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Gesellschaft zur Förderung von Kinderbetreuung e. V. Gesellschaft ...

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Neue Welten entdecken<br />

GFKS eröffnet weitere Betriebskitas<br />

Krippen: Investition in die Zukunft<br />

Interview mit Dr. Ilse Wehrmann<br />

Eingewöhnung<br />

Guter Start ins Kita-Leben<br />

<strong>Gesellschaft</strong> <strong>zur</strong> <strong>Förderung</strong> <strong>von</strong> <strong>Kinderbetreuung</strong> e. V.<br />

<strong>Gesellschaft</strong> für <strong>Kinderbetreuung</strong> und Schule mbH & Co. KG<br />

1


2<br />

inhalt<br />

3 „Wer in Krippen investiert,<br />

investiert in die Zukunft“<br />

Im Gespräch mit Dr. Ilse Wehrmann<br />

6 Ein *sternchen* im Bauernhof<br />

GFKS betreibt Kinderkrippe<br />

für die Daimler AG in Sindelfingen<br />

8 Guter Start ins Kita-Leben<br />

Wichtig ist eine behutsame<br />

Eingewöhnungsphase<br />

9 Damit die Babys am Ball bleiben<br />

Prager Eltern-Kind-Progarmm<br />

im Kinderhaus KIWI<br />

10 Neue Welten entdecken<br />

Betriebliche <strong>Kinderbetreuung</strong><br />

der VWFS AG startet im April<br />

12 Glucke gegen Rabenmutter<br />

Krippe oder nicht: Sehr emotional wird<br />

diskutiert, ob sie Babys und Kleinkindern<br />

schadet oder nützt ...<br />

13 Zentrale Fragen ungeklärt<br />

Kommentar <strong>von</strong> Alfons Scheitz<br />

14 Große Zustimmung zum<br />

Krippenausbau<br />

15 Mama, Papa oder Krippe<br />

Meinungen <strong>von</strong> Eltern<br />

17 Betreuungsgeld bleibt umstritten<br />

18 Zu viele strikte Regeln<br />

<strong>Kinderbetreuung</strong> in Frankreich<br />

19 Kinder brauchen Spielräume<br />

Vortrag <strong>von</strong> Dr. Harald Seehausen<br />

Herausgeber:<br />

Impuls Soziales Management<br />

Alfons Scheitz und Oliver Strube<br />

(v.i.S.d.P.)<br />

Maulbeerplantage 14<br />

34123 Kassel<br />

www.e-impuls.de<br />

Liebe Leserin, lieber Leser,<br />

mit der 6. Ausgabe hat unsere Zeitschrift einen neuen Namen bekommen:<br />

„spiel/ raum – Zeitschrift für ein Leben mit Kindern“. Ein Name, der auf<br />

vieles anspielt. Zum Beispiel brauchen Kinder Spiel-Räume, um sich entfalten<br />

und entwickeln zu können. Mit unseren Kindertagesstätten schaffen<br />

wir diese Spiel-Räume – aber nicht nur für Kinder, sondern auch für<br />

ihre Eltern. Denn deren Spielräume werden größer, wenn sie ihre Kinder<br />

bei uns gut aufgehoben wissen. Spielräume erhalten aber auch Unternehmen,<br />

wenn sie eine betriebliche <strong>Kinderbetreuung</strong> einrichten: Das Geld ist<br />

gut angelegt, kurz- und langfristig, denn eine Betriebskita bringt auch<br />

Einsparpotenziale mit sich.<br />

Spielen ist nur was für Kinder? Spielen wird in Zukunft immer mehr zum<br />

Kreativitätsfaktor in Unternehmen werden! „Der Mensch spielt nur, wo er<br />

in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch,<br />

wo er spielt“, schrieb schon Friedrich Schiller in seinen „Briefen <strong>zur</strong> ästhetischen<br />

Erziehung des Menschen“. „Spielen geht nicht ohne zu lernen und<br />

Lernen wird nachhaltiger, wenn es spielerisch ist“, so hat es der Sozialforscher<br />

Dr. Harald Seehausen in einem vom Team des Kinderhaus Kiwi organisierten<br />

Vortrag in Kassel formuliert; über die Veranstaltung berichten<br />

wir auf Seite 19 dieser Ausgabe.<br />

Ansonsten ranken sich viele der Beiträge diesmal rund um das Thema<br />

Krippenbetreuung. Ein Thema, das uns besonders wichtig ist: In den Einrichtungen<br />

der <strong>Gesellschaft</strong> <strong>zur</strong> <strong>Förderung</strong> <strong>von</strong> <strong>Kinderbetreuung</strong> e. V. und<br />

der <strong>Gesellschaft</strong> für <strong>Kinderbetreuung</strong> und Schule mbH & Co. KG sind etwa<br />

