strong> oberen Halbsphäre entsprechen ja gleichen<br />

Punkten <strong>der</strong> unteren Halbsphäre. Die projektive Ebene<br />

erhalten wir nun aus <strong>der</strong> unteren Halbkugel indem<br />

wir die gegenüberliegenden Punkte des Äquators (=<br />

Rand <strong>der</strong> unteren Halbkugel) allein identifizieren.<br />

Man betrachte nun die folgende Zerlegung <strong>der</strong> unteren<br />

Halbsphäre.<br />

Klaus Johannson, <strong>Geometrie</strong> (L2)


§8 Projektive <strong>Geometrie</strong> 87<br />

Die Zerlegung <strong>der</strong> <strong>projektiven</strong> Ebene in Scheibe und Möbiusband<br />

Wir haben haben zwei Zweiecke und ein Viereck. Diese<br />

drei Stücke werden wie folgt identifiziert. Die beiden<br />

Zweiecke werden entlang ihrer Kanten im Äquator<br />

identifiziert. Dadurch einsteht eine einzige Scheibe<br />

(ohne Ecken). Die beiden Kanten des Vierecks, die<br />

im Äquator liegen, werden diametral identifiziert. Es<br />

entsteht das Möbiusband.<br />

Klaus Johannson, <strong>Geometrie</strong> (L2)


88 . <strong>Geometrie</strong> (L2)<br />

Kreisring Identifikation von Antipoden Möbiusband<br />

Damit ist gezeigt, dass die projektive Ebene die Vereinigung<br />

des M¨biusbandes mit einer Scheibe ist. Insbeson<strong>der</strong>e<br />

ist also die projektive Ebene von <strong>der</strong> Sphäre<br />

verschieden, denn die 2-Sphäre enthält kein Möbiusband.<br />

Wegen <strong>der</strong> ungewöhnlichen Gestalt <strong>der</strong> projektive<br />

Ebenen, ist sie oft schwer zu handhaben. Deswegen behilft<br />

man sich oft mit den affinen Ebenen, die leichter<br />

zu handhaben sind. Die affinen Ebenen behandeln<br />

wir nachdem wir die projektive Geomtrie eingeführt<br />

haben.<br />

Konkrete Projektive <strong>Geometrie</strong>.<br />

Die bisherigen Überlegungen führen <strong>zur</strong> sogenannten<br />

konkreten <strong>projektiven</strong> <strong>Geometrie</strong>.<br />

Klaus Johannson, <strong>Geometrie</strong> (L2)


§8 Projektive <strong>Geometrie</strong> 89<br />

Aus <strong>der</strong> <strong>projektiven</strong> Ebene wird eine projektive <strong>Geometrie</strong><br />

indem man noch definiert was die geometrischen<br />

Objekte in <strong>der</strong> <strong>projektiven</strong> Ebene sind mit denen<br />

sich die <strong>Geometrie</strong> beschäftigen soll. Also<br />

Konkrete projektive <strong>Geometrie</strong> = projektive Ebene +<br />

geometrische Objekte<br />

Hier wären im Prinzip viele geometrische Figuren<br />

denkbar. Beson<strong>der</strong>s interessant wären z.B. Kegelschnitte<br />

und <strong>der</strong>gleichen. Wir werden aber hier <strong>der</strong><br />

Einfachheit halber nur ”Punkte” und ”Geraden” betrachten<br />

(und damit auch den vorher angesprochenen<br />

Verzerrungsproblemen<br />

entgehen).<br />

Gegeben die Begriffe ”Gerade” und ”Ebene” aus <strong>der</strong><br />

Euklidischen <strong>Geometrie</strong> des Raumes, können wir<br />

”Punkte” und ”Geraden” <strong>der</strong> <strong>projektiven</strong> <strong>Geometrie</strong><br />

wie folgt definieren.<br />

Definition. Die konkrete projektive <strong>Geometrie</strong><br />

ist gegeben durch<br />

(1) die konkrete projektive Ebene, d.h. durch<br />

eine Sphäre K im dreidimensionalen Raum mit anschliessen<strong>der</strong><br />

Diametralpunkt Identifizierung.<br />

Klaus Johannson, <strong>Geometrie</strong> (L2)


90 . <strong>Geometrie</strong> (L2)<br />

(2) die Punkte in <strong>der</strong> <strong>projektiven</strong> Ebene, d.h. die<br />

