ReizwoRt DResDen - Regensburger Stadtzeitung
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Nachgefragt august | September 2010<br />
<strong>ReizwoRt</strong> <strong>DResDen</strong><br />
Oberpfälzer Provinz maßt sich an, den Takt auf internationalem Parkett zu bestimmen. Nun hat<br />
Regensburg Angst, den Taktstock auf die Finger zu bekommen und den Weltkulturerbetitel zu<br />
verlieren; genau wie Dresden.<br />
Von Ost nach West: Die <strong>Regensburger</strong> wollen keine Ersatztrasse; weder westlich noch östlich der Steinernen Brücke.<br />
Es braucht nur dieses eine D-Wort und<br />
schon regen sich die Gemüter. Die der<br />
Bürger ebenso wie die der Politiker. Um<br />
nochmals im Detail aufzuschlüsseln, wozu dieses<br />
ganze Theater um die Ersatztrassen nun<br />
eigentlich dienlich sein soll, gibt die RSZ (bevor<br />
sie ebenfalls einen Blick auf die UNESCO-<br />
Tagung in Brasilien wirft) zunächst<br />
eine kurze Zusammenfassung<br />
über den Hergang des aktuell<br />
quer durch die bundesweite Medienlandschaft<br />
kommunizierten<br />
„Brückenstreits“.<br />
Die nackten Fakten<br />
1996: Die Steinerne Brücke beginnt<br />
zu kränkeln. Tausende Autos,<br />
LKWs und Busse zehren an dem<br />
mittelalterlichen Meisterwerk.<br />
Handlungsbedarf ist notwendig.<br />
Ein Bürgerbegehren erzwingt die<br />
Sperrung der Brücke für den allgemeinen<br />
Verkehr. Ausnahme:<br />
Busse. Die rollen weiterhin drüber.<br />
Außerdem: Hans Schaidinger wird<br />
zum Oberbürgermeister gewählt.<br />
Sein Wahlspruch: „Intelligente Lösungen<br />
für Regensburg.“<br />
2003: Der RVV wünscht sich eine<br />
Alternative zur Steinernen Brücke<br />
(falls diese komplett gesperrt würde),<br />
auf der nur Busse fahren und<br />
Fußgänger laufen dürfen. Fünf Varianten<br />
möglicher Trassen werden<br />
dem Stadtrat vorgestellt und von<br />
der Stadtverwaltung geprüft.<br />
2004: Zwei der ursprünglich fünf<br />
Varianten bleiben bestehen: Westtrasse<br />
und Osttrasse. Der Stein<br />
kommt ins Rollen. Engagierte Bürger<br />
gründen den Verein „Donauanlieger<br />
e.V.“. Ziel des Vereins: Vertretung<br />
der Interessen der Bürger,<br />
des Denkmalschutzes und des Naturschutzes.<br />
Lösungsvorschlag des Vereins: Eine „Bürgertrasse“<br />
(die Busse sollten durch geschickte Linienführung<br />
über bereits bestehende Brücken<br />
geleitet werden).<br />
2005: Zahlreiche andere Vereine schließen sich<br />
zusammen, um mögliche Trassen zu vermei-<br />
Frei nach dem Motto: Manche Probleme löst der Klimawandel von selbst; wenn man<br />
nur lange genug wartet... (Karikatur: Joachim Weller)<br />
den. Die Steinerne Brücke wird immer kränker,<br />
droht auseinanderzubrechen, muss gesperrt<br />
werden, wird dann aber (nachdem man die<br />
Wunde zusammen geklammert hatte) wieder<br />
freigegeben. Hektisch und unbedacht gibt die<br />
Stadtverwaltung neue Prüfungen für mögliche<br />
Alternativen zur Steinernen in Auftrag. Die<br />
Schreie nach einer Ost- oder Westtrasse<br />
untergraben die Stimmen des<br />
Volkes.<br />
2006: Regensburg wird Weltkulturerbe!<br />
Eine Auszeichnung der UNESCO,<br />
die der Domstadt Rechte und Pflichten<br />
beschert. Bilder von einer riesen<br />
Party gehen um die Welt. Regensburg<br />
beginnt mit dem neuen Titel zu<br />
werben, lockt Touristen an und füllt<br />
den Stadtsäckel. Doch Regensburg<br />
verpflichtet sich auch, sein Kulturerbe<br />
zu schützen und zu bewahren. Die<br />
Trassen-Diskussion ruht.<br />
2008: Die Ereignisse überschlagen<br />
sich: Die Steinerne Brücke wird für<br />
den gesamten Verkehr total gesperrt.<br />
Der Öffentliche Personennahverkehr<br />
sorgt sich um seine Kunden, befürchtet<br />
Umsatzeinbußen. Der Planungsausschuss<br />
der Stadt beschließt, einen<br />
Brückenwettbewerb vorzubereiten.<br />
Das Gebiet um eine mögliche Westtrasse<br />
(in Nähe des Eisernen Steges)<br />
und eine Osttrasse (eine Brücke über<br />
den Grieser Spitz) sollen konkret untersucht<br />
werden. Die Stadtverwaltung<br />
gibt eine artenschutzrechtliche<br />
Prüfung in Auftrag. Das Ergebnis:<br />
Die Population seltener Tiere und<br />
geschützter Arten seien durch einen<br />
Brückenbau gefährdet. Die Planer<br />
tendieren deshalb zur Westtrasse.<br />
2009: Der Denkmalschutz tritt auf den<br />
Plan und spricht sich entschieden gegen<br />
eine Realisierung der Westtrasse<br />
10<br />
Die <strong>Regensburger</strong> <strong>Stadtzeitung</strong>
august | September 2010<br />
Nachgefragt<br />
STATEMENTS ZUM THEMA ERSATZTRASSE<br />
Armin Gugau, CSU<br />
„Zunächst einmal warten wir die Entscheidung aus<br />
Brasilien ab. Möglicherweise entscheidet sich ja die<br />
Unesco gegen eine Westtrasse. Unabhängig davon<br />
gibt es jedoch Bedenken dagegen, weil die Argumente<br />
des Denkmalschutzes natürlich gewichtig sind. Die<br />
Osttrasse wird ebenfalls schwierig, allerdings aus artenschutzrechtlichen<br />
Gründen. Daher wird die CSU diskutieren,<br />