180 der derzeit rund 800 betreuten Kinder jünger als drei Jahre. Es freut<br />

uns, dass die Themen Familienplanung und <strong>Kinderbetreuung</strong> <strong>zur</strong>zeit auf<br />

vielen Ebenen diskutiert werden – und dass die Politik künftig die Eltern<br />

bei der Vereinbarkeit <strong>von</strong> Beruf und Familie durch einen spürbaren Ausbau<br />

der Kleinstkindbetreuung unterstützen möchte.<br />

Dass über die entsprechenden Beschlüsse ein politischer Diskurs entbrannt<br />

ist, in dem Meinungen und Welten teilweise unvereinbar aufeinander<br />

prallen, kann man auch positiv sehen: Es gibt Menschen, die sich aktiv<br />

am gesellschaftlichen Auseinandersetzungsprozess beteiligen. Das ist gut<br />

so, allerdings sollten wir alle eines schnell begreifen und danach handeln:<br />

Die Kosten frühkindlicher Bildung sind Investitionen, die sich später<br />

auszahlen – und Bildung und Betreuung <strong>von</strong> Kindern ist eine gesamtgesellschaftliche<br />

Aufgabe.<br />

Alfons Scheitz und Oliver Strube<br />

Geschäftsführer GFK e.V. und GFKS mbH & Co<br />

Redaktion: Gundula Zeitz<br />

zeitz@e-impuls.de<br />

Tel.: 0561-7 03 42-16<br />

Fotos: Jörg Lantelmé,<br />

Solkids, pivat<br />

Gestaltung: optische anstalten<br />

Druck: Grafische Werkstatt


„Wer in Krippen investiert,<br />

investiert in die Zukunft“<br />

Im Gespräch mit Dr. Ilse Wehrmann über ein antiquiertes<br />

Familienbild, den Nachholbedarf bei frühkindlicher Bildung<br />

– und über vorbildliche Krippenkonzepte<br />

Die Bildung und Betreuung <strong>von</strong> Kindern im Vorschulalter ist eine<br />

gesamtgesellschaftliche Aufgabe, sagt Dr. Ilse Wehrmann. Die Diplom-Sozialpädagogin<br />

berät die Daimler AG beim bundesweiten Aufbau<br />

der „sternchen“-Krippen für Kinder <strong>von</strong> Mitarbeitern, die unter<br />

anderem auch <strong>von</strong> der <strong>Gesellschaft</strong> für <strong>Kinderbetreuung</strong> und Schule<br />

mbH & Co. KG (GFKS) betrieben werden. Dr. Wehrmann sieht in<br />

Deutschland einen großen Nachholbedarf vor allem bei Kindertagesstätten<br />

und Krippen für Kinder unter drei Jahren. Denn schon<br />

die Kleinsten können, so die Expertin, <strong>von</strong> einer Betreuung in der<br />

Krippe profitieren – wenn die Bedingungen stimmen.<br />

spiel / raum: Wer sein Baby in eine Krippe gibt, erntet dafür oft Kritik, sogar<br />

<strong>von</strong> „Rabenmüttern“ ist die Rede. Frau Dr. Wehrmann, was halten Sie<br />

<strong>von</strong> dieser Diskussion?<br />

Dr. Ilse Wehrmann: Das ist eine rein deutsche Diskussion. Dass arbeitende<br />

Mütter in Deutschland als Rabenmütter galten und vielfach auch<br />

noch gelten, hat mit einem antiquierten Mutter- und Familienbild zu<br />

tun. Mit einem männlichen Ernährermodell, bei dem die Rollen klar verteilt<br />

sind zwischen einem berufstätigen Vater als Alleinernährer und einer<br />

für den Haushalt sorgenden Mutter. Für ein aufgeschlossenes Familienbild<br />

gibt es hierzulande keinen Konsens. Da hängen wir 20 Jahre<br />

hinter anderen europäischen Ländern hinterher, in denen ein weitgehender<br />

gesellschaftlicher Konsens <strong>zur</strong> Vereinbarkeit <strong>von</strong> Familie und<br />

Beruf besteht. In Länder wie etwa Frankreich oder Finnland sind berufstätige<br />