Schnitt(punkte) <strong>der</strong> Sphäre K mit solchen Geraden<br />

im Raum, die durch den Mittelpunkt von K gehen,<br />

mit anschliessen<strong>der</strong> Diametralpunkt Identifizierung.<br />

(3) die Geraden in <strong>der</strong> <strong>projektiven</strong> Ebene, d.h. den<br />

Schnitten <strong>der</strong> Sphäre K mit solchen Ebenen im<br />

Raum, die durch den Mittelpunkt von K gehen, mit<br />

anschliessen<strong>der</strong> Diametralpunkt Identifizierung.<br />

Satz. Je zwei Geraden in <strong>der</strong> <strong>projektiven</strong> <strong>Geometrie</strong><br />

schneiden sich in genau einem Punkt.<br />

Beweis. Je zwei Grosskreise in <strong>der</strong> Sphäre schneiden<br />

sich in genau zwei Punkten, die sich darüberhinaus<br />

diametral gegenüber liegen. ♦<br />

Bemerkung. Damit gilt das Parallelenaxiom in <strong>der</strong><br />

projektive <strong>Geometrie</strong> nicht. Die projektive <strong>Geometrie</strong><br />

ist also eine Art nicht-Euklidischer <strong>Geometrie</strong>. Wir<br />

werden aber auch in dieser <strong>Geometrie</strong>, zunächst we<strong>der</strong><br />

Längen noch Winkel messen.<br />

Klaus Johannson, <strong>Geometrie</strong> (L2)


Affine Ebenen.<br />

§8 Projektive <strong>Geometrie</strong> 91<br />

In <strong>der</strong> <strong>projektiven</strong> Ebene selbst lässt sich nicht gut<br />

arbeiten, aber man kann sich gut mit affinen Ebenen<br />

behelfen. Eine affine Ebene ist eine gewöhnliche Euklidische<br />

Ebene (also wie<strong>der</strong> ohne Koordinatensystem<br />

o<strong>der</strong> Ursprungspunkt). Aus <strong>der</strong> affinen Ebene entsteht<br />

die projektive Ebene indem man noch alle idealen<br />

Punkt (o<strong>der</strong>: alle unendlich fernen Punkte) dazunimmt.<br />

Wenn man diesen Punkt beachtet dann kann<br />

man ganz gut projektive <strong>Geometrie</strong> in <strong>der</strong> affinen Ebene<br />

betreiben. Man beachte, aber, dass sich je zwei Geraden<br />

schneiden - entwe<strong>der</strong> in einem Punkt <strong>der</strong> affinen<br />

Ebene selbst o<strong>der</strong> in einem idealen Punkt <strong>der</strong> affinen<br />

Ebene. Damit gibt es keine Parallelen im Euklidischen<br />

Sinne. Es ist aber üblich Geraden die sich in<br />

idealen Punkten schneiden als ”Parallelen” zu bezeichnen.<br />

Dies kann anfangs recht verwirrend sein.<br />

Eine affine Ebene ist eine Wahl einer Ebene im dreidimensionalen<br />

Raum, die den Mittelpunkt <strong>der</strong> Sphäre K<br />

nicht enthält. Je nach Wahl dieser Ebenen können die<br />

Schnittverhältnisse<br />

von Geraden an<strong>der</strong>s aussehen. Das nächste<br />

Bild zeigt zwei affine Ebenen (schattierte Ebenen).<br />

Klaus Johannson, <strong>Geometrie</strong> (L2)


92 . <strong>Geometrie</strong> (L2)<br />

Parallele Geraden = Nicht-parallele Geraden<br />

Weiter sieht man ein Paar von Ebenen. Der Schnitt<br />

dieses Paares mit <strong>der</strong> Sphäre K repräsentiert ein<br />

Paar von Geraden in <strong>der</strong> konkreten <strong>projektiven</strong> <strong>Geometrie</strong><br />

<strong>der</strong> <strong>projektiven</strong> Ebene (also zwei Grosskreise).<br />

Diese schneiden sich in <strong>der</strong> <strong>projektiven</strong> Ebene in genau<br />

einem Punkt. In <strong>der</strong> affinen Ebene des linken Bildes<br />

schneiden sich diese beiden Geraden nicht (sie schneiden<br />

sich in einem idealen Punkt). Dagegen schneiden<br />

sich dieselben Geraden in <strong>der</strong> affinen Ebene des rechten<br />

Bildes. Durch geeignete Wahl <strong>der</strong> affinen Ebene kann<br />

man also einen Schnittpunkt sichtbar machen o<strong>der</strong> im<br />

Unendlichen verbergen.<br />

Der Satz von Desargue.<br />

Klaus Johannson, <strong>Geometrie</strong> (L2)


