Soziale Arbeit mit psychisch Erkrankten - DBSH LV Niedersachsen
Soziale Arbeit mit psychisch Erkrankten - DBSH LV Niedersachsen
Soziale Arbeit mit psychisch Erkrankten - DBSH LV Niedersachsen
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
© Katrin Linke - Fotolia.com<br />
Meine Praxisstelle 1 , das Kinderhuis Durbanville<br />
(Afrikaans für Children´s Home) liegt in einem<br />
Vorort von Kapstadt, in dem in der einen Hälfte<br />
ausschließlich schwarze und in der anderen fast<br />
nur weiße SüdafrikanerInnen leben. Das weitläufige<br />
Heimgelände ist von einem zwei Meter hohen<br />
Eisengitter umzäunt und über zwei Tore betretbar,<br />
die per Kamera von der Rezeption aus überwacht<br />
und nur von dort aus geöffnet werden können.<br />
Diese Sicherheitsvorkehrungen werden <strong>mit</strong> der<br />
hohen Kriminalitätsrate Südafrikas begründet und<br />
sind nichts Ungewöhnliches: viele der<br />
Einfamilienhäuser in den überwiegend von Weißen<br />
bewohnten Vierteln sind derartig gesichert.<br />
Einige Kilometer entfernt von Durbanville beginnt<br />
Khayelitsha, das Township, in dem die meisten der<br />
im Children´s Home tätigen Coloureds 2 und<br />
Schwarzen wohnen. Während das Management<br />
des Heims sowie die Stellen der Sozialarbeiterinnen<br />
<strong>mit</strong> weißen SüdafrikanerInnen besetzt sind,<br />
besteht das gemischtgeschlechtliche Team der<br />
direkt <strong>mit</strong> den Kindern und Jugendlichen<br />
arbeitenden Childcareworker überwiegend aus<br />
Coloureds. Die Reinigungskräfte und das<br />
Küchenpersonal sind ausschließlich schwarze<br />
Frauen.<br />
Es scheint, als würde die Trennung nach<br />
Hautfarben gegenwärtig nicht mehr durch<br />
Gesetze sondern durch Geld- und<br />
Bildungsbarrieren legitimiert.<br />
Das Children´s Home feierte im Jahr 2008 sein<br />
125jähriges Bestehen. Auf den im Jahresbericht<br />
abgebildeten Photos sind bis zu den Ende der<br />
1990er Jahre aufgenommenen Bildern nur weiße<br />
Kinder zu sehen, Gründe für diese einseitige<br />
Zusammensetzung der Kinder werden nicht<br />
genannt (vgl. Annual Report 2007/08).<br />
Die aus dieser Beobachtung resultierende<br />
Vermutung einer Ausgrenzung von nicht-weißen<br />
Kindern, wurde inoffiziell durch die Childcareworker<br />
3 bestätigt: Das Children´s Home war bis<br />
1996 ausschließlich für weiße Kinder und<br />
Jugendliche geöffnet.<br />
1 Im Rahmen des Projektpraktikums des Studiengangs<br />
<strong>Soziale</strong> <strong>Arbeit</strong><br />
2 Der in Südafrika gängige, englische Begriff „Coloureds“<br />
wird verwendet, da der deutsche Ausdruck „Farbige“ nicht<br />
die gleiche Bedeutung hat und als rassistisch empfunden<br />
wird.<br />
3 Da die Berufsbezeichnung Childcareworker aufgrund der<br />
fehlenden pädagogischen Ausbildung nicht <strong>mit</strong> dem der<br />
Erzieherin gleichzusetzen ist, wird der englische Begriff<br />
verwendet.<br />
Eine Aufarbeitung oder Stellungnahme zu<br />
diesem Kapitel der Einrichtungsgeschichte<br />
konnte ich nicht finden.<br />
Heutzutage sind in jedem der zehn Häuser<br />
auf dem Gelände 12-16 Kinder und Jugendliche<br />
im Alter von 2-18 Jahren untergebracht.<br />
Die allen BewohnerInnen gemeinsame<br />
Sprache ist Englisch. Während<br />
die Sozialarbeiterinnen in der Regel auf<br />
Afrikaans kommunizieren, beherrschen die<br />
Childcareworker und die schwarzen und<br />
coloured Jugendlichen zumeist mindestens<br />
eine Stammessprache wie z.B. Xhosa. Die<br />
Betreuung wird in jedem Haus im Schichtdienst<br />
durch zwei Childcareworker geleistet,<br />
die <strong>mit</strong> jeweils einer/einem internationalen<br />
VolontärIn zusammen arbeiten.<br />
Zudem ist für jede/n HeimbewohnerIn eine<br />
externe Sozialarbeiterin im Jugendamt und<br />
eine interne Sozialarbeiterin als Bezugsbetreuerin<br />
im Children´s Home, zuständig.<br />
Ein Blick auf die Apartheidsgeschichte 4<br />
verdeutlicht, welche Erfahrungen alle<br />
südafrikanischen MitarbeiterInnen der<br />
Einrichtung gemeinsam haben. Der Konflikt<br />
durch die Trennung der Bevölkerung<br />
nach Hautfarben reicht bis in die Anfänge<br />
der Kolonialisierung Südafrikas im 18.<br />
Jahrhundert zurück. Zum Höhepunkt der<br />
Unterdrückung der nicht-weißen Bevölkerung<br />