ob man überhaupt eine Ersatztrasse braucht.<br />
Aber wie gesagt: Zunächst warten wir ab was die<br />
Unesco sagt.“<br />
MdL Margit Wild, SPD<br />
„Wenn die zu erwartende Entscheidung gegen eine<br />
Westtrasse fällt, wird es mit Sicherheit die Bevölkerung<br />
sein, die gegen eine Osttrasse mobil macht.<br />
Auch ich sage: Hände weg! Wir können uns glücklich<br />
schätzen solche Naherholungs-Zonen in der Stadt zu<br />
haben. Jeder Eingriff würde dieses wunderbare Naturgut<br />
zerstören. Wir sollten tunlichst die Finger davon<br />
lassen und die Diskussion dazu nutzen, umzudenken.<br />
Wir brauchen neue Ideen, müssen kreativ sein und<br />
gemeinsam eine Lösung finden.“<br />
Jürgen Mistol, B90/Die Grünen<br />
„Die Machbarkeit für beide Trassen wurde geprüft.<br />
Was die Westtrasse betrifft, so gibt es keine Pläne, die<br />
so in die Tiefe bearbeitet sind, dass sie etwas aussagen.<br />
Die Osttrasse wurde von den Grünen von Anfang an<br />
abgelehnt. Wir wehren uns dagegen, dass ein Natur-<br />
und Naherholungsgebiet, das von <strong>Regensburger</strong>n und<br />
Gästen der Stadt viel genutzt wird, durchschnitten<br />
werden soll. Es geht hier um ein Stück Regensburg, das<br />
viele sehr lieb gewonnen haben. Das Geld, das in die<br />
Planungen zur Osttrasse gesteckt wurde, hätte man<br />
sich sparen können.“<br />
Die <strong>Regensburger</strong> <strong>Stadtzeitung</strong><br />
Ludwig Artinger, FWR<br />
„West geht nicht, weil es mit dem Welterbestatus nicht<br />
verträglich ist. Wenn die Unesco den Vorschlag nicht<br />
ablehnt, wird es Prof. Greipl oder ein Bürgerbegehren<br />
tun. Ost kommt sowieso nicht. Wir bewegen uns nach<br />
wie vor im Untergrund und sind für die Tunnellösung.<br />
Die scheint die größte Akzeptanz unter den Bürgern<br />
zu haben. Man kann das Thema jedoch auch zurückstellen<br />
und in wirtschaftliche besseren Zeiten offensiv<br />
und demokratisch damit umgehen, sprich die Bürger<br />
fragen was sie wollen: Nichts, einen Tunnel, eine West-<br />
oder eine Osttrasse?“<br />
Astrid Freudenstein, CSU<br />
„Eine Verkehrstrasse am Grieser Spitz zerstört eines der<br />
letzten innerstädtischen Grüngebiete. Schon Planungen,<br />
die in diese Richtung gehen, werden von vielen<br />
Menschen als unanständig empfunden. Die Westtrasse<br />
ist städtebaulich ein Fiasko, da gibt es nichts schönzureden.<br />
Im groß angelegten Planungsdialog „Ein Herz für<br />
die Steinerne“ im Frühjahr 2005 fiel das Bürgervotum<br />
ebenso unmissverständlich aus: Eine überwältigende<br />
Mehrheit der Anwesenden erteilte sowohl einer Ost- als<br />
auch einer Westtrasse eine klare Absage.“<br />
Stefan Berger, Donauanlieger e.V.<br />
„Die Mitglieder des Vereins Donauanlieger sind überzeugt,<br />
dass die von der Stadtverwaltung geplanten<br />
Ersatztrassen für die Steinerne Brücke nicht notwendig<br />
sind. Beide Varianten sind ein unverhältnismäßiger<br />
Eingriff in die Natur am Grieser Spitz bzw. in das<br />
Stadtbild an der Donaulände und stehen in keinem<br />
Verhältnis zum möglichen Gewinn. Wir hoffen, dass<br />
die Stadt das endlich einsieht. Sollte es allerdings nötig<br />
sein, werden wir ein Bürgerbegehren organisieren.“<br />
aus. Die Stadtverwaltung gibt eine neue artenschutzrechtliche<br />
Prüfung in Auftrag. Das Fazit<br />
der neuen Prüfung: Das Ökosystem würde beeinträchtigt,<br />
einem Brückenbau stünde jedoch<br />
nichts im Wege (Die Prüfung liegt der RSZ vor).<br />
Der Fokus richtet sich auf die Osttrasse.<br />
2010: Ein Gutachten eines „unabhängigen<br />
Unternehmens“ soll helfen, die Welterbeverträglichkeit<br />
beider Trassen zu belegen. Diese<br />
Untersuchung soll der UNESCO die Entscheidung<br />
vereinfachen, dem Brückenwettbewerb<br />
grünes Licht zu geben. Gerüchte kommen auf,<br />
das Gutachten sei geschönt. Unverholen sprechen<br />
sach- und fachkundige Bürger von einem<br />
„durchsichtigen und handwerklich schlecht<br />
gemachten Gefälligkeitsgutachten“. Tatsächlich<br />
lässt es jegliche kritische Darstellung vermissen<br />
(Das Gutachten liegt der RSZ vor). Der<br />
oberste bayerische Denkmalpfleger und Mitglied<br />
des Welterbe-Steuerungskomitees Prof.<br />
Egon Greipl verfasst zu dem Gutachten eine<br />
Stellungnahme, in der er keinen Zweifel daran<br />
lässt, dass der Denkmalschutz die Westtrasse<br />
kategorisch ablehnt. Der Planungsausschuss<br />
berät. Die Lage eskaliert. Regensburg rückt<br />
ins Rampenlicht bundesweiter Presseorgane.<br />
Man spricht davon, dass der OB von Fachleuten<br />
regelrecht „abgewatscht“ wurde. OB<br />
Hans Schaidinger fühlt sich missverstanden,<br />
schiebt polternd den Medien einen konstruierten<br />
Brückenstreit in die Schuhe und versichert,<br />
ein gutes Verhältnis mit der UNESCO zu<br />
haben. Kurz: Die Angst wächst, die UNESCO<br />
könnte Regensburg den Titel Weltkulturerbe<br />
entziehen.<br />
Der status Quo<br />
Auch wenn es gefährlich ist, Prognosen zu<br />
wagen, sieht die Lage zum Thema Ersatztrasse<br />