Mütter viel häufiger anzutreffen. Und den Kindern scheint<br />

dies nicht schlecht zu bekommen: Finnland zum Beispiel, mit einem<br />

sehr hohen Anteil berufstätiger Mütter, war Sieger in der PISA-Studie.<br />

spiel / raum: Nicht erst seit der PISA-Studie ist das deutsche Bildungssystem<br />

in der Kritik. Nahezu jede Schulform wie auch Lehrer, Eltern und<br />

Schüler haben inzwischen, salopp gesagt, ihr Fett abbekommen. Fragen<br />

nach den Ursachen führen unter anderem an den Beginn des Bildungsweges,<br />

in die Kindertagesstätten. Die seien nicht auf der Höhe der Zeit, heißt<br />

es. Ist das so?<br />

Dr. Ilse Wehrmann: Der Nachholbedarf im Bereich der frühkindlichen<br />

Bildung, Erziehung und Betreuung in Deutschland ist überwiegend auf<br />

das allzu lange vertretene Familienmodell <strong>zur</strong>ückzuführen, nach dem für<br />

die Erziehung und Betreuung vor allem die Familie und für die Bildung<br />

Dr. Ilse Wehrmann<br />

Die 57-jährige Diplom-Sozialpädagogin, die<br />

2007 mit der Dissertation „Bildungspläne als<br />

Steuerungsinstrumente der frühkindlichen<br />

Erziehung, Bildung und Betreuung.<br />

Zur Rolle der Bildungspläne im Rahmen des<br />

Reformbedarfs“ promovierte, ist Sachverständige<br />

für Frühpädagogik und seit 2007 als<br />

freie Beraterin tätig.<br />

Zuvor war sie 31 Jahre lang Geschäftsführerin<br />

der Evangelischen Kindergärten in Bremen<br />

und, <strong>von</strong> 2000 bis 2005, Vorsitzende der<br />

Bundesvereinigung evangelischer Tageseinrichtungen<br />

für Kinder e.V. (BETA). Auch ein<br />

Kindertagesheim leitete sie mehrere Jahre –<br />

im Anschluss an die Ausbildung <strong>zur</strong> staatlich<br />

geprüften Erzieherin und das Studium an der<br />

Hochschule für Sozialpädagogik in Bremen.<br />

Neben ihrer Berufstätigkeit absolvierte sie<br />

Sozial-, Chance- und Qualitätsmanagements-<br />

Ausbildungen. Sie begleitete verschiedene<br />

Projekte <strong>von</strong> Stiftungen und Universitäten<br />

zum Thema Kindertagesstätten und frühkindliche<br />

Bildung. Zuletzt hat sie für die Daimler<br />

AG ein Fachkonzept für die „sternchen-Kinderkrippen“<br />

verfasst.<br />

Derzeit berät und begleitet sie die Entwicklung<br />

und Umsetzung des Gesamtprojekts und<br />

arbeitet an einem Qualitätshandbuch, das als<br />

Anleitung <strong>zur</strong> Umsetzung der strukturellen,<br />

inhaltlichen und pädagogischen Qualitätsstandards<br />

in Krippen dienen soll.<br />

www.ilse-wehrmann.de<br />

3


4<br />

die Schule zuständig sei. Aber Bildung beginnt nicht erst mit<br />

dem Eintritt in die Schule, sondern <strong>von</strong> Anfang an, mit der<br />

Geburt. Deutschland hat nicht nur ein Problem mit der Vereinbarkeit<br />

<strong>von</strong> Familie und Beruf, sondern auch mit der Bildung.<br />

Bildung ist die einzige und wichtigste Ressource<br />

unseres rohstoffarmen Landes, dessen wirtschaftliche Kraft<br />

und Position als Exportweltmeister jahrzehntelang auf der<br />

Entwicklung <strong>von</strong> Spitzentechnologie beruhte – das hat dieses<br />

Land allzu lange außer Acht gelassen. Die Investition in<br />

frühkindliche Bildung ist eine Investition in die Zukunft.<br />

spiel / raum: Immerhin soll ja nun die Zahl der Betreuungsplätze<br />

für unter dreijährige Kinder bis 2013 auf 750.000 Plätze erhöht<br />

werden – reicht das?<br />

Dr. Ilse Wehrmann: Das Angebot frühkindlicher Betreuung vor<br />

allem für Kinder unter drei Jahren hierzulande ist nicht nur<br />

quantitativ, sondern auch qualitativ un<strong>zur</strong>eichend. Wir brau-<br />

„Wach, neugierig, klug – Kinder unter 3“<br />

Grundlage für das Konzept der betrieblichen Kindertagesbetreuung der<br />

Daimler AG ist der in England neu entwickelte Bildungsplan „Birth of<br />

three matters“, der die Bildungs- und Erziehungsqualität in den Mittelpunkt<br />

stellt. Die deutsche Fassung ist im Sommer 2006 mit dem Titel<br />

„Wach, neugierig, klug – Kinder unter 3“ bei der Bertelsmann-Stiftung<br />

erschienen. Dabei handelt es sich um ein Medienpaket für Kitas, Tagespflege<br />

und Spielgruppen. Es beinhaltet eine Einführungsbroschüre <strong>zur</strong><br />

Erläuterung des Gesamtkonzepts, 16 Themenkarten mit Informationen<br />

und Impulsen für die praktische Arbeit, einen Film auf DVD mit Darstellungen<br />

