Alex Dysli
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Dänu Riesen<br />
Redaktor<br />
TÖFF<br />
Micha Kutschke<br />
Redaktor<br />
Lausbub und Gentleman<br />
Bekanntlich verändert sich die Einstellung der Menschen<br />
im Strassenverkehr abhängig davon, mit welchem<br />
Verkehrsmittel sie unterwegs sind. Brave Fussgänger<br />
zum Beispiel mutieren zu ellbögelnden<br />
Autofahrern. Juristen, Gralshüter der Buchstaben getreuen<br />
Gesetzesauslegung, kümmern sich einen Deut<br />
um alle Vorschriften und Regeln, sobald sie auf einem<br />
Velo sitzen. Ich wiederum bin in der Regel ein ziemlich<br />
Harmloser. Auf dem Motorrad jedoch dringt schon<br />
mal meine dunkle Seite an die Oberfläche.<br />
Es gibt einfach Situationen, in denen es schwer fällt,<br />
brav zu bleiben. Kolonnen in der Stadt sind so ein Klassiker.<br />
Ich fahre sehr oft mit dem Töff zur Arbeit ins<br />
Zentrum der Stadt Bern. Dank zahlloser Baustellen<br />
gibt‘s praktisch nur noch eine gescheite Reiseroute –<br />
entsprechend kenne ich jeden Meter und jeden Rotlicht-Rhythmus<br />
auswendig. Oft mogle ich mich dann<br />
an den drei, vier vor mir stehenden Autos vorbei, denn<br />
ich weiss, dass sie es mit ihren verschlafenen Ampelstarts<br />
nirgends hinbringen, während ich zügig beschleunigend<br />
(aber nie das Tempolimit übertreffend)<br />
so etwas wie eine grüne Welle schaffe. Oder die ausgezogenen<br />
Linien. Die werden ja immer zahlreicher,<br />
und oft machen sie ja wohl auch Sinn. Doch sie haben<br />
in meinen Biker-Augen eine Schwäche: Sie sind für die<br />
Fahrdynamik eines Mittelklasseautos ausgelegt. Wo<br />
ein Auto zwingend hinten bleiben muss, kann ein Töff<br />
Nomaden auf zwei Rädern<br />
Tourenfahrer – egal mit welchem Motorrad, egal wie<br />
fern ihre Ziele auch immer waren. Töfffahrer, die in<br />
Wüsten auf Dünen sitzen oder auf den hohen Bergen<br />
der Anden, der Alpen oder sonst wo auf der Welt<br />
ihren Frieden finden – die gab´s auch schon vor Jahren.<br />
Damals, als wir noch Teenager waren, waren Motorrad-Fernreisende<br />
für viele von uns Idole. Sie erschufen<br />
unsere Träume. Träume, die es zu erfüllen galt. Oft haben<br />
solche Leute, ganze Frauen und Kerle eben, Motorrad-Epochen<br />
geprägt: Zum Beispiel Fernreisen auf<br />
der Route 66 oder ans Nordkap. Mich hat es wegen<br />
solcher Motorradnomaden 1984 mit einer Strassenmaschine<br />
erstmals in die Sahara verschlagen. Seither<br />
hat mich der Schwarze Kontinent, aber auch das<br />
Reisen mit dem Motorrad, nie wieder losgelassen.<br />
Wirtschaftskrise, Werbespots und Schweinegrippe…<br />
Presse<br />
MOTOSPORT SCHWEIZ<br />
gefahrlos vorbei brausen. Zweifellos eine illegale Tat,<br />
aber ich bin überzeugt, die Tragweite meines Tun‘s<br />
selbständig einschätzen zu können (was mir sogenannte<br />
Sicherheitsexperten natürlich umgehend ausreden<br />
würden…) Im Übrigen: Überholen ist für mich<br />
weder Machtdemonstration noch Selbstzweck, ich suche<br />
meist nur die freie Fahrt für die nächsten Kurven,<br />
in denen mir die Blechdosen sonst sowieso nur im<br />
Weg stünden.<br />
Weil ich weiss, dass ich mit solchen anarchischen Anflügen<br />
nicht nur Sympathie ernte, versuche ich, bei Gelegenheit<br />
wieder etwas gutzumachen. Ich bin ja ein<br />
netter Mensch, und im Verkehr gibt‘s genügend Gelegenheit,<br />
das zu zeigen. Wenn drei Autofahrer achtlos<br />
einen Fussgängerstreifen mit wartenden Menschen<br />
überfahren, stoppe ich grad extra, das Visier oben. Die<br />
Leute dürfen ruhig sehen, dass nicht einfach ein hirnloser<br />
Raser auf dem Bike sitzt, sondern ein Mensch mit<br />
einem Gesicht. Beim Kolonnen fahren wiederum lasse<br />
ich entgegenkommende Linksabbieger noch so gern<br />
mit einer Geste oder der Lichthupe passieren.<br />
Ein bisschen Goodwill kann uns Töfffahrern nicht schaden.<br />
Wir sind nicht allein auf der Strasse, auf die Rücksicht<br />
der anderen sind wir auch angewiesen, obwohl<br />
wir nicht damit rechnen können. Denn wenns kracht,<br />
sind immer wir die Dummen.<br />
Die Zeiten haben sich geändert, die globalisierte Welt<br />
scheint zu klein für Motorräder vom Schlage meiner<br />
alten YAMAHA Ténéré geworden zu sein. Die Reisefreiheit<br />
in der Sahara wurde klammheimlich abgeschafft.<br />
Wir träumen weiter. Und das ist gut so. Das Leben ist<br />
schön, und das Touren und Reisen mit dem Motorrad<br />
bleibt weiterhin ein entscheidendes Stück Lebensqualität.<br />
Ars Vivendi – die Kunst zu Leben ist noch immer<br />
das beste Mittel für einmal dem ganzen Nonsens eine<br />
Absage zu erteilen. Gönnen wir uns das. In diesem Sinne<br />
wünsche ich allen Mitgliedern des GTS/FJR-Clubs<br />
Suisse viele traumhafte Touren in sonniger Herbstlandschaft.<br />
PS: Unter www.toeff-magazin.ch finden Sie zahlreiche<br />
GPS-Tourentipps zum Downloaden<br />
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