- hinter vorgehaltener Hand beinahe<br />
aller Betroffenen - folgendermaßen aus: Der<br />
Denkmalschutz wird, auch wenn ihm OB Hans<br />
Schaidinger diese Entscheidungsgewalt abspricht,<br />
die Option einer Westtrasse kippen.<br />
Die Planungen zur Osttrasse werden - auch<br />
darüber sind sich alle Beteiligten einig – zugunsten<br />
des Naherholungsgebietes Grieser Spitz<br />
notfalls durch ein Bürgerbegehren gestoppt.<br />
Die Lösung, einen Tunnel zu bauen, rückt vielleicht<br />
in den Vordergrund. Wahrscheinlich ist<br />
jedoch, dass überhaupt keine Alternative zur<br />
Steinernen Brücke nötig ist. Die Busse fahren<br />
nun schon seit zwei Jahren einen Umweg,<br />
die vom ÖPNV befürchteten Umsatzeinbußen<br />
sind ausgeblieben und die Bevölkerung ist sich<br />
der Verantwortung sowohl für ihr Kulturgut<br />
als auch für ihr Naturgut bewusst. Unter´m<br />
Strich steht, auch völlig unabhängig von einer<br />
UNESCO-Entscheidung pro oder contra Brükkenwettbewerb,<br />
fest: Die Stadt verprasst wieder<br />
einmal Unmengen von Geld (50.000 Euro<br />
für Gutachten und Prüfungen, zu erwartende<br />
600.000 Euro für die Planungen der Trassen<br />
bei Absegnung durch die UNESCO und weitere<br />
500.000 Euro für ein Bürgerbegehren, das mit<br />
Sicherheit durchgeführt wird, wenn die Stadt<br />
ihr Vorhaben nicht zu den Akten legt). Wertvolle<br />
Euros, die an anderer Stelle bitternötig<br />
wären. (Nicole Seidinger)<br />
11<br />
11
Nachgefragt august | September 2010<br />
Loveparade 2010 vor 17 Uhr: Das<br />
Partyvolk in Feierlaune. Nur wenige<br />
Stunden nach dieser Aufnahme kam es<br />
zu einer schrecklichen Katastrophe.<br />
LovepaRaDe-DesasteR<br />
Massenpanik auf dem Fest der Liebe.<br />
Der RSZ-Szene-Fotograf Holger Steinmetz<br />
war auf der Loveparade in Duisburg.<br />
Eigentlich wollte er schöne Bilder<br />
mitbringen, statt dessen berichtet er von<br />
einer Tragödie, bei der 20 Menschen getötet<br />
und über 500 nach einer Massenpanik verletzt<br />
wurden.<br />
In den rot eingekreisten Flächen (Plan des Veranstalters<br />
für die Presse) ist deutlich zu erkennen, dass es zwei<br />
Tunnel mit drei Eingängen und nur einem Ausgang gibt.<br />
RSZ: Holger, Du warst live vor Ort. Wie hast Du<br />
die Katastrophe erlebt?<br />
Holger steinmetz: Eigentlich gar nicht so<br />
richtig. Wir sind zum Feiern hingefahren, sind<br />
gegen Mittag schon im Pressezelt gewesen.<br />
Das lag am anderen Ende des Areals. Den Rest<br />
haben wir nur durch Erzählungen mitbekommen.<br />
RSZ: Was wurde erzählt?<br />
Holger: Die Malteser haben berichtet, dass<br />
es im Eingangsbereich zu einer Massenpanik<br />
gekommen sei und angeblich schon zehn<br />
Menschen gestorben sind. Sie seien einfach<br />
zerquetscht und zertrampelt worden. Es war<br />
einfach viel zu voll vor dem Eingang. Nachdem<br />
der ja auch gleichzeitig der Ausgang war,<br />
kamen die Menschen nirgendwo mehr raus.<br />
Wir sind praktisch alle in ein Gehege getrieben<br />
worden. Rundrum war alles mit Bauzäunen<br />
dicht. Ich konnte mir das nur so erklären, dass<br />
die einen wieder raus wollten und die, die<br />
gerade erst ankamen, rein drängten. Da kann<br />
man sich vorstellen was mit den Leuten in der<br />
Mitte passiert ist...<br />
RSZ: Wie hast Du reagiert als Du diese Schreccensbotschaft<br />
gehört hast?<br />
Holger: Ich konnt´s gar nicht glauben. Ich hab<br />
raus geschaut und die Menschen haben nach<br />
wie vor gefeiert und getanzt. Ich glaub, auf<br />
dem Partygelände selbst hat das niemand so<br />
richtig umrissen. Die Veranstaltung ist ja auch<br />
nicht abgebrochen worden. Irgendwie war<br />
das alles ziemlich strange. So richtig realisiert<br />
hab ich es erst im Bus auf dem Heimweg nach<br />
Regensburg. Ich hab mich daran erinnert, dass<br />
wir ja auch durch diesen Tunnel, also dieser<br />
Schleuse, die zum Eingang geführt hat und in<br />
dem die Leute dann regelrecht zerdrückt wurden,<br />
gegangen sind und wie eng es da schon<br />
war. Wir waren alle heilfroh, dass uns nichts<br />
passiert ist.<br />
RSZ: Wie gehst Du nun mit dem Erlebnis um?<br />
Sind Großveranstaltungen für Dich tabu?<br />
Holger: Nein, sicher nicht. Aber ich werd mir<br />
in Zukunft die Location genau ansehen, gleich<br />
mal checken wo Fluchtwege und Notausgänge<br />
sind. Das wird künftig wohl jeder tun,<br />
der bei diesem Horror-Szenario dabei war.<br />
(Nicole Seidinger)<br />
RSZ-Szene-Reporter Holger Steinmetz: „Ich bin zutiefst<br />
betroffen über die Tragödie, die sich auf der sonst eher<br />
ausgelassenen, aber friedlichen Loveparade ereignet hat.“<br />
12 Die <strong>Regensburger</strong> <strong>Stadtzeitung</strong>
august | September 2010 Nachgefragt<br />
scHLuss mit Lustig<br />
Ironman zieht mit der Brechstange durch Regensburg.<br />
Die Domstädter fühlen sich „verarscht“.<br />
Für Stadtamhof gilt: Parken verboten, der Willkür ausgesetzt,<br />
Denken unerwünscht.<br />