§8 Projektive <strong>Geometrie</strong> 93<br />

Mit <strong>der</strong> <strong>projektiven</strong> <strong>Geometrie</strong> hat man nun eine neue,<br />

von <strong>der</strong> Euklidischen <strong>Geometrie</strong> verschiedenen <strong>Geometrie</strong>.<br />

Sie ist aus <strong>der</strong> Perspektive <strong>der</strong> Rennaissance<br />

Maler entstanden. Aber es ist bis jetzt noch nicht ganz<br />

klar geworden, was mit einer <strong>projektiven</strong> <strong>Geometrie</strong><br />

wirklich mathematisch erreicht wird.<br />

Die projektive <strong>Geometrie</strong> hat aber eine wichtige Eigenschaft<br />

die die Euklidische <strong>Geometrie</strong> nicht hat, sie erfüllt<br />

nämlich ein Dualitätsprinzip. Mit diesem Dualitätsprinzip<br />

lassen sich viele schwierige Sätze <strong>der</strong> Euklidischen<br />

<strong>Geometrie</strong> relativ leicht beweisen.<br />

Aus Zeitgründen können wir die Methode lei<strong>der</strong> nur<br />

an einem Beispiel illustrieren. Wir wählen hierzu den<br />

Satz von Desargue. Der Satz von Desargue kommt in<br />

verschiedenen Varianten daher. Hier sind drei dieser<br />

Varianten.<br />

Der Satz von Desargue in <strong>der</strong> affinen Ebene<br />

Klaus Johannson, <strong>Geometrie</strong> (L2)


94 . <strong>Geometrie</strong> (L2)<br />

Satz von Desargue. Sind in den obigen beiden Figuren<br />

die einmal und zweimal gestrichenen Strecken<br />

parallel, so auch die dreimal gestrichenen Strecken.<br />

Desargue’sche Eigenschaft. Seien ∆ = ∆(p, q, r)<br />

und ∆ ′ = ∆(p ′ , q ′ , r ′ ) zwei Dreiecke (d.h. zwei Tripel<br />

von nicht colinearen Punkten) von P so dass die<br />

Geraden pp ′ , qq ′ , rr ′ alle durch deselben Punkt gehen.<br />

Dann liegen die Schnittpunkte pq ∩ p ′ q ′ , pr ∩ p ′ r ′ , qr ∩<br />

q ′ r ′ alle auf einer Geraden.<br />

s<br />

q’<br />

p’<br />

r’<br />

r<br />

p<br />

q<br />

Die Desargue’sche Eigenschaft<br />

Klaus Johannson, <strong>Geometrie</strong> (L2)


§8 Projektive <strong>Geometrie</strong> 95<br />

Die Desargue’sche Eigenschaft ist auch nur eine Form<br />

des Desargueschen Satzes. Um dies zu sehen muss man<br />

einige <strong>der</strong> obigen Punkte zu unendlich fernen Punkten<br />

erklären.<br />

Um den Satz von Desargue zu beweisen führen wir die<br />

abstrakte projektive <strong>Geometrie</strong> ein. Es stellt sich dann<br />

heraus, dass die abstrakten ihrerseits viele neue intersaante<br />

Eigenschaften haben, die wir hier aber lei<strong>der</strong><br />

nicht verfolgen können.<br />

Abstrakte Projektive <strong>Geometrie</strong>.<br />

In <strong>der</strong> abstrakten <strong>projektiven</strong> <strong>Geometrie</strong> ist die projektive<br />

<strong>Geometrie</strong> nicht mehr konkret gegeben. Das<br />

Entscheidende in <strong>der</strong> konkreten <strong>projektiven</strong> <strong>Geometrie</strong><br />

waren ja nicht die Massverhältnisse (die es nicht<br />

gibt) son<strong>der</strong>n die Schnittverhältnisse von Geraden wie<br />

sie z.B. im Satz von Desargue diskutiert. Genauer<br />

ausgedrückt sind es allein die Inzidenzverhältnisse von<br />

Punkten und Geraden die die projektive <strong>Geometrie</strong><br />

ausmachen.<br />

Eine abstrakte projektive <strong>Geometrie</strong> ist deshalb axiomatisch<br />

durch die Inzidenzverhältnisse allein definiert.<br />

Dies führt zu folgen<strong>der</strong> formalen Definition.<br />

Klaus Johannson, <strong>Geometrie</strong> (L2)