<strong>von</strong> Kindern und Erwachsenen in unterschiedlichen Situationen<br />

und gemeinsamen Settings, eine CD-Rom mit ergänzenden fachbezogenen<br />

Informa-tionen, fachwissenschaftlichen Beiträgen und einer Liste<br />

<strong>von</strong> Fachliteratur und relevanten Medien sowie ein Poster mit einer grafischen<br />

Übersicht des Konzepts.<br />

Herausgeber: Bertelsmann Stiftung, Staatsinstitut für Frühpädagogik,<br />

1. Auflage: April 2006,<br />

ISBN-10: 3892048835, ISBN-13: 978-3892048831, 35 u<br />

www.bertelsmann-stiftung.de<br />

www.kinder-frueher-fördern.de<br />

chen eine grundlegende Reform, um wieder Anschluss an internationale<br />

Standards zu finden. Andere Länder in Europa<br />

und weltweit haben sich Mitte der neunziger Jahre auf den<br />

Weg gemacht zu verbindlichen Bildungsstandards und auch<br />

zu anderen Ausbildungsformen, die immer Lehrer und Erzieher<br />

gemeinsam in den Blick nehmen.<br />

spiel / raum: In Deutschland sind die Zuständigkeiten für die<br />

frühkindliche Bildung, Betreuung und Erziehung auf Bund, Länder<br />

und Kommunen verteilt, in manchen Ländern ist das Bildungsministerium,<br />

in anderen das Sozialministerium zuständig …<br />

Dr. Ilse Wehrmann: … und das ist ein Problem. Das deutsche<br />

System ist komplex und hochgradig dezentralisiert. Fakt ist,<br />

dass die Bildungschancen der Jüngsten in diesem Lande, die<br />

in der nächsten Generation Deutschland im internationalen<br />

Wettbewerb konkurrenzfähig halten, letztlich <strong>von</strong> der Finanzkraft<br />

der Kommunen beziehungsweise <strong>von</strong> der Einsicht <strong>von</strong><br />

Bürgermeistern abhängt – und das ist ein Skandal!<br />

spiel / raum: Also sind umfassende Reformen nötig?<br />

Dr. Ilse Wehrmann: Nun, wenn man den Rückstand betrachtet,<br />

den wir international haben, ist hier ist vielleicht sogar eine<br />

Revolution nötig. Dabei sollte dann übrigens auch die Anhebung<br />

des Niveaus der Erzieherausbildung auf Fachhochschuloder<br />

Universitätsniveau in Angriff genommen werden, was in<br />

Frankreich, Finnland oder Schweden längst Praxis ist. Eine so<br />

umfassende Reform ist allerdings eine Herausforderung, die<br />

nicht <strong>von</strong> der Politik allein geschultert werden kann. Sie sollte<br />

<strong>von</strong> allen gesellschaftlichen Gruppen gefördert und getragen<br />

werden. Unternehmen wie die Daimler AG, die in ihren Werken<br />

bundesweit betriebliche Krippen einrichten wird, haben<br />

das erkannt.<br />

spiel / raum: Ein Autobauer, der jetzt Krippen baut – ist das<br />

nicht ungewöhnlich?<br />

Dr. Ilse Wehrmann: Nur auf den ersten Blick. Es ist die Konsequenz<br />

langfristig ausgelegten strategischen Denkens – und<br />

das Geld ist gut angelegt, denn betriebliche Kinderkrippen<br />

bringen auch Einsparpotenziale mit sich, zum Beispiel eine<br />

Reduzierung <strong>von</strong> Fluktuations- und Überbrückungskosten für<br />

Ausfälle, wenn Elternzeit in Anspruch genommen wird. Daimler<br />

hat allerdings die Frage nach den Inhalten und Qualitätsstandards<br />

vor die Kosten gestellt und besonderen Wert darauf<br />

gelegt, dass das Bildungs- und Betreuungsangebot internationalen<br />

Standards entspricht. Ich habe die Hoffnung, dass<br />

die Daimler AG hier Impulse für Deutschland gesetzt hat. Gesamtgesellschaftlich<br />