250.000 Euro für den Ironman, Gängeleien für<br />
alle Betroffenen (Anwohner, Verkehrsteilnehmer,<br />
Touristen und Landwirte) entlang der<br />
Strecke, Rekrutierungen von kostenlosen Hilfskräften,<br />
Existenzbedrohung für die Geschäftsleute - eine<br />
Ehre für die Stadt! Ohne Verstand und längst ohne<br />
Stolz bettelt die Stadtspitze beinahe darum einem<br />
Fremden das Geld quer in den Allerwertesten schieben<br />
zu dürfen und verscherzt es sich damit gewaltig<br />
mit der eigenen Bevölkerung. „Wir sind überrascht“<br />
äußerten sich heimische Veranstalter Anfang des<br />
Jahres noch sehr höflich. Ebenso dezent ausgedrückt<br />
machte sich „Unmut“ breit, weil die Stadt einem<br />
hessischen Geschäftsmann für eine alberne Ironman-<br />
Veranstaltung mit vorgegaukeltem Seltenheitswert<br />
und höchst fraglichem Werbeeffekt mal eben eine<br />
viertel Million hinterher trägt, während die <strong>Regensburger</strong><br />
für jeden Pups centgenau geschröpft und<br />
wohlorganisiert ausgeplündert werden. Die „<strong>Stadtzeitung</strong>“<br />
berichtete als erstes Medium kritisch.<br />
Doch nun ist es endgültig vorbei mit den Höflichkeiten.<br />
Denn jetzt geht es wieder einmal den ohnehin<br />
gebeutelten Stadtamhoferern an die Tasche.<br />
Gut eine Woche vor dem „Freizeit-Event für offenbar<br />
unausgefüllte, leptosome Egomanen“ (Insider-Spott)<br />
haben Anwohner und Unternehmer durch Zufall<br />
erfahren (weil Vermessungen durchgeführt wurden),<br />
dass Stadtamhof vor, während und nach dem Ironman<br />
gesperrt wird. Auf Rückfrage der Geschäftsleute<br />
hat die Stadtverwaltung die Auskunft erteilt, die<br />
Freisitze müssten zwischen 30. Juli und 2. August<br />
geräumt werden. Ein Bescheid ginge den Unternehmern<br />
in den nächsten Tagen zu. „Das ist eine Zumu-<br />
Die <strong>Regensburger</strong> <strong>Stadtzeitung</strong><br />
tung für uns, eine Unverschämtheit seitens der Stadtverwaltung!“<br />
ist sich komplett Stadtamhof einig. Die<br />
Anlieger haben in dieser Zeit keine Möglichkeit in<br />
oder aus ihren Wohnungen zu kommen, Geschäftsleute<br />
rechnen mit Einbußen von vielen tausend Euro.<br />
Mit einer kaum zu übertreffenden Arroganz treten<br />
die preußischen Eisenmänner den Unternehmern<br />
gegenüber, halten ihnen vor, sie würden zu kurz<br />
denken, der Ironman wäre schließlich ein Gewinn<br />
für Stadt und Landkreis. Kein Wunder, dass sich die<br />
Menschen von der eigenen Stadtspitze verraten und<br />
verkauft fühlen. Auf die bevorstehenden Maßnahmen<br />
können sie nun jedoch mangels Zeit nicht mehr<br />
reagieren. „Wir haben einfach keine rechtliche Handhabe<br />
gegenüber der Stadtverwaltung.“ erklären die<br />
Firmeninhaber hilflos und wütend. Mitglieder von<br />
„Pro Stadtamhof“ kündigen aber an: „Wir werden uns<br />
das Ganze heuer ansehen, alles Negative sammeln<br />
und beim nächsten Ironman intervenieren.“ Denn<br />
eins ist klar: „Wir legen auf die Veranstaltung keinen<br />
Wert.“ Klare Worte, die die Stadtspitze neben dem<br />
Druck der Öffentlichkeit nun doch dazu gebracht<br />
haben, einzusehen, dass man seine Basis nicht immer<br />
nur vor den Kopf stoßen kann.<br />
Kurz vor Redaktionsschluss rudern sowohl OB<br />
als auch „Eisenmann“ Kai Walter zurück. In einer<br />
Pressemitteilung heißt es: „Die Veranstalter werden<br />
gemeinsam mit den Gastronomen klären, welche<br />
Freisitze in welchem Umfang kurz vor und nach, wie<br />
auch während (vom 30. Juli bis 2. August; Anm. d.<br />
Red.) des IRONMAN-Wettbewerbs betrieben werden<br />
können. ´Aufgrund der örtlichen Gegebenheiten<br />
sind Einschränkungen zwar nicht auszuschließen´,<br />
erklärt der Oberbürgermeister. ´Wir wollen sie jedoch<br />
so gering wie nur möglich halten – ganz im<br />
Sinne der Gastronomen wie auch der Zuschauerinnen<br />
und Zuschauer.‘“ Späte Einsicht, aber immerhin...<br />
(Nicole Seidinger)<br />
Umweg für die Bauern: Auch Traktoren müssen am 1. August<br />
landkreisweit ausweichen.<br />
PERSONALIE<br />
investment<br />
wald?<br />
Gefragter Rat für Manager: Thurn- und<br />
Taxis-Forstdirektor Hans Peter Fritzsche<br />
rät davon ab, den Lebensraum Wald<br />
auf ein reines Spekulationsobjekt zu<br />
reduzieren.<br />
MANAGER MAGAZIN INTERVIEWT<br />
THURN- UND TAxIS-FORST-DIREK-<br />
TOR HANS PETER FRITZSCHE.<br />
Hans-Peter Fritzsche (56), Thurn und Taxis<br />
Forstdirektor, wurde eine seltene Ehre<br />
zuteil: Das in der Branche hochangesehene<br />
MANAGER MAGAZIN schenkte in<br />
seiner letzten Ausgabe den Betrachtungen<br />
des fürstlichen Waldexperten große<br />
Aufmerksamkeit. Fritzsche informierte in<br />
dem mehrseitigen Beitrag kompetent über<br />
modernes Forstmanagement, bei dem sich<br />
Ökonomie und Ökologie nicht ausschließen<br />
dürfen, sondern harmonisch ergänzen<br />
müssen.<br />
Skeptisch beurteilte Fritzsche dabei das<br />
Phänomen Wald als Spekulationsobjekt.<br />
Denn bei den waldtypischen „langfristigen<br />