96 . <strong>Geometrie</strong> (L2)<br />

Eine kombinatorische Ebene ist ein Tripel P =<br />

(V, L, I) von Mengen V, L, I mit V ∩ L = ∅ und<br />

V ∪ L ≠ ∅ und I ⊂ V × L. Hier heißt<br />

V = die Menge <strong>der</strong> Punkte (= vertices),<br />

L = die Menge <strong>der</strong> Geraden (= lines) und<br />

I = die Inzidenztafel<br />

<strong>der</strong> kombinatorischen Ebene P.<br />

Bezeichnungen. Man sagt p ∈ V und l ∈ L<br />

sind inzident, genau dann wenn (p, l) ∈ I. Man<br />

sagt auch einfach p liegt auf l. Punkte einer<br />

kombinatorischen Ebene heißen colinear, wenn sie auf<br />

einer gemeinsamen Linie liegen. Ein Vierpunkt ist<br />

ein Quadrupel (p, q, r, s) von Punkten aus V mit<br />

<strong>der</strong> Eigenschaft dass kein Tripel dieser Punkte colinear<br />

ist.<br />

Definition. Eine abstrakte projektive Ebene ist<br />

eine kombinatorische Ebene P = (V, L, I) so dass<br />

(1) Je zwei Punkte von V sind inzident zu genau<br />

einer Gerade von ̷L,<br />

(2) Je zwei Geraden von L sind inzident zu genau<br />

Klaus Johannson, <strong>Geometrie</strong> (L2)


§8 Projektive <strong>Geometrie</strong> 97<br />

einem Punkt von V ,<br />

(3) Es gibt einen Vierpunkt.<br />

Bemerkung. Abstrakte projektive Ebenen können<br />

endlich o<strong>der</strong> unendlich sein. Die konkrete projektive<br />

<strong>Geometrie</strong> ist ein Beispiel für eine unendliche abstrakte<br />

projektive Ebene. Später werden wir ein Beispiel für<br />

eine endliche abstrakte Ebene sehen.<br />

Bemerkung. Entscheidend ist hier, dass es nicht<br />

länger darauf ankommt was ”Punkte” und ”Geraden”<br />

konkret sind, son<strong>der</strong>n nur darauf was ihre Inzidenzverhältnisse<br />

sind. Bei <strong>projektiven</strong> Ebenen kann man<br />

eigentlich zwischen Punkten und Geraden nicht mehr<br />

wirklich unterscheiden. Wir sagen eine Ebene ist<br />

selbst-dual, wenn jede Aussage über die Ebene richtig<br />

bleibt, wenn man in ihr ”Punkt” durch ”Gerade”<br />

und ”Gerade” durch ”Punkt” ersetzt. Die Axiome (1)<br />

und (2) <strong>der</strong> <strong>projektiven</strong> Ebene sind Beispiele für duale<br />

Aussagen. Alle <strong>projektiven</strong> Ebenen sind selbst-dual.<br />

Satz. (Das Dualitätsprinzip <strong>der</strong> <strong>projektiven</strong><br />

<strong>Geometrie</strong>) Jede Aussage <strong>der</strong> <strong>projektiven</strong> <strong>Geometrie</strong><br />

bleibt wahr, wenn man ihr die Worte ”Punkte” und<br />

Klaus Johannson, <strong>Geometrie</strong> (L2)


98 . <strong>Geometrie</strong> (L2)<br />

”Gerade” jeweils durch die Worte ”Gerade” und<br />

”Punkte” ersetzt.<br />

Beweis des Dualitätsprinzips. Wenn man in den<br />

Axiomen <strong>der</strong> abstrakten <strong>projektiven</strong> <strong>Geometrie</strong> die<br />

