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Die Stimmen der Arbeiterinnen - Christliche Initiative Romero eV

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System beutet die vorhandenen Fertigungskapazitäten und<br />

das Know-how Osteuropas aus. Während es in diesen Län<strong>der</strong>n<br />

zehntausende Nähfabriken gibt, ist die Textilindustrie<br />

und das dazugehörige Know-how, das Design und das Marketing-Know-how<br />

vor fünfzehn Jahren praktisch von einem<br />

auf den an<strong>der</strong>en Tag zu Grunde gegangen. <strong>Die</strong> Lieferanten<br />

geben den Druck, dem sie einerseits in Form von geringen<br />

Gewinnspannen und kurzen Lieferfristen ausgesetzt sind,<br />

und ihre Liquiditätsprobleme auf Grund von Kapitalmangel<br />

und einer hohen Abhängigkeit von Zahlungsfristen und -<br />

bedingungen an die ArbeiterInnen weiter, was <strong>der</strong>en<br />

Arbeitsbedingungen massiv in Mitleidenschaft zieht.<br />

Daher stellt PLV sowohl für die Volkswirtschaften als auch<br />

für annehmbare Arbeitsbedingungen11 eine regelrechte Sackgasse<br />

dar. Das PLV-System hat zwar scheinbar eine „Tiger-<br />

Industrie” mit einem boomenden Sektor, hohen Zuwachsraten<br />

und Arbeitsplätzen hervorgebracht, in Wirklichkeit<br />

jedoch handelt es sich um die Produktionsverlagerung <strong>der</strong><br />

westeuropäischen Hersteller zu parasitären Bedingungen.<br />

Von PLV-verursachtem „Downgrading” zu<br />

„Upgrading” – o<strong>der</strong>: die Aufträge gehen<br />

nach China<br />

Wie für viele an<strong>der</strong>e Län<strong>der</strong>, so war die passive Lohnveredlung<br />

auch für die osteuropäischen Transformationswirtschaften<br />

12 die einzige Möglichkeit, am Welthandel teilzunehmen,<br />

und das mit relativ geringem Risiko. Gleichzeitig<br />

aber wurde in Osteuropa die lokale Textilindustrie nahezu<br />

ausgelöscht 13 . Stoffe, Garne, Knöpfe, Reißverschlüsse – alles<br />

wird aus dem Ausland geliefert, einschließlich Design und<br />

den Mustern für Kleidung und Schuhe. Vertikal integrierte<br />

Betriebe, die Gewebe und Bekleidung selbst produzierten,<br />

können heute ihr eigenes Gewebe kaum noch in ihrer<br />

Bekleidungsproduktion einsetzen. <strong>Die</strong> lokale Herstellung<br />

und das gesamte Textilproduktions-Know-how sind aus <strong>der</strong><br />

Region verschwunden. Dafür sehen sich die einheimischen<br />

Hersteller in einer doppelten Abhängigkeit: hinsichtlich <strong>der</strong><br />

Inputs (Materialien, Schnitte) ebenso wie <strong>der</strong> Outputs<br />

(Qualitätskontrolle, Preisbildung, Lieferfristen usw.) 14<br />

Nun, da einige Län<strong>der</strong> dieser Region Mitglied <strong>der</strong> EU sind<br />

und PLV keine Option mehr ist 15 , empfehlen die EU und die<br />

Weltbank ein Upgrading <strong>der</strong> Branche. Wie verlautete, stelle<br />

PLV eine Chance dar, eine Grundlage aufzubauen, doch<br />

nun sei es an <strong>der</strong> Zeit, die Industrie auf eine höhere Stufe<br />

zu bringen. <strong>Die</strong>s heißt, dass die bisherigen Lohnveredler<br />

jetzt die Rohstoffbeschaffung, das Design und Marketing<br />

selbst übernehmen sollen, um eigene Marken entwickeln<br />

und vermarkten zu können, also als vollstufige Anbieter in<br />

jene Bereiche <strong>der</strong> Bekleidungsproduktion gehen, die profitträchtiger<br />

sind und eine stärkere Marktposition versprechen.<br />

Derartige Empfehlungen sind angesichts <strong>der</strong> vorliegenden<br />

Rechercheergebnisse allerdings kaum zu verwirklichen,<br />

we<strong>der</strong> für einzelne Firmen noch für die Branche. Für ein<br />

entsprechendes Upgrading wäre das Know-how notwendig,<br />

das vor fünfzehn und mehr Jahren verloren gegangen ist,<br />

und es auf einem von global players beherrschten Weltmarkt<br />

wie<strong>der</strong>zugewinnen, dürfte äußerst schwierig sein. Nicht<br />

zuletzt verhin<strong>der</strong>n die niedrigen Gewinnspannen <strong>der</strong> Lohnveredlung<br />

die nötigen Investitionen seitens <strong>der</strong> Lieferanten.<br />

Um überhaupt investieren und upgraden zu können, brauchen<br />

die früheren PLV-Lieferanten technische und finanzielle<br />

Unterstützung sowie Auftragsstabilität. Damit ist<br />

aber kaum zu rechnen, da die Einzelhändler die Hersteller<br />

mit Niedrigpreisen mehr und mehr vom Markt verdrängen<br />

und mittlerweile in Osteuropa zu den hauptsächlichen Einkäufern<br />

geworden sind. Es liegt keineswegs in ihrem Interesse,<br />

mit den Lieferanten zusammenzuarbeiten, damit diese<br />

die Produktion „upgraden”. Dem zu Folge stehen die Lieferanten<br />

vor dem Dilemma, aus eigener Kraft vollstufige Produzenten<br />

zu werden o<strong>der</strong> gar keine Aufträge mehr zu<br />

bekommen.<br />

In Polen mit seiner leistungsstarken Bekleidungsindustrie<br />

und <strong>der</strong> Exportausrichtung auf Deutschland hat <strong>der</strong> EU-<br />

11 Siehe „Made in Osteuropa – die neuen Modekolonien“, Berlin 2002<br />

12 Transformationswirtschaften bezieht sich auf die ehemaligen sozialistischen<br />

Län<strong>der</strong>, die entwe<strong>der</strong> zur Sowjetunion gehörten o<strong>der</strong> Satellitenstaaten<br />

waren.<br />

13 Mit Ausnahme von Lettland und Litauen<br />

14 Graziani 1998, Musiolek 2002, zitiert in: Fichter/Hennek/San<strong>der</strong>/Winterstein:<br />

<strong>Die</strong> wirtschaftliche Transformation Bulgariens unter bes. Berücksichtigung<br />

<strong>der</strong> Arbeitsbedingungen in <strong>der</strong> Bekleidungsindustrie, Friedrich-Ebert-Stiftung,<br />

Bonn 2004, S. 87<br />

15 PLV, ursprünglich für den Handel zwischen <strong>der</strong> EU und Staaten vereinbart,<br />

die dieser noch nicht beigetreten sind, entfällt sofort mit dem Beginn <strong>der</strong><br />

Vollmitgliedschaft.<br />

7

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