Zyklen lässt sich die Strategie nicht schnell<br />
mal ändern“. Er selber konzentriere sich<br />
jedenfalls darauf, die ihm anvertrauten<br />
19.000 Hektar zu umsorgen, statt mit ihnen<br />
zu spekulieren.<br />
Nachhaltigkeit als Maxime des Handelns<br />
– eine mahnende Botschaft in Zeiten kollabierender<br />
Finanzmärkte.<br />
13
Nachgefragt august | September 2010<br />
Regensburgs gesammelte<br />
„R<br />
egensburgs gesammelt Scheußlichkeiten“<br />
– eine Serie der <strong>Regensburger</strong><br />
<strong>Stadtzeitung</strong>, die auf<br />
vergangene Bausünden der Stadtverwaltung<br />
aufmerksam macht, um den kritischen Bürgersinn<br />
für künftige städtische Bauvorhaben<br />
zu sensibilisieren.<br />
Was Regensburg in den 60er und 70er Jahren<br />
angerichtet hat, lässt jegliches Verständnis<br />
entbehren. Großspurig wollte die Stadt sein;<br />
und zwar in doppeltem Sinne. Verkehrsachsen<br />
sollten quer durch die einzige Stadt Deutschlands,<br />
die eine nahezu vollständige Erhaltung<br />
mittelalterlicher Baukunst vorzuweisen hatte,<br />
geschlagen werden, und abartig überragende<br />
Geschäftsbunker sollten das Wirtschaftswunder<br />
der Nachkriegszeit auch optisch dokumentieren.<br />
Deutlich wird dieser Imagewahn<br />
durch Bausünden am Neupfarrplatz, in der<br />
Maxstraße, am Arnulfsplatz, etc..<br />
All diese Barbareien am „Mittelalterlichen<br />
Wunder Regensburg“ hat die RSZ in den letzten<br />
Folgen aufbereitet. Doch nun, im sechsten<br />
Teil der Gesammelten Scheußlichkeiten,<br />
kommt zu dem zerstörerischen Profilierungsdrang<br />
eine abgrundtief hässliche, teils gar<br />
menschenverachtende Haltung hinzu. In „Der<br />
Sündenfall an der Donau“ haben der Journalist<br />
Günter Schießl und der Ostnerwachtler Peter<br />
Eiser die Grausamkeiten beklemmend eindrucksvoll<br />
dargestellt. Die RSZ zitiert einzelne<br />
Textpassagen daraus, um die Geschichte des<br />
sechsten Teils von „Regensburgs gesammelten<br />
Scheußlichkeiten“ zu veranschaulichen:<br />
die Ostnerwacht.<br />
gewachsen – zerstört - verplant<br />
Mit dieser Überschrift bringen Peter Eiser und<br />
Günter Schießl den Untergang der Ostnerwacht<br />
(zwischen Kolpinghaus und Ostentor)<br />
Der Donaumarkt mit Stadtlagerhaus<br />
im Jahre 1904. (Bildnachweis: Stadt<br />
Regensburg, Bilddokumentation)<br />
teil 6: Ostnerwacht<br />
Scheußlichkeiten<br />
Günter Schießl und Peter Eiser dokumentieren das<br />
Schicksal der Ostnerwacht.<br />
auf den Punkt und beginnen damit, den Anstoß<br />
der Zerstörung zu erläutern: Eines der<br />
wenigen Gebäude, die dem zweiten Weltkrieg<br />
zum Opfer gefallen sind, ist das Stadtlagerhaus,<br />
das einst den Mittelpunkt eines regen<br />
<strong>Regensburger</strong> Miteinanders im Altstadtosten<br />
prägte. Statt diese Lücke wieder zu schließen,<br />
zog es die Stadtverwaltung vor, sie auszuweiten;<br />
zugunsten einer autobahnähnlichen<br />
Donauüberquerung. „Für die geplante Trasse<br />
der Bayerwaldbrücke wurden nach Kriegsende<br />
und verstärkt ab 1964 zwischen der Minoritenkirche<br />
und dem Unteren Wöhrd über 40<br />
Häuser abgebrochen. Hunderte von Familien<br />
verloren ihr Zuhause und viele ihre Existenz,<br />
die sie sich über Jahrzehnte hinweg aufgebaut<br />
und über den Krieg gerettet hatten.<br />
Ein ganzes Viertel mit seiner geschlossenen<br />
Bebauung wurde dem Erdboden gleich gemacht.“<br />
schreiben die Autoren. Und weiter:<br />
„Komplett abgeräumt wurden der frühere<br />
Schwanenplatz und die Bogelgasse. Die historische<br />
Kalmünzergasse gibt es nicht mehr,<br />
der Hunnenplatz existiert nur noch mit Haus-<br />
Nummer 5.“<br />
Wie rüpelhaft die Verwaltung mit dem<br />
Störfaktor Anwohner dabei vorgegangen ist,<br />
belegt schon eines von zahlreichen Beispielen:<br />
Der Besitzer des bombengeschädigten<br />
Anwesens Schwanenplatz 3 hat erbeten „eine<br />
14 Die <strong>Regensburger</strong> <strong>Stadtzeitung</strong>
Bildnachweis: Denkmalpflege der Stadt Regensburg<br />
august | September 2010 Nachgefragt<br />
Seit Jahrzehnten (bis heute) versammeln sich die Menschen aus nur zwei Gründen an diesem schicksalsträchtigen Ort: zum Wochenmarkt und zum Parken.<br />
Genehmigung für den Wiederaufbau seines<br />
Anwesens zu bekommen, um die untragbaren<br />
Verhältnisse in seiner derzeitigen Behausung,<br />
´einer Wochenendhütte ohne Licht und Wasser<br />
zu Eichhofen´, beenden zu können.“ Die<br />
Stadt erwiderte, die Genehmigung nur dann<br />
zu erteilen, „wenn die Stadt das Recht erhielte,<br />
durch das Anwesen einen öffentlichen<br />
Durchgang zum Hof des Erhardihauses (das<br />
heutige Kolpinghaus) zu legen. Außerdem<br />
sollte ´zur Sicherstellung des späteren Straßendurchbruchs´<br />
der Stadt ein Vorverkaufsrecht<br />
auf das Anwesen eingeräumt werden.“<br />
Die Stadt erwarb das Haus für den Spottpreis<br />
von 31.608,32 DM, beglich damit die Schulden<br />
für den Wiederaufbau und hat den Kaufpreisrest<br />
