Diplomarbeit - Laura Steiner – Design and Concept
Diplomarbeit - Laura Steiner – Design and Concept
Diplomarbeit - Laura Steiner – Design and Concept
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<strong>Laura</strong> <strong>Steiner</strong>
<strong>Diplomarbeit</strong><br />
eingereicht an der<br />
FH JOANNEUM<br />
Fachhochschulstudiengang Informations-<strong>Design</strong><br />
vorgelegt im Oktober 2008 von<br />
<strong>Laura</strong> <strong>Steiner</strong><br />
Alte Poststraße 152<br />
8020 Graz<br />
Betreuer<br />
Martin Ross<br />
<strong>Design</strong> zum Knicken
The aim of this diploma thesis was to learn more about paper fashion, to promote this fascinating<br />
art form <strong>and</strong> to design my own paper dresses with the knowledge I had acquired.<br />
The first chapter covers the history of paper. It starts with the precursors of this culture bearer<br />
<strong>and</strong> Washi, the Japanese paper, going on to the different attempts to use substitute materials<br />
like rags <strong>and</strong> tatters. The chapter ends with the invention of paper in China <strong>and</strong> how it<br />
changed the Western world forever.<br />
The second chapter deals with the evolution of different textile-like papers. Firstly, the<br />
Japanese papers are discussed: Kozo, Gampi <strong>and</strong> Mitsumata, which are made of the pa-<br />
per mulberry tree. Holohedral paper clothes, the so-called Kamikos are made out of this<br />
paper as well are Shifu fabrics, which are made of paper weaving yarns. Following this,<br />
Tapa <strong>and</strong> Amatl are presented. These are clothes made out of the inner bark of the pa-<br />
per mulberry tree <strong>and</strong> originate from the isl<strong>and</strong>s of the Pacific as well as from South<br />
America. The paper clothes of the mid <strong>and</strong> post war period <strong>and</strong> the industrial-made pa-<br />
per yarns are also explained in greater detail. Finally, felt <strong>and</strong> synthetic paper like Tyvek<br />
which is used in the medicinal branch because of its antiseptic value <strong>and</strong> by artists are<br />
mentioned for the sake of completeness.<br />
In the third chapter, artists <strong>and</strong> fashion designers who followed extraordinary paths with<br />
this art form are introduced. Two of them are Isabelle de Borchgrave <strong>and</strong> Rita Brown, who<br />
recreate clothes from different periods of fashion history with the help of paper. Another duo<br />
are Ann Schmidt-Christensen <strong>and</strong> Grethe Wittrock who started the “Project Papermoon”<br />
where they tried out new techniques with Shifu fabrics.<br />
My work piece is presented in the fourth chapter. Three paper dresses reflect the know-<br />
ledge <strong>and</strong> experience I have gathered so far. They were made of two sorts of Japanese Kozo<br />
that is characterized by particular tensile strength in low grammages as well as by a very<br />
textile-like impression. These clothes were illustratively decorated with various fancy<br />
stained papers. They are presented by a Vietnamese girl who embodies the origin of these<br />
dresses. Furthermore, she establishes the connection to the modern western industrial<br />
world in these partly Asian, partly western cuts. The photos were taken around the harbor<br />
of Hamburg: In the Speicherstadt <strong>and</strong> on the Marco Polo Terassen at the Hafencity, an en-<br />
tirely newly built district.<br />
Das Ziel dieser <strong>Diplomarbeit</strong> war es, mehr über Papierkleider herauszufinden, diese großar-<br />
tige Kunst bekannter zu machen und mit dem erlangten Wissen schließlich selbst Papier-<br />
kleider zu gestalten.<br />
Das zweite Kapitel erzählt die Geschichte des Papiers <strong>–</strong> von den Vorläufern dieses Kultur-<br />
trägers, wie Washi, dem Papier in Japan, über die verschiedensten Experimente mit Ersatz-<br />
stoffen, wie Hadern und Lumpen, bis hin zur Erfindung des Papiers in China und wie diese<br />
schlussendlich die westliche Welt für immer verändern sollte.<br />
Im dritte Kapitel werden die Vorkommnisse verschiedenster textilhafter Papiere aufgezeigt.<br />
Hier ist von den japanischen Papieren Kozo, Gampi und Mitsumata die Rede, die aus dem<br />
Papiermaulbeerbaum hergestellt und entweder zu vollflächigen Kamiko-Kleidern oder als<br />
Papiergarne zu gewebten Shifu-Stoffen verarbeitet werden. Außerdem werden die Rindenbaststoffe<br />
Tapa und Amatl vorgestellt, die auf den pazifischen Inseln und in Südamerika<br />
hergestellt wurden sowie die Papierkleider in der Zwischen- und Nachkriegszeit und die<br />
industriell hergestellten Papiergarne. Nicht zuletzt werden der Vollständigkeit halber auch<br />
Filz und synthetische Papiere, wie Tyvek, das zum Beispiel im Bereich der Medizin wegen<br />
seiner antiseptischen Wirkung und auch von Künstlern verwendet wird, beschrieben.<br />
Das vierte Kapitel stellt Künstler und Modedesigner von heute vor, die mit ihren Papierkleidern<br />
besondere Wege eingeschlagen haben. Beschrieben werden hier beispielsweise die<br />
Arbeiten von Isabelle de Borchgrave und Rita Brown, die Kleider aus der Modegeschichte<br />
aus Papier rekreieren, oder Ann Schmidt-Christensen und Grethe Wittrock, die mit dem<br />
„Project Papermoon“ mit Shifu-Stoffen stets neue Wege gehen.<br />
Das Thema des fünfte Kapitels ist mein Werkstück. Dies sind drei Papierkleider, die mein<br />
gesammeltes Wissen und meine Erfahrung widerspiegeln. Mit zwei Arten von japanischem<br />
Kozo, das sich auch bei geringen Grammaturen durch besondere Reißfestigkeit sowie eine<br />
äußerst textile Anmutung auszeichnet, wurden die Kleider realisiert und mit verschiedenen<br />
Effektpapieren ausdrucksvoll gestaltet. Präsentiert werden die Stücke von einem Mädchen<br />
aus Vietnam, das auf den Ursprung dieser Kleider hinweist und in den teils asiatischen, teils<br />
westlichen Schnitten die Brücke zu der modernen westlichen und industriellen Welt schafft.<br />
Die Fotos wurden rund um den Hamburger Hafen aufgenommen: In der Speicherstadt und<br />
auf den Marco Polo Terassen in der Hafencity, einem komplett neu entstehenden Viertel.
1. Einleitung ------------------------------------------------------------------------------------------------------- 01<br />
2. Papiergeschichte --------------------------------------------------------------------------------------------- 03<br />
1.1 Papyrus in Ägypten 04<br />
1.2 Die Erfindung des Papiers in China 04<br />
1.3 Washi in Japan 06<br />
1.4 Der Westen 07<br />
1.4.1 Wiederkehrende Rohstoffknappheit und Suche nach Ersatzstoffen 10<br />
3. Textilhaftes Papier ------------------------------------------------------------------------------------------- 13<br />
2.1 Washi − Kulturgut im alten Japan 14<br />
2.1.1 Kamiko − Die Körperhülle aus Papier 16<br />
Ursprung 16<br />
Verbreitung 19<br />
Herstellungsverfahren 20<br />
Anwendungen im Alltag 21<br />
2.1.2 Shifu-Stoffe − Kleidung aus Papiergarnen 22<br />
Ursprung 24<br />
Verbreitung 24<br />
Die Nachwirkungen des einstmals so verbreiteten Shifus 25<br />
Herstellungsverfahren 26<br />
2.2 Tapa und Amatl − Die Rindenbaststoffe rund um die Erde 30<br />
2.2.1 Tapa in den verschiedenen Kulturen 30<br />
Der aufwändige Herstellungsprozess von Tapa-Stoffen 34<br />
Anwendung von Tapa-Stoffen auf den pazifischen Inseln 35<br />
2.2.2 Amatl in Mittelamerika 44<br />
2.2.3 Anwendung heute 45<br />
2.2.4 Filz 45<br />
2.3 Textiles Papier im Westen 46<br />
2.3.1 Papierwäsche in Zeiten der Not 46<br />
2.3.2 Industriell hergestellte Papiergarne 47<br />
2.4 Synthetische Papiere 48<br />
2.4.1 Tyvek 50<br />
4. Mehr als Papier ------------------------------------------------------------------------------------------------ 51<br />
3.1 Papier − Der Ersatzstoff in einer Wegwerfgesellschaft 52<br />
3.2 Mode aus Papier − Die <strong>Design</strong>er von heute 54<br />
3.2.1 Isabelle de Borchgrave und Rita Brown 55<br />
3.2.2 Charlie Thomas 57<br />
3.2.3 Rei Kawakubo 58<br />
3.2.4 Ann Schmidt-Christensen und Grethe Wittrock − „Project Papermoon“ 59<br />
3.2.5 Hussein Chalayan 61<br />
3.2.6 Julie Nioche 63<br />
5. Kleider aus Papier von mir ------------------------------------------------------------------------------- 65<br />
4.1 Das Papier 65<br />
4.2 Die Bearbeitung 65<br />
4.3 Die Kleider 66<br />
Stolz 66<br />
Schönheit 67<br />
Mut 67<br />
4.4 Die Dokumentation 68<br />
6. Fazit --------------------------------------------------------------------------------------------------------------- 87<br />
Literaturverzeichnis ------------------------------------------------------------------------------------------- 89<br />
Abbildungsverzeichnis ---------------------------------------------------------------------------------------- 91
01<br />
Papier strahlt eine einzigartige haptische und optische Anziehungskraft aus, der sich nie-<br />
m<strong>and</strong> so einfach entziehen kann. Nicht nur das Wissen, das auf ihm festgehalten wird, son-<br />
dern auch seine individuelle Qualität schwingt beim Durchblättern von Büchern, Zeit-<br />
schriften und <strong>and</strong>eren Papierprodukten mit. Nicht umsonst verwenden wir eine Zeitung<br />
nach dem Lesen oft auch zum Ausstopfen, würden aber selbst in der heutigen Zeit, in der<br />
Bücher ständig der Aktualität hinterher hinken, ein schlechtes Gewissen bekommen, wenn<br />
sie im Müll l<strong>and</strong>en. Stattdessen stellen wir sie behutsam in ein Bücherregal, denn die eigent-<br />
lich Aufgabe von Papier liegt im Bewahren. Das papierfreie Büro, das schon seit langer Zeit<br />
prophezeit wird, bleibt wohl noch für längere Zeit ein eher utopischer Gedanke. Im Zeitalter<br />
der Digitalisierung haben wir oft den Eindruck, als würden uns wichtige Daten entgleiten,<br />
weil wir sie einfach nicht mehr angreifen können. Um dieser Datenverlustangst entgegen-<br />
zuwirken und uns in Sicherheit zu wähnen, haben wir angefangen, alles möglich Essenziel-<br />
le festzuhalten und auszudrucken. Infolgedessen spielen wir uns vor, wir könnten alles im<br />
Nachhinein lesen, was wir im Vorhinein gedruckt haben. So verlassen wir, ohne überhaupt<br />
irgendetwas gelesen zu haben, Bibliotheken mit einem Stapel an losen Papieren, die wir<br />
wohl nie mehr ordnen oder zur H<strong>and</strong> nehmen werden.<br />
Neben den offensichtlichen Faktoren, wie Inhalt und Gestaltung eines Magazins, gibt es<br />
noch <strong>and</strong>ere Gründe, weshalb man zu genau diesem einen greift, anstatt sich bei ähnlichem<br />
Inhalt für das <strong>and</strong>ere zu entscheiden. Während es Menschen gibt, die sich schon lange in-<br />
tensive Gedanken machen, welches Papier wohl das Geeignetste wäre, können die meis-<br />
ten dieses Gefühl, mit dem sie etwas positiv belegen, nicht näher definieren. Einer dieser<br />
vom Bewusstsein meist unbemerkten, aber durchaus wesentlichen Faktoren stellt die Wahl<br />
des Papiers dar. Papiere können transparent, lederartig, isolierend, aber auch waschbar sein.<br />
Wir wissen zwar meist von der Vielfältigkeit und den verschiedenen Anwendungen von<br />
Papier, uns ist aber nicht bewusst, wie sehr es unser Leben wirklich beherrscht. Wir ver-<br />
trauen auf seine Wertigkeit als Papiergeld, schätzen seine Beständigkeit als Informations-<br />
träger, verwenden es aufgrund seiner hautfreundlichen Eigenschaften als Toilettenpapier<br />
oder Servietten. Besonders erstaunlich ist aber der Einsatz von Papier als Kleidungsstück.<br />
Aus papierenen Flächen, die außerordentlich stofflich anmuten oder in Form von Streifen<br />
aus Recyclingpapier, die zu Flächen verwoben werden, mit stabilisierenden Substanzen ver-<br />
stärkt, entsteht großartige Mode aus Papier.<br />
Diese den meisten Leuten so fremde Kunstform findet nicht nur seit Jahrhunderten in Ja-<br />
pan, auf den pazifischen Inseln und in Südamerika ihre Anwendung, auch in der Zwischen-<br />
und Nachkriegszeit kleidete man sich im Westen zumindest teilweise in Papier. Viele Modeund<br />
Grafikdesigner wie auch Gestalter entdecken dieses Material immer wieder aufs Neue.<br />
Das Ziel dieser Arbeit ist es also, das Thema Papier mit seiner faszinierenden Anwendung<br />
bei Kleidungsstücken Leuten näher zu bringen und sie in Staunen zu versetzen, was alles<br />
möglich ist.
03<br />
Abb. 01: Ausschnitt aus einer<br />
Grabstele, einem so genannten<br />
Hirschstein bei Mörön. Mongolei,<br />
12./11. Jhd. v. Chr.<br />
Der menschliche Drang, sein Wissen gestalterisch festzuhalten, trieb ihn schon vor über<br />
40.000 Jahren dazu, auf und in Stein zu zeichnen, zu malen oder zu gravieren. Bereits bei<br />
diesen frühen Schriftträgern war der Anspruch zwischen deren Kompatibilität mit dem da-<br />
für verwendeten Schreibmittel und Schrifttyp hoch. So gab es bereits vor dem Papier viele<br />
Kulturträger, die als Nachweis für die Manifestation des menschlichen Gestaltungswillen<br />
stehen: „Zeichen wurden auf Stein und Felsen gemalt und eingraviert. Dort, wo nicht Ero-<br />
sion und Witterungseinflüsse die Informationen verwischt haben, finden sich noch heute<br />
Dokumente aus alter Zeit. Tontafeln mit eingravierter Keilschrift, beschriftete Holz- und<br />
Bambustafeln, auf kostbare Seide geschriebene Texte, Papyrus aus den Sumpfl<strong>and</strong>schaften<br />
Ägyptens und Pergament aus den gekalkten Häuten von Schafen, Ziegen und Kälbern sind<br />
weitere Beispiele für Schriftträger, welche man vor der Erfindung des Papiers gekannt hat.“<br />
(Weber, Sprache, 14)<br />
Die Suche nach Ersatzstoffen setzt sich über die heutige Zeit hinaus fort und so schrieb man<br />
ganze Bücher auf Birkenrinde und fertigte aus dem Rindenbast des Papiermaulbeerbaums<br />
Kleider an.<br />
Als die Ägypter um 2900 v. Chr. Papyrus als Schriftträger entdeckten, war zweifellos eine<br />
neue Epoche angebrochen. Schon im frühen Reich der Thiniten in Ägypten gibt es Nachweise<br />
für Papyrus, der als Bild- und Schriftträger diente. In der gesamten klassischen Welt<br />
fungierte er lange Zeit als wichtigster Beschreibstoff. Erfahrene Schreiber setzten ihren Text<br />
nicht zu dicht an den R<strong>and</strong>, da dieser schnell brüchig werden konnte und somit kostbares<br />
Wissen hätte verloren gehen können. Diese frühe Form von Layout wurde als Qualitätsmerkmal<br />
angesehen. (Vgl. Weber, Sprache, 21<strong>–</strong>25)<br />
Papyrus ist zwar der Vorläufer des Papiers was seine Funktionalität als Schriftträger betrifft,<br />
in seiner Materialität ist das aus der in den Sumpfniederungen des Nils gedeihenden Schilfart<br />
Cyperus papyrus stammende Produkt durch die Art seiner Herstellung aber vielmehr<br />
den Rindenstoffen zugehörig. Auf die ab dem 3. Jahrhundert auf den pazifischen Inseln aus<br />
den Baumrinden produzierten Stoffe, so genannte Tapa- oder Amatlstoffe, wird in Kapitel<br />
3 „Textilhaftes Papier“ eingegangen. Die kreuzweise gelegten und gehämmerten Streifen<br />
des Schilfs geben dem Papyrus seine eindeutige Struktur. Mit hohen Zöllen belegt, wurde<br />
es in alle bekannten Länder exportiert und behielt seine vorherrschende Stellung bis ins 4.<br />
Jahrhundert n. Chr. Laut Funden in der Wüstenoase Fayum wurde in einem frühen Recyclingverfahren<br />
geschichtetes und zusammengeklebtes Papyrus für Mumiensärge verwendet.<br />
Als aber Papyrus von Pergament als Schriftträger verdrängt wurde, weil es beidseitig<br />
beschreibbar und langlebiger war, entwickelte es sich schnell zum bevorzugten Beschreibstoff<br />
der christlichen Mönche, die die heilige Schrift darauf niederlegten. (Vgl. Weber, Sprache,<br />
22 / Berger, Textilforum, 16)<br />
Zeitgleich zur Entdeckung des Papyrus st<strong>and</strong> in China die Erfindung des Papiers kurz bevor.<br />
Es wurde zum ersten Mal ein papierähnlicher Beschreibstoff aus einem Faserbrei aus<br />
Hanf, Canabis sativa und ähnlichen pflanzlichen Fasern hergestellt. Auch Seidenfäden, unter<br />
der Bezeichnung Kokonpapier1 bekannt, wurden für die ersten Papiere in China verwendet.<br />
Die eigentliche Erfindung des Papiers glückte allerdings erst, als man den Rindenbast<br />
des Papiermaulbeerbaums, Seiden- und Hanfabfälle und geringe Mengen an Lumpen und<br />
1.1 Papyrus in Ägypten<br />
1.2 Die Erfindung des<br />
Pa piers in China<br />
---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------<br />
1 „Wahrscheinlich h<strong>and</strong>elte es sich dabei um kurze, netzartige überlagerte und verfilzte Fadenschichten von Kokons.“ (Weber, Sprache, 22)
05<br />
Oben links:<br />
Abb. 02: Dünne, papyrusartig geschichtete<br />
Streifen aus gekochter<br />
und gepresster Spargelschale.<br />
Oben rechts:<br />
Abb. 03: Wässern der getrockneten<br />
Papyrusstreifen. Ägypten.<br />
Unten:<br />
Abb. 04: Papyrusernte in Ägypten.<br />
Gravur und W<strong>and</strong>malerei im<br />
Grab von König Neferirkare in<br />
Saqqara, 5. Dynastie, 25./24. Jahrhundert<br />
v. Chr.<br />
alte Fischernetzte zu einer Pulpe2 verarbeitete und daraus mit einer Bambusmatte Papier<br />
schöpfen konnte. (Vgl. Weber, Sprache, 22, 38 / Berger, Textilforum, 16)<br />
Hiermit beginnt die eigentliche Geschichte des Papiers „… im 2. Jahrhundert v. Chr. Im Jahre<br />
1957 wurde in einem Grab in der Provinz Shaanxi, China, ein Papierfragment gefunden,<br />
das die Tücken der Zeit über 2000 Jahre überst<strong>and</strong>en hat. Es wurde auf das Jahr 140 v. Chr.<br />
datiert und ist im regionalen Provinzmuseum Lanzhou, Nordwestchina, ausgestellt. Gleichaltrige<br />
Funde wurden 1997 gemacht.“ (Weber, Sprache, 22) Während das Papier also in China<br />
schon seit 105 n. Chr., als es von Ts’ai Lun verfeinert wurde, bereits unter diesem Begriff<br />
Einzug in die Geschichte gehalten hatte, schrieb man in der westliche Welt noch auf Wachstafeln.<br />
(Vgl. Weber, Sprache, 14, 22)<br />
Allerdings konnte sich das Papier in China nicht von Anfang an durchsetzen. Es wurde<br />
schrittweise eingeführt und konnte sich erst 404 n. Chr. behaupten, „… als der chinesische<br />
Kaiser Huan Xuan die Anordnung erließ, anstelle von Bambusstreifen, Holzplatten oder<br />
Seide nur noch Papier zu beschreiben. Damit reduzierte er die Möglichkeit, Dokumente<br />
durch Abschleifen oder Abkratzen der Schrift zu verfälschen, was bei Papier unmöglich ist,<br />
da die Tusche in die Fasern eindringt. Diese Eigenschaft hat neben dem hohen Preis und<br />
den Beschaffungsproblemen der <strong>and</strong>eren Rohstoffe sicher auch dazu beigetragen, dass das<br />
Papier Bambus, Holz und Seide verdrängte.“ (Weber, Sprache, 39)<br />
Im Jahre 610 n. Chr. dehnte sich das Wissen über die Herstellung von Papier in östliche<br />
Richtung nach Japan aus, wo es unter dem Begriff Washi weltberühmt wurde. Diese h<strong>and</strong>geschöpften<br />
Japanpapiere gelten bis heute als sehr kostbar und unübertrefflich in Stärke,<br />
Glanz und Langlebigkeit. (Vgl. Weber, Sprache, 14 / Leitner, Papiertextilien, 11)<br />
„Die Bezeichnung Washi setzt sich zusammen aus Wa mit der Bedeutung ‚altes Japan‘ und<br />
der Nachsilbe shi, die für ‚Papier‘ steht; Washi ist der allgemeine Begriff für alle h<strong>and</strong>geschöpften<br />
Papiere Japans, auch für jene, die mit Dekoration versehen sind. Vollkommener<br />
ist die Bezeichnung Tesuki Washi, da Tesuki ‚h<strong>and</strong>geschöpft‘ bedeutet. Washi gilt als Symbol<br />
der Reinheit und ist nicht mit dem profanen Begriff des Papiers zu vergleichen.“ (Weber,<br />
Sprache, 109) Im Gegensatz zum typisch westlichen Papier, spricht man Washi sogar bei<br />
niedrigen Grammaturen besondere Stärke, Glanz, natürliche Farbe und lange Lebensdauer<br />
zu. Am Anfang wurden die Papiere in Japan noch aus Hanffasern und Textilabfällen gefertigt,<br />
bis heute haben sich jedoch die Bastfasern von zwei Maulbeerstrauchsorten etabliert:<br />
„Kozo, Broussonetia papyrifera, Vent., und [...] Kozo/Kajinoki, Broussonetia kazinoki, Sieb.<br />
Im 9. Jahrhundert wurde die wild wachsende Pflanze Gampi, Wikstroemia sikokiana, entdeckt.<br />
Der ursprünglich beliebte Rohstoff Hanf für feinstes Papier fiel in der Heian-Periode<br />
(794<strong>–</strong>1185 n. Chr.) in Missgunst und wurde von Kozo und Gampi verdrängt. Im Jahre 1598<br />
ergänzten Mitsumata, Edgeworthia papyrifera, Sieb. und Zucc. aus der Familie Thymelaeaceae,<br />
die Rohstoffpalette.“ (Weber, Sprache, 48)<br />
Die drei Japanpapierarten Kozo, Gampi und Mitsumata weisen in Papierform sehr unterschiedliche<br />
taktile Ergebnisse auf. Im Gegensatz zu Kozo und Mitsumata, aus denen faserige,<br />
seidenmatte und weiche Papiere entstehen, gewinnt man aus Gampi glatte, glänzende,<br />
eher harte und transparente Bogen. Das aus der wild wachsenden Pflanze Gampi gewon-<br />
