Marlys Blaser Csontos – Handlungsfähigkeit in der Ergotherapie ...
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<strong>Marlys</strong> <strong>Blaser</strong> <strong>Csontos</strong> <strong>–</strong> <strong>Handlungsfähigkeit</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Ergotherapie</strong><br />
Ergotherapeutische Vorgehensweisen unter handlungspsychologischer Perspektive.<br />
Berl<strong>in</strong> Heidelberg 2004, 185 Seiten. Preis: 57.-- CHF.<br />
Aus <strong>der</strong> Buchreihe »<strong>Ergotherapie</strong> <strong>–</strong> Reflexion und Analyse».<br />
ISBN 3-540-42320-6<br />
<strong>Marlys</strong> <strong>Blaser</strong> <strong>Csontos</strong> arbeitet seit über 15 Jahren an <strong>der</strong> Fundierung ergotherapeutischer<br />
Vorgehensweisen unter handlungspsychologischen Perspektiven. Hierbei steht für sie die Frage nach<br />
<strong>der</strong> Unterstützung <strong>der</strong> »<strong>Handlungsfähigkeit</strong>« durch <strong>Ergotherapie</strong> im Mittelpunkt. Dies ist <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er<br />
Breite und Tiefe im deutschsprachigen Berufsraum e<strong>in</strong> bisher e<strong>in</strong>zigartiges Projekt. <strong>Marlys</strong> <strong>Blaser</strong> baut<br />
auf dem handlungstheoretischen Modell nach Prof. Mario von Cranach auf und zeigt <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung<br />
mit psychoanalytischen Gesichtspunkten <strong>der</strong> Persönlichkeitsentwicklung und Persönlichkeitsstruktur<br />
wie <strong>Handlungsfähigkeit</strong> ergotherapeutisch erfasst, analysiert und kontrolliert unterstützt werden kann.<br />
Zu Beg<strong>in</strong>n des Buches fasst <strong>Marlys</strong> <strong>Blaser</strong> die komplexen Grundlagen handlungstheoretischer<br />
Modelle zusammen und schafft damit die Grundlage für e<strong>in</strong>e qualitative und effiziente<br />
Handlungsanalyse, Befun<strong>der</strong>hebung und Behandlung <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Ergotherapie</strong> Psychiatrie.<br />
Im Zentrum <strong>der</strong> handlungstheoretischen Modelle steht <strong>der</strong> Begriff "Handlung". Von Cranach versteht<br />
Handlung als E<strong>in</strong>heit des Handelns, die sowohl zielgerichtet, bewusst, geplant und beabsichtigt als<br />
auch sozial gesteuert und sozial kontrolliert ist. Sozial gesteuert und kontrolliert wird die Handlung<br />
durch Normen und Werte, die e<strong>in</strong>e soziale Bezugsgruppe aufstellt.<br />
Im vorgestellten Buch <strong>–</strong> wie <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Ergotherapie</strong> im Allgeme<strong>in</strong>en <strong>–</strong> geht es demnach um konkrete<br />
Handlungen, die mehr o<strong>der</strong> weniger bewusst und mehr o<strong>der</strong> weniger rout<strong>in</strong>iert, aber <strong>in</strong> jedem Fall<br />
kognitiv und emotional gesteuert und von außen beobachtbar ausgeführt werden. Diese konkreten<br />
Handlungen s<strong>in</strong>d zugleich kognitiv repräsentiert.<br />
Von Cranach nennt diese Kognitionsprozesse „Informationsverarbeitungsprozesse“ (IVP). Dies s<strong>in</strong>d<br />
kognitive Vorgänge vor, während und nach e<strong>in</strong>er Handlung, welche die e<strong>in</strong>zelnen Elemente <strong>der</strong><br />