(5.500 DM) dadurch abgegolten, „dass die<br />
Käuferin (die Stadt) dem Verkäufer und seiner<br />
Ehefrau auf deren Lebenszeit ihre derzeitige<br />
Wohnung im Verkaufsanwesen unentgeltlich<br />
zur Benutzung überlässt.“ Die Option, das<br />
„Gebäude vor Ableben der Eheleute“ abzubrechen,<br />
hat sich die Stadt im Kaufvertrag<br />
vorbehalten.<br />
Auf diese eiskalte Art und Weise löschte<br />
die Stadtverwaltung Regensburgs das Viertel<br />
einfach aus; um den Bau einer Trasse vorzubereiten,<br />
der letztlich nie realisiert wurde. Wenigstens<br />
das konnten die Bürger verhindern.<br />
Auch wenn es für Einzelschicksale längst zu<br />
spät war.<br />
gezeichnet – verkommen - hilflos<br />
Der größte weiße Fleck auf der Stadtkarte ist<br />
somit am Donaumarkt entstanden. Anwesen,<br />
deren Erwerb die Stadt nach dem Krieg nicht<br />
perfide vorbereitet hatte, haben sich damals<br />
Die Adresse des dritten Hauses von rechts lautete einst:<br />
Schwanenplatz 3. (Bildnachweis: Bayer. Landesamt für Denkmalpflege)<br />
Die <strong>Regensburger</strong> <strong>Stadtzeitung</strong><br />
zwei große Unternehmer unter den Nagel<br />
gerissen. Die Möbelfirma Brüchner und die<br />
Metzgerei Ostermeier nutzten die finanziellen<br />
Nöte der Menschen aus und erbeuteten<br />
ganze Häuserreihen weit unter dem normalen<br />
Verkaufswert. Sie begannen mit dem Ausbau<br />
ihrer Unternehmen nach eigenen Aussagen<br />
„als es nebenan im zerbombten Stadtlagerhaus<br />
noch schwelte und qualmte.“ Nach einer<br />
kurzen wirtschaftlichen Hochphase begannen<br />
jedoch die Firmen finanziell in die Knie zu<br />
gehen. Ihre Gebäude fielen in die Hände der<br />
Stadtbau GmbH – ein städtisches Tochterunternehmen.<br />
Bis zu diesem Zeitpunkt hatten stadtplanerische<br />
Betonköpfe in dieser Gegend mehr<br />
Schaden angerichtet, als der Zweite Weltkrieg<br />
im gesamten Stadtgebiet.<br />
Knapp zwanzig Jahre vergingen, der weiße<br />
Fleck blieb ungenutzt bestehen und die planlose<br />
Zerstörungswut der Stadt nahm neue<br />
Formen an. In den, zwar wechselnden, aber<br />
nicht dazulernenden, Köpfen der Stadtspitze<br />
reifte die Idee, eine Stadthalle zu erbauen.<br />
Dazu sollte das Parkhotel Maximilian und nebenstehende<br />
Gebäude abgerissen werden.<br />
Denkmalschützer und Bürger konnten diesem<br />
Wahnsinn im Jahre 1973 Einhalt gebieten. Bald<br />
wurde der Arnulfsplatz das Objekt der Stadthallen-Begierde.<br />
Rasch baute die Verwaltung<br />
eine Tiefgarage, den Abbruch einiger Häuser<br />
(darunter das heutige Velodrom) konnten die<br />
Bürger Regensburgs jedoch erneut verhindern.<br />
Etwa zeitgleich rückte der Donaumarkt<br />
als Areal für eine Stadthalle in den Fokus<br />
des Interesses. Ein Architekten-Wettbewerb<br />
wurde ausgelobt. Ein dänisches Büro, das den<br />
Vorschlag unterbreitete, eine Art Stadtmauer<br />
um den Donaumarkt zu ziehen und das Gebiet<br />
dadurch völlig abzuschotten, gewann<br />
den Wettstreit. Wieder waren es die Bürger,<br />
die dieses Projekt kippten; diesmal durch die<br />
Wahl der neuen Oberbürgermeisterin Christa<br />
Meier. 1996, als OB Hans Schaidinger den<br />
Rathaussessel eroberte, flammte die Diskussion<br />
„Stadthalle am Donaumarkt“ erneut auf.<br />
Diesmal schien zunächst dieses Projekt mehrheitsfähig.<br />
Doch eine arrogante und grottenschlechte<br />
Kommunikationspolitik, verknüpft<br />
mit einer peinlich-dummen Werbekampagne<br />
zerstörte den bürgerlichen Konsens erneut<br />
und bekam postwendend ihre Quittung: In<br />
mehreren Bürgerbegehren stoppten die <strong>Regensburger</strong><br />
das ambitionierte Projekt.<br />
Seither herrscht am Donaumarkt neben<br />
offensichtlicher Plan- auch noch Hilflosigkeit.<br />
Diskutiert werden Ideen, doch eine Stadthalle<br />
zu errichten, die Fläche im ursprünglichen<br />
Sinn mit kleinteiligen Gebäuden neu aufleben<br />
zu lassen oder das Areal in Künstlerhände<br />
zu geben und es deren kreativen Ergüssen<br />
anzuvertrauen. Etwas konkreter, aber längst<br />
nicht gewiss, scheint der Plan, eine luxuriöse<br />
Wohnbebauung auf dem Donaumarkt hochzuziehen.<br />
Bei der Erforschung des Untergrundes<br />
für letzten Zweck sind Archäologen kürzlich<br />
auf Überreste aus der Römerzeit gestoßen, die<br />
wohl auf eine Waffenschmiede hinweisen. Wieder<br />
ein Stück Geschichte, das früher oder später<br />
dem Erdboden gleich gemacht werden wird.<br />
Genauso wie das geballte Leben, das einst in<br />
der Ostnerwacht pulsierte. (Nicole Seidinger)<br />
Das Ausmaß der Zerstörung belegen die weißen Flecken auf<br />
der Karte. Bildnachweis: Peter Eiser (unter Verwendung amtl. Unterlagen)<br />
15
Nachgefragt august | September 2010<br />
Die oase DeR RuHe<br />
Den hektischen Alltag hinter sich lassen und in die faszinierende Welt des Nepal-<br />
Himalaya-Pavillons inmitten der Hügel des Bayerischen Waldes eintauchen.<br />
Symbol für den Frieden: Eine buddhistische Stupa (runder Teil) und ein hinduistischer Pagodentempel (eckiger Teil)<br />
