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Römermuseum Avenches – Dauerausstellung - Musée Romain ...

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<strong>Römermuseum</strong> <strong>Avenches</strong> <strong>–</strong> <strong>Dauerausstellung</strong><br />

übersetzung Silvia Hirsch<br />

© <strong>Musée</strong> <strong>Romain</strong> <strong>Avenches</strong>


<strong>Römermuseum</strong> <strong>Avenches</strong> <strong>–</strong> <strong>Dauerausstellung</strong><br />

Inhaltsverzeichnis<br />

Erdgeschoss <strong>–</strong> Einführung 3<br />

Aventicum, Hauptstadt der Helvetier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3<br />

Das Römische Reich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4<br />

Die Schweiz zur Römerzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4<br />

Zeittafel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5<br />

Erdgeschoss 7<br />

Die Bewohner der römischen Schweiz und der Tod . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7<br />

Graburnen 9<br />

Kindergräber 10<br />

Brandgräber 10<br />

Körpergrab 11<br />

Christliches Grab 12<br />

Die aussergewöhnlichen Funde der Nekropole von En Chaplix 12<br />

Die Grabdenkmäler von En Chaplix 13<br />

Das nördliche Grabdenkmal 14<br />

Das südliche Grabdenkmal 15<br />

Die Inschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17<br />

Die Steininschriften von <strong>Avenches</strong>/ Aventicum 18<br />

Verschiedenes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19<br />

1. Stock 21<br />

Die Anfänge von Aventicum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21<br />

Die einheimische Bevölkerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22<br />

Sprache und Schrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23<br />

Die Zeitrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25<br />

Masse und Gewichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26<br />

Der Dodekaeder, ein Messgerät ? 28<br />

Theater, Spiele und Musik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28<br />

Geld und Zahlungsverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31<br />

Das Münzsystem vom 1. bis 3. Jahrhundert 31<br />

Preise und Löhne 31<br />

Echte und falsche Münzen 32<br />

Geld ausgeben oder sparen? Münzfunde geben die Antwort 32<br />

Rom und Aventicum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33<br />

Der Kaiser, das Kaiserhaus und die Provinz 33<br />

Inhaltsverzeichnis<br />

1


Die Religion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38<br />

Die orientalischen Kulte 38<br />

Römische Religion 38<br />

Mythologische Figuren 41<br />

Die einheimischen Götter 41<br />

Schutzgötter des Hauses und ihre Kulte: Lararien und Hauskapellen 43<br />

Die Heiligtümer von Aventicum 43<br />

Von der Spätantike ins frühe Mittelalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44<br />

2. Stock 45<br />

Ein typisch römisches Haus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45<br />

Tracht und Schmuck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46<br />

Körperpflege und medizinische Versorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47<br />

Spiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49<br />

Glücksspiele 49<br />

Strategiespiele 49<br />

Geschicklichkeitsspiele 49<br />

Herstellung von Textilien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50<br />

Beleuchtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51<br />

Mobiliar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52<br />

Gartendekor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52<br />

Wohnen in der Stadt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53<br />

Die Stadtviertel 53<br />

Die Häuser 53<br />

Hausgötter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55<br />

Keramik. Das wichtigste Fundmaterial für den Archäologen ... . . . . . . . . . . . . . . 55<br />

... aufgrund der Menge 55<br />

... als Datierungsgrundlage für weitere Funde 55<br />

... aufgrund der vielfältigen Verwendungsmöglichkeiten 55<br />

Ein wichtiger Beitrag zur Regionalgeschichte 55<br />

Geschirr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56<br />

Ernährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57<br />

Ein grosser Markt 57<br />

Essen und Trinken 57<br />

Zu Tisch bei der ärmeren Bevölkerung 59<br />

Zu Tisch bei den Reichen 59<br />

Die Küche 59<br />

Tisch und Esszimmer 60<br />

Das Gedeck 60<br />

Inhaltsverzeichnis<br />

2


Erdgeschoss <strong>–</strong> Einführung Aventicum, Hauptstadt der Helvetier<br />

<strong>Römermuseum</strong> <strong>Avenches</strong><br />

Erdgeschoss <strong>–</strong> Einführung<br />

Aventicum, Hauptstadt der Helvetier<br />

Die Gründung der Stadt Aventicum muss eng mit dem missglückten Auszug der<br />

Helvetier 58 v. Chr. und ihrer Rückkehr in ihr Stammgebiet zusammenhängen.<br />

Der Name selbst ist von jenem der keltischen Schutzgottheit Aventia abgeleitet.<br />

Aventicum war die Hauptstadt der Helvetier.<br />

Über das Datum der Stadtgründung wissen wir nichts Genaues. Vermehrt<br />

kommen in den letzten Jahren spätkeltische Zeugnisse (1. Jahrhundert v. Chr.) zu<br />

Tage: Gräber (1) und Grubeneinfüllungen südwestlich des späteren Stadtgebietes.<br />

Weiter südlich gab es in der 2. Hälfte des 1. Jahrhunderts v. Chr. eine Siedlung, das<br />

Oppidum auf dem Bois de Châtel.<br />

Spätestens um 5/6 n. Chr. sind für <strong>Avenches</strong> eine Hafenanlage und das typisch<br />

römische Strassennetz in Gitterform belegt. Mehr als 60 Wohnquartiere (lat. insulae)<br />

wurden bis ins 2. Jahrhundert gebaut. Die Stadt besass ein Forum (öffentlicher<br />

Platz), verschiedene Badeanlagen (Thermen) und mindestens acht Tempel. Die<br />

Nekropolen (Friedhöfe) lagen an den Ausfallstrassen.<br />

Das Baumaterial Stein stammt vorwiegend aus dem Jura. Weite Teile des<br />

Stadtgebietes hatten einen feuchten Untergrund. Zur Stabilisierung wurde deshalb<br />

der Baugrund oft mit in den Boden getriebenen Eichenpfählen gefestigt (2).<br />

Diese sind meist gut erhalten und erlauben eine genaue Datierung mittels der<br />

Dendrochronologie (Jahrringmethode).<br />

Einen ersten Höhepunkt erlebte Aventicum gegen 30-50 n. Chr. unter der<br />

Herrschaft der Kaiser Tiberius und Claudius. Davon zeugt eine überlebensgrosse<br />

Gruppe von Kaiserstatuen, die das Forum schmückte.<br />

71/72 n. Chr. erhob Kaiser Vespasian, dessen Vater und Söhne einen Teil ihres<br />

Lebens in Aventicum verbracht haben, die Stadt in den Rang einer Kolonie mit<br />

dem Namen Colonia Pia Flavia Constans Emerita Helvetiorum Foederata. Damals<br />

wurde mit dem Bau der 5,5 km langen Stadtmauer begonnen, die ein Gebiet von<br />

228 ha umfasst. Ebenso wurden das Theater, das Amphitheater und das Cigognier-<br />

Heiligtum, drei charakteristisch römische Typen öffentlicher Gebäude, errichtet.<br />

Fern von der Reichsgrenze und den politisch kritischen Regionen erlebte<br />

Aventicum seine Blütezeit bis an den Anfang des 3. Jahrhunderts. Die<br />

Alamanneneinfälle von 275 n. Chr. beschädigten die Stadt beträchtlich. Eine<br />

Bautätigkeit ist noch im 4. Jahrhundert zu verzeichnen, so etwa der Umbau des<br />

Theaters zu einem Festungswerk.<br />

Aventicum um 180 n. Chr.<br />

B. Gubler, Zurich<br />

1<br />

2<br />

3<br />

Erdgeschoss<br />

Einführung


Erdgeschoss <strong>–</strong> Einführung Die Schweiz zur Römerzeit<br />

Die Bevölkerung von Aventicum stammte vermutlich zum grössten Teil von den<br />

Helvetiern ab. Deren Oberschicht hatte wohl ihren Status behalten können, waren<br />

als erste zu römischen Bürgern gemacht worden. Sie waren somit nicht nur Träger<br />

der Romanisierung, sondern garantierten auch eine gewisse politische Stabilität.<br />

Bis ins 6. Jahrhundert war <strong>Avenches</strong> Bischofssitz. Im 7. Jahrhundert tritt der neue<br />

Ortsname Wibili auf, der später zu Wiflisburg wurde.<br />

Das Interesse an den archäologischen Resten der Römerstadt Aventicum<br />

erwachte im 16. Jahrhundert. Vereinzelt wurden Ausgrabungen seit dem<br />

18. Jahrhundert durchgeführt (1), systematisch aber erst nach der Gründung der<br />

Association Pro Aventico (1884).<br />

Das <strong>Römermuseum</strong> wurde 1824 gegründet. Seit 1838 befindet es sich in diesem<br />

mittelalterlichen Gebäude, das im späten 12. Jahrhundert mit den Steinen des<br />

Amphitheaters auf diesem antiken Monument errichtet wurde.<br />

Das Römische Reich<br />

Aus der kleinen 753 v. Chr. gegründeten Siedlung Rom entstand innerhalb von<br />

800 Jahren ein Weltreich. Um 300 v. Chr. war die Herrschaft über Italien erreicht. Um<br />

50 v. Chr. waren grosse Teile Europas, des Nahen Ostens und Nordafrikas einverleibt.<br />

117 n. Chr. war die grösste Ausdehnung erreicht. Grosse Teile des Reiches waren mit<br />

einer bewachten Grenzbefestigung (limes) gegen die Nachbarvölker geschützt.<br />

Die Beherrschung der von Rom eroberten Gebieten beruhte auf fünf Pfeilern,<br />

auf der Armee, einer einheitlichen Gesetzgebung, einer einheitlichen Verwaltung,<br />

einer Einheitswährung und einer offiziellen Sprache <strong>–</strong> Latein im Westen, Griechisch<br />

im Osten.<br />

Klimatische Unbill, wirtschaftliche und politische Krisen leiteten im<br />

3. Jahrhundert den Niedergang ein, der im Jahr 476 mit dem Zusammenbruch des<br />

Römischen Reiches endete.<br />

Die römische Zivilisation blieb weiterhin rund tausend Jahre in Europa lebendig.<br />

Latein war bis ins 16. Jahrhundert die gemeinsame Sprache der Gelehrten. Das<br />

römische Recht liegt vielen heutigen Gesetzen zu Grunde. Der römische Kalender<br />

ist mit wenigen Veränderungen immer noch in Kraft.<br />

Die Schweiz zur Römerzeit<br />

Spätestens 15 v. Chr. war das Gebiet der heutigen Schweiz ins Römische<br />

Weltreich einverleibt, verteilt auf fünf verschiedene Provinzen: Graubünden und<br />

grosse Teile der Ostschweiz lagen in der Provinz Rätien, das Tessin sowie die<br />

Bündner Südalpentäler gehörten zu Oberitalien, das Wallis zu den sogenannten<br />

Alpenprovinzen und Genf zur Gallia Narbonnensis. Das Mittelland zwischen Jura<br />

und Alpen (Gebiet der Helvetier) sowie die Region Basel (Gebiet der Rauraker)<br />

gehörten zuerst zur Gallia Belgica, dann zur Germania Superior.<br />

1<br />

4<br />

Erdgeschoss<br />

Einführung


Erdgeschoss <strong>–</strong> Einführung Zeittafel<br />

Wichtige Süd-Nord-Routen (die Passstrasse über den Grossen St. Bernhard<br />

und die Bündner Pässe) und eine Hauptstrasse, die in Richtung West-Ost (durch<br />

das Mittelland) das Gebiet der heutigen Schweiz durchquerten. Hinzu kamen<br />

die Wasserwege, von denen jener vom Neuenburger- und Murtensee her bis in<br />

die Nordsee durchgehend war, jener vom Genfersee bis ins Mittelmeer. Diese<br />

Verkehrsachsen dienten den Truppenverlagerungen, dem Personenverkehr, dem<br />

Lokal- und dem Fernhandel.<br />

Während des 1. Jahrhunderts war eine Legion (6‘000 Soldaten und Hilfstruppen)<br />

im Legionslager in Vindonissa (Windisch, Kanton Aargau) stationiert.<br />

Neu war die Siedlungsform der Stadt. Städte befanden sich in Nyon (Colonia<br />

Iulia Equestris), Augst (Augusta Raurica) (1), Martigny (Octodurum) und <strong>Avenches</strong><br />

(Aventicum). Von den Städten hingen grössere Siedlungen ab und von beiden eine<br />

Vielzahl von Gutsbetrieben.<br />

Neu war auch die Bauweise mit Stein. Zuerst wurde sie für öffentliche Bauten<br />

angewendet, sie setzte sich aber allmählich auch im Wohnbau, in kleineren<br />

Siedlungen und bei den Gutshöfen durch.<br />

Die Landwirtschaft bildete die ökonomische Grundlage. Hinzu kamen<br />

bestimmte Handwerkszweige, die manchmal industrielle Ausmasse annehmen<br />

konnten. Der Anschluss an den Fernhandel brachte Importe zahlreicher, früher<br />

unbekannter Produkte, im Bereich der Ernährung etwa das Olivenöl, die Fischsauce,<br />

Datteln und Austern.<br />

Zeittafel<br />

753 v. Chr. Gründung von Rom (2)<br />

509 v. Chr. Gründung der römischen Republik<br />

3. <strong>–</strong> 1. Jh. v. Chr. Ausdehnung des Römischen Reiches (Italische Halbinsel,<br />

Iberische Halbinsel, Griechenland, Teile von Kleinasien und<br />

Nordafrika)<br />

58 v. Chr. Missglückter Auszug der Helvetier und Schlacht bei<br />

Bibracte gegen Julius Caesar<br />

58 <strong>–</strong> 51 v. Chr. Eroberung Galliens<br />

27 v. Chr. Beginn der Kaiserzeit<br />

27 v. Chr. <strong>–</strong> 14 n. Chr. Kaiser Augustus (3)<br />

25 v. Chr. Eröffnung der Strasse über den Grossen St. Bernhard<br />

16 / 15 v. Chr. Eroberung der Alpengebiete<br />

5 / 6 n. Chr. Bisher älteste gebaute Strukturen der Stadt Aventicum<br />

14 <strong>–</strong> 101 n. Chr. Legionslager Vindonissa (Windisch, Kanton Aargau)<br />

43 n. Chr. Eroberung Britanniens unter Kaiser Claudius<br />

71 / 72 n. Chr. Aventicum unter Kaiser Vespasian zur Koloniestadt erhoben:<br />

Colonia Pia Flavia Constans Emerita Helvetiorum Foederata<br />

1<br />

Augusta Raurica (Augst)<br />

M. Schaub, <strong>Römermuseum</strong> Augst<br />

2<br />

3<br />

5<br />

Erdgeschoss<br />

Einführung


Erdgeschoss <strong>–</strong> Einführung Zeittafel<br />

117 n. Chr. Grösste Ausdehnung des Römischen Reiches unter Kaiser<br />

Trajan<br />

2. Jh. n. Chr. Blütezeit Roms und seiner Provinzen<br />

275 n. Chr. Alamanneneinfälle im Helvetiergebiet, grosse Zerstörungen<br />

4. Jh. n. Chr. Älteste christliche Zeugnisse aus Aventicum (1)<br />

395 n. Chr. Teilung des Römischen Reiches in ein Ost- und ein<br />

Westreich<br />

476 n. Chr. Ende des Römischen Reiches<br />

6. Jh. n. Chr. Aventicum ist Bischofssitz<br />

592 n. Chr. Der letzte Bischof in <strong>Avenches</strong>, Marius, wird nach Lausanne<br />

versetzt<br />

7. Jh. n. Chr. <strong>Avenches</strong> wird auch Wibili genannt, das später zum<br />

deutschsprachigen Wiflisburg wird<br />

Ab 12. Jh. n. Chr. Bau der noch sichtbaren mittelalterlichen Stadt <strong>Avenches</strong><br />

(2)<br />

2<br />

1<br />

6<br />

Erdgeschoss<br />

Einführung


Erdgeschoss Die Bewohner der römischen Schweiz und der Tod<br />

Erdgeschoss<br />

Die Bewohner der römischen Schweiz und der Tod<br />

Die Helvetier glaubten zur Römerzeit an eine Form von Weiterleben nach dem<br />

Tod. Bestimmte machten noch vor ihrem Tod ein Testament, um ihre Nachfolge zu<br />

regeln, ihr Begräbnis, die Art des Grabes und seines Unterhalts, das Totenmahl an<br />

ihrem Grab, usw. Der Testamentsvollstrecker kümmerte sich darum, dass der letzte<br />

Wille des Verstorbenen erfüllt wurde.<br />

Die Kosten für die Bestattung waren entweder vom Verstorbenen zu Lebzeiten<br />

bereits hinterlegt worden oder wurden von seinen Angehörigen übernommen.<br />

Weniger wohlhabende Leute schlossen sich einem collegium funeraticium an, an das<br />

sie regelmässige Beiträge entrichteten und das im Todesfall die Kosten für das Grab<br />

übernahm (Kauf des Geländes, Errichtung und Unterhalt des Grabmals, regelmässige<br />

Ausrichtung von Totenmahl und Opferspenden). Bedeutende Persönlichkeiten der<br />

Gemeinde erhielten manchmal die Ehre eines öffentlichen Begräbnisses.<br />

Die Nekropolen verliefen entlang der Ausfallstrassen ausserhalb der Siedlung,<br />

wie es das römische Gesetz vorschrieb. Der Tote wurde von seinen Angehörigen<br />

auf einer Bahre zum Begräbnisplatz getragen. Es gab sowohl die Körper- wie<br />

auch die Brandbestattung. Unter den Gräbern des 1. und 2. Jahrhunderts unserer<br />

Zeitrechnung überwiegen allerdings die Brandbestattungen. Eine Ausnahme<br />

stellen die Säuglinge dar, deren Zähne noch nicht durchgebrochen sind; für sie<br />

war ungeachtet der Epoche stets die Körperbestattung vorgesehen (Vitrine 2).<br />

Ab dem 3. Jh. n. Chr. setzte sich diese Art der Bestattung allgemein durch, was<br />

zweifelsohne auf den Einfluss der orientalischen Religionen und des Christentums<br />

zurückzuführen ist (Vitrine 5).<br />

Bei der Brandbestattung wurde der Tote mit persönlichen Gegenständen<br />

(Kleidung, Schmuck) und umgeben von Gefässen, die Speisen enthielten (Vitrine 3),<br />

unter freiem Himmel auf den Scheiterhaufen gelegt (1). Während der Einäscherung<br />

warf man aromatische Kräuter und Parfüme, die in kleine Flacons gefüllt waren, ins<br />

brennende Feuer. Der Leichenbrand wurde anschliessend ausgelesen und in eine<br />

Urne gefüllt, die zusammen mit einem Teil der verbrannten Gegenstände in einer<br />

Grabgrube beigesetzt wurde (2). Meist dienten als Urnen Ton- oder Glasgefässe<br />

(Vitrine 1), die in erster Linie für den häuslichen Gebrauch hergestellt worden<br />

waren, gelegentlich wählte man auch ein Holzkästchen (Vitrine 3); es handelt sich<br />

nur in seltenen Fällen um Behältnisse, die ausschliesslich für den Grabgebrauch<br />

hergestellt wurden.<br />

Bei der Körperbestattung (3) wurde der Leichnam in einem Holzsarg beigesetzt<br />

(Vitrine 4); die Verwendung von Stein- oder Bleisarkophagen ist in unserer Gegend<br />

selten und kommt erst sehr spät auf. Der Tote lag normalerweise in Rückenlage,<br />

seltener auf dem Bauch oder auf der Seite. Meist wurden in den Sarg oder in die<br />

1<br />

2<br />

3<br />

7<br />

Erdgeschoss


Erdgeschoss Die Bewohner der römischen Schweiz und der Tod<br />

Grabgrube Beigaben gelegt, von denen wir uns allerdings kein komplettes Bild<br />

machen können, da im allgemeinen nur unvergängliches Material wie Keramik, Glas<br />

oder Metall erhalten blieb; nur selten findet man Spuren von Nahrungsmitteln oder<br />

von Gegenständen aus Korbgeflecht, Leder, Holz oder Stoff.<br />

Sobald das Grab verschlossen war, erhielt es eine Markierung an der Oberfläche<br />

zur Erinnerung für die Lebenden, seine Unantastbarkeit zu respektieren und<br />

des Toten zu gedenken (Nr. 1-8). Eine solche oberirdische Markierung konnte<br />

unterschiedlich aussehen: Grabstelen aus Stein oder Holz, ein einfacher Stein,<br />

ein kleiner Erdhaufen, eine Aedicula oder ein monumentaler Grabbau. Die Stelen<br />

trugen meist eingemeisselte Grabinschriften und zum Teil weiteren Dekor. Durch<br />

die einleitende Formulierung Dis Manibus, oft einfach abgekürzt mit D M, wurde<br />

das Grab den Manen, das heisst den Totengeistern des Verstorbenen geweiht; es<br />

folgten anschliessend der Name des Toten, manchmal die Angabe des Vaters und<br />

des Alters, des Berufs, die Titel und schliesslich der Name des Grabstifters, d. h.<br />

der Person, die das Grabmal hat errichten lassen. Der Verstorbene wird alleine<br />

dargestellt, manchmal auch mit der Ehefrau oder dem Sohn, manchmal auch bei<br />

der Ausübung seines Berufs. Die Porträts sollten dem Gedenken des Toten dienen.<br />

Einige Stelen trugen auch Motive, die die Unsterblichkeit der Seele symbolisierten:<br />

Lorbeerblätter, Vögel, Gestirne. Reiche Leute sicherten ihr Andenken durch einen<br />

monumentalen Grabbau mit Statuen der Toten, wie in der Nekropole von En<br />

Chaplix. Solche Grabbauten waren umgeben von Gartenanlagen, mit Statuen und<br />

manchmal auch mit Wasserbecken geschmückt und von einer Mauer geschützt.<br />

Das Grab und seine Umfriedung waren heilig und unantastbar und verblieben<br />

im Besitz des Toten. Zum Totenkult gehörten regelmässig stattfindende Totenfeiern,<br />

parentalia (vom 13. bis 21. Februar), bei denen den Toten Speisen und Getränke<br />

dargebracht wurden, wobei die Flüssigkeit im religiösen Akt der Libation, das<br />

Trankopfer, auf dem Boden vergossen wurde.<br />

Mehrere Nekropolen von Aventicum sind uns bekannt. Die wohl grösste und<br />

reichste befand sich am Westtor; hier fand man Reste von mehreren kleineren<br />

Grabbauten und eine grosse Anzahl Stelen sowie das Grab eines jungen,<br />

christlichen Mädchens. Die in der Nähe des Sees gelegene Hafen-Nekropole weist<br />

um die vierzig einfache Gräber auf. Sie war möglicherweise für die Hafenarbeiter<br />

reserviert. Die Nekropole von En Chaplix entlang der Ausfallstrasse vom Nordosttor<br />

nach Norden umfasst ungefähr zweihundert Gräber, deren Beigaben auf eine hohe<br />

soziale Stellung der Verstorbenen hinweisen.<br />

1. Grabstele der Visellia Firma (1)<br />

Das kleine Mädchen, deren Eltern dieses Grabmal errichteten, starb im Alter von einem<br />

Jahr und fünfzig Tagen.<br />

Kalkstein. Nekropole von En Chaplix. 2. Jh. n. Chr. Inschriftenkatalog Nr. 13.<br />

2. Grabmalaufsatz in Form eines Pinienzapfens<br />

Der Pinienzapfen galt als Symbol der Unsterblichkeit.<br />

Kalkstein. Westtor-Nekropole.<br />

1<br />

2<br />

8<br />

Erdgeschoss


Erdgeschoss Die Bewohner der römischen Schweiz und der Tod<br />

Graburnen<br />

3. Grabstele der Iulia Censorina<br />

Errichtet von ihrem Vater.<br />

Kalkstein. 2. Viertel 1. Jh. n. Chr. Inschriftenkatalog Nr. 15.<br />

4. Grabstele des Marcus Alpinius Virilis (S. 8, 2)<br />

Kalkstein. Westtor-Nekropole. 1.-3. Jh. n. Chr. Inschriftenkatalog Nr. 14.<br />

5. Grabstele des Decimus Iulius Iunianus (1)<br />

Errichtet von seiner Gattin.<br />

Kalkstein. Westtor-Nekropole. 1. - 3. Jh. n. Chr. Inschriftenkatalog Nr. 11.<br />

6. Grabstele der Flavia Severilla<br />

Errichtet von ihrem Gatten. Sie starb im Alter von 36 (?) Jahren.<br />

Kalkstein. Westtor-Nekropole. 3. Jh. n. Chr.? Inschriftenkatalog Nr. 12.<br />

7. Fragment einer Grabstele<br />

Büsten eines Ehepaares. Nur der Kopf des Mannes ist erhalten. Auf dem verlorenen Sockel<br />

befanden sich die Namen der Toten. Aufgrund der Frisur und den stilistischen Merkmalen<br />

des Kopfes lässt sich die Stele in den Anfang des 2. Jhs. n. Chr. datieren.<br />

Kalkstein. Westtor-Nekropole. Anfang 2. Jh. n. Chr.<br />

8. Grabdenkmal einer Familie<br />

Von dem ursprünglichen Monument, das aus drei in einer Nische mit seitlicher<br />

Pilasterrahmung eingebetteten, übereinanderliegenden Kalksteinblöcken bestand, ist<br />

lediglich der oberste Block, stark erodiert, erhalten. Dargestellt war ein Ehepaar, das sich<br />

gegenübersteht. Diese Art der Darstellung ist nicht selten, oft befindet sich zwischen<br />

Mann und Frau noch ein Kind. Hier ist noch der obere Kopfteil des Kindes zu erkennen.<br />

Die Mutter hat ihre rechte Hand auf den Kopf ihres Sohnes gelegt, während der Vater<br />

mit einer ähnlichen Geste eine Schriftrolle in seiner Linken hält. Die Haltung der beiden<br />

Ehegatten erinnert an die Geste der dextrarum iunctio, bei der man sich zur symbolischen<br />

Bekräftigung der Eheschliessung die rechte Hand gab. Im Grabkontext steht dieser Gestus<br />

für die Vereinigung des Paares im Leben wie im Tode. 2. Hälfte 2. Jh. n. Chr.<br />