1.3 Washi in Japan<br />
---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------<br />
2 Zähflüssige Faserbreimasse, aus der die Papierbogen geschöpft werden (auch Suspension genannt).
07<br />
nene Papier ist noch feiner und wurde nicht vom Bücherwurm befallen, sodass es sich zum<br />
Aktenpapier Japans entwickelte. (Vgl. Weber, Sprache, 109 / Berger, Textilforum, 16) Auch<br />
Kleider aus vollflächigem Washi, bekannt unter der Bezeichnung Kamiko, oder verdrehte<br />
und gewobene Papierfäden, so genannte Shifu-Stoffe, haben Tradition und sind unter Ken-<br />
nern ein regelrechter Geheimtipp.<br />
„In der Heian-Periode war in gut vierzig Präfekturen die Papierherstellung verbreitet und im<br />
8. und 9. Jahrhundert wurde dann die typisch japanische Schöpftechnik nagashizuki mit<br />
dem lose aufgelegten Sieb und einer Hängevorrichtung entwickelt.“ (Weber, Sprache, 48)<br />
Diese Papierherstellungsmethode, mit der hauchdünne Papiere hergestellt werden können,<br />
hat sich bis heute kaum verändert. „Das Spezielle an ihr ist, dass das traditionelle japanische<br />
Schöpfsieb suketa mehrere Male in die Papiermasse eingetaucht wird. Dabei entsteht ein<br />
mehrschichtig verkreuztes, starkes Fasergebilde. Das Verfahren ist nur möglich mit dem ge-<br />
leeartigen Zusatz neri 3 , der aus der Wurzel tororo-aoi, Hibiscus manihot, Abelmoschus mani-<br />
hot oder noriutsuki gewonnen wird.“ (Weber, Sprache, 49)<br />
Zum Ursprung dieser Schöpftechnik heißt es in einer japanischen Sage: „Eine Göttin offen-<br />
barte sich an einem Flussufer in Echizen, im westlichen Teil von Honshu, als wunderschö-<br />
ne Frau. Sie legte einen Teil ihres Kimonos über Bambusstäbe und ahmte damit ein Papier-<br />
schöpfsieb nach, welches sie vor ihrem Körper trug und damit im Fluss Schöpfbewegungen<br />
ausführte. Die Dorfbewohner, die den ungewöhnlichen Vorgang beobachteten, waren er-<br />
staunt und fragten sich, was dies zu bedeuten habe. Die Göttin antwortete der Dorfbevöl-<br />
kerung: ‚Der Boden dieser Erde ist arm, und es fehlt ihm an Fruchtbarkeit, aber das Wasser<br />
aus den Bergen ist rein und klar. Deswegen will ich euch lehren, Papier zu machen, damit al-<br />
les durch dieses H<strong>and</strong>werk leben kann.‘ Die Dorfbewohner fragten, wer die Fremde sei, und<br />
erhielten die Antwort: ‚Mizuhaa-Nome-No-Mikoto, ich bin die Göttin des Wassers.‘ Sie ver-<br />
schw<strong>and</strong> und wurde nie mehr gesehen.“ (Weber, Sprache, 49)<br />
Der für die Papierherstellung verwendete Papiermaulbeerstrauch war in den Klimazonen<br />
des Mittleren Ostens nicht vorh<strong>and</strong>en und gedieh in dieser neuen Umgebung auch nicht.<br />
Stattdessen begannen diese Länder mit ihren reichen Flachs- und Baumwollernten sowie<br />
Produktionsabfällen aus der Textilindustrie und gebrauchten Textilresten, so genannten<br />
Lumpen und Hadern, zu experimentieren. Diese Zutaten waren für die Papiere aus China<br />
und Japan nur nebensächlich, doch in den islamischen Ländern wurden sie zur Hauptmasse<br />
für die Pulpe und erzielten damit in kürzester Zeit außergewöhnliche Ergebnisse. Die<br />
daraus gewonnenen Papiere waren kompakter und fester und entwickelten sich schnell zu<br />
einer wichtigen H<strong>and</strong>elsware. Im Grunde h<strong>and</strong>elte sich dabei um ein frühes Recyclingverfahren,<br />
welches später auch in Europa für die Papierherstellung eingesetzt wurde. Um mit<br />
Textilien Papier herzustellen, wurden sie anfangs von H<strong>and</strong> zerkleinert bis ein Faserbrei<br />
entst<strong>and</strong>. 1670 erleichterte die Erfindung des Holländers, eine Maschine mit rotierenden<br />
Messerwalzen, diese harte H<strong>and</strong>arbeit. (Vgl. Weber, Sprache, 14, 55 / Leitner, Papiertextilien,<br />
10 / Berger, Textilforum, 17)<br />
In Mittel- und Nordeuropa erfreute sich das Papier anfangs keiner großen Beliebtheit. Die<br />
mittelalterlichen Christen st<strong>and</strong>en einem aus dem Islam kommenden Produkt ablehnend<br />
gegenüber und waren auch nicht bereit, ihre religiösen Texte, die nach wie vor auf Perga-<br />
1.4 Der Westen<br />
Links:<br />
Abb. 05: Briefträger mit Bambusstock.<br />
Unten:<br />
Abb. 06: Mit einem Sieb aus der<br />
Pulpe Papier schöpfen.<br />
---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------<br />
3 „Generelle Bezeichnung für den zähflüssigen Zusatz beim nagashizuki-Verfahren. Das Extrakt wird je nach Gegend aus verschiedenen Wurzeln gewonnen.“ (Weber, Sprache, 205)
09<br />
ment geschrieben wurden, auf einer Unterlage niederzulegen, die aus Lumpen hergestellt<br />
wurde. Durch die Johannes Gutenberg Mitte des 15. Jahrhunderts zugeschriebene Erfin-<br />
dung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern und seiner wohl berühmtesten Arbeit, dem<br />
Druck der Bibel in einer Auflage von 150 Exemplaren auf Papier, hielt dieses als Schrift-<br />
träger schlussendlich auch erfolgreich Einzug in die westliche Welt. Somit hatte sich das<br />
Papier gegen Ende des 17. Jahrhunderts in allen europäischen Kulturkreisen durchgesetzt.<br />
(Vgl. Berger, Textilforum, 17) In Italien wird noch heute Hadernpapier von H<strong>and</strong> in kleinen<br />
Mengen für limitierte und luxuriöse Editionen geschöpft. (Vgl. Weber, Sprache, 59)<br />
Bis ins 19. Jahrhundert wurden Erdgeschosse von Papiermühlen als Lager für tonnenwei-<br />
se Lumpen und Hadern verwendet. Durch die maschinelle Fertigung von Papier konnten<br />
Massen von Faserstoff, der im Sortierraum nach Qualität getrennt sowie zerkleinert und im<br />
Kugelkocher zur weiteren Verarbeitung aufgeschlossen wurde, in sehr großen Mengen ver-<br />
arbeitet werden. Auch die nahegelegenen Textilfabriken geben großen Anlass zur Vermu-<br />
tung, dass neben Hadern und Lumpen auch Reste aus der Textilverarbeiten für die Herstel-<br />
lung von Papier verwendet wurden. (Vgl. Weber, Sprache, 62<strong>–</strong>63)<br />
Wurde bereits in einem venezianischen Dekret von 1366 festgehalten, „… ‚dass zum Wohle<br />
und Nutzen des Papiers, das sehr stark zum Wohlst<strong>and</strong> der Gemeinde beiträgt, keinesfalls<br />
Hadern aus dem Veneto an einen <strong>and</strong>eren Ort gelangen dürfen‘“ (Weber, Sprache, 79),<br />
kam aufgrund dessen der Beruf des lizensierten Lumpensammlers auf. Zu dieser Zeit zogen<br />
Sammler durch die Städte und Dörfer Europas und versuchten, im Tausch gegen Waren wie<br />
Seidenbänder und Spielzeug, kostbare Lumpen zu erhalten. Mehrere Jahrhunderte lang waren<br />
Leinen und Baumwolle die bevorzugten textilen Rohstoffe für die Papierverarbeitung.<br />
Im Jahre 1666 wurden sogar Wollhemden als Totenhemden vorgeschrieben, da die bisher<br />
aus Leinengeweben bestehenden zu kostbar waren. Doch auch diese Recyclingversuche<br />
und die Reduktion von <strong>and</strong>erwärtigem Textilverbrauch konnten die Verknappung der Rohstoffe<br />
nicht aufhalten und so fing man fieberhaft an, nach <strong>and</strong>eren Quellen zu suchen und<br />
experimentierte mit den verschiedensten pflanzlichen Fasen, wie Brennnesseln oder Stroh,<br />
die jedoch dem Qualitätsanspruch von hochwertigem Papier nicht gerecht werden konnten.<br />
(Vgl. Weber, Sprache, 15, 79 / Berger, Textilforum, 17)<br />
Vor allem durch den Erfolg des Buchdrucks kam es zu einer Rohstoffknappheit. Dies führte<br />
in weiterer Folge zu Konflikten und hohen Zollabgaben. „In Deutschl<strong>and</strong> wurde ein<br />
Schmuggelverbot für Lumpen ausgesprochen. Trotzdem schafften es gewiefte Händler, die<br />
Ware als Halbstoff4 über die Grenze nach Holl<strong>and</strong> zu schmuggeln, um ihn dort in den von<br />
Windrädern betriebenen Mühlen zu gutem Papier verarbeiten zu lassen, und dieses wieder<br />
in Deutschl<strong>and</strong> einzuführen.“ (Weber, Sprache, 79)<br />
Grabschänder sollen sogar Leichentücher für die Papierherstellung geplündert hätten. (Vgl.<br />
Weber, Sprache, 79) Auch ägyptische Fellachen und Beduinen pflegten schon um 1140 auf<br />
pharaonischen Friedhöfen Gräber zu öffnen und Leichentücher aus Leinen von Mumien zu<br />
entwenden, um sie vorerst als Kleidungstücke zu verwenden. Wenn diese nach einiger Zeit<br />
nicht mehr tragbar waren, wurden sie als Rohstoff für die Papierherstellung teuer verkauft<br />
und zu Papierpulpe weiterverarbeitet. (Vgl. Weber, Sprache, 54) „In der Mitte des 19. Jahrhunderts<br />
griff dann der Amerikaner Augustus Stanwood diese unübliche Wiederverwertungsmethode<br />
auf, indem er aus Ägypten antike Mumien einführte, um deren Leichentü-<br />
Links:<br />
Abb. 07: Eine Papiermacherin,<br />
gekleidet in gefärbtes, geprägtes<br />
und mit Gold verziertes Papier,<br />
das auch als „Kattun-Papier“ bezeichnet<br />
wird. Kupferstich um 1740.<br />
Mitte:<br />
Abb. 08: Der Papyrer. Aus: Hans<br />
Sachs, Jost Amman, Eygentliche<br />
Beschreibung aller Stände auff<br />
Erden, Frankfurt/Main 1568. Stadtarchiv<br />
Nürnberg.<br />
Rechts:<br />
Abb. 09: Lumpensammler beim<br />
Abliefern ihres Sammelgutes vor<br />
dem Keller des Lumpenhändlers.<br />
Ausschnitt aus: Die Pariser Lumpensammler.<br />
1.4.1 Wiederkehrende Rohstoffknappheit<br />
und<br />
Suche nach Ersatz-<br />
stoffen<br />
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4 „Lumpen, die zu Fasergefügen zermahlen wurden, meistens durch den Kollergang. Dieser Begriff wird auch für industriell gefertigte Zelluloseplatten verwendet.“ (Weber, Sprache, 206)
cher aus Leinen für die Papierproduktion zu verwenden. Die<br />
Hadernknappheit manifestierte sich am stärksten im 17. Jahr-<br />
hundert, und dieser Mangel beschleunigte die Suche nach Er-<br />
satzstoffen. Nach langer Forschungsarbeit gelang es, einen<br />
akzeptablen Ersatzstoff zu entwickeln.“ (Weber, Sprache, 79)<br />
Im Jahre 1719 stieß der französische Zoologe René-Antoine<br />
Réaumur auf die Technik der Wespe, die ihr Nest aus einem<br />
sehr feinem Papier fertigt, indem sie Holzsplitter zerkaut, mit<br />
ihrem Speichel angereichert leimt und mit den daraus entste-<br />
henden Schichten das Grundgerüst ihres Nestes auskleidet.<br />
Mit diesem Verhalten führte sie vor, dass es möglich war, Pa-<br />
pier aus Pflanzenfasern herzustellen. Dies gab in weiterer Fol-<br />
ge den Ausschlag, aufgeschlossene Holzfasern als Grundsub-<br />
stanz für Papier zu verwenden. (Vgl. Weber, Sprache, ebd.)<br />
„Zu dieser Zeit stellte man in Asien schon längst Papier direkt<br />
aus Pflanzenfasern her. In Europa folgten reihenweise Versu-<br />
che mit Ersatzstoffen aus Algenarten, Kenaf, Kokos, Jute, Ana-<br />
nas und Agavengewächsen wie Sisal bis hin zu Asbest. Doch<br />
erst die Versuche der Schweden Westbeck und Liungquist<br />
dürfen als wegweisende Experimente in Richtung Holzschliff 5<br />
bezeichnet werden. Die fundiertesten Ausein<strong>and</strong>ersetzungen<br />
mit der Idee Réaumurs (der Verwendung von Holzfasern)<br />
führen zum deutschen Theologen und Naturforscher Jacob<br />
Christian Schäffer, der auch als Pionier der pflanzlichen Ha-<br />
dernersatzstoffe bezeichnet wird, und zum Franzosen Léorier<br />
Delisle. In ihren Experimenten zur Zeit der Aufklärung mani-<br />
festierten sich die Einflüsse der Rohstoffverarbeitung und die<br />
Technik der Papierherstellung in den Endprodukten. Die Re-<br />
sultate ihrer Forschungsarbeit (mit Originalpapieren) finden<br />
sich zum Beispiel in Schäffers sechsbändiger Ausgabe Versuche<br />
und Muster ohne alle Lumpen oder doch mit einem geringen<br />
Zusatze derselben Papier zu machen von 1765<strong>–</strong>1771. Für<br />
Aufsehen sorgte der von Delisle 1786 veröffentlichte B<strong>and</strong> Gedichte<br />
des Marquis de Villette, das erste Buch, das auf haderfreiem<br />
Papier gedruckt wurde.“ (Weber, Sprache, 79) Mit Holz<br />
als Rohstoff erwies sich das neu gewonnene Papier jedoch als<br />
zu wenig haltbar, da ihm die Hadern fehlten.<br />
1790 erf<strong>and</strong> Nicolas-Louis Robert die Maschine zur Herstellung<br />
von Endlospapier und als Ende des 19. Jahrhunderts die<br />
erste Papiermaschine, die so genannte Fourdrinier-Langsiebmaschine<br />
in Betrieb genommen werden konnte, war der Papierrausch<br />
nicht mehr aufzuhalten. Die Papierpreise sanken erheblich<br />
und die Nachfrage wuchs gleichzeitig entsprechend<br />
an <strong>–</strong> dies führte zu einer weiteren Rohstoffknappheit. (Vgl.<br />
Weber, Sprache, 15, 77 / Leitner, Papiertextilien, 11)<br />
„Um 1860 arbeiteten in den Vereinigten Staaten rund 11 000<br />
Arbeitnehmer/innen in 550 Papierfabriken. In der Zeit best<strong>and</strong>en<br />
noch 90 Prozent des Rohstoffes aus Textilabfällen.<br />
Doch dies änderte sich 1854, als der Engländer Watt und<br />
der Amerikaner Burgess den Natronzellstoff6 entdeckten.<br />
1863 erhielt B. C. Tilghman das erste Patent zur Auflösung<br />
von Holzschnitzeln im Sulfitverfahren7 und 1884 erf<strong>and</strong> C.<br />
F. Dahl die Sulfatzellstoffherstellung.“ (Weber, Sprache, 77)<br />
1985 wurden bereits 30 Prozent des Fasermaterials aus Altpapier<br />
verwendet, die restlichen 70 Prozent best<strong>and</strong>en aus<br />
Zellstoff, der aus Holzabfällen gewonnen wird. (Vgl. Berger,<br />
Textilforum, 17)<br />
„Für textile Gewebe oder Gewirke wurden bis ins 19. Jahrhundert<br />
natürliche Fasern verarbeitet, was das Aufschließen<br />
der Textilien zu Faserzellstoff begünstigte. Erst 1884 gelang<br />
es dem Chemiker Graf Louis-Marie-Hilaire Bernigaud,<br />
Chemiefasern zu erzeugen, und 1932 stellte der Amerikaner<br />
Wallace Hume Carothers den ersten spinnbaren synthetischen<br />
Nylonfaden her. Der Siegeszug der synthetischen<br />
Chemiefasern verunmöglichte die Auflösung von Textilien<br />
für die Papierherstellung, weil sich diese in nützlicher Zeit<br />
nicht aufschließen lassen. Seither stammen die für die Papierherstellung<br />
verwendeten Textilien aus der Medizinalindustrie,<br />
zum Beispiel aus Resten der Gazeproduktion.“ (Weber,<br />
Sprache, 63) Ein bekanntes Beispiel ist Tyvek, das sich<br />
durch eine sehr textilhafte Wirkung auszeichnet und mit<br />
dem Künstler experimentieren, um sie zu Papierkleider zu<br />
machen <strong>–</strong> mehr dazu in Kapitel 4, „Mehr als Papier“.<br />
Heute werden über 3000 verschiedene Papiersorten produziert.<br />
Pro Person muss einem Verbrauch von durchschnittlich<br />
200 Kilogramm Papier8 pro Jahr nachgekommen werden.<br />
Neben seinem hohen Wert als Kulturträger steht Papier<br />
daher in unserer Konsum- und Wegwerfgesellschaft auch<br />
für Kurzlebigkeit, Flexibilität und Konsum. (Vgl. Leitner, Papiertextilien,<br />
9)<br />
Abb. 10: Sulfat-Zellstoff aus<br />
Faserholz in geöffnetem Ballen.<br />
Foto: Gert Körner. Feldmühle AG,<br />
Düsseldorf.<br />
11<br />
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5 „Faserrohstoff, der mechanisch an einer Schleifmaschine aus geschältem Holz gewonnen wird. Die Faser wird dadurch sehr kurz und eignet sich nur für kurzlebige Erzeugnisse wie<br />
Zeitungspapier. Die hohe Opazität (Undurchsichtigkeit) ist jedoch eine willkommene Eigenschaft bei Druckerzeugnissen.“ (Weber, Sprache, 207)<br />
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6 „Holzschnitzel werden durch Kochen in Natriumhydrogencarbonat (Ätznatron) aufgelöst. Die Zellulosefasern werden durch den Prozess in der alkalischen Kochlösung freigelegt.“<br />
7 „Holz wird in Form von kleinen Holzschnitzeln in chemischen Substanzen gekocht (aufgeschlossen).“ (Sprache, Weber, 206)<br />
(Sprache, Weber, 206)<br />
8 Dies entspricht ca. 5700 Päckchen Taschentüchern.
13<br />
Betrachtet man den strukturellen Aufbau von Papier und Textil, ihre Eigenschaften und ih-<br />
ren Gebrauch, findet man viele Gemeinsamkeiten. „Schon in der Definition von Papier fin-<br />
det man relativ ‚textil‘ anmutende Begriffe: ‚Papier ist ein flächiger, aus Fasern vorwiegend<br />
pflanzlicher Herkunft entstehender Werkstoff, der durch Entwässerung einer Faserstoffauf-<br />
schwemmung auf einem Sieb gebildet wird. Dabei entsteht ein Faserfilz, der anschließend<br />
verdichtet wird.‘.“ (Leitner, Papiertextilien, 11) Nicht nur einige der Rohstoffe, wie zum Bei-<br />
spiel Baumwolle, Leinen oder Viskose, werden sowohl für Papiere als auch für Textilien ver-<br />
wendet, auch das Herstellungsverfahren der beiden Werkstoffe ähnelt sich in vielerlei Hin-<br />
sicht.<br />
Durch ein Anein<strong>and</strong>erhaften der Pflanzenfasern entsteht bei den zwei Materialien der Zu-<br />
sammenhalt der Fläche, wodurch bei beiden von ‚Verfilzung‘ und ‚Faservlies‘ die Rede ist.<br />
Im Gegensatz zum Verfilzen bei textilen Flächen, wo Fasern eine Mindestlänge von 5 mm<br />
haben, in Bündeln zusammengefasst sind und ihr Zusammenhalt durch das Verhaken der<br />
schuppigen Fasern entsteht, stabilisieren beim Papier chemische Faserverbindungen die<br />
Fläche. Bei dessen Herstellung werden die Fasern gekocht und geschlagen, wodurch die so<br />
genannte Pulpe entsteht. Dabei werden die Fasern teilweise zerstört, wodurch die darin ent-<br />
haltenen Fibrillen freigelegt werden und Wassermoleküle aufnehmen können, die sie beim<br />
anschließenden Entwässern und Trocknen wieder abgeben <strong>–</strong> somit verbinden sich die Ein-<br />
zelteile enger mitein<strong>and</strong>er, was als Hydratation bezeichnet wird. Die Zellulosefasern gehen<br />
damit neue chemische Verbindungen ein <strong>–</strong> ein kompaktes Faservlies bleibt zurück. Durch<br />
die kreuzweise Lagerung der Fasern bekommt die Fläche eine relativ hohe Stabilität. Während<br />
es sich bei der Herstellung von Naturtextilien also in der Regel um mechanische Vorgänge<br />
h<strong>and</strong>elt, laufen bei der Papierherstellung chemische Prozesse ab. (Vgl. Leitner, Papiertextilien,<br />
ebd.)<br />
„Die Grenzen zwischen Textil und Papier sind fließend <strong>–</strong> vor allem dort, wo der Herstellungsprozeß<br />
und die Zusammensetzung des Rohmaterials unmittelbarer Gegenst<strong>and</strong> der Gestaltung<br />
werden.“ (NN, Textilforum, 3) Schon am Beginn der Papierherstellung, wo die ersten<br />
Papiere aus Hadern und Lumpen hergestellt wurden und spätestens heutzutage, wo erfolgreich<br />
Versuche mit Textilien aus Zellulosefäden gemacht werden, wird deutlich, wie nahe<br />
sich diese beiden Materialien sind.<br />
Als Träger von Sprüchen und Botschaften, bemalt, gestanzt, bestickt, mit Spitzen versehen<br />
oder geprägt <strong>–</strong> auch die Bearbeitungsformen der beiden Werkstoffe nähern sich immer<br />
mehr ein<strong>and</strong>er an. Und wenn sich Papier als Ersatzstoff im Textilbereich bemerkbar macht,<br />
wie im folgenden Kapitel aufgezeigt, wird die enge Verw<strong>and</strong>tschaft der beiden Materialien<br />
offensichtlich.<br />
„Obwohl das Papier eine relativ junge Erfindung ist […] eignet seiner Herstellung mittels des<br />
Schöpfsiebes ein archaischer Charakter. Seine spezifische Anmutung, seine ‚Unschuld‘, verdankt<br />
es wohl auch der Tatsache, daß es im Gegensatz zu den meisten <strong>and</strong>eren Werkstoffen<br />
<strong>–</strong> Keramik, Metall, Glas <strong>–</strong> nicht durchs Feuer gegangen ist.“ (Schmitt/Strate, Art, 10)<br />
Bei den durch H<strong>and</strong>arbeit, mit viel Erfahrung, Geschick und Liebe hergestellten Papieren<br />
aus Japan werden vor allem die Nahsinne angesprochen. „Die Qualität der verschiedenen<br />
Oben links:<br />
Abb. 11: Zerkleinerte, gereinigte<br />
Lumpen aus Baumwollgewebe. Im<br />
Holländer werden sie anschließend<br />
zu Pulpe verarbeitet.<br />
Oben rechts:<br />
Abb. 12: Zerfasern des Baumwollgewebes<br />
im Holländer.<br />
Mitte links:<br />
Abb. 13: Mitsumata-Strauch. Die<br />
innere Rindenbastschicht der<br />
Zweige dient neben Kozo- und<br />
Gampi-Fasern als Rohstoff für<br />
Washi.<br />
Mitte rechts:<br />
Abb. 14: Stellera chamaejasme.<br />
Nach dem Ablösen der Wurzelrinde<br />
wird die darunter liegende<br />
Zellulose durch Kochen und Klopfen<br />
zu Pulpe verarbeitet. Diese<br />
Pflanze wird ausschließlich im<br />
Himalaya-Gebiet als Papierrohstoff<br />
verwendet.<br />
Unten:<br />
Abb. 15: Kozo, getrockneter<br />
Maulbeerstrauchrindenbast. In<br />
der Form kann er jahrzehntelang<br />
gelagert und gut transportiert<br />
werden.<br />
2.1 Washi − Kulturgut im<br />
alten Japan
15<br />
Sorten dieses Materials läßt sich über das Auge allein nicht erfassen, ja, der visuelle Ein-<br />
druck reicht kaum aus, auch nur bis an seine Oberfläche vorzudringen.“ (Schmitt/Strate,<br />
Art, 12)<br />
„Leichtigkeit bei gleichzeitiger Strenge wird oft als Merkmal der japanischen Kultur hervor-<br />
gehoben.“ (Weber, Sprache, 169) „Die haptische und visuelle Qualität der Textur von Washi<br />
machen zudem den großen Reiz dieses Papiers aus. Unter dem Begriff ‚Textur‘ versteht man<br />
Oberflächenbeschaffenheit eines Materials, seine Faserung und Körnung, aber auch die Zu-<br />
sammenfügung und Anordnung. Die Textur bestimmt den Ausdruck eines Objekts, sie löst<br />
Empfindungen aus beim Betrachten. Mit Textur meint man die Flächenwirkung an sich, da-<br />
rin unterscheidet sie sich vom aufgesetzten Dekor.“ (Weber, Sprache, ebd.) „… ‚Struktur hat<br />
für uns eine geistig-philosophische Bedeutung. Die Struktur ist das Ganze, von oben bis<br />
unten, bis zum letzten Detail beseelt von der gleichen Idee.‘ Das texturale Gebilde vollendet<br />
‚nur‘ die äußere Gestalt.“ (Weber, Sprache, ebd.)<br />
„In der traditionellen japanischen Kultur gilt weißes Papier als rein und heilig; besonders bei<br />
der Verwendung von Papier in Tempeln und Schreinen trifft dies zu. Die weißen Gewänder<br />
der Priester, die früher auch aus momigami-Papier gefertigt wurden, stehen für diese Attribute.“<br />
(Weber, Sprache, 93) Die Herstellung von Papier wird in Japan als mystischer Prozess<br />
angesehen: Im Endprodukt steckt nicht nur das Können des Papiermachers, sondern<br />
auch seine Persönlichkeit und Spiritualität, seine Liebe zum Detail und sein Sinn für das<br />
Wesentliche.<br />
Eine Besonderheit im Japanischen, wo Dinge oft auf Einfachheit reduziert werden, aber<br />
sehr kunstvoll im Detail überraschen, ist der Glaube an die Beseeltheit aller Dinge, dem sogenannten<br />
Animismus, bei dem der Glaube an Tausende Gottheiten und deren Anwesenheit<br />
in realen Gegenständen vertreten wird. So wird der Hülle von oft sehr simplen Dingen<br />
große Wertschätzung entgegengebracht und besondere Bedeutung beigemessen. Bei Geschenken,<br />
zum Beispiel, ist die Verpackung genauso wichtig wie der Inhalt selbst und wird<br />
von der Person, die das Geschenk entgegen nimmt, analytisch interpretiert. (Vgl. Weber,<br />
Sprache, 172)<br />
In Japan galt Papier wurde „…schon immer als Spiegel der Seele. Es ist schwer herzustellen<br />
und leicht zu zerstören oder zu beschmutzen, bei richtiger Beh<strong>and</strong>lung hingegen erstaunlich<br />
langlebig. Somit besitzt es überaus ‚menschliche‘ Eigenschaften und wird zur Metapher<br />
für das Leben und den Tod. Die Farbe Weiß steht im asiatischen Kulturkreis für Reinheit<br />
und Unberührtheit, aber auch für Trauer und kosmische Einflüsse.“ (Leitner, Papiertextilien,<br />
17) Im Gegensatz zur westlichen Sichtweise, bei der das Ganze wahrgenommen, die Formen<br />
zuerst erkannt, der Aufbau geschätzt wird und man sich erst im zweiten Schritt mit dem Detail<br />
befasst, konzentriert man sich in Japan vor allem auf die einzelnen Elemente, was sich<br />
auch in der Überzeug widerspiegelt, dass sich die großen Dinge im Kleinen offenbaren. „So<br />
sind zum Beispiel die Maße der Reisstroh-Bodenmatte Grundlage für alle Proportionen des<br />
japanischen Hauses, und der Kimono ist nur aus Rechtecken mit gleichen Seitenverhältnissen<br />
aufgebaut.“ (Leitner, Papiertextilien, ebd.) „Hat eine Form ihre Vollkommenheit erreicht,<br />
wird sie immer wieder angewendet. Dies entspricht der traditionellen japanischen Lebensphilosophie.“<br />
(Weber, Sprache, 169)<br />
Kamiko sind Papierkleider, die aus vollflächigem Washi mit dem Namen momigami, koreanisch<br />
jumchi, hergestellt werden. Nach dem Verarbeitungsprozess, in dem die Japanpapiere<br />
so oft zerknüllt und wieder glatt gestrichen sowie imprägniert werden, bis eine geschmeidige<br />
Fläche entsteht, fühlen sich die Papiere schon sehr textilhaft an. Diese Nähe des Papiers<br />
zum Textil findet man auch bei den Tapa-Stoffen der pazifischen Inseln und Südamerikas,<br />
die in diesem Kapitel an späterer Stelle vorgestellt werden. Im Gegensatz zu diesen wird bei<br />
der Herstellung von momigami „… lediglich die Flächenbildung <strong>–</strong> nämlich mit suspendiertem<br />
Faserstoff <strong>–</strong> unterschiedlich vollzogen. Die Feinheit der nach diesem Prinzip entst<strong>and</strong>enen<br />
Fläche erlaubt vielseitigere Schnitte und differenziertere Verarbeitungsvarianten, als<br />
dies mit Tapa möglich ist.“ (Weber, Sprache, 159)<br />
Der Begriff Kamiko setzt sich zusammen aus kami, Papier und koromo, zerknüllt. Übersetzt<br />
heißt dies Papierhemd. Der Legende nach war der Erfinder des Kamiko ein Mönch, der sich<br />
im 8. Jahrhundert n. Chr. aus den Seiten alter Sutras, den heiligen Schriften Buddhas, ein<br />
provisorisches Hemd fertigte als er Gäste erwartete und keine saubere Kleidung mehr hatte.<br />
Mit dieser tief religiösen Geste schien er die heiligen Schriften durch das hautnahe Tragen<br />
regelrecht verinnerlichen zu wollen, was die Verbreitung dieser beinahe rituellen Form der<br />
Körperumhüllen in den Mönchsgemeinschaften und unter <strong>and</strong>eren Bevölkerungsgruppen<br />
zur Folge hatte. (Vgl. Weber, Sprache, 159 / Leitner, Papiertextilien, 18)<br />
Ursprung<br />
„Tatsache ist, dass das Papierkleid in Japan eine über 1000 Jahre alte Geschichte hat und im<br />
Laufe der Zeit in unterschiedlichsten gesellschaftlichen Schichten getragen wurde.“ (Leitner,<br />
Papiertextilien, ebd.) „Die in der Abgeschiedenheit lebenden Eremiten fertigten ihre<br />
Gewänder seit der Ta-Li-Periode (766<strong>–</strong>779) der Tang-Dynastie (618<strong>–</strong>907) aus Papier, denn<br />
um der buddhistischen Lehre nachzukommen, war es untersagt, solche aus Seidengewebe<br />
zu tragen. Seide widersprach dem Begriff des asketischen Lebens, einerseits weil bei<br />
der Verarbeitung Raupen getötet wurden, <strong>and</strong>ererseits weil Seidenstoffe Luxus bedeuteten.<br />
Der Schriftsteller Su I-Chien (935<strong>–</strong>996) berichtete, dass viele buddhistische und taoistische<br />
Mönche, die in den Bergen lebten, Papierkleider trugen. Auch Gedichte aus den beiden<br />
Song-Dynastien (960<strong>–</strong>1278) illustrierten, dass Papierkleider in allen Jahreszeiten auch von<br />
2.1.1 Kamiko − Die Körperhülle<br />
aus Papier<br />
Abb. 16: Mönche fertigen momigami<br />
für die Herstellung von<br />
Kamikos. Holzschnitt von Seki<br />
Yoshikuni, Japan, 1754 n. Chr.