sequenziellen Struktur e<strong>in</strong>er Handlung bilden. Die IVP bilden den Kern <strong>der</strong> Erfassungs<strong>in</strong>strumente von<br />
M. <strong>Blaser</strong> (Basisbogen zur Erfassung <strong>der</strong> <strong>Handlungsfähigkeit</strong>, Bogen zur Erfassung <strong>der</strong><br />
<strong>Handlungsfähigkeit</strong> im sozialen Kontext, Erfassungsbogen für schizophrene PatientInnen). Da die IVP<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> Erfassung <strong>der</strong> <strong>Handlungsfähigkeit</strong> diesen zentralen Stellenwert e<strong>in</strong>nehmen, wird ihnen im Buch<br />
sowie <strong>in</strong> den Fortbildungen viel Raum zur Verfügung gestellt und sie werden anhand von Beispielen<br />
ausführlich erarbeitet.<br />
Im weiteren Verlauf bef<strong>in</strong>den wir uns im Zentrum des theoretischen Gefüges, <strong>in</strong> welcher die<br />
Voraussetzungen zur fundierten Erfassung <strong>der</strong> <strong>Handlungsfähigkeit</strong> geschaffen und die Leser zu <strong>der</strong>en<br />
praktischen Umsetzung befähigt werden. Die IVP lassen sich <strong>in</strong> zwei Kategorien unterschiedlicher<br />
Qualität aufglie<strong>der</strong>n:<br />
- Die steuernden Prozesse bestimmen die Richtung <strong>der</strong> Handlung und be<strong>in</strong>halten e<strong>in</strong>e<br />
logische Abfolge. Zu den steuernden Prozessen gehören Situationsorientierung,<br />
Selbstüberwachung, Zielwahl, Programmwahl, Ausführung, Ausführungskontrolle,<br />
Beendigung <strong>der</strong> Handlung, Endbewertung und Speicherung <strong>der</strong> Handlung sowie Bewertung<br />
und Konsumierung.<br />
- Durch die energetisierenden Prozesse wird an wesentlichen Punkten e<strong>in</strong>er Handlung<br />
Handlungsenergie bereitgestellt. Die energetisierenden Prozesse s<strong>in</strong>d <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e dann<br />
erfor<strong>der</strong>lich, wenn vor o<strong>der</strong> während e<strong>in</strong>er Handlung Schwierigkeiten auftreten Sie laufen also<br />
gleichzeitig mit den steuernden Prozessen ab und haben ke<strong>in</strong>e <strong>in</strong> sich logische Abfolge. Zu<br />
den energetisierenden Prozessen gehören Beg<strong>in</strong> und Beendigung <strong>der</strong> Handlung, Überw<strong>in</strong>den<br />
beson<strong>der</strong>er Schwierigkeiten, Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Richtung <strong>der</strong> Handlung, Lösung von Konflikt<br />
zwischen Handlungsziel und Programm.<br />
Die IVP liegen je<strong>der</strong> Handlung auch im persönlichen Alltag zu Grunde. Das Ziel <strong>der</strong> TherapeutIn liegt<br />
dar<strong>in</strong>, ihre Steuerung und Energetisierung anhand von gut analysierbaren Handlungen zu verbessern<br />
und anschliessend auf Alltagshandlungen zu übertragen.<br />
So f<strong>in</strong>den beispielsweise während <strong>der</strong> Bearbeitung des Speckste<strong>in</strong>es ständig kognitive Prozesse statt,<br />
die von <strong>der</strong> TherapeutIn bewusst gemacht, verän<strong>der</strong>t, geübt und anschliessend auf Alltagshandlungen<br />
übertragen werden können.<br />
In <strong>der</strong> praktischen Anwendung werden die steuernden und energetisierenden Prozesse des<br />
handlungstheoretischen Modells als e<strong>in</strong> lebendiges Gefüge aus verschiedenen Teilen bewusst.