verbinden die Religionen der Hindus und der Buddhisten.<br />
Was? Schon so spät? Jetzt aber<br />
schnell umziehen, Tasche packen,<br />
rein ins pralle Leben. Radfahrer flitzen<br />
an den Autos vorbei, Menschen drängen<br />
sich entlang der Straßen. Der Arber<br />
Radmarathon zieht tausende Besucher an.<br />
Parkplatz? Fehlanzeige! Rasch stehen bleiben,<br />
ein paar Fotos knipsen. Mist – Akku<br />
leer! Autofahrer werden ungeduldig, hupen.<br />
Weiter, irgendwo umdrehen, in nervenaufreibender<br />
Schrittgeschwindigkeit Richtung<br />
Autobahn und mit Vollgas drüber. Wiesent<br />
runter, immer den Wegweisern nach, Parkplatz<br />
suchen. Nur noch zwei? Immerhin. Zü-<br />
gig aussteigen, vorbei an Pärchen, Familien,<br />
zum Eingang. Ein herrlich geschnitzter Torbogen<br />
zieht den Blick auf sich, bunte Pflanzen<br />
laden ein, eine leichte Brise erfrischt und<br />
es herrscht… absolute Ruhe.<br />
Die unendliche artenvielfalt der Flora<br />
Als wäre die Zeit stehen geblieben schlendern<br />
die Besucher bedächtig durch das 20<br />
Hektar große Areal. Buddhafiguren und<br />
Skulpturen hinduistischer Götter begleiten<br />
die Menschen entlang des Weges. Düfte<br />
bitten beinahe darum, stehen zu bleiben<br />
und die zauberhaften Blüten seltener Ge-<br />
„Wasser für die Welt“: Das Ehepaar Margit und Heribert<br />
Wirth haben im Juni dieses Jahres das Bundesverdienstkreuz<br />
für ihr Engagement in Entwicklungsländern bekommen.<br />
wächse zu bestaunen. Weit mehr als 3.200<br />
verschiedene Pflanzenarten, darunter über<br />
tausend direkt aus dem Himalaya, machen<br />
das Gelände zu einem botanischen Garten<br />
mit weltweitem Seltenheitswert. Ein „Seed-<br />
Hunter“, ein Samensammler, der auf 4.000<br />
Metern im Himalayagebirge lebt, bereichert<br />
die einzigartige Anlage regelmäßig mit den<br />
kostbaren Samen. Einige haben Margit und<br />
Heribert Wirth, die das Gebiet in Wiesent<br />
vor sieben Jahren erworben haben, selbst<br />
mitgebracht. Nach einer ganz bestimmten<br />
Primel hat der Hobbybotaniker sogar fünf<br />
Jahre lang gesucht. Verständlich, dass es<br />
ihn mit einer großen Freude erfüllt, diese<br />
grünen Geschöpfe in hiesigen Breitengraden<br />
durchzubringen und zu sehen wie sie<br />
dem eigentlichen Herzstück des Parks, dem<br />
nepalesischen Pavillon, nach und nach ein<br />
immer schöneres Zuhause bescheren.<br />
Die spannende Reise des tempels<br />
Drei Jahre lang haben 850 nepalesische<br />
Schnitzerfamilien an dem Pavillon gearbeitet<br />
und damit ein Kunstwerk geschaffen, das<br />
anmutiger kaum wirken kann. Für die Expo,<br />
die im Jahre 2000 in Hannover ausgetragen<br />
wurde, haben die Handwerker dieses 40 mal<br />
40 Meter große und 23 Meter hohe Kulturgut<br />
geschaffen. Über 2.000 Schnitzarbeiten<br />
erzählen Geschichten aus dem Buddhismus,<br />
sie zeigen aber ebenso die Mythologie des<br />
Hinduismus auf. Als „Tempel der Ruhe“ sollte<br />
dieses Meisterwerk die Botschaft Nepals<br />
„Harmonie, Frieden und Toleranz“ in die Welt<br />
tragen. Ein Ansinnen, das Heribert Wirth<br />
schließlich dazu brachte, den Tempel zu er-<br />
16 Die <strong>Regensburger</strong> <strong>Stadtzeitung</strong>
august | September 2010 Nachgefragt<br />
werben. „Mich hat es fasziniert, dass sich ein<br />
kleines Volk wie die Nepalesen Gedanken<br />
über Toleranz machen. In diesem Prachtstück<br />
haben sie die ältesten und schönsten<br />
Elemente nepalesischer Tempelbauten und<br />
die Religionen ihres Landes, den Hinduismus<br />
und den Buddhismus, miteinander vereint.<br />
Als nach der Expo zur Diskussion stand,<br />
den Tempel in einem zoologischen Garten<br />
für die Affen aufzustellen, habe ich ihn gekauft.<br />
Der Pavillon brauchte einen Platz, den<br />
er verdient.“ - und zwar rasch. Das 480 Tonnen<br />
schwere Kunstwerk war auf der Expo<br />
bei Regen abgebaut und luftdicht verpackt<br />
worden. Das 30 Jahre alte Saal-Holz, aus<br />
dem der Tempel geschnitzt wurde, drohte<br />
zu verschimmeln, wenn er nicht bald wieder<br />
aufgebaut werden konnte. Für das Ehepaar<br />
Wirth war klar, dass sie nach einem Gebiet<br />
suchen mussten, das eingezäunt werden<br />
und zudem für die Öffentlichkeit zugänglich<br />
sein konnte. Ein ehemaliger Steinbruch in<br />
einem Landschaftsschutzgebiet bei Wiesent<br />
schien perfekt zu sein, doch die Behörden<br />
haben Wirths Plan, neben dem Pavillon auch<br />
sein Wohnhaus auf dem Areal zu errichten,<br />
beanstandet. Um den immer noch gelagerten<br />
Tempel nicht dem Schimmelpilzbefall<br />
auszuliefern, hat der <strong>Regensburger</strong> Unternehmer<br />
sogar angedacht, das nepalesische<br />
Kunstwerk wieder zu verkaufen. Doch letztlich<br />
gingen die Pläne, wenn auch leicht abgeändert,<br />
durch und er konnte sich seinen<br />
Traum erfüllen, eine internationale Begegnungsstätte<br />
für Menschen zu schaffen, die<br />
anderen, nämlich besitzlosen Menschen in<br />