17<br />
den armen Leuten getragen wurden. Die imprägnierten momigami-Kleider boten angeblich<br />
Schutz vor Kälte und Nässe, sie gaben recht warm, waren aber trotzdem ungesund, weil sie<br />
wegen der Imprägnierung kaum Luftzirkulation zuließen.“ (Weber, Sprache, 159f)<br />
„In der Heian-Zeit (794<strong>–</strong>1185 n. Chr.) herrschten sehr schwierige soziale Verhältnisse, und<br />
den Bauern fehlten für die Herstellung ihrer Textilien immer wieder Rohstoffe. Papier stell-<br />
ten sie in den Wintermonaten selber her, deshalb wurde dieses Material für viele Belange<br />
eingesetzt. Es wird berichtet, dass L<strong>and</strong>arbeiter geölte und gebeizte Papiere verwendeten,<br />
um die Pflanzen auf dem Feld vor dem Frost zu schützen. Ein Bauer soll einmal bei der Feld-<br />
arbeit vom Regen überrascht worden sein, sich zum eigenen Schutz diese Planen überge-<br />
zogen und später die Kleiderherstellung aus Kamiko initiiert haben. Die Bauern gehörten<br />
sicher zu den Ersten, die sich aus der Not heraus die Vorzüge des imprägnierten Papierklei-<br />
des zu Nutze machten.“ (Leitner, Papiertextilien, 19) Aber auch bei <strong>and</strong>eren Bevölkerungs-<br />
gruppen nahm Papier als Bekleidungsstück Einzug. „Die buddhistischen Mönche stellten<br />
ihre Kamiko in einem fast meditativen Prozess selbst her und sahen darin ein Symbol für<br />
ihre religiösen Überzeugungen. Da die Papierkleider nach mehrmaligem Tragen einfach<br />
zerfielen, galten sie als Metapher für die Vergänglichkeit des Lebens und die Zyklen der Natur.<br />
Außerdem wirkten die zerknitterten Kamiko immer zeitlos und bereits gebraucht, man<br />
konnte sich in sie gehüllt nicht von <strong>and</strong>eren abheben oder damit prahlen, sondern machte<br />
eher eine unvorteilhafte Figur. Kamiko verkörperte somit auf geniale Weise die buddhistischen<br />
Ideale von Schlichtheit und Reduktion.“ (Leitner, Papiertextilien, ebd.) „Wer sich in<br />
Papier hüllte, erzeugte beim Gehen Raschelgeräusche, sah eher plump und unbeholfen aus<br />
und bekundete damit, sich selbst nicht ganz so ernst zu nehmen und über die Absurdität<br />
des Lebens lachen zu können.“ (Leitner, Papiertextilien, 19<strong>–</strong>21) Dichter verwendeten ihre Kamiko<br />
als provisorische Schreibunterlage, um ihre spontanen literarischen Ergüsse am eigenen<br />
Leib festzuhalten <strong>–</strong> so galten die papierenen Kleider als Metapher für materielle Armut<br />
und geistigen Reichtum. (Vgl. Leitner, Papiertextilien, ebd.)<br />
Der ursprüngliche Kamiko, der sehr dünn und leicht war, wurde vorwiegend für sommerliche<br />
Bekleidung verwendet. Bei den minderprivilegierten Schichten, die sich nichts <strong>and</strong>eres<br />
leisten konnten, verursachte diese minimalistische Kleidung für die damalige Zeit tödliche<br />
Krankheiten. „So findet sich im Teil ‚Papier‘ des Werkes Wen fang si pu (‚Studien über die<br />
vier Dinge zum Schreiben in einer Gelehrtenstube‘), das 986 n. Chr. verfasst wurde, folgendes<br />
Zitat, das ebenfalls die frühe Existenz der Papierkleider belegt: ‚Nun gehen diejenigen<br />
mit dieser leichten Kleidung nicht hinaus. In zehn Jahren ist ihr Gesicht gelb. Sie haben die<br />
Begierde der Gedanken abgelegt. Der Wind von draußen dringt nicht ein und die Luft von<br />
draußen nicht hinaus.‘.“ (Weber, Sprache, 160) Eine <strong>and</strong>ere Stelle im gleichen Dokument<br />
enthält „... Angaben zum Herstellungsverfahren von Papierkleidern, die deutlich machen,<br />
dass der Begriff ‚Papier‘ auch missverständlich oder irreführend verwendet wurde. ‚Je hundert<br />
Breiten kocht man mit einem Liang (ca. 37 g) Walnuss- und Weihrauchbaum. Man lässt<br />
es ein bisschen dämpfen, indem das Papier mit dem Walnuss-Weihrauch-Wasser getränkt<br />
wird. Unter Hitze lässt man es im Schatten trocknen. Man rollt es auf einen Pfeilschaft, wobei<br />
man gerunzelte Stellen belässt.‘ Diese Darstellung des Verfahrens entspricht vermutlich<br />
der Herstellung von Tapa, bei dem mehrere leicht überlagerte Rindenbaststreifen zu großen<br />
Flächen geklopft werden, und es scheint, dass es sich bei diesen frühen Papiergewändern<br />
eher um Tapa als um Papier geh<strong>and</strong>elt hat. Eine <strong>and</strong>ere Interpretation könnte allerdings<br />
Oben links:<br />
Abb. 17: Beutel aus geöltem jumchi.<br />
Südkorea.<br />
Oben rechts:<br />
Abb. 18: Momigami-Kimono. Hanji<br />
Costume-Play Fashion Show,<br />
Jeonju, Südkorea, Mai 2004.<br />
Unten:<br />
Abb. 19: Geprägte und bemalte<br />
Kamiko-Taschen und -Papiere aus<br />
der Werkstatt von Mashiko und<br />
Tadao Endo, einem berühmten japanischen<br />
Papierschöpferehepaar,<br />
das Kamiko und Shifu herstellte.
19<br />
ergeben, dass hundert Papierbogen gewässert, imprägniert und um Stäbe gewickelt wur-<br />
den. Zur Erlangung der typischen momigami-Struktur wurde anschließend das noch feuch-<br />
te Papier von beiden Seiten her zusammengestoßen und in dieser Form getrocknet.“ (We-<br />
ber, Sprache, ebd.)<br />
Verbreitung<br />
„In Japan entst<strong>and</strong>en vermutlich die ersten Papierkleider in der Muromachi-Periode (1336<strong>–</strong><br />
1573), und ab Mitte der Edo-Periode (1615<strong>–</strong>1868), der Hochblüte der Papierherstellung in Ja-<br />
pan, wurden sie von allen Gesellschaftsschichten vom Norden der Inselgruppe bis in den<br />
Süden als Unterbekleidung oder als Kimono-Jacke haori getragen. Alltags-Kamiko beka-<br />
men zur besseren Wind-, Wasser- und Hitzeresistenz eine Beh<strong>and</strong>lung mit dem Persimo-<br />
nensaft shibu, der eine gelbe bis dunkelbraune Färbung hinterließ; diese war abhängig von<br />
der Intensität des Extraktes und der Anzahl [sic] Beh<strong>and</strong>lungen.“ (Weber, Sprache, ebd.)<br />
Kamiko wurden zum Statussymbol der wohlhabenden Leute. Adelige ließen sich die Pa-<br />
pierkleider in speziellen Werkstätten anfertigen, allerdings war bald kaum mehr etwas von<br />
ihrem schlichten, ursprünglichen Charakter zu erkennen. Die Kleider wurden mit kompli-<br />
zierten Verfahren gefärbt, mit großartigen Mustern für spezielle Feste und Rituale aufwän-<br />
dig bestickt, bedruckt, bemalt, geprägt, mit feinsten Seidenstoffen oder wattierten, wärmen-<br />
den Einlagen gefüttert und sogar mit Goldblatt laminiert. In weiterer Folge wurden daraus<br />
hochwertige Accessoires wie H<strong>and</strong>schuhe, Taschen oder Kopfbedeckungen gefertigt, aber<br />
auch Jacken und Mäntel waren besonders auf Reisen wegen ihrer Leichtigkeit und Wasser-<br />
resistenz sehr beliebt. In der Mitte des 19. Jahrhundert verschw<strong>and</strong> diese Modeform aller-<br />
dings wieder aus den Adelskreisen. Bauern und Mönche stellten weiterhin Kamiko her und<br />
hielten damit diese Tradition weiterhin am Leben. (Vgl. Weber, Sprache, 160 / Leitner, Pa-<br />
piertextilien, 21)<br />
„Die Leichtigkeit des Maulbeerstrauchpapiers führte zur Nutzung des momigamis für Rüs-<br />
tungs- oder Kriegsgewänder. Auch Papierflächen zur Bedeckung von Waffen und <strong>and</strong>eren<br />
Kriegswerkzeugen gehörten zur Ausrüstung der Armee. Vor allem Marinesoldaten oder In-<br />
fanteristen, die zu Fuß unterwegs waren, wussten dieses leichte Material zu schätzen. Die<br />
erste Anwendung in China geht zurück auf die späte Tang-Dynastie (618<strong>–</strong>907) unter dem<br />
Gouverneur Hsü Shang (847<strong>–</strong>894), der eine Armee stets in Bereitschaft hielt. Diese war aus-<br />
gerüstet mit mehrlagigen Papierrüstungen, die auch von starken Pfeilen nicht durchbohrt<br />
werden konnten. Ein Oberhaupt der königlichen Armee der Song-Dynastie (960<strong>–</strong>1278) be-<br />
richtet von gelben Rüstungsgewändern der Verteidiger. Möglicherweise waren diese mit<br />
dem imprägnierenden shibu beh<strong>and</strong>elt worden.“ (Weber, Sprache, 160)<br />
Durch die Industrialisierung in Japan kam die Produktion der Kamiko beinahe gänzlich<br />
zum Stillst<strong>and</strong>. „Als Relikt des Mythos, von dem Kamiko in seiner Geschichte immer um-<br />
geben war, hat sich aber in einer Mönchsgemeinschaft bis heute die über 1000 Jahre alte<br />
Tradition erhalten: Im Todaiji-Tempel in Nara fertigen junge Priester nach wie vor während<br />
eines zweiwöchigen Meditationszyklus ihre eigenen Chorhemden aus h<strong>and</strong>geschöpftem,<br />
weißem Papier an. Lediglich mit dieser Hülle bekleidet, ziehen sie sich anschließend zum<br />
Zweck der inneren Reinigung für zwei Monate in die Natur zurück. Dies geschieht zwischen<br />
Januar und März, den kältesten Monaten in Japan. In der letzten Nacht kehren die Mönche<br />
zu einem großen Fest wieder in ihren Tempel zurück, wo eine Zeremonie die Meditations-<br />
phase beschließt. Es werden Fackeln für die Ahnen entzündet und ein riesiges Bon-Feuer<br />
wird entfacht, in dem die Papierkleider verbrannt werden. Sie sind an den Knien bereits auf-<br />
gescheuert und von Wind und Wetter zerschlissen. Mit dieser Geste verabschieden sich die<br />
Mönche von all dem, was sie während der inneren Einkehr als änderungswürdig erkannten<br />
und nur ihrem Kamiko anvertrauen konnten. So beginnen sie, von der Kraft des Feuers ge-<br />
reinigt, das neue Jahr.“ (Leitner, Papiertextilien, 21)<br />
Herstellungsverfahren<br />
Bei Kamiko h<strong>and</strong>elt es sich um Kleidung aus Papier, das auf eine spezielle Art beh<strong>and</strong>elt<br />
wird, um eine textilhafte Optik und Haptik zu erzielen. Für diese besondere Bekleidungs-<br />
form wird sehr dickes Washi aus dem Maulbeerstrauchpapier Kozo hergestellt. Man imprä-<br />
gniert diese Papiere mit der farblosen Stärke konnyaku, die aus der Maniokwurzel extra-<br />
hiert wird. Ihre ganz spezielle Wirkung erhält man, indem man sie immer wieder knittert,<br />
wodurch auch der Name momigami, übersetzt Knitterpapier, zust<strong>and</strong>e kam. Um einen sehr<br />
weichen, sogar textilhaften Charakter zu erzeugen, werden zwei Knittersysteme angewen-<br />
det: Entweder werden die feuchten Papiere um einen Stab gewickelt oder die Ecken der ge-<br />
tränkten Papierbogen zur Mitte gefaltet, um die Fläche vorsichtig zu einer Kugel zu formen,<br />
das Papier zu zerknüllen, wieder aufzufalten, zu glätten und immer wieder zu imprägnie-<br />
ren. Dieser Vorgang wird so oft wiederholt, bis das Papier weich und geschmeidig ist und<br />
es deutlich an Elastizität gewonnen hat <strong>–</strong> ein textilanmutendes Produkt ist entst<strong>and</strong>en. (Vgl.<br />
Weber, Sprache, 161 / Leitner, Papiertextilien, 19)<br />
„Die Verletzbarkeit oder Rissgefahr reduziert sich durch den Reliefcharakter des Papiers,<br />
dessen Gesamtfläche im Endprodukt kleiner ist als der vormals glatte Papierbogen.“ (We-<br />
ber, Sprache, ebd.) „Das sehr widerst<strong>and</strong>sfähige, flexible momi-gami ist resistent gegen Was-<br />
ser, Wind und Hitze […]. Je nach verwendetem Pflanzenextrakt, das zum Imprägnieren ver-<br />
wendet wird, ändert sich der Farbton des Papiers, und so haben sich im Laufe der Zeit zwei<br />
unterschiedliche Arten von Kamiko-Stoffen entwickelt: Unterprivilegierte Leute trugen<br />
eher Papierkleider, die mit einem aus Ebenholzgewächsen gewonnenen Gerbstoff einge-<br />
strichen waren. Es h<strong>and</strong>elt sich dabei um einen Persimonsaft, der shibu beziehungsweise<br />
kakishibu genannt wird und das Papier ockergelb bis rostbraun einfärbt. Kamiko-Stoffe, die<br />
weiß bleiben sollten, wurden mit dem Stärkesaft konnya-<br />
ku eingestrichen. Dieser wird aus Amorphophallus konjac,<br />
einem Knollengewächse gewonnen. w macht das Papier<br />
besonders langlebig, ohne dabei seinen natürlichen Farb-<br />
ton zu verändern. Diese weißen Kamiko waren Mönchen<br />
und später auch Adeligen vorbehalten.“ (Leitner, Papier-<br />
textilien, 19)<br />
Für die Herstellung von Kleidung werden die einzelnen<br />
Papierbogen nach dem Knittern und Imprägnieren mit<br />
pflanzlichen Pasten zu langen Bahnen zusammengeklebt<br />
und aufgerollt. Als Stoffballen werden sie dann im H<strong>and</strong>el<br />
Abb. 20: Gefärbtes und für den<br />
H<strong>and</strong>el zusammengeknülltes<br />
momigami.
21<br />
vertrieben und durch Nähen können die textilhaften Flächen problemlos mitein<strong>and</strong>er ver-<br />
bunden werden, allerdings muss darauf geachtet werden, dass die Stichlänge nicht zu kurz<br />
ist, denn zu enge Stiche würden das Papier zu sehr perforieren und es könnte an der Naht<br />
leicht reißen. Kamiko hielten durch ihre isolierenden Eigenschaften warm, konnten aber<br />
nicht gewaschen werden, was ihnen einen provisorischen Charakter verlieh und ihre Mys-<br />
tik unterstrich. (Vgl. Weber, Sprache, 161 / Leitner, Papiertextilien, ebd.)<br />
„Die ersten schriftlichen Belege für jumchi in Korea stammen aus der frühen Choson-Dynas-<br />
tie (1392<strong>–</strong>1910) Die Herstellung von jumchi erfolgt immer aus drei bis fünf Lagen hanji, Pa-<br />
pier, das aus Maulbeerstrauchfasern, koreanisch tak, geschöpft wird. Die einzelnen gleich-<br />
formatigen Bogen werden in destilliertes Wasser gelegt und eingeweicht. Danach stapelt<br />
man sie lagenweise, drückt sie anein<strong>and</strong>er und presst sie schließlich so fest, dass sich zwi-<br />
schen den einzelnen Papierbogen keine Luftblasen bilden können. Die weitere Verarbei-<br />
tung erfolgt wie bei momigami. Zur Verstärkung und Imprägnierung wird jumchi entspre-<br />
chend der späteren Verwendung mit Perillaöl sowie mit Walnuss- oder Erdnussöl beh<strong>and</strong>elt.<br />
Das Material muss anschließend gut gelüftet werden, damit es den strengen Geruch verliert.<br />
Durch die Beh<strong>and</strong>lung wirkt jumchi lederartig und es wird für Beutel, Taschen, Nackenkissen<br />
sowie für den koreanischen Kimono hampo, aber auch für Truhen und Schränke verwendet.“<br />
(Weber, Sprache, 161)<br />
„In den letzten Jahren haben maschinell geknüllte Papiere in Form von Geschenkpapieren<br />
vermehrt in den Papierabteilungen unserer Kaufhäuser Einzug gehalten. Eine alte Tradition<br />
wird aufgefrischt. Auch <strong>Design</strong>er/innen und Künstler/innen kreieren ihr individuelles momigami,<br />
um es in verschiedensten Produkten anzuwenden.“ (Weber, Sprache, 162)<br />
Anwendungen im Alltag<br />
Das ist aber noch nicht alles. In Japan f<strong>and</strong> Papier auch in den verschiedensten Bereichen<br />
der Alltagskultur Anwendung. „Während man im Westen das Material bis ins 20. Jahrhundert<br />
fast ausschließlich als Trägerstoff für Schrift und Bildgestaltung verst<strong>and</strong>, galt es in Japan<br />
seit jeher als eigenständiges Ausdrucksmittel.“ (Leitner, Papiertextilien, 17) „Neben den<br />
vielen religiösen und rituellen Verwendungszwecken benutzte man es auch zur Herstellung<br />
von Laternen, Schirmen, Fächern, Drachen, Spielzeug, Masken und Verpackungen. Im traditionellen<br />
japanischen Haus ist Papier zu einer unerlässlichen Bausubstanz geworden. Die<br />
berühmten Papierfenster (shoji) und Schiebetüren (fusuma) tragen durch ihre Aufgeschlossenheit<br />
gegenüber der Natur und dem speziellen Licht, das sie verbreiten, wesentlich zum<br />
einzigartigen Charakter der japanischen Architektur bei.“ (Leitner, Papiertextilien, ebd.) Sie<br />
„… haben in Japan, dem L<strong>and</strong> mit einer ganzjährigen hohen Luftfeuchtigkeit, eine sehr angenehme<br />
Wirkung. Die durch Washi unterstützte Ventilation verbreitet Wohlbefinden in<br />
den Lebensräumen.“ (Weber, Sprache, 169) Ein weiteres Beispiel sind „Kasas, Papierschirme<br />
aus Papiersegmenten, die über Bambusskelette gespannt werden. Sie vereinen Klarheit und<br />
Einfachheit in höchster Form.“ (Weber, Sprache, 16)<br />
Auch in Korea wird Papier „… nicht nur für Kalligrafie, Malerei- und Druckerzeugnisse, sondern<br />
seit der Silla-Dynastie (668<strong>–</strong>935) auch für Schirme, Schuhe, Laternen und weitere Alltagsprodukte<br />
eingesetzt, und dies zum Teil bis heute. In langen, kalten Winternächten dien-<br />
te es als Glasersatz bei Schiebetüren und Fenstern und schützte vor Einblicke und Kälte.“<br />
(Weber, Sprache, 46) „Neben Fußböden wurden auch Zelte aus Papier errichtet, die jeder<br />
Witterung trotzten. Speziell beh<strong>and</strong>elte Papiere teng phi chih erhielten lederartige Eigenschaften,<br />
weshalb aus ihnen Regenmäntel und Schutzkleider für die Armee geschneidert<br />
wurden. Letztere waren nicht nur Wasser abstoßend, durch ihre Festigkeit sollten sie auch<br />
Schutz vor Waffen gewähren. Doch dem ist nicht genug: Geschichtete und verklebte Papierlagen<br />
dienten den M<strong>and</strong>schu sogar als Leichentücher.“ (Weber, Sprache, 46) „Wie das Papier<br />
wurde auch das Verfahren des Papiermachés in China erfunden, und zwar schon gegen<br />
Ende des 2. Jahrhunderts n. Chr. Die ersten Applikationen waren Helme aus gepresstem Papier<br />
und Gipsplatten, die für das Heer produziert wurden.“ (Weber, Sprache, 171)<br />
„Papier und Licht ergänzen sich sehr schön bei feierlichen Ritualen, zum Beispiel am 14.<br />
Mai, wenn zu Ehren von Buddhas Geburtstag Tausende von Laternen die Straßen Seouls<br />
schmücken. Gestalterische Entwicklungen wie Buntpapier, Papiermaché oder Papiergarn<br />
verhalfen dem koreanischen Papier, seinen guten Ruf zu begründen und zu erhalten.“ (Weber,<br />
Sprache, 46) „Ab dem 9. Jh. wurden Papiere verschiedener Qualitäten hergestellt, einige<br />
‚so stark wie Leinw<strong>and</strong>‘. Dieses Papier wurde im Häuserbau verwendet, vornehmlich im<br />
Innenausbau für Fenster und verschiebbare Wände.“ (Berger, Textilforum, 16)<br />
„Alte Traditionen wie auch kurzlebige Modeerscheinung erleben immer wieder eine Renaissance.<br />
Was ursprünglich vor dem Hintergrund einer asketischen Lebenshaltung oder aus<br />
wirtschaftlicher Not entwickelt wurde, findet im 21. Jahrhundert zum Modetrend auf den<br />
Laufstegen zurück.“ (Weber, Sprache, 159) „Auch das Papiergarn Shifu gehört in diese Kategorie;<br />
es entst<strong>and</strong> aus dem Gedanken der Wiederverwertung alter Textbücher. Früher verwendete<br />
man die aus Papiergarn gewobenen Shifu-Stoffe für profane Alltagsgegenstände,<br />
heute werden aus ihnen auch außerhalb des asiatischen Raums einfache, schlichte <strong>Design</strong>artikel<br />
hergestellt.“ (Weber, Sprache, 16f)<br />
„Mit Shifu umgeben wir den Körper mit einer natürlichen Hülle. Die ursprüngliche Haut des<br />
Strauches wird zur zweiten Haut des Menschen.“ (Weber, Sprache, 163) Shifu sind mit einer<br />
speziellen Technik geschnittene und zu Garnen verdrehte, textilhafte Papiergewebe aus<br />
geschöpften Kozo-Maulbeerstrauchfasern. Wie der vorhin beschriebene Kamiko, hat auch<br />
Shifu seinen Ursprung in dem papieraffinen Japan. Für die Shifu-Herstellung wird das geknüllte<br />
und imprägnierte Washi aus einem Papierbogen zu einem langen Streifen geschnitten.<br />
Im Gegensatz dazu wird das Papier bei Kamiko flächig verwendet. Übersetzt ist shi das<br />
japanische Wort für Papier und fu heißt Gewebe. Ist das Washi in Streifen geschnitten, wird<br />
es zu Fäden verdreht und zu Flächen gewoben, wodurch die für diese Stoffe charakteristische<br />
und unverkennbare Noppenstruktur entsteht. Wie Kamiko wird auch Shifu zur Imprägnierung<br />
mit konnyaku beh<strong>and</strong>elt, wodurch die entst<strong>and</strong>enen Gewebe sogar waschbar<br />
sind. Die verschiedenen Gewebebindungen, die im folgenden Kapitel vorgestellt werden,<br />
erzeugen unterschiedliche Resultate im fertigen Stoff und machen Shifu aufgrund seiner<br />
Luftdurchlässigkeit besonders im Sommer beliebt, während Kamiko wärmende Attribute<br />
zugesprochen werden und sich diese deshalb für die kühleren Temperaturen besser eignen.<br />
Beide Papiertextilien dienten letztlich auch als Ersatz für Seiden-, Leinen- oder Baumwolltextilien.<br />
(Vgl. Weber, Sprache, 163f)<br />
2.1.2 Shifu-Stoffe − Kleidung<br />
aus Papiergarnen
23<br />
Rechts:<br />
Abb. 21: Shifu-Garn und -Stoff mit<br />
der charakteristischen Noppenstruktur.<br />
Unten:<br />
Abb. 22: Grob gewebter Arbeitsmantel<br />
eines Bauern aus verarbeiteten<br />
Rechnungsbüchern<br />
und geknüpftes Unterhemd eines<br />
Samurai-Kriegers aus feinstem<br />
Shifu.<br />
Ursprung<br />
Wie so oft bei geschichtlichen Ereignissen, gibt es auch über den Ursprung von Shifu eine<br />
Legende. Laut dieser soll „… ein Spion, der für die Überbringung einer äußerst wichtigen<br />
Botschaft feindliche Gebiete durchqueren musste, der Vater des Shifu sein. Die Nachricht<br />
war auf Washi […] geschrieben und streng geheim. Es hätte den Spion das Leben gekostet,<br />
wäre sie den Feinden in die Hände gefallen. Er hatte eine raffinierte Idee, um sie unerkannt<br />
durch die gegnerischen Lager zu transportieren: Er schnitt das Papier in Schriftzeilenbreite<br />
in Streifen, verdrehte diese zu einem Faden und webte daraus seine Kleider, mit denen er unerkannt<br />
das feindliche Gebiet durchqueren konnte. Bei seinem Auftraggeber angekommen,<br />
zerlegte er das Gewebe wieder in seine Einzelteile, drehte die Fäden auf und erhielt so einen<br />
endlosen Streifen, auf dem die unversehrte Nachricht zu lesen war. Der Herrscher war von<br />
der Spitzfindigkeit seines Untertanen so fasziniert, dass er fortan die Herstellung dieser Papiertextilien<br />
förderte und sie Shifu (Papiertuch) nannte.“ (Leitner, Papiertextilien, 23)<br />
„Zu Beginn des 17. Jahrhunderts wird Shifu erstmals erwähnt. Kojuro Katakura, der Fürst<br />
von Shiroishi, soll der kaiserlichen Familie in Kyoto während eines Besuchs ein Shifu-Gewebe<br />
überbracht haben.“ (Weber, Sprache, 164) Die Wurzeln der Shifu-Herstellung liegen wohl<br />
aber bei den Bauern, die, wie schon vorher erwähnt, in den Wintermonaten Papier schöpften,<br />
um daraus ihre eigene Kleidung herzustellen. Neben Kamiko entst<strong>and</strong>en dabei also<br />
auch Shifu-Stoffe. „In Zusammenarbeit mit Webern des Dorfes entwickelten sie Techniken<br />
zur Herstellung von Papierfäden, die anschließend verwoben wurden. Die daraus genähten<br />
Kleider fühlten sich rau an, waren aber sehr dauerhaft und gut waschbar. Sie gehörten zu<br />
den beliebtesten Sommerkleidern der armen Leute. Mit den Jahren wurde die Technik verfeinert<br />
und die Gewebestücke wurden sorgfältig gefärbt. Kostbar und elegant wie sie nun<br />
waren, wurden sie bald den Seidengeweben gleichgestellt und am Hofe getragen. Zu diesen<br />
edlen Gewändern gehört auch das kamishimo, das Zeremoniegew<strong>and</strong> der Samurais, der Angehörigen<br />