Graburnen (2)<br />

(Vitrine 1 und Schublade)<br />

1. Zur Graburne umfunktionierter Kochtopf aus Ton mit Reibschüssel als Deckel.<br />

Nekropole von En Chaplix. 100/150-200 n. Chr.<br />

2. Deckel einer Urne (?) aus Marmor.<br />

Er stammt wahrscheinlich aus einem Kindergrab. Darstellungen des Amor auf<br />

Kindergräbern symbolisieren eine Art Vergöttlichung der Kleinen in Person dieses<br />

kindlichen Gottes. Die Darstellung des schlafenden Amor oder Somnus („der Schlaf“) auf<br />

einem Löwenfell geht auf hellenistische Vorbilder zurück. Der Schlaf, der normalerweise<br />

vom Aufwachen beendet wird, wurde auch in engen Bezug zu Tod und Auferstehung<br />

gesetzt. Ende 1. Jh. n. Chr.<br />

3. Bleiurne<br />

Solche in Treibarbeit hergestellten Bleigefässe findet man nur selten. Meistens wurden sie<br />

aus verschiedenen Einzelteilen zusammengefügt. Westtor-Nekropole.<br />

4. Glasurne<br />

Dieser bauchige Topf diente ursprünglich als Vorratsgefäss.<br />

Nekropole von En Chaplix. 150-200/250 n. Chr.<br />

1<br />

2<br />

9<br />

Erdgeschoss<br />

1


Erdgeschoss Die Bewohner der römischen Schweiz und der Tod<br />

Brandgräber<br />

5. Glasurne mit Deckel<br />

Nekropole von En Chaplix. 70-100/120? n. Chr.<br />

Kindergräber (1)<br />

(Vitrine 2 und Schublade)<br />

Körpergrab eines vier bis sechs Monate alten Säuglings<br />

Hafen-Nekropole. Ende 1./2. Jh. n. Chr.<br />

1. Saugfläschchen aus Ton als Grabbeigabe. Der Säugling wurde in einem Holzsarg bestattet<br />

Körpergrab eines wenige Monate alten Säuglings<br />

Nekropole von En Chaplix. 120-140 n. Chr.<br />

2. Das Tafelgeschirr, bestehend aus einem Krug und einer Flasche aus Glas sowie einem<br />

Schälchen aus Ton, wurde als Beigabe auf dem Sarg deponiert.<br />

Körpergrab eines ein- bis zweijährigen Kindes<br />

Nekropole von En Chaplix. Um 150 n. Chr.<br />

3. Im Bleisarkophag befanden sich als Grabbeigaben zwei Näpfe (nur einer ist ausgestellt)<br />

und eine Perle aus Glas.<br />

Brandgräber<br />

(Vitrine 3 und Schublade)<br />

Brandbestattung eines drei- bis vierjährigen Kindes (2)<br />

Nekropole von En Chaplix. Um 125-130 n. Chr.<br />

Die Urne wurde zusammen mit einem nicht verbrannten Tongefäss als Beigabe in die<br />

Grabgrube gestellt. In der Urne befanden sich, vermischt mit den verbrannten und<br />

gewaschenen Knochenresten des Toten, drei Münzen und ein silberner Anhänger.<br />

In der Grube fanden sich neben Holzkohle auch Reste von zahlreichen weiteren<br />

Beigaben, die auf dem Scheiterhaufen mitverbrannt worden waren, hier aber nicht<br />

alle ausgestellt sind.<br />

1. Zweihenklige Glasflasche zur Aufnahme des Leichenbrandes.<br />

2. Ein silberner Anhänger, zwei Sesterzen des Hadrian und ein Sesterz des Domitian, dem<br />

Leichenbrand in die Urne beigegeben.<br />

3. Ein Tongefäss lokaler Produktion, nicht verbrannt, der Glasurne in die Grube<br />

beigegeben.<br />

4. Tafelgeschirr, Importkeramik aus Südgallien, teilweise oder ganz verbrannt: ein Napf,<br />

eine Platte, ein Teller und drei Schälchen.<br />

5. Einheimisches Tongeschirr, teilweise oder ganz verbrannt: zwei Krüge, ein Napf und ein<br />

Topf sowie eine Schale.<br />

6. Verschiedene verbrannte Glasgefässe: eine Rippenschale und ein grünes Gefäss mit<br />

gelbem und braunrotem Rosettendekor.<br />

7. Zwei Scharniere und Nägel aus Eisen.<br />

8. Eine Omegafibel, ein Griff und verschiedene Teile aus Bronze, alle verbrannt.<br />

9. Zwei verbrannte Dupondien von Hadrian.<br />

1<br />

2<br />

10<br />

Erdgeschoss<br />

2<br />

3


Erdgeschoss Die Bewohner der römischen Schweiz und der Tod<br />

Körpergrab<br />

Brandbestattung eines Mannes, vielleicht eines Schiffszimmermanns (1)<br />

Hafen-Nekropole. Anfang 2. Jh. n. Chr.<br />

Als Urne diente ein Holzkästchen von ca. 35 x 35 cm (nicht erhalten), in dem sich<br />

ausser den verbrannten Knochenresten des Toten auch Eisenteile fanden, von denen<br />

einige möglicherweise von dem Kästchen selber stammen, sowie drei Werkzeuge, die<br />

nicht mit dem Toten zusammen verbrannt worden sind. Die Nähe des Fundortes zum<br />

Hafen wie auch die beiden Werkzeuge, die zum Bearbeiten von Holz bestimmt waren,<br />

haben die Ausgräber zur Annahme veranlasst, dass es sich bei dem Toten um einen<br />

Schiffszimmermann handeln könnte, der in seiner ‚Werkzeugkiste‘ bestattet wurde.<br />

Auf das Kästchen waren zahlreiche, auf dem Scheiterhaufen mitverbrannte Beigaben<br />

gelegt worden, u. a. auch Tierknochenreste (vor allem vom Schwein).<br />

10. Holzkiste zur Bergung des Leichenbrandes. Erhalten sind nur die Scharniere,<br />

Eisenbeschläge mit Nagel, eine Klammer und ein Nagel aus Eisen.<br />

11. Bronzegriff der Kiste (?).<br />

12. Eisensäge, zusammengeklappt, damit sie in die Kiste passt.<br />

13. Eisendechsel.<br />

14. Eisenzange, deren elastischer Griff durch ein Bronzeband verstärkt ist.<br />

15. Eisenschlüssel.<br />

16. Zahlreiche Tongefässe, ganz oder teilweise verbrannt. Importiertes Tafelgeschirr (Platte,<br />

Teller, Schälchen, Näpfe), einheimische Produkte und Küchengeschirr.<br />

17. Henkelfragment einer Glasflasche.<br />

18. Perle aus Glaspaste.<br />

19. Bronzemünze, datiert wahrscheinlich in die 2. Hälfte des 1. Jhs. n. Chr.<br />

20. Eisennägel.<br />

Körpergrab (2)<br />

(Vitrine 4 und Schublade)<br />

Körpergrab eines Mannes<br />

Nekropole von En Chaplix. 150-180 n. Chr.<br />

Der Tote wurde in einem vernagelten Holzsarg von 180 x 60 cm Grösse bestattet.<br />

Er trug Schule mit genagelten Sohlen. Neben seinem rechten Bein wurden ihm<br />

Tongeschirr beigelegt, bestehend aus zwei Krügen, einem kleinen Napf und einem<br />

Becher aus lokaler sowie einem Teller und zwei Schälchen aus Importproduktion.<br />

Dieses Tafelgeschirr wurde zum Essen und Trinken verwendet.<br />

1.-2. Tonkrüge.<br />

3. Tonbecher.<br />

4. Tonnapf.<br />

5.-6. Schälchen aus Ton.<br />

7. Tonteller.<br />

8.-9. Eisennägel von zwei Sohlen.<br />

10. Eisennägel vom Sarg.<br />

1<br />

2<br />

11<br />

Erdgeschoss<br />

3<br />

4


Erdgeschoss Die Bewohner der römischen Schweiz und der Tod<br />

Die aussergewöhnlichen Funde der Nekropole von En Chaplix<br />

Christliches Grab<br />

(Vitrine 5 und Schublade)<br />

Körperbestattung eines jungen Mädchens<br />

Westtor-Nekropole. Mitte 4. Jh. n. Chr.<br />

Die Verstorbene wurde in einem Eichenstamm bestattet. Ihr wurden reiche Beigaben<br />

ins Grab gelegt (1): ein Bronzekrug, eine Flasche und zwei Becher aus Glas, ein Topf<br />

oder Becher aus Lavezstein, ein Tonschälchen, ein Bronzelöffel, der z. T. versilbert<br />

ist, eine Halskette mit Perlen aus Glas und Gagat, ein Armband aus Gagat und vier<br />

Stäbchen aus Bein (nicht ausgestellt).<br />

Die beiden Glasbecher tragen eingeritzte Inschriften, die zu den ältesten<br />

Zeugnissen der christlichen Religion in der Westschweiz zählen. Auf dem grösseren<br />

Gefäss steht in lateinischer Sprache: Vivas in Deo (« Mögest du leben in Gott ! »). Dies<br />

ist ein klarer Hinweis auf die Hoffnung auf Auferstehung. Auf dem kleineren Gefäss<br />

ist eine Aufforderung auf Griechisch eingeritzt, die nur noch teilweise erhalten ist.<br />

Sie wurde abgekürzt und mit lateinischen Buchstaben geschrieben: Pie zezes («<br />

Trinke, auf dass du lebest ! »). Diese Formel drückt die Glaubensgewissheit, durch<br />

die Kommunion das ewige Leben zu erhalten.<br />

1. Bronzekrug.<br />

2. Glasflasche.<br />

3. Glasbecher mit Inschrift: vivas in Deo. Mögest du leben in Gott !<br />

4. Glasbecher mit Inschrift: pie zezes. Trinke, auf dass du lebest !<br />

5. Bronzelöffel.<br />

6. Topf oder Becher aus Lavez.<br />

7. Schälchen aus Ton.<br />

8. Halskette mit Perlen aus Glas und Gagat.<br />

9. Armband aus Gagat.<br />

Die aussergewöhnlichen Funde der Nekropole von En Chaplix<br />

Im Rahmen des Autobahnbaus wurden ungefähr 150 m vom Nordosttor von<br />

Aventicum am Grabungsort En Chaplix bedeutende Funde gemacht (2-3).<br />

Um 15/10 v. Chr., zur Zeit des Kaisers Augustus (27 v. Chr.-14 n. Chr.), wurde<br />

eine erste Kultstätte errichtet. In der Mitte eines offenen, quadratischen Bereichs,<br />

der durch einen Grenzgraben markiert wird, erhebt sich eine hölzerne Aedicula<br />

über dem Brandgrab einer Frau und möglicherweise ihres Kindes. Im Grab fanden<br />

sich zwei Fibeln, die, wie mit grosser Wahrscheinlichkeit auch die Tote, aus dem<br />

Donaugebiet oder den östlichen Alpen stammen. Dieses Grabmal war zu jener Zeit<br />

Objekt kultischer Verehrung, wie aus den zahlreichen Münzspenden hervorgeht.<br />

In tiberischer Zeit (14-37 n. Chr.) erfuhr dieser Platz einen rapiden und<br />

spektakulären Aufschwung. Der Anlage einer im Nordosten aus Aventicum<br />

herausführenden Ausfallstrasse folgte der Wiederaufbau und die Erweiterung<br />

1<br />

2<br />

3<br />

12<br />

Erdgeschoss<br />

5


Erdgeschoss Die Bewohner der römischen Schweiz und der Tod<br />

Die aussergewöhnlichen Funde der Nekropole von En Chaplix<br />

der ursprünglichen Kultstätte. Dabei wurde die Aedicula durch einen kleinen<br />

gallo-römischen Tempel (fanum) und einen Kapellenbau ersetzt. Direkt daneben<br />

entstand ein zweiter Komplex. Es handelt sich sehr wahrscheinlich um in gemauerte<br />

Fundamente eingelassene Holzbauten. Das Heiligtum wurde vor allem im<br />

1. Jahrhundert intensiv genutzt und blieb bis ins 4. Jh. n. Chr. hinein intakt.<br />

Zwischen 23 und 28 n. Chr. wurde auf der anderen Seite der Strasse ein erstes<br />

Grabdenkmal errichtet.<br />

Um 40 n. Chr. entstand im angrenzenden Bezirk ein zweites Denkmal (1).<br />

Ab der zweiten Hälfte des 1. Jhs. entwickelte sich in unmittelbarer Nähe der<br />

Grabdenkmäler eine Nekropole, die durch Grenzgräben abgetrennt war. Die<br />

Bestattungen gehen hauptsächlich auf das 2. Jh. zurück, einige gehören bis in die Zeit<br />

des frühen 3. Jahrhunderts.<br />

In der zweiten Hälfte des 2. Jhs. kennzeichnen zwei aus der Umfassungsmauer<br />

der Grabdenkmäler stammende Mauerabdeckungen die Gräber der Nekropole, ein<br />

Hinweis auf den Verfall der Umfriedung und auf eine mögliche Aufgabe der sakralen<br />

Verehrung dieser Toten.<br />

Gegen Ende des 3. Jhs. (?) wurden die Denkmäler zur Wiederverwendung der<br />

Steinblöcke als Baumaterial völlig abgetragen.<br />

Die Grabdenkmäler von En Chaplix<br />

Zwischen 23 und 40 n. Chr. wurden zwei Grabdenkmäler (Mausoleen) von 23 und 25 m<br />

Höhe entlang der vom Nordosttor von Aventicum ausgehenden Ausfallstrasse errichtet.<br />

In Architektur und Dekor lehnen sie sich an griechisch-römische Vorbilder an.<br />

Von diesen Bauten aus Jurakalkstein, die sich innerhalb gemauerter<br />

Umfriedungen erhoben, sind lediglich die Fundamente und mehrere hundert<br />

vertreuter Einzelelemente erhalten. Die Architekturteile wie auch der Skulpturdekor<br />

wurden wahrscheinlich bereits in der Spätantike von Spolienräubern je nach Bedarf<br />

Stein für Stein abgetragen, um als Baumaterial wiederverwendet zu werden.<br />

Beide Mausoleen besassen einen ähnlichen dreistufigen Aufbau. Das<br />

Untergeschoss hatte die Form eines massiven, halbrunden Podiums, auf welchem<br />

die heute verlorene Grabinschrift angebracht war. In ihr wurden die Namen der<br />

Toten angeführt sowie deren herausragende Leistungen während ihrer militärischen,<br />

politischen oder beruflichen Karriere. Die Identität dieser vornehmen Bürger wird<br />

uns wohl auf immer verborgen bleiben. Der folgende Oberbau, das Hauptgeschoss,<br />

bestand aus einer Aedicula, in welcher die drei Statuen der Verstorbenen und ihrer<br />

Angehörigen aufgestellt waren. Die mittlere Figur war jeweils leicht überlebensgross<br />

dargestellt. Die abschliessende Bedachung wies die Form einer geschweiften<br />

Pyramide auf, die mit aus dem Stein herausgehauenen Schuppen verziert war. Dem<br />

Passanten der damaligen Zeit bot das Grabmal ein imposantes Bild. Eine harmonische<br />

Linienführung zog den Blick des Betrachters geschickt hinauf zur Aedicula und zu den<br />

darin sichtbaren Statuen.<br />

1<br />

B. Gubler Zurich<br />

13<br />

Erdgeschoss


Erdgeschoss Die Bewohner der römischen Schweiz und der Tod<br />

Die aussergewöhnlichen Funde der Nekropole von En Chaplix<br />

Der Bauschmuck beider Denkmäler zeugt von einem starken hellenistischen<br />

Einfluss. Das Fehlen jeglicher Spuren von Polychromie schliesst nicht aus, dass<br />

gewisse Teile dennoch bemalt waren, wie man es von vergleichbaren Monumenten<br />

her kennt.<br />

Das umgebende abgeschrankte Gelände war wahrscheinlich bepflanzt und<br />

mit Statuen geschmückt und gewährte die Totenruhe. Hier fanden auch die<br />

Angehörigen Platz für ihre Gedenkfeiern und für das Totenmahl zu Ehren der Toten.<br />

Es fand sich kein Grab, in dem einer der Verstorbenen bestattet worden wäre;<br />

möglicherweise befanden sich die Urnen irgendwo auf den Grabdenkmälern oder<br />

diese dienten lediglich als Kenotaph (leeres Grab).<br />

In welcher Beziehung die in einem Zeitabstand von etwa zwölf Jahren<br />

nacheinander errichteten Denkmäler zueinander stehen, ist unbekannt. Die<br />

Vermutung liegt nahe, in den Bestatteten und Grabinhabern Mitglieder einer<br />

Familie zu sehen, die möglicherweise auch Besitzer des einst in der angrenzenden<br />

Flur Russalet gelegenen Gutshofes war. Es handelt sich sehr wahrscheinlich um eine<br />

jener aristokratischen helvetischen Familien, die sich schnell an die neue römische<br />

Ordnung angepasst hatten. Nicht zuletzt zeugen die beiden Grabdenkmäler vom<br />

Reichtum der Stadt <strong>Avenches</strong> in tiberischer Zeit.<br />

Das nördliche Grabdenkmal<br />

Beim Bau des ersten Denkmals war es aufgrund der Instabilität des Bodens nötig,<br />

den Baugrund unterhalb der Fundamente mit einer Reihe von tief gesetzten<br />

Eichenpfosten zu sichern. Das Fälldatum dieser Eichen konnte durch die<br />

dendrochronologische Analyse des Holzes, das sich wegen der Bodenfeuchtigkeit<br />

gut erhalten hat, auf die Jahre zwischen 23 und 28 festgelegt werden.<br />

Der oberste Teil des Sockelbaus war zu beiden Seiten der Exedra mit zwei<br />

symmetrisch angelegten Gruppen von Tritonen, die nach Nereiden greifen, plastisch<br />

ausgeschmückt (1). Die eingewölbte Partie der Exedra war sehr wahrscheinlich mit<br />

Friesen dekoriert, wie drei äusserst schlecht erhaltene männliche Porträts nahelegen,<br />

von denen einer offenbar Teil einer Prozessionsgruppe war.<br />

Die Aedicula war in ihrem Grundriss achteckig, was sich anhand der Form<br />

des Daches vermuten lässt. Von den drei in ihr aufgestellten Statuen besitzen wir<br />

nur noch wenige Fragmente. Die mittlere Figur war eine Frau, wahrscheinlich die<br />

Eigentümerin und Stifterin des Denkmals, die von zwei Männern in Toga gerahmt<br />

wurde.<br />

Die figürliche Dachbekrönung bestand aus einer Gruppe mit Satyr und<br />

Bacchuskind. Sie sollte die Apotheose der Verstorbenen symbolisieren.<br />

9. Satyr mit Bacchuskind (2)<br />

Die Satyrn, Begleiter des Gottes des Weines Bacchus, erkennt man an ihren Pferdeohren<br />

und ihren wirren Haaren. Bacchus ist hier als Kind dargestellt und trägt Flügel. Dieses<br />

Attribut weist auf seine Identifizierung mit Amor/Somnus hin, der Personifikation des<br />

1<br />

2<br />

3<br />

14<br />

Erdgeschoss


Erdgeschoss Die Bewohner der römischen Schweiz und der Tod<br />

Die aussergewöhnlichen Funde der Nekropole von En Chaplix<br />

Schlafes. Im Grabzusammenhang stehen Gruppen von Satyrn mit Bacchus für das<br />

jenseitige Leben in Rausch und ohne Sorgen. Als Dachbekrönung des Denkmals erinnert<br />

die Gruppe an das Aufsteigen des Toten in eine göttliche Sphäre und an sein Weiterleben<br />

nach dem Tode. Diese Gruppe ist von grosser Bedeutung, da sie eine der frühesten<br />

Übernahmen dieses hellenistischen Motivs (3.-2. Jh. v. Chr.) in römischer Zeit darstellt.<br />

Kalksteingruppe, Dachbekrönung des nördlichen Grabdenkmals. Um 30 n. Chr.<br />

10. Kopf eines weinseligen Silens (S. 14, 3)<br />

Kennzeichnend für die Silene, die wie die Satyrn zum Gefolge des Bacchus gehören,<br />

sind die Pferdeohren, der kahle Kopf und die Knollennase. Der Vergleich mit anderen<br />

bekannten Statuen lässt vermuten, dass der Silen angelehnt, mit überkreuzten Beinen<br />

dargestellt wurde, den Kopf nach rechts gewendet. Er trägt einen Kranz aus Efeublättern<br />

und Blumen. Die Kopfbewegung und der ekstatische Ausdruck des Gesichts weisen<br />

wie bei der Gruppe des Satyrn mit Bacchuskind auf ein hellenistisches Vorbild (3.-2.<br />

Jh. v. Chr.). Die Silensstatue, die in der Gartenanlage einer Nekropole aufgestellt war,<br />

symbolisiert das sorgenfreie Leben nach dem Tode.<br />

Fragment einer Kalksteinstatue aus der näheren Umgebung des nördlichen<br />

Grabdenkmals. Um 30 n. Chr.<br />

11. Büste einer Nereide<br />

Die Nereiden sind Meeresgottheiten, Töchter des Nereus, des Meergreises. Diese Büste<br />

einer Nereide ist das Fragment einer zu Nr. 12 symmetrischen Gruppe, von der ausserdem<br />

nur noch ein Fragment des Fischschwanzes des Triton erhalten ist. Zum Vorbild und der<br />

Symbolik siehe die besser erhaltene Gruppe der rechten Seite.<br />

Gruppe aus Kalkstein aus der oberen linken Ecke der Fassade des Grabdenkmals.<br />

Um 30 n. Chr.<br />

12. Triton greift nach einer Nereide (1)<br />

Die Tritonen sind Meereswesen mit menschlichem Kopf und Rumpf, der ab der<br />

Bauchpartie in einen Fischschwanz übergeht. Sie gehören zum Gefolge des Meeresgottes<br />

Neptun. Der Triton versucht hier, mit beiden Händen auf seinem Fischschwanz eine völlig<br />

erschreckte Nereide festzuhalten, deren Mantel vom Wind weit aufgebläht ist.<br />

Die Vorlagen für diese Triton-Nereiden-Gruppe sind in der hellenistischen Zeit (3.-2. Jh.<br />

v. Chr.) zu finden. Das Motiv taucht häufig im figürlichen Dekor von Grabmonumenten<br />

auf, vor allem auf Sarkophagen. Symbolisch stehen diese Meereswesen für das glückliche,<br />

sorgenfreie Leben im Jenseits.<br />

Gruppe aus Kalkstein aus der oberen Ecke der Fassade des nördlichen Denkmals.<br />

Um 30 n. Chr.<br />

Das südliche Grabdenkmal<br />

Der zweite Bau wurde nach demselben Muster errichtet. Aufgrund des festeren<br />

Untergrunds waren in diesem Fall keine Grundpfosten nötig. Deswegen ist es nicht<br />

möglich, diesen Grabbau genauso exakt zu datieren wie den ersten.<br />

Besser erhalten ist hier der sehr ähnliche Skulpturendekor. Im oberen Teil des<br />

Sockelbaus tragen statt der Tritonen Greifen die Nereiden. Auf den Postamenten<br />

bildeten wohl einst zwei sog. „tanzende“ Attisfiguren gefolgt vom clipeus (rundes,<br />

schildförmiges Dekorationsmotiv) die Rahmung für die nicht mehr erhaltene<br />

Grabinschrift.<br />

1<br />

2<br />

15<br />

Erdgeschoss


Erdgeschoss Die Bewohner der römischen Schweiz und der Tod<br />

Die aussergewöhnlichen Funde der Nekropole von En Chaplix<br />

In der viereckigen Aedicula, ein säulenumrahmtes Stockwerk, waren ein mit der<br />

Toga bekleideter Mann und zu seinen beiden Seiten ein weiterer Mann und eine Frau<br />

dargestellt. Den Abschluss des im Grundriss viereckigen, in Form einer geschweiften<br />

Pyramide aufsteigenden Daches bildet ein Pinienzapfen, Symbol der Unsterblichkeit.<br />

13. Porträt eines Mannes (S. 15, 2)<br />

Die erhaltenen Fragmente erlauben die Restituierung einer Statue, die einen der Verstorbenen<br />

als römischen Bürger in der Toga dargestellt, mit einer Schriftrolle (volumen) in der Hand;<br />

zu seinen Füssen befand sich ein Kästchen (scrinium), in dem die Schriftrollen aufbewahrt<br />

wurden. In die Stirn sind Löcher eingearbeitet zum Einsetzen einer jetzt verlorenen Krone<br />

aus Metall. Das Strähnenmotiv der Frisur lehnt sich an Darstellungen des Kaisers Tiberius (14-<br />

37 n. Chr.) an. Die realistischen Gesichtszüge sind ein Rückgriff auf den ausdrucksstarken Stil<br />

der spätrepublikanischen Zeit (1. Jh. v. Chr.). Dieses sehr fein gearbeitete Bildnis ist eines der<br />

seltenen Beispiele von Privatporträts, die in der Schweiz gefunden wurden.<br />

Grabstatue aus Kalkstein. Befand sich in der linken Hälfte der Aedicula des südlichen<br />

Grabdenkmals. Um 40 n. Chr.<br />

14. Kopf des Attis<br />

Attis, phrygischer Vegetationsgott und Geliebter der kleinasiatischen Göttin Kybele, ist traurig<br />

und in Gedanken versunken dargestellt. Seine Attribute sind die phrygische Mütze und<br />

ein Barbarengewand. Im Grabkontext verkörpert diese Figur die Trübsal des Todes und die<br />

Erwartung der Auferstehung. Diese Statue war zusammen mit einer weiteren Figur, von der<br />

nur einige Fragmente gefunden wurden, in der Gartenanlage der Nekropole aufgestellt.<br />

Kalksteinstatue, aus der unmittelbaren Umgebung des südlichen Grabdenkmals.<br />

Um 40 n. Chr.<br />

15. Tanzender Attis und Rand eines clipeus (1)<br />

Aus dem Kalksteinblock ist die Darstellung des tanzenden Attis im Relief herausgearbeitet.<br />

Sein linker Arm ist erhoben, der rechte Arm ist in die Hüfte gestützt. Er trägt die phrygische<br />

Mütze und ein Barbarengewand, das aus einer langärmeligen, doppelt gegürteten Tunika,<br />

einer Hose und einem Mantel darüber besteht. Der clipeus (ein rundes, schildförmiges<br />

Dekorationsmotiv), der sich auf dem Steinblock daneben befand und nicht erhalten ist, trug<br />

wahrscheinlich entweder einen floralen Dekor oder eine Maske. Bei diesem Dekorationsmotiv<br />

sowie der Darstellung des tanzenden Attis, die beide seit dem 3. Jh. v. Chr. in unserer Gegend<br />

präsent sind, zeigt sich der starke Einfluss der südgallischen Kunst. Man kann die Verbreitung<br />

des clipeus-Motivs entlang der Rhône verfolgen; Darstellungen des tanzenden Attis, die in der<br />