müssen wir reflektieren, wie viel Wert wir<br />

der Bildung und Erziehung beimessen und welchen Stellenwert<br />

wir der kindlichen Perspektive einräumen.<br />

spiel / raum: Die kindliche Perspektive meinen aber auch jene<br />

einzunehmen, die befürchten, dass bei all der Diskussion frühkindliche<br />

Bildung nun schon Leistungsdruck in der Kita auf-


kommt, dass die Kinder überfordert werden und dass es ja<br />

schließlich nicht nur um die intellektuelle, sondern auch um<br />

emotionale und soziale Entwicklung gehe.<br />

Dr. Ilse Wehrmann: Es geht nicht um Leistungsdruck und auch<br />

nicht darum, die Schule vorwegzunehmen im Kindergarten,<br />

aber es geht darum, nicht mehr nur einer jeden Erzieherin zu<br />

überlassen, wie sie arbeitet. Es müssen verbindliche Bildungsziele<br />

und Bildungsstandards geschaffen werden – und die Bestqualifizierten<br />

müssen im frühkindlichen Bereich eingesetzt<br />

werden, weil hier die Grundlagen für später gelegt werden. Eltern<br />

sollten, denke ich, auch sehen, dass Kinder ganzheitlich<br />

gefördert müssen, und dafür ist die Kita der richtige Ort. Aber<br />

natürlich muss der Kindergarten auch Schonraum sein, muss<br />

Geborgenheit, Emotionalität, Verlässlichkeit vermitteln. Das<br />

ist völlig klar, denn auch das sind wichtige Fundamente für<br />

die Lebenstüchtigkeit <strong>von</strong> Kindern.<br />

spiel / raum: Welche Voraussetzungen müssen Kinderkrippen<br />

erfüllen, damit sie Kindern optimale Bildungs- und Betreuungsmöglichkeiten<br />

bieten?<br />

Dr. Ilse Wehrmann: Es beginnt mit dem ersten Eindruck, der<br />

auch bei Kleinkindern eine wichtige Rolle spielt. Sie brauchen<br />

eine auf ihre Bedürfnisse abgestimmte Eingewöhnungsphase<br />

und Zeit, um sich an die Trennung <strong>von</strong> den Eltern und die<br />

neue Umgebung zu gewöhnen. Studien belegen, dass schon<br />

die Raumgestaltung Einfluss auf das Verhalten und die kindliche<br />

Entwicklung hat: Großzügig ausgestattete Räume zum<br />

Beispiel fördern das Einzelspiel. Eine altersgemäße Ausstattung<br />

und die Möglichkeit, Kindergruppen unterschiedlicher<br />

Größe zu integrieren, wirken sich ebenfalls positiv auf die<br />

Entwicklung aus. Wichtig ist auch, diese Entwicklung zu beobachten<br />

und zu dokumentieren, um die Kinder pädagogisch<br />

optimal zu betreuen und im Bedarfsfall frühzeitig erkennen<br />

zu können, wo sich eventuell ein spezieller Unterstützungsbedarf<br />

abzeichnet. Aber auch die übrigen Rahmenbedingungen<br />

der Krippe müssen stimmen – etwa der Betreuungsschlüssel:<br />

Vier Säuglinge oder sechs Ein- bis Zweijährige<br />

pro Fachkraft sind laut Einschätzung des Netzwerks <strong>Kinderbetreuung</strong><br />

der OECD, der Organisation for Economic Cooperation<br />

and Development, das Maximum.<br />

spiel / raum: All diese Aspekte finden sich in dem fachwissenschaftlichen<br />

Konzept <strong>zur</strong> Erziehung, Bildung und Betreuung für<br />

Kinder unter drei Jahren, das Sie im Auftrag der Daimler AG für<br />

die als „Play and Learning Centers“ bezeichneten Krippen des<br />

Unternehmens verfasst haben. Welches Bildungskonzept liegt<br />

dem zugrunde?<br />

Dr. Ilse Wehrmann: Das Bildungskonzept für die betrieblichen<br />

Krippen der Daimler AG basiert auf dem in Großbritannien für<br />

Kinder unter drei Jahren entwickelten Programm „Sure Start“,<br />

das die Bertelsmann-Stiftung für Deutschland unter dem Titel<br />

„Wach, neugierig, klug – Kinder unter 3“ überarbeitet hat.<br />

Das Konzept stellt Babys und Kleinkinder in den Mittelpunkt,<br />

erkennt die Vielfalt ihrer Lebenssituationen, ihre Individualität,<br />

ihre Entdeckungslust und ihre Leistungen an – und die<br />

Tatsache, dass alle Kinder <strong>von</strong> Geburt an das Bedürfnis haben,<br />

im Austausch mit anderen Menschen zu lernen und die Welt<br />

um sich herum zu erforschen.<br />

spiel / raum: Was sind die Schwerpunkte der pädagogischen Arbeit?<br />

Dr. Ilse Wehrmann: Die pädagogische Arbeit orientiert sich an<br />

den Bedürfnissen und Interessen der Kinder, sie wird bestimmt<br />

<strong>von</strong> altersgemäßen Entwicklungsthemen. Und sie ist gekennzeichnet<br />