Um e<strong>in</strong> möglichst spezifisches Behandlungskonzept herauszuarbeiten wird die Psychopathologie<br />
unter psychoanalytischen Gesichtspunkten dargestellt. Hier haben wir es mit komplexen Systemen zu<br />
tun, <strong>der</strong>en Grundlage <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em kurzen Abriss vermittelt wird, um <strong>in</strong> <strong>der</strong> Folge die Zusammenhänge<br />
zwischen psychoanalytischer Ich-Psychologie und von Cranachs Handlungsmodell herauszuarbeiten;<br />
dies an Hand praktischer, therapeutischer Erfahrung zu überprüfen, wäre e<strong>in</strong> weiteres spannendes<br />
Projekt!<br />
E<strong>in</strong> überaus wichtiger Bestandteil je<strong>der</strong> ergotherapeutischer Behandlung ist die Erfassung <strong>der</strong><br />
Ressourcen und Schwierigkeiten o<strong>der</strong> Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> PatientInnen. Das Kernstück dieses<br />
Buches bildet denn auch die Erfassung <strong>der</strong> <strong>Handlungsfähigkeit</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Psychiatrie. Als grundlegendes<br />
Erfassungs<strong>in</strong>strument dient <strong>der</strong> "Basisbogen" mit dem die <strong>Handlungsfähigkeit</strong> umfassend analysiert<br />
werden kann. Darauf aufbauend wurden e<strong>in</strong> "Bogen zur Erfassung <strong>der</strong> Hf. im sozialen Kontext" und<br />
e<strong>in</strong> "Erfassungsbogen für schizophrene PatientInnen" entwickelt.<br />
In <strong>der</strong> Psychiatrie gilt es zu überlegen, welche spezifischen Funktionen, Fähigkeiten und Ressourcen<br />
die ET aufbauen soll. Wenn wir Bee<strong>in</strong>trächtigungen, aber auch spezielle Fähigkeiten und Ressourcen<br />
erfassen wollen, müssen wir Zugang zu den handlungsbegleitenden Kognitionen erhalten. Dies<br />
bed<strong>in</strong>gt e<strong>in</strong>e genaue Kenntnis aller für e<strong>in</strong>e Handlung notwendigen kognitiven Prozesse.<br />
Im Basisbogen werden alle e<strong>in</strong>e Handlung steuernden und energetisierenden Prozesse abgefragt.<br />
Dazu hat die Autor<strong>in</strong> Fragen formuliert, die e<strong>in</strong>e gezielte Beobachtung, E<strong>in</strong>schätzung und präzise<br />
sprachliche Formulierung ermöglichen. Die geeignete Auswahl <strong>der</strong> sich aus dem Basisbogen<br />
ergebenden therapeutischen Tätigkeiten setzt e<strong>in</strong>e profunde Kenntnis <strong>der</strong> IVP und e<strong>in</strong>e gründliche<br />
Tätigkeitsanalyse voraus.<br />
Während sich <strong>der</strong> Basisbogen zur Erfassung <strong>der</strong> persönlichen <strong>Handlungsfähigkeit</strong> e<strong>in</strong>er PatientIn im<br />
Zusammenhang mit Objekten, gestellten Aufgaben o<strong>der</strong> Situationen des Lebensalltags eignet, dient<br />
<strong>der</strong> Bogen zur Erfassung <strong>der</strong> <strong>Handlungsfähigkeit</strong> im sozialen Kontext beson<strong>der</strong>s zur Beobachtung <strong>der</strong><br />
<strong>Handlungsfähigkeit</strong> <strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>er Gruppe, im weitesten S<strong>in</strong>ne zur Erfassung <strong>der</strong> Gruppen- o<strong>der</strong><br />
Teamfähigkeit e<strong>in</strong>er PatientIn.<br />
Die anfangs zeitraubende und unbequeme Analyse <strong>der</strong> <strong>Handlungsfähigkeit</strong> anhand <strong>der</strong><br />
Erfassungsbogen wird durch sehr häufige Anwendung immer vertrauter bis die Beobachtung<br />
selbstverständlich wird.<br />
ADL, handwerklich-gestalterische Handlungen, bildnerisches Gestalten und Feedback: diese vier<br />
ergotherapeutischen Mittel werden im Kapitel "Mittel- und Tätigkeitsanalyse aufgrund des<br />