Provence sehr häufig sind, fehlen hingegen völlig in den Rhein- und Donauprovinzen. Attis<br />

ist im Kybelekult der Gott, der jeden Winter stirbt, um im Frühling wiedergeboren zu werden.<br />

Im Grabkontext symbolisiert er den Übergang vom Tod zur Auferstehung. Die Reliefs mit<br />

Attis und dem clipeus befanden sich an den Seiten der unteren Sockelzone und umrahmten<br />

möglicherweise die verlorene Grabinschrift.<br />

Kalksteinrelief aus der unteren linken Seite des Podiums vom südlichen Grabdenkmal.<br />

Um 40 n. Chr.<br />

16. Nereide auf einem Meergreif reitend (2)<br />

Auf einem bärtigen Meergreif sitzt eine Nereide mit wehendem Mantel. Sie hält eine Muschel<br />

in der Hand. Meergreifen mit Adler- oder Löwenkopf, oft begleitet von Nereiden, sind Teil<br />

des thiasus, des göttlichen Reigens der Meeresbewohner. Die Vorbilder dieser römischen<br />

Darstellungen gehen, ebenso wie für die Triton-Nereiden-Gruppe, auf die hellenistische Zeit<br />

(3.-2. Jh. v. Chr.) zurück. Sie symbolisieren das glückliche Leben nach dem Tode.<br />

1<br />

2<br />

16<br />

Erdgeschoss


Erdgeschoss Die Inschriften<br />

Gruppe aus Kalkstein aus der oberen rechten Ecke der Fassade des südlichen Monuments.<br />

Um 40 n. Chr.<br />

Die Inschriften<br />

Aus allen Provinzen des Römischen Reiches sind mehrere Hunderttausend Inschriften<br />

auf den verschiedensten Materialträgern erhalten. Die Texte sind in Stein geschlagen<br />

oder als Mosaik gesetzt, auf Metallobjekten eingetieft, auf Keramik oder Ziegel<br />

gestempelt oder geritzt, auf Papyrusblättern mit Tinte geschrieben oder einfach<br />

nur auf einem Wandverputz aufgemalt. Inschriften enthalten Informationen<br />

verschiedenster Art, die zugleich der Selbstdarstellung und der Propaganda dienten<br />

wie auch den Wohlstand und das Ansehen von Körperschaften und Einzelnen zum<br />

Ausdruck bringen sollten.<br />

Die repräsentativen Steininschriften sind im westlichen Teil des Römischen<br />

Imperiums überwiegend in lateinischer, seltener in griechischer Sprache verfasst.<br />

Sie bieten einen vorzüglichen Einblick in die unterschiedlichsten Lebensbereiche<br />

der antiken Gesellschaft und lassen sich im Wesentlichen nach dem Charakter<br />

ihres Inhaltes in Bau, Ehren-, Grab- und Weihinschriften unterteilen. Genannt sind<br />

in der Regel der Anlass oder der Adressat der Veröffentlichung. Die Aussage des<br />

Textes vermittelt zudem Hinweise zur Art des ehemaligen Aufstellungsortes. So<br />

waren Weihinschriften den jeweiligen Kultbezirken zugeordnet, Ehreninschriften<br />

standen auf dem Forum und konnten zu öffentlich aufgestellten Statuen gehören,<br />

Bauinschriften schmückten öffentliche Bauten wie Thermen, Theater oder Brücken,<br />

und Grabinschriften reihten sich entlang den offiziellen Begräbnisplätzen außerhalb<br />

der Wohnbezirke auf.<br />

Die 21 Buchstaben des lateinischen Alphabetes, die zum Teil zugleich auch als<br />

Zahlzeichen dienten, wurden überwiegend als Grossbuchstaben geschrieben.<br />

Dekorative Elemente wie Rahmung, Ausmalung oder ergänzende bildliche<br />

Darstellungen konnten die Wirkung des Textes verstärken. Die Inhalte sind häufig<br />

verschlüsselt verfasst. Zahlreiche Abkürzungen waren üblich. Zwar ermöglicht die<br />

Kenntnis über die formelreiche römische Schreibweise das Dekodieren bestimmter<br />

Textstellen, aber noch immer entziehen sich einige Inhalte einer eindeutigen<br />

Definition. Da zu berücksichtigen ist, dass in der Antike viele Menschen Analphabeten<br />

waren - und schon deshalb der Form grössere Bedeutung zukommen musste als<br />

dem Inhalt -, ist davon auszugehen, dass sich die meisten Betrachter angesichts einer<br />

öffentlichen Inschrift eher an ihrem prunkvollen Aussehen erfreuten, als dass sie<br />

genau verstanden, welche Informationen vermittelt werden sollten.<br />

Die Herstellung einer in Stein geschlagenen Inschrift verursachte beträchtliche<br />

Kosten. Zu den Ausgaben, die von der Qualität des Materials und der Grösse des<br />

Epigraphs bestimmt wurden, addierten sich gewöhnlich die Löhne unterschiedlicher<br />

Spezialisten. Zunächst verfasste ein Schriftgelehrter (auctor) den Text, anschliessend<br />

entwarf ein Gestalter (ordinator) unter Beachtung der Steindimensionen das Layout,<br />

sodann übertrug ein Maler (pictor) den Entwurf auf das zukünftige Denkmal, und<br />

1<br />

17<br />

Erdgeschoss


Erdgeschoss Die Inschriften<br />

Die Steininschriften von <strong>Avenches</strong> / Aventicum<br />

schliesslich führte ein Steinmetz (lapidarius) die Gravuren aus. Auch wenn die Kosten<br />

im einzelnen heute nicht mehr genau kalkuliert werden können, ist doch zu vermuten,<br />

dass der oder die Auftraggeber einer Inschrift im allgemeinen zur wohlhabenderen<br />

Bevölkerung zählte.<br />

Die Steininschriften von <strong>Avenches</strong> / Aventicum<br />

Etwa 150 Steininschriften sind bisher aus der römischen Stadt Aventicum bekannt.<br />

Einige von ihnen besitzen derart monumentale Proportionen, dass ihre Präsentation in<br />

den heute zur Verfügung stehenden Ausstellungsräumn nicht möglich ist.<br />

Häufig sind Ehreninschriften, auf denen einzelne Bürger mit ihren<br />

Ämterlaufbahnen und ihren Verdiensten um die helvetische Gemeinde oder die<br />

römische Kolonie hervorgehoben wurden. Dabei kristallisiert sich das Bild heraus, dass<br />

in der Verwaltung und den politischen Ämtern Familienclans zumindest zeitweise eine<br />

beherrschende Rolle spielten. Die Geschicke der Stadt wurden demzufolge offenbar<br />

nicht unwesentlich vom Einfluss und Eigeninteresse einzelner Familien bestimmt.<br />

Anhand der zahlreichen Weihungen ist sowohl eine Annäherung der<br />

Bevölkerung an die römische Götterwelt als auch das Festhalten an gallo-keltischen<br />

Glaubensvorstellungen belegt. Bemerkenswert ist die relativ grosse Anzahl von<br />

Personen, die als Priester innerhalb des Kaiserkultes ein Amt ausübten.<br />

Mindestens drei Zufahrtswege vor den Toren der Stadt Aventicum konnten als<br />

sogenannte Gräberstrassen identifiziert werden, die von Grabsteinen gesäumt waren.<br />

Neben der sehr unterschiedlichen Ausgestaltung der erhaltenen Grabmale fällt auf,<br />

dass die Inschriften vergleichsweise kurz gehalten und die Gravuren zum Teil eher<br />

nachlässig ausgearbeitet sind.<br />

Einige Texte bezeugen das kostspielige Engagement, mit dem Einzelne für die<br />

Instandhaltung und den Ausbau öffentlicher Bauwerke sorgten. Auffallend ist die<br />

häufige Erwähnung von sogenannten scholae, bei denen es sich wohl um Ehren- oder<br />

Versammlungshallen handelte. Demnach zählte in Aventicum offenbar nicht nur das<br />

Aufstellen von Statuen nebst Postament und Inschrift der öffentlichen Würdigung<br />

verdienter Bürger, sondern wohl auch die Erlaubnis zur Errichtung einer schola.<br />

17. Architrav mit Weihinschrift (1)<br />

Gestiftet von den Schiffern der Aar und des Aramus zu Ehren der kaiserlichen Familie.<br />

Kalkstein. Gefunden am Rand des Forums, östlich der insula 33.<br />

Ende 2. Jh. n. Chr. Inschriftenkatalog Nr. 9.<br />

18. Statuenbasis mit Ehreninschrift für Quintus Cluvius Macer<br />

Kalkstein. Gefunden in der östlichen Portikus des Forums, in der insula 28 Ost.<br />

2. Viertel/Mitte 2. Jh. n. Chr. Inschriftenkatalog Nr. 7.<br />

19. Pilasterkapitell mit Weihinschrift an die Lugoven (2)<br />

Die Lugoven sind keltische Gottheiten die Mars und Merkur gleichgesetzt werden können.<br />

Das Kapitell diente als Sockel für mehrere Statuen.<br />

Kalkstein. Gefunden im Bereich zwischen der Umfassungsmauer des Grange des Dîmes-<br />

Tempels und der Cella des Cigognier-Tempels.<br />

Ende 2./ Anfang 3. Jh. n. Chr. Inschriftenkatalog Nr. 2.<br />

1<br />

2<br />

3<br />

18<br />

Erdgeschoss


Erdgeschoss Verschiedenes<br />

20. Architrav mit Bauinschrift einer Ballspielhalle<br />

Kalkstein. Gefunden im Bereich zwischen insula 19 und der Umfassungsmauer des<br />

Grange des Dîmes-Tempels.<br />

1. Hälfte 2. Jh. n. Chr. Inschriftenkatalog Nr. 10.<br />

21. Altar mit Weihinschrift für die Göttin Aventia und den Genius der Stadtbewohner<br />

(incolae) von <strong>Avenches</strong> (S. 18, 3)<br />

Kalkstein. Ursprünglicher Aufstellungsort unbekannt.<br />

2.-3. Jh. n. Chr. Inschriftenkatalog Nr. 18.<br />

22. Weihinschrift für die Göttin Aventia<br />

Marmor. Ursprünglicher Aufstellungsort unbekannt.<br />

2.-3. Jh. n. Chr. Inschriftenkatalog Nr. 17.<br />

23. Altar mit Weihinschrift für die Ärzte und Lehrer<br />

Kalkstein. Ursprünglicher Aufstellungsort unbekannt.<br />

2. Hälfte 2. Jh./Anfang 3. Jh. n. Chr. Inschriftenkatalog Nr. 4.<br />

24. Ehreninschrift für [---] dius Flavus<br />

Marmor. Gefunden am Rand des Forums in der insula 40.<br />

Letztes Viertel 1. Jh. n. Chr. Inschriftenkatalog Nr. 1.<br />

25. Ehreninschrift für Septimius Severus<br />

Kalkstein. Gefunden am Rand des Forums in der insula 40.<br />

193-211 n. Chr. Inschriftenkatalog Nr. 8.<br />

27. Mosaik mit Inschrift aus einem halböffentlichen Gebäude (1)<br />

Gefunden neben dem Forum in der insula 29.<br />

Anfang 3. Jh. n. Chr. Inschriftenkatalog Nr. 19. Katalog der Mosaiken Nr. 2.<br />

Verschiedenes<br />

28. Mosaik mit der Darstellung von Herkules und Antaios (2)<br />

Das Fussbodenmosaik besteht aus einer Abfolge von Bildfeldern, wovon das mittlere, von<br />

einem Lorbeerblattmotiv gerahmt, den Kampf zwischen Herkules und Antaios darstellt.<br />

In den mittleren Bildfeldern, die das Hauptmedaillon seitlich umrahmen, sind Jagd- und<br />

Tierkampfszenen wiedergegeben.<br />

Antaios, ein afrikanischer König, erhielt seine Kräfte aus der Erde und musste den<br />

Erdboden berühren, um seine Gegner niederzwingen zu können. Von Antaios bedroht<br />

begann Herkules einen Ringkampf; er packte seinen Gegner bei den Schultern und<br />

hob ihn in die Höhe, damit er seine Kräfte nicht wiedererneuern konnte, erdrückte und<br />

vernichtete ihn. Herkules ist hier bekränzt, also als siegreicher Athlet dargestellt.<br />

In den Eckquadraten sind menschliche Figuren zu erkennen, die durch ihre breiten<br />

Schultern, die Muskeln und geschwellte Brustpartie sowie durch den breiten Hals<br />

an Darstellungen von Ringkämpfern denken lassen. Ihre Köpfe sind durch ähnliche<br />

Blätterkränze geschmückt wie der des Herkules. Es handelt sich hier ganz offensichtlich<br />

um siegreiche Ringer. Sämtliche figürlichen Motive fügen sich zu einem triumphalen Bild<br />

der körperlichen Kräfte zusammen. Das bei der Auffindung des Mosaikes angefertigte<br />

Aquarell gibt das gesamte Mosaiks wieder.<br />

Ursprüngliche Ausmasse: 5 m x 4,5 m. Privathaus in der insula 59.<br />

2. Viertel 3. Jh. n. Chr. Katalog der Mosaiken Nr. 20.<br />

1<br />

2<br />

19<br />

Erdgeschoss


Erdgeschoss Verschiedenes<br />

29. Gladiatorenmosaik<br />

Das fast quadratische Mosaik schmückte den mittleren Teil eines Fussbodens, vermutlich<br />

eines Speisesaales (triclinium), in dem drei Betten in Form eines U an die Wand gerückt<br />

standen. Das geometrische Muster ist so konzipiert, dass die Blicke der Tafelnden auf<br />

die Mitte hin gezogen wurden. Die stark zerstörte Darstellung in der Mitte zeigt zwei<br />

kämpfende Gladiatoren, von denen lediglich die Beine erhalten sind. Gladiatoren sind an<br />

ihren bunten Bändern leicht zu erkennen, die sie um das Knie gewickelt trugen und die ihre<br />

Zugehörigkeit zu einer bestimmten Mannschaft anzeigten.<br />

Ursprüngliche Grösse: 2 m x 2,5 m. Faubourg Nord, aus einem Privathaus im Norden der<br />

insula 5.<br />

2. Hälfte 2. Jh. n. Chr. Katalog der Mosaiken Nr. 5.<br />

30. Kalksteinrelief mit Kopf des Gottes Sol<br />

Die römischen Darstellungen des Gottes Sol beruhen auf der hellenistischen Ikonographie<br />

des Helios. Das Relief ist möglicherweise ein Fragment einer monumentalen Büste, die einst<br />

die Giebelmitte eines Gebäudes schmückte.<br />

Insula 19 (?). Ende 1. Jh. n. Chr.<br />

31. Kalksteinfigur eines sitzenden Löwen (1)<br />

Der Löwe hat eine Tatze auf den Kopf eines Beutetieres (Stier oder Pferd) gelegt. Die<br />

Tiergruppe schmückte einen Brunnen; in die Vorderseite der Basis ist ein Hohlraum für ein<br />

Wasserrohr eingearbeitet.<br />

Gefunden im Bereich von Derrière la Tour; stammt ursprünglich wahrscheinlich aus der<br />

insula 16 West. 1. Hälfte 2. Jh. n. Chr.<br />

32. Wandmalerei, der sog. „rote Saal“<br />

Diese Wandmalerei schmückte den repräsentativen Hauptraum oder den Speisesaal eines<br />

Privathauses, das im Nordost-Viertel der Stadt lag (insula 18). Der für einen Empfangsraum<br />

eher bescheidene Dekor wurde von einer erfahrenen Malerwerkstatt ausgeführt.<br />

Eine weite Fläche nimmt der rote Grund ein, was man nördlich der Alpen selten<br />

findet. Die in regelmässigen Abständen angebrachten gliedernden Elemente<br />

bestehen aus Zierständern, die von Blätterranken und Bändern umschlungen werden,<br />

Stangenkandelabern mit sich kreuzenden Thyrsosstäben und aus linear begrenzten<br />

Lisenenstreifen. Diese vertikalen Motive werden von Bildern oder Medaillons bekrönt,<br />

die mit weiblichen Büsten, einer Komödienmaske und mit einem Vogel geschmückt sind.<br />

Die Sockelzone darunter wurde im Rahmen einer Umgestaltung 15 bis 25 Jahre später<br />

ausgemalt; sie ist aufgeteilt in gelb mit Pflanzenbüscheln bemalte Felder und schmalere<br />

bordeaurote, gesprenkelte Panneaus, die Marmorinkrustationen imitieren sollen.<br />

Diese Wandmalerei ist ein gutes Beispiel für den sogenannten 3. pompejanischen Stil,<br />

wie man ihn in Gallien vorfindet, weist jedoch auch einige für den 4. Stil charakteristische<br />

Elemente auf. Die Einteilung der pompejanischen Wandmalerei in vier Stile geht auf das<br />

Ende des 19. Jahrhunderts zurück. Sie dient heute noch als Grundlage für die Erstellung<br />

der Chronologie und Typologie der Wandmalereien des gesamten römischen Reiches.<br />

Der 3. pompejanische Stil kommt unter Kaiser Augustus in den Jahren 20-15 v. Chr. auf.<br />

Charakteristisch für diesen Stil ist die Abkehr von der vorausgehenden illusionistischen<br />

Architekturdarstellung des 2. Stils; die Wände werden jetzt mit flächigen farbigen Feldern<br />

bedeckt, die mit verschiedenen, häufig miniaturhaften Motiven geschmückt sind.<br />

Der 4. Stil, dessen Anfänge in die Zeit des Claudius (41-54 n. Chr.) datieren, bevorzugt<br />

symmetrische Muster und architektonische Gliederungselemente.<br />

Insula 18. Um 45 n. Chr.<br />

1<br />

20<br />

Erdgeschoss


1. Stock Die Anfänge von Aventicum<br />

1. Stock<br />

Die Anfänge von Aventicum<br />

(Vitrinen 1-2)<br />

Der Name Aventicum ist vom Namen der einheimischen keltischen Wassergottheit<br />

Aventia abgeleitet, die wohl Schutzgöttin der römischen Stadt war (Vitrine 2).<br />

Die Gegend von Aventicum war schon in früheren Zeiten besiedelt. Der leichte<br />

Zugang zu den Wasserwegen <strong>–</strong> Flüsse und Seen <strong>–</strong> war ein bedeutender Faktor für<br />

die Entstehung von Gewerbe und Handel. Man fand zahlreiche Siedlungsspuren<br />

inner- und ausserhalb des römischen Stadtgebietes aus der Zeit vor der römischen<br />

Eroberung (aus der späten Bronze- und der Eisenzeit).<br />

Im Jahr 58 v. Chr. verliessen die Helvetier, die sich im oppidum auf dem Mont<br />

Vully (1) zusammengefunden hatten, das schweizerische Mittelland und zogen in<br />

Richtung Südwestgallien. In Bibracte (heute Mont Beuvray im Burgund) unterlagen<br />

sie dem Heer von Iulius Caesar und sahen sich gezwungen heimzukehren. Es ist<br />

anzunehmen, dass sich ein Teil der Helvetier auf dem Hügel Bois-de-Châtel südlich<br />

von <strong>Avenches</strong> nieder liess. Möglicherweise diente ihnen auch die Anhöhe von<br />

<strong>Avenches</strong> als Zufluchtsort. In die Zeit unmittelbar vor der ersten städtebaulichen<br />

Anlage, d. h. ins 1. Jh. v. Chr., datieren nur wenige Zeugnisse. Sie stammen aus<br />

religiösen Kontexten, aus Heiligtümern oder Gräbern (Vitrine 1, Nr. 1), die sich am<br />

Ostabhang des Hügels von <strong>Avenches</strong> und in der Flur Au Lavoëx befanden. Dieses<br />

frühe Material besteht aus einheimischen, keltischen Objekten: Fibeln, bemalte<br />

Keramik oder feine Grautonware sowie Münzen (Vitrine 1, Nr. 4-7; 9-12). Darunter<br />

findet man auch Belege für die Handelsbeziehungen mit Italien und Gallien<br />

(Vitrine 1, Nr. 2-3). Von besonderem Interesse ist der keltische Münzprägestempel<br />

(Vitrine 1, Nr. 8). Aus dem gesamten keltischen Raum sind nur um die dreissig<br />

Exemplare bekannt, darunter auch eines vom Mont Vully. Es handelt sich um eine<br />

Stempelform, in der die Vorderseite eines keltischen Denars geprägt wurde.<br />

Aus den Anfängen von Aventicum, vom Ende des 1. Jh. v. Chr. oder vom Anfang<br />

des 1. Jh. n. Chr., stammt ein Brandgrab, das im Siedlungsbereich gefunden wurde<br />

(Vitrine 1, Nr. 14). Die Urne, eine kleine Keramikschale, enthielt die Aschenreste der<br />

Verstorbenen, darauf waren zwei Bronzefibeln deponiert. Die Münze Nr. 13 (Vitrine 1)<br />

datiert in dieselbe Zeitspanne. Anhand des im Boden erhaltenen Holzes (2) war es<br />

verschiedentlich möglich, das Fälldatum der Bäume zu bestimmen, die für den Bau<br />

der ersten bekannten Gebäude von Aventicum verwendet wurden. Die Ergebnisse<br />

dieser dendrochronologischen Analysen (Datierung der Jahresringe eines Holzes)<br />

zeigen, dass ab dem Jahr 5 n. Chr. die Bauarbeiten für die Hafenanlagen begonnen<br />

wurden. Im Winter 6/7 n. Chr. wurden die Hölzer für die Errichtung der ältesten<br />

bisher zu Tage gebrachten Häuser geschlagen, die bereits ins rechtwinklig angelegte<br />

Strassensystem eingefügt wurden.<br />

1<br />

2<br />

21<br />

1. Stock<br />

1<br />

2


1. Stock Die einheimische Bevölkerung<br />

Vitrine 1<br />

Die Funde Nr. 1-5 wurden im Bereich des Heiligtums von Derrière la Tour gefunden.<br />

1. Tonurne mit verbrannten menschlichen Knochenresten. Anfang 1. Jh. v. Chr.<br />

2. Terra Sigillata-Teller aus Mittelitalien. Die Innenfläche trägt den Stempel des Töpfers<br />

L. Tetti Crito. Ende 1. Jh. v. Chr. (1)<br />

3. Tonteller aus der Gegend von Lyon. Ende 1. Jh. v. Chr.<br />

4. Tontopf mit vertikaler Kammstrichverzierung. 1. Jh. v. Chr.<br />

5. Tontopf oder -Flasche mit aufgemaltem Bänderdekor. 1. Jh. v. Chr.<br />

6. Bronzefibel. Ende 1. Jh. v. Chr. - Anfang 1. Jh. n. Chr.<br />

7. Bronzefibel. 1. Jh. n. Chr.<br />

8. Keltischer Münzprägestempel (2).<br />

9. Keltische Münze, Quinar des Vatico. 2. Hälfte 1. Jh. v. Chr.<br />

10. Keltische Münze, Quinar des Caletedu. 2. Hälfte 1. Jh. v. Chr.<br />

11. Keltische Münze, Quinar Typ “Büschel”. 2. Hälfte 1. Jh. v. Chr.<br />

12. Keltische Münze, Potin der Sequaner. 1. Jh. v. Chr.<br />

13. Römische Münze, Quadrans des Germanus Indutilli L. Nach 15 v. Chr.<br />

14. Verbrannte Tonschale, signiert Atei, enthält winzige Fragmente verbrannter<br />

menschlicher Knochen, worauf zwei Bronzefibeln deponiert wurden. Ende 1. Jh. v. Chr. -<br />

Anfang 1. Jh. n. Chr.<br />

Vitrine 2<br />

1. Weihung für die Göttin Aventia (3):<br />

Deae /<br />

Aventiae Cn(aeus)Iul(ius)<br />

Marcellinus<br />

Equester<br />

d(e) s(ua) p(ecunia)<br />

« Der Göttin Aventia. Gnaeus Iulius Marcellinus aus der Bürgerabteilung Equester, (hat<br />

dieses Denkmal errichten lassen) auf seine Kosten »<br />

Kalkstein. 1.-3. Jh. n. Chr. Inschriftenkatalog Nr. 16.<br />

Die einheimische Bevölkerung<br />

(Vitrinen 3-5)<br />

Die Mehrzahl der Einwohner der römischen Stadt Aventicum bestand aus<br />

einheimischen keltischen Helvetiern, die die Gegend schon vor der römischen<br />

Eroberung besiedelten; einen geringeren Anteil hingegen stellten die Römer, die<br />

vom Kaiser entsandt worden waren, um die Stadtentwicklung voranzutreiben. Die<br />

Romanisierung der Einheimischen vollzog sich innerhalb weniger Generationen.<br />

Rom verlieh zahlreichen aristokratischen keltischen Familien das römische<br />

Bürgerrecht (Vitrine 4), möglicherweise geschah dies gegen Leistung gewisser<br />

1<br />

2<br />

3<br />

22<br />

1. Stock<br />

1<br />

2<br />

3<br />

4<br />

5


1. Stock Sprache und Schrift<br />

Dienste oder Abtreten von Land. Die einheimische Bevölkerung übernahm recht<br />

schnell die Sitten und Gebräuche ihrer Eroberer. Dennoch lebte die keltische Kultur<br />

weiter. Das keltische Erbe erscheint uns in der Kunst (Vitrine 3, Nr. 1, Vitrine 5, Nr. 1-2),<br />

der Religion, der Schrift, dem Kunsthandwerk (Vitrine 5, Nr. 3-6), der Haartracht und der<br />

Kleidung (Vitrine 3, Nr. 1).<br />

Vitrine 3<br />

1. Büste einer Frau (1). Sie trägt den Torques, einen typisch keltischen Halsschmuck, eine<br />

Tunika und einen Mantel nach der einheimischen Mode. Kalkstein. Spätestens Anfang 1. Jh.<br />

n. Chr.<br />

Vitrine 4<br />

1. Ehreninschrift für Caius Valerius Camillus :<br />

C(aio) Valer(io) C(ai) f(ilio) Fab(ia)Ca<br />

millo quoi publice<br />

funus Haeduorum<br />

civitas et Helvet(i)decre<br />

verunt et civitas<br />

Helvet(iorum)<br />

qua pagatim qua publice<br />

statuas decrevit<br />

I[u]lia C(ai)Iuli Camilli f(ilia) Festilla<br />

ex testamento<br />

« Dem Gaius Valerius Camillus, Sohn des Gaius, aus der fabischen Bürgerabteilung, für den<br />

die Volksgemeinde der Haeduer und die Helvetier ein staatliches Begräbnis angeordnet<br />

und dem die Helvetier durch Beschlüsse der Gaue und der ganzen Volksgemeinde Statuen<br />

zugeeignet haben. Iulia Festilla, Tochter des Gaius Iulius Camillus (hat diese Inschrift<br />

erstellen lassen) gemäss dem Testament des Verstorbenen »<br />

Der Marmorblock wurde in der Nähe des Forums gefunden. Zweites Viertel 1. Jh. n. Chr.<br />