der Dritten Welt, helfen wollen. Das Ehepaar<br />
Wirth konnte den Nepal-Himalaya-Pavillon<br />
im Juli 2003 eröffnen.<br />
Das soziale engagement des<br />
unternehmers<br />
Margit und Heribert Wirth empfangen die<br />
Besucher ihrer Kultstätte persönlich und<br />
sind an den Öffnungstagen (sonntags von<br />
13 bis 17 Uhr und montags von 14 bis 17 Uhr)<br />
stets vor Ort. Gerade der Unternehmer sitzt<br />
gerne an der Kasse und denkt bei jedem Eintritt<br />
(5 Euro) daran, dass der zahlende Gast<br />
soeben einem bedürftigen Kind Ernährung<br />
und Bildung für eine halbe Woche ermöglicht<br />
hat. Jeder Cent, den der Park einbringt,<br />
geht an die bereits 1986 von dem Ehepaar<br />
ins Leben gerufene Stiftung „Wasser für die<br />
Welt“. Zweck ist, Wasser zur Versorgung der<br />
Bevölkerung und zur Förderung der Landwirtschaft<br />
zu suchen und aufzubereiten.<br />
Dabei orientiert sich die Stiftung an dem<br />
Prinzip der Nachhaltigkeit und der Hilfe zur<br />
Selbsthilfe. Auch investiert „Wasser für die<br />
Welt“ in die Ausbildung Notleidender, damit<br />
sie ihre Wasserversorgung selbst in die Hand<br />
nehmen können. Zahlreiche Projekte in Brasilien,<br />
Nicaragua, Äthiopien, Palästina, Kenia,<br />
Namibia, Uganda, auf den Philippinen und<br />
in Nepal, kurz in den Kontinenten Afrika, Asien<br />
und Südamerika, konnten bereits auf den<br />
Weg gebracht werden. Trotz dieser enormen<br />
Hilfe bekennt sich Wirth bescheiden:<br />
Die <strong>Regensburger</strong> <strong>Stadtzeitung</strong><br />
„Nicht ich stehe im Mittelpunkt, sondern die<br />
Idee.“ - eine wahrlich hilfreiche Idee.<br />
Der meditative gesang für Freiheit<br />
Am Samstagabend, bevor die RSZ den<br />
Nepal-Himalaya-Pavillon besuchen durfte,<br />
hatte das Ehepaar Wirth neben zahlreichen<br />
geschätzten Persönlichkeiten aus Politik und<br />
Wirtschaft einen ganz besonderen Gast geladen,<br />
die buddhistische Nonne Ani Choying<br />
Drolma. Wenn der Dalai Lama auf Reisen<br />
geht, obliegt ihr die Ehre, das Publikum mit<br />
meditativem Gesang auf Seine Heiligkeit einzustimmen.<br />
„Beim Singen und mit ihm, dem<br />
großen weisen Mann, zusammen zu sein, ist<br />
ein Kompliment für mich, es erfüllt mich mit<br />
einer tiefen Zufriedenheit.“ Dieses Gefühlt<br />
trägt die Nonne jedoch schon immer in ihrem<br />
Herzen. Als sie 13 Jahre alt war, hat sie<br />
sich entschlossen, ihr Leben voll und ganz<br />
dem Buddhismus hinzugeben. Die Meditation<br />
hat sie gelehrt, ihren Verstand mit ihrem<br />
Herzen zu verbinden, tief in sich zu ruhen<br />
und darin unendliches Glück zu empfinden.<br />
Und die Meditation hat ihr dabei geholfen,<br />
ihre Gabe, den Gesang, einzusetzen.<br />
Sie wurde immer erfolgreicher, konnte Geld<br />
verdienen und eigene Projekte aufbauen.<br />
Mittlerweile führt die bemerkenswerte Frau<br />
die Arya Tara School in Kathmandu, eine<br />
Schule für Waisen- und Straßenkinder, ermöglicht<br />
ihnen Bildung und bereitet sie auf<br />
das Leben vor. „Mein Traum war schon immer,<br />
dass Mädchen und Frauen die gleichen<br />
Möglichkeiten offen stehen wie Männern.<br />
Im Kloster erhalten sie eine Ausbildung. Es<br />
ist wunderbar, die Freiheit zu haben, das tun<br />
zu können, was ich will.“ Wenn die Mädchen<br />
alt genug sind, steht ihnen frei zu entscheiden,<br />
ob sie bleiben oder eine Ehe schließen<br />
möchten. Scherzhaft berichtet sie, dass sie<br />
jedoch froh ist wenn die jungen Erwachsenen<br />
die Einrichtung verlassen. Dadurch<br />
kann sie weitere Kinder aufnehmen. Ein paar<br />
ihrer Schützlinge haben sich zu einer Band<br />
zusammengeschlossen, der ersten Frauenband<br />
in Nepal. Mithilfe von dem Ehepaar<br />
Wirth konnte nun sogar eine CD produziert<br />
werden. Der Erlös daraus und auch der des<br />
Buches „Ich singe für die Freiheit“ von Ani<br />
Choying Drolma fließt zum einen in den Unterhalt<br />
des Klosters und zum anderen in den<br />
Neubau eines Kinderkrankenhauses. Dass sie<br />
das Projekt ermöglichen kann, steht für die<br />
beeindruckende Frau außer Frage. „Ich bin<br />
eine Kämpferin. Und meine Waffen heißen<br />
Liebe und Mitgefühl. Mit Spiritualität kann<br />
jeder alles schaffen. Denn es ist keine Frage<br />
der Religion, sondern eine Frage des reinen<br />
Herzens.“ (Nicole Seidinger)<br />
Informationen<br />
Zum Nepal-Himalaya-Pavillon:<br />
www.nepal-himalaya-pavillon.de<br />
Zu Ani Choying Drolma: www.choying.com<br />
Zur Schule in Kathmandu: www.arya-tara.ch<br />
Spiritualität: Ani Choying Drolmas Buch „Ich singe für die<br />
Freiheit“ ist für 18,95 Euro im Buchhandel erhältlich.<br />
Die Schlangengöttin: Im indischen Volksglauben<br />
schützt die Schlangengöttin Manasa die Menschen vor<br />
Giftschlangen.<br />
Friedensglocke: Diese Glocke läutet man dreimal: einmal<br />
für sich, einmal für die Mitmenschen und einmal für den<br />
Frieden in der Welt.<br />
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