Worte ”Punkte” und ”Gerade” austauscht erhält man<br />

dieselben Axiome und somit dieselbe Geomtrie. Die<br />

Sätze in <strong>der</strong> einen <strong>Geometrie</strong> müssen also auch in <strong>der</strong><br />

dualen <strong>Geometrie</strong> gelten (weil sie gleich ist). ♦<br />

Mit dem Dualitätsprinzip hat man ein sehr wirksames<br />

Instrument in <strong>der</strong> Hand. Für jede einmal bewiesene<br />

Aussage in <strong>der</strong> <strong>projektiven</strong> <strong>Geometrie</strong> erhält man ja<br />

sofort die duale Aussage für umsonst dazu, ohne diese<br />

extra beweisen zu müssen (”buy one, get one free”).<br />

Hierfür findet man viele Beispiele in Lehrbüchern <strong>zur</strong><br />

<strong>projektiven</strong> <strong>Geometrie</strong>. Aus Zeitgründen illustrieren<br />

wir das Prinzip nur an einem Besipiel, nämlich dem<br />

Beweis des Satzes von Desargue.<br />

Beweis des Satzes von Desargue mit Hilfe des<br />

Dualitätsprinzips.<br />

Wir werden sehen, dass <strong>der</strong> Satz von Desargue lediglich<br />

eine Folge des Dualitätsprinzips ist.<br />

Klaus Johannson, <strong>Geometrie</strong> (L2)


§8 Projektive <strong>Geometrie</strong> 99<br />

Um dies zu sehen, muss man sich nur klar machen, dass<br />

<strong>der</strong> Satz von Desargue genaugenommen aus zwei Aussagen<br />

besteht, beide über ein gewisses Paar ∆ABC<br />

und ∆A ′ B ′ C ′ von Dreiecken, nämlich<br />

1. Aussage: Die drei Geradenpaare, die durch sich<br />

entsprechende Seiten <strong>der</strong> Dreiecke gehen, treffen sich<br />

in drei Punkten, die alle auf einer Geraden liegen.<br />

2. Aussage. Die drei Punktepaare, von sich entsprechenden<br />

Eckpunkten <strong>der</strong> Dreiecke, liegen auf drei Geraden,<br />

die sich in einem Punkt treffen.<br />

Wenn wir dies in <strong>der</strong> abstrakten Axiomatik ausdrüken,<br />

dann liest sich das wie folgt.<br />

1. Aussage. Seine g 1 , g 2 , g 3 ∈ G und g 1, ′ g 2, ′ g 3 ′ ∈ G<br />

die sich entsprechenden Geraden. Seien p 1 , p 2 , p 3 ∈ P<br />

die Punkte mit (p i , g i ) ∈ I,(p i , g i ′ ) ∈ I, i = 1,2,3.<br />

Es gebe eine Gerade h ∈ G mit (p i , h) ∈ I.<br />

2. Aussage. Seien p 1 , p 2 , p 3 ∈ P und p ′ 1, p ′ 2, p ′ 3 ∈ G<br />

die sich entsprechenden Eckpunkte. Seien g 1 , g 2 g 3 ∈<br />

G die Geraden mit (p i , g i ) ∈ I, (p ′ i , g i) ∈ I. Es gebe<br />

einen Punkt q ∈ P mit (q, g i ) ∈ I.<br />

Klaus Johannson, <strong>Geometrie</strong> (L2)


100 . <strong>Geometrie</strong> (L2)<br />

Wir sehen, dass beide Aussagen ineinan<strong>der</strong> übergehen,<br />

wenn wir die Wörter ”Punkte” und ”Geraden” austauschen.<br />

Nach dem Dualitätsprinzip gilt dann eine<br />

<strong>der</strong> beiden Aussagen genau dann wenn die an<strong>der</strong>e<br />

Aussage gilt.<br />

Dies beweist den Satz von Desargue. ♦<br />

Endliche Projektive Ebenen.<br />

Abstrakte projektive Ebenen können auch nur aus<br />

endlich vielen Punkten bestehen. Solche endlichen<br />

<strong>projektiven</strong> <strong>Geometrie</strong>n sind vollständig durch ihre Inzidenztafeln<br />

gegeben.<br />

Beispiel. Die folgende Tafel ist die Inzidenzmatrix<br />

einer endlichen, <strong>projektiven</strong> Ebene mit 13 Punkten und<br />

13 Geraden. Ein schwarzes Feld in Position (i, j)<br />

bedeutet, dass <strong>der</strong> Punkt in <strong>der</strong> j-ten Spalte und die<br />

Gerade in <strong>der</strong> i-ten Zeile inzident sind:<br />

Klaus Johannson, <strong>Geometrie</strong> (L2)