Inschriftenkatalog Nr. 5.<br />

Vitrine 5<br />

1. Kalksteinkopf einer Frau. Cigognier-Heiligtum. 2. Hälfte 2. Jh. n. Chr.<br />

2. Vergoldeter Bronzekopf eines toten Helvetiers (2). Cigognier-Heiligtum. 2. Jh. n. Chr.<br />

3. Bemaltes Tongefäss einheimischer Tradition.<br />

4-5. Tonbecher mit figürlichem Schmuck. In Aventicum produzierte Keramik.<br />

2. Hälfte 2. Jh. n. Chr.<br />

6. Tonbecher mit erotischer Szene. In Aventicum produzierte Keramik.<br />

2. Hälfte 2. Jh. n. Chr.<br />

Sprache und Schrift<br />

(Vitrine 6)<br />

Die Helvetier sprachen Gallisch, eine keltische Sprache. Je nach Region benutzten sie<br />

sehr wahrscheinlich unterschiedliche lokale Dialekte. Es handelt sich im wesentlichen<br />

um eine gesprochene Sprache. Schriftliche Zeugnisse sind selten und geben uns<br />

nur wenig Aufschluss über die keltische Kultur. Die Kelten benutzten ursprünglich<br />

1<br />

2<br />

23<br />

1. Stock<br />

3<br />

4<br />

5<br />

6


1. Stock Sprache und Schrift<br />

das griechische Alphabet. Mit der Ankunft der Römer wurde eine neue Sprache,<br />

Latein, eingeführt, die je nach Dichte der lateinsprechenden Bevölkerung von den<br />

Einheimischen verstanden und auch übernommen wurde.<br />

Aus Aventicum sind keine Inschriften in gallischer Sprache bekannt. Was man<br />

manchmal findet, sind keltische Namen, die in einer Mischung aus griechischem und<br />

lateinischem Alphabet geschrieben sind (Vitrine 6, Nr. 9, Vitrine 23, Nr. 1).<br />

Es ist anzunehmen, dass seit dem 1. Jahrhundert n. Chr. die Einwohner von<br />

Aventicum Latein verstanden. Dies belegen Grab-, Ehren- und Weihinschriften sowie<br />

Graffiti, die damals in alle möglichen Schreibunterlagen eingeritzt wurden.<br />

Zum Schreiben verwendete man einen Griffel (stilus) (Vitrine 6, Nr. 19-21). Mit<br />

dem zugespitzten Ende ritzte man die Schriftzeichen in eine auf Holztäfelchen<br />

aufgetragene Wachsschicht ein, mit dem anderen, spatelförmigem Ende konnte man<br />

das Geschriebene löschen, indem man die Wachsschicht wieder glättete. Man konnte<br />

auch mehrere Täfelchen mittels einer Schnur zusammenbinden (Vitrine 6, Nr. 18).<br />

Auf Papyrus oder Pergament schrieb man mit dem calamus, einer Rohrfeder mit<br />

zugespitztem Ende, das man in das Tintenfass (atramentarium) tauchte. Dieses war<br />

aus Glas (Vitrine 6, Nr. 10), Ton (Vitrine 6, Nr. 11) oder Bronze. Die Tinte, die vor dem<br />

Gebrauch mit Wasser vermischt wurde, stammte vom Tintenfisch, wurde aus Weinhefe<br />

gewonnen oder bestand aus einer Mischung aus Russ mit Harz.<br />

Ein Buch (volumen) bestand aus mehreren zusammengeklebten Papyrus- oder<br />

Pergamentstreifen, die dann um einen Holzstab aufgerollt wurden (Vitrine 6, Nr. 1).<br />

Für in Stein gemeisselte Inschriften sowie für die Stempelinschriften auf Mörsern<br />

(Vitrine 6, Nr. 8), Vasen (Vitrine 6, Nr. 9), Amphoren, Ziegeln oder Metallgegenständen<br />

verwendete man die Kapitalschrift.<br />

Ritzinschriften (Graffiti) (Vitrine 6, Nr. 2-3) oder Pinselaufschriften (Vitrine 6,<br />

Nr. 4-5) wurden im allgemeinen in Kursivschrift (mit Kleinbuchstaben) geschrieben,<br />

die man auch im alltäglichen Briefverkehr benutzte. Oft findet man auch Graffiti in<br />

Kapitalschrift (Vitrine 6, Nr. 6-7).<br />

In Siegelkapseln verwahrte man die Stempelsiegel zum Verschliessen von<br />

Schreibtäfelchen oder kleinen Päckchen. Zum Stempeln drückte man die vertiefte,<br />

negativ eingravierte Platte eines Siegelrings in Wachs (Vitrine 6, Nr. 17).<br />

Vitrine 6<br />

1. Marmorstatue eines sitzenden Philosophen oder Dichters. Er hält ein volumen in seiner<br />

Linken.<br />

2. Fragment eines Vorratsgefässes aus grauem Ton, worauf in kursiven Schriftzeichen eine<br />

Inschrift eingeritzt ist: ...icco immallobrocus, deren Bedeutung bisher nicht geklärt ist.<br />

3. Bemalter Wandverputz mit eingeritzter Majuskelinschrift.<br />

4. Amphorenhals mit aufgemalter Inschrift (1), die den Inhalt der Amphore angibt:<br />

Excel(lens)/flos... „Ausgezeichnete Blume…“ Gemeint ist die Qualität des garum, eine Sauce,<br />

die aus in Salz eingelegten Fischstückchen gewonnen wird. 1. Jh. n. Chr.<br />

1<br />

2<br />

24<br />

1. Stock<br />

6


1. Stock Die Zeitrechnung<br />

5. Amphorenhals mit aufgemalter Inschrift, die neben dem Fassungsvermögen (LXX, wohl<br />

70 römische Pfund, die ca. 32,8 Litern entsprechen) auch den Händlernamen im Genitiv<br />

angibt: Felicionis (Felicio). 2. Jh. n. Chr.<br />

6. Fragmente eines Kruges mit Graffito in Kapitalschrift (S. 24, 2): LAGO(NA) NICOMIIDIIS<br />

QUI ILLA IIMIIRIT „ Der Weinkrug des Nikomedes, der ihn wohlverdient “. Zu beachten ist die<br />

Verwendung zweier senkrechter Balken zur Bezeichnung des E, eine im ehemals keltischen<br />

Raum häufige Schreibweise. Der Name Nicomedes ist griechischer Herkunft, es handelt sich<br />

wahrscheinlich um einen Sklaven.<br />

7. Becher mit Graffito in Kapitalkursive: SIIXTVS (Sextus) Der Buchstabe E besteht aus zwei<br />

Längsbalken, eine einheimische Schreibweise dieses Buchstabens im an und für sich typisch<br />

lateinischen Namen. 2. Jh. n. Chr.<br />

8. In Aventicum hergestellter Mörser (Reibschale) mit dem Stempel des Töpfers Ruscus. 2. Jh.<br />

n. Chr.<br />

9. Tellerfragment aus Aventicum mit dem Stempel des Töpfers Cinced. Zu beachten ist die<br />

Verwendung des D mit horizontalem Querstrich, ein charakteristisches Zeichen in den<br />

überaus seltenen keltischen Inschriften. Zweite Hälfte 1. Jh. n. Chr.<br />

10. Tintenfass aus Glas (1).<br />

11. Tintenfass aus Ton.<br />

12-16. Bronzene Siegelkapseln (2).<br />

17. Bronzering mit Gemme mit der Darstellung eines Delphins.<br />

18. Nachbildung einer hölzernen, mit Wachs überzogenen Schreibtafel.<br />

19-21. Stili (Schreibgriffel) aus Eisen.<br />

Die Zeitrechnung<br />

(Vitrinen 7-8)<br />

Der römische Kalender, der im Jahr 46 v. Chr. von Julius Caesar eingesetzt wurde,<br />

ist noch heute gültig und bestimmt mit geringfügigen Abweichungen unseren<br />

Lebensrythmus. Das römische Jahr begann auch am 1. Januar und gliederte sich in<br />

zwölf Monate, deren Abfolge, Namen und Länge unverändert geblieben sind. Die<br />

Bestimmung eines Monatstages war jedoch recht kompliziert, da man die Tage nicht<br />

wie heute fortlaufend von 1 bis 31 durchnummerierte, sondern auf einen von drei<br />

Fixpunkten im Monat hin rückwärts zählte. Diese Fixpunkte hiessen: Kalenden (1. Tag<br />

des Monats), Nonen (5. oder 7. Tag, je nach Monat) (Vitrine 8, Nr. 1) und Iden (13. oder<br />

15. Tag, je nach Monat).<br />

Die Namen der Wochentage haben sich in den meisten romanischen Sprachen<br />

erhalten, z. B. französisch mardi, nach dem Tag des römischen Gottes Mars, oder mercredi,<br />

nach dem Tag des römischen Gottes Merkur (Im Deutschen wurden die Namen<br />

der römischen Göttter durch die entsprechenden germanischen ersetzt).<br />

Ein Tag umfasste vierundzwanzig Stunden. Die Tageszeit erstreckte sich vom Sonnenaufgang<br />

bis zum Sonnenuntergang und war in 12 Stunden eingeteilt, ebenso die<br />

folgende Nachtzeit. Demzufolge variierte die Länge einer Stunde je nach Jahreszeit<br />

1<br />

2<br />

25<br />

1. Stock<br />

6<br />

7<br />

8


1. Stock Masse und Gewichte<br />

und geographischer Lage des Ortes. Lediglich die Mittagsstunde (sexta hora) war<br />

fix. Im allgemeinen mass man die Zeit nach dem Grad der Helligkeit. Wollte man es<br />

genauer wissen, hatte man drei Geräte zur Verfügung: die feststehende (Vitrine 8, Nr. 2)<br />

oder transportable Sonnenuhr, die Sand- und die Wasseruhr (clepsydra).<br />

Der Zodiakus oder Tierkreis stellt die in zwölf gleiche Teile geteilte Himmelzone<br />

dar. Die Benennung der einzelnen Bereiche entstammt der Verbindung von Astronomie<br />

und Astrologie, indem man ihnen die Namen der nächstgelegenen Sternbilder<br />

gab. Der aus dem Orient übernommene Zodiakus war in Rom im 1. Jh. v. Chr. als Motiv<br />

sehr beliebt und sollte sich bald über ganz Italien und in die Provinzen ausbreiten,<br />

man findet zahlreiche Darstellungen auf Reliefs, Mosaiken (Vitrine 7) oder auf<br />

Schmuckstücken.<br />

Vitrine 7<br />

Mosaikfragment mit der Darstellung der Tierkreiszeichen. Nur die Fische, der Widder und<br />

der Stier sind antik, die Zwillinge sind rekonstruiert.<br />

Um 200 n. Chr. Palastvilla in der Flur Derrière la Tour. Leihgabe des Historischen Museums<br />

Bern.<br />

Vitrine 8<br />

1. In ein Wandfresko eingeritzte kursive Inschrift (1):<br />

IIII nonas / Apriles / die / Martis<br />

« Vierter Tag vor den Nonen des April, am Tag des Mars » (das heisst: Dienstag, der 2. April …<br />

n. Chr.).<br />

Zwischen 35 und 80 n. Chr.<br />

2. Sonnenuhr aus Kalkstein (2).<br />

Masse und Gewichte<br />

(Vitrine 9)<br />

Die römische Grundeinheit für das Längenmass war der Fuss (pes). Der genaue<br />

Wert eines pes weist geographisch und chronologisch bedingte Schwankungen<br />

auf. Zu Beginn unserer Zeitrechnung betrug er ungefähr 29,6 cm. Ein Fuss wurde<br />

unterteilt in zwölf Unzen (unciae), drei Unzen entsprachen einer Handbreite (palmus).<br />

Zweieinhalb Fuss ergaben einen Schritt (gradus) und tausend Doppelschritte (passus)<br />

eine Meile (mille passus), das sind ungefähr 1478,5 m. Die Entfernungen zwischen<br />

den Städten wurden in Meilen berechnet und auf den sogenannten Meilensteinen<br />

angegeben. Die Leuge oder Wegstunde (leuca), eine keltische Masseinheit, ist nie ganz<br />

aus unseren Regionen verschwunden.<br />

Zur Berechnung kürzerer Strecken benutzte man ein Lineal (regula) oder einen<br />

Zirkel (circinus) (Vitrine 9, Nr. 1-2). Mit diesem zog man nicht nur Kreise, man konnte<br />

mit ihm auch Längen übertragen. Das Bleilot (Vitrine 9, Nr. 3-4) (perpendiculum)<br />

ermöglichte es, zusammen mit einem Winkelmesser, senkrechte und waagrechte<br />

Flächen abzustecken.<br />

Die Grundeinheit des römischen Gewichtssystems war das Pfund (libra), das<br />

327,45 g entspricht (Vitrine 9, Nr. 7); das Pfund wurde unterteilt in zwölf Unzen (unciae)<br />

1<br />

2<br />

26<br />

1. Stock<br />

7<br />

8<br />

9


1. Stock Masse und Gewichte<br />

zu 27,3 g (Vitrine 9, Nr. 16-17). Die Gewichte wurden zuweilen mit einem Buchstaben<br />

oder einem Zeichen versehen, das den genauen Wert angibt. So wurde für ein Pfund<br />

das Zeichen „I“ (Vitrine 9, Nr. 7) und für ein halbes Pfund (semis) ein „S“ verwendet<br />

(Vitrine 9, Nr. 5).<br />

Die Händler und Marktleute verwendeten zum Wägen ihrer Ware zwei Arten von<br />

Waagen. Der am meisten verwendete Typus ist die Schnellwaage mit langem Balken<br />

und einer einzigen Waagschale (statera) (Vitrine 9, Nr. 10 und 12). Man nennt sie auch<br />

heute noch die römische Waage. Das Gewicht der auf einer schwenkbar befestigten<br />

Waagschale plazierten Ware wird durch Verschieben eines vom Waagebalken<br />

herabhängenden Gegengewichts bestimmt. Solche Schiebegewichte gab es in allen<br />

möglichen Formen, die einfachsten waren eichel- oder kugelförmig (Vitrine 9, Nr. 10,<br />

13-14), es gab jedoch auch kunstvoll ausgestaltete, z. B. in Form einer menschlichen<br />

Büste. Ein weiterer damals bekannter Waagetyp ist die gleicharmige Waage (libra)<br />

mit zwei Schalen, die symmetrisch, in gleicher Entfernung von der mittleren<br />

Aufhängevorrichtung angebracht sind (Vitrine 9, Nr. 11). Zum Bestimmen des Gewichts<br />

sind hier Gewichte verschiedener Grösse nötig (Vitrine 9, Nr. 5-9, 16-20).<br />

Die Einheit für das Hohlmass war der quadrantal, der einer amphora entsprach<br />

(26,2 l). Die Hälfte einer amphora war eine urna (13,1 l) und ein Drittel ein modius (8,7 l).<br />

Ganz kleine Mengen wurden in Löffeln (cochlear) gemessen, der 0,0011 l enspricht<br />

(Vitrine 9, Nr. 21).<br />

Vitrine 9<br />

1-2. Stechzirkel aus Eisen.<br />

3. Bronzegewicht eines Lotes.<br />

4. Gewicht eines Lotes oder Gegengewicht einer Eisenwaage.<br />

5. Bronzegewicht mit der Markierung IIS, was 2 1/2 Pfund (librae) entspricht, das sind 818,6 g.<br />

6. Bronzegewicht mit der Markierung II, das heisst zwei Pfund, also 654,9 g (1).<br />

7. Bronzegewicht mit der Markierung I, was ein Pfund bedeutet (=327,4 g.<br />

8. Steingewicht von annähernd 1 1/3 Pfund (= 436,6 g).<br />

9. Bronzegewicht mit der Markierung :: indicating one third of a pound (triens), i.e. 109.1 g.<br />

10. Schnellwaage aus Eisen (2), das Gegengewicht besteht aus Eisen mit Bronzekern und<br />

wiegt annähernd 2 1/3 Pfund (= 873,2 g).<br />

11. Bronzewaage mit gleicharmigem Balken und zwei Schalen.<br />

12. Schnellwaage aus Bronze, die Skalen sind eingraviert.<br />

13. Gegengewicht aus Bronze mit Bleikern und Kette. Das Gewicht beträgt ungefähr fünf<br />

Unzen (quincunx), das sind 136,4 g.<br />

14. Gegengewicht aus Blei mit Kette. Das Gewicht beträgt annähernd sieben Pfund, das sind<br />

2292,1 g.<br />

15. Bronzenes Waagschälchen mit dem Stempel BANNA.<br />

16. Bronzegewicht mit beidseitiger Markierung, ungefähr eine Unze (uncia), das heisst 27,3 g.<br />

17. Bronzegewicht mit Markierung, ungefähr eine Unze (uncia), das heisst 27,3 g.<br />

1<br />

2<br />

3<br />

27<br />

1. Stock<br />

9


1. Stock Theater, Spiele und Musik<br />

18. Bronzegewicht von ca. einer halben Unze (semuncia), das sind 13,6 g.<br />

19. Bronzegewicht von ungefähr einem Viertel Pfund (quadrans), das sind 81,9 g.<br />

20. Bronzegewicht von annähernd ein Sechstel Pfund (sextans), das sind 54,6 g.<br />

21. Bronzelöffel (cochlear) mit einer Füllmenge von ca. 0,0011 l. Das entspricht dem Inhalt<br />

der kleinsten Hohlmasseinheit.<br />

Der Dodekaeder, ein Messgerät?<br />

(Vitrine 10)<br />

Dodekaeder aus Bronze (S. 27, 3), gefunden in einem Haus in Aventicum.<br />

Der Dodekaeder ist ein dreidimensionaler geometrischer Körper mit zwölf<br />

gleichseitigen Fünfecken identischen Ausmasses. Er ist hohl und durchbrochen. Jede<br />

Seite besitzt eine runde Öffnung unterschiedlicher Grösse (von 0,9 cm bis 2,6 cm).<br />

Zehn Öffnungen werden gerahmt von konzentrischen Kreisen. Die zwei grössten, sich<br />

gegenüberliegenden Öffnungen weisen keine Spuren von Verzierung auf.<br />

Soweit man bisher sagen kann, wurden alle uns bekannten bronzenen<br />

Dodekaeder in römerzeitlichen Fundstellen nördlich der Alpen, vor allem im Zentrum<br />

und Nordosten Galliens gefunden. Mehr als sechzig Exemplare sind bekannt. Da der<br />

Dodekaeder also nicht gerade selten, sein Verbreitungsgebiet jedoch beschränkt ist,<br />

kommt diesem Objekt besonderes Interesse zu.<br />

Die Frage nach der Funktion des Dodekaeders hat schon Generationen von<br />

Archäologen beschäftigt. Dekorationselement, Spiel oder Messgerät wurden in<br />

Erwägung gezogen. Man hat auch die Hypothese aufgestellt, dass es sich um einen<br />

Gegenstand für kultische Zwecke handeln könnte. Es wurden jedoch bisher noch keine<br />

Dodekaeder innerhalb oder im Umfeld eines Heiligtums gefunden. Heute vermutet<br />

man, dass diese Objekte Gerät im Dienst der Astronomie sein könnten. Die zwölf<br />

Seiten würden demnach die zwölf Monate des Jahres darstellen, die dreissig Kanten<br />

die Tage eines Monats. Nach einer jüngsten Deutung soll es möglich sein, mit dem<br />

Dodekaeder die Datenspanne ermitteln zu können, in die die Tagundnachtgleichen im<br />

Frühling und Herbst fallen.<br />

Theater, Spiele und Musik<br />

(Vitrinen 11-14)<br />

Panem et circenses - ” Brot und Spiele ” , so lautete die Forderung des Volkes; die<br />

imperiale Politik folgte ihr mit ihren Beamten vor Ort und liess durch staatliche Gelder<br />

und Spenden Spiele und sonstige Vergnügungen veranstalten, um so die Massen<br />

ruhig zu halten, Auflehnungsbestrebungen zu verhindern und sich ihrer Gunst zu<br />

versichern.<br />

Im Theater wurden Tragödien und vor allem Komödien gespielt. Die Schauspieler<br />

(Vitrine 12, Nr. 5, 1), die unter musikalischer Begleitung Verse deklamierten, hiessen<br />

histriones oder cantores und waren normalerweise Sklaven oder Freigelassene. Sie<br />

1<br />

28<br />

1. Stock<br />

9<br />

10<br />

11<br />

12<br />

13<br />

14


1. Stock Theater, Spiele und Musik<br />

trugen Masken der Komödie oder Tragödie, von deren Aussehen wir uns sowohl<br />

durch die Nachbildungen in Marmor oder Terrakotta (Vitrine 12, Nr. 3) als auch durch<br />

die zahlreichen Abbildungen auf Tonvasen, Öllampen aus Terrakotta (Vitrine 12,<br />

Nr. 6-9), Elfenbeinarbeiten (Vitrine 12, Nr. 4), Wandmalereien, Mosaiken (Vitrine 11) oder<br />

Steindenkmälern (Vitrine 12, Nr. 1-2) eine genaue Vorstellung machen können. Wie wir<br />

von den antiken Autoren wissen, existierten bis zu 28 verschiedene Maskentypen für<br />

Tragödien und 46 für Komödien.<br />

Sehr beliebt waren auch andere szenischen Darbietungen, wie die Mimen und<br />

Pantomimen. Letztere bestand darin, alle verschiedenen, meist aus dem griechischen<br />

Mythos stammenden Personen in einer Art Tanz allein durch Gestik und Mimik<br />

darzustellen. Dazu trugen die Schaupieler reich bestickte Tuniken und Masken, mit<br />

denen fünf verschiedene Rollen verkörpert werden konnten. Der narrative Part wurde<br />

von einem Chor übernommen, der dabei von verschiedenen Instrumenten begleitet<br />

wurde. Dazu gehörten die Flöte (Vitrine 14, Nr. 10), die Lyra (Vitrine 14, Nr. 3 und 9), die<br />

Kithara (Vitrine 14, Nr. 4-6) und Zimbeln (Vitrine 14, Nr. 1-2).<br />

Beim Mimenspiel gab es dieselbe musikalische Begleitung wie beim Pantomimus,<br />

die Tänzer trugen jedoch keine Masken und sangen selbst. Die Handlung basierte hier<br />

nicht mehr auf Mythen, sondern auf Szenen des alltäglichen Lebens und war meist<br />

komisch, zuweilen sogar obszön.<br />

Vitrine 11<br />

Mosaik mit der Darstellung einer Theaterszene: Man erkennt zwei Schauspieler, von denen<br />

einer die komische Maske der Figur des jungen Mädchens trägt.<br />

Vitrine 12<br />

1. Grabmaske einer tragischen Heldin, Kalkstein. Anfang 2. Jh. n. Chr.<br />

2. Marmorrelief mit Satyrmaske. Letztes Viertel 1. Jh. n. Chr.<br />

3. Antefix (Strinziegel) aus Terrakotta mit Theatermaske.<br />

4. Elfenbeinbehälter in Form einer Theatermaske der Komödie. 1.-2. Jh. n. Chr.<br />

5. Bronzestatuette eines Tragödiendarstellers: auf dem Gürtel erscheint die Beischrift<br />

Dovecus (oder so ähnlich), höchstwahrscheinlich sein Name. Anfang 3. Jh. n. Chr.<br />

Inschriftenkatalog Nr. 22.<br />

6-9. Öllampen aus Terrakotta. Die Bildfelder sind mit Theatermasken der Komödie verziert (1).<br />

Im Amphitheater wurden, zum Klang von Trompeten oder Orgeln (Vitrine 14, Nr. 7),<br />

Gladiatorenspiele (munera) geboten, bei denen bis zum Tod eines Gegners gekämpft<br />

werden konnten (Vitrine 13, Nr. 1-9). Die Gladiatoren setzten sich im allgemeinen aus<br />

Sklaven, Kriegsgefangenen und zum Tode verurteilten Schwerverbrechern zusammen.<br />

Es gab darunter aber auch junge Leute aus heruntergekommenen Patrizierfamilien, die<br />

glaubten, hier zu Ruhm und Ehren und zu schnellem Geld zu kommen.<br />

In künstlichen wilden Landschaften wurden auch Tierhetzen (venationes)<br />

veranstaltet (Vitrine 13, Nr. 11), bei denen man Tiere gegeneinander kämpfen liess:<br />

Raubtiere gegen Hirsche, Löwen (Vitrine 13, Nr. 2) gegen Tiger, Bären gegen Stiere<br />

1<br />

2<br />

29<br />

1. Stock<br />

11<br />

12<br />

13<br />

14


1. Stock Theater, Spiele und Musik<br />

(Vitrine 13, Nr. 10), usw. Es konnten auch Menschen gegen Tiere, z. B. gegen Stiere,<br />

Bären, Panther, Tiger oder Löwen antreten.<br />

Ein weiteres Vergnügen war der Zirkusbesuch, jedoch sind in Aventicum<br />

bisher noch keine Reste eines Zirkus entdeckt worden. Hier fanden in erster Linie<br />

Wagenrennen statt, aber auch andere sportliche Wettkämpfe wie Boxen, Ringen<br />

oder Wettläufe.<br />

Vitrine 13<br />

1. Kämpfender Gladiator (S. 29, 2). Auflage aus Keramik mit Bleiglasur, die ehemals auf<br />

einem Gefäss befestigt war. Mitte 1. Jh. n. Chr.<br />

2. Zwei Gladiatoren schmücken den Elfenbeingriff eines Klappmessers (1). 3. Jh. n. Chr.<br />

3. Gladiator. Bronzestatuette. 2.-3. Jh. n. Chr.<br />

4. Gladiator. Bronzeapplike.<br />

5. Fragment eines Glasbechers mit Darstellungen von Gladiatoren. Zwei<br />

Namensbeischriften sind teilweise erhalten: (Colu)mbus und Cala(mus).<br />

6. Fragment eines Glasbechers mit Darstellungen von Gladiatoren. Drei<br />

Namensbeischriften sind teilweise erhalten: (Calam)us, Orie(n)s und Petr(aites).<br />