handlungstheoretischen Modells" <strong>in</strong> Form von Handlungen def<strong>in</strong>iert und <strong>in</strong> Zusammenhang zu den<br />
IVP gesetzt. Interessant ist <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e die Darlegung, wie Feedback im E<strong>in</strong>klang mit dem<br />
handlungstheoretischen Modell nach von Cranach zu e<strong>in</strong>em bewusst und gezielt e<strong>in</strong>gesetzten<br />
ergotherapeutischen Mittel werden kann.<br />
Im Kapitel "Spezielle Psychopathologie unter psychoanalytischen Gesichtspunkten" geht István<br />
<strong>Csontos</strong> auf die grundsätzlichen Charakteristika verschiedener Krankheitsbil<strong>der</strong> e<strong>in</strong> und setzt sie <strong>in</strong><br />
Bezug zur <strong>Ergotherapie</strong>. Das Kapitel gibt e<strong>in</strong>e Übersicht über verschiedene Entwicklungsniveaus <strong>der</strong><br />
Persönlichkeit (Schizophrenie, Bor<strong>der</strong>l<strong>in</strong>e-Persönlichkeitsorganisation, Persönlichkeitsorganisation<br />
neurotischer und gesun<strong>der</strong> Menschen) <strong>in</strong>kl. e<strong>in</strong>er Systematik <strong>der</strong> diesen Niveaus zuzuordnenden<br />
Störungen und H<strong>in</strong>weisen zur E<strong>in</strong>ordnung e<strong>in</strong>iger Krankheitsbil<strong>der</strong> und Symptome, die <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Psychiatrie üblicherweise über <strong>der</strong>en kl<strong>in</strong>ische Beschreibung def<strong>in</strong>iert werden (Depression, Angst,<br />
Sucht, etc.). Sehr hilfreich für die ergotherapeutische Arbeit zu werten ist e<strong>in</strong>e Tabelle, welche die<br />
wichtigsten Begriffe im Zusammenhang mit Entwicklungsprozessen und <strong>der</strong> Entstehung von<br />
Pathologien zusammenfasst.<br />
Im Kapitel "Forschung und Qualitätssicherung" wird transparent, wie die vorgestellten Bauste<strong>in</strong>e des<br />
konzeptionellen Modells wissenschaftlich hergeleitet wurden.<br />
Die Erfassungs<strong>in</strong>strumente lassen sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> weiteren Forschung immer wie<strong>der</strong> e<strong>in</strong>setzen. Mit vier,<br />
auf dem Handlungstheoretischen Modell basierenden Beispielen illustriert die Autor<strong>in</strong>, wie sie sich<br />
Forschung <strong>in</strong> <strong>der</strong> ET vorstellt.<br />
An <strong>der</strong> Psychiatrischen Universitätskl<strong>in</strong>ik wurde im Rahmen e<strong>in</strong>es breit angelegten<br />
Forschungsprojekts die ergotherapeutische Behandlung bei depressiv Erkrankten evaluiert. E<strong>in</strong><br />
spezifisch ergotherapeutischer Fokus <strong>der</strong> Untersuchung wurde von Theresa Witschi auf die<br />
differenzierte Auswertung <strong>der</strong> <strong>Handlungsfähigkeit</strong> und <strong>der</strong> sozialen Kompetenzen gelegt. Dabei wurde<br />
<strong>der</strong> »Basisbogen zur Erfassung <strong>der</strong> <strong>Handlungsfähigkeit</strong>« sowie <strong>der</strong> Bogen zur »Erfassung <strong>der</strong><br />
<strong>Handlungsfähigkeit</strong> im sozialen Kontext« verwendet. Dieses Forschungsdesign stellt e<strong>in</strong>e Möglichkeit
für ErgotherapeutInnen dar, auf bestehende theoretische Modelle aufbauend ihre Mittel und Methoden<br />
zu analysieren.<br />
Dieses Buch ist sehr flüssig zu lesen. Es leistet durch die Praxisnähe des vorgestellten Modells e<strong>in</strong>en<br />
wichtigen Beitrag zur Professionalisierung <strong>der</strong> deutschsprachigen ET. Das Buch eignet sich<br />
hervorragend für alle ET, die sich vertieft mit <strong>der</strong> <strong>Handlungsfähigkeit</strong> ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzen wollen.<br />
Erschienen im Spr<strong>in</strong>ger Verlag<br />
Rezension von Claudia Zeller