"Klassenfeinden" wurden Kollegen - Kienbaum
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Seite 22 <strong>Kienbaum</strong>-Journal<br />
Juli 2010<br />
Bundestrainer Reiner Kießler über neue Tendenzen im Kanusport:<br />
Die Spezialisierung schreitet voran<br />
Während eines Vorbereitungslehrgangs<br />
in <strong>Kienbaum</strong> sprach Chef-<br />
Bundestrainer Reiner Kießler ganz<br />
offen Probleme an, die mit der Einführung<br />
der olympischen 200-m-<br />
Strecke verbunden sind und bereits<br />
2012 in London zum Tragen kommen.<br />
Auf Beschluss des Internationalen<br />
Kanu-Verbandes gehört die 200m-Strecke<br />
künftig zum Standardprogramm.<br />
Dafür fallen die<br />
500-m-Wettbewerbe weg. "Wir müssen<br />
deshalb völlig neue Konzepte<br />
entwerfen, denn die Teilnehmerfelder<br />
werden künftig noch ausgeglichener,<br />
die Entscheidungen noch enger."<br />
Die ersten Wochen der Saison liegen<br />
hinter den Kanuten, wie fällt Ihr<br />
Urteil aus?<br />
Reiner Kießler: "Wir können durchaus<br />
mit dem Zustand unserer Fahrer<br />
und Fahrerinnen zufrieden sein, denn<br />
die bisherigen Weltcups zeigten,<br />
dass wir gut gearbeitet haben und<br />
die nach den Olympischen Spielen<br />
2008 zwangsläufig entstandenen<br />
Lücken nahtlos schließen konnten."<br />
Europa- und Weltmeisterschaften<br />
stehen in diesem Jahr auf dem Programm.<br />
Welchen Stellenwert haben<br />
beide Ereignisse?<br />
Kießler: "Die EM im spanischen<br />
Trasona Anfang Juli hat sicherlich<br />
nicht den gleichen hohen Stellenwert<br />
für uns wie die WM Mitte August in<br />
Poznan. Deshalb traten wir beim<br />
ersten Termin auch nicht unbedingt<br />
mit unserem allerbesten Aufgebot<br />
an, sondern gaben verstärkt Aktiven<br />
aus der zweiten Reihe eine Chance.<br />
Dennoch gab es fünf Siege und zwar<br />
durch Max Hoff (Kajak-Einer) und<br />
Sebastian Brendel (Canadier-Einer),<br />
ferner Andreas Ihle/Martin Hollstein<br />
(Kajak-Zweier) sowie die beiden<br />
Kajak-Vierer der Männer und Frauen.<br />
Hinzu kamen noch drei zweite und<br />
fünf dritte Plätze.“<br />
In dieser Saison gibt es, bedingt<br />
durch die nicht von allen gutzuheißende<br />
Entscheidung des Internationalen<br />
Verbandes, einige Neuerungen.<br />
Wie sehen diese aus?<br />
Kießler: "Die gravierendsten Veränderungen<br />
beziehen sich dabei auf<br />
das olympische Programm. Künftig<br />
fallen sämtliche 500-m-Wettbewerbe<br />
Schwarz-Rot-Gold - so sind die Farben des Einer-Canadiers Sebastian Brendel,<br />
der sich zwischen der 200- oder 1000-m-Strecke entscheiden musste<br />
bei den Männern weg. Das betrifft<br />
den Kajak-Einer und -Zweier sowie<br />
den Canadier-Einer und -Zweier. Sie<br />
werden durch die Disziplinen auf der<br />
200-m-Strecke ersetzt. Das gilt für<br />
den K1 und K 2, den C 1 der Männer<br />
sowie den K1 der Frauen. Was nichts<br />
anderes heißt, als dass fortan eine<br />
noch größere Spezialisierung erforderlich<br />
wird, denn niemand dürfte in<br />
der Lage sein, sowohl über die kurze<br />
Strecke als auch über die traditionel-<br />
len 1000 Meter zur Weltspitze zu<br />
zählen. Einmal wird absolute Sprintfähigkeit<br />
verlangt, andererseits totale<br />
Ausdauer gefordert."<br />
Und was bedeutet das schließlich<br />
für Trainer und Aktive?<br />