7. Mit Dreizack und Dolch bewaffneter Gladiator. Öllampe aus Terrakotta.<br />

8. Zwei Gladiatoren im Zweikampf. Öllampe aus Terrakotta.<br />

9. Darstellung von Gladiatoren. Terra Sigillata-Schale. Ende 1. Jh. n. Chr.<br />

10. Mit einem Stier verziertes Trinkgefäss aus Ton. 2. Hälfte 2. Jh. n. Chr.<br />

11. Jagdszene. Öllampe aus Terrakotta.<br />

12. Tonschüssel mit Löwendekor. 2. Hälfte 2. Jh. n. Chr.-Anfang 3. Jh. n. Chr.<br />

Musik war im Leben der Römer überall präsent. Sie diente nicht nur als<br />

Begleitung bei Aufführungen und Wettkämpfen, sondern kam auch bei öffentlichen<br />

oder privaten Feierlichkeiten zum Einsatz, wie z. B. bei Banketten, Hochzeiten,<br />

Begräbnissen, Triumphzügen, Prozessionen oder Opferhandlungen.<br />

Die Fragmente einer Orgel, die in Aventicum zu Tage kamen (Vitrine 14, Nr. 7), sind<br />

von besonderer Bedeutung. Aus der gesamten römischen Welt sind mit diesem nur<br />

drei solcher Instrumente bekannt.<br />

Vitrine 14<br />

1-2. Kleine Zimbeln aus Bronze (Cymbala).<br />

3. Rahmenende einer Lyra (?) aus Hirschhorn. Anfang 1. Jh. n. Chr.<br />

4. Amor beim Kitharaspiel. Elfenbeinmedaillon.<br />

5. Amor beim Kitharaspiel (2). Öllampe aus Terrakotta.<br />

6. Darstellung einer Kithara aus Elfenbein. Dieses Objekt diente wahrscheinlich als Dekor<br />

eines Möbelstücks.<br />

7. Bronzene Teile einer Wasserorgel (3). Fragmente der sechsregistrigen Windlade und<br />

eines Tonschieber, an dessen Stirnseite man die römische Ziffer VIIII erkennen. Die Orgel<br />

besass ursprünglich 12 Tasten. Gefunden in der Palastvilla von Derrière la Tour.<br />

1<br />

2<br />

3<br />

30<br />

1. Stock<br />

13<br />

14


1. Stock Geld und Zahlungsverkehr<br />

Das Münzsystem vom 1. bis 3. Jahrhundert<br />

8. Plektron, wahrscheinlich aus Schildpatt; damit schlug man die Saiten der Lyra oder der<br />

Kithara.<br />

9. Rechter Arm einer Bronzestatue; zwischen Daumen und Zeigefinger befindet sich ein<br />

Plektron in der Form einer Löwentatze.<br />

10. Rechter Arm der Bronzestatue eines Flötenspielers.<br />

Geld und Zahlungsverkehr<br />

(Vitrine 15)<br />

Das Münzsystem vom 1. bis 3. Jahrhundert<br />

Das von Augustus für das gesamte römische Reichsgebiet neu organisierte<br />

Währungssystem umfasste Münzeinheiten aus Gold, Silber, Messing und Kupfer.<br />

Die Metallgehalt- und Gewichtsrelationen der einzelnen Einheiten waren<br />

untereinander klar festgelegt (Vitrine 15, Nr. 1). So war es möglich, anhand der<br />

Metallfarbe den Nennwert zu erkennen (Vitrine 15, Nr. 2-8). Messingmünzen<br />

(Sesterz und semis) z. B. besitzen den zweifachen Nennwert von Kupfermünzen<br />

(as und quadrans). Das augusteische Währungssystem blieb relativ stabil und<br />

behielt seine Gültigkeit bis ins 3. Jahrhundert. Erste leichte Wertverluste durch<br />

Gewichts- und Feingehaltsreduktionen zeichnen sich jedoch schon im Laufe der<br />

ersten beiden Jahrhunderte ab. Die seit dem Ende des 2. Jahrhunderts stärker<br />

zunehmende Geldentwertung führte im Jahr 214 n. Chr. unter Caracalla zur<br />

Einführung eines neuen Silbernominals, des sog. Antoninian, der dem Wert von<br />

zwei Denaren entsprach. Die galoppierende Inflation liess diese neue Münze bereits<br />

im 3. Jh. schnell an Wert verlieren. Unter Claudius II. Gothicus (268-270 n. Chr.)<br />

betrug ihr Silbergehalt nur noch 2%. Diese Entwicklung lässt sich an der Serie von<br />

Antoninianen (Vitrine 15, Nr. 9-12) gut nachvollziehen.<br />

Kaiser Aurelian (270-275 n. Chr.) unternahm den Versuch, diese Entwertung zu<br />

bremsen, indem er einen neuen Antoninian einführte (Vitrine 15, Nr. 13). Nachdem<br />

es dennoch nicht gelungen war, durch diese erneute Geldreform die Inflation<br />

einzudämmen, nahm Diokletian (284-305 n. Chr.) eine grundlegende Neuordnung<br />

des Münzwesens vor (Vitrine 15, Nr. 14). Dieses System sollte über Jahrhunderte<br />

Bestand haben, wenn auch die einzelnen Einheiten bald wieder an Wert verloren<br />

(vgl. die Münzen des 4. Jhs.: Vitrine 25, Nr. 20-39).<br />

Preise und Löhne<br />

Es gibt leider nur wenige schriftliche Zeugnisse über Preise und Löhne in römischer<br />

Zeit, und noch seltener sind Angaben, die das Gebiet der heutigen Schweiz<br />

betreffen. Aus der römischen Stadt Pompeji, die durch den Vesuvausbruch im Jahr<br />

79 n. Chr. völlig zerstört wurde, sind uns einige Preisangaben bekannt, die als Graffiti<br />

an den Häuserwänden angebracht waren (Vitrine 15, Nr. 15-20):<br />

1<br />

31<br />

1. Stock<br />

15


1. Stock Geld und Zahlungsverkehr. Geld ausgeben oder sparen ?<br />

Münzfunde geben die Antwort<br />

Nahrungsmittel<br />

Öl 1/3 L 1 Sesterz<br />

ein kleines Brot 1/2 Kg ¼ Sesterz = 1 As (Vitrine 15, Nr. 15)<br />

Tafelwein 1 Masseinheit ¼ Sesterz = 1 As<br />

Falernerwein 1 Masseinheit 1 Sesterz<br />

Tonwaren<br />

Öllampe ½ Sesterz = 2 As (Vitrine 15, Nr. 16-18)<br />

ein einfacher Teller ¼ Sesterz = 1 As<br />

kleines Trinkgefäss ¼ Sesterz = 1 As (Vitrine 15, Nr. 19-20)<br />

Kleidung<br />

Tunika 15 Sesterzen<br />

Waschen einer Tunika 4 Sesterzen<br />

Verschiedenes<br />

Esel 520 Sesterzen<br />

Sklave 2524 Sesterzen<br />

Echte und falsche Münzen<br />

Das Porträt des Kaisers und die Legende mit seinem Namen waren der Garant für den<br />

Geldwert einer Münze. Die Personifikation MONETA AUGUSTA (die kaiserliche Münze)<br />

trägt als Attribut eine Waage in der Hand (Vitrine 15, Nr. 21). Sie ist ein Symbol für die<br />

imperiale Herrschergewalt und drückt gleichzeitig das stete Bemühen um die Kontrolle<br />

stabiler Münzwerte aus.<br />

Eine besondere Entdeckung während der Ausgrabungen des Tempels in der Flur<br />

Derrière la Tour 1996 ist eine Münzwaage mit festem Gewicht (Vitrine 15, Nr. 22), ein<br />

Beleg für die Kontrolle des Münzgewichts auch in <strong>Avenches</strong>. Mithilfe einer solchen<br />

Waage konnten zu leichte Denare erkannt und aus dem Verkehr gezogen werden. Nicht<br />

möglich war damit jedoch die Unterscheidung eines „guten“ Silberdenars (Vitrine 15,<br />

Nr. 23-24) von einem falschen Denar aus versilbertem Kupfer (Vitrine 15, Nr. 25-26) oder<br />

einem gegossenen Denar, dessen Silbergehalt viel zu gering war (Vitrine 15, Nr. 27). Diese<br />

verschiedenen Imitationen konnten sehr wohl dem erforderlichen Standardgewicht<br />

entsprechen. In <strong>Avenches</strong>, wie überall in den römischen Provinzen, waren falsche Denare<br />

in grosser Zahl in Umlauf. Es gab sogar Fälschungen, die kein Edelmetall enthielten, wie z.<br />

B. Münzen aus Eisen mit Kupferüberzug (Vitrine 15, Nr. 28-29).<br />

Geld ausgeben oder sparen ? Münzfunde geben die Antwort<br />

Die Bewohner einer römischen Stadt gingen, nicht anders als auch wir heute, mit<br />

ihrem Geld auf verschiedene Art und Weise um. Es standen regelmässig Ausgaben<br />

an für die Dinge des täglichen Bedarfs, wie Essen, Kleidung, usw. Und wer es sich<br />

leisten konnte, legte etwas Geld beiseite. Bei Grabungen findet man am häufigsten<br />

Kupfer-, Messing oder Bronzemünzen (Vitrine 15, Nr. 30-36). Sie zeugen vom kleineren,<br />

täglichen Geldverkehr. Zusammen mit anderen Fundobjekten liefern diese zumeist<br />

stark korrodierten Münzen wertvolle Hinweise, v. a. für die Datierung einer Fundschicht.<br />

Manchmal hat man auch das Glück, auf einen ganzen Münzhort zu stossen, Münzen, die<br />

sich noch in einem Münzbeutel (Vitrine 15, Nr. 37-42) oder in einer Spardose befinden<br />

(Vitrine 15, Nr. 44), oder auf einen regelrechten Schatzfund.<br />

1<br />

32<br />

1. Stock<br />

15


1. Stock Rom und Aventicum<br />

Der Kaiser, das Kaiserhaus und die Provinz<br />

Vitrine 15<br />

1. Das Münzsystem des römischen Kaiserreichs vom 1. bis 3. Jh. n. Chr.<br />

2. Aureus, Gold, Augustus (27 v. Chr. - 14 n. Chr.).<br />

3. Denar, Silber, Antoninus Pius (141-161 n. Chr.) für seine Frau Faustina Minor.<br />

4. Sesterz, Messing, Marc Aurel (161-180 n. Chr.) für die vergöttlichte Faustina Minor.<br />

5. Dupondius, Messing, Domitian (81-96 n. Chr.).<br />

6. As, Kupfer, Augustus (27 v. Chr. - 14 n. Chr.) für Tiberius.<br />

7. Semis, Messing, Augustus (27 v. Chr. - 14 n. Chr.) für Tiberius.<br />

8. Quadrans, Kupfer, Domitian (81-96 n. Chr.).<br />

9. Antoninian, Gordian III. (238-244 n. Chr.).<br />

10. Antoninian, Valerian I. (253-260 n. Chr.).<br />

11. Antoninian, Claudius II. Gothicus (268-270 n. Chr.).<br />

12. Antoninian, Tetricus I. (271-274 n. Chr.).<br />

13. Antoninian, Aurelian (270-275 n. Chr.).<br />

14. Follis, Diokletian (284-305 n. Chr.).<br />

15. Ein Brot kostet 1 As.<br />

16-18. Eine Öllampe kostet 2 As (=1 Dupondius = 1/2 Sesterz).<br />

19-20. Ein Becher kostet 1 As.<br />

21. As, auf der Rückseite ist die Personifikation der Münze mit einer Waage in der Hand<br />

dargestellt.<br />

22. Münzwaage mit festem Gegengewicht aus iulisch-claudischer Zeit. Diese Waage diente<br />

der Schnellkontrolle von Silberdenaren.<br />

23. Denar, Silber, Augustus (27 v. Chr.-14 n. Chr.).<br />

24. Denar, Reichsprägung, Silber (mit Kontrollmarke in Form eines Z), Augustus.<br />

25. Falscher Denar, Kupferstück mit Silberüberzug, Nero (1).<br />

26. Falscher Denar, Kupferstück mit Silberüberzug, Domitian.<br />

27. Gegossener falscher Denar, Legierung mit geringem Silberanteil.<br />

28. Falscher Sesterz, Eisenstück mit Kupfer(?)-Überzug, Marc Aurel.<br />

29. Falscher Dupondius oder As, Eisenstück mit Kupfer(?)-Überzug, Marc Aurel für Faustina II.<br />

30-36. Isolierte Funde aus archäologischen Grabungen.<br />

37-42. Inhalt eines Geldbeutels: sechs Sesterzen.<br />

43. Sammelfund (Schatz?) von Denaren.<br />

44. Spardose (2). 2. Jh. n. Chr.<br />

Rom und Aventicum<br />

(Vitrinen 16-18)<br />

Der Kaiser, das Kaiserhaus und die Provinz<br />

Rom übte auf unterschiedlichste Weise seine Macht und seinen Einfluss auf das<br />

Reichsgebiet aus. Ein rigoroses Ordnungssystem regelte die Verwaltung der Provinzen.<br />

Präsenz der Armee, Gesetzgebung, Amtssprache (Latein im Westen, Griechisch im<br />

1<br />

2<br />

33<br />

1. Stock<br />

15<br />

16<br />

17<br />

18


1. Stock Rom und Aventicum<br />

Der Kaiser, das Kaiserhaus und die Provinz<br />

Osten), Währungssystem, Standardmasse und das Steuerwesen wurden den Provinzen<br />

auferlegt. Von ihnen erwartete Rom absolute Loyalität und Unterwerfung unter die<br />

Herrschaft des Kaisers.<br />

Urbs, ursprünglich einfach das lateinische Wort für „Stadt“, war die übliche<br />

Bezeichnung für Rom, die Hauptstadt des Reiches. Sie wird häufig symbolisiert durch<br />

ein Bildmotiv aus dem Gründungsmythos der Stadt, durch die Wölfin, die die Zwillinge<br />

Romulus und Remus säugt.<br />

Im Kaiserkult (Vitrine 17, Nr. 6), den Augustus eingeführt hatte, drückte sich die ganze<br />

Macht des Herrschers und seiner Familie aus. Der Kaiser wurde schon zu Lebzeiten<br />

als Gott betrachtet. In Aventicum fand der Kult des Herrscherhauses wahrscheinlich<br />

im Cigognier-Heiligtum statt, wo man die Goldbüste des Kaisers Marc Aurel fand. Der<br />

Herrscher und die Mitglieder seiner Familie waren in der ganzen Stadt durch Statuen<br />

und Büsten präsent. Nur wenige davon sind uns erhalten geblieben. Bei einigen ist man<br />

sich über die Identifizierung einig (Marc Aurel, Agrippina Maior), andere sind jedoch<br />

noch umstritten (Vitrine 17, Nr. 1-5). Der Kaiser liess sich entweder nackt wie ein Gott<br />

darstellen, oder wie ein Philosoph in der Toga aber auch in Rüstung als oberster General<br />

der Armee. Porträts des Kaisers schmückten Münzen und Medaillons, deren Gültigkeit<br />

auf diese Weise garantiert wurde (Vitrine 17, Nr. 11-23). Münzen waren ein ideales<br />

Propagandamittel, da sie nicht nur das Abbild des Herrschers verbreiteten, sondern auch<br />

auf politische und familiäre Ereignisse innerhalb des Herrscherhauses anspielten und<br />

moralische und ethische Werte vermittelten (Vitrine 17, Nr. 24-33).<br />

Die kaiserliche Familie spielte jedoch auch eine wirtschaftliche Rolle. Sie besass z.<br />

B. Steinbrüche, Weinberge oder Produktionszentren zur Herstellung von Olivenöl. Das<br />

Bleimedaillon, auf dem das Porträt der Antonia Minor dargestellt ist, der Mutter des<br />

Kaisers Claudius (Vitrine 17, Nr. 7), gehörte wahrscheinlich zu einem Siegel, mit dem eine<br />

Warensendung verschlossen war, die unter kaiserlicher Protektion stand.<br />

Vitrine 16<br />

1. Weihinschrift für die Amme eines Kaisers:<br />

[D(is)] M(anibus)<br />

Pomp(eiae)Gemell[(ae)<br />

Pomp(eia) Dic[a]ea l(iberta)<br />

et Primu[l]ia s(erva)<br />

educat(ricis) [A]ug(usti)n(ostri)<br />

« Den göttlichen Manen. Die Freigelassene Pompeia Dicaea und die Sklavin Primulia (haben<br />

dieses Denkmal errichtet) für Pompeia Gemella, die Amme unseres Kaisers »<br />

Es handelt sich sehr wahrscheinlich um die Grabinschrift der Amme des Kaisers Titus (79-81<br />

n. Chr.). 2. Hälfte 1. Jh. n. Chr. Inschriftenkatalog Nr. 3.<br />

Vitrine 17<br />

1-5. Fragmente einer Bronzestatue. Sie stellte vermutlich den Kaiser Hadrian (117-<br />

138 n. Chr.) im Panzer dar. Mitte 2. Jh. n. Chr.<br />

6. Votivtäfelchen aus Bronze für Mars Caisivus:<br />

Mart[i] Caisiv[o]<br />

Pomp(onius or -eius ? ) Optatus<br />

fl(amen)Aug(usti) {e}x stip(e)<br />

1<br />

2<br />

3<br />

34<br />

1. Stock<br />

16<br />

17


1. Stock Rom und Aventicum<br />

Der Kaiser, das Kaiserhaus und die Provinz<br />

« Dem Mars Caisivus (liess) Pomponius(?) Optatus, Priester des kaiserlichen Kultes, (diese<br />

Statuette? herstellen) aus einer Spende »<br />

Dieses Täfelchen war offensichtlich an einer Weihgabe für Mars Caisivus angebracht, die<br />

der Priester für den Kaiserkult in Auftrag gegeben hatte. 1.-3. Jh. n. Chr. Inschriftenkatalog<br />

Nr. 23.<br />

7. Porträt der Antonia Minor (36 v. Chr. - 37 n. Chr.), Mutter des Kaisers Claudius (41-54<br />

n. Chr.). Bleitäfelchen.<br />

8. Porträt des Kaisers Hadrian (117-138 n. Chr.). In römischer Zeit zu einem Medaillon<br />

umgearbeitete Bronzemünze (S. 34, 1).<br />

9. Porträt des Kaisers Commodus (180-192 n. Chr.). Bronzemedaillon (S. 34, 2).<br />

10. Porträt der Agrippina Maior. Dieses Medaillon aus Glas war ursprünglich in Metall<br />

gefasst. Es handelt sich um einen militärischen Orden, der verdiente Soldaten vor allem<br />

der am Rhein stationierten Legionen hauptsächlich im zweiten Viertel des 1. Jhs. n. Chr.<br />

erhielten (S. 34, 3).<br />

11-33. Münzen:<br />

Obere Reihe, von links nach rechts :<br />

11. Augustus (27 v. Chr. - 14 n. Chr.).<br />

12. Tiberius (14-37 n. Chr.).<br />

13. Antonia Minor, Mutter des Kaisers Claudius. Dupondius.<br />

14. Claudius (41-54 n. Chr.) (1).<br />

15. Vespasian (69-79 n. Chr.).<br />

16. Domitian (81-96 n. Chr.).<br />

17. Antoninus Pius (138-161 n. Chr.).<br />

18. Marc Aurel (161-180 n. Chr.).<br />

19. Faustina II. (um 130-176 n. Chr.), Gattin des Marc Aurel.<br />

20. Septimius Severus (193-211 n. Chr.).<br />

21. Iulia Domna (um 170-217 n. Chr.), Gattin des Septimius Severus.<br />

22. Maximinus Thrax (235-238 n. Chr.).<br />

23. Philippus Arabs (244-249 n. Chr.).<br />

Untere Reihe, von links nach rechts :<br />

24. Altar von Lyon. Augustus.<br />

25. Templum divi Augusti restitutum. Emission des Antoninus Pius aus Anlass des<br />

Wiederaufbaus des Tempels des Augustus.<br />

26. Virtuti Augusti. Domitian.<br />

27. Concordia: Ein Handschlag, Symbol für die Eintracht. Nerva.<br />

28. Concordia Augustorum. Marc Aurel und sein Bruder Lucius Verus verkünden ihre<br />

gemeinsame, in Harmonie geführte Herrschaft. Sesterz (2).<br />

29. Adlocutio. Marc Aurel spricht zu seinen Truppen.<br />

30. Aufgestapelte Waffen; Tropaion aus Anlass des Triumphes des Marc Aurel über die<br />

Germanen (3).<br />

31. Faustina II., Gattin des Marc Aurel, mit sechs ihrer dreizehn Kinder.<br />

1<br />

2<br />

3<br />

35<br />

1. Stock<br />

17


1. Stock Rom und Aventicum<br />

Der Kaiser, das Kaiserhaus und die Provinz<br />

32. Eines der Zwillingspaare des Marc Aurel und der Faustina, der spätere Kaiser Commodus<br />

und sein Bruder.<br />

33. Die Bestattungsfeierlichkeiten für Antonia Minor, die Mutter des Kaisers Claudius.<br />

Vitrine 18<br />

Weihinschrift für Britannicus (41-55 n. Chr.), Sohn des Kaisers Claudius und seiner Gattin<br />

Messalina.<br />

Ti(berio) Claud(io) Caesari<br />

Ti(beri) Claudi Caesaris<br />

[Aug(usti)Germanici] p(atris) p(atriae)f(ilio)<br />

[Britannico]<br />

[Helveti public]e<br />

« Dem Tiberius Claudius Caesar Britannicus, Sohn des Kaisers Tiberius Claudius, (mit dem<br />

Titel) Germanicus und Vater des Vaterlandes, (liessen) die Helvetier (dieses Denkmal<br />

errichten) auf öffentlichen Beschluss »<br />

Dies ist eine der seltenen Inschriften zu Ehren des jungen Britannicus, der im Alter von<br />

14 Jahren von seinem Stiefbruder Nero nach dessen Thronbesteigung im Jahr 54 ermordet<br />

wurde. Die Inschrift war auf einem Marmorsockel angebracht, der wahrscheinlich als<br />

Statuenbasis diente. Inschriftenkatalog Nr. 6.<br />

Auf der Rückseite und in der Mitte des Saales frei aufgestellte Objekte<br />

Rückseite, von links nach rechts :<br />

Darstellung der Kapitolinischen Wölfin, die Zwillinge Romulus und Remus säugend (1)<br />

Das Kalksteinrelief wurde im Innenhof der Palastvilla in der Flur Derrière la Tour entdeckt.<br />

2. Jh. n. Chr.<br />

Die Darstellung des Mythos von der wundersamen Rettung des Gründers Roms und seines<br />

Bruders ist ein Sinnbild des Römischen Reiches. Dieses war als Motiv sehr beliebt und wurde<br />

auch noch auf spätantiken Münzen dargestellt (vgl. Vitrine 25, Nr. 20).<br />

Porträt einer Prinzessin (2)<br />

Marmorbüste. Gefunden 1847 im römischen Theater von Aventicum.<br />

Kopie; das Original befindet sich im Archäologischen Museum von Neuenburg.<br />

Gesicht, Haare und Gewand waren bemalt. Rote Farbreste, die noch im Haar zu erkennen<br />

sind, stammen von der Grundierung für die ursprüngliche Vergoldung.<br />

Die Gesichtszüge der jungen Frau waren durch sorgfältige farbige Modellierung besonders<br />

hervorgehoben. Sie trug ein blaugrünes Gewand.<br />

Die Identifizierung dieses qualitätsvollen Porträts ist umstritten. Es könnte Iulia dargestellt<br />

sein, die Tochter des Drusus Minor und der Livilla. Sie heiratete 21 n. Chr., im Alter von<br />

15 Jahren Nero Iulius Caesar, den Sohn des Germanicus, der im Jahr 23 n. Chr. als Kronzprinzen<br />

designiert, später jedoch zum Staatsfeind erklärt und dann verbannt wurde.<br />

Eine andere Deutung weist dieses Porträt der Antonia Minor (36 v. Chr. - 37 n. Chr.) zu, der<br />

Mutter des Kaisers Claudius.<br />

Diese Büste belegt die engen Beziehungen, die zur Zeit des Kaisers Tiberius zwischen Rom<br />

und Aventicum bestanden.<br />

Agrippina Maior<br />

Marmorstatue. Gefunden im Norden des Forums von Aventicum. 2. Viertel 1. Jh. n. Chr.<br />

Monumentalstatue von ca. 2,75 m Höhe, deren Porträtkopf vermutlich die Züge der<br />

Agrippina Maior, der Gattin des Germanicus, trägt.<br />

1<br />

2<br />

36<br />

1. Stock<br />

17<br />

18


1. Stock Rom und Aventicum<br />

Der Kaiser, das Kaiserhaus und die Provinz<br />

Sie war die Mutter des Kaisers Caligula (37-41 n. Chr.) und der Agrippina Minor, die ihrerseits<br />

die Mutter des Kaisers Nero (54-68 n. Chr.) war. Agrippina Maior ist hier als Göttin Fortuna<br />

dargestellt. Sie trägt einen Chiton (Frauengewand griechischer Herkunft), römische<br />

Frauenschuhe und hält ein Füllhorn in ihrer Linken. Trotz des schlechten Erhaltungszustands<br />

der Statue, ist die Qualität der bildhauerischen Arbeit gut zu erkennen. Die Skulptur gehört<br />

zu einer Statuengruppe, die drei oder vier Mitglieder der kaiserlichen Familie darstellte. Die<br />

öffentliche Aufstellung von Bildnissen des Kaisers und seiner Familie war ein wesentliches<br />

Element der politischen Propaganda Roms.<br />

Männliche Statue<br />

Marmorfuss. Gefunden im Norden des Forums von Aventicum. 2. Viertel 1. Jh. n. Chr.<br />

Dieser Fuss lässt sich derselben Statuengruppe zuweisen, zu der auch die Skulptur der<br />

Aggrippina Maior gehört. Nach der Art der Fussbekleidung zu schliessen war dieses weitere<br />

Mitglied der kaiserlichen Familie als sogenannte Panzerstatue, d.h. als General dargestellt.<br />

Die ursprüngliche Gesamthöhe der Statue betrug ca. 3 m.<br />

Reiterstatue (1)<br />

Beinfragment aus vergoldeter Bronze. Gefunden beim Palast von Derrière la Tour. 2.-3. Jh.<br />

n. Chr.<br />

Erhalten ist nur das rechte Bein des Reiters. Er trägt die den römischen Patriziern<br />

vorbehaltene Fussbekleidung, die calcei patricii. Der Typus der Reiterstatue folgt einem<br />

bekannten Schema; das am besten erhaltene Beispiel ist die Reiterstatue des Kaisers Marc<br />

Aurel vom Kapitol in Rom, die unserer Rekonstruktion als Modell gedient hat. Solche<br />

lebensgrossen oder monumentalen, vergoldeten Reiterstatuen schmückten oft öffentliche<br />

