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Israel, Palästina und die deutsche Linke - Buko

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Reader zum BUKO-Ratschlag: <strong>Israel</strong>, <strong>Palästina</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> <strong>deutsche</strong> <strong>Linke</strong> 17<br />

Solidarität: Mit wem? - Rückkehr: Wohin?<br />

Hanno Loewy<br />

[Aus: BUKO (2003) (hg.): radikal global. Bausteine für eine internationalistische <strong>Linke</strong>. Berlin]<br />

»Jeden Tag werden wir dümmer.« Mit <strong>die</strong>sen Worten begann ich mich im April 2002 in einem Essay über mich selber<br />

zu ärgern. Und über <strong>die</strong> Hilflosigkeit, mit der ich auf den eskalierenden Konflikt um <strong>Israel</strong> <strong>und</strong> <strong>Palästina</strong> reagierte -<br />

<strong>und</strong> immer noch reagiere. Daraus wurde ein Text, der in der Wochenzeitung Die Zeit erschien <strong>und</strong> über den sich andere<br />

geärgert haben <strong>und</strong> den ich nun selbst, ohne <strong>die</strong> Kürzungen der Redaktion, wieder einmal lese:<br />

Jeden Tag werden wir dümmer. Die Gewalt in <strong>Israel</strong> <strong>und</strong> <strong>Palästina</strong> eskaliert <strong>und</strong> ein amerikanischer Präsident kann auf<br />

den Tisch schlagen <strong>und</strong> »Genug!« rufen - <strong>die</strong> Nachricht kommt <strong>und</strong> verraucht wie der Wetterbericht der letzten Woche.<br />

Täglich werden Solidarisierungen verlangt <strong>und</strong> geleistet. Bekenntnisse für <strong>die</strong> einen, gegen <strong>die</strong> anderen. Jeden Tag<br />

korrumpiert <strong>die</strong> Gewalt das Denken <strong>und</strong> Handeln. »Arafat gleich Hitler« skan<strong>die</strong>ren <strong>die</strong> einen, »Sharon gleich Hitler« <strong>die</strong><br />

anderen. Die Rhetorik der Vernichtung fordert Tribut, eine Rhetorik, <strong>die</strong> freilich immer nur von der Vernichtung handelt,<br />

<strong>die</strong> <strong>die</strong> jeweils andere Seite im Sinn habe. Und angesichts drohender Vernichtung sei fast alles erlaubt. Oder alles?<br />

Nennen wir <strong>die</strong> Realitäten beim Namen. Der Staat <strong>Israel</strong> hält seit 1967 gegen jedes Völkerrecht Territorien besetzt,<br />

deren Bevölkerung er täglich schikaniert <strong>und</strong> erniedrigt. Nur <strong>die</strong>s verhindere, so heißt es, <strong>die</strong> eigene Vernichtung.<br />

H<strong>und</strong>erttausende Palästinenser folgten 1948 ihren Führern <strong>und</strong> flohen, teils gewaltsam vertrieben, teils mit der trügerischen<br />

Aussicht auf gewaltsame Rückkehr, aus ihren Städten <strong>und</strong> Dörfern, ohne dass das ihnen angetane Unrecht<br />

anerkannt worden wäre. Und viele träumen bis heute davon, <strong>die</strong> Juden »ins Meer zu treiben«.<br />

Die Palästinensische Führung, inklusive Arafat, hat vor zwei Jahren ein weitreichendes, wenn auch in vieler Hinsicht<br />

unzureichendes Friedensangebot der israelischen Regierung nicht mit einer anderen, alternativen Friedensoption beantwortet,<br />

sondern mit der Ermunterung von Selbstmordmassakern, <strong>die</strong> nicht nur jeden Zivilisten zum potenziellen<br />

Opfer, sondern vor allem jeden Palästinenser zur potenziellen Bombe machen. Die israelische Führung hat nun ein<br />

ebenso beispielloses - wenn auch sicherlich unzureichendes - Friedensangebot fast der gesamten arabischen Welt wie<br />

Luft behandelt <strong>und</strong> stattdessen einen Rachefeldzug in <strong>die</strong> palästinensische Zivilbevölkerung getragen, mit dem Argument,<br />

dort hielten sich <strong>die</strong> Täter verborgen. Wo denn sonst? Und Sharons Versprechen, der Hydra der Selbstmordattentate<br />

<strong>die</strong> Köpfe abzuschlagen, hat sich als tödliches Hirngespinst eines Mannes erwiesen, der ebenso wie Arafat<br />