durch eine gute Beziehungsqualität zwischen Erzieherin<br />

und Kind sowohl in Bezug auf die psychologische als<br />

auch auf die wissenschaftliche Qualität. Schwerpunkte der<br />

pädagogischen Arbeit sind die Entwicklung der Persönlichkeit,<br />

der Kommunikationskompetenz, der Lernfähigkeit und<br />

des körperlichen, sozialen und emotionalen Wohlbefindens.<br />

spiel / raum: Frau Dr. Wehrmann, wir danken für das Gespräch.<br />

5


6<br />

Ein *sternchen*<br />

im Bauernhof<br />

Ein neues pädagogisches Betreuungskonzept<br />

und hoch flexible Angebote bietet die Kinderkrippe<br />

„sternchen“ der Daimler AG in Sindelfingen.<br />

Betreiber der Einrichtung, die mit 17<br />

Plätzen startete, jedoch auf 80 Plätze erweitert<br />

werden soll, ist die <strong>Gesellschaft</strong> für <strong>Kinderbetreuung</strong><br />

und Schule mbH & Co.KG.<br />

Ein gemütliches Bauernhaus, Obstbäume, Gemüsebeete, ein großer Sandkasten. Sonnengelb gestrichene<br />

Holzschindeln bedecken die Fassade, die Fensterläden sind braun lackiert. Eine große<br />

Scheune, ein lang gestreckter ehemaliger Stall und hohe Bäume begrenzen das gut 5.600 Quadratmeter<br />

große Gelände in unmittelbarer Nähe des Werksgeländes der Daimler AG in Sindelfingen.<br />

Auf einem ehemaligen Bauernhof hat das Unternehmen ein „sternchen“ eingerichtet, eine<br />

Kinderkrippe für unter dreijährige Kinder <strong>von</strong> Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Der Hof, den<br />

Daimler gekauft hat, ist ideal gelegen, denn die Eltern haben kurze Wege zwischen Kinderkrippe<br />

und Arbeitsplatz.<br />

Das Angebot soll Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern den Wiedereinstieg in den Beruf vor Ablauf<br />

der Elternzeit erleichtern und den Anteil <strong>von</strong> Frauen in der Belegschaft weiter steigern – wie<br />

auch an anderen Standorten des Autobauers: Rund 350 Plätze für Kinder unter drei<br />

Jahren will die Daimler AG in Zusammenarbeit mit freien Trägern bis 2009 in betriebsnahen<br />

Kinderkrippen einrichten. „Wir als Unternehmen können es uns<br />

nicht leisten, Mitarbeiter und deren Know how zu verlieren, weil sie eine<br />

Familie gründen. Die <strong>Gesellschaft</strong> kann es sich nicht leisten, dass so<br />

viele Menschen auf Kinder verzichten, weil sie befürchten, Beruf und<br />

Familie nicht vereinbaren zu können“, sagte Dr. Dieter Zetsche,<br />

Vorstandsvorsitzender der Daimler AG und Leiter der Mercedes Car<br />

Group, zum Start der bundesweiten Initiative. Die ersten vier<br />

Krippen „sternchen“ entstanden seit September 2007 an den<br />

Standorten Stuttgart-Untertürkheim, Bremen, Berlin – und<br />

Sindelfingen.<br />

Seit Oktober werden in dieser Einrichtung, die <strong>von</strong> der <strong>Gesellschaft</strong><br />

für <strong>Kinderbetreuung</strong> und Schule mbH & Co.KG (GFKS) betrieben<br />

wird, 17 Kinder in zwei Gruppen <strong>von</strong> acht Betreuerinnen in<br />

Voll- und Teilzeit umsorgt. Bis 2009 soll das Angebot auf 80 Plätze<br />

erweitert werden. „Platz genug haben wir“, schmunzelt Leiterin Angela<br />

Rentschler.<br />

Vom großen Garten aus sieht man das Daimler-Werk. Im Haus herrscht<br />

ruhige Gemütlichkeit. Viel Licht fällt durchdie großen Fenster in die beiden<br />

Gruppenräume, die ihren ursprünglichen Parkettboden behalten haben.<br />

„Jede Gruppe hat zusätzlich einen eigenen Schlafraum – den großen Bewegungs-


aum neben dem Eingang nutzen beide Gruppen gemeinsam“,<br />

erklärt Angela Rentschler, zu deren Team<br />

auch zwei englisch sprechende Erzieherinnen gehören.<br />

Denn auf Bi- und Multilingualität wird großen Wert<br />

gelegt: „Die Zwei- und Mehrsprachigkeit zu fördern<br />

ist einer unserer Bildungsschwerpunkte“, erklärt die<br />

Leiterin. Den Kindern werde die Möglichkeit geboten,<br />

eine Fremdsprache nebenbei spielend mitzulernen.<br />

Weitere Schwerpunkte sind die <strong>Förderung</strong> der<br />

Sprachkompetenz und des Interesses an Naturwissenschaften,<br />

Technik, Musik, Kunst und Bewegung<br />

sowie der Umgang mit anderen Kulturen. Das heißt<br />

konkret: In den „sternchen“ sollen die Kinder so begleitet<br />

und unterstützt werden, dass sie Freude am<br />

Sprechen und am Dialog sowie Interesse an Bilderbüchern,<br />

Sprache und Sprachen entwickeln, dass sie lernen, aktiv zuzuhören<br />

und Gedanken und Gefühle sprachlich differenziert mitzuteilen.<br />

Weil die Kinder ein selbstverständliches Miteinander<br />

verschiedener Sprachen und Kulturen erleben, wird ihr Interesse daran,<br />

andere Sprachen und Kulturen kennenzulernen, sich damit auseinanderzusetzen<br />