der japanischen Kriegerkaste.“ (Weber, Sprache, ebd.)<br />
Verbreitung<br />
Abgesehen von der zeitaufwändigen Herstellung der Shifu-Stoffe, war auch der Rohstoff Papier<br />
selbst ein wertvolles Gut für die verarmten Bevölkerungsschichten. Auf der Suche nach<br />
Altpapier stieß man auf alte Konto- und Rechnungsbücher, so genannte fukocho, die zum<br />
Ausgangsmaterial für Shifu wurden. Diese Notlösung stellte sich bald als sehr vorteilhaft<br />
heraus: „Da für diese wichtigen Dokumente immer nur hochwertige, insektenresistente Papiere<br />
verwendet werden durften, um eine lange Haltbarkeit zu garantieren, und weil sich die<br />
Materialqualität durch die lange Lagerung noch zusätzlich verbesserte, hatten die Seiten<br />
aus den fukocho die idealen Eigenschaften zum Verweben.“ (Leitner, Papiertextilien, 23)<br />
„Die Tintenschrift der ursprünglichen Seiten ist im verdrehten Faden noch teilweise sichtbar,<br />
deshalb weisen diese Stoffe eine interessante Sprenkelstruktur auf. Ihr besonderer Reiz<br />
liegt im Geheimnis des Textes, der zwar irgendwie präsent ist, dessen Inhalt man aber nicht<br />
mehr entziffern kann.“ (Leitner, Papiertextilien, 24) Im japanischen Bewusstsein wurde<br />
Shifu daher „… über lange Zeit als Träger tieferer Botschaften verst<strong>and</strong>en.“ (Leitner, Papiertextilien,<br />
23)
25<br />
„Da die Herstellung sehr aufwändig war und es meist an Zeit mangelte, waren diese Gewebe<br />
eher grob, die geschnittene Streifenbreite lag zwischen einem und vier Zentimetern. Haupt-<br />
sächlich entst<strong>and</strong>en daraus Arbeitskleider, Unterwäsche oder Textilien für den Wohnraum.“<br />
(Leitner, Papiertextilien, 24) „Gegen Ende der Edo-Periode verwebten die Samurai Streifen,<br />
die meist nicht breiter als zwei Millimeter waren. Aus einem Blatt Papier im Format von 38<br />
mal 53 cm wurden Garne von über 100 m Länge gewonnen. Wenn man diese feinen Ge-<br />
spinnste verwebte, entst<strong>and</strong>en völlig neue Stoffqualitäten, deren Glanz und Geschmeidig-<br />
keit den Körper auf eine noble Art verhüllten und nur mit edelster Seide vergleichbar wa-<br />
ren. Weil die Herstellung eines einzigen Shifu-Kimonos mehrere Monate dauerte, waren<br />
die Kleidungsstücke extrem kostbar und st<strong>and</strong>en für schlichten, prunklosen Luxus.“ (Leit-<br />
ner, Papiertextilien, ebd.) „Es hieß, man umhülle sich mit einem guten, göttlichen Geist, der<br />
über die Kleidung Einfluss auf das Innere des Trägers nehmen würde. Die feinen Shifu-Ge-<br />
wänder wurden deshalb fast ausschließlich für zeremonielle Zwecke verwendet.“ (Leitner,<br />
Papiertextilien, ebd.) „Außerdem wird berichtet, dass die Samurai für die wenigen kriegeri-<br />
schen Ausein<strong>and</strong>ersetzungen der Edo-Zeit ihre Uniformen aus Shifu genäht haben sollen.<br />
Darin seien erstaunliche Erfolge zu verbuchen gewesen, was auf die schützenden Kräfte des<br />
Materials zurückgeführt wurde. Es hieß, die Schwerter der Gegner wären beim Attackie-<br />
ren durch die Reibung mit dem Papier so schnell stumpf geworden, dass man darin jede<br />
Schlacht zu gewinnen vermochte.“ (Leitner, Papiertextilien, 25)<br />
„Um 1700 kamen Kleider aus feinsten Papiergeweben auch in Adelskreisen in Mode, für etwa<br />
dreißig Jahre verdrängten sie sogar Seide als beliebtestes und teuerstes Material. ‚Wenn ei-<br />
ner genug Seide getragen hat, wechselt er auf Papier‘, hieß eine japanische Redewendung<br />
dieser Zeit.“ (Leitner, Papiertextilien, ebd.) „Binnen kurzer Zeit<br />
wurden die Shifu-Stoffe der Adeligen so wie die Kamiko auf-<br />
wändig verziert, gefüttert, bestickt oder mit Schablonen be-<br />
malt.“ (Leitner, Papiertextilien, ebd.) Die Papierfäden wurden<br />
„… wie Seide beh<strong>and</strong>elt, mit denselben Färbemethoden gefärbt<br />
und oft auf seidener Kette verwoben. Stücke von unnachahm-<br />
licher Eleganz entst<strong>and</strong>en.“ (Berger, Textilforum, 16)<br />
„Bauern und Samurai stellten ihre Papiergewebe für den Eigen-<br />
gebrauch selbst her. Als aber auch die Adeligen das Material<br />
für sich entdeckten, entst<strong>and</strong>en große Werkstätten, in denen<br />
in einem arbeitsteiligen Verfahren die steigende Nachfrage<br />
gedeckt wurde. In der zweiten Hälfte der Edo-Zeit wurde bei-<br />
nahe in allen großen Papiermacherdörfern Japans Shifu her-<br />
gestellt.“ (Leitner, Textilien, 25)<br />
Die Nachwirkungen des einstmals verbreiteten Shifus<br />
„Da die Produktion von Shifu […] durch die Shogune gefördert<br />
wurde, erlebte es denselben Aufstieg wie Kamiko.“ (Berger,<br />
Textilforum, 16) Mit Beginn der Industrialisierung Japans im<br />
19. Jahrhundert wurde noch versucht, Shifu maschinell herzu-<br />
stellen, was sich aber schon ab 1910 als unrentabel herausstell-<br />
Shifu − Do it yourself!<br />
Oben links:<br />
Abb. 23: Ein im Zick-Zack gefalteter<br />
Papierbogen wird bis ca. 1<br />
cm vor der Faltkante alle 2-10 mm<br />
eingeschnitten und anschließend<br />
vorsichtig ausgefaltet.<br />
Oben rechts:<br />
Abb. 24: Befeuchten und über<br />
Nacht in feuchte Tücher einschlagen,<br />
um die Elastizität der Fasern<br />
zu erhöhen.<br />
Unten links:<br />
Abb. 25: Rollen der feuchten<br />
Papierstreifen auf einer griffigen<br />
Unterlage, hier eine Bambusmatte.<br />
Unten rechts:<br />
Abb. 26: Vorgeformte Papierstreifen.<br />
te, da der wesentlich billigere Import von Baumwolle und die zunehmende Bedeutung der<br />
Kunstfaser zunahm. 1921 kam schlussendlich dieser Produktionsversuch vollends zum Still-<br />
st<strong>and</strong> und das für die Shifu-Stoffe notwendige Papier wurde wegen nachlassender Nachfra-<br />
ge nicht mehr hergestellt. (Vgl. Weber, Sprache, 164 / Leitner, Papiertextilien, 26)<br />
„Erst durch die Gründung einer Industrie- und H<strong>and</strong>werkskammer im Jahre 1940 wurde die<br />
Shifu- und Kamiko-Verarbeitung wieder ins Leben gerufen. Es waren die Weberinnen, die<br />
die Papiermacher zu motivieren vermochten, erneut das shifugami-Spezialpapier herzustel-<br />
len, und das qualitativ hochstehende Papiergewebe zog für kurze Zeit die Bewunderung<br />
der Fachleute auf sich. Der erhoffte finanzielle Gewinn blieb jedoch aus, und bereits sechs<br />
Jahre später, in der schwierigen Nachkriegssituation, f<strong>and</strong> die ganze Renaissance dieses<br />
Verfahrens mit wenigen Ausnahmen wieder ein klägliches Ende.“ (Weber, Sprache, ebd.)<br />
„1955 wurden Shifu und Kamiko von der Regierung sogar mit dem prestigeträchtigen Titel<br />
‚japanisches Kulturerbe‘ ausgezeichnet, und ihre Erhaltung wird seither staatlich gefördert.“<br />
(Leitner, Papiertextilien, 26)<br />
Herstellungsverfahren<br />
Um den Papierbogen auch bei niedrigen Grammaturen maximale Reißfestigkeit zu gewäh-<br />
ren, wird beim Schöpfvorgang darauf geachtet, dass das Sieb, suketa, nur in eine Richtung<br />
bewegt wird, damit sich die Fasern parallel zur Längsseite ordnen. Auch die Lagerzeit spielt<br />
eine wesentliche Rolle bei der Herstellung der Garne: Washi, das ein Jahr und mehr alt ist,<br />
lässt sich besser rollen als ganz neues Papier. (Vgl. Weber, Sprache, 165)<br />
Für die Herstellung von Shifu-<br />
Garnen wird der Papierbogen<br />
zwei Mal in „… der Längsrich-<br />
tung gefaltet, wodurch vier Sek-<br />
toren entstehen. Dabei ist dar-<br />
auf zu achten, dass die Ränder<br />
der Längskanten mindestens 1<br />
cm vorstehen. Das Papier kann<br />
zuvor auch im Kamiko-Verfahren<br />
geknüllt werden, wodurch<br />
es bereits etwas weicher wird.<br />
Der gefaltete Papierbogen wird<br />
auf einer Unterlage mit dem<br />
Messer in schmale Streifen von<br />
2, 3, 4 mm oder mehr geschnitten,<br />
die kiru genannt werden.<br />
Die Ränder werden dabei nicht<br />
durchgeschnitten, nur so entsteht<br />
aus dem Papierbogen ein<br />
endloses Papierb<strong>and</strong>. Der eingeschnittene<br />
Papierbogen wird<br />
mit Wasser besprüht und wäh-
27<br />
rend zwölf Stunden in feuchte Tücher shimerasu gelegt. Anschließend wird der Bogen auf<br />
einem porösen Stein gerollt, japanisch momu, wodurch sich die einzelnen Papierstreifen<br />
verdrehen. Dieser Arbeitsprozess erfordert großes Geschick und muss rasch vollzogen wer-<br />
den, <strong>and</strong>ernfalls trocknet das Papier, und das Drehen wird dadurch verunmöglicht. Die<br />
gerollten, immer noch zusammenhängenden Papierstreifen werden anschließend seitlich<br />
ausein<strong>and</strong>er gerissen, und die Rissstellen werden von H<strong>and</strong> verdreht, was als tsunagu be-<br />
zeichnet wird. An diesen Stellen entstehen Verdickungen, wie wir sie auch von Leinenfäden<br />
kennen. Sie bilden im Gewebe kleine Noppen. Der mittlerweile zu einem langen Fäden ver-<br />
arbeitete Papierbogen wird auf dem Spinnrad gesponnen, japanisch yoru, oder mit <strong>and</strong>eren<br />
Faden verzwirnt. Die hohe Reißfestigkeit wird durch den Spinnprozess zusätzlich verstärkt.<br />
Erst jetzt wird das Material mit Naturfarbstoffen eingefärbt, genannt someru.“ (Weber, Sprache,<br />
165) „Auf einem 120 cm breiten Webstuhl mit zwölf Schäften werden die Papierfäden<br />
schließlich zu Geweben verarbeitet, was oru genannt wird.“ (Weber, Sprache, ebd.)<br />
Die unterschiedlichen Mischungen der Shifu-Gewebe erzielen im Endprodukt verschiedene<br />
Resultate. Das Material im Schuss9 ist immer ein Papierfaden, lediglich in der Kette wechseln<br />
die Materialien. „Moroshifu ist ein Gewebe mit Kett- und Schußfaden aus Papier in<br />
Leinw<strong>and</strong>bindung und chirimenshifu ist ein Gewebe in Crêpebindung.“ (Weber, Sprache,<br />
163) Weitere Materialkombinationen sind: „... kinujifu (Kette: Seide, Schuss: Papier), menjifu<br />
(Kette: Baumwolle, Schuss: Papier) oder asajifu (Kette: Leinen, Ramie, Hanf oder <strong>and</strong>ere<br />
Bastfasern, Schuss: Papier). Ärmere Bevölkerungsgruppen trugen hauptsächlich grobe,<br />
einfache Gewebe (hira-ori), elitäre Schichten hingegen Shifu-Stoffe mit komplizierter Musterung<br />
(mon-ori) Beliebt waren auch Stoffe, bei denen im Schuss der Shifu-Faden mit einem<br />
<strong>and</strong>eren Material abgewechselt wurde (kobai-ori-shifu) Beispielsweise webte man in eine<br />
Seidenkette in einem bestimmte Rhythmus ein paar Schüsse des seidenen Kettmaterials<br />
und anschließend etwas dickere Papierfäden als Effektgarn ein und erzielte so eine rippenartige<br />
Oberflächenstruktur.“ (Leitner, Papiertextilien, 28) „Die Eigenschaften der Gewebe<br />
richten sich nach der Qualität des Papierrohstoffs, der Stärke respektive dem Durchmesser<br />
der Fäden, der Bindetechnik sowie der Dichte der Fäden im Gewebe pro Quadratzentimeter.<br />
Der Durchmesser der Fäden oder Garne richtet sich nach der Streifenbreite und der Stärke<br />
des Papiers. Aus einer bestimmten Menge Papier können verschiedene Fadenlängen erzielt<br />
werden, so ergibt ein Kilogramm Papier bei einer Streifenbreite von 2 mm 6858 Meter, bei<br />
Oben links:<br />
Abb. 27: Die letzten zusammenhängenden<br />
Stellen werden ausein<strong>and</strong>er<br />
gerissen, wodurch sich der<br />
Bogen in ein endloses Zick-Zack-<br />
B<strong>and</strong> verw<strong>and</strong>elt.<br />
Oben rechts:<br />
Abb. 28: Die Übergangsstellen werden<br />
beim Reißen leicht eingedreht.<br />
Unten:<br />
Abb. 29: Brokatgewebe aus mit<br />
Gold beschichteten Papierstreifen.<br />
Ende der Edo-Periode.<br />
---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------<br />
9 Der Schuss, auch Eintrag, Querfaden oder Einhschlag sind die parallelen Fäden eines textilen Gewebes, die zu den längeren, häufig auch etwas stärkeren Kettfäden bei der Herstellung<br />
eines Gewebes quer liegen. So kreuzen die Schussfäden die so genannten Kettfäden im rechten Winkel, wobei sie mal darunter und mal darüber durchlaufen.<br />
4 mm 3155 Meter, bei 12 mm 925 Meter und bei 16 mm 751 Meter Faden. Das Rollen der Papierstreifen<br />
weist Parallelen zum Spinnverfahren bei der Herstellung von Fäden aus einem<br />
Faservlies auf. In der Regel werden Papierfäden aus Papierbändern jedoch steifer und härter,<br />
da die Fasern durch die Blattbildung bereits verfestigt sind. In der herkömmlichen Textilfabrikation<br />
bleiben pflanzliche oder tierische Fasern, die zum ersten Mal verarbeitet werden,<br />
durch das Spinnen und Zwirnen der Stapelfasern weicher. Die Stapelfasern, auch Spinnfasern<br />
genannt, sind in der Länge begrenzte, natürliche oder chemisch hergestellte Fasern,<br />
die zur Herstellung von Textilien versponnen werden; unversponnen werden sie auch zu<br />
Filz oder Vliesstoffen verarbeitet.“ (Weber, Sprache, 163f)<br />
„Shifu-Gewebe reagieren intensiver als <strong>and</strong>ere Materialien auf Körperwärme und Verdunstung,<br />
können größer und kleiner werden und passen sich organisch den Körperformen an.<br />
Im Sommer sind sie leicht wie Leinen und können viel Feuchtigkeit aufnehmen, sodass<br />
sie den Körperschweiß gut aufsaugen, ohne anzukleben. Dicht gewebte Stoffe halten aufgrund<br />
der isolierenden Wirkung von Papier im Winter aber auch sehr gut warm. Sie können<br />
sich nicht elektrostatisch aufladen und je nachdem, welche Faser für die Papierherstellung<br />
verwendet wurde, kann ihr Wirkung sogar antiseptisch sein.“ (Leitner,<br />
Papiertextilien, 27) „Durch mehrmaliges Tragen werden die Stoffe<br />
aber ohnehin in der Regel weicher. Sie können problemlos gewaschen<br />
und gereinigt werden und weisen eine erstaunliche Stabilität<br />
auf.“ (Leitner, Papiertextilien, 28) „Natürliche Substanzen im Papier<br />
verhindern den Angriff durch Insekten und Bakterien und verleihen<br />
dem Material eine kaum vermutete Dauerhaftigkeit.“ (Leitner, Papiertextilien,<br />
ebd.)<br />
„Seit der Edo-Periode war es in Japan üblich, vergoldete oder versilberte<br />
Papierlamellen (hirahaku) und gedreht, mit Metall beschichtete<br />
Papierfäden ( yorihaku) zu prunkvollen Stoffen zu verweben. Diese<br />
kostbaren Effektmaterialien wurden nach Europa importiert und dort<br />
unter der Bezeichnung Japangold zu aufwändigsten Brokatgeweben<br />
verarbeitet. Als Trägermaterial für hauchdünne Edelmetalle war Papier<br />
in der Textilerzeugung des Westens bereits seit Jahrhunderten<br />
bekannt, aber erst Ende des 19. Jahrhunderts begann man auch hier<br />
das Material zu Garnen zu verdrehen und als eigenständigen Textilwerkstoff<br />
zu betrachten.“ (Leitner, Papiertextilien, ebd.)<br />
„Man verwendete einzelne geschnittene Streifen des speziell beh<strong>and</strong>elten<br />
Papiers, um Kleider zu schnüren, S<strong>and</strong>alen zu binden oder<br />
um Taschenriemen herzustellen.“ (Leitner, Papiertextilien, 23) „Früher<br />
wurde Shifu-Gewebe vor allem für Kimonos und Obi10 verwendet<br />
oder für Alltagsgegenstände wie Sitzkissen. Heute tragen Kenner<br />
und Liebhaber auch Jacketts, Krawatten, Hemden, Kimono-Jacken<br />
und Hüte aus Shifu, die teilweise sogar in der Waschmaschine gereinigt<br />
werden können.“ (Weber, Sprache, 165)<br />
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10 „Eine Art breiter Gürtel, der über dem Kimono mit einer großen Schleife im Rücken getragen wird.“ (Sprache, Weber, 210)
29<br />
Oben:<br />
Abb. 30: Karte der pazifischen<br />
Inseln.<br />
Unten links:<br />
Abb. 31: Das eingedrückte Muster<br />
wird mit der H<strong>and</strong> nachgemalt.<br />
Ihre Farbe steht in einer Metallschüssel<br />
neben ihr, zum Bemalen<br />
dient ihr ein P<strong>and</strong>usblatt als<br />
Pinsel.<br />
Unten rechts:<br />
Abb. 32 und 33: Zwei siapo vala<br />
von Toto und ihren Helfern<br />
gefertigt.<br />
Wie schon im 2. Kapitel erwähnt, findet man bereits bei den Vorläufern des Papiers einen<br />
ganz speziellen Stoff, der ein weiterer Beweis dafür ist, wie sehr sich Papier und Textil in ih-<br />
rer Materialität ähneln. „Im Gegensatz zum relativ steifen und leicht brüchigen Papyrus, der<br />
auf ähnliche Weise hergestellt wird, sind die Rindenbaststoffe flexibel und elastisch. Wie<br />
Gewebe werden die bemalt oder bedruckt, sodass sich insgesamt ein sehr textiler Charak-<br />
ter ergibt.“ (Leitner, Papiertextilien, 12)<br />
Tapa sind Faservliese, die aus dem inneren Rindenbast von bestimmten Bäumen gewon-<br />
nen werden. Wie Papier entsteht Tapa „… durch Verfilzen von Zellulosefasern, nur daß diese<br />
Verfilzung durch Hämmern erzielt wird und nicht wie bei echtem Papier durch ein vorhe-<br />
riges Auffasern der Zellulose in feinste Best<strong>and</strong>teile, die dann aus einer wässrigen Lösung<br />
geschöpft werden.“ (Berger, Textilforum, 15)<br />
Tapa bedeutet das ‚Geklopfte’, ‚Gehämmerte’. Es wird in Südamerika als Amatl bezeichnet,<br />
in Polynesien kapa und auf Samoa siapo genannt. Tapa wurde „über Jahrtausende in un-<br />
terschiedlichsten Ländern entlang des Äquators für Kleidung und Wohnraumtextilien, als<br />
Beschreibstoff oder für zeremonielle Zwecke verwendet.“ (Leitner, Papiertextilien, 12) Zur<br />
höchsten Verfeinerung und Vielfalt kam es vor allem unter den Völkern der pazifischen In-<br />
seln.<br />
„Even the name ‚tapa’, which is now used worldwide for barkcloth, had its origins in Polyne-<br />
sia during the early nineteenth-century years of European contact. The word is derived from<br />
the Samoan word tapa for the uncoloured border of a barkcloth sheet <strong>and</strong> the Hawaiian<br />
kapa for a variety of barkcloth. In several parts of Melanesia, from New Guinea to Vanuatu,<br />
in Fiji, <strong>and</strong> on the most the high isl<strong>and</strong>s of Polynesia from Hawaii in the north of Tahiti, the<br />
Marquesas, Tonga, Samoa, Niue, the Cook Isl<strong>and</strong>s <strong>and</strong> even New Zeal<strong>and</strong>, the manufacture<br />
of barkcloth is an ancient craft which has been practiced for thous<strong>and</strong>s of years.“ (Neich/<br />
Pendergrast, Tapa, 9)<br />
2.2 Tapa und Amatl −<br />
Die Rindenbaststoffe<br />
rund um die Erde<br />
2.2.1 Tapa in den<br />
verschiedenen Kulturen
31<br />
„Bei den Ureinwohnern Taiwans tritt die Vorsilbe tap/tab im Zusammenhang mit Textilbe-<br />
zeichnungen auf, zum Beispiel tabalankas, tapan, tapa oder tapah für Tuch oder Decke;<br />
tarp, tapes für Hüftb<strong>and</strong> und tapir, tapal, tapacha für Hose. Einzelne Stämme verfeiner-<br />
ten das Herstellungsverfahren von Tapa. So belegen chinesische Dokumente, dass der in<br />
den Bergen lebende Stamm der Sui-sa-lian seit dem 3. Jahrhundert n. Chr. bis zum Anfang<br />
des 19. Jahrhunderts Faserflächen aus verschiedenfarbigem, geschichtetem und geklopftem<br />
Rindenbast produzierte, die eine hell/dunkle Musterung aufwiesen. Für feine und äußerst<br />
bunte Tücher klopften und verflochten die Stammesangehörigen Rindenbaststreifen<br />
vermischt mit gefärbten Hundehaaren, woraus kompakte Faserflächen entst<strong>and</strong>en.“ (Weber,<br />
Sprache, 29)<br />
Tapa wird aus den verschiedensten Pflanzenarten gewonnen. Neben dem Brotfruchtbaum,<br />
der jedoch auf den meisten pazifischen Inseln hauptsächlich für seine Früchte, die das<br />
Hauptnahrungsmittel darstellen, angebaut wird, wird auch die Rinde des Feigenbaums, aus<br />
dem ein stärkeres Endprodukt entsteht, für die Tapaherstellung genutzt. (Vgl. Neich/Pendergrast,<br />
Tapa, 9) Der wohl am meisten verwendete Rohstoff für Tapa auf den pazifischen<br />
Inseln kommt jedoch von der Rinde des Papiermaulbeerbaums. „The early peoples who populated<br />
the Pacific brought cuttings of this plant, which was originally a native of eastern<br />
Asia, with them in their canoes. In the tropical Pacific, the paper mulberry plant does not flower<br />
or set seed, so it has to be propagated from cuttings or suckers <strong>and</strong> is cultivated specifically<br />
for tapa-making.” (Neich/Pendergrast, Tapa, ebd.) So wird der Papiermaulbeerbaum<br />
auf den Inseln des Pazifiks für die Tapaherstellung extra angebaut und sorgfältig gezogen:<br />
Für 10 <strong>–</strong> 14 Monate sollen die Pflanzen gerade, schlank und ohne Äste wachsen, denn diese<br />
würden Löcher und Narben im fertigen Stoff verursachen. Wenn der Baum eine Höhe von<br />
etwa 2 <strong>–</strong> 2 ½ m erreicht hat, wird er am Boden abgeschnitten. (Vgl. Berger, Textilforum, 15)<br />
„The skill <strong>and</strong> knowledge of making cloth from bark, <strong>and</strong> even some of the necessary plants,<br />
were carried out of South-East Asia by the first peoples to move into the South Pacific isl<strong>and</strong>s.<br />
Some archaeological evidence suggests that tapa was being made in southern China<br />
<strong>and</strong> mainl<strong>and</strong> South-East Asia more than five thous<strong>and</strong> years ago. From there, the craft<br />
spread into eastern Indonesia where the techniques were developed <strong>and</strong> refined over some<br />
thous<strong>and</strong>s of years.“ (Neich/Pendergrast, Tapa, 9) „Even while Pacific cultures changed <strong>and</strong><br />
responded to the impact <strong>and</strong> challenge of European intervention, village women in many<br />
areas continued to produce tapa cloth, adapting <strong>and</strong> innovating to suit the new conditions.<br />
Some techniques were streamlined, new tool were utilised, introduced dyes <strong>and</strong> foreign motifs<br />
were incorporated into the work, <strong>and</strong> the finished product was sometimes made up into<br />
new types of clothing, but the basic craft persisted.“ (Neich/Pendergrast, Tapa, 10)<br />
Tapa wurde unter diesen so vielfältigen und vonein<strong>and</strong>er stark unabhängigen Kulturen<br />
für zeremonielle und alltägliche Zwecke verwendet. Die meisten Kulturen verwendeten<br />
Tapa aber hauptsächlich für die wesentlichen Körperbedeckungen <strong>–</strong> als Lendenschurz und<br />
String-Tanga. Trotz dieses alltäglichen Gebrauchs, weisen diese in ihrem Gebrauch sehr<br />
einfachen Kleidungsstücke durch ihre Musterungen auf die Zugehörigkeit zu den verschiedenen<br />
Stämmen hin. (Vgl. Neich/Pendergrast, Tapa, 11) „Nowadays, for many Pacific Isl<strong>and</strong><br />
people themselves living in the large metropolitan centres around the Pacific Rim, traditional<br />
tapa designs printed on cotton cloth, or applied to plastics, have become a marker of<br />
their special identity in a grey world.“ (Neich/Pendergrast, Tapa, ebd.)<br />
Oben:<br />
Abb. 34 und 35: Vorder- und Rückseite<br />
eines aus Kostengründen<br />
beidseitig eingravierten upeti.<br />
Unten:<br />
Abb. 36: Gemusterter Tapa-Stoff.