Gefangener seiner eigenen Taktik geworden ist. Nur dass er, anders als Arafat, nicht unter Hausarrest steht.<br />

Diese nach beiden Seiten »ungerechte« Liste, lässt sich beliebig verlängern. Und keine Seite wird je mit ihr zufrieden<br />

sein.<br />

Die Konfliktparteien verstehen zu wollen, wohin führt es? Auf den Ostermärschen war vom Verständnis für Selbstmordattentate<br />

<strong>die</strong> Rede. Und <strong>die</strong> angesichts antisemitischer Gewalt in Europa zu Recht beunruhigten Vertreter jüdischer<br />

Gemeinden üben sich in Rechtfertigung für <strong>die</strong> Politik eines rechtsradikalen Abenteurers, mit dem noch vor<br />

Jahren kaum einer gerne am Tisch gesessen hätte.<br />

Wen nimmt <strong>die</strong>s hierzulande W<strong>und</strong>er? Dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel fällt zur Gewalt in <strong>Israel</strong> <strong>und</strong> <strong>Palästina</strong><br />

kein intelligenterer Titel ein als das antisemitische Stereotyp »Auge um Auge. Der biblische Krieg«. Wenn in Nordirland<br />

Katholiken <strong>und</strong> Protestanten, in Ex-Jugoslawien Serben <strong>und</strong> Kroaten, in In<strong>die</strong>n Moslems <strong>und</strong> Hindus oder in Afrika<br />

Tutsi <strong>und</strong> Hutu sich - oder <strong>die</strong> einen <strong>die</strong> anderen - massakrieren, dann spricht niemand von biblischen Kriegen. Doch<br />

<strong>die</strong> »Ursachenforschung« zur Gewalt im Nahen Osten weicht gerne ins Gr<strong>und</strong>sätzliche aus. Wer manche <strong>deutsche</strong>n<br />

Zeitungen verfolgt, wird den Eindruck nicht los, als koche so manche trübe Suppe auf <strong>die</strong>sem Feuer.<br />

Die Frankfurter R<strong>und</strong>schau meldet jeden Tag in großen Titeln <strong>Israel</strong>s neueste gewaltsame Schritte. Und in kleinen<br />

Lettern darunter <strong>die</strong> neuesten Attentate. Wer soll darin nicht eine »klammheimliche« Parteinahme sehen? Nicht zuletzt<br />

aber ein Kommentar in der Zeit, veröffentlicht zum 9. November 2001, konnte kaum anders verstanden werden, als<br />

beschäftige sich <strong>die</strong> <strong>deutsche</strong> Öffentlichkeit nicht mit dem Nahostkonflikt, sondern mit den eigenen Projektionen auf<br />

»<strong>die</strong> Juden«. Aus Christoph Dieckmann hat es da gesprochen, in Sätzen wie: »War nicht das Volk <strong>Israel</strong>, dem Gott seine<br />

Gebote offenbarte, unterwegs nach einem verheißenen Land, in dem aber längst andere Menschen lebten? Hält nicht<br />

<strong>Israel</strong> bis heute fremde Erde <strong>und</strong> büßt dafür mit Tod <strong>und</strong> tötet jeden Tag?« Und: »Niemals vergesse ich, wie am zehnten<br />

Jahrestag der <strong>deutsche</strong>n Einheit der Palästinenserknabe Mohammed al-Durra in den Armen seines Vaters erschossen<br />

wurde.« Was sich da in altertümelnder Sprache Bahn brach, war sicher ein Ausrutscher. Doch sind <strong>die</strong> Ausrutscher<br />

nicht <strong>die</strong> Momente der Ehrlichkeit? Nicht zufällig endete Dieckmanns Bekenntnis mit den »Genen der Völker«. Was<br />

wollte er uns damit sagen?<br />

Solange <strong>die</strong> Wahrnehmung der Gewalt in den <strong>deutsche</strong>n Me<strong>die</strong>n immer wieder nur <strong>die</strong> eigenen, geschichtsgeladenen<br />

»Schuld«-Phantasien beflügelt (Auschwitz-Vergleiche aller Art), wird von den jüdischen Gemeinden in Deutschland nur<br />

wenig kritische Distanz zur israelischen Regierungspolitik erwartet werden können.<br />

Dies ist ebenso fatal wie <strong>die</strong> Versuche, eine Neudefinition <strong>deutsche</strong>r Außenpolitik auf dem Rücken von Ressentiments<br />

<strong>und</strong> »Tabubrüchen« zu starten. Dass Joschka Fischer sich von Karl Lamers (CDU) vorwerfen lassen muss, man höre aus

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