§8 Projektive <strong>Geometrie</strong> 101<br />

Eine endliche projektive Ebene<br />

Um zu zeigen, dass diese Tafeln projektive Ebenen<br />

sind, muss man die drei Eigenschaften von <strong>projektiven</strong><br />

Ebenen nachprüfen:<br />

(0) Es gibt mindestens einen Vierpunkt. Um dies zu<br />

verifizieren, muss man 4 Vertikale angeben mit <strong>der</strong><br />

Eigenschaft, dass jede Horizontale mindestens zwei <strong>der</strong><br />

Vertikalen in weissen Fel<strong>der</strong>n schneidet.<br />

Im linken Bild sieht man, dass die vier Vertikalen 1,<br />

5,6,7 diese Eigenschaft haben.<br />

(1) Je zwei Geraden enthalten genau einen Punkt. Um<br />

dies zu verifizieren muss man nachprüfen:<br />

für je zwei Horizontale gibt es genau eine Vertikale,<br />

die die Horizontalen in schwarzen Fel<strong>der</strong>n trifft. Im<br />

mittleren Bild ist dies nur die Vertikale 13, die die<br />

Horiizontalen 5 und 12 in dieser Weise trifft.<br />

Klaus Johannson, <strong>Geometrie</strong> (L2)


102 . <strong>Geometrie</strong> (L2)<br />

(2) Je zwei Punkte liegen auf genau einer Geraden.<br />

Um dies zu verifizieren muss man nachprüfen:<br />

für je zwei Vertikale gibt es genau eine Horizontale, die<br />

die Vertikalen in schwarzen Fel<strong>der</strong>n trifft. Im rechten<br />

Bild ist dies nur die Horizontale 4, die die Vertikalen<br />

4 und 8 in dieser Weise trifft.<br />

Bemerkung. Man kann sich die Arbeit durch die<br />

Beobachtung vereinfachen, dass die Tafel spiegelsymmetrisch<br />

entlang <strong>der</strong> Diagonale ist. Dies muß aber für<br />

eine projektive Ebene nicht notwendigerweise gelten.<br />

Damit ist gezeigt, dass die obige Tabelle eine projektive<br />

Ebene ist. ♦<br />

Bemerkung. Man beachte, dass jede Zeile und jede<br />

Spalte <strong>der</strong> Tabelle die gleiche Zahl von schwarzen Fel<strong>der</strong>n<br />

enthält, nämlich im obigen Beispiel 4. Es ist<br />

eine <strong>der</strong> bemerkenswerten Eigenschaften <strong>der</strong> <strong>projektiven</strong><br />

Ebenen, dass dies für projektive Ebenen immer<br />

<strong>der</strong> Fall ist.<br />

Bemerkung. Im Prinzip kann man endliche projektive<br />

Ebenen durch Probieren finden und man kann sich<br />

Klaus Johannson, <strong>Geometrie</strong> (L2)


§8 Projektive <strong>Geometrie</strong> 103<br />

leicht vorstellen, dass die kleineren <strong>projektiven</strong> Ebenen<br />

alle bekannt sind. Mit steigen<strong>der</strong> Zahl von Punkten<br />

und Geraden wird es allerdings immer schwerer alle<br />

Bedingungen von <strong>projektiven</strong> Ebenenen zu testen, so<br />

dass man - selbst unter Verwendung von Computern -<br />

schnell an Grenzen stößt. Viele <strong>der</strong> endlichen <strong>projektiven</strong><br />

Ebenen haben aber interessante Eigenschaften<br />

o<strong>der</strong> wichtige Beziehungen zu an<strong>der</strong>en Gebieten <strong>der</strong><br />

Mathematik, wie z.B. <strong>zur</strong> Algebra o<strong>der</strong> Gruppentheorie.<br />

Deshalb würde man sie gerne besser kennen. Lei<strong>der</strong><br />

können wir hierauf nicht weiter eingehen. Es ist<br />

aber bis heute imer noch eine beson<strong>der</strong>e mathematische<br />

Herausfor<strong>der</strong>ung, interessante endliche projektive<br />

Ebenen zu konstruieren.<br />

Literatur:<br />

David Hilbert, Grundlagen <strong>der</strong> <strong>Geometrie</strong><br />

Felix Klein, Vorlesungen über nicht-Euklidischen <strong>Geometrie</strong><br />

Fre<strong>der</strong>ick Stevenson, Projective planes<br />

Klaus Johannson, <strong>Geometrie</strong> (L2)

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