33<br />
Tapaherstellung in Toto‘a Fagai,<br />
1980, Vaito‘omuli, Savai‘i, Westsamoa.<br />
Oben links:<br />
Abb. 37: Toto beißt die Rinde<br />
um den Ast ab, um den inneren<br />
Rindenbast freizulegen.<br />
Oben rechts:<br />
Abb. 38: Die äußere, steife Rinde<br />
wird vom inneren Rindenbast<br />
abgezogen.<br />
2. Reihe links:<br />
Abb. 39: Toto kratzt die restlichen<br />
äußeren Rindenstücke mit einer<br />
Muschel ab.<br />
2. Reihe rechts:<br />
Abb. 40: Der Rindenbast wird<br />
auf dem tutua, einem hölzernen<br />
Amboss, geschlagen.<br />
3. Reihe links:<br />
Abb. 41: Ein Streifen des Rindenbasts<br />
nach dem Schlagen.<br />
3. Reihe rechts:<br />
Abb. 40: Der Streifen wird auf einem<br />
hölzernen, eingravierten und<br />
in den Kerben mit Farbe versehenen<br />
upeti mit einer Marantaknolle<br />
gerieben. Langsam entsteht ein<br />
Muster auf dem Tapa-Stoff.<br />
Unten links:<br />
Abb. 41: Der Tapa-Stoff wird vom<br />
upeti gelöst und hat dort, wo er<br />
aufgelegen ist, ein aufgedrucktes<br />
Muster.<br />
Unten rechts:<br />
Abb. 42: Schlagen von Tapa. Insel<br />
Mauna Kea, Hawaii.<br />
Der aufwändige Herstellungsprozess von Tapa-Stoffen<br />
Die Herstellung von Tapa beginnt damit, dass die Rinde durch Beißen oder Schneiden in<br />
Streifen von den ein bis zwei Meter langen Stämmen über das dünnere Ende hinweg ab-<br />
gezogen wird. Um die äußere, graugrüne Bastschicht von der inneren, noch feuchten Rin-<br />
de zu trennen, wird sie mit einer Muschelschale abgeschabt. Früher wurde dieser Vorgang<br />
in einem fließenden Gewässer sitzend hauptsächlich von Frauen durchgeführt. Als diese<br />
sich aber über die unbequeme Arbeit beschwerten, verlegte man diese sehr zeitaufwändige<br />
Aufgabe in Häuser mit einem nahen Wasserbecken. Wenn Tapa für einen speziellen An-<br />
lass besonders schnell benötigt wird, kann der Abschabungsprozess aber auch ausgelassen<br />
werden. Durch das Abschaben wird der Tapa-Stoff zwar feiner und sauberer, für den alltäg-<br />
lichen Gebrauch oder zum Verkauf für Touristen ist die geringere Qualität jedoch ausrei-<br />
chend. Während die äußere Rinde, die sogenannte Borke, nicht mehr gebraucht, sondern<br />
weggeworfen wird, kann die innere Rinde zu Tapa weiterverarbeitet werden. Sie wird spi-<br />
ralförmig aufgerollt und konstant feucht gehalten. Oft werden diese Rindenstreifen auch<br />
über Nacht feucht aufbewahrt. Manchmal werden die Fasern vor der Weiterverarbeitung<br />
mehrere Stunden lang gekocht. Danach werden die Streifen aus der inneren Rinde auf einer<br />
Unterlage aus Holz oder Stein mit speziellen Tapa-Klopfern geschlagen, bis sich die Fasern<br />
aufs Zehnfache vergrößert haben. Währenddessen wird nach Gefühl immer wieder Wasser<br />
beigefügt. Das vollständige Durchtränken und der Anfang eines Gärungsprozesses wird<br />
genutzt, um die Fasern zu erweichen und noch geschmeidiger zu machen. Auch die Zuga-<br />
be von Holzaschenlauge mit alkalischer Wirkung beschleunigt diesen Prozess. Die meist<br />
hölzernen und gerillten Tapa-Klopfer bewirken eine gleichmäßige Verteilung der Fasern.<br />
Gemusterte Klopfer hinterlassen auf dem geschlagenen Tapa eine Art Wasserzeichen. (Vgl.<br />
Weber, Sprache, 29 / Berger, Textilforum, 15) „Um die Zeichen richtig nebenein<strong>and</strong>erzuset-<br />
zen, müssen die H<strong>and</strong>werker geübt sein und eine besondere Schlagtechnik anwenden. Frü-<br />
her konnten sich die Tapaschläger in einer Art Trommelsprache unterhalten, indem sie kur-<br />
ze oder lange Schläge anwendeten. Die Forscher kamen hier zu spät: die Morsesprache der<br />
Tapaarbeiter war bereits in Vergessenheit geraten. Die inzwischen entst<strong>and</strong>enen Rinden-<br />
bastlagen werden befeuchtet, kreuzweise überein<strong>and</strong>er geschichtet und wiederum durch<br />
Schlagen mitein<strong>and</strong>er verfilzt. Ein eindeutiges Kennzeichen für Tapa ist die kreuzweise La-<br />
gerung von Fasern und Faserbündeln, die oft schon mit bloßem Augen [sic] zu erkennen ist.<br />
Größere Stücke von Tapa erhält man, indem man Vliese anein<strong>and</strong>er klebt, auch dünne oder<br />
schadhafte Stellen können durch Aufkleben ausgebessert werden.“ (Berger, Textilforum, 15)<br />
Als Klebstoff werden oft natürliche Harze oder Stärkekleister aus verschiedenen Knollen-<br />
früchten eingesetzt. „Je nach Verwendung werden beliebig große Flächen mit vliesähnli-<br />
chen, textilen Eigenschaften gefertigt.“ (Weber, Sprache, 29)
35<br />
Manche Tapa-Stoffe werden während dieses Prozesses durch die sogenannte Tauchfärbung<br />
vollflächig eingefärbt. Die für Tapa typischen Musterungen werden jedoch erst anschlie-<br />
ßend und für jedes Blatt einzeln aufgetragen. Bei der Verwendung von Matrizen werden<br />
die Tapa-Stoffe „… auf ein mit geritzten Mustern versehenes Hartholz gelegt, dann wird die<br />
Farbe aufgerieben. Farbaufdruck durch H<strong>and</strong>model ist ebenfalls bekannt; das Bemalen der<br />
Stoffe von H<strong>and</strong> findet nur bei kostbaren Stücken Anwendung.“ (Berger, Textilforum, 15)<br />
„This method gives full rein to a women’s creativity, but a range of recognized motifs has de-<br />
veloped as a basic design vocabulary. Some are very ancient motifs that can be traced back<br />
into Indonesia, but others are recent innovations. Many of these motifs are given descripti-<br />
ve names drawn from the natural world, such as breadfruit leaves, p<strong>and</strong>anus leaves, p<strong>and</strong>a-<br />
nus bloom, fishnet, trochus shell, starfish, worm, centipede, <strong>and</strong> footprints of various birds.”<br />
(Neich/Pendergrast, Tapa, 14f)<br />
„Kapitän Cook berichtete, daß auf Tahiti diese Art der Bemalung mit feinen Federn von den<br />
ausführenden Mädchen ‚kippari‘ genannt wurde und daß sie denselben Begriff für die eu-<br />
ropäische Schreibkunst auf Papier anwendeten. Die meisten Farbstoffe waren pflanzlicher<br />
Herkunft, es wurden aber auch mineralische Farben verwendet. Die Gewinnung der Farben<br />
war eine kultische H<strong>and</strong>lung, die nur unter Einhaltung bestimmter Riten vollzogen werden<br />
konnte.“ (Berger, Textilforum, 15)<br />
Anwendung von Tapa-Stoffen auf den pazifischen Inseln<br />
Die weite Verbreitung von Tapa-Stoffen und die verschiedenartigsten Herstellungs- und<br />
Dekoriermethoden beruhen wohl auf der Vielfalt der vielen verschiedenen Völkern, die<br />
sich über Jahrhunderte mit diesem ganz speziellen Material ausein<strong>and</strong>er gesetzt haben.<br />
Ob als Alltagskleidung, wie dem Lendenschurz und Wickelkleid oder als Geschenk zu be-<br />
sonderem Anlass, wo Tapa in riesigen Mengen als Wertschätzung weitergegeben wird, von<br />
vollflächig gefärbtem Tapa, bis hin zu aufwändig bemalten und mit Federn sowie Korallen<br />
geschmückten Kleidungsstücken oder mit Fransen versehen, um den sozialen Status des<br />
Trägers zu unterstreichen <strong>–</strong> Tapa wird von so vielen Völkern auf so unterschiedliche Weise<br />
verwendet, dass es kaum möglich ist, dies alles hier festzuhalten. Stattdessen werden nach-<br />
folgend ein paar wenige Beispiele vorgestellt, die beeindrucken.<br />
Unten links<br />
Abb. 43: Ein junges Paar von hohem,<br />
sozialem Status. 1880, Tonga.<br />
Sie tragen Rindenbastkleider,<br />
die mit Blättern bemalt wurden.<br />
Die Frau trägt um ihre Hüfte<br />
ein sehr seltenes Stück, dunkles<br />
tonganisches Tapa, ngatu‘uli, die<br />
von Braut und Bräutigam auf der<br />
Hochzeit getauscht wurden.<br />
Unten rechts:<br />
Abb. 44: Zwei junge Frauen<br />
gekleidet in Tapa-Kleidern, die<br />
in europäischem Stil geschnitten<br />
und mit der H<strong>and</strong> bemalt wurden.<br />
1900, Apia, Westsamoa.<br />
Oben mitte:<br />
Abb. 45: Zwei junge Männer, die<br />
siapo lavalava tragen. 1900, Apia,<br />
Westsamoa.<br />
Gegenüber oben:<br />
Abb. 46: Ein samoanisches Mädchen<br />
in einem Fotostudio. Apia,<br />
Westsamoa. Fotografen Ende<br />
des 19. Jahrhunderts in Fidschi<br />
und Samoa verwendeten immer<br />
wieder die selben Tapa-Kleider für<br />
Fotos, daher erscheint ein Kleid<br />
öfter auf verschiedenen Fotos.<br />
Gegenüber unten:<br />
Abb. 47: Der Chef-Redner mit seiner<br />
Familie. 1890, Palauli, Savai‘i,<br />
Westsamoa. Der ältere Mann trägt<br />
einen Baumwoll-lavalava, der<br />
jüngere einen siapo lavalava, der<br />
mit einem Tapa-Gürtel zusammengehalten<br />
wird.<br />
In Samoa wurden die sonst unter dem Namen Tapa bekannten<br />
Stoffe siapo genannt und hauptsächlich von ein paar wenigen,<br />
unverheirateten und privilegierten Frauen innerhalb des<br />
Hauses getragen. Irgendwann begannen aber Männer und<br />
Frauen Tapa als so genannten lavalava für zeremonielle Zwecke<br />
sowie im Alltag zu tragen. „Barkcloth was worn […] by men<br />
<strong>and</strong> women, wrapped around men’s heads like a turban, as a<br />
loincloth or girdle by men, <strong>and</strong> in strips as a belt (fusi) over<br />
fine mats other sheets of siapo in the ceremonial dress of the<br />
manaia (leader of the young men of the village) <strong>and</strong> taupou<br />
(village virgin). Early European missionaries soon introduced<br />
the Tahitian-style barkcloth poncho or tiputa to encourage women<br />
to cover their upper bodies in keeping with the missionary<br />
ideas of modesty.“ (Neich/Pendergrast, Tapa, 19) „Imported<br />
cloth soon replaced siapo as an article of general clothing,<br />
but it continued to be worn for special occasions.“ (Neich/Pendergrast,<br />
Tapa, ebd.) „Throughout Samoan history, siapo has<br />
maintained its major role as an item of exchange <strong>and</strong> formal<br />
presentation. At all Samoan special occasions such as births,<br />
funerals, weddings, <strong>and</strong> investiture of matai titles, sheets of<br />
tapa are included in the presentations <strong>and</strong> exchanges of valuables<br />
between families that accompany these ceremonies.“<br />
(Neich/Pendergrast, Tapa, 21)<br />
Obwohl in Tonga seit vielen Jahren westliche Kleidung getragen<br />
wird, werden Tapa-Stoffe nach wie vor von Männern<br />
als Wickelkleid, bei wichtigen zeremonielle Ereignissen als<br />
Bauchmatte, als Tanzkostüm sowie bei einer typisch tongaischen<br />
Hochzeit getragen. (Vgl. Neich/Pendergrast, Tapa,<br />
44f)<br />
In Uvea kennt man Tapa unter dem Namen ngatu. Wenn von<br />
holo die Rede ist, sind das große Tapa-Bogen, die als Bettbezug<br />
oder für Leinwände verwendet werden. Lafi wiederum<br />
bezeichnet ein Wickelkleid, das dekoriert wird, indem man<br />
es über einen Musterblock reibt und übermalt. Ein weiteres<br />
Wickelkleid, tohihina genannt, wird verziert, indem feine,<br />
schwarze Motive mit einem Stift auf den weißen Bogen gemalt<br />
werden. (Vgl. Neich/Pendergrast, Tapa, 60)<br />
In Futuna wird der Begriff siapo verwendet, um große Bogen<br />
eines weicheren Stoffes zu beschreiben. „In this case, the two<br />
layers of cloth are pasted together over the underside of the<br />
hull of an old canoe <strong>and</strong> patterned with rubbed decorations<br />
from design tablets similar to those used in Tonga.“ (Neich/<br />
Pendergrast, Tapa, 63)
37<br />
Links:<br />
Abb. 48: Ahufara, Tahiti. Dieser<br />
Tapa-Stoff wird als Schultertuch<br />
oder als Schal getragen und hat<br />
eine klassisch tahitianische Musterung,<br />
die mit in Farbe getauchten<br />
und aufgedrückten Farnen<br />
und Bärlapp erzeugt wird.<br />
Rechts:<br />
Abb. 49: Masi vulvula (links). Fidschi.<br />
Dieser Tapa-Stoff wurde von<br />
Männern als Turban, Schärpe und<br />
Schal getragen. Kleine Löcher von<br />
Ästen wurden entfernt, indem man<br />
eine Ecke über das Loch gezogen<br />
hat. Dadurch entst<strong>and</strong> ein als<br />
dekoratives Element angesehenes<br />
Dreiecksmuster.<br />
Masi vakadrau (rechts). Fidschi.<br />
Vakadrau, bei dem die Ecken der<br />
Verbindungsstellen wie hauchdünne<br />
Fransen lose in der Luft<br />
hängen, heißt übersetzt Blattmäßig.
39<br />
Um die Menschen in Niue davon zu überzeugen, ihre Kör-<br />
per zu bedecken, lernten samoanische Missionare den Völ-<br />
kern ihre Methoden zur Tapaherstellung und führten auch<br />
dort den so genannten tiputa ein, eine Art Poncho, der von<br />
Samoa bis Tahiti bereits verbreitet war. Hier und da kann<br />
man auf den Stoffen naive, naturalistische Zeichnungen<br />
von Frauen und Männern in westlicher Kleidung erkennen.<br />
Kleine Sterne, Blätter und Fische dienten als Lückenfüller<br />
und manchmal wurden sogar Namen von Personen und<br />
Ortsbezeichnungen an den R<strong>and</strong> geschrieben. Die Ein-<br />
heitlichkeit des Stils, die Wiederholung der Motive und die<br />
Häufigkeit ihrer Verwendung deuten darauf hin, dass viele<br />
Stoffe gemeinschaftlich hergestellt wurden. Ohne Zweifel<br />
gab es in diesen Gruppen einen starken, kreativen Anfüh-<br />
rer, der die Muster zuvor geplant und deren Herstellung be-<br />
aufsichtigt hat. Im Gegensatz zu samoanischem Tapa ist<br />
die Textur des Stoffes aus Niue viel dicker und steifer und<br />
wurde zusammengefilzt und nicht, wie in Polynesien, ge-<br />
klebt. (Vgl. Neich/Pendergrast, Tapa, 69f)<br />
Links:<br />
Abb. 50: Dieses Hüftb<strong>and</strong> wird bei<br />
einem Mann mehrmals um die<br />
Taille gewickelt. Es ist naturfarben<br />
und hat ein vom Schlagen<br />
eingekerbtes Muster, Aneityum,<br />
Vanuatu.<br />
Rechts:<br />
Abb. 51−53: Tapa-Textur von den<br />
Cook Inseln, die durch einen eingekerbten<br />
Schlegel erzeugt wurde.<br />
Drei verschiedene Arten sind<br />
typisch: Die Kerben von Schlegel<br />
und Fasern stehen willkürlich<br />
zuein<strong>and</strong>er (oben), die Fasern und<br />
Kerben stehen quer zuein<strong>and</strong>er<br />
(mitte), die Fasern stehen quer zu<br />
den parallelen Kerben des Schlegels<br />
(unten).
41<br />
Auf den Cook Isl<strong>and</strong>s, vor allem in Mangaia, wurden kleine, eckige Muster, die in Reihen an-<br />
geordnet waren, aus den Tapa-Stoffen geschnitten, was den Ponchos ein spitzenartiges Aus-<br />
sehen verlieh. Manchmal wurde ein eingefärbter Bogen auf einen naturfarbenen geklebt.<br />
Der Kontrast ergab sich durch die Farbe, die durch das Muster zu sehen war. Die Ränder<br />
waren normalerweise mit Fransen verziert, die oft auch zu komplexen Formen geschnitten<br />
wurden. (Vgl. Neich/Pendergrast, Tapa, 76)<br />
„Today, little remains of the ancient art of tapa-making of Tahiti. By the early 1790s, imported<br />
cotton cloth was already beginning to replace it, <strong>and</strong> by the 1840s Tahitian tapa was a<br />
thing of the past. Contemporary Tahitian artists <strong>and</strong> scholars are now showing an increasing<br />
interest in reviving the knowledge <strong>and</strong> skills of traditional Tahitian tapa.“ (Neich/Pendergrast,<br />
Tapa, 86)<br />
„Tapa, or kapa as it is called in Hawaiian, was made mainly from the bark of the paper mulberry,<br />
or wauke, which was cultivated especially for this purpose.“ (Neich/Pendergrast, Tapa,<br />
91) Frauen trugen einen Rock, der pa’u genannt wurde und aus mehreren Schichten Tapa<br />
hergestellt wurde, die auch mehrere Meter lang sein konnten. Eine weitere Verwendung f<strong>and</strong><br />
Tapa in Babywindeln und Totenkleidern sowie in Bildern von Göttern, die sich in feinem,<br />
weißen Tapa kleideten. Auch Türme wurden mit Tapa umhüllt und in Tempeln aufgestellt,<br />
um die Götter an dieser Stelle zu empfangen. (Vgl. Neich/Pendergrast, Tapa, ebd.) Hawaii<br />
ist eine der wenigen Regionen im Pazifik, in der ein steinerner Amboss mit einem abgerundeten<br />
Schlegel für das erste Schlagen des Stoffes verwendet wurde. Manchmal vor allem im<br />
19. Jahrhundert, kamen Schlegel zum Einsatz, die graviert waren und somit charakteristische<br />
Wasserzeichen auf der Oberfläche hinterließen. Eine <strong>and</strong>ere Möglichkeit, diesen Effekt<br />
zu erzielen, war den noch feuchten Stoff zwischen parallele, eingekerbte Hölzer zu spannen.<br />
Oben links:<br />
Abb. 54: Tiputa. Rarotonga, Cook<br />
Inseln. Dieses Kleidungsstück wurde<br />
wahrscheinlich mit Kurkuma<br />
gelb eingefärbt und durch ausgeschnittene<br />
Muster dekoriert.<br />
Oben mitte:<br />
Abb. 55: Tiputa. Aitutaki, Cook<br />
Inseln. Lange Fransen waren bei<br />
diesen Tanzkostümen um die<br />
Jahrhundertwende üblich. Dieses<br />
wurde zusätzlich mit der H<strong>and</strong><br />
bemalt.<br />
Oben rechts:<br />
Abb. 56: Zeremonielle Schürze.<br />
Manus, Admiral Inseln, Papua<br />
Neu Guinea. Dieses Tanzkleid<br />
wurde von verheirateten Frauen<br />
bei festlichen Anlässen getragen<br />
und besteht aus weichem, dickem<br />
Rindenbast, der mit Muschelgeld<br />
auf einer Perlenschnur und Quasten<br />
dekoriert wurde.<br />
Unten rechts:<br />
Abb. 57: Tanztunika von einem<br />
Kind, auf die eine Szene gemalt<br />
wurde, in der zwei Flieger die Sonne<br />
attackieren. Wahrscheinlich in<br />
Anlehnung an die RAF Kriegsflieger<br />
gemalt, die mit Geldern von<br />
der tonganischen Bevölkerung<br />
gekauft wurden.<br />
Eine weitere, typisch hawaiianische Anwendung war,<br />
den Stoff während des Herstellungsprozesses oder im<br />
Nachhinein mit einem wohlriechenden Duft zu parfümieren.<br />
(Vgl. Neich/Pendergrast, Tapa, ebd.)<br />
Das fidschianische Tapa, besser bekannt unter dem<br />
Begriff masi, war meist weiß. Manche Bezirke in Ra<br />
wurden berühmt für den weißen Tapa-Stoff. Sie produzierten<br />
ausschließlich diesen und verbreiteten ihn<br />
durch den H<strong>and</strong>el über weite Gebiete hinweg. Es wurde<br />
auch gemustertes masi hergestellt, aber die Menge<br />
dieser in Museen ausgestellten Stoffe zeugt eher von<br />
westlichem Enthusiasmus für Muster als deren Häufigkeit.<br />
Trotzdem wurden in Fidschi die meisten Dekorationsmethoden<br />
verwendet. Besonders berühmt wa-
43<br />
Oben:<br />
Abb. 58: Zeugnis von traditionellem<br />
Reichtum. 1920, Tonga. Wahrscheinlich<br />
wurden die Waren<br />
(Kopfstütze, gewebte Stücke, feine,<br />
tonganische Körbe und Flaschen<br />
mit parfümiertem Kokosnussöl<br />
gefüllt sowie zwei Bündel Tapa-<br />
Stoffe, die lose in geflochtene<br />
Matten gewickelt wurden) für<br />
die Aussteuer einer Hochzeit<br />
gesammelt.<br />
Mitte:<br />
Abb. 59: Vorführung der Verzierung<br />
von Tapa. 1930, Nukualofa,<br />
Tonga. Als eines der charakteristischsten<br />
H<strong>and</strong>werke auf den<br />
pazifischen Inseln wurde die<br />
Herstellung von Tapa oft zu einem<br />
öffentlichen Ereignis. Auf diesem<br />
Bild posieren tonganische Frauen<br />
mit ihrem Werkzeug, das für das<br />
Reiben des Tapa-Stoffes über das<br />
kupesi dient.<br />
Unten:<br />
Abb. 60: Zeremonielle Vorführung<br />
von Geschenken. 1953, Fidschi.<br />
Junge Frauen, die in Tapa-Röcken<br />
über Baumwoll-lavalava gekleidet<br />
sind, tragen geflochtene Mattenrollen,<br />
die anlässlich eines<br />
Besuchs von Königin Elisabeth II.<br />
gezeigt werden.<br />
ren die einlagigen, sehr feinen Tapa-Bogen aus noch nicht reifem Papiermaulbeerbaum.<br />
Diese filigranen Stoffe wurden oft wie eine Ziehharmonika gefaltet und fingen beim ge-<br />
ringsten Lufthauch an zu flattern.<br />
Die wichtigste Verwendung f<strong>and</strong> Tapa in Fidschi als Geschenk, im H<strong>and</strong>el oder zur Ehrung.<br />
Noch immer gibt es spezielle Anlässe, bei denen enormen Mengen an Tapa, die für Außen-<br />
stehende erstaunlich scheinen mögen, aber nichts im Vergleich zu früher sind, getauscht<br />
werden. (Vgl. Neich/Pendergrast, Tapa, 97<strong>–</strong>100)<br />
„The importance of tapa also extended to religion. The only way to obtain access to the influ-<br />
ence of the gods was through the medium of the priest. A long piece of white cloth, suspen-<br />
ded from the beam of the temple house, hung down so that the end lay on the floor in front<br />
of the corner post. When summoned, it was down this path that the god passed to enter the<br />
priest <strong>and</strong> commune with him.“ (Neich/Pendergrast, Tapa, 103)<br />
Die kulturelle Vielfalt Papua Neu Guineas spiegelt sich in den vielen unterschiedlichen<br />
Traditionen zur Herstellung von Tapa wider. Der Umfang und die Verschiedenartigekeit<br />
der Fransen an jem<strong>and</strong>es Kleidung, unterstrichen zum Beispiel seinen hohen sozialen Status<br />
und spezielle Muster durften nur von einem bestimmten Stamm oder einer Familie verwendet<br />
werden, vor allem wenn sie deren spirituelles Tier oder Pflanze repräsentierten. Diese<br />
mit stammeszugehörigen Mustern versehenen Tapa-Stoffe wurden normalerweise nicht<br />
als Geschenk oder im H<strong>and</strong>el weitergegeben. Jem<strong>and</strong>en, der diese <strong>Design</strong>s ohne Genehmigung<br />
benutzte, befielen laut ihrem Glauben Krankheit und Tod. Dieses sehr strenge Urheberrechtssystem<br />
brach mit dem Verkauf an Touristen und nachdem Frauen Muster aus<br />
Magazinen und <strong>and</strong>eren, ausländischen Quellen in die typischen Muster integrierten, allerdings<br />
zusammen. (Vgl. Neich/Pendergrast, Tapa, 133<strong>–</strong>136)<br />
„Amate [sic], auch als huun, Maya- oder Otomi-Papier bezeichnet, besteht aus dem inneren<br />
Rindenbast verschiedener Ficus-Arten. Der frische Rindenbast enthält Latex, und die daraus<br />
hergestellten Rindenbastpapiere werden durch diesen Extrakt imprägniert.“ (Weber,<br />
Sprache, 30)<br />
Die dünnen Rindenbaststreifen werden aus den ehemals wild und üppig wachsenden Ficus-Bäume<br />
gewonnen. Damit sie weich und die in der Pflanze vorh<strong>and</strong>enen Leime aktiviert<br />
werden, werden sie in Holzaschenlauge gekocht. Kreuzweise oder spiralförmig auf einem<br />
Brett angeordnet, werden die Fasern durch Klopfen mit einem gerillten Steinklopfer von<br />
ovaler oder quadratischer Form verfilzt. (Vgl. Weber, Sprache, ebd.) „Es entsteht eine Fläche,<br />
die kompakter und dichter ist als polynesisches Tapa, weil die Fasern in einem Kreuzraster<br />
angeordnet werden. Außerdem weist Amate [sic] eine einseitig glatte Oberfläche auf, die<br />
durch das Trocknen auf der Holzunterlage entsteht, Tapa hingegen wird zum Trocknen aufgehängt<br />
oder ausgelegt.“ (Weber, Sprache, ebd.)<br />
„Allein in Mittelamerika wurden aus Rindenstoffen auch Bücher hergestellt.“ (Berger, Textilforum,<br />
15) „Diese Blätter wurden mit kohlensaurem Kalk bestrichen, geglättet und dann<br />
beschrieben, bzw. bemalt. Anschließend wurden sie wie ein Leporello anein<strong>and</strong>ergefügt.<br />
Es gab viele solcher Bücher bei Mayas und Azteken. Letztere ließen sich von unterworfe-<br />
2.2.2 Amatl in Mittelamerika
45<br />
nen Stämmen Tribut in Form von ‚Amatl‘ […] bezahlen. Die christlichen Eroberer veran-<br />
stalteten ob der ‚Teufelsbilder‘ Bücherverbrennungen ungeheuren Ausmaßes, bei der der<br />
Wissenschaft unermeßliche Schätze verlorengingen. Nur drei Mayah<strong>and</strong>schriften sind der<br />
Vernichtung entgangen. Die Otomi-Indianer und die Lac<strong>and</strong>onen, die als direkte Maya-<br />
Nachfahren gelten, stellen heute noch Amatl her; verwendet wird es für Tuniken, für den<br />
Dorfzauberer <strong>–</strong> und für Touristen, grell mit Acrylfarben bemalt. Die starke Nachfrage bedroht<br />
bereits den Best<strong>and</strong> der Spenderpflanzen. Tapa hat also nicht nur eine große Vergangenheit,<br />
sondern erfreut sich überall da, wo sich seine Traditionen finden, auch noch lebendiger<br />
Gegenwart.“ (Berger, Textilforum, 15)<br />
„Heute finden die Stoffe ihre Verwendung als Schambinden, Schurze, Kleiderstoffe, Tuniken,<br />
Turbane, Mäntel und Schlafdecken. Sie dienen jedoch auch nach wie vor kultischen Zwecken<br />
als Maskenhemden und Totentücher. Stoffe aus Ficus-Rinde, die zwar grob und dunkel<br />
sind, werden sehr geschätzt, da sie wasserundurchlässig sind und folglich zu Regenjacken<br />
verarbeitet werden.“ (Berger, Textilforum, 15) „In der Lop-Nor-Gegend, in der westchinesischen<br />
Provinx [sic] Xinjiang, wird Tapa bis heute für Tücher und Kleider verwendet.“ (Weber,<br />
Sprache, 29)<br />
„Weit vom Äquator entfernt, entwickelt der Spitzenhändler Boileau 1718 in Paris ganz neue<br />
Dimensionen dieses Materials. Er stellt Mäntel, Jupes und selbst Corsagen aus ‚indianischem<br />
Papier‘ vor, und diese Kleidungsstücke waren mit Leinw<strong>and</strong> gefüttert. Es heißt, dass<br />
Damen, die etwas auf sich hielten, in jenem Sommer kostspielige Tapa-Kleider von Boileau<br />
trugen. Die Rinde des Baumes <strong>–</strong> eine Haut die noch heute zu Kleidern verarbeitet wird. Dies<br />
trifft zum Beispiel auf die Lop-Nor-Gegend bei Loulan im äußersten Osten der Wüste Taklamakan<br />
zu, aber auch Baumrindenstoffe aus Ug<strong>and</strong>a finden in Form von modischen Kleidungsstücken<br />
oder Polsterstoffen in Europa ihre Kundschaft. Tapa ist möglicherweise die<br />
erste Form von non-woven’s oder Vliesstoffen, die in der modernen Textiltechnologie zunehmend<br />
gefragt sind. Wegen der mit Papier artverw<strong>and</strong>ten Rohstoffe und Verarbeitungsprozesse<br />
wird Tapa auch ‚Pseudopapier‘ genannt.“ (Weber, Sprache, 30)<br />
„Die Herstellungsprozesse von Filz und Papier weisen durchaus Parallelen auf. Während<br />
der Rohstoff für Filz hauptsächliche aus Tierhaaren besteht (in der maschinellen Produktion<br />
auch aus synthetischen Fasern), sind es beim Papier pflanzliche Fasern, die zu Schichten<br />
verdichtet werden. Beim Filz erfolgt beim Walken eine Verkettung der Haare, verursacht<br />
durch das richtungsabhängige Friktionsverhalten (Verfilzen) und durch die Schuppenstruktur<br />
der Haare. Beim Papier überlagern sich die Fasern während des Schöpfens oder<br />
Gießens. Die Faserbindung entsteht nach der Blattbildung ohne weitere Lageveränderung<br />
durch Nebenvalenzbindungen von Faser zu Faser bei der Trocknung. Mikroskopisch betrachtet<br />
sind bei Papier und Filz ähnliche Faserverkettungen feststellbar. Bei beiden Verfahren<br />
ist die Überlagerung der Fasern nicht nur bezüglich ihrer Festigkeit und Stärke kontrollierbar,<br />
sondern auch was den Verlauf der Faserrichtung angeht. Während beim Filz die<br />
Fasern von H<strong>and</strong> in die gewünschte Richtung oder auch kreuzweise überlagert geschichtet<br />
werden, wird dies beim Papier durch die Bewegung des Schöpf- oder Eingusssiebes beeinflusst.“<br />
(Weber, Sprache, 34) „Filz wäre demnach das Bindeglied zwischen Tapa und Papier.“<br />
(Weber, Sprache, ebd.)<br />
2.2.3 Anwendung heute<br />
2.2.4 Filz<br />
Im ersten Weltkrieg kam es zu einer ökonomischen Rohstoffknappheit <strong>–</strong> diesmal war der<br />