Plätze.<br />

Kaiserstatuen ?<br />

Fragmente von drei oder vier monumentalen Statuen aus vergoldeter Bronze. 1.-3. Jh. n. Chr.<br />

Die Überlebensgrösse der Fragmente ist ein Indiz dafür, dass es sich um Statuen von Kaisern<br />

oder von hohen Würdenträgern des Reiches handeln muss.<br />

Die Rekonstruktion der einzelnen Standbilder ist noch nicht geglückt. Die Fragmente<br />

gehörten wahrscheinlich zu einem der hier vorgeschlagenen Statuentypen.<br />

Vitrine im Mittelteil des Saales :<br />

Marcus Aurelius (2)<br />

Goldbüste, gefunden 1939 in einer Kanalisation innerhalb des Cigognier-Heiligtums (3).<br />

Treibarbeit. Um 180 n. Chr.<br />

Die Identifizierung dieser Büste als Porträt des Kaisers Marc Aurel (161-180 n. Chr.) war lange<br />

umstritten. Bildnisse dieses Kaisers liegen zwar in grosser Anzahl vor; sie zeigen jedoch im<br />

allgemeinen schlankere Gesichtsproportionen. Trotz der viel zu niedrigen Stirn, der sehr<br />

breiten Wangen und der am Hinterkopf glattanliegenden Haare <strong>–</strong> lauter Züge, die nicht<br />

mit dem Porträt des Marc Aurel übereinstimmen <strong>–</strong> entspricht die untere Gesichtshälfte,<br />

vom Kinn bis zu den Brauen, dem sogenannten Alterstypus, d. h. dem offiziellen Bildnis des<br />

Kaisers in seinen letzten Lebensjahren. Marc Aurel war Zeit seines Lebens nie in Aventicum.<br />

Er verbrachte annähernd siebzehn seiner neunzehn Regierungsjahre in den Donauregionen,<br />

wo die Reichsgrenze damals stark gefährdet war.<br />

Kaiserbildnisse standen stellvertretend für den Herrscher und seine göttliche Macht als<br />

Kultstatuen im Mittelpunkt des Kaiserkultes; vor Gericht versinnbildlichte Porträt Gegenwart<br />

und höchste Autorität des Kaisers.<br />

1<br />

2<br />

3<br />

37<br />

1. Stock


1. Stock Die Religion<br />

Römische Religion<br />

Die Religion<br />

(Vitrinen 19-24)<br />

Die orientalischen Kulte<br />

(Vitrine 19)<br />

Um die Mitte des 2. Jhs. n. Chr. verlor die keltische Religion ihre Anziehungskraft und<br />

konnte die Erwartungen der Gläubigen nicht mehr befriedigen. So erklärt sich auch<br />

der Erfolg der neuen, aus dem Osten stammenden Religionen, die es verstanden, die<br />

Ängste der Menschen zu besänftigen und die auch den Schwächsten und Ärmsten ein<br />

glückliches Leben im Jenseits in Aussicht stellten.<br />

Während den Kulten der ägyptischen Götter Isis und Serapis, des Iuppiter Ammon<br />

(Vitrine 19, Nr. 1-2) oder des Sabazius (Vitrine 19, Nr. 3-4) in Gallien ein etwas geringerer<br />

Erfolg beschieden war, konnten die Mysterienkulte der Cybele, des Attis und des<br />

Mithras zahlreiche Anhänger auf sich vereinigen.<br />

Vitrine 19<br />

1. Iuppiter Ammon. Öllämpchen aus Terrakotta.<br />

2. Iuppiter Ammon. Man erkennt ihn an den Widderhörnern. Bronzeapplike.<br />

3. Votivhand aus Bronze aus dem Sabaziuskult (1). Auf dem Daumen erkennt man<br />

einen Pinienzapfen, in der Handinnenfläche, zwischen Zeigefinger und Mittelfinger,<br />

befindet sich eine Sabaziusbüste, zwischen den gebogenen Ringfinger und den kleinen<br />

Finger ist eine Merkurbüste gesetzt. An der rechten Handaussenseite rankt ein Zweig<br />

empor; das Handgelenk ist mit einem Glöckchen und einer Schlange verziert. Auf der<br />

Handaussenfläche, zwischen Daumen und Zeigefinger erkennt man die Büste der Cybele,<br />

zwischen dem Zeigefinger und dem Mittelfinger eine Bacchusbüste und zwischen<br />

Ringfinger und kleinem Finger einen Widderkopf; auf dem Handrücken befinden sich<br />

eine Eidechse, ein Kantharos, eine Schildkröte und ein Frosch. Am unteren Abschluss des<br />

Handgelenks ist eine liegende Frau mit einem Kind dargestellt. 1.-2. Jh. n. Chr.<br />

4. Tongefäss, wahrscheinlich aus dem Kult des Sabazius oder des Mithras. An beiden<br />

Henkeln winden sich Schlangen empor. Auf der Gefässwand erscheinen Eidechsen und<br />

Schildkröten.<br />

Römische Religion<br />

(Vitrinen 20-21)<br />

Die Römer verehrten zahlreiche Götter sowohl im öffentlichen Leben als auch im<br />

häuslichen Bereich. Die römische Religion war sehr komplex, da sie neben den<br />

alten römischen Kulten auch griechische und etruskische Elemente in sich vereinte,<br />

die nicht immer klar voneinander zu trennen sind. Neben zahlreichen kleineren<br />

Gottheiten standen allen voran die Hauptgötter, allen voran Kapitolinische Trias mit<br />

Iuppiter, Iuno und Minerva; weitere sehr beliebte Götter waren Mars, Venus, Apollo,<br />

Merkur und Bacchus.<br />

In den Provinzen sind Religion und Mythologie nie rein römisch. Vielmehr sind<br />

römische und einheimische Götter miteinander verschmolzen. Ob es nun die Römer<br />

1<br />

38<br />

1. Stock<br />

19<br />

20<br />

21


1. Stock Die Religion<br />

Römische Religion<br />

waren, die die angefundenen einheimischen Götter den ihren gleichsetzten, wie es<br />

Iulius Caesar im Fall von Gallien tat, oder ob es umgekehrt war, ist schwer zu sagen.<br />

Ein gutes Beispiel für diese Verschmelzung sind Inschriften, in denen der alte<br />

keltische Göttername als Beiname neben dem Namen der römischen Gottheit<br />

erscheint, wie z. B. Mercurius Cissonius (Vitrine 24, Nr. 13), Mars Gradivus (Vitrine 20, Nr.<br />

13) oder Mars Caisivus (Vitrine 17, Nr. 6).<br />

Iuppiter (Vitrine 20, Nr. 1-3 und Vitrine 21) ist der oberste Himmelsgott. Er wird von<br />

Caesar unter den fünf Hauptgottheiten Galliens angeführt. Sein Kult ist in unserer<br />

Region durch Inschriften und zahlreiche Darstellungen gut belegt. Eine der am<br />

weitesten verbreitete zeigt ihn als Reiter mit dem Blitzbündel in der Hand über einen<br />

besiegten Giganten dahinsprengend. In Aventicum wurde eine Säule gefunden, die<br />

von einer solchen Gruppe bekrönt war. Iuppiter wird hier als der Himmelsgott verehrt,<br />

der die Mächte der Unterwelt besiegt hat.<br />

Merkur (Vitrine 20, Nr. 4-9 und 14) ist der Schutzgott der Reisenden und der<br />

Gewerbetreibenden, bei den Galliern gilt er als der Erfinder aller Künste. Nach Julius<br />

Caesar war er der Hauptgott der Gallier. Man erkennt Merkur an seinem Reisehut<br />

(petasus), der mit kleinen Flügeln versehen ist, die manchmal auch in den Haaren<br />

sitzen, des weiteren an seinem Stab (caduceus) und am Geldbeutel, den er mit einer<br />

Hand fest umschlossen hält.<br />

Bacchus (Vitrine 20, Nr. 10) ist der Gott des Weines. In seinem Gefolge befinden<br />

sich Silene, Satyrn und Mänaden (Vitrine 20, Nr. 11-12, 15-16). Sein Kult scheint in<br />

unserer Gegend wenig verbreitet zu sein. Bildwerke mit bacchischer Thematik sind<br />

jedoch keineswegs selten. Bacchus ist erkennbar an den Weintrauben und an den<br />

Weinblättern, die seine Haare schmücken.<br />

Minerva (Vitrine 20, Nr. 17-22) ist die Göttin der Gerechtigkeit und der Weisheit.<br />

Wie Julius Caesar schreibt, wurde sie von den Galliern als Schutzgöttin des Handwerks<br />

verehrt. Darstellungen der Göttin folgen alle dem gleichen, alten griechischen<br />

Bildschema: sie trägt einen Helm, die Ägis mit dem Haupt der Medusa, eine Lanze und<br />

einen Schild.<br />

Apollo (Vitrine 20, Nr. 23), zuständig für die Künste und die Musik, gilt bei den<br />

Römern ebenso wie bei den Galliern auch als Heilgott. Man findet ihn in dieser<br />

Funktion vielfach in Zusammenhang mit Heilbädern oder Thermen. In Aventicum wird<br />

sein Name in einer Weihinschrift für Ärzte erwähnt (Inschriftenkatalog Nr. 4).<br />

Mars (Vitrine 20, Nr. 13) gehört als Kriegsgott zu den fünf grossen Göttern der<br />

Gallier. Wird er auch vergleichsweise weitaus seltener dargestellt als Merkur, so<br />

begegnet uns sein Name doch in zahlreichen Inschriften, assoziiert mit einer Vielzahl<br />

von Beinamen keltischen Ursprungs.<br />

Vitrine 20<br />

1. Bronzeadler, Attribut des Iuppiter. 2. Jh. n. Chr.<br />

2-3. Iuppiterstatuetten aus Bronze. 2.-3. Jh. n. Chr.<br />

4. Bronzeblech mit eingravierter Weihinschrift für Merkur. 2. Jh. n. Chr.<br />

1<br />

2<br />

39<br />

1. Stock<br />

20<br />

21


1. Stock Die Religion<br />

Römische Religion<br />

Deo Mer[curio Iu[lius Sextus<br />

v(otum) s(oluit) [l(ibens)<br />

m(erito)<br />

« Dem Gott Merkur verdientermassen löste Iulius Sextus willig sein Gelöbnis ein »<br />

5. Caduceus aus Silber, Attribut des Merkur. Tempel der Grange-des-Dîmes (S. 39, 1).<br />

6-8. Bronzestatuetten des Gottes Merkur.<br />

9. Bronzestatuette des Merkur mit Hahn und Ziege.<br />

10. Bronzestatuette des Bacchus; wohl Schmuckelement eines Gerätes. 2. Jh. n. Chr.<br />

11. Bronzestatuette eines Silens (S. 39, 2). Ende 2. Jh. n. Chr.<br />

12. Bronzestatuette eines Silens einen Weinschlauch schulternd.<br />

13. Versilbertes Bronzeplättchen mit eingravierter Weihinschrift für Mars Gradivus.<br />

Mars Gradive pate[r--- / hanc patriam civ[esque---] / inclute bellator[--- / imperio monitus<br />

m[erito---?] / Sex(tus) Tetricius donum [dedit---?]<br />

« Mars Gradivus, Vater … meine Heimat und seine Bürger, …<br />

berühmter Krieger; verdientermassen berufen zur Ordnung(?),<br />

(bringt dir) Sextus Tetricius (dies) als Geschenk »<br />

Ende 2. - Anfang 3. Jh. n. Chr. Inschriftenkatalog Nr. 24.<br />

14. Gemme aus Jaspis. Kopf des Merkur und zwei Buchstaben: TI (für Tiberius?). Anfang 1. Jh.<br />

n. Chr.<br />

15. Gemme, Nicolo. Satyr mit Flöte in der Linken, Krummstab (pedum) in der Rechten und<br />

der Nebris, einem Hirschkalbfell. Unten rechts ein Stern.<br />

16. Gemme aus Granat. Tänzer aus dem Gefolge des Bacchus. Er hält in der Rechten einen<br />

Kantharos und über dem Arm die Nebris (ein Hirschkalbfell). In der Linken schwingt er einen<br />

mit Laub und Bändern geschmückten Stab (thyrsus). Unten rechts liegt ein umgestossener<br />

Krater. Anfang 1. Jh. n. Chr.<br />

17. Karneolgemme. Minerva hält eine Lanze in der Linken und eine offene Schwertscheide<br />

in der Rechten. Vor ihr auf dem Boden erkennt man ihren Schild. 2. Jh. n. Chr.<br />

18. Die Eule der Minerva, aus Bronze.<br />

19. Beinnadel mit Minervabüste.<br />

20-22. Drei Münzen mit Minervadarstellungen. 1. Jh. n. Chr.<br />

23. Bronzestatuette des Apollon. 2. Jh. n. Chr.<br />

Statue der Göttin Minerva (1)<br />

Kopf, rechter Unterarm, Medusenhaupt, Füsse und Finger der linken Hand aus Marmor.<br />

Ursprüngliche Höhe der Statue: 2,80 m.<br />

Sogenannte Akrolith-Statue. Nur die sichtbaren Körperteile sind aus Marmor gearbeitet.<br />

Der Kern der Skulptur bestand wahrscheinlich aus Holz und war durch ein Stoffgewand<br />

bedeckt, was Holzreste, die in der Nut im Nacken und am Eisenbolzen des Unterarmes<br />

zu schliessen ist. Minerva trug die Ägis (Brustpanzer), die mit einem marmornen<br />

Medusenhaupt geschmückt war, sowie einen Helm, der als Verzierung ein Gesicht mit<br />

geschlossenen Augen aufweist.<br />

Die Statuenfragmente waren sorgfältig im Inneren eines Gebäudes in einer sogenannten<br />

favissa begraben worden. Dieser Bau, der gleich neben dem Forum lag, könnte als<br />

Bibliothek oder als Versammlungshaus gedeutet wird, wo Minerva häufig Aufstellung fand<br />

1<br />

40<br />

1. Stock<br />

20


1. Stock Die Religion<br />

Die einheimischen Götter<br />

in ihrer Funktion als Göttin der Weisheit, der Künste und der Wissenschaften. 2. Jh. n. Chr. ?<br />

Zwei Scheiben aus Mosaikglas, die in der Nähe gefunden wurden, schmückten vielleicht ein<br />

Holzkästchen.<br />

Vitrine 21<br />

Fragment einer Kalksteinstatuette. 2.-3. Jh. n. Chr.<br />

Diese Darstellung des thronenden Iuppiter entspricht wahrscheinlich in der Haltung dem<br />

Kultbild des Iuppiter Optimus Maximus, das im Tempel auf dem Kapitol in Rom aufgestellt<br />

war. Die Statuette schmückte wahrscheinlich eine Säule ähnlich jener, die in Mainz gefunden<br />

wurde (siehe dazu die Rekonstruktionszeichnung unten). Trifft diese Interpretation zu, kann<br />

man die ursprüngliche Höhe der Säule auf ca. 3,90 m schätzen.<br />

Mythologische Figuren<br />

(Vitrine 22)<br />

Herkules (Vitrine 22, Nr. 1-3) wird mit dem keltischen Gott Ogmios gleichgesetzt, der<br />

dieselben Attribute, nämlich Löwenfell und Keule, besitzt. Vom Aussehen unterscheidet<br />

sich Ogmios nur dadurch, dass er etwas älter als Herkules dargestellt wird.<br />

Die Dioskuren (Vitrine 22, Nr. 4), eine andere Bezeichnung für Castor und Pollux,<br />

genossen in Gallien besondere Verehrung als Gestirnsgötter und als Beschützer der<br />

Seeleute und der Reiter.<br />

Vitrine 22<br />

1. Kalksteinkopf des Herkules.<br />

2. Herkules. Über seinen Arm hat er das Löwenfell gelegt. Bronzestatuette (1).<br />

3. Löwenfell, Fragment einer Herkulesstatue. Bronze, vergoldet. Ende 2. - Anfang 3. Jh. n. Chr.<br />

4. Dioskur. Wagenteil aus Bronze. 2. Jh. n. Chr.<br />

Die einheimischen Götter<br />

(Vitrinen 23-24)<br />

Die keltische Religion war ebenso polytheistisch wie die römische. Da wir jedoch über<br />

keine keltischen religiösen Texte verfügen, müssen wir uns mit den Ausführungen<br />

von Julius Caesar in seinem „Gallischen Krieg“ (Buch VI 17) begnügen, in denen er die<br />

wichtigsten fünf Götter der Gallier aufzählt und kurz beschreibt. Dabei verlieh er ihnen<br />

die Namen der römischen Götter, die ihm hinsichtlich ihrer Eigenschaften am besten<br />

vergleichbar erschienen: Merkur, Apollo, Mars, Iuppiter und Minerva.<br />

Daneben gab es jedoch zahlreiche weitere keltische Gottheiten, die auch noch<br />

nach der Romanisierung verehrt wurden. Zum Teil kennen wir ihre Namen oder<br />

Wirkungsbereiche nicht (Vitrine 23, Nr. 3). Einige finden sich im gesamten von den<br />

Römern beherrschten keltischen Raum, wie Sucellus (Vitrine 23, Nr. 16), Epona<br />

(Vitrine 23, Nr. 8-9) oder Lug (Inschriftenkatalog Nr. 2); andere wiederum waren<br />

offenbar lokale Gottheiten, wie Anechtlomara (Vitrine 23, Nr. 1) oder Aventia, die die<br />

namengebende Göttin von Aventicum ist (Vitrine 2). Unter den Römern herrschte<br />

weitestgehend Religionsfreiheit, lediglich der Kaiserkult war den Provinzen auferlegt; er<br />

diente in erster Hinsicht dazu, die Loyalität gegenüber Rom zu demonstrieren.<br />

1<br />

41<br />

1. Stock<br />

21<br />

22<br />

23<br />

24


1. Stock Die Religion<br />

Die einheimischen Götter<br />

Anechtlomara (Vitrine 23, Nr. 1) bedeutet: die grosse Beschützerin. Sie steht den<br />

Gottheiten des Wohlstands und Reichtums nahe (Vitrine 23, Nr. 10-11 und 13-14).<br />

Der hilfreiche Geist im Kapuzenmantel (genius cucullatus) (Vitrine 23, Nr. 2) trägt ein<br />

typisch keltisches Gewand. Sein Wirkungsbereich liegt vor allem in der Fruchtbarkeit<br />

und Heilkunst; er geleitet auch die Toten ins Jenseits.<br />

Epona (Vitrine 23, Nr. 8-9), die Göttin der Pferde erfreute sich grösster Beliebtheit<br />

bei Reitern und vor allem bei Soldaten. Man kann sie mit keiner römischen Gottheit in<br />

Verbindung bringen. Sie wird immer als Amazone auf dem Pferd dargestellt.<br />

Weibliche Gottheiten der Fruchtbarkeit und des Wohlstands: Sie werden<br />

ganz unterschiedlich dargestellt. Es gibt den Typus der nackten jungen Frau, deren<br />

Darstellungsweise jener der Venus entspricht (Vitrine 23, Nr. 10-11), und den Typus<br />

der reifen Frau mit Füllhorn, in Anlehnung an die Darstellungen der Göttin Fortuna<br />

(Vitrine 23, Nr. 13); diese Gottheit kann auch als Mutter oder Amme mit einem<br />

säugenden Kind an der Brust erscheinen (Vitrine 23, Nr. 14).<br />

Der dreigehörnte Stier (Vitrine 23, Nr. 12) ist in Gallien weit verbreitet. In ihm kommt<br />

durch das dritte Horn die Kraft der Fruchtbarkeit symbolisch zum Ausdruck.<br />

Sucellus (Vitrine 23, Nr. 16), „der gute Hämmerer“, hält in der einen Hand<br />

einen Hammer und in der anderen ein Gefäss; neben ihm steht ein Hund. Einige<br />

Darstellungen zeigen ihn darüberhinaus noch mit einer Tonne oder Amphore. Sucellus<br />

ist der Gott der Wälder und wird in einigen Gegenden mit Silvanus gleichgesetzt. Er war<br />

aber offenbar auch der Schutzgott der Handwerker.<br />

Vitrine 23<br />

1. Weihinschrift für die keltische Gottheit Anechtlomara (1). Die Verwendung des<br />

griechischen Buchstabens X weist auf den keltischen Ursprung dieses Namens hin.<br />

Anextlomarae / et Aug(usto) / Public(ius) Aunus<br />

« Der Anechtlomara und dem Kaiser. Publicius Aunus (liess dieses Denkmal errichten) »<br />

Kalkstein. 1.-3. Jh. n. Chr. Inschriftenkatalog Nr. 25.<br />

2. Kalksteinkopf des Genius cucullatus mit der Kapuze.<br />

3. Bronzebüste einer einheimischen Gottheit (2). 2. -3. Jh. n. Chr.<br />

4-5. Votivbeilchen aus Eisen (3).<br />

6. Votivbeilchen aus Eisen mit eingraviertem X.<br />

7. Votivbeilchen aus Bronze mit eingraviertem D.<br />

8. Bronzepferd. Es trägt ein Amulett um den Hals, das wahrscheinlich auf eine Verbindung<br />

auf die Göttin Epona hinweist.<br />

9. Terrakottastatuette der Göttin Epona auf dem Pferd; die Göttin ist beidseitig<br />

spiegelbildlich wiedergegeben (4).<br />

10-11. Weibliche Gottheiten im Typus der Venus. Statuetten aus hellem Ton.<br />

12. Dreigehörnter Stier aus Bronze. 1.-2. Jh. n. Chr.<br />

13. Gottheit des Reichtums, mit der Göttin Fortuna gleichgesetzt. Bronzestatuette.<br />

14. Muttergottheit. Statuette aus hellem Ton.<br />

15. Stier und Genius aus Kalkstein.<br />

16. Libationsszene wahrscheinlich zu Ehren des Gottes Sucellus. Die aufrecht stehende Figur<br />

1<br />

2<br />

4<br />

3<br />

42<br />

1. Stock<br />

23


1. Stock Die Religion<br />

Die Heiligtümer von Aventicum<br />

trägt den torques um den Hals, einen typisch keltischen Schmuck, und hält eine Schale in<br />

der Hand. Zu seinen Füssen kauert ein Hund. Eine weitere, knieende Figur hält ein Fässchen<br />

und einen Eimer fest an sich gedrückt. Kalkstein.<br />

Vitrine 24<br />

17. Votivdepot mit ca. hundertzwanzig Tonobjekten (Krüge, Kelche, Ständer und Lampen)<br />

und einem Steinaltärchen, das eine Weihinschrift an Mercurius Cissonius trägt.<br />

Deo / Mercur(io) Cisso(nio) L(ucius) C. / Patern(us) / ex voto<br />

« Dem Mercurius Cissonius. Lucius C. Paternus (liess dieses Denkmal errichten) aufgrund<br />

eines Gelübdes »<br />

Inschriftenkatalog Nr. 26.<br />

Schutzgötter des Hauses und ihre Kulte:<br />

Lararien und Hauskapellen<br />

Eine besondere Rolle im Leben der Römer spielten die<br />

Laren und Penaten, die Schutzgottheiten über Heim<br />

und Herd. Die Hauskapelle, das Lararium, befand sich<br />

meist im Zentrum des römischen Hauses, im atrium. Das<br />

Familienoberhaupt vollzog während der Hauptmahlzeit<br />

das Gebet vor dem Lararium, in dem Statuetten<br />

verschiedener Gottheiten aufgestellt waren. Darunter<br />

befanden sich meist mindestens ein Lar und manchmal<br />

auch das Porträt eines Ahnen. Ein reichbestücktes<br />

Lararium, das in einem Privathaus in Aventicum gefunden<br />

wurde, ist im 2. Stock ausgestellt (1).<br />

Die Heiligtümer von Aventicum<br />

Nicht weniger als sieben Tempel liegen im Bereich<br />

zwischen dem Stadthügel von <strong>Avenches</strong> und dem<br />

Theater (2). Ein weiterer Tempel befand sich auf dem<br />

Forum, zwei andere sowie ein kleinerer Kultbau befanden<br />

sich bei der Nekropole von En Chaplix, östlich der Stadt.<br />

Der Kaiserkult hatte sehr wahrscheinlich seinen Sitz im<br />

Cigognier-Heiligtum, wo auch die Goldbüste des Marc<br />

Aurel gefunden wurde. Welchen Gottheiten dieser und die<br />

anderen Tempel geweiht waren, wissen wir nicht.<br />

1. Tempel in der Flur Derrière la Tour ; 2. Rundtempel ;<br />

3. Tempel der Grange-des-Dîmes ; 4. Cigognier-<br />

Heiligtum ; 5. Nördlicher Tempel in der Flur En Lavoëx ;<br />

6. Südlicher Tempel in der Flur En Lavoëx ; 7. Heiligtum ? ;<br />

8. Amphitheater ; 9. Theater<br />

2<br />

1<br />

43<br />

1. Stock<br />

23<br />

24


1. Stock Von der Spätantike ins frühe Mittelalter<br />

Von der Spätantike ins frühe Mittelalter<br />

(Vitrine 25)<br />

Um die Mitte des 3. Jhs. zeigte sich das Römische Reich allgemein geschwächt. Die<br />

Alamanneneinfälle ins schweizerische Mittelland seit 260 n. Chr. setzten der Blütezeit<br />

von Aventicum ein Ende; die Stadt wurde jedoch nicht völlig zerstört. Man setzt das<br />

historische Ende der römischen Herrschaft in unserer Region in das Jahr 455, als Rom<br />

offiziell auf die Gebiete der früheren germanischen Provinzen verzichtete. Aventicum<br />

behielt eine regionale Bedeutung; die Stadt war bis in das Jahr 594 Bischofssitz. Das<br />

bewohnte Areal von Aventicum beschränkte sich seit dem Ende des 3. Jhs. auf das<br />

Gebiet zwischen dem Westtor, dem Theater und dem Amphitheater. Archäologisches<br />

Fundmaterial aus dem 4.-6. Jahrhundert fehlt fast völlig. Man kennt nur spärliche<br />

bauliche Strukturen.<br />

Teile einer Wandverkleidung aus Marmor (Vitrine 25, Nr. 1-4) gehörten wohl<br />

ursprünglich zur Innendekoration einer Kirche oder eines öffentlichen Gebäudes aus<br />

dem Ende des 4. oder aus dem 5. Jh.<br />

Zahlreiche Fundgegenstände geben uns Aufschluss über das Alltagsleben jener<br />

Zeit (1). Unter der Keramik des 4. Jhs. (Vitrine 25, Nr. 14-19) findet man noch Importware,<br />

die im 6./7. Jh. von den lokalen Erzeugnissen (Vitrine 25, Nr. 5-6) offensichtlich verdrängt<br />

wird. Es existiert weiterhin eine Produktion von Glasgeschirr (Vitrine 25, Nr. 40-47).<br />

