Von Jürgen Lossau - Film- und Fernsehmuseum Hamburg
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16 FILMGESCHICHTE<br />
den 1. Mai 1929 keine richtige Freude auf. Sie wird<br />
beeinträchtigt durch Ereignisse in Berlin: Nachdem<br />
der Berliner Polizeipräsident <strong>und</strong> der preußische<br />
Innenminister, beides Sozialdemokraten, für diesen<br />
Tag jegliche K<strong>und</strong>gebungen verboten hatten, war es<br />
zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen<br />
kommunistischen Demonstranten <strong>und</strong> der Polizei<br />
gekommen, bei denen viele Tote zu beklagen waren.<br />
Da passte die Parole vom Klassenkampf nicht mehr.<br />
„Brüder“ als „neue <strong>Film</strong>kunst“ hatte es allerdings<br />
auch nicht leicht, sich gegenüber anderen<br />
<strong>Film</strong>en zu behaupten: Parallel läuft in der Schauburg<br />
Millerntor (Reeperbahn 1) als neuer Kassen-<br />
schlager „Der Held aller Mädchenträume“ mit<br />
Harry Liedtke, täglich in zwei Vorstellungen,<br />
sonntags auch schon um drei Uhr nachmittags.<br />
Der für die sozialdemokratischen Wahlkämpfe<br />
1925 gegründete <strong>Film</strong>- <strong>und</strong> Lichtbilddienst nimmt<br />
ihn jedoch mit 21 Kopien in seinen Verleih; auf<br />
Gewerkschafts- <strong>und</strong> Parteiveranstaltungen kommt<br />
er häufiger zum Einsatz, 1929 insgesamt 186 mal,<br />
im folgenden Jahr 61 mal.<br />
Die Zeit des Stummfilms ist vorbei. Das Schicksal<br />
des Vergessens teilt „Brüder“ mit zwei anderen<br />
„proletarischen“ <strong>Film</strong>en aus derselben Zeit: „Hunger<br />
in Waldenburg“ <strong>und</strong> „Mutter Krausens Fahrt ins<br />
Glück“. Auch der zwei Jahre später fertiggestellte<br />
erste proletarische Tonfilm „Kuhle Wampe“, an dem<br />
Bertolt Brecht mitgearbeitet hat, kommt gegen die<br />
Nationalsozialisten nicht an <strong>und</strong> wird nach ihrer<br />
Machtergreifung verboten.<br />
Nach seinem Erfolg stellt Hochbaum noch zwei<br />
kurze Wahlfilme für die SPD her. In dem einen<br />
(„Zwei Welten“) stellt er den Aufnahmen vom Luxusleben<br />
reicher <strong>Hamburg</strong>er den Spielfilmszenen vom<br />
Elendsleben aus „Brüder“ entgegen. Dann wechselt<br />
er nach Berlin <strong>und</strong> produziert noch einen <strong>Film</strong> aus<br />
dem <strong>Hamburg</strong>er Hafen-Milieu: „Razzia auf St. Pauli“<br />
– für Heinrich Braune der „zu allem bereite Opportunismus“<br />
an den breiten Publikumsgeschmack.<br />
Erst 1973 wird der <strong>Film</strong> im Staatlichen <strong>Film</strong>archiv<br />
der DDR wiederentdeckt. Der Regisseur ist danach<br />
als „genialer Cineast <strong>und</strong> Streiter für die <strong>Film</strong>kunst“<br />
gefeiert worden. Auch das Norddeutsche Fernsehen<br />
hat den <strong>Film</strong> ausgestrahlt, zuletzt 1991. Dann ist es<br />
wieder still geworden.<br />
Ein Geniestreich ist „Brüder“ gewiss nicht, schon<br />
gar nicht im Vergleich zu Eisensteins „Panzerkreuzer<br />
Potemkin“, dessen Technik <strong>und</strong> Tendenz er nachahmt.<br />
Es ist aber auch ein Unterschied, ob ein <strong>Film</strong><br />
das Donnergrollen einer kommenden gewaltigen<br />
Revolution oder die Notwendigkeit gewerkschaftlicher<br />
Kleinarbeit vorführt. Hochbaums „Brüder“<br />
ist jedoch, bei allen filmkünstlerischen Mängeln, ein<br />
Produkt seiner Zeit: Aus seinen Bildern lässt sich<br />
nicht nur eine getreue Anschauung gewinnen von<br />
den Arbeitsverhältnissen <strong>Hamburg</strong>er Hafenarbeiter<br />
um 1930; sie lassen auch erkennen, welche Hoffnungen<br />
<strong>und</strong> Wünsche mit diesem Rückblick auf die<br />
Vergangenheit verb<strong>und</strong>en wurden <strong>und</strong> warum sie<br />
nicht Erfüllung gegangen sind. •<br />
Szenenfotos aus dem <strong>Film</strong><br />
Mit einer Doppelseite in der Beilage „Volk <strong>und</strong> Zeit“ des <strong>Hamburg</strong>er Echo<br />
v. 30. April 1929 wird für den <strong>Film</strong> „Brüder“ geworben<br />
Foto: Vereinsarchiv<br />
Regisseur<br />
Werner Hochbaum<br />
Fotos: Deutsche Kinemathek