Mangel allerdings in der Textilindustrie zu verzeichnen. Aus den geschichtlichen Begebenheiten<br />
war es naheliegend, auf Papier als Ersatzstoff zurückzugreifen. Im Gegensatz zu den<br />
geschmeidigen Papierkleidern aus Japan, die Charme und Mystik gleichermaßen ausstrahlen,<br />
war das westliche Papier jedoch steif, spröde und hatte eine anonyme Anmutung <strong>–</strong> der<br />
Ersatzstoffcharakter war deutlich wahrnehmbar und in keinster Weise eine vergleichbare<br />
Alternative für Textilien.<br />
Aus diesen Papiertextilien, die so offensichtlich industriell und papieren waren, wurden aber<br />
kaum ganze Kleidungsstücke hergestellt. Vielmehr wurden aus ihnen Teilstücke wie Unter-<br />
wäsche, Krawatten und Bettbezüge gefertigt. Hemdkrägen, Manschetten und Vorhemden<br />
aus Papier waren außerdem nicht ausschließlich ein Notbehelf. Aus festem, imprägniertem<br />
Papier hatten sie den Vorteil, dass sie in einem industriellen Verfahren äußerst billig herge-<br />
stellt werden konnten, nach dem Gebrauch einfach zu entsorgen waren und seit Mitte des 19.<br />
Jahrhunderts zur besseren Haltbarkeit häufig mit Gewebe kaschiert wurden. (Vgl. Leitner,<br />
Papiertextilien, 30 / Schmitt/Strate, Art, 7)<br />
„Unter Bemühung patriotischer Gefühle wurde sogar versucht, aus der Not eine Tugend zu<br />
machen und das Ausweichmaterial als hinreißende Neuheit zu verkaufen: ‚Eine ganze Mo-<br />
de-Industrie ist durch die Verwendung des Papiers zu Bekleidungszwecken aus dem Boden<br />
gestampft worden, und es lassen sich mit diesem neuesten Stoff Wirkungen erzielen, die<br />
über seine Herkunft völlig hinwegtäuschen. …wir werden in Papier gepackt und als Überra-<br />
schungspakete in den Frühling hineingeschickt, Pakete, die beim Auspacken ein glänzen-<br />
des Zeugnis für deutschen Fleiß und [...] Industrie darstellen.‘.“ (Schmitt/Strate, Art, 7)<br />
„Ursprünglich wurde die Papierwäsche in den USA erfunden, wo diese neuartige Form des<br />
Konsums rasch großen Erfolg hatte. Bald verbreitete sich die Reformwäsche aber auch in Eu-<br />
ropa. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts kamen Männerhemden aus einfachem Baumwoll-<br />
trikot in Mode, an die separat produzierte Krägen, Manschetten und den vorderen Brustteil<br />
bedeckende Vorhemden, so genannte Serviteurs, aus Papier geknöpft werden konnten. Dies<br />
hatte den Vorteil, dass die Einzelteile je nach Notwendigkeit getrennt, ersetzt oder gereinigt<br />
werden konnten. Oft prägte man auch Spitzenmuster oder Gewebestrukturen in das Papier,<br />
um die textile Wirkung zu erhöhen.“ (Leitner, Papiertextilien, 30)<br />
Vor allem in den Kriegsjahren konnten es sich wenige Leute leisten, Verstorbene in textiler<br />
Sterbewäsche begraben zu lassen, daher waren papierene Totenhemden bis in die 1960er-<br />
Jahre unter der ärmeren Bevölkerung üblich. (Vgl. Leitner, Papiertextilien, 30 / Schmitt/<br />
Strate, Art, 7) „Nur wer sich nichts Besseres leisten konnte, griff wie der arme Meister Ge-<br />
petto zu geblümtem Papier, um seinem Pinocchio einen Anzug zu machen. Daher konnte<br />
die Mitte der sechziger Jahre propagierte Wegwerfmode, von wenigen, speziellen Verwen-<br />
dungsbereichen abgesehen, sich so wenig durchsetzen wie in den achtziger Jahren die ex-<br />
travaganten Papierkleider von Enrica Massei und die Papierblusen von Corregiari, die nach<br />
25maligem Waschen weggeworfen wurden.“ (Schmitt/Strate, Art, 7) Als das Umweltbe-<br />
wusstsein in den letzten Jahren stieg, wurde die Idee des papierenen Totenhemdes wieder<br />
aktuell, aus dem alltäglichen Gebrauch ist die Papierwäsche jedoch gänzlich verschwun-<br />
den. (Vgl. Leitner, Papiertextilien, 30)<br />
2.3 Textiles Papier im<br />
Westen<br />
2.3.1 Papierwäsche in Zeiten<br />
der Not
47<br />
„Neben der Papierwäscheindustrie, die insgesamt eine eher geringe Bedeutung hatte, ent-<br />
wickelte sich Ende des 19. Jahrhunderts im westlichen Kulturkreis auch ein Verfahren, Pa-<br />
pier in Form von Garnen zu verarbeiten. Dieser Industriezweig wuchs vor allem während<br />
der Kriegs- und Zwischenkriegszeiten, in denen <strong>and</strong>ere Rohstoffe Mangelware waren, zu ei-<br />
nem bedeutenden Wirtschaftsfaktor an.“ (Leitner, Papiertextilien, 30) Im Gegensatz zu dem<br />
in Japan in mühevoller H<strong>and</strong>arbeit gefertigtem Shifu, war die Herstellung von Papiergar-<br />
nen im Westen von Beginn an ein industrialisierter Prozess, der immer schon zur Massen-<br />
fertigung gedacht war.<br />
Im Gegensatz zu den sehr geschmeidigen und leichten Shifu-Stoffen aus Japan, die in mü-<br />
hevoller H<strong>and</strong>arbeit hergestellt werden und ihre charakteristische Noppenstruktur aufwei-<br />
sen, sind die industriell gefertigten Papiergarne auf Endlosrollen deutlich steifer und härter<br />
im Griff. Mit dieser weder besonders angenehmen noch textilen Haptik waren die damali-<br />
gen Papiergarne unmöglich aufzuwerten. „Als 1914 aber dann der Erste Weltkrieg ausbrach<br />
und die Rohstoffe für Alltagstextilien immer knapper wurden, sah man sich gezwungen,<br />
das Material zu verfeinern und auch für <strong>and</strong>ere Produktsparten verwendbar zu machen.“<br />
(Leitner, Papiertextilien, 31) „Nun wurden neue Technologien entwickelt, die auch die Pro-<br />
duktion ganz feiner Papiergarne ermöglichten, um daraus Textilien für Bekleidung und<br />
Wohnraum zu schaffen. Bald kamen Ober- und Unterbekleidung, Einlage- und Futterstof-<br />
fe, Nachthemden, Unterwäsche, Mieder, Hüte, Gürtel,<br />
Hosenträger, Taschen, Schuhe und für den Wohn-<br />
raumbereich Möbelbezugsstoffe, Sesselgeflechte,<br />
W<strong>and</strong>schoner, Decken, Teppiche, Tisch- und Bett-<br />
wäsche, Vorhänge, Tapeten, H<strong>and</strong>tücher und vieles<br />
mehr aus dem Ersatzstoff auf den Markt. Außerdem<br />
stellte man daraus Uniformen für Militär, Marine,<br />
Verwaltung und Behörden her. Pro Monat wurden<br />
in Deutschl<strong>and</strong> zwischen 1915 und 1918 nicht weni-<br />
ger als 600 Tonnen Papiergewebe produziert. Das<br />
neu entwickelte Papiergarn war zwar dünn, trotzdem<br />
aber noch sehr unelastisch und hart im Griff. Insge-<br />
samt war die Qualität der Produkte relativ schlecht,<br />
vor allem was ihre Waschbarkeit und den Tragekom-<br />
fort betraf, denn der ursprüngliche Charakter des<br />
Verpackungs- und Schnürmaterials ging nie ganz<br />
verloren. Unter der Bevölkerung waren die Produkte<br />
daher eher unbeliebt.“ (Leitner, Papiertextilien, 32)<br />
„Trotz dieser Aufwertungsversuche verbesserte sich<br />
das Image des Materials kaum, und nach Beendi-<br />
gung des Kriegs verschw<strong>and</strong> es wieder relativ rasch<br />
aus dem täglichen Leben. Die Produktion ging in der<br />
Zwischenkriegszeit drastisch zurück. Nur mehr we-<br />
nige Betriebe stellten das Material weiterhin her und<br />
trugen durch ihre stille Pionierarbeit zur laufenden<br />
Oben:<br />
Abb. 61: Kinderleibchen aus Papiergewebe.<br />
Deutschl<strong>and</strong>, 1916/17.<br />
Unten:<br />
Abb. 62: Papierkragen der Firma<br />
Mey & Edlich. Leipzig.<br />
2.3.2 Industriell hergestellte<br />
Papiergarne<br />
Verbesserung der Garnqualität bei.“ (Leitner, Papiertextilien, ebd.) Durch die technische<br />
Weiterentwicklung der Papiergarne in der Zwischenkriegszeit war das Verfahren in ganz<br />
Europa bekannt geworden, und auch einige <strong>and</strong>ere Länder hatten die Produktion aufge-<br />
nommen. „Es konnte nun wasserfest imprägniert werden, und sein etwas stumpfes Ausse-<br />
hen verbesserte man durch verschiedene Veredelungsverfahren, sodass die Garnqualität<br />
viel höher als noch während des Ersten Weltkriegs war.“ (Leitner, Papiertextilien, 33) „Die-<br />
ser sogenannte Pextil-Jersey wurde auf speziellen Rundstrickmaschinen erzeugt. Die dabei<br />
entstehende Maschenware war weicher und dehnbarer als die relativ steifen Gewebe und<br />
somit angenehmer auf direkter Haut zu tragen. Es wurden daraus hauptsächlich Strümpfe,<br />
Nachthemden, Unterleibchen und Gardinen erzeugt.“ (Leitner, Papiertextilien, ebd.) Doch<br />
selbst nach diversen Versuchen, die Papiergarne aufzuwerten, die W<strong>and</strong>lung vom Ersatzstoff<br />
zum Werkstoff zu propagieren und den Namen Papiergarn durch Zellstoffgarn zu ersetzen,<br />
konnte das minderwertige Image dieses Materials nicht aufgewertet werden. (Vgl.<br />
Leitner, Papiertextilien, 33)<br />
In Finnl<strong>and</strong> herrschte bis Ende der 1950er Jahre Armut und eine Rohstoffknappheit, da<br />
große Mengen, unter <strong>and</strong>erem auch ein Großteil der im L<strong>and</strong> vorh<strong>and</strong>en Textilfasen, an<br />
das frühere Herrschaftsl<strong>and</strong> Russl<strong>and</strong> abgeben werden mussten, weshalb sich Textilgestalter<br />
dort zwangsläufig viel länger als <strong>and</strong>erswo mit den Ersatzstoffen befassen mussten. Da<br />
die billig produzierten Papiergarne als minderwertig angesehen wurden und somit nicht<br />
abgegeben werden mussten, wurden sie in den Nachkriegszeiten in großen Mengen und<br />
auf hohem technischen Niveau weiterverarbeitet. (Vgl. Leitner, Papiertextilien, 36) „Anstatt<br />
in Baumwolle, Leinen oder Seide drückten die Textilschaffenden ihre Ideen in Ersatzmaterialien<br />
aus.“ (Leitner, Papiertextilien, ebd.) „Oft wurden dabei die bunten Papierschnüre<br />
aus Mangel an Alternativen mit <strong>and</strong>eren, ungewöhnlichen Materialien wie Plastikschnüren,<br />
Plexiglasstäben, Birkenrinde, Kunststoffleisten, Bast oder Ähnlichem kombiniert. Die originellen<br />
Musterproben waren Ausgangspunkt für die Produktion von Lampen, Taschen oder<br />
Möbelstoffen.“ (Leitner, Papiertextilien, ebd.) „Erst als sich gegen Ende der 1950er-Jahre die<br />
wirtschaftliche Situation in Finnl<strong>and</strong> verbesserte, verschw<strong>and</strong> die Papierschnur langsam<br />
auch dort.“ (Leitner, Papiertextilien, ebd.) „Aufgrund der historischen Umstände ist es somit<br />
auch nicht verwunderlich, dass der Papierschnurboom der sich zurzeit in ganz Europa<br />
ausbreitet, in den 1980er-Jahren in Finnl<strong>and</strong> seinen Anfang nahm.“ (Leitner, Papiertextilien,<br />
ebd.)<br />
„Im Laufe der Technisierung der Papierherstellung gelang es 1965 einer Fabrik in Tokio, ein<br />
chemisch präpariertes Papier zur Kamiko-Herstellung zu entwickeln. In einer Modeschau<br />
präsentierten die <strong>Design</strong>er dieser Firma Gewänder aus dem neuartigen Produkt, darunter<br />
auch ein Hochzeitskleid. In den USA führten 1966 Papierkleider, die von der Herstellerfima<br />
als Werbekampagne gedacht waren, zu ungeahntem Erfolg. Gegen eine Gebühr von 1,25<br />
Dollar erhielten die Interessentinnen ein Papierkleid per Post zugeschickt. In wenigen Monaten<br />
gingen 500 000 Bestellungen ein, sodass die Firma in Lieferschwierigkeiten geriet.<br />
Die Vielfalt der chemisch präparierten Papiere zeigt sich auch in der Herstellung von Kleidern<br />
aus einem synthetischen Papier, das die Arbeiter in Atomkraftwerken gegen die radioaktive<br />
Strahlung schützt. Ebenfalls in den 60er-Jahren wurden in Deutschl<strong>and</strong> erstmals die<br />
synthetischen Papiervliese Elasil und Pretex hergestellt, die in der Einweganwendung im<br />
Hygienebereich und als Betttücher eingesetzt werden. Yookanshi- und Takeya-Shibori-Pa-<br />
2.4 Synthetische Papiere
49<br />
piere gehen noch weiter, sie wirken wie Leder und sind sehr fest. Diese Materialien entstam-<br />
men der Weiterentwicklung der geölten und mit Tannin beh<strong>and</strong>elten Papiere. Sie werden<br />
zur Produktion von Schirmen, Taschen, Schuhen und Jacken verwendet.“ (Weber, Sprache,<br />
161f)<br />
Ein Material, mit dem <strong>Design</strong>er wie der Modeschöpfer Hussein Chalayan arbeiten, wenn sie<br />
von Kleidung aus Papier sprechen, ist Tyvek <strong>–</strong> papierähnlich an diesem Material ist jedoch<br />
nur dessen Haptik und Optik. Die wirkliche Definition ist: „Ein papiervliesartiges Faser-<br />
funktionstextil aus thermisch verschweißten Fasern aus Polyethylen hoher Dichte (HDPE)<br />
Es wird als dauerhaftes ‚synthetisches Papier‘ in der Verpackungs- und Bürobedarfs-Indus-<br />
trie und als Material für Schutzkleidung in der Reinraumtechnologie, im Operationssaal<br />
und der Spurensicherung verwendet.“ (NN, Tyvek, online) Tyvek wurde 1955 von der Firma<br />
DuPont entwickelt und konnte sich durch seine Leichtgewichtigkeit und Langlebigkeit in<br />
Bezug auf Schutz und Sicherheit in den verschiedensten Anwendungsbereichen als Weltmarktführer<br />
durchsetzen. „Ein ähnliches Endlos-Faser-Vlies aus Polypropylen, das als Teppichrücken<br />
und als Geotextil Anwendung findet, ist Typar der Fa. DuPont.“ (NN, Tyvek, online)<br />
In der Haptik verhält es sich wie Papier, allerdings ist es verformbarer, viel strapazierfähiger<br />
und geschmeidiger als Papier. „Als Material für Schutzkleidung ist es deshalb geeignet, weil<br />
Tyvek einerseits selbst nur sehr wenige Fasern verliert, <strong>and</strong>ererseits durch das Vlies nahezu<br />
keine vom Körper abgeschiedenen Zellen aus dem Anzug heraustreten können.“ (NN, Tyvek,<br />
online) Tyvek wird für Schutzkleidung für Reinbereiche oder als Schutz vor Verschmutzung,<br />
zum Beispiel beim Lackieren sowie als Verpackungsmaterial für Sterilgut verwendet.<br />
Durch die Wasserdichtigkeit und Dampfstoffdiffusionsoffenheit des Materials wird es auch<br />
als zweite Dachhaut verwendet und durch seine Reißfestigkeit für Kontrollarmbänder auf<br />
Festen genutzt. (Vgl. NN, Tyvek, online)<br />
„Versuche um 1980, Tyvek auch für die Herstellung von Kunststoffgeldscheinen zu nutzen,<br />
haben jedoch, außer auf kleinen Inseln, keine breite Anwendung gefunden. Als Tyvek<br />
HomeWrap wird es besonders bei Wohnhäusern aus Holz, wie sie besonders auf dem amerikanischen<br />
Kontinent gebaut werden, als Wetterschutz benutzt. Dazu wird das Haus bis auf<br />
Türen und Fenster nahezu eingewickelt […]. Dadurch kann Feuchtigkeit nicht eindringen<br />
und überschüssige Feuchtigkeit nach außen gelangen.“ (NN, Tyvek, online)<br />
2.4.1 Tyvek
51<br />
„Die Funktion von Papier wird im 21. Jahrhundert meistens auf die eines kurzlebigen Kom-<br />
munikations- und Verpackungsmaterials oder auf die der Basis für gestalterische und<br />
künstlerische Ausdrucksformen reduziert. Papier wird aber auch in ganz <strong>and</strong>eren Kontex-<br />
ten verwendet und je nach Eigenschaft des Rohstoffs, Verarbeitungsmethode und späterer<br />
Funktion setzt es ganz unterschiedliche Maßstäbe.“ (Weber, Sprache, 154) Als Ersatzstoff<br />
für verschiedene <strong>and</strong>ere Materialien ist Papier zum geeignetsten erkoren worden. Vor al-<br />
lem unter den ursprünglich textilen Produkten <strong>–</strong> wie Taschentücher, Servietten und H<strong>and</strong>-<br />
tücher, Tischtücher, Babywindeln, Taschen, Kaffeefilter und Teebeutel <strong>–</strong> hat sich das Papier<br />
als preiswerter und praktischer herausgestellt, weil es nach einmaligem Gebrauch einfach<br />
entsorgt werden kann und somit ganz den Anforderungen unserer Zeit entspricht.<br />
„Unterschied man früher nur zwei Sorten von Papier, nämlich das feine Hadernpapier, das<br />
als Schreib- und Druckpapier verwendet wurde, vom groben Packpapier unterschiedlicher<br />
Farbe, so werden heute 3000 verschiedene Sorten von Papier hergestellt, die unterschiedli-<br />
chen Anforderungen genügen.“ (Kohl, mehr, 190) Vor allem bei Verpackungs- und Hygie-<br />
neprodukten konnte sich das Papier durchsetzen und wurde schnell zum ‚wisch-und-weg‘-<br />
Artikel in unserer Wegwerfgesellschaft.<br />
„Eine der umwälzenden Erfindungen im Bereich der täglichen Hygiene führt zur Ersetzung<br />
des Stofftaschentuchs durch das Papiertaschentuch. 1929 hatte eine Nürnberger Firma<br />
beim Reichspatentamt in Berlin das Warenzeichen TEMPO angemeldet und sechs Jahre<br />
später wurde bereits 35 millionenmal zum Tempo-Taschentuch gegriffen. 1977 überschritt<br />
die Produktion allein der unter dem Markenzeichen TEMPO hergestellten Papiertaschen-<br />
tücher die 10 Milliarden-Grenze. Trotz zahlreicher Mitbewerber am Markt steht noch heute<br />
der Begriff Tempo-Taschentuch für den Artikel schlechthin. Papierserviette und Papierta-<br />
schentuch, hygienisch verpackt, weich und billig, oft in Weiß, erledigen heute die ‚Schmutz-<br />
arbeit‘. Sie haben die Damast- und Batisttücher zwar nicht vollends verdrängt, aber sich im<br />
alltäglichen Gebrauch scheinbar unersetzlich gemacht.“ (Kohl, mehr, 190)<br />
Die in der westlichen Welt in den Zwischen- und Nachkriegszeiten beworbene Papierkleidung<br />
f<strong>and</strong> aufgrund ihres negativen Images keine Anerkennung. „Vorrangige Bedeutung<br />
hat Papierkleidung heute im Arbeitsbereich, wie zum Beispiel in Krankenhäusern. Erstaunlicherweise<br />
hat sie sich aber im Alltag nicht in dem Maße durchsetzen können, wie es eigentlich<br />
aufgrund der leichten H<strong>and</strong>habbarkeit zu erwarten wäre. Selbst Andy Warhol machte<br />
sich über dieses Phänomen bereits Gedanken: ‚Ich habe mir immer gewünscht, ich hätte die<br />
Papierunterhose erfunden, obwohl ich genau weiß, daß sie überhaupt nicht gut eingeschlagen<br />
haben, als sie auf den Markt kamen. Ich bin immer noch der Meinung, daß Papierunterhosen<br />
eine gute Idee sind, und ich weiß auch nicht, warum die Leute keine wollen, wo sie<br />
sich doch längst mit Papierservietten und Papiertischtüchern, mit Papiervorhängen und Papierh<strong>and</strong>tüchern<br />
angefreundet haben <strong>–</strong> es wäre doch sinnvoller, keine Unterhosen waschen<br />
zu müssen, als keine H<strong>and</strong>tücher waschen zu müssen.‘.“ (Kohl, mehr, ebd.)<br />
Auch der papierenen Verpackung wurde immer mehr Bedeutung beigemessen. Ohne Papier<br />
hätten Waren durch die Leichtigkeit des Materials nie so kostengünstig transportiert<br />
und durch die Widerst<strong>and</strong>sfestigkeit nie so problemlos gelagert werden können. „Neben<br />
Holzspanschachteln wurden um 1650 auch Pappschachteln verwendet. Die Gestaltung der<br />
3.1 Papier − Der Ersatzstoff<br />
in einer Wegwerfgesellschaft<br />
Abb. 63: Werbefoto für Tempo-<br />
Taschentücher. VP-Schickedanz<br />
AG, Nürnberg.
53<br />
Verpackung hatte früher noch keinen Bezug zum Inhalt der Packung, sondern schmückte<br />
lediglich. Durch die Erfindung der Wellpappe, die 1871 in New York zum Patent angemeldet<br />
wurde, änderte sich die Nutzbarkeit von Papier für Verpackungszwecke erheblich: Die stabi-<br />
len Wellen schützen empfindliches Gut vor Stoß und f<strong>and</strong>en schnell große Verbreitung. Ein<br />
weiterer Schritt ergab sich durch die erste Rundsiebkartonmaschine, die 1903 in Arnsberg<br />
in Betrieb genommen wurde. Durch die industriell nun relativ günstige Verfügbarkeit von<br />
Packmitteln, die in exakt gleichbleibender Aufmachung gestaltet wurden, erreichte die Ver-<br />
packung neue Qualität und trug zur Produktdifferenzierung bei. Durch ihre unterschiedli-<br />
che und jeweils typische Hülle wurden die Waren vonein<strong>and</strong>er unterscheidbar, entst<strong>and</strong> der<br />
ästhetische und gleichzeitig verführerische Charakter der Verpackung: der Reiz der Hülle.“<br />
(Kohl, mehr, 194<strong>–</strong>196) Heutzutage werden unglaubliche Papiere für Verpackungen produ-<br />
ziert, die mit den verschiedensten Materialien versetzt und kombiniert werden: Sei es in<br />
Schlangenlederoptik, weich wie Plüsch, glänzend und funkelnd wie Plastik oder rustikal<br />
und hart wie eine hauchdünne Scheibe Holz <strong>–</strong> in den Papiermachereien werden schon lange<br />
keine Kosten und Mühen mehr gescheut, geschweige denn Grenzen gesetzt.<br />
„Oft kommen heute auch so genannte Faserverbundstoffe oder ‚Non woven fabrics‘ zum<br />
Einsatz, deren Technologie in den 1960er-Jahren entwickelt wurde. Darunter versteht man<br />
ungewebte, synthetisch hergestellte Vliesstoffe, die gleichzeitig eine papierene und textile<br />
Wirkung haben. Die Fasern werden mittels verschiedener Methoden in Wirrlage gebracht<br />
und durch Verkleben, Verschmelzen und<br />
Ähnliches zu einer Fläche verbunden. Bil-<br />
lige Kleidung, Bettwäsche und Wohn-<br />
raumaccessoires aus Vliesstoffen waren<br />
in den 1960er- und 1970er-Jahren popu-<br />
lär. Bis heute wird das Material als Ein-<br />
lagestoff und aus hygienischen Gründen<br />
in Krankenhäusern, Hotelbetrieben, wis-<br />
senschaftlichen Laboratorien und beim<br />
Militär eingesetzt. Für Theaterkostüme<br />
und zu Dekorationszwecken werden ähn-<br />
liche Materialien, so genannte Tyvek-Stof-<br />
fe, die im vorherigen kurz vorgestellt wer-<br />
den, verwendet, die in den letzten Jahren<br />
wegen ihres papierenen Charakter auch<br />
im Bereich der Alltagskleidung modern<br />
wurden. Es schließt sich also der Kreis:<br />
Einerseits wird Papier als Ersatzstoff für<br />
Textilien verwendet, um den alltäglichen<br />
Gebrauch zu vereinfachen, <strong>and</strong>ererseits<br />
imitiert man neuerdings aber auch be-<br />
reits mit modernen Hightech-Materialien<br />
das Aussehen des Papiers, um zeitgemä-<br />
ße Inhalte zu transportieren <strong>–</strong> ein fortwäh-<br />
rendes Wechselspiel.“ (Leitner, Papiertex-<br />
tilien, 12)<br />
Links<br />
Abb. 64: Dieses Kleid entst<strong>and</strong><br />
im Auftrag von „The Sun“, einer<br />
britischen Zeitung, und besteht<br />
aus über 250 aus Zeitungspapier<br />
gefalteten und zuammengenähten<br />
Blumen. Die Kombination von<br />
Falten und Bildern lässt eine hochwertige,<br />
visuelle Textur entstehen.<br />
Rachael Sleight, Großbritannien.<br />
Rechts:<br />
Abb. 65 und 66: Kostengünstiges<br />
Hochzeitskleid aus Papier. Die<br />
Braut kann aus verschiedenen<br />
Röcken, Miedern und Blumenmustern<br />
wählen. Das Kleid kommt<br />
kurze Zeit später flach gefaltetet<br />
per Post. Die Abfälle der ausgeschnittenen<br />
Muster können sogar<br />
als Konfetti verwendet werden.<br />
Rachael Sleight, Großbritannien,<br />
Rock und Blumen: Fabriano Spa<br />
cartridge 120 g/m 2 , Mieder: Japan-<br />
und Krepppapier.<br />
Spricht man von „Mode aus Papier“, reagieren die Leute unwissend, erstaunt und fasziniert<br />
zugleich. „Wie soll das denn funktionieren?“, wird gefragt. Doch trotz dieses allgemeinen<br />
Unwissens und der anfangs eher erfolglosen Suche nach Informationen und Anwendungen,<br />
wird man schlussendlich fündig: Zahlreiche Künstler, <strong>Design</strong>er, Modeschöpfer, Papierlieb-<br />
haber und Neugierige beschäftigen sich schon seit langer Zeit mit dem Werkstoff Papier als<br />
Ersatzstoff für Textilien. ‚Papier ist dankbar‘, heißt es und so wird probiert und experimen-<br />
tiert, gefaltet, geknittert und wieder glatt gestrichen, geschnitten, gerissen, geklebt, bemalt,<br />
geprägt, gestanzt und in neue Formen gebracht. „Das Manipulieren mit Papier ist anregend,<br />
weil seine Eigenschaften beim Umformen nicht verloren gehen.“ (Özay, Textilforum, 37)<br />
Daraus entstehen künstlerische Meisterwerke, wie die von Isabelle de Borchgrave und Rita<br />
Brown, die Stücke aus der Modegeschichte mit Hilfe von Papier rekreieren. Humorvolle,<br />
dreidimensionale Collagenkleidung, wie die von Charlie Thomas, ein sagenhaftes, individuell<br />
zusammenstellbares Hochzeitskleid, wie das von Rachael Sleight. Das „Project Papermoon“,<br />
bei dem Ann Schmidt-Christensen und Grethe Wittrock mit Papiergarnen in Kombination<br />
mit <strong>and</strong>eren textilen Materialien experimentieren, um daraus gewebte tragbare<br />
Mode zu entwickeln.<br />
Um den Rahmen nicht zu sprengen, werden im folgenden Kapitel nur ein paar der beeindrucktesten<br />
Beispiele vorgestellt.<br />
3.2 Mode aus Papier −<br />
Die <strong>Design</strong>er von heute
55<br />
Schon in der Ausstellung „Papiers à la mode“ stellten Isabelle de Borchgrave und Rita Brown<br />
ihr kreatives Können unter Beweis, indem sie Kleidungsstücke aus der Modegeschichte aus<br />
Papier herstellten. „Inspired by a catalogue from the Kyoto Costume Institute entitled ‚Re-<br />
volution in Fashion’, painter <strong>and</strong> designer Isabelle de Borchgrave decided to recreate some<br />
of the dresses using paper <strong>–</strong> her stock in trade. It soon became a passion <strong>and</strong>, in collabora-<br />
tion with costumier Rita Brown, she has interpreted costumes from museums around the<br />
world. These are certainly not reproductions <strong>and</strong> it is the transition into paper, <strong>and</strong> the way<br />
in which paint is applied to give the impression of lace or fabric that makes the costumes so<br />
imposing.“ (Williams, paperwork, 114)<br />
Als ich Anfang April diesen Jahres den Palazzo Fortuny in Venedig betrat, wurde mir die<br />
Atmosphäre der Kleider von Isabelle de Borchgrave und Rita Brown körperlich bewusst.<br />
Bisher hatte ich ihre Werke nur auf Fotografien gesehen, was mich schon sehr beeindruckt<br />
hatte, nichts aber im Vergleich zu ihnen im Original! Trotz der aufmerksamen Augen der<br />
Museumswärter war es mir ein Mal möglich, kurz über die Papiere zu streichen, um einen<br />
Eindruck von der Haptik zu bekommen <strong>–</strong> die Kleider vermittelten einen stofflichen Eindruck,<br />
der selbst aus der Nähe nicht verschw<strong>and</strong>. Isabelle de Borchgrave war mit dieser Ausstellung<br />
eine Rekreation der imposanten Kollektion des Modeschöpfers Mariano Fortuny,<br />
dessen Räumlichkeiten für die Ausstellung genutzt wurden und dessen textile Vorgänger<br />
in Glasvitrinen hinter den Papierkleidern ausgestellt waren, gelungen. Mit perfektionistischem<br />
Detailreichtum st<strong>and</strong>en die papierenen Kleider den Originalen nur in der Hinsicht<br />
nach, dass man diese nicht tragen konnte. Die Künstlerin hatte mit gekonnten Pinselstrichen<br />
und in aufwändigster Kleinarbeit Papier in textilhafte Meisterwerke verw<strong>and</strong>elt.<br />
3.2.1 Isabelle de Borchgrave<br />
und Rita Brown<br />
„Un Mondo di Carta“ eine Ausstellung<br />
von Isabelle de Borchgrave<br />
in Anlehnung an die Kleider von<br />
Mariano Fortuny, Palazzo Fortuny,<br />
Venedig, 2008.<br />
Unten links:<br />
Abb. 67: Isabelle de Borchgrave.<br />
Oben links und Mitte links:<br />
Abb. 68 und 70: Englisches Abendkleid<br />
aus den 1850er Jahren.<br />
Oben rechts:<br />
Abb. 69: Rekreation eines Mariano<br />
Fortuny Kleides.<br />
Mitte rechts:<br />
Abb. 71: Originale von Mariano<br />
Fortuny.<br />
Unten rechts:<br />
Abb. 72: Rekreation eines Mariano<br />
Fortuny Kleides.
