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Vorwort - schule.at

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Coll<strong>at</strong>iner, es bedürfe keiner Worte: Innerhalb weniger Stunden könne man wissen, wie sehr<br />

seine Lucretia den anderen Frauen überlegen sei: „Warum, wenn wir die Kraft der Jugend in<br />

uns haben, besteigen wir nicht die Pferde und überprüfen an Ort und Stelle den Charakter<br />

unserer Frauen? Für einen jeden soll das entscheidend sein, was bei der unvermuteten<br />

Ankunft des Ehemannes vor Augen tritt!“ (8) Der Wein h<strong>at</strong>te sie erhitzt: „Auf geht’s!“, riefen<br />

alle; im gestreckten Galopp ritten sie nach Rom. Als sie gleich nach Anbruch der Dunkelheit<br />

die Stadt erreicht h<strong>at</strong>ten, begaben sie sich sofort weiter nach Coll<strong>at</strong>ia, (9) wo sie Lucretia<br />

vorfanden. Anders als die Schwiegertöchter des Königs, die sich, wie sie gesehen h<strong>at</strong>ten, bei<br />

einem ausschweifenden Gastmahl mit ihren Gefährtinnen die Zeit vertrieben, war sie noch bis<br />

spät in die Nacht mit ihrer Wollarbeit beschäftigt und saß mitten im Haus unter ihren bei<br />

Licht arbeitenden Sklavinnen. Im Wettstreit der Frauen wurde Lucretia der Sieg<br />

zugesprochen. (10) Bei der Ankunft wurde der Ehemann und die Tarquinir zuvorkommend<br />

aufgenommen; der siegreiche G<strong>at</strong>te lud die königlichen Prinzen freundlich ein. Da packte den<br />

Sextus Tarquinius die schändliche Lust, Lucretia Gewalt anzutun; dazu reizte ihn ihre<br />

Schönheit, vor allem jedoch ihre über jeden Verdacht erhabene Keuschheit. (11) Damals<br />

indes kehrten sie von ihrem nächtlichen jugendlichen Wettspiel erst einmal ins Lager zurück.<br />

58 (1) Wenige Tage später begab sich Sextus Tarquinius ohne Wissen des Coll<strong>at</strong>iners mit nur<br />

einem Gefährten nach Coll<strong>at</strong>ia. (2) Nachdem er dort – man ahnte ja nichts von seinen<br />

Absichten- freundlich aufgenommen und nach dem Abendessen in ein Fremdenzimmer<br />

geführt worden war, begab er sich, als die Situ<strong>at</strong>ion ausreichend sicher und alle zu schlafen<br />

schienen, von Liebe verzehrt, mit gezücktem Schwert zu der schlafenden Lucretia, drückte<br />

seine linke Hand auf die Brust der Frau und sagte: „Schweige, Lucretia! Ich bin Sextus<br />

Tarquinius; in meiner Hand ist ein Schwert; du wirst sterben, wenn du ein Wort sagst!“ (3)<br />

Als die Frau aus dem Schlaf aufschreckte und sah, dass es keine Hilfe gab und ihr der Tod<br />

kurz bevorstand, da gestand ihr Tarquinius seine Liebe, b<strong>at</strong> sie, vermischte seine Bitten mit<br />

Drohungen und versuchte durch Überredungskünste aller Art, die Frau zum Nachgeben zu<br />

bewegen. (4) Doch als er sah, dass sie unbeugsam war und sich nicht einmal in ihrer<br />

Todesangst umstimmen ließ, fügte er zu ihrer Angst noch die Schande hinzu: Er werde, sagte<br />

er, wenn sie tot sei, einen Sklaven, dem er die Kehle durchgeschnitten habe, nackt neben sie<br />

legen, so dass es heißen werde, sie sei bei einem schändlichen Ehebruch getötet worden. (5)<br />

Nachdem aufgrund dieses Schreckbilds die Begierde über die standhafte Keuschheit<br />

sozusagen gewaltsam gesiegt h<strong>at</strong>te und Tarquinius, trotzig stolz auf seine Eroberung<br />

weiblicher Ehre, wieder abgereist war, schickte Lucretia, tiefbekümmert über ein solch großes<br />

Unglück, einen Boten nach Rom zum V<strong>at</strong>er und dann weiter nach Areda zu ihrem G<strong>at</strong>ten mit<br />

der Bitte, sie sollten mit je einem treuen Freund zu ihr kommen; dies müsse sein, und zwar<br />

rasch; etwas Entsetzliches sei geschehen.<br />

(6) Spurius Lucretius kam mit Publius Valerius, dem Sohn des Volericus, der Coll<strong>at</strong>iner mit<br />

Lucius Iunius Brutus, mit dem er gerade auf dem Rückweg nach Rom war, als ihm der Bote<br />

seiner Frau begegnete. (7) Sie fanden Lucretia voller Trauer in ihrem Schlafgemach sitzen.<br />

Bei der Ankunft ihrer Angehörigen brach sie in Tränen aus und auf die Frage ihres Mannes<br />

„Ist bei dir alles in Ordnung?“ antwortete sie: „Überhaupt nicht. Wie könnte nämlich für eine<br />

Frau alles in Ordnung sein, wenn sie ihre Ehre verloren h<strong>at</strong>? Die Spuren eines fremden<br />

Mannes sind, Coll<strong>at</strong>iner, in deinem Bett; doch nur der Körper ist geschändet, das Herz ist<br />

unschuldig; mein Tod wird dafür Zeuge sein! Gebt mir aber eure Rechte und das<br />

Versprechen, den Ehebrecher nicht straflos davonkommen zu lassen! (8) Sextus Tarquinius ist<br />

der Mann, der sich als Feind und nicht als Gast in der vergangenen Nacht mit Gewalt und<br />

bewaffnet eine mir und – wenn ihr Männer seid - auch ihm Verderben bringende Freude hier<br />

genommen h<strong>at</strong>.“ (9) Der Reihe nach gaben sie ihr ihr Wort; sie trösteten sie in ihrem<br />

Kummer, indem sie der Genötigten die Schuld nahmen und sie dem Urheber des Verbrechens<br />

zuwiesen: Der Geist sündige, nicht der Körper, und wo die Absicht gefehlt habe, gebe es auch<br />

keine Schuld. (10) „Ihr“, sagte sie, „mögt zusehen, was jener verdient. Auch wenn ich mich<br />

von Schuld losspreche, so befreie ich mich nicht von der Strafe; von nun an wird keine<br />

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