Kießler: "Eine völlig neue Herausforderung,<br />
der sich alle stellen müssen.<br />
In jedem Fall sind andere Konzepte<br />
notwendig, aber es gibt auch<br />
schmerzliche Trennungen. Besonders<br />
schade ist das für unseren so<br />
erfolgreichen 500-m-Kajakzweier.<br />
Ronald Rauhe und Tim Wieskötter<br />
müssen künftig wohl oder übel<br />
getrennte Wege gehen. Grundsätzlich<br />
ist es so, dass auf den kurzen<br />
Distanzen in der Regel Tausendstelsekunden<br />
oder ein einziger Paddelschlag<br />
über Sieg oder Niederlage<br />
entscheiden. Die Konkurrenz rückt in<br />
jedem Fall enger zusammen, doch<br />
ich hoffe, wir haben das entsprechende<br />
Potenzial. Schließlich<br />
wurde Rauhe im letzten Jahr<br />
Weltmeister über die 200m-Strecke,<br />
die ihm gut liegt."<br />
Einige Kanuten haben ja<br />
nach Olympia aufgehört,<br />
andere stellten ihre beruflichen<br />
Ambitionen in den Vordergrund.<br />
Wie sind Sie<br />
damit zurecht gekommen?<br />
Kießler: "Uns allen war<br />
bewusst, dass nach Peking<br />
ein gewisser Umbruch einsetzen<br />
würde, doch er fiel<br />
nicht ganz so dramatisch<br />
aus wie befürchtet, wenngleich<br />
er im Canadier-<br />
Bereich schon etwas stärker zu<br />
spüren ist. Andreas Dittmer, unser<br />
vielfacher Weltmeister und Olympiasieger<br />
von 2004, steht ebenso nicht<br />
mehr zur Verfügung wie Andreas Gille,<br />
der vor zwei Jahren in Peking mit<br />
Tomas Wylenzek im Zweier Gold holte.<br />
Zum Glück sind die meisten<br />
Kadersportler jedoch dabei geblieben<br />
und greifen, nach einer gewissen<br />
Pause, jetzt wieder voll an, schon<br />
im Hinblick auf die kommenden<br />
Bundestrainer Reiner Kießler<br />
Olympischen Spiele, die 2012 in<br />
London stattfinden."<br />
Wie sieht denn Ihre Planung für<br />
die kommenden zwei Jahre aus?<br />
Kießler: "Bereits 2011 müssen wir<br />
danach trachten, bei den entsprechenden<br />
Regatten auch die erforderlichen<br />
Quotenplätze für London zu<br />
sichern, damit wir im Olympiajahr<br />
nicht unter unnötigen Druck und in<br />
Zeitnot geraten. Natürlich haben wir<br />
bereits eine Zielvereinbarung mit<br />
dem Deutschen Olympischen Sportbund<br />
getroffen, die unter anderem<br />
besagt, dass wir genauso viele<br />
Medaillen erringen wollen wie zuletzt<br />
in Peking, nämlich sieben an der<br />
Zahl, wenngleich die Farben noch<br />
etwas besser sein könnten."<br />
Und was folgt danach. Wird der<br />
DKV auch weiter zu Deutschlands<br />
erfolgreichstem olympischen Sommerverband<br />
zählen?<br />
Kießler: "Eines steht fest, wir dürfen<br />
auf keinen Fall unseren Nachwuchs<br />
vernachlässigen. Wir wissen,<br />
dass wir es in Deutschland demnächst<br />
mit einem Geburtenknick zu<br />
tun haben und dass andere Sportarten,<br />
die ohne so ein wackliges Sportgerät<br />
wie das unserige auskommen,<br />
längst dabei sind, frühzeitig Talente<br />
zu sichten und sie an sich zu binden,<br />
die uns dann letzten Endes fehlen.<br />
Um jedoch weiter international erfolgreich<br />
zu sein, brauchen wir vor allem<br />
eine finanzielle Unterstützung, die wir<br />
für unsere Jugendförderung einsetzen<br />
müssen. Und weil durch die Einführung<br />
der olympischen 200-m-<br />
Strecke auch eine Spezialisierung<br />
unabänderlich ist, benötigen wir<br />
unbedingt einen Sprinttrainer."