57<br />
„Charlie Thomas ist Grafikdesigner und entwirft auch Kleidungsstücke aus Papier. Seinen<br />
ersten Ausflug in die Welt der Papierkleidung unternahm er, als er in Melbourne am Gra-<br />
fikkonzept für einen Terence-Conran-Laden mitarbeitete. Er entwarf die gesamte Schau-<br />
fenstergestaltung für die Modedesignerin Colette Dinnigan, bestehend aus einem Kleid in<br />
Originalgröße, einer Tasche und Schuhen <strong>–</strong> natürlich alles aus Papier. Auch für Burberry ge-<br />
staltete Charlie Thomas Schaufenster. Damit war er so erfolgreich, dass man ihn einlud, bei<br />
einer Verkaufsausstellung bei Sotheby’s unter dem Titel ‚Out of the Closet <strong>–</strong> Clothes of the<br />
Unwearable‘ teilzunehmen, bei der unter <strong>and</strong>erem Werke von Hussein Chalayan<br />
gezeigt wurden [...]. Die Papierkreationen von Charlie Thomas waren ursprüng-<br />
lich flach <strong>–</strong> eine Art dreidimensionale Collage <strong>–</strong>, doch er hat sich zwischenzeit-<br />
lich weiterentwickelt und stellt nun tragbare Modelle her, auch wenn sie nur einen<br />
Abend überstehen. Die Stilkönigin Isabella Blow beauftragte ihn, ein Ballkleid<br />
aus Papier und eine Jacke aus Folienkrepp für sie anzufertigen, die sie bei den<br />
Modeschauen in Paris trug, Die Beispiele [...], die aus Papier der Qualität Keayko-<br />
lour bestehen, wurden bei einer Ausstellung mit dem Titel ‚On Paper‘ des Crafts<br />
Council gezeigt.“ (Avella, Engineering, 124)<br />
Für die Ausstellung „Out of the Closet <strong>–</strong> Clothes of the Unwearable“ verwendete<br />
Charlie Thomas auf Pappe kaschierte, lebensgroße Fotos von Prada. Den Mann<br />
kleidete er in einen gerade geschnittenen Anzug, die Frau in ein oranges Kostüm,<br />
wobei er die komplette Kleidung aus Papier realisierte.<br />
„He created a whole Channel line, including the suit with the classic buttons, the<br />
shoes, the quilted h<strong>and</strong>bag. People came up to me <strong>and</strong> said why on earth are you<br />
showing Channel here? And I said, actually they’re made in paper. They were so<br />
realistic that people could not see the difference. In terms of collaboration, an interesting<br />
example occurred in connection with this exhibition. We approached<br />
Burberry with a very specific sponsorship proposal: to sponsor Charlie Thomas<br />
to recreate their current range, but made from metallic paper <strong>and</strong> other types [...],<br />
these pieces then to be displayed in their shop windows. Our intention was to<br />
create interest in the Sotheby’s exhibition, a kind of indirect sponsorship.<br />
Burberry agreed <strong>and</strong> showed the designer collection in the windows<br />
in Madison Avenue, <strong>and</strong> I then think it moved to LA <strong>and</strong> then it<br />
went to Paris, <strong>and</strong> finally we had it on a show at Sotheby’s. This particular<br />
collaboration worked very well, for Burberry, for the exhibition,<br />
for Sotheby’s <strong>and</strong> for Charlie, who’s now doing all kinds of other interesting<br />
things <strong>and</strong> is connected with Gucci <strong>and</strong> does a lot of work for<br />
magazines <strong>and</strong> has moved into ceramics.“ (Blackburn, Presentation,<br />
online)<br />
Links<br />
Abb. 73−75: Collagenartige Papierkleider<br />
inklusive Schuhen und<br />
Taschen.<br />
Rechts:<br />
Abb. 76: Spitzenartige Kleider.<br />
3.2.2 Charlie Thomas<br />
Rei Kawakubo wurde 1942 in Tokyo geboren und studierte Kunstwissenschaft und Litera-<br />
tur. 1967 fing sie in einer Textilfirma als Freelancerin zu arbeiten an. 1973 gründete sie ihre<br />
eigene Firma <strong>–</strong> Comme des Garçons. Sie begann mit einer Modekollektion für Frauen und<br />
fügte 1978 auch eine Männerlinie hinzu. Zwei Jahre später zog sie nach Paris und präsen-<br />
tierte saisonal ihre Modekollektionen. Zur selben Zeit eröffnete sie ihre erste Filiale in Paris.<br />
(Vgl. Krebs, Biography, online)<br />
Mit Comme des Garçons spezialisierte sie sich in ‚Anti-Mode‘, streng, oft dekonstruiert mit<br />
fehlenden Ärmeln oder <strong>and</strong>eren Elementen. Ihre Mode ist vorwiegend in schwarz, weiß und<br />
dunkelgrau gehalten und wird mit Militärstiefeln kombiniert. (Vgl. Krebs, Biography, on-<br />
line) „Den Namen ihres Labels hat sie einem Song der französischen Popsängerin Françoi-<br />
se Hardy entlehnt. Er bedeutet: wie die Jungs. In diesen Worten steckt ihre Botschaft: Jungs<br />
verkleiden sich nicht. Jungs drücken sich durch Kleidung aus. Das Gleiche sollte für Frauen<br />
gelten: Sie sind tapfer <strong>–</strong> das muss man sehen können. Sie sind zerbrechlich <strong>–</strong> das muss man<br />
fühlen können. Also veränderte Rei Kawakubo die Chiffren der Weiblichkeit und zerknitter-<br />
te Seide wie Papier. Sie kochte Wolle, bis das Material fest wie ein Panzer wirkte und scheu-<br />
erte Baumwolle zu Lappen. Ihre Schnitte? Ein Desaster. Ausgebeult, übergroß, asymmet-<br />
risch, fransig. Das Futter nach außen gekehrt. Eine Infragestellung aller kleidsamen Werte.<br />
Mode als Kunst <strong>–</strong> und doch bequem für die Trägerin. „Bei Rei Kawakubo“, sagt Suzy Menkes,<br />
die Gr<strong>and</strong>e Dame der Fashionkriti-<br />
ker, „kontrollieren nicht die Kleider<br />
die Menschen, sondern die Men-<br />
schen die Kleider.“ (Friedman, Ka-<br />
wakubo, online)<br />
„Part of the ‚Unfinished’ collection<br />
from the Kyote Costume Institute,<br />
a gift of Comme des Garçons, these<br />
delicate lace-like dresses use a traditional<br />
Japanese cut-out technique<br />
to stencil patterns onto cloth.<br />
Here the stencil becomes the dress<br />
itself, symbolizing the theme of the<br />
collection.“ (Williams, paperwork,<br />
123)<br />
3.2.3 Rei Kawakubo
59<br />
Ann Schmidt-Christensen wurde 1964 in Frederiksberg in Kopenhangen geboren und war<br />
ab 1984 im Atelier MAHU in Frankreich tätig. 1987 arbeitete sie in der Kostümabteilung des<br />
‚Folketeatret‘ in Kopenhagen mit und machte 1993 ihren Abschluss an The Danish School<br />
of Art & <strong>Design</strong>, im selben Jahr startete sie das „Project Papermoon“ mit Grethe Wittrock.<br />
(Vgl. Schmitt/Strate, Art, 34)<br />
Grethe Wittrock wurde 1964 in Kalundborg in Dänemark geboren und absolvierte 1986 eine<br />
Weberlehre bei Anette Juel in Kopenhagen. 1992 schloss sie ihr Studium an The Danish<br />
School of Art & <strong>Design</strong> ab und führte 1990 Textilstudien an der Seika University, am Col-<br />
lege of Fine Art in Kyoto durch. 1993 begab sie sich auf Studienreise nach Japan, die auch<br />
den Beginn des „Project Papermoon“ mit Ann Schmidt-Christensen markierte. Seit 1994 ist<br />
die <strong>Design</strong>erin für Raumtextilien bei Creation Baumann in der Schweiz. (Vgl. Schmitt/Strate,<br />
Art, ebd.)<br />
„Das Project Papermoon ist ein experimentelles Forschungsvorhaben im Bereich des Bekleidungsdesigns.<br />
Es erprobt neue Wege sowohl in Form und Funktion als auch in ästhetischer<br />
und technischer Hinsicht. Die Ergebnisse sind interessant sowohl im Hinblick auf industrielle<br />
Anwendung als auch in Beziehung auf eine innovative Ästhetik und deren Sprache. Als<br />
Material dienen Japanpapiere verschiedener Qualität, Papiergarne <strong>–</strong> gewebt, gestrickt und<br />
geflochten-, Papierbogen <strong>–</strong> speziell beh<strong>and</strong>elt und vorbereitet: gefärbt, bedruckt und mit<br />
neu strukturierter Oberfläche. Dann kommt die räumliche Umsetzung in ein sowohl funktionales<br />
als auch plastisches Kleidungsstück, in dem Material und Form sich zu einem Ganzen<br />
verbinden.“ (Schmitt/Strate, Art, 34)<br />
3.2.4 Ann Schmidt-<br />
Christensen und<br />
Grethe Wittrock − Das<br />
„Project Papermoon“<br />
Unten links:<br />
Abb. 77: The Polar Bear.<br />
Unten rechts:<br />
Abb. 78: The Bird.<br />
Gegenüber oben:<br />
Abb. 79 und 80: Shifu Kleidung<br />
von Gisela Progin.<br />
Gegenüber unten links:<br />
Abb. 81: Kamikoartige Kleidung.<br />
Gegenüber unten rechts:<br />
Abb. 82: Kimono aus dem „Project<br />
Papermoon“. 1995. Gewebe aus<br />
Shifu. Fotografische Inszenierung<br />
für den Scheufelen Kalender 1997.<br />
„So wird zum Beispiel zum schlichten, glatten Papier flauschiges Mohair, Wol-<br />
le oder Baumwollb<strong>and</strong> in Kontrast gesetzt. Die Gewebe sind technisch perfekt<br />
gearbeitet und werden vor dem Zuschnitt gewaschen, sodass sie weicher und<br />
saugfähiger sind.“ (Leitner, Papiertextilien, 165) „Die Schnitte sind sehr schlicht,<br />
bestehend oft nur aus strengen geometrischen Formen oder einzelnen Elemen-<br />
ten, die sich in raffinierten Faltungen zu dreidimensionalen Körperhüllen ver-<br />
w<strong>and</strong>eln.“ (Leitner, Papiertextilien, ebd.) „Trotz dieses künstlerischen Konzepts<br />
ist die Mode von Project Papermoon durchaus tragbar. Die Formen sind falt- oder<br />
schnitttechnisch perfekt an den menschlichen Körper angepasst, und auch das<br />
Material selbst hat angenehme Trageeigenschaften <strong>–</strong> von steifen, formstabilen<br />
Geweben bis hin zu flexiblen, fließenden, fast transparenten Wirkwaren. Diese<br />
Mode ist leicht, wärmeisolierend, schmutzabweisend, waschbar und erzeugt bei<br />
Bewegungen ein sympathisches Rascheln.“ (Leitner, Papiertextilien, ebd.)
61<br />
Hussein Chalayan wurde 1970 in Zypern geboren und machte seine Ausbildung zuerst in<br />
Istanbul, später dann in London. 1993 präsentierte er seine Abschlussarbeit „Buried“ im<br />
Central Saint Martin College for Art <strong>and</strong> <strong>Design</strong>, die den Beginn seiner Karriere markierte.<br />
Ab Oktober 2001 zeigte Hussein Chalayan diese Kollektion auch in Paris. 2003 zeichnete er<br />
als Stylist bei Asprey eine Stilreihe für die Konfektion. (Vgl. Marchetti/Quinz, Dysfashional,<br />
32) „Hussein Chalayans Kreationen konzentrieren sich auf die Körperfunktionen, sowohl<br />
im physischen Bereich, als auch in Bezug auf das Volumen, die Umwelt und der soziokul-<br />
turellen Kontext. Er erforscht seit jeher die Idee des Reisens, der Ortveränderung und der<br />
Verschiebung von Identität. Seine Kleidungsstücke sind so stark von technischer Genauig-<br />
keit und Präzision geprägt, dass sie manchmal architektonisch wirken. Anstelle des klassi-<br />
schen Podiums zieht er für seine Modenschauen spektakuläre Inszenierungen vor, die an<br />
die Grenzen zwischen Mode, <strong>Design</strong>, Performance und Kunst stoßen. Hussein Chalayan ist<br />
heute einer der innovativsten, experimentierfreudigsten und konzeptuellsten Modeschöp-<br />
fer.“ (Marchetti/Quinz, Dysfashional, 32)<br />
„Eine luftige, intime und inhaltsvolle Nachricht, das ist es was Hussein Chalayan mit Air-<br />
mail dress vorschlägt.“ (Marchetti/Quinz, Dysfashional, 33) Dieses wohl bekannteste ‚Pa-<br />
pierkleid‘ von Modeschöpfer Hussein Chalayan geht aus einer ganzen Kollektion von Klei-<br />
dungsstücken aus Papier hervor und ist, wenn man den Brief auffaltet, anziehbar. Dieses<br />
sehr ausgeklügelte Kleid besteht aus Tyvek, ist sogar waschbar und erhielt man mit einer<br />
Anleitung zum Anziehen sowie Aufklebern, um die Reißfestigkeit zu erhöhen, den Schnitt<br />
anzupassen und das Kleid zu versiegeln, per Post. Die Briefhüllenschleppe war am R<strong>and</strong><br />
perforiert, damit man sie, wenn man wollte, auch entfernen konnte. (Vgl. Williams, paper-<br />
work, 124) „Die Idee, die hinter der Kollektion Airmail steht, war, eine Spur von der Anwe-<br />
senheit oder Abwesenheit einer Person zu erschaffen, idem [sic] ihre Kleidung an eine an-<br />
dere Person vers<strong>and</strong>t wird.“ (Marchetti/Quinz, Dysfashional, 34)<br />
„For a designer to use fashion as a laboratory is no novelty. It is the bedrock of teaching at<br />
Saint Martin’s […]. And 35 years before Dior‘s bourgeois clients were sc<strong>and</strong>alized by the<br />
abstract constructs, Paco Rabanne had built a career on his 1960s ‘manifesto’ collection<br />
of ‘Twelve’ Unwearable Dresses’ made of riveted plastic, metal <strong>and</strong> paper. When designers<br />
push the limits of their craft, the results can generate scorn, derision or even rage from people<br />
who consider it decadent or just plain ridiculous to create clothes that can‘t be worn. This<br />
was Blackburn‘s jumping off point: the idea that the current reaction to an image-making<br />
runway show is so often ‘Who wears those clothes?’ Yet Chalayan says that designers cannot<br />
necessarily claim to be artists. And that even if an original abstract idea is so moving<br />
<strong>and</strong> stimulating that it could be considered art, it can still be realized in the form of fashion.<br />
‘People call things art much more easily these days,’ Chalayan said. ‘Fashion comes from<br />
an industrial process, but so now does a lot of art. And I find it quite satisfying to do something<br />
people can wear that still has the remnants of an idea, although the person who wears<br />
it would not know.’” (Menkes, Closet, online)<br />
3.2.5 Hussein Chalayan<br />
Oben:<br />
Abb. 83: Airmail Dress aus Tyvek.<br />
Unten:<br />
Abb. 84−86: Auspacken des Airmail<br />
Dresses.
63<br />
Julie Nioche studierte Tanz am Conservatoire National Supérieur de Musique et de Danse<br />
in Paris und entwickelte ihr Können weiter, indem sie mit berühmten Choreographen wie<br />
beispielsweise Meg Stuart zusammenarbeitete. 1996 gründet Julie Nioche zusammen mit<br />
Rachid Ouramdane das Forschungs- und Produktionsinstitut L‘Association Fin Novembre.<br />
Als Psychologie- und Osteopathiestudentin führte sie therapeutische Workshops mit Pati-<br />
enten durch, die an Essstörung leiden. Auf diese Weise verb<strong>and</strong> sie ihr Studium mit der kre-<br />
ativen Arbeit. Die konzentrierte Besinnung auf den Körper wie Körperbild, die Entwicklung<br />
des Körpers und die Identitätskrise, die durch die allgegenwärtige, gesellschaftliche Fixierung<br />
auf den Körper entstehen sind Mittelpunkt ihrer Arbeit. „She questions the ‘territory’<br />
of dance <strong>and</strong> the conveyance of this practise in other contexts such as architecture, the medical<br />
sphere, or the field of education, in which the body should be given much more space.“<br />
(NN, Nioche, online)<br />
„Julie Nioches Lieblingsthema ist die Wechselhaftigkeit des Alltags. In ‚Matter‘ 11 konfrontiert<br />
sie sich selbst mit den Elementen, um ihre eigene Persönlichkeit und die ihrer Mittänzerinnen<br />
herauszustellen. Mit einfachen Papierkostümen und Wasser schafft Julie Nioche<br />
einen Raum der Verletzlichkeit. Doch die ist wie das Versprechen einer neuen Geburt.“<br />
(NN, Treffen, online) „Three girl’s matter ist ein Film von Laure Delamotte, der während<br />
einer Arbeitsphase für das Projekt Matter der Choreographin Julie Nioche gedreht wurde.<br />
Three girl’s matter ist eine Etappe im Schaffungsprozess von Matter, einem Projekt der<br />
Choreographin Julie Nioche. Diese Arbeitsphase f<strong>and</strong> im Januar 2007 in der Ménagerie de<br />
Verre in Paris statt <strong>–</strong> mit drei der insgesamt fünf, an dem Projekt beteiligten Tänzer-Choreographinnen.<br />
Matter ist eine Verbindungslinie zwischen Künstlern, die sich alle für einen<br />
utopischen Platz des ‚sensibel-sinnlichen‘ in der Gesellschaft einsetzen. Fünf Tänzerinnen,<br />
die zugleich Choreographinnen sind, (Mia Habib, Filiz Sisanli, Bouchra Ouizgen, Rani<br />
Nair und Julie Nioche) arbeiten daran, ihre jeweilige Identität durch die Ausdünnung der<br />
Oberflächenschichten <strong>–</strong> flüchtige Bekleidungsstücke <strong>–</strong> zum Vorschein bringen: die Modeschöpferin<br />
Nino Chubinishvili bekleidet alle diese geisterhaften Frauen mit einer Haut aus<br />
Papierkostümen, die sich im Wasser auflösen; die Architektin Virginie Mira und der Filmemacher<br />
Sylvain Gireaudeau bemühen sich, die Wasservorrichtungen zu schaffen, die den<br />
Raum und die Körper mit dem feuchten Element infiltrieren; und der Musiker Alex<strong>and</strong>re<br />
Meyer macht sich zum Echo der diversen Formen von Musikalität, die den Darstellerinnen<br />
jeweils zueigen ist. Die Premiere von Matter ist für 2008 vorgesehen.“ (Marchetti/Quinz,<br />
Dysfashional, 137)<br />
3.2.6 Julie Nioche<br />
Links:<br />
Abb. 87: Frame aus einem Video,<br />
in dem das choreografische Stück<br />
„Matter“ gezeigt wird, in dem<br />
drei Frauen in Papierkleidern<br />
auftreten.<br />
Rechts:<br />
Abb. 88 und 89: Ausschnitte aus<br />
dem Projekt „Matter“.<br />
---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------<br />
11 Ein Ausschnitt aus "Matter" ist auch unter dem Link http://www.arte.tv/de/Videos-auf-ARTE-TV/2151166,CmC=2066372.html, zuletzt aufgerufen am 22.09.2008, als Stream anzuschauen.<br />
Bei Minute 01:55 beginnt der Teil über Julie Nioche und ihre Aufführung.
