DÜRENS STATT-MAGAZIN - DNS-TV
DÜRENS STATT-MAGAZIN - DNS-TV
DÜRENS STATT-MAGAZIN - DNS-TV
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
24<br />
Verdammt lang her..<br />
<strong>DNS</strong><br />
Oma, wie war das denn damals?! (Teil XIX)<br />
Am nächsten Tag nach dieser erdrückenden Hiobsbotschaft<br />
und mit den Gedanken, auf unserem ganzen Hab und Gut in einer<br />
kalten Turnhalle zu sitzen, klang es wie eine frohe Botschaft,<br />
dass uns aus dem 9 km entfernten Weißendorf ein Pferdefuhrwerk<br />
des Bauern, bei dem wir ein Zimmer (für 5 Personen) hätten,<br />
abholen würde.<br />
Es war eine lange Warterei am nächsten Tag, bis der zweirädrige<br />
Karren von einem kräftigen Ackergaul ruhig gezogen, vor<br />
die Turnhalle kam, wo schon viele Evakuierte mit Gepäck auf<br />
ihre Abholung warteten. Es war schon ziemlich kalt, meine<br />
Geschwister und ich hatten warme Mützen auf, pelzgefütterte<br />
Fausthandschuhe und dicke Schals.<br />
Aber der Fuhrmann setzte uns in großes Erstaunen. Er war kräftiger<br />
„alter Mann“( heute schätze ich ihn auf 50 Jahre) und trug einen<br />
alten Mantel und eine Pelzmütze, wie der Nikolaus. Er hatte<br />
einen dicken grauen Schnauzbart in seinem blau-roten freundlichen<br />
Gesicht, und seine Hände waren ebenfalls mehr blau als<br />
rot und sehr abgearbeitet.<br />
Er sagte “Guten Tag“, seine Adresse und seinen Namen, den ich<br />
noch mit “Wuggedien“ in Erinnerung habe. Er half uns, das Gepäck<br />
zu verladen, uns Plätze auf der Schaukelkarre zu suchen<br />
und fuhr sofort wieder ab.<br />
Nach einer langen Zeit kamen wir kalt und hungrig in Weißendorf<br />
an. Der Hof lag in der Ortsmitte gleich am großen Dorfteich,<br />
dort war auch ein Lebensmittelgeschäft und das Haus des Bürgermeisters,<br />
die Schule war auch nicht weit.<br />
Wir holperten durch das große Eingangstor bis rechts vor die<br />
Haustür, gleich links war ein riesiger Misthaufen mit einem<br />
für uns ungewohnten „Duft“ und einem kleinen, grünen Holzhäuschen<br />
mit Herz in der Tür. Meine Mutter, die ich bis dahin<br />
kaum vernommen hatte, sagte nur:“ Ach du lieber Gott.“<br />
Dann erschien der alte Bauer, an dem uns gleich das Holzbein,<br />
wie bei den Piratenkapitänen, die müden Augen wieder voll aufklappen<br />
ließ. Die Tochter, etwa so alt wie meine Mutter, hatte<br />
dunkle schmale Augen und einen schwarzen Haarknoten im<br />
Nacken. Bei ihrem Lächeln fragte ich mich, ob das eins war. Sie<br />
trug Edgar ihren zweijährigen Sohn auf dem Arm, dessen äußerst<br />
flacher Hinterkopf mir fremdartig erschien.<br />
Man zeigte uns unser Zimmer auf der 1. Etage, wohin eine breite<br />
gewendelte Holztreppe hinführte. Es war ein großes Doppelschlafzimmer.<br />
In der Mitte des Raumes stand ein schwarzer<br />
eiserner Ofen- ein Schmuckstück! Er besaß 3 Etagen: die erste<br />
hatte die Feuerstelle und war etwa 50 mal 30cm groß und mit<br />
2 schönen filigranen Eisentürchen versehen. Auf der zweiten<br />
Etage gab es wieder ein Blech, auf das zwei Tassen passten. Die<br />
dritte Etage nahm gerade eine kleinere Kaffeekanne auf und<br />
hatte ein Türchen. „Putzig“, sagte Mama und verdrehte die Augen.<br />
Bei der Wahl des Kessels hieß es schon: Aufpassen, dass er<br />
auch reinpasst!<br />
Dann kam die schönste Ansage der Wirtin: “Es stört ja sicher<br />
nicht, ich habe das Zimmer für mich und Edgar gleich neben-<br />
02/10<br />
an- leider muss<br />
ich dazu durch Ihr<br />
Zimmer!“........ Meine<br />
Eltern waren eine<br />
Weile sprachlos.<br />
Was sollten sie auch<br />
in dieser Lage mit<br />
Kindern zwischen<br />
3 und 13 bei aller<br />
Freundlichkeit sagen?<br />
Papa wurde gereizt<br />
und ungemütlich,<br />
Mama still. Papa<br />
hatte nichts mehr<br />
zu rauchen, und das<br />
Geschäft war auch<br />
noch zu.<br />
Außerdem wollte er<br />
Propaganda für den Kriegseinsatz der Frauen<br />
schnellstens nach<br />
Düren zurück und nachsehen, ob noch etwas zu retten war. Also<br />
hieß es, einen kleinen Koffer packen und warten, bis er zurück<br />
war. Die Angelegenheit mit frischem Wasser und Toilette war<br />
weitaus primitiver als in der Gartenwohnung in Düren.<br />
1 Eimer für frisches Wasser, 1 Eimer für Schmutzwasser, 1 Schüssel<br />
auf einem Hocker zum Waschen, für die Nacht ein Marmeladeneimer<br />
mit Deckel- für alle Fälle.<br />
Viel, viel später konnte ich erst ermessen, welche Qual das für<br />
meine Mutter war, obwohl wir ihr dieses Eimerlaufen abnahmen.<br />
Die Toilette war eine zugige Katastrophe. Was sich da bei<br />
dem starken Frost so aufbaute, musste mit einem Rechen, der<br />
angelehnt auf dem Misthaufen stand, umgestoßen werden.<br />
Meine Mutter verbot uns Mädchen, in die Ställe oder Scheunen<br />
zu gehen<br />
Ich freute mich jedenfalls auf die Schule. Es gab nur eine Klasse.<br />
Fast jede Reihe hatte etwas anderes zu lernen. Der Lehrer trug<br />
SA-Uniform mit Armbinde und Sturmriemen. Er fragte eines Tages<br />
die Klasse:“ Glaubt ihr an den Sieg?“ Ihm schallte ein lautes<br />
„Ja“ aus aller Munde zu, dann hatten wir unsere Ruhe und er war<br />
zufrieden.<br />
Wuggedien (serb. Kriegsgefangener) war freundlich zu uns Kindern<br />
und nahm uns öfter mit dem Fuhrwerk mit.<br />
Weil er so verfrorene Hände hatte und so nett zu uns Kindern<br />
war, nähte Mama ihm ein paar fellgefütterte Fausthandschuhe.<br />
Zwei Tage später hatte sie sich dafür beim Bürgermeister zu verantworten!.....<br />
Sie hatte Glück, und man ließ sie in Ruhe. Seitdem suchten wir<br />
eine Bleibe in den Nachbardörfern.<br />
Das Einzige, was einen mit dem Schicksal versöhnen konnte,<br />
war der fehlende Fliegeralarm, von dem die Leute im Dorf keine<br />
Ahnung hatten.<br />
Marianne Klein