Verschiedenste Gegenstände wurden auch aus Bein gefertigt wie Kämme (Vitrine 25,<br />

Nr. 11), Nadeln (Vitrine 25, Nr. 10) und Messer (Vitrine 25, Nr. 13). Fibeln (Vitrine 25, Nr. 8-9)<br />

waren zum Zusammenheften von Gewandstücken ausschliesslich Beamten vorbehalten,<br />

ganz im Gegensatz zu den Fibeln aus dem 1.-3. Jh., wie man sie in der zweiten Etage<br />

des Museums sehen kann und die ein Bestandteil der weiblichen Tracht waren. Eine<br />

bronzene Gürtelschnalle (Vitrine 25, Nr. 12) aus dem 6. Jh. ist fränkischer Herkunft.<br />

Münzen aus jener Zeit sind recht zahlreich vertreten (Vitrine 25, Nr. 20-39).<br />

Vitrine 25<br />

1-4. Marmorpilaster. Teile der Wanddekoration eines Innenraumes. 4.-5. J h. n. Chr.<br />

5-6. Keramik aus dem 6.-7. Jh. n. Chr.<br />

7. Fragment eines Marmorreliefs mit der Darstellung einer Mantelfigur. 5. Jh. n. Chr.?<br />

8-9. Bronzefibeln. Ende 3.-4. Jh. n. Chr.<br />

10. Nadel aus Bein (2).<br />

11. Beinerner Kamm. 4.-5. Jh. n. Chr.<br />

12. Bronzene Gürtelschnalle mit Tauschierdekor (3). Frankenzeit. 6. Jh. n. Chr.<br />

13. Messer mit Beingriff. 4.-5. Jh. n. Chr.<br />

14-19. Keramik aus dem 4. Jh. n. Chr.<br />

20-39. Münzen. Ende 3. und 4. Jh. n. Chr.<br />

20. Münze mit der Darstellung der Wölfin beim Säugen der Zwillinge Romulus und Remus.<br />

40-47. Fragmente von Glasgefässen. 3.-4. Jh. n. Chr.<br />

1<br />

2<br />

3<br />

44<br />

1. Stock<br />

25


2. Stock Ein typisch römisches Haus<br />

2. Stock<br />

Ein typisch römisches Haus<br />

(Vitrine 1)<br />

Das Modell (1-2) zeigt ein luxuriöses Haus in mediterranem Stil (domus), wie man<br />

es beispielsweise in Pompeji findet. In Aventicum gibt es zwar kein Haus, das genau<br />

diesen Grundriss aufwiese, die wichtigsten Gebäudeelemente sind jedoch immer<br />

vorhanden: eine zur Strasse hin offene Portikus (2) mit kleinen Läden (tabernae) bei<br />

Häusern von Kaufleuten (3-4), eine Küche, ein Esszimmer, ein Wohnzimmer, Bäder<br />

und Schlafzimmer. Das Modellhaus umfasst ein Viertel der Grundfläche einer insula<br />

(37 x 55 m), es besitzt zwei Etagen und, wie die Häuser in Aventicum auch, einen<br />

Innenhof, das atrium (5). In einigen Räumen, im Wohnzimmer, Esszimmer und im<br />

Bad ist eine Bodenheizung (hypocaustum) zu erkennen.<br />

Die Wände repräsentativer Räume sind mit Wandmalereien, die Böden mit<br />

Mosaiken geschmückt. Die Mauern sind aus Stein und sind beidseits verputzt, das<br />

Dach ist mit Ziegeln gedeckt. Wie man feststellen wird, gibt es keinen Kamin, der<br />

Rauch konnte entweder durch spezielle, durchbohrte Ziegel oder direkt durch das<br />

Dach entweichen.<br />

Plan eines römischen Wohnhauses (3):<br />

1. Strasse<br />

2. Portikus (gedeckte Arkade)<br />

3-4. Läden (tabernae)<br />

5: Innenhof (atrium)<br />

6: Beheizter Empfangsraum<br />

7: Heizraum (praefurnium)<br />

8: Latrinen<br />

9: Treppe zum Obergeschoss<br />

10: Küche<br />

11: Wohnraum<br />

12: Schlafzimmer (cubiculum)<br />

13: Garten<br />

14: Peristyl<br />

15: Trennmauer zum nächsten Wohnhaus<br />

3<br />

1<br />

2<br />

45<br />

2. Stock<br />

1


2. Stock Tracht und Schmuck<br />

Tracht und Schmuck<br />

(Vitrine 2)<br />

Im römerzeitlichen Gallien war wie heute die Art der Kleidung und des Schuhwerks je nach<br />

Jahreszeit, Betätigung sowie sozialer Schicht oder Gegend unterschiedlich.<br />

Das allgemein übliche Gewand war die Tunika, die sowohl von Frauen als auch von<br />

Männern und Kindern getragen wurde. Die Länge der T-förmig geschnittenen Tunika konnte<br />

variieren; an den zwei rechteckigen Stoffstücken für den Körper waren kurze oder lange<br />

Ärmel angesetzt. Die Gewänder wurden hauptsächlich aus Leinen oder Wolle gefertigt. Es<br />

gab auch Mäntel aus Leder oder Fell. Je nach Witterung trug man mehrere Kleidungsstücke<br />

übereinander. Gegen die Kälte schützte man sich zusätzlich mit einem Schal.<br />

Die Tunika der Frauen reichte normalerweise bis zu den Füssen, bei den Mädchen<br />

und Dienstmädchen allerdings nur bis zu den Waden. Als Obergewand trugen sie einen<br />

Mantel oder eine Art Stola. Im Winter zogen sie zusätzlich Wollstrümpfe an. Manche<br />

Frauen hielten an der keltischen Tracht fest. Sie bestand aus einem hemdähnlichen<br />

Untergewand und einem Obergewand (Tunika), das an den Schultern durch Gewandfibeln<br />

zusammengehaltenen war.<br />

Die Männer trugen eine kürzere, knielange Tunika. Schutz vor rauher Witterung boten<br />

ihnen verschiedene Arten von Mänteln wie z.B. der cucullus, ein Umhang mit Kapuze. Die<br />

Beine umwickelten sie mit schützenden Wickelgamaschen. Die lange, kunstvoll drapierte<br />

Toga war den römischen Bürgern vorbehalten und wurde zu offiziellen Anlässen getragen.<br />

Die Handwerksleute bevorzugten die kurze Tunika, bei der eine Schulter unbedeckt blieb,<br />

oder den einfachen Lendenschurz. Bei den Kindern, die wie die Erwachsenen gekleidet<br />

waren, reichte die Tunika bis zu den Knien.<br />

Das Schuhwerk aus Leder war entweder offen oder geschlossen, konnte die Form<br />

eines Stiefels besitzen oder mit Gamaschen kombiniert werden. Zum Teil waren die Sohlen<br />

genagelt wie bei dem Grabfund im Erdgeschoss (Vitrine 4).<br />

Schmuck trugen Frauen, Männer und Kinder gerne; er war meist aus Bronze oder dem<br />

in der Farbe goldähnlichen Messing, konnte aber auch aus Eisen, Glas, Bein und seltener aus<br />

Silber oder Gold gefertigt sein.<br />

Fibeln (1) wurden als eine Art Broschen wegen ihres funktionalen Charakters vielfach<br />

verwendet. Sie sind keltischen Ursprungs und dienten in erster Linie dazu, die Gewänder an<br />

der Schulterpartie zusammenzuhalten und Mäntel zu schliessen. Als die Verbreitung von<br />

genähten Kleidern zunahm, wurden die Fibeln mehr und mehr zum Schmuckstück. Da sich<br />

ihre Form im Lauf der Zeit entsprechend den Moden veränderte, lassen sich Fibeln ziemlich<br />

genau datieren.<br />

Andere Schmucksorten sind im römerzeitlichen Gallien seltener; beliebt waren<br />

Perlen, verschiedene Anhänger und Halsketten. Oft dienten diese nicht nur zur Zierde<br />

sondern auch als Glücksbringer (Nr. 98-101). Ringe trug man vorzugsweise an der linken<br />

Hand. Manche besassen eine gravierten Schmuckstein (Gemme), die zum Siegeln von<br />

Dokumenten diente, andere wiederum trugen Inschriften zur Beteuerung gegenseitiger<br />

Liebe (Nr. 114-116). Zum Schmuck zählen auch Ohrringe und Armreifen.<br />

Die Frauen trugen stets langes Haar, das sie mit Haarnadeln aufsteckten. Die Haarnadeln<br />

waren meist aus Bein gearbeitet.<br />

1<br />

46<br />

2. Stock<br />

2


2. Stock Körperpflege und medizinische Versorgung<br />

11-52. Fibeln (Broschen) aus Bronze und Silber.<br />

53. Mantel eines Mannes, Fragment einer Bronzestatuette.<br />

54-55. Elfenbeindose (Kopie) mit Bronzering.<br />

56. Schmuckdose (?) aus Elfenbein.<br />

57-63. Schälchen aus Buchsbaumholz mit Fayenceperlen und Bronzefibel.<br />

64-83. Haarnadeln aus Bronze und Bein.<br />

84. Goldene Ohrringe.<br />

85. Bronzecollier mit Glasplättchen.<br />

86-97. Perlen aus Bernstein, Smaragd, Glas, Fayence, Bergkristall und Gagat.<br />

98-99. Phallische Bronzeamulette.<br />

100. Silberner Anhänger.<br />

101. Bronzemünze als Anhänger.<br />

102. Goldcollier mit blauen Glasperlen.<br />

103-107. Armreifen aus Gagat und Bronze.<br />

108-120. Ringe aus Silber, Gold, Eisen, Bronze und Glas (1-2).<br />

121. Bronzestatuette einer Tänzerin.<br />

Körperpflege und medizinische Versorgung (3)<br />

(Vitrine 3)<br />

Den Bewohnern des römerzeitlichen Galliens war die Körperpflege sehr wichtig. Da es<br />

in den Wohnhäusern nur in den seltensten Fällen fliessendes Wasser gab, beschränkte<br />

man sich beim Waschen auf das Nötigste. Für eine intensive Körperreinigung besuchte<br />

man die Bäder in den Thermen, wo man sich auch enthaaren und massieren lassen<br />

oder sportlich betätigen konnte. In Aventicum gab es mindestens drei öffentliche<br />

Thermenanlagen, von denen die älteste ins Jahr 29 n. Chr. datiert.<br />

Unangenehme Körperdüfte waren leicht mit Parfümen zu überdecken. Sie wurden<br />

in kleinen Keramik-, Bronze- oder Glasgefässen aufbewahrt (Nr. 9-19). Die teuersten<br />

Parfüme enthielten exotische Essenzen wie Zimt oder Myrrhe, gängigere Sorten waren<br />

Rosen- und Honigdüfte.<br />

Schminke gehörte bei den Frauen einfach dazu. Ihr Teint war der römischen Mode<br />

gemäss blass, die Lippen wurden rot, die Augenbrauen schwarz geschminkt und<br />

die Lider ebenfalls farblich betont. Es waren verschiedene Geräte zur Herstellung<br />

von Schminken in Verwendung, mit denen man die Ingredienzien vermengen und<br />

applizieren konnte (Nr. 33, 34, 42-54).<br />

In Gallien wie in den römischen Provinzen trugen die Frauen stets langes Haar.<br />

Die Mädchen steckten es im Nacken zusammen oder flochten es. Verheiratete Frauen<br />

trugen je nach Epoche zum Teil recht komplizierte Frisuren; nicht selten färbten sie sich<br />

auch die Haare. Nach dem Schminken und Frisieren konnten sich die Frauen in kleinen<br />

Spiegeln betrachten, polierten Bronzeplättchen, die mit einem Griff versehen (Nr. 5-7)<br />

oder in einen Holzrahmen gefasst waren (Nr. 55). Seltener waren die in römischer Zeit<br />

aufkommenden kleinen, mit einer Bleischicht versehenen Glasspiegel.<br />

1<br />

2<br />

3<br />

47<br />

2. Stock<br />

2<br />

3


2. Stock Körperpflege und medizinische Versorgung<br />

Bei den Männern hing die Bart- und Schnurrbarttracht vom Grad der<br />

Romanisierung ab und richtete sich häufig nach dem Vorbild des römischen Kaisers.<br />

Um sich rasieren zu lassen, ging man zum Barbier.<br />

Die antike Medizin wurde in Griechenland entwickelt, ihr berühmtester Vertreter<br />

war Hippokrates (460-370 v. Chr.). In Rom wie auch in den römischen Provinzen waren<br />

die meisten Ärzte griechischer Herkunft.<br />

Viele übten ihre Tätigkeit als Wanderärzte aus, manche waren einem Heiligtum<br />

angegliedert, andere wiederum arbeiteten in Militärspitälern (valetudinaria) oder als<br />

freie Ärzte in eigenen Praxen (tabernae medicae).<br />

In einigen Städten gab es wie in Aventicum einen Ärzteverband, der über einen<br />

eigenen Versammlungsraum verfügte (s. Inschrift Nr. 23 im Erdgeschoss; 1).<br />

Die Ausbildung zum Mediziner erfolgte während mehrerer Jahre als Assistent<br />

bei einem anerkannten Arzt. Danach sollte er in der Lage sein, einen Knochenbruch<br />

zu richten, einen Fuss oder eine Hand zu amputieren, mit einem Brenneisen<br />

Wunden auszubrennen, Blutgefässe zu unterbinden und eine Operation am<br />

grauen Star durchzuführen. Für diese verschiedenen Eingriffe standen Skalpelle mit<br />

austauschbaren Klingen zur Verfügung (Nr. 21-23), weiter Wundhaken zum Anheben<br />

oder Auseinanderhalten von Gewebe (Nr. 24), Sonden zum Ausbrennen oder<br />

Sondieren von Wunden (Nr. 42-46) sowie Spatel zum Entnehmen und Verstreichen<br />

einer Substanz und zum Entfernen einer Zyste oder eines Auges (Nr. 42-51).<br />

Die am besten bekannten Heilmittel sind die Augensalben. Die Augenärzte in<br />

Gallien kennzeichneten diese fest gepressten Substanzen mit Stempeln (Nr. 30), deren<br />

Text normalerweise den Namen des behandelnden Arztes, die Zusammensetzung<br />

der Salbe, deren Heilwirkung und Indikation angaben. Vor Gebrauch mussten diese<br />

Medikamente aufgelöst werden. Sie bestanden aus pflanzlichen, metallischen oder<br />

tierischen Substanzen, deren heilende Wirkung heute zum Teil nachgewiesen ist.<br />

1-2. Bronzeköpfe.<br />

3. Kopf einer männlichen Figur (Pan) aus Stein.<br />

4. Rasiermesser oder Messer aus Eisen mit Griff aus Bein.<br />

5-6. Teile eines Bronzespiegels.<br />

7. Rückseite eines Spiegels aus Blei mit der Darstellung der drei Grazien (2).<br />

8. Kamm aus Bein (Kopie).<br />

9-19. Parfümfläschchen aus Glas, Bronze und Tonkeramik.<br />

20. Salbenreiber (?) aus Bronze.<br />

21-23. Griffe von Bronzeskalpellen.<br />

24. Wundhaken aus Bronze.<br />

25. Bronzenadel zur Behandlung des grauen Stars (?).<br />

26. Silberne Sonde mit Öse zum Durchführen eines Fadens.<br />

27. Chirurgenpinzette aus Bronze.<br />

28-29. Feine Pinzette (bercella) aus Bronze.<br />

30-31. Augenarztstempel (3) zum Markieren einer harten Kollyrie (Augensalbe) mit der<br />

1<br />

2<br />

3<br />

48<br />

2. Stock<br />

3


2. Stock Spiele<br />

Inschrift COE[N?], die die Art des Medikaments angibt; Steinplättchen zum Anrühren von<br />

Salben.<br />

32. Mosaik mit dem Gesicht einer Frau (Personifizierung des Sommers).<br />

33-34. Stössel in Form eines Fingers und Reibplatte.<br />

35-37. Kügelchen von Ägyptisch Blau, das unter anderem auch als Schminke diente.<br />

38-39. Parfümfläschchen aus Glas.<br />

40-41. Rührstäbe aus Glas.<br />

42-51. Bronzesonden für verschiedene Verwendungszwecke.<br />

52-54. Toilettgerät aus Bein.<br />

55-56. Bronzespiegel und Steintäfelchen aus einem Grab.<br />

Spiele<br />

(Vitrine 4)<br />

Spiele waren in römischer Zeit weit verbreitet. Es gab Glücks-, Strategie- und<br />

Geschicklichkeitsspiele, die alle sowohl von Kindern als auch von Erwachsenen gern<br />

gespielt wurden.<br />

Glücksspiele<br />

Um sich die Zeit zu vertreiben oder sein Glück herauszufordern, boten sich mit<br />

einem oder mehreren Würfeln vielfältige Möglichkeiten. Manche Würfel waren so<br />

manipuliert, dass die gewünschte Zahl aufgrund des ungleich verteilten Gewichts<br />

öfter erschien: Der Mensch hat, wenn er gewinnen wollte, schon immer versucht zu<br />

schummeln !<br />

Das Astragalspiel mit Tierknöchelchen war ebenfalls sehr beliebt (Nr. 33). Jeder<br />

Seite dieser kleinen Knochen vom Hinterlauf eines Schafes, die unterschiedlich<br />

geformt waren, war ein bestimmter Wert zugeordnet. Die Knöchelchen wurden<br />

auf den Handrücken gelegt und dann in die Luft geworfen. Der Spieler erhält<br />

entsprechend der Seite, die nach oben zeigt, mehr oder weniger Punkte.<br />

Strategiespiele<br />

Strategiespiele waren bei den Römern besonders beliebt. Sie schärfen den Verstand,<br />

bedürfen der vorausschauenden Überlegung und einiger Konzentration.<br />

Das Mühlespiel findet man beispielsweise relativ häufig. Genau wie heute spielt<br />

man das Spiel zu zweit, jeder Spieler hat neun Spielsteine zur Verfügung.<br />

Beim Spiel mit den zwölf Linien geht es sowohl um Glück als auch um Strategie.<br />

Auf einer Spieltafel (Nr. 31) bewegen zwei Spieler ihre 12 oder 15 Spielsteine gemäss<br />

der Punktzahl von zwei oder drei Würfeln. Die Rekonstruktion einer solchen Spieltafel<br />

finden Sie zum Nachspielen in unserem Museum !<br />

Geschicklichkeitsspiele<br />

Für viele Geschicklichkeitsspiele wurden Gegenstände aus organischem Material<br />

verwendet, von denen nur noch selten Reste erhalten sind: Kreisel, Reifen und Kegel<br />

aus Holz oder Schnüre und Nüsse kennen wir fast nur durch Abbildungen.<br />

1<br />

49<br />

2. Stock<br />

3<br />

4


2. Stock Herstellung von Textilien<br />

Nüsse wurden von den Kindern für alle möglichen Spiele benutzt, z. B. musste man<br />

sie in eine Amphore werfen, sie konnten auch zu einem Haufen aufgeschichtet werden,<br />

auf den man mit einer weiteren Nuss zielte, oder es wurde ein Dreieck auf dem Boden<br />

markiert, in verschiedene Felder mit unterschiedlichen Punktwerten unterteilt, die dann<br />

mit den Nüssen getroffen werden sollten (Delta-Spiel).<br />

1. Kopf einer kindlichen Figur (Amor) aus Stein.<br />

2. Marmorkopf eines Mädchens.<br />

3. Kalksteinkopf eines Mädchens (antike Kopie von Nr. 2).<br />

4-6. Spielsteine aus Bein.<br />

7-9. Spielsteine aus Glas.<br />

10-12. Aus den Scherben von Ton- und Glasgefässen ausgeschnittene Spielsteine. Als<br />

Spielstein verwendete Münze.<br />

13-27. Glas-, Bein- und Tonspielsteine (1). Als Spielstein verwendete Münze. Aus einer<br />

Bronzetafel herausgeschnittener Spielstein. Als Spielsteine verwendete kleine Kiesel.<br />

28-30. Würfel aus Bein und Bronze.<br />

31. Tonbecher.<br />

32. Teil eines Spieltisches aus Stein für das Spiel mit den zwölf Linien (S. 49, 1).<br />

33. Fünf Knöchelchen (Schaf).<br />

Herstellung von Textilien (2)<br />

(Vitrine 5)<br />

Textilien dienten im römerzeitlichen Gallien nicht nur zur Fertigung von<br />

Kleidungsstücken, man machte aus ihnen auch Wandbehänge, Decken, Kissen, Segel<br />

und Taschen. Die meisten Gewebe wurden aus Wolle oder Leinen hergestellt. Die aus<br />

dem Orient importierte, sehr teure Seide findet ganz selten Verwendung. Hanf diente<br />

der Herstellung von Seilen; nur sehr selten verarbeitete man die aus dem Osten<br />

stammende Baumwolle.<br />

Die Rohstoffe mussten zunächst zum Spinnen aufbereitet werden, dabei wurden<br />

die Pflanzenfasern eingeweicht, gebrochen und anschliessend getrocknet. Dann<br />

wurden sie wie die Schurwolle mit Kämmen entwirrt (kardiert); wahrscheinlich<br />

wurden die für Wolle belegten Kardierkämme (Nr. 37) auch zum Kämmen von<br />

Leinen verwendet. Das zu Strähnen gekämmte Vorgarn wurde auf dem Spinnrocken<br />

aufgerollt und durch Ziehen und Drehen zu einem Faden gesponnen, den man zu<br />

einer mit einem Spinnwirtel beschwerten Spindel führte (Nr. 1-9).<br />

Zum Weben verwendete man einen stehenden Webrahmen, an dessen oberen<br />

Querbalken die Kettfäden befestigt waren, die durch Webgewichte aus Ton gestrafft<br />

wurden (Nr. 10-12).<br />

In die Stoffe wurden auch manchmal Muster wie z. B. Karos gewebt, sie konnten<br />

auch mit Stickereien verziert oder bemalt sein. Mit Fransen und Troddeln versah man<br />

Tuniken, Schals, Mäntel, Decken, Wandbehänge, usw.<br />

1<br />

2<br />

3<br />

50<br />

2. Stock<br />

4<br />

5


2. Stock Beleuchtung<br />

Aus den Stoffen schneiderte man die verschiedensten Gewänder. Die aus nur wenigen<br />

Stoffteilen bestehenden Tuniken wurden mit Eisen, Bronze- oder Beinnadeln (Nr. 13-36)<br />

zusammengenäht. Ein Fingerhut schützte dabei den Finger der Näherin (Nr. 38).<br />

1-9. Spindeln aus Bein; Spinnwirtel aus Stein und Ton, von denen zwei aus Scherben von<br />

Tongefässen herausgeschnitten wurden.<br />

10-12. Webgewichte aus Terrakotta, mit denen der Zettel am Webstuhl gestrafft wurden.<br />

13-36. Nadeln aus Eisen, Bronze und Bein.<br />

37. Hechel aus Eisen.<br />

38. Fingerhut aus Bronze (S. 50, 3).<br />

Beleuchtung (1)<br />

(Vitrine 6)<br />

Für die Beleuchtung des römischen Hauses sorgten Lampen oder Kerzen, während<br />

ausserhalb des Hauses Fackeln oder Laternen verwendet wurden. Da die Qualität dieses<br />

künstlichen Lichts nicht besonders gut war, verlegte man die Aktivitäten eher auf den Tag.<br />

Die gallo-römischen Häuser erhielten ein wenig natürliches Licht durch Fenster- oder<br />

Türöffnungen, die in der Nacht durch hölzerne Läden verschlossen wurden. Nur in den<br />

Häusern reicher Leute gab es verglaste Fenster. Auch die Thermen waren stets damit<br />

ausgestattet. Eine Glasscheibe (Nr. 3-5) besass eine Seitenlänge von 20 cm bis 40 cm;<br />

sie wurde entweder in einem Holzrahmen oder mit Mörtel direkt in die Fensteröffnung<br />

eingesetzt.<br />

Künstliches Licht lieferten Lampen, die meist aus Ton, manchmal aber auch aus Bronze<br />

oder Eisen gefertigt waren und in denen man Öl oder Talg verbrannte.<br />

Die aus dem Mittelmeerraum importierten Tonlampen (Nr. 13-20) trugen häufig<br />

einen Dekor sowie den Stempel des Herstellers (Nr. 18). Der Docht wurde durch eine<br />

geschlossene Schnauze gezogen und zog das eingefüllte Olivenöl minderer Qualität auf.<br />

Einige Bronzelampen waren mit einer Hängevorrichtung versehen, die es erlaubte, die<br />

Lampe an die Decke oder an einen Kandelaber zu hängen.<br />

Die einheimischen Lampen (Nr. 8-12, 24) haben die Form eines offenen Schälchens<br />

mit einer kleinen Schnauze, aus welcher der in Talg schwimmende Docht herausragt. Als<br />

Beleuchtung dienten auch Kerzenleuchter aus Ton (Nr. 9-11), seltener aus Bronze (Nr. 25).<br />

1-2. Laternenständer aus Bronze.<br />

3-5. Fragmente von Fensterglas.<br />

6-7. Schaft und Fuss eines Bronzekandelabers.<br />

8. Talglampe aus Eisen.<br />

2<br />

9-12. Talglampen aus Terrakotta.<br />

13-20. Öllampen aus Terrakotta (2).<br />

21. Figürlicher Henkel einer Bronzelampe mit der Darstellung eines Panthers.<br />

22-23. Bronzene Öllampen.<br />

24. Talglampe aus Bronze.<br />

25. Bronzeleuchter (?) in Form eines Pfauen.<br />

1<br />

51<br />

2. Stock<br />

5<br />

6


2. Stock Gartendekor<br />

Mobiliar (1)<br />

(Vitrine 7)<br />

Die Zimmer eines römischen Hauses waren normalerweise sehr klein und das Mobiliar<br />

war auf das Notwendigste beschränkt. Es gab Stühle, Tische, Betten, Truhen und<br />

Schränke, die aus Holz oder auch aus Rohrgeflecht hergestellt waren und deshalb<br />

im Gegensatz zu Scharnieren (Nr. 25-27), Schlössern (Nr. 13, 14, 19, 36, 38) oder<br />

Zierelementen aus Metall (Nr. 1-6, 15), Bein (Nr. 29-32), Elfenbein (Nr. 39-42) oder Glas<br />

(Nr. 28) nur sehr selten erhalten sind. Ein Teil des Mobiliars wie Bänke, die Liegen im<br />

Speisesaal oder Regale konnte auch in die Wände eingebaut sein. Im Garten standen<br />