65<br />
Im Zusammenspiel von Erfahrenem, Erhaltenem und der Suche nach dem Möglichen ent-<br />
st<strong>and</strong> mein Wunsch, selbst etwas aus Papier entstehen zu lassen. Ich musste das, was ich<br />
bisher gelesen und gesehen hatte, einfach ausprobieren, wollte das Papier auch angreifen,<br />
knüllen und wieder glatt streichen, und mit Schere, Kleber und viel Geduld, die nicht immer<br />
nur vom Papier ausgehen sollte, Kleidungsstücke entstehen lassen.<br />
Nach einer langwierigen Papierrecherche habe ich mich für die Maulbeerstrauchsorte Kozo<br />
entschieden. Unter den vielen Proben, die ich mir zuschicken ließ, waren die Papiere aus<br />
Kozo diejenigen, die optimal für meine Experimente geeignet waren. Beim modulor-Shop<br />
im Internet (www.modulor.de) habe ich mich dann für zwei Arten dieser Papiere entschie-<br />
den:<br />
• Strohseide Silk mit Fasern in Weiß und einer Grammatur von 25 g/m², das transluzent,<br />
seidig, sehr fein anmutet, und dessen Fasern in weißen Fäden im Bogen deutlich sicht-<br />
bar sind, sowie<br />
• Strohseide Kozo in Natur und einer Grammatur von 105 g/m², das wesentlich grober,<br />
dennoch aber sehr weich und voluminös und dadurch flexibler und geschmeidiger ist.<br />
Außerdem hat mir Winter&Company dicke Mustermappen mit faszinierenden Papierpro-<br />
ben zukommen lassen. Diese haben mich, obwohl ich eigentlich vorhatte im Naturpapier-<br />
bereich zu bleiben, so beeindruckt, dass ich mich für weitere fünf Papiersorten aus ihren<br />
Mustern entschied, um meine Kleidungsstücke doch noch mit Farben zu schmücken. Die-<br />
se Sorten sind:<br />
• Corvon Metal-X aus der Reihe Corvon, das ein mit Latex imprägniertes Papier ist, wo-<br />
durch es sich wie Kunststoff anfühlt, sehr flexibel wirkt, kombiniert mit einer golde-<br />
nen Optik, die ganz feine, erhabene Linien aufweist,<br />
• Corvon Senzo in Schwarz. Es ist, wie Metal-X, mit Latex beschichtet und fühlt sich da-<br />
durch weich, im Griff fast feucht und gummiartig an,<br />
• Khepera Madera,<br />
das durch eine spezielle Prägung eine Holzstruktur-Narbung er-<br />
hält und dadurch wie hauchdünn geschnittenes Holz wirkt,<br />
• Nymphea in Hellrosa, das durch Prägung eine ganz besondere gerillte Struktur auf-<br />
weist, sowie<br />
• Papur Natural in Violett, das wie Naturpapier aussieht, sich aber besonders glatt und<br />
weich anfühlt.<br />
Diese Papiere werden normalerweise für Verpackungen, Broschüren, Schreibwaren und<br />
mehr verwendet und sind von der Rolle erhältlich, was bedeutet, dass es sie auch in langen<br />
Bahnen gibt.<br />
Die Kleidungsstücke habe ich komplett aus einem der zwei Japanpapiersorten gefertigt,<br />
die ich immer wieder geknittert und glatt gestrichen habe, bis sie eine weitaus weichere<br />
und textilere Haptik bekamen. Ich habe sie mit einem oder mehreren Papiersorten von<br />
Winter&Company illustrativ versehen und mich an der Technik von den Cook Isl<strong>and</strong>s ori-<br />
entiert. Dabei werden zwei Lagen Papier verwendet, aus der oberen werden Muster ausge-<br />
schnitten, durch die die untere Papierlage sichtbar wird. In ähnlicher Weise habe auch ich<br />
4.1 Das Papier<br />
4.2 Die Bearbeitung<br />
gearbeitet und hinter ein ausgeschnittenes Muster ein weiteres Papier geklebt oder illustra-<br />
tive Elemente aus dem einen Papier geschnitten und auf dem <strong>and</strong>eren angebracht.<br />
Zum Zusammenfügen der Papiere habe ich mich nach den verschiedensten Versuchen mit<br />
Nähen, Flüssigkleber oder Klebeb<strong>and</strong> für das effektivste entschieden <strong>–</strong> ein sehr starkes, dop-<br />
pelseitiges Klebeb<strong>and</strong>. Damit konnte ich nicht nur gezielt die Teile mitein<strong>and</strong>er verbinden,<br />
es drückte sich auch nicht wie Flüssigkleber durch oder ließ, wie beim Nähen, das Papier bei<br />
zu starkem Zug einreißen sondern ist an den Klebestellen sogar noch flexibler geworden.<br />
Außerdem konnte ich durch das Klebeb<strong>and</strong> Raffungseffekte erzielen, die an bestimmten<br />
Stellen für taillierte Schnitte sorgen und sich so besser an die Körperformen anpassen.<br />
Um die Kleider gut an- und wieder ausziehen zu können, habe ich mich für ein so genann-<br />
tes Dual-Lock-System entschieden, das ich auch bei modulor bestellen konnte. Dieses sieht<br />
aus wie die eine Hälfte eines Klettverschlusses. Durch die feinen, gebogenen Kunststoffhär-<br />
chen verhaken sich diese beim Zusammendrücken inein<strong>and</strong>er. Auf der Rückseite sind sie<br />
mit Klebestreifen versehen, mit denen man sie gut und fest an den entsprechenden Stellen<br />
des Papiers anbringen kann.<br />
Stolz<br />
Für dieses Kleid habe ich das Kozo-Papier Strohseide Silk mit Fasern verwendet. Es war mein<br />
erster Versuch <strong>–</strong> ich musste das Papier einfach in dieser Größe sehen und war neugierig, wie<br />
es sich in diesen Proportionen verhält. Daraus ist eine sehr lehrreiche Studie geworden, wie<br />
man praktisch mit diesen Papieren arbeiten kann und muss. In der Größe einer Person wirkt<br />
das so feine Papier noch luftiger. Mir wurde auch klar, dass ich dringend etwas Beschwerendes<br />
am unteren Teil des Kleides benötige. So brachte ich dort, wie auch an den Seiten, einen<br />
Streifen von dem Papier Corvon Metal-X an wodurch sich die Möglichkeit einer Raffung ergab.<br />
Somit formt sich das Kleid ab der Hüfte auf eine ganz spezielle Art und Weise und wird<br />
an einer Seite mehr nach oben gezogen als an der <strong>and</strong>eren.<br />
Auch der Schulterüberwurf war relativ kompliziert. Da das Kozo-Papier transluzent ist,<br />
musste ich darauf achten, dass gewisse Körperstellen mit dem Goldpapier verdeckt wurden.<br />
Bei der Gelegenheit wurde ich darauf aufmerksam, dass eine Schneiderpuppe nicht<br />
ein menschlicher Körper ist. Außerdem habe ich alle Falten des Überwurfs auf dem darunter<br />
liegenden Goldpapier mit doppelseitigem Klebeb<strong>and</strong> und Flüssigkleber so fixiert, dass<br />
absolut nichts verrutschen kann.<br />
Wie schon vorhin erwähnt, habe ich das unkomplizierte An- und Ausziehen des Kleides<br />
durch den Dual-Lock-Verschluss ermöglicht. Das Kleid ist dabei in zwei Komponenten aufgeteilt:<br />
Das Oberteil, das man sich über den Kopf ziehen als auch am Rücken seitlich mit<br />
einem angebrachten Streifen verschließen kann sowie der corsagenartige Teil, an den der<br />
Rock geklebt ist und der am Rücken zugemacht werden kann.<br />
Die Form des Kleides, wie auch die Wahl des Papiers verleihen der Trägerin ein stolzes Aus-<br />
sehen. Das Kleid wirkt sehr klassisch, durch das Material Papier aber auch modern und klar.<br />
Das goldene Effektpapier erzeugt zusätzlich eine edle Optik.<br />
4.3 Die Kleider
67<br />
Schönheit<br />
Bei diesem Kleid, das mein zweites war, habe ich das Papier Strohseide Kozo in Verbindung<br />
mit zwei Effektpapieren verwendet: Khepera Madera und Papur Natural. Eine große Er-<br />
leichterung im Vergleich zum ersten Kleid war die Blickdichte dieses Papiers. So habe ich<br />
es aus zwei Stücken Kozo-Papier, die an den Seiten zusammengeklebt wurden, gefertigt.<br />
Das Kleid ist trägerlos, wodurch der obere R<strong>and</strong> sehr genau angepasst werden musste. Dem<br />
entsprechend habe ich den Abschluss am Dekolleté mit Khepera Madera gestaltet, das ich<br />
in einem dünnen Streifen angebracht habe, sowie weiterführende, geschwungene Muster,<br />
die sich bis an die Hüfte ziehen, eingearbeitet. Am oberen R<strong>and</strong>, wie auch kurz unter dem<br />
Brustteil habe ich wieder Raffungen erzielt, durch die an diesen Stellen Taillierungen ent-<br />
stehen. Aus dem Kozo-Papier habe ich illustrative Elemente geschnitten und dahinter das<br />
Papier Khepera Madera angebracht. So sieht man durch die ausgeschnittenen Stellen das<br />
dahinter liegende Papier, zusätzlich beschwert es das sehr luftige Kozo-Papier nach unten<br />
hin. Etwas feinere, illustrative Elemente habe ich mit Papur Natural vom Saum nach oben<br />
hin weitergeführt.<br />
Dieses Kleid kann an der Seite problemlos auf- und zugemacht werden. Der Dual-Lock-Ver-<br />
schluss ist hier durchgängig und hält, wie auch bei den <strong>and</strong>eren Kleidern fest verschlos-<br />
sen. Durch das naturfarbene Kozo-Papier sowie die braun-violetten Effektpapiere wirkt das<br />
Kleid natürlich und lieblich. Die Muster verleihen dem Kleid ein verspieltes Aussehen.<br />
Zusätzlich habe ich eine Art Schal, der gut in Kombination mit diesem Kleid zu tragen ist,<br />
angefertigt. Dieser besteht komplett aus dem Papier Strohseide Kozo. Man kann ihn einfach<br />
über den Kopf ziehen und trägt ihn etwas über die Schultern gezogen. Um einen faltigen<br />
Look zu erzielen und ihn zu fixieren, habe ich doppelseitiges Klebeb<strong>and</strong> verwendet.<br />
Mut<br />
Das dritte Kleidungsstück wurde durch meine gesammelten Erfahrungen das Ausgereif-<br />
teste. Man kann den Fortschritt darin gut erkennen, den ich gemacht habe. Ich war schon<br />
beim Anfertigen wesentlich routinierter und konnte dadurch noch kreativer arbeiten, weil<br />
ich mich nicht mehr so auf die Schnitte, Klebe- und Verschlussarten konzentrieren musste.<br />
Bei diesem Kleidungsstück habe ich wieder das Papier Strohseide Kozo verwendet, das mir<br />
von seiner Optik und Haptik mittlerweile wesentlich sympathischer geworden war. Das<br />
blickdichtere und viel geschmeidigere Papier war vor allem durch seine höhere Reißfestig-<br />
keit für diese Art der Kleidung geeigneter. Der tiefe Schritt ist einer japanischen Kampfho-<br />
se und die Ärmel des Oberteils denen eines Kimonos nach empfunden. Um das sehr sport-<br />
liche Outfit zu unterstreichen, habe ich die Papiere Corvon Senzo in glattem Schwarz und<br />
Nymphea in Hellrosa gewählt. Die daraus entst<strong>and</strong>enen Muster sind kantiger und wirken<br />
entsprechend strukturierter und härter.<br />
Das Oberteil, das man wie eine Jacke anziehen und hinten verschließen kann, besteht aus<br />
einem Brustteil mit kimonoartigen Ärmeln. Dieses habe ich aus Kozo-Papier gefertigt, um<br />
für mehr Flexibilität im Brustbereich und Leichtigkeit in den großflächigen Ärmel zu sor-<br />
gen. Außerdem habe ich noch einen corsagenartigen Teil aus dem Papier Corvon Senzo<br />
angefertigt, der am Rücken verschlossen wird. Am Abschluss der Corsage habe ich einen<br />
Streifen Kozo-Papier angebracht, der rüschenartig darunter hervorsteht.<br />
Die Hose hat, einer japanischen Kampfhose ähnlich, einen tiefsitzenden Schritt. Durch ei-<br />
nen Verschluss entlang des Oberschenkels kann man problemlos in die Hose schlüpfen.<br />
Zusätzlich habe ich am Bund der Hose einen Streifen Corvon Senzo angebracht, den man<br />
enger und weiter ziehen kann, und an dem seitlich ein ausgeschnittenes Muster des Papiers<br />
Nymphea hängt. Auf der <strong>and</strong>eren Seite der Hose habe ich ein Muster im selben Stil aus den<br />
Papieren Corvon Senzo und Nymphea mit doppelseitigem Klebeb<strong>and</strong> befestigt. Außerdem<br />
habe ich an der unteren Seite jedes Hosenbeins ein kurzes Stück Dual-Lock angebracht, so-<br />
dass man sie bis zum Knie hochziehen kann und sie dort auch gut halten.<br />
Um die Papierkleider optimal dokumentieren zu können, entst<strong>and</strong>en die Fotos von meinen<br />
Werkstücken. Als Location habe ich nach etwas gesucht, das rustikal und modern industri-<br />
ell zugleich wirkt. Als geeignet für meine Vorstellungen hat sich die Gegend rund um den<br />
Hamburger Hafen angeboten, die den zum einen industriellen, zum <strong>and</strong>eren aber auch so<br />
charakteristischen Ausblick auf die Verladegebiete gewährt und als Umfeld ihre rustika-<br />
len, aber bereits renovierten Backsteinbauten. Die alten Speicher strahlen dabei ihre ganz<br />
besondere Atmosphäre vergangener Zeiten aus. Die gegenwärtig sehr futuristische Umge-<br />
bung der Hafencity von den Marco Polo Terassen aus verbindet das Bild mit heute.<br />
So hat sich die Kunst der Papierkleidherstellung auch mir dargestellt und ich wollte den<br />
Gegensatz zwischen damals und heute, Tradition und Moderne unterstreichen. Die Kunst,<br />
Kleider herzustellen hat eine lange Tradition und erfreut sich in der heutigen Zeit wieder<br />
größerer Beliebtheit. Der Werkstoff Papier, der tief in vielen Kulturen verwurzelt ist, hat<br />
nichts an Attraktivität eingebüßt und wird noch immer als etwas Modernes, Klares und<br />
Einzigartiges angesehen.<br />
Diesen Kontrast habe ich durch die Wahl des Models, das meine Papierkleider auf den Fo-<br />
tos trägt, dargestellt. Sawitri ist typisch asiatisch: Sie hat feine Züge, eine zierliche Figur und<br />
eine zurückhaltende, grazile Anmutung.<br />
So verbinden sich die alten asiatischen Traditionen mit der Gegenwart.<br />
4.4 Die Dokumentation<br />
Seite 71-74:<br />
Abb. 90-93: Das erste Kleid, „Stolz“,<br />
fotografiert bei den Marco Polo<br />
Terassen mit Blick auf den Hamburger<br />
Hafen. September 2008.<br />
Seite 75-79:<br />
Abb. 94-98: Das zweite Kleid,<br />
„Schönheit“, fotografiert bei den<br />
Marco Polo Terassen (Abb. 96-98)<br />
sowie auf einer Backsteintreppe,<br />
die in die Elbe führt (Abb. 94 und<br />
95). September 2008.<br />
Seite 80-86:<br />
Abb. 99-104: Das dritte Outfit,<br />
„Mut“, fotografiert auf einer metallenen<br />
Brücke in der Hamburger<br />
Speichstadt. September 2008.
87<br />
Mit meiner <strong>Diplomarbeit</strong> möchte ich eine Grundlage über Papier und seine Verarbeitung<br />
als Bekleidungsstück in den verschiedensten Kulturen bis hin zu den vielfältigsten, kreati-<br />
ven Herangehensweisen moderner Gestalter schaffen.<br />
Durch die Arbeit zieht sich das Motiv Papier als Medium und als solches habe ich es auch<br />
weiter in meinem Werkstück beh<strong>and</strong>elt. Dieses Material, das als Botschafts- und Kulturträ-<br />
ger Einzug in die Geschichte gefunden hat, wird von mir von einer ganz <strong>and</strong>eren, aber min-<br />
destens genauso faszinierenden Seite beleuchtet. In meinen Werkstücken beschäftige ich<br />
mich nicht direkt mit den Schnitten der Kleider, weil ich mir das nicht anmaßen möchte und<br />
kann, sondern weil die Experimente mit dem Material vorrangig für mich waren. Ich wollte<br />
das Papier als Werkstoff in angew<strong>and</strong>ter Form begreifen. Ich habe mich im Zuge dieser Ar-<br />
beit mit der Optik, vor allem aber mit der Haptik der verschiedensten Papiersorten intensiv<br />
ausein<strong>and</strong>er gesetzt.<br />
Ich habe herausgefunden, wie besonders, voluminös und weich sich h<strong>and</strong>geschöpftes Pa-<br />
pier im Gegensatz zu dem in Massen industriell erzeugtem anfühlt, und wie sich japanische<br />
Papiere von den westlichen unterscheiden. Ich habe eine deutliche Entwicklung in meinem<br />
Bewusstsein für die haptischen Qualitäten von Papier erkennen können. So habe ich zum<br />
ersten Mal Toilettenpapiere, papierene Tischdecken oder Zettel in Kleidungsstücken bewusst<br />
angegriffen und mich oft gefragt: Papier oder Textil? Oder vielleicht doch Synthetik?<br />
Deshalb finde ich es auch sehr schade, dass ich nie die Möglichkeit hatte, die so faszinierend<br />
klingenden Tapa-Stoffe anzugreifen. Mich würde wirklich interessieren, wie sie sich vor allem<br />
im Gegensatz zu Washi anfühlen.<br />
Außerdem bedaure ich es sehr, dass ich, trotz der Versicherung ihrer Assistentin, das Interview<br />
mit Frau Borchgrave nie führen konnte. Neben Fragen zu ihrer Person und ihrer persönlichen<br />
Geschichte, die sie auf Kleidung aus Papier gebracht hatte, hätten mich besonders<br />
ihre Antworten auf praxisorientierte Fragen interessiert. Es hätte mich sehr gefreut, zu<br />
erfahren, welche Papiersorten sie für ihre Kleider verwendet und wie sie diese beh<strong>and</strong>elt <strong>–</strong><br />
ob sie sie auch knittert oder ob durch das „bloße“ Bemalen die textile Wirkung erzeugt wird.<br />
Außerdem hatte ich gehofft, mir Tipps und Tricks für die Herstellung und Tragbarkeit von<br />
Papierkleidern von ihr zu holen. Vom Besuch ihrer Ausstellung in Venedig konnte ich mir<br />
zumindest eines mitnehmen: Um die leichten Papiere zu beschweren, hatte sie aus Papiergarn<br />
und Perlen eine Schnur entlang der unteren Enden ihrer Kleider gezogen. In ähnlicher<br />
Form musste auch ich arbeiten. So habe ich jeweils einen in Größe und Form variierenden<br />
Streifen eines Effektpapiers jeweils an den Säumen der Kleider angebracht, damit das Papierkleid<br />
schön zu Boden fällt.<br />
Im Zuge meiner Recherche habe ich eine derartige Fülle an Kunstwerken gesehen, sodass<br />
ich sehr lange überlegen musste, was ich genau machen möchte. Allerdings war mir von<br />
Anfang an klar, dass ich durch die japanischen Papiere auch diese Ästhetik, zumindest teilweise<br />
in meinen Kleidern verarbeiten würde. Ich wagte mich jedoch erst mit meinem letzten<br />
Kleidungsstück, „Mut“, an die etwas komplizierteren Kimonoärmel und den tiefsitzenden<br />
Schritt heran. Vor lauter Aufregung mit diesen kostbaren Papieren vorsichtig und sparsam<br />
zu arbeiten, konnte ich mich auf die zurückhaltende und geometrische Ästhetik der japanischen<br />
Tradition auch erst bei diesem Outfit einlassen. Bei dem vorangegangenen Kleid,<br />
„Schönheit“, habe ich mich vorwiegend auf die Muster und ihre Anbringung konzentriert.<br />
Das erste Kleid, „Stolz“, war hingegen eher ein Versuch, bei dem ich mich mit der Materie<br />
erst vetraut machen musste.<br />
Um eine inhaltliche Brücke zwischen der japanischen Tradition und der industriellen, westlichen<br />
Welt zu schaffen, hatte ich das Fotoshooting mit zwei Mädchen geplant. Eines sollte<br />
asiatisch sein, das <strong>and</strong>ere typisch westlich: Eine kühle, nordische Schönheit, groß und blond.<br />
Aufgrund von diversen, sehr kurzfristigen Absagen, war es mir leider nicht möglich, diese<br />
zwei Mädchentypen zu kombinieren. Nichtsdestotrotz haben die Fotos mit Sawitri meine<br />
Erwartungen übertroffen. Nicht nur, dass sie mich mit ihrer Ausstrahlung und Schönheit<br />
in den Bann gezogen hat, die Kleider haben ihr auch wie angegossen gepasst. Die schwarzen,<br />
glatten Haare, die grazile und sehr feine Gestalt und ihre delikaten Gesichtszüge haben<br />
die Dokumentation der Kleidungsstücke vervollständigt und abgerundet. So schaffe<br />
ich die Verbindung zwischen Ost und West nun doch durch Sawitri und die Umgebung auf<br />
den Fotos.<br />
Alles in allem habe ich sehr viel gelernt, habe viel an Wissen und Erfahrung gesammelt, an<br />
praktischem Arbeiten mit Papieren, sowie an dem Vertrauen, mich in ein sehr unbekanntes<br />
Thema einarbeiten zu können gewonnen. So hoffe ich, etwas mit dieser Arbeit weitergeben<br />
zu können!
89<br />
Avella, Natalie: Paper Engineering. Papier als 3D-Werkstoff, München: Stiebner Verlag<br />
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Berger, Dorit: Die Geschichte des Papiers, Hannover: Werkstatt-Verlag 1985<br />
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Weber, Therese: Die Sprache des Papiers. Eine 2000-jährige Geschichte, Bergisch Glad-<br />
bach: Haupt 2004
91<br />
Abb. 01: Weber, Therese: Die Sprache des Papiers. Eine 2000-jährige Geschichte, Bergisch<br />
Gladbach: Haupt 2004, S. 20<br />
Abb. 02: Weber, Therese: Die Sprache des Papiers. Eine 2000-jährige Geschichte, Bergisch<br />
Gladbach: Haupt 2004, S. 25<br />
Abb. 03: Weber, Therese: Die Sprache des Papiers. Eine 2000-jährige Geschichte, Bergisch<br />
Gladbach: Haupt 2004, S. 25<br />
Abb. 04: Weber, Therese: Die Sprache des Papiers. Eine 2000-jährige Geschichte, Bergisch<br />
Gladbach: Haupt 2004, S. 24<br />
Abb. 05: Weber, Therese: Die Sprache des Papiers. Eine 2000-jährige Geschichte, Bergisch<br />
Gladbach: Haupt 2004, S. 106<br />
Abb. 06: Leitner, Christina: Papiertextilien. Geschichte <strong>–</strong> Materialien <strong>–</strong> Experimente, Pas-<br />
sau: Haupt 2005, S. 8<br />
Abb. 07: Weber, Therese: Die Sprache des Papiers. Eine 2000-jährige Geschichte, Bergisch<br />
Gladbach: Haupt 2004, S. 75<br />
Abb. 08: Beyerstedt, Horst-Dieter: Ich brauch Hadern zu meiner Mühl. Zur Rohstoffversor-<br />
gung der Nürnberger Papiermühlen in: Franzke, Jürgen / von Stromer, Wolfgang (Hg.):<br />
Zauberstoff Papier, München: Hugendubel 1990, S. 99<br />
Abb. 09: Weber, Therese: Die Sprache des Papiers. Eine 2000-jährige Geschichte, Bergisch<br />
Gladbach: Haupt 2004, S. 60<br />
Abb. 10: Kohl, Isolde M. Th.: Es ist mehr als „nur“ Papier, in: Franzke, Jürgen / von Stromer,<br />
Wolfgang (Hg.): Zauberstoff Papier, München: Hugendubel 1990, S. 193<br />
Abb. 11: Weber, Therese: Die Sprache des Papiers. Eine 2000-jährige Geschichte, Bergisch<br />
Gladbach: Haupt 2004, S. 107<br />
Abb. 12: Weber, Therese: Die Sprache des Papiers. Eine 2000-jährige Geschichte, Bergisch<br />
Gladbach: Haupt 2004, S. 107<br />
Abb. 13: Weber, Therese: Die Sprache des Papiers. Eine 2000-jährige Geschichte, Bergisch<br />
Gladbach: Haupt 2004, S. 107<br />
Abb. 14: Weber, Therese: Die Sprache des Papiers. Eine 2000-jährige Geschichte, Bergisch<br />
Gladbach: Haupt 2004, S. 107<br />
Abb. 15: Weber, Therese: Die Sprache des Papiers. Eine 2000-jährige Geschichte, Bergisch<br />
Gladbach: Haupt 2004, S. 107<br />
Abb. 16: Weber, Therese: Die Sprache des Papiers. Eine 2000-jährige Geschichte, Bergisch<br />
Gladbach: Haupt 2004, S. 161<br />
Abb. 17: Weber, Therese: Die Sprache des Papiers. Eine 2000-jährige Geschichte, Bergisch<br />
Gladbach: Haupt 2004, S. 162<br />
Abb. 18: Weber, Therese: Die Sprache des Papiers. Eine 2000-jährige Geschichte, Bergisch<br />
Gladbach: Haupt 2004, S. 162<br />
Abb. 19: Leitner, Christina: Papiertextilien. Geschichte <strong>–</strong> Materialien <strong>–</strong> Experimente, Pas-<br />
sau: Haupt 2005, S. 20<br />
Abb. 20: Weber, Therese: Die Sprache des Papiers. Eine 2000-jährige Geschichte, Bergisch<br />
Gladbach: Haupt 2004, S. 160<br />
Abb. 21: Leitner, Christina: Papiertextilien. Geschichte <strong>–</strong> Materialien <strong>–</strong> Experimente, Pas-<br />
sau: Haupt 2005, S. 26<br />
Abb. 22: Leitner, Christina: Papiertextilien. Geschichte <strong>–</strong> Materialien <strong>–</strong> Experimente, Pas-<br />
sau: Haupt 2005, S. 29<br />
Abb. 23−28: Leitner, Christina: Papiertextilien. Geschichte <strong>–</strong> Materialien <strong>–</strong> Experimente,<br />
Passau: Haupt 2005, S. 54<br />
Abb. 29: Leitner, Christina: Papiertextilien. Geschichte <strong>–</strong> Materialien <strong>–</strong> Experimente, Pas-<br />
sau: Haupt 2005, S. 28<br />
Abb. 30: Neich, Roger / Pendergrast Mick: Traditional Tapa. Textiles of the Pacific, London:<br />
Thames <strong>and</strong> Hudson 1997, S. 8<br />
Abb. 31: Neich, Roger / Pendergrast Mick: Traditional Tapa. Textiles of the Pacific, London:<br />
Thames <strong>and</strong> Hudson 1997, S. 14<br />
Abb. 32 und 33: Neich, Roger / Pendergrast Mick: Traditional Tapa. Textiles of the Pacific,<br />
London: Thames <strong>and</strong> Hudson 1997, S. 15<br />
Abb. 34 und 35: Neich, Roger / Pendergrast Mick: Traditional Tapa. Textiles of the Pacific,<br />
London: Thames <strong>and</strong> Hudson 1997, S. 15<br />
Abb. 36: Leitner, Christina: Papiertextilien. Geschichte <strong>–</strong> Materialien <strong>–</strong> Experimente, Pas-<br />
sau: Haupt 2005, S. 13<br />
Abb. 37−41: Neich, Roger / Pendergrast Mick: Traditional Tapa. Textiles of the Pacific, Lon-<br />
don: Thames <strong>and</strong> Hudson 1997, S. 12<br />
Abb. 42: Weber, Therese: Die Sprache des Papiers. Eine 2000-jährige Geschichte, Bergisch<br />
Gladbach: Haupt 2004, S. 29<br />
Abb. 43: Neich, Roger / Pendergrast Mick: Traditional Tapa. Textiles of the Pacific, London:<br />
Thames <strong>and</strong> Hudson 1997, S. 45
93<br />
Abb. 44 und 45: Neich, Roger / Pendergrast Mick: Traditional Tapa. Textiles of the Pacific,<br />
London: Thames <strong>and</strong> Hudson 1997, S. 20<br />
Abb. 46: Neich, Roger / Pendergrast Mick: Traditional Tapa. Textiles of the Pacific, London:<br />
Thames <strong>and</strong> Hudson 1997, S. 11<br />
Abb. 47: Neich, Roger / Pendergrast Mick: Traditional Tapa. Textiles of the Pacific, London:<br />
Thames <strong>and</strong> Hudson 1997, S. 20<br />
Abb. 48: Neich, Roger / Pendergrast Mick: Traditional Tapa. Textiles of the Pacific, London:<br />
Thames <strong>and</strong> Hudson 1997, S. 87<br />
Abb. 49: Neich, Roger / Pendergrast Mick: Traditional Tapa. Textiles of the Pacific, London:<br />
Thames <strong>and</strong> Hudson 1997, S. 105<br />
Abb. 50: Neich, Roger / Pendergrast Mick: Traditional Tapa. Textiles of the Pacific, London:<br />
Thames <strong>and</strong> Hudson 1997, S. 154<br />
Abb. 51−53: Neich, Roger / Pendergrast Mick: Traditional Tapa. Textiles of the Pacific, Lon-<br />
don: Thames <strong>and</strong> Hudson 1997, S. 83<br />
Abb. 54: Neich, Roger / Pendergrast Mick: Traditional Tapa. Textiles of the Pacific, London:<br />
Thames <strong>and</strong> Hudson 1997, S. 83<br />
Abb. 55: Neich, Roger / Pendergrast Mick: Traditional Tapa. Textiles of the Pacific, London:<br />
Thames <strong>and</strong> Hudson 1997, S. 74<br />
Abb. 56: Neich, Roger / Pendergrast Mick: Traditional Tapa. Textiles of the Pacific, London:<br />
Thames <strong>and</strong> Hudson 1997, S. 137<br />
Abb. 57: Neich, Roger / Pendergrast Mick: Traditional Tapa. Textiles of the Pacific, London:<br />
Thames <strong>and</strong> Hudson 1997, S. 54<br />
Abb. 58: Neich, Roger / Pendergrast Mick: Traditional Tapa. Textiles of the Pacific, London:<br />
Thames <strong>and</strong> Hudson 1997, S. 45<br />
Abb. 59: Neich, Roger / Pendergrast Mick: Traditional Tapa. Textiles of the Pacific, London:<br />
Thames <strong>and</strong> Hudson 1997, S. 42<br />
Abb. 60: Neich, Roger / Pendergrast Mick: Traditional Tapa. Textiles of the Pacific, London:<br />
Thames <strong>and</strong> Hudson 1997, S. 102<br />
Abb. 61: Leitner, Christina: Papiertextilien. Geschichte <strong>–</strong> Materialien <strong>–</strong> Experimente, Pas-<br />
sau: Haupt 2005, S. 32<br />
Abb. 62: Leitner, Christina: Papiertextilien. Geschichte <strong>–</strong> Materialien <strong>–</strong> Experimente, Pas-<br />
sau: Haupt 2005, S. 30<br />
Abb. 63: Kohl, Isolde M. Th.: Es ist mehr als „nur“ Papier, in: Franzke, Jürgen / von Stromer,<br />
Wolfgang (Hg.): Zauberstoff Papier, München: Hugendubel 1990, S. 191<br />
Abb. 64: Williams, Nancy: more paperwork. exploring the potential of paper in design <strong>and</strong><br />
architecture, London: Phaidon Press Limited 2005, S. 125<br />
Abb. 65 und 66: Williams, Nancy: more paperwork. exploring the potential of paper in de-<br />
sign <strong>and</strong> architecture, London: Phaidon Press Limited 2005, S. 126−127<br />
Abb. 67: Pascaline, Vatin Barbini: Un mondo di carta. Isabelle de Borchgrabe incontra Ma-<br />
riano Fortuny, Milano: Skira 2008, S. 106<br />
Abb. 68: de Borchgrave, Isabelle / Brown, Rita: Papiers à la Mode. A Fashion Collections of<br />
Paper Dresses, Brüssel: Bellew Publishinh Co Ltd. 2000, S. 6<br />
Abb. 69: Pascaline, Vatin Barbini: Un mondo di carta. Isabelle de Borchgrabe incontra Ma-<br />
riano Fortuny, Milano: Skira 2008, S. 72<br />
Abb. 70: de Borchgrave, Isabelle / Brown, Rita: Papiers à la Mode. A Fashion Collections of<br />
Paper Dresses, Brüssel: Bellew Publishinh Co Ltd. 2000, S. 34<br />
Abb. 71: Pascaline, Vatin Barbini: Un mondo di carta. Isabelle de Borchgrabe incontra Mari-<br />
ano Fortuny, Milano: Skira 2008, S. 17<br />
Abb. 72: Pascaline, Vatin Barbini: Un mondo di carta. Isabelle de Borchgrabe incontra Ma-<br />
riano Fortuny, Milano: Skira 2008, S. 16<br />
Abb. 73−75: Avella, Natalie: Paper Engineering. Papier als 3D-Werkstoff, München: Stiebner<br />
Verlag GmbH 2004, S. 124<br />
Abb. 76: Williams, Nancy: more paperwork. exploring the potential of paper in design <strong>and</strong><br />
architecture, London: Phaidon Press Limited 2005, S. 123<br />
Abb. 77 und 78: Leitner, Christina: Papiertextilien. Geschichte <strong>–</strong> Materialien <strong>–</strong> Experimente,<br />
Passau: Haupt 2005, S. 167<br />
Abb. 79−81: Leitner, Christina: Papiertextilien. Geschichte <strong>–</strong> Materialien <strong>–</strong> Experimente,<br />
Passau: Haupt 2005, S. 149<br />
Abb. 82: Weber, Therese: Die Sprache des Papiers. Eine 2000-jährige Geschichte, Bergisch<br />
Gladbach: Haupt 2004, S. 163<br />
Abb. 83: Williams, Nancy: more paperwork. exploring the potential of paper in design <strong>and</strong><br />
architecture, London: Phaidon Press Limited 2005, S. 124<br />
Abb. 84−86: Marchetti, Luca / Quinz, Emanuele: Dysfashional, Luxemburg: Actar 2007, S. 34<br />
Abb. 87: Marchetti, Luca / Quinz, Emanuele: Dysfashional, Luxemburg: Actar 2007, S. 136<br />
Abb. 88 und 89: http://www.flickr.com/photos/imagesdedanse/2527862320/in/set-<br />
72157605282801857/, zuletzt aufgerufen am 19.09.2008<br />
Abb. 90−104: Fotografien der Autorin.