kam es durch den Wahlsieg der Na-<br />
tional Party 1948 und durch die während<br />
der darauf folgenden vier Jahrzehnte<br />
erlassenen, die Schwarzen und Coloureds<br />
massiv diskriminierenden Gesetze. In der<br />
Apartheid standen die schwarzen Menschen,<br />
die <strong>mit</strong> 70% die größte Bevölkerungsgruppe<br />
waren und sind, ganz unten<br />
in der Hierarchie. Je heller die Hautfarbe<br />
als desto wertvoller wurde der Mensch<br />
betrachtet. Diese Haltung hatten zahlreiche<br />
Jugendliche des Children´s Home offenbar<br />
internalisiert: viele von ihnen legten Wert<br />
darauf, dass sie Coloureds seien und nicht<br />
schwarz.<br />
Das Ende des rassistischen Machtsystems<br />
wurde maßgeblich durch den<br />
Widerstand des unter der National Party<br />
verbotenen African National Congress<br />
(ANC) bewirkt.<br />
4 Apartheid ist ein Ausdruck aus der Burensprache<br />
Afrikaans und bedeutet „Trennung“.<br />
Der Blick über den Tellerrand…<br />
SÜDAFRIKA<br />
Spuren der Apartheid im Alltag einer Heimeinrichtung<br />
<strong>Soziale</strong> <strong>Arbeit</strong> wird un<strong>mit</strong>telbar durch die Politik des Landes beeinflusst, in dem<br />
sie praktiziert wird. Dementsprechend reizvoll ist es, einen Teil Realität der <strong>Soziale</strong>n<br />
<strong>Arbeit</strong> in der südafrikanischen Gesellschaft, die grundlegend von politischen<br />
Umbrüchen geprägt wurde, als Praktikantin vor Ort <strong>mit</strong>zubekommen.<br />
Dieser erreichte, <strong>mit</strong> großen persönlichen Opfern,<br />
schließlich eine internationale Solidarität,<br />
die eine Isolierung der südafrikanischen Regierung<br />
durch zahlreiche Länder bewirkte. Anfang<br />
der 1990er Jahre führte dieser Druck zur Zulassung<br />
des ANC als legale Partei und zur Einführung<br />
einer demokratischen Regierungsform<br />
(vgl. Marx 2004: 325). Nelson Mandela wurde<br />
1994 der erste schwarze Präsident Südafrikas.<br />
Deutlich wurde der uneingeschränkte Respekt,<br />
der ihm von der schwarzen und coloured Bevölkerung<br />
entgegen gebracht wird.<br />
So sprachen die Kinder des Heims liebevoll von<br />
„Madiba“ (Mandelas Stammesname) und die Erwachsenen<br />
äußerten die Befürchtung, dass nach<br />
Mandelas Tod eine bedeutsame Orientierung<br />
verloren gehen wird, da er ausnahmslos geachtet<br />
würde und dadurch immer wieder konstruktiv<br />
eingreifen könne. Den auf Mandela folgenden<br />
Präsidenten werde hingegen eine Tabuisierung der<br />
HIV/AIDS-Problematik und eine von persönlichen<br />
Interessen gesteuerte Regierungsweise vorgeworfen.<br />
Die Verdrängung der Krankheit, <strong>mit</strong> der in<br />
Südafrika in einzelnen Regionen bis zu 28% der<br />
Bevölkerung infiziert sind (vgl. WHO 2008), war<br />
auch im Heimalltag spürbar.<br />
AIDS war kein Gesprächsthema, über die Anzahl<br />
der infizierten Kinder kursierten nur in Zweiergesprächen<br />
Gerüchte, die sich zwischen der Annahme,<br />
dass niemand infiziert sei und der Angabe von<br />
5 infizierten Kindern bewegten.<br />
Gründe für die stationäre Unterbringung der Kinder<br />
und Jugendlichen sind nahezu ausschließlich<br />
sexueller Missbrauch sowie Suchtkrankheiten der<br />
Eltern. In der Regel haben die BewohnerInnen<br />
lebende Eltern zu denen Kontakt gehalten wird, da<br />
die Rückführung in die Herkunftsfamilie ein gewünschtes<br />
Ziel ist. Die Besuchsregelungen sind<br />
deutlich freier geregelt als z.B. in der Jugendwohngruppe,<br />
in der ich in der BRD als Erzieherin tätig<br />
bin: Viele der BewohnerInnen fuhren jedes Wochenende<br />
alleine nach Hause, auch, wenn sie<br />
zuvor aufgrund von Missbrauch oder Gewalt aus<br />
der Familie genommen worden sind.<br />
Erfahrungsräume außerhalb des Heimes existieren<br />
für die Jugendlichen nur durch ihren Schulbesuch<br />
und im Rahmen ihrer Besuche zu Hause. Mit der<br />
Sicherheitslage begründet wird ihnen das Verlassen<br />
des Heimgeländes ansonsten verboten. Eine<br />
individuelle Freizeitgestaltung, beispielsweise durch<br />
den Besuch eines Sportvereins, ist den Bewohner-<br />
Innen des Heimes infolgedessen unbekannt.<br />
<strong>DBSH</strong>-Landesrundbrief <strong>Niedersachsen</strong>/Hamburg/Bremen/Schleswig-Holstein 01/10 Seite 23