Soziale Arbeit mit psychisch Erkrankten - DBSH LV Niedersachsen
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<strong>Soziale</strong> <strong>Arbeit</strong> <strong>mit</strong> <strong>psychisch</strong> <strong>Erkrankten</strong><br />
Intensives „Sich Kümmern“ rund um die Uhr<br />
<strong>Arbeit</strong> in der stationären Jugendhilfe <strong>mit</strong> <strong>psychisch</strong> kranken Kindern und Jugendlichen ● Jana Görndt<br />
In der Jugendhilfeeinrichtung „Mühlenhof<br />
Eilte“ finden seit dem Jahr 1994 Kinder<br />
und Jugendliche <strong>mit</strong> <strong>psychisch</strong>en Störungen<br />
und starken Verhaltensauffälligkeiten,<br />
<strong>mit</strong>ten in der Natur ein neues, überschaubares<br />
Zuhause. Bei uns leben sieben zu<br />
Betreuende zwischen sechs und 18 Jahren<br />
aus verschiedenen Landkreisen. Die Unterbringung<br />
findet meist nach dem § 35a<br />
SGB VIII statt. Die Diagnosen, <strong>mit</strong> denen<br />
die Kinder und Jugendlichen zu uns kom-<br />
men sind vielfältig: AD(H)S, Autismus,<br />
dissoziative Störung, Entwicklungsverzögerungen<br />
(z.B. Legasthenie), Bindungsstörung,<br />
(leichte) geistige Behinderung, sozial-emotionale<br />
Störungen <strong>mit</strong> Impulsivität,<br />
Enuresis, Borderline-Symptome. Der Umgang<br />
<strong>mit</strong> den durch diese Störungen entstehenden<br />
Problemen wie Schulverweigerung,<br />
Diebstähle, Zündeln, hohe Aggressivität,<br />
sexuelle Übergriffe, Abhauen und so<br />
weiter, sind unser tägliches Geschäft.<br />
Die Herausforderungen bei der <strong>Arbeit</strong> <strong>mit</strong> diesen Kindern und Jugendlichen sind facettenreich:<br />
� Hauptaufgabe für das Team ist, Strategien zu entwickeln, um die oft extremen Verhaltensweisen aushalten<br />
zu können. Erst wenn wir Wertschätzung und Respekt spürbar werden lassen und uns wirklich um das Kind<br />
kümmern, schaffen wir die Grundlage für das Einhalten unserer Regeln und Strukturen. Oftmals sind die<br />
Störungen so massiv, das Misstrauen gegenüber Erwachsenen so groß, dass allein das „nicht abhauen“ ein<br />
Erfolg ist.<br />
� Durch die „Grenzgänge“ unserer Klientel ist immer wieder die Zusammenarbeit <strong>mit</strong> Polizei und Psychiatrien<br />
gefragt. Diese ist durch unterschiedliche Interessenlagen, Ausbildungen und Schwerpunktsetzungen nicht<br />
immer einfach. Therapieplätze zu finden ist langwierig. Eine adäquate medikamentöse Behandlung zu erreichen<br />
ist nicht selten geprägt von Fehleinschätzungen und Rückschlägen.<br />
� Soweit die Kinder und Jugendlichen beschulbar sind besuchen sie verschiedene Förderschulen im Umkreis.<br />
Oft sind die Lehrer <strong>mit</strong> unserer Klientel überfordert, wir müssen bei uns beschulen, Schulbegleitungen organisieren<br />
und um die Finanzierung kämpfen sowie für jedes Kind intensiv um Kooperation der Schule werben.<br />
Eng gestrickte, hoch strukturierte Angebote <strong>mit</strong> gutem Betreuungsschlüssel, die für unsere Klientel<br />
notwendig sind, um Schulpflichterfüllung geschweige denn Wege in die Ausbildung zu meistern, sind Mangelware<br />
bzw. nicht vorhanden.<br />
� Die Elternarbeit ist bei uns davon geprägt, die Akzeptanz innerhalb der Familie zu fördern, dass der bessere<br />
Platz für ihr Kind außerhalb ihres engeren Systems ist. Eine Rückführung ist meistens nicht förderlich für<br />
das Kindeswohl, ohne die Mitarbeit der Eltern/Sorgeberechtigten fruchten aber unsere Interventionen nichts.<br />
Die Balance zwischen Unterstützung der Eltern in Erziehungsfragen („Was machen Sie beim Tagesbesuch?<br />
Wie reagieren Sie auf Regelbrüche?“) und andererseits der klaren Stärkung der Interessen des Kindes/Jugendlichen,<br />
dessen Abnabelung und Verselbstständigung bedarf großen Fingerspitzengefühls.<br />
Trotz dieser fordernden Kombination an Widrigkeiten<br />
und meist extremen Verhaltensauffälligkeiten der<br />
Kinder, die dadurch bislang nirgendwo anders einen<br />
Platz für sich fanden, können wir aus verschiedenen<br />
Gründen erfolgreich arbeiten:<br />
Die Lage des Mühlenhofes, außerhalb vom Dorf Eilte,<br />
<strong>mit</strong> dazugehörigem 40000qm Gelände <strong>mit</strong> Wald und<br />
teilweise am Ufer der Aller gelegenen Wiesen, ermöglicht<br />
erlebnispädagogisches <strong>Arbeit</strong>en (Kanutouren,<br />
Lagerfeuer, Baumhütten bauen). Die jungen Menschen<br />
können sich austoben, ohne sofort Ärger <strong>mit</strong><br />
Nachbarn zu bekommen. Sie ecken schon an so<br />
vielen Stellen in ihrem Leben an, fallen auf, müssen<br />
sich zusammennehmen, so dass sie hier positive<br />
Momente erleben. Auch bei uns müssen sich die uns<br />
anvertrauten Kinder und Jugendlichen zwar an Regeln<br />
halten, aber die Toleranzschwelle ist höher, als<br />
in anderen Bereichen der Gesellschaft. Wenn jemand<br />
aggressiv wird, lernt derjenige, das Haus zu verlassen,<br />
gegen Bäume zu treten oder in den Wald zu<br />
brüllen. Unser Briefkasten muss regelmäßig „leiden“,<br />
wird dann aber eigenhändig erneut eingegraben. Als<br />
nächstes wird <strong>mit</strong> dem/der Betroffenen das Ziel vereinbart,<br />
sich so weit zu kontrollieren, am Boxsack<br />
seine Wut abzulassen und dann wieder das Gespräch<br />
zu suchen. Durch die Abgeschiedenheit des Mühlenhofes<br />
sind potentielle Reize wie Geschäfte, „anheizende“<br />
Kumpel, Bahnhöfe etc. schwerer zu erreichen.<br />
Seite 12 <strong>DBSH</strong>-Landesrundbrief <strong>Niedersachsen</strong>/Hamburg/Bremen/Schleswig-Holstein 01/10