Tische und Bänke aus Stein. Es gab eine grosse Auswahl an Sitzmöbeln (Hocker, Bänke,<br />

Stühle und Sessel), auf denen man es sich mit Kissen bequem machen konnte.<br />

Niedrige runde Tische standen neben den Liegen in den Speisesälen mediterranen<br />

Typs. In unserer Region sass man auch auf Stühlen an hohen rechteckigen Tischen.<br />

Die Liegen der Speisesäle dienten häufig der Repräsentation; das hölzerne Gestell<br />

wurde daher mit Appliken aus Bronze-, seltener aus Bein- oder Elfenbein luxuriös<br />

verziert, darauf lag eine Matraze.<br />

Man bewahrte seine Dinge vor allem in Truhen auf, die es in verschiedenen Grössen<br />

und mit verschiedensten Dekors gab. In manchen Häusern wurden die Wertsachen oder<br />

die persönlichen Dokumente in grossen oder kleinen Schränken gelagert, deren oberer<br />

Teil auch als Hausaltar, als lararium, (Vitrine 7) dienen konnte. Truhen und Schränke<br />

waren mit mehr oder weniger komplizierten Schliessvorrichtungen gesichert.<br />

1-5. Bronzebüsten. Dienten einst als Verzierung von Möbeln oder Türen.<br />

6. Bronzebüste, Dekor einer Armlehne.<br />

7-12. Schlüssel aus Eisen und Bronze (2).<br />

13-14. Riegel aus Eisen und Bronze.<br />

15. Zierelement aus Eisen mit Einlagen aus Gold und Kupfer.<br />

16-18. Bronzegriffe.<br />

19. Schlosskasten aus versilberter Bronze mit Niello-Dekor.<br />

20-24. Ringschlüssel aus Bronze.<br />

25-27. Scharniere von Möbeln aus Bronze, Eisen und Bein.<br />

28-32. Einlagen aus Glas und Bein.<br />

33-35. Bronzenägel mit figürlich gestalteten Köpfen.<br />

36. Schlosskasten aus Bronze.<br />

37. Bronzefuss eines Möbelstücks oder eines Kohlebeckens.<br />

38. Schloss mit Schlüssel aus Bronze und Eisen.<br />

39-42. Elfenbeintäfelchen (Kopien).<br />

Gartendekor (3)<br />

Zahlreiche Häuser in Aventicum besassen Grünflächen; dies waren entweder Zier-<br />

oder Gemüsegärten.<br />

1<br />

2<br />

3<br />

52<br />

2. Stock<br />

7


2. Stock Wohnen in der Stadt<br />

Die Haüser<br />

Ziergärten befanden sich meist in Sichtweite der repräsentativen Räume des<br />

Hauses. Um sie herum verliefen Portiken, die manchmal mit runden, sich im Wind<br />

drehenden Scheiben (oscilla) geschmückt waren. Zur Ausstattung dieser Gärten<br />

gehörten auch Statuen, Brunnenschalen, Bänke, Tische, Wasserbecken oder eine<br />

Gartenlaube, in der man sich zum Essen niederlassen konnte. Pflanzen bildeten<br />

verschiedene geometrische Muster und boten dem Betrachter einen schönen<br />

Ausblick.<br />

1. Runde Marmorscheibe mit der Maske eines Flussgottes (S. 52, 3).<br />

2. Kantharos aus Alabaster (S. 52, 3).<br />

Wohnen in der Stadt<br />

Die Einwohner von Aventicum, grösstenteils Helvetier, waren stark von der<br />

römischen Lebensweise beeinflusst. Dies lässt sich bereits sehr früh in allen<br />

Bereichen des alltäglichen Lebens feststellen und mit zunehmender Tendenz vor<br />

allem ab der Mitte des 1. Jhs. n. Chr. Diese Vorliebe der einheimischen Bevölkerung<br />

für den römischen Stil schlägt sich in den Häusern, der Bauweise, der Innen- und<br />

Aussenausstattung sowie in den Gärten nieder.<br />

Die Stadtviertel<br />

Aventicum ist wie alle römischen Städte in gleichgrosse, aus Wohnhäusern<br />

bestehende Quartiere aufgeteilt, die in ein System sich rechtwinklig kreuzender<br />

Strassen eingebunden sind (1). Jedes Quartier besteht aus ca. 40 Häuserblöcken<br />

(insulae) mit einer durchschnittlichen Grundfläche von 110 x 75 m. Zwei<br />

Hauptstrassenachsen, der cardo und der decumanus, verlaufen rechtwinklig<br />

zueinander von Nord nach Süd und von Ost nach West. An ihrer Schnittstelle liegt<br />

das Forum, das politische und religiöse Zentrum der Stadt.<br />

Die genaue Bevölkerungsdichte in den einzelnen insulae ist zwar nur sehr<br />

schwer zu bestimmen, man schätzt jedoch, dass im antiken Aventicum um die<br />

20‘000 Einwohner lebten. Eine insula umfasste normalerweise zwei bis vier Häuser,<br />

nur selten erstreckte sich ein einziges Gebäude über die gesamte Fläche.<br />

Die Häuser<br />

Zunächst bestanden die Häuser aus Holzfachwerk und Lehmziegeln. Auf Ecksteinen<br />

ruhende Schwellbalken bildeten das Fundament, das Dach war mit pflanzlichen<br />

Materialien bedeckt.<br />

Um die Mitte des ersten Jahrhunderts kommen die ersten Häuser römischer<br />

Bauweise (2) auf, deren Fundamente typischerweise aus Stein waren, die Dächer<br />

waren mit Ziegeln gedeckt, die Lehmwände wurden mit einem farbigen oder einem<br />

Verputz aus Kalk überzogen.<br />

Mit der Erlangung des Status einer Kolonie in den siebziger Jahren n. Chr.<br />

1<br />

2<br />

53<br />

2. Stock


2. Stock Wohnen in der Stadt<br />

Die Haüser<br />

wird in Aventicum die massive Steinbauweise allgemein üblich, ohne jedoch die<br />

einheimische Bauweise vollständig zu verdrängen. Die Grösse der Wohnhäuser, ihr<br />

Komfort, die Dekoration sowie die Möblierung hingen vor allem vom Wohlstand<br />

des Besitzers ab. Die einfacheren Häuser von Aventicum sind bisher nur wenig<br />

erforscht, da sie noch nie in ihrer Gesamtheit ausgegraben wurden. Die meisten<br />

waren sicherlich sehr eng, bestanden nur aus einer Küche und vielleicht noch<br />

einem Laden zur Strasse, möglicherweise gab es daneben noch eine Werkstatt<br />

und in einem zweiten Geschoss Schlafzimmer. In den Hinterhöfen konnte noch ein<br />

Gemüsegarten angelegt sein.<br />

Wie viele Personen in einem Haus wohnten, ist schwierig zu bestimmen. Es ist<br />

jedoch zu vermuten, dass mehrere, mindestens drei, Generationen unter einem<br />

Dach zusammenlebten: Grosseltern, Eltern, Kinder, Onkel und Tanten und natürlich<br />

auch das Gesinde.<br />

Rekonstruktion des „weissen Zimmers“ und seiner Wanddekoration (insula 10 Ost) (1)<br />

Die meisten Häuser von Aventicum waren im Inneren mit ganz einfachen oder etwas<br />

aufwendigeren Malereien versehen, je nach Funktion der Räume und dem Geldbeutel<br />

des Hauseigentümers.<br />

Diese Malereien schmückten einen durch ein Hypokaust beheizten Raum eines<br />

Wohnhauses. Aufgrund der eingeschränkten Möglichkeiten im Museumsgebäude konnte<br />

hier nicht die gesamte Raumhöhe von 3,75 m in der Rekonstruktion aufgebaut werden,<br />

sondern nur die Wanddekoration des oberen Raumteiles. Unberücksichtigt blieb die<br />

Sockelzone, die einst 1,60 m hoch war.<br />

Auf der Rückseite der Mörtelfragmente sind noch die Abdrücke vom Heizsystem in<br />

den Wänden sowie von der Verschalung des Deckengewölbes zu erkennen.<br />

Oberhalb des bogenförmigen Fensters befindet sich eine Darstellung des<br />

schwebenden Paares Amor und Psyche. Auf den beiden Längsseiten des Raumes waren<br />

in Form von weiblichen Porträts die Personifikation der Jahreszeiten wiedergegeben;<br />

zu sehen sind der Frühling und der Sommer, dazwischen ein Stillleben mit Birnen und<br />

einem Apfel, Attribute des Sommers. Im Deckengewölbe befindet sich eine weibliche<br />

Figur mit Fackel, die inmitten eines über ausgestreuten Rosen gebreiteten Sonnensegels<br />

dargestellt ist; die weiteren Stillleben zeigen links eine spezielle Zitronenart, rechts einen<br />

Granatapfel und Feigen.<br />

Aufgrund stilistischer und maltechnischer Kriterien wie auch des archäologischen<br />

Befunds ist diese Wanddekoration in das erste Drittel des 3. Jhs. n. Chr. zu datieren und<br />

zeugt von einem wohlhabenden Hauseigentümer.<br />

Freskomaler bei der Arbeit im „weissen Zimmers“ (Modell)<br />

Freskomaler eines Ateliers des 3. Jh. n. Chr. bei der Arbeit: Rechts spachtelt ein Arbeiter<br />

die unteren Mörtelschichten an die Wand, links trägt ein Maler die Farben auf. Die Farben<br />

wurden auf die letzte und feinste, noch feuchte Mörtelschicht aufgetragen (Fresko-<br />

Malerei). Der Malermeister bespricht mit dem Hausherr die Dekoration; dieser ist in eine<br />

Toga gehüllt, ein Privileg des römischen Bürgers.<br />

Dieser Raum in einem Privathaus der insula 10 wurde mittels eines Hypokaustes<br />

(Fussbodenheizung) beheizt.<br />

Massstab 1:10.<br />

1<br />

2<br />

54<br />

2. Stock


2. Stock Keramik<br />

Hausgötter<br />

Die sechs Bronzestatuetten stammen von einem kleinen Hausaltar (lararium) in<br />

insula 27 (S. 54, 2).<br />

Solche Lararien befanden sich im Innenhof (atrium) des Hauses oder in dem<br />

innerhalb des Peristyls angelegten Garten, manchmal standen sie auch in der Küche.<br />

Die Statuetten der römischen Gottheiten (von oben nach unten und von links nach<br />

rechts) Juno, Minerva, Fortuna, nochmals Minerva, Merkur und Lar sollten den Schutz<br />

der Familie in ihren alltäglichen Verrichtungen gewährleisten. Die Figuren enstanden<br />

zwischen dem 1. und 2. Jahrhundert n. Chr.<br />

Keramik. Das wichtigste Fundmaterial für den Archäologen ...<br />

... aufgrund der Menge<br />

Bei jeder Grabung kommen hunderte, ja Tausende von Scherben zu Tage. Die<br />

Ausgrabung des Palastes von Derrière la Tour, die eine Fläche von ca. 7‘000 m 2<br />

umfasste, erbrachte 80‘000 Scherben, was ungefähr 20‘000 Gefässen entspricht.<br />

... als Datierungsgrundlage für weitere Funde<br />

Keramik ist in mehrfacher Hinsicht eine der zuverlässigsten Datierungshilfen. Sie ist<br />

im Prinzip unvergänglich und wird meist in gutem Erhaltungszustand gefunden; auch<br />

nach Tausenden von Jahren unter der Erde weist sie kaum Veränderungen auf.<br />

Keramik ist dem jeweiligen Geschmack der Zeit unterworfen. Sie ist leicht<br />

zerbrechlich und muss dementsprechend häufig ersetzt werden. Die fortschreitende<br />

Veränderung der Formen und der Dekors ist leicht nachvollziehbar. Ausserdem wurde<br />

Keramik im Gegensatz zu Glas- oder Metallgefässen nicht rezykliert.<br />

... aufgrund der vielfältigen Verwendungsmöglichkeiten<br />

Keramik gibt Aufschluss über verschiedenste Bereiche des täglichen Lebens:<br />

über die Ernährungsgewohnheiten (Küchen- und Tafelgeschirr), über das Lagern<br />

von Nahrungsmitteln (Vorratsgefässe) und ihren Transport (Amphoren), über die<br />

Beleuchtung (Lampen), über Kosmetik und Körperpflege (Parfümfläschchen und<br />

Salbgefässe), über das Schreiben (Tintenfass), über das Handwerk (Farbtöpfe,<br />

Schmelztiegel, Model und sonstige Arbeitsmaterialien von Töpfern), über Spiele und<br />

Spielzeug (Spielsteine, Puppen, kleine Tiere), über schliesslich über das Bauwesen<br />

(Ziegel, Wasserleitungen, Feuerstellen, Böden).<br />

Ein wichtiger Beitrag zur Regionalgeschichte<br />

Keramik liefert Hinweise über Handelsbeziehungen einerseits durch die<br />

Untersuchung der Importkeramik und andererseits der Amphoren, die als<br />

„Verpackung“ zum Transport von Nahrungsmitteln (Olivenöl, Wein, exotische<br />

Früchte und Fischsaucen) aus dem gesamten Mittelmeerraum (Italien, Griechenland,<br />

Nordafrika und dem Vorderen Orient) eingesetzt wurden.<br />

1<br />

2<br />

55<br />

2. Stock


2. Stock Geschirr<br />

Die Analyse der lokal hergestellten Keramik informiert uns über den Bedarf der<br />

einheimischen Bevölkerung, über Modeerscheinungen und den technologischen<br />

Standart. Keramik gibt Aufschluss über die Kochweisen, die Tischsitten, über Hygiene<br />

und Körperpflege, über die Art der Beleuchtung sowie über die verschiedensten<br />

Bereiche des Alltagslebens (Spardosen, Tintenfässer, usw.).<br />

Manchmal überliefert sie auch die Namen der Töpfer, die sie hergestellt haben<br />

oder die der Töpfereibesitzer. Durch die auf einigen Gefässen erhaltenen Graffiti<br />

haben wir Kenntnis von ihrem Inhalt, von den Schriftarten sowie von den ehemaligen<br />

Bewohnern der Fundstätten, die ihr Geschirr mit ihrem Namen versehen haben.<br />

Die Untersuchung von Formen und Dekors macht sowohl die regionalen<br />

Vorlieben und Besonderheiten als auch die verschiedenen von aussen kommenden<br />

Einflüsse deutlich.<br />

Geschirr<br />

(Vitrine 8)<br />

Mit der römischen Eroberung begann die Bevölkerung in unserer Region neben<br />

dem üblichen Küchengerät auch neuartige Behältnisse in der Küche und zu Tisch zu<br />

verwenden, die entweder importiert oder den mediterranen Vorbildern nachgebildet<br />

wurden: Reibeschüsseln (oder: Mörser), Krüge sowie Keramik aus Terra Sigillata.<br />

Holzgefässe wurden weniger und vor allem von den ärmeren Schichten benutzt.<br />

Am meisten verbreitet war bei Arm oder Reich und zu allen Zeiten Geschirr aus<br />

Keramik, das durch zahlreiche archäologische Funde aus dem gesamten Gebiet<br />

der römischen Schweiz bestens dokumentiert ist. Einfaches Tafelgeschirr aus<br />

Keramik fand sich in den Häusern der unteren und mittleren Schichten, die zumeist<br />

importierte Feinkeramik wie die relativ teure Terra Sigillata wurde wahrscheinlich nur<br />

von der oberen Mittel- sowie von der Oberschicht gekauft. Dasselbe gilt für Bronzeund<br />

Messinggeschirr. Das edelste Material war zweifelsohne, abgesehen vom Gold,<br />

das Silber. Zu bestimmten Zeiten waren auch Glasgefässe sehr gefragt, die ungefähr<br />

ebenso kostspielig waren wie Silbergeschirr.<br />

1-3. Servierplatten aus Bronze.<br />

4-16. Löffel aus Silber, Bronze und Bein.<br />

17. Klappmesser und Klapplöffel mit gemeinsamem Bronzegriff in Form eines Löwen. Die<br />

Eisenklinge des Messers ist verloren.<br />

18-20. Schüsseln aus Zinn, Bronze und Ton (Terra sigillata).<br />

21-23. Näpfe aus Silber, Glas und Ton (Terra sigillata).<br />

24. Schale aus Glas.<br />

25-26. Schalen aus Glas und Tonkeramik.<br />

27-28. Vorratsgefässe aus Glas.<br />

29. Bronzebecher.<br />

30. Platte aus Eschenholz.<br />

1<br />

2<br />

56<br />

2. Stock<br />

8


2. Stock Ernährung<br />

Essen und Trinken<br />

31. Schöpfkelle aus Eisen.<br />

32-35. Küchenmesser (?) aus Eisen mit Griffen aus Bein und aus Bronze.<br />

36-38. Henkelattaschen von Bronzegefässen.<br />

39. Henkel eines Bronzeeimers.<br />

40-43. Becher und Tasse aus Glas.<br />

44-45. Faltenbecher aus Keramik und Glas.<br />

46. Silberbecher mit zwei Bildszenen (S. 56, 2): Schiffszimmerleute und Fischer bei der<br />

Arbeit. 1. Jh. n. Chr.<br />

47-49. Flaschen aus Glas und Bronze.<br />

48. Fläschchen mit zwei Szenen aus dem Dionysosmythos (1). 2.-1. Jh. v. Chr.<br />

50-54. Schalen aus Glas.<br />

55-62. Fragmente von Gefässen aus Mosaikglas.<br />

63-67. Henkel von Bronzekrügen.<br />

68. Weintraube aus Bronze.<br />

69. Authepsa aus Bronze. Doppelwandiges Gefäss zum warm Halten von Flüssigkeiten mit<br />

Hilfe von glühender Holzkohle, die zwischen die beiden Béden gelegt wurde.<br />

70-72. Vierkantflaschen.<br />

73-75. Hals und Henkel von Glasflaschen.<br />

Ernährung<br />

Im Vergleich zu früheren Epochen gab es in römischer Zeit ein breites und<br />

reichhaltiges Angebot an Nahrungsmitteln. Grundlage der Ernährung der<br />

Bevölkerung nördlich der Alpen blieben jedoch Getreide, Gemüse und Hülsenfrüchte.<br />

Ein grosser Markt<br />

Nach der römischen Eroberung gelangten neue Nahrungsmittel auf den Markt, die<br />

entweder selten oder den Einheimischen bislang unbekannt waren. Es handelt sich<br />

dabei vor allem um Luxusgüter aus fernen Regionen wie z. B. aus dem Mittelmeerraum<br />

oder von der Atlantikküste importierten Austern; ebenfalls aus der Mittelmeerregion<br />

kamen Olivenöl, Oliven, Würzsaucen auf der Basis von Fisch und Krustentieren,<br />

Makrelen, Feigen, Datteln, Pinienkerne, Granatäpfel sowie Nüsse und Trauben, die<br />

in unseren Breiten wohl erst seit der Mitte des 1. Jhs. n. Chr. angebaut wurden. Aus<br />

Indien, Arabien und Äthiopien stammten Zimt, Pfeffer, Ingwer, Kardamom, Anis,<br />

Kreuzkümmel, Sesamsamen und Reis.<br />

Essen und Trinken<br />

Die im Gebiet der Schweiz hauptsächlich angebauten Getreidesorten waren Gerste,<br />

Spelz, Hirse und Weizen. Das daraus gemahlene Mehl verarbeitet man zu Kuchen, Brot<br />

oder Brei (puls).<br />

1<br />

2<br />

57<br />

2. Stock<br />

8


2. Stock Ernährung<br />

Essen und Trinken<br />

Für die Zubereitung der Speisen verwendeten die meisten tierisches Fett<br />

(Schweineschmalz), in seltenen Fällen auch Butter. Das in grossen Mengen aus<br />

Südspanien importierte Olivenöl wurde neben einheimischen Ölen wie Leinöl<br />

oder aus Mohnsamen gewonnenem Öl in erster Linie von der wohlhabenderen<br />

Bevölkerung verwendet.<br />

Honig diente zum Süssen v. a. für Kuchen, Feingebäck aber auch für die<br />

Zubereitung von Saucen. Zum Abschmecken der Speisen verwendete man<br />

Würzsaucen, besonders beliebt war das garum, das aus in Salz eingelegten Fischen<br />

und Krustentieren gewonnen wurde. Das Salz stammte aus salzhaltigen Quellen oder<br />

aus Steinsalzlagerstätten, in Küstengebieten wurde hingegen Meersalz benutzt.<br />

58<br />

2. Stock


2. Stock Ernährung<br />

Die Küche<br />

Die bei uns am häufigsten verwendeten Gewürze und Kräuter sind Koriander,<br />

Dill, Sellerie und der einheimische Wiesenkümmel. Fenchelsamen, Pinienkerne,<br />

Bohnenkraut, Senf- und Mohnsamen sowie Knoblauch sind nur in wenigen Fällen<br />

belegt wie auch Majoran/Oregano, Feldthymian, Eisenkraut und Minze.<br />

Mit der Ankunft der Römer wurde Wein in kürzester Zeit überall sehr populär. Das<br />

traditionelle keltische Bier blieb allerdings auch weiterhin das übliche Getränk. Am<br />

weitesten verbreitet und berühmt war die aus Spelz gebraute cervisia. Beliebt war<br />

auch Met, ein Getränk aus mit Wasser und Honig vergorenem Weizen.<br />

Zu Tisch bei der ärmeren Bevölkerung<br />

Die tägliche Kost der einfachen Leute bestand aus der puls, einem Getreidebrei, sowie<br />

aus Brot und Gerichten aus Hülsenfrüchten (vor allem Ackerbohnen und Linsen).<br />

Hinzu kamen verschiedene Kräuter und Gemüse- oder Salatsorten wie Karotten, Kohl,<br />

Amaranth, Gartenmelde, Sellerie, Sauerampfer, Nüsslisalat, weisse Rüben und Randen.<br />

Zu den Früchten, die von allen Schichten konsumiert wurden, zählen Äpfel, Birnen,<br />

Kirschen, Pflaumen/Zwetschgen, Walnüsse, Haselnüsse, Walderdbeeren, Himbeeren,<br />

Brombeeren und Holunder. Waldpilze wurden ebenfalls gerne gegessen. Auch Käse<br />

war offenbar weit verbreitet, glaubt man den antiken Textquellen, die besonders den<br />

Käse aus der Alpenregion rühmen. Die Käseherstellung wird darüber hinaus durch<br />

die in den Grabungen häufig gefundenen Käsesiebe (Käseformen) aus Terrakotta<br />

belegt. Fleisch (Schwein, Schaf, Ziege und seltener Geflügel) und Fisch kamen nur zu<br />

besonderen Anlässen, an Festtagen, auf den Tisch.<br />

Zu Tisch bei den Reichen<br />

Die besten Fleischstücke waren den Reichen vorbehalten, die im Übrigen<br />

Lammfleisch, Geflügel oder Wild bevorzugten. Auf ihrem Speiseplan standen auch<br />

Luxusprodukte wie Austern oder Mittelmeermakrelen und exotische Güter wie Pfeffer,<br />

Melone, Datteln, Mandeln, Pinienkerne, Knoblauch, Flaschenkürbis oder Oliven. In<br />

den mittleren Schichten wurden auch Pfirsiche, Trauben und Feigen konsumiert.<br />

Mit dem Anbau von Pfirsichen begann man in unseren Breiten vermutlich im 1.<br />

Jahrhundert n. Chr.<br />

Die Küche<br />

Die Küchen, die man in unserer Gegend gefunden hat, sind sehr einfach. Es handelt<br />

sich meist lediglich um einen Raum mit einer Feuerstelle in der Mitte, direkt auf dem<br />

Boden. Zum Kochen verwendete man verschiedenste Töpfe, die entweder direkt in<br />

die Glut oder auf einen Dreifuss gestellt wurden. Eine andere Möglichkeit war das<br />

Kochen in einem Kessel, der an einem Haken über dem Feuer hing. Der Haken selbst<br />

war an einer drehbaren Holzstange befestigt.<br />

Kleinere Vorräte an Honig, Obst, Gemüse, getrockneten Kräutern oder Gewürzen<br />

und Würzstoffen wurden in der Küche in Vorratsgefässen aufbewahrt. Die grösseren<br />

Vorräte, z. B. für den Winter, lagerten in eigens dafür angelegten Räumen in<br />

Amphoren oder in grossen Vorratsgefässen, den dolia.<br />

1<br />

59<br />

2. Stock


2. Stock Ernährung<br />

Das Gedeck<br />

Tisch und Esszimmer<br />

Die Unterkünfte der einfachen Leute waren normalerweise sehr eng und boten<br />

nicht die Möglichkeit, im Liegen zu speisen; es gab im Prinzip keine Unterscheidung<br />

zwischen Küche und Essraum.<br />

Die Gutshöfe (villae) und die luxuriösen Stadthäuser hingegen besassen einen<br />

von der Küche getrennten Speisesaal (triclinium) mit meist drei u-förmig angelegten<br />

Speisebetten (lectus triclinaris), auf denen sich jeweils drei Gäste ausgestreckt<br />

niederlassen konnten.<br />

Der Boden des triclinium war oft mit Mosaiken, die Wände mit Malereien<br />

geschmückt. Frauen nahmen in der Regel auf Stühlen Platz, die für sie in die Nähe<br />

der Betten gerückt wurden, Kinder und Sklaven assen in einem anderen Raum.<br />

Die verschiedenen Gerichte wurden auf einem kleinen Tisch in der Mitte serviert.<br />

Man ass mit den Fingern; Messer und Gabel gab es hingegen nicht, höchstens einen<br />

kleinen Löffel mit spitzem Griff.<br />

Das Gedeck<br />

Zum Servieren von Gemüse und Eintöpfen oder für die verschiedenen, dazu<br />

gereichten Saucen benutzte man Schüsseln unterschiedlicher Grösse. Zum Gedeck<br />

gehörten auch Schalen und Schälchen für Gewürze, Kräuter, Salz und Würzstoffe<br />

sowie extra Tabletts, Platten und Teller für Gerichte mit Fleisch, Geflügel, Wild, Fisch,<br />

Gemüse, Obst und Kuchen. Wasser und Wein wurde in Flaschen und Krügen aus<br />

Keramik, Glas oder seltener Bronze oder Silber gereicht. Aus unterschiedlich grossen<br />

Trinkgefässen trank man Wasser, Wein, Most, Milch oder Bier. Häufig verwendete<br />

man Becher und Tönnchen, die auch mit Trinksprüchen versehen sein konnte wie<br />

z. B.: „Füll das Glas, Wirt, schenk ein!“ oder „Ich bin der König der Trinker“.<br />

60<br />

2. Stock

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