und sie zu verstehen, gefördert. „So beschäftigen sie sich mit ihrer<br />

eigenen Herkunft und sie lernen, eigene Einstellungen und Verhaltensmuster zu reflektieren<br />

und mit Unterschieden umzugehen“, so Rentschler.<br />

Auch Bewegungserziehung wird großgeschrieben: „Bewegungserfahrungen sind Sinneserfahrungen“,<br />

erklärt Angela Rentschler, „sie sensibilisieren die Wahrnehmung“. Durch Bewegung<br />

lernten Kinder, sich einzuschätzen, ihre Grenzen auszuloten, ihre Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit<br />

zu stärken und Aggressionen abzubauen. Auch die Begegnung mit bildnerischer<br />

und darstellender Kunst unterstütze die Kinder dabei, ihre Umwelt mit allen fünf Sinnen<br />

bewusst wahrzunehmen. „Sie sollen die Vielfalt an Möglichkeiten erfahren und lernen,<br />

ihre Gefühle und Gedanken in unterschiedlichen Darstellungsformen auszudrücken“, so die<br />

Leiterin. Nicht zuletzt sollen die Kinder ihre Freude am Umgang mit Formen, Mengen, Zahlen<br />

sowie Raum und Zeit entdecken – und darauf aufbauend unter anderem ein grundlegendes<br />

Verständnis für Relationen entwickeln.<br />

Das pädagogische Konzept des Sindelfinger „sternchen“ wie auch aller anderen betrieblichen<br />

Krippenangebote der Daimler AG entspricht neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen. Zur<br />

Entwicklung des Konzepts, das auf dem in Großbritannien entwickelten Programm „Sure<br />

Start“ basiert, engagierte der Konzern die Sachverständige für Frühpädagogik Dr. Ilse Wehrmann.<br />

Die ehemalige Geschäftsführerin der Evangelischen Kindergärten in Bremen begleitet<br />

überdies die Umsetzung des Gesamtprojekts – und sie hat ein Qualitätshandbuch verfasst,<br />

das als Anleitung dient, strukturelle, inhaltliche und pädagogische Qualitätsstandards umzusetzen.<br />

Dr. Wehrmann lobte in ihrer Rede <strong>zur</strong> Eröffnung des Sindelfinger „sternchen“ den Konzern,<br />

der eine Vorreiterrolle einnehme und genügend Geld investiere, um eine qualitativ<br />

hochwertige und dem Alter der Kinder angemessene Betreuung zu gewährleisten. Lob hatte<br />

die Expertin freilich auch für die GFKS: Ein so engagiertes Konzept sei nur mit engagierten<br />

und vor allen Dingen innovativen Trägern zu realisieren, so Dr. Wehrmann. ::: Gundula Zeitz<br />

GFKS übernimmt<br />

weitere Einrichtungen<br />

Die <strong>Gesellschaft</strong> für <strong>Kinderbetreuung</strong><br />

und Schule mbH & Co.KG wird noch<br />

an zwei weiteren Standorten für die<br />

Daimler AG eine betriebliche <strong>Kinderbetreuung</strong><br />

aufbauen, und zwar in:<br />

Gaggenau, wahrscheinlicher Betriebsbeginn<br />

1. August 2008, mit drei<br />

Gruppen, 24 Kinder (0-3 Jahre)<br />

Kassel, wahrscheinlicher Betriebsbeginn<br />

15. September 2008,<br />

für 60 Kinder, da<strong>von</strong> drei Gruppen<br />

24 Kinder (0-3 Jahre)<br />

7


8<br />

Guter Start ins Kita-Leben<br />

Schon für die Kleinsten kann die Kita zum spannenden Ort des Lernens und Entdeckens werden, wenn<br />

sie sich auf die Bedürfnisse der Kinder einstellt. Dies geschieht in den Einrichtungen der GFK und GFKS,<br />

in denen <strong>von</strong> derzeit rund 800 betreuten Kindern etwa 180 jünger als drei Jahre sind. Wichtiger Baustein<br />

für eine glückliche Kita-Zeit ist eine behutsame Eingewöhnungsphase.<br />

Emma versteckt sich hinter Mamas<br />

Beinen. In einer Faust ihr „Schnuffeltuch“,<br />

in der anderen einen<br />

Rockzipfel. Mit großen Augen mustert<br />

die Zweijährige die anderen<br />

Kinder, die mit Fingerfarben große<br />

Papierbögen bearbeiten. An zwei<br />

Nachmittagen haben Emma und<br />

ihre Mutter nun schon die Kita erkundet.<br />

Minutenlang und unbedrängt<br />

beobachtet das Mädchen<br />

jetzt, was geschieht. „Da, guck“,<br />

sagt Emma schließlich zögernd<br />

und zeigt auf die bunten Farbtöpfchen.<br />

Nun nimmt die Erzieherin<br />

Kontakt zu der Kleinen auf:<br />

„Möchtest Du es auch versuchen?“,<br />

fragt sie. „Nein!“, meint Emma,<br />

tapst dann aber doch zum Tisch.<br />

Ein Blick <strong>zur</strong>ück: „Mama?“ Mama lächelt. Plötzlich tunkt<br />

Emma ganz langsam einen Finger in die Farbe – und wenig<br />

später zieht sie mit beiden Händen bunte Kringel auf dem<br />

Papier: „Guck mal!“, ruft sie und wendet sich der Erzieherin<br />

zu. Mama bleibt im Hintergrund; nach einer Stunde gehen<br />

die beiden heim.<br />

Morgen, übermorgen, eine Woche oder länger, wenn es sein<br />

muss: Zunächst werden Mutter und Tochter gemeinsam kommen<br />

und wieder gehen, schrittweise und im eigenen Tempo<br />

wird Emma „ihre“ Kita erobern. Irgendwann wird Emmas Mutter<br />

zwischendurch im Nebenraum verschwinden, die Erzieherin<br />

wird genau beobachten, wie die Kleine das aufnimmt.<br />

Gemeinsam werden Mutter und Erzieherin überlegen, wann<br />

und wie die Trennungsphasen ausgedehnt werden können,<br />

damit die Eingewöhnung ohne Stress verläuft.<br />

„Der Übergang aus der Familie in eine Krippe ist für Kinder<br />

und Eltern eine Herausforderung“, sagt Susanne Hägele, Leiterin<br />

der GFK-Kita „SOLKids“ (Solvay GmbH Hannover). „Von<br />

der ersten Zeit hängt es ab, ob sich das Kind auf Dauer in<br />

der Kita wohl fühlt und ohne Ängste in die Gruppe kommt“.<br />

Deshalb wird in den Einrichtungen der GFK und GFKS besonderer<br />

Wert auf die Eingewöhnung gelegt. Unter anderem bekommt<br />

jedes Krippenkind eine Bezugserzieherin, die eine<br />

Bindung zum Kind aufbaut. Vor allem in der ersten Zeit wird<br />

darauf geachtet, dass das Kind zu den Arbeitszeiten dieser<br />

Erzieherin in die Kita kommt – und dass im Notfall immer<br />

dieselbe Ersatzperson <strong>zur</strong> Verfügung steht.<br />

„Wenn das Kind die Erzieherin als ‚sichere Basis‘ akzeptiert,<br />

kann es die neue Umgebung angstfrei und neugierig erforschen“,<br />

erklärt Nicole Schöffel, die mit Sabrina Emminghaus<br />

die öffentliche GFK-Krippe „Waldmäuse“ in Kassel leitet. „Die<br />

Bezugserzieherin unterstützt das Kind, sodass es Vertrauen in<br />

seine Umgebung und auch Selbstwertgefühl erwerben kann“,<br />

sagt Sabrina Emminghaus. Die Bezugserzieherin lade Familien<br />

schon vor der Aufnahme des Kindes zu Gesprächsnachmittagen<br />

ein, um Ängste auch bei den Eltern abzubauen, erklärt<br />

Alexandra Hauke. Die Leiterin des Hella-Kinderhauses, das die<br />

GFK für die Hella KGaA Hüeck & Co in Lippstadt betreibt, rät<br />

Eltern, das Kind bereits etwa einen Monat bevor sie die Arbeit<br />

wieder aufnehmen wollen, in die Krippe zu bringen,<br />

„damit sie notfalls <strong>zur</strong> Verfügung stehen.“<br />

Wenn die Krippenkinder <strong>von</strong> Anfang an liebevolle Zuwendung<br />

spürten, gelinge die Eingewöhnung, meint Nicole Javaid, im<br />

Kasseler Montessori-Kinderhaus Wunderland für die unter<br />

Dreijährigen zuständig. Notwendig seien aber auch Rückzugsräume<br />

für die Kleinsten. Die gibt es in allen altersgemischten<br />

Gruppen der GFK und GFKS: „Wichtig ist es, im Alltag<br />

räumlich und zeitlich Bereiche zu schaffen, in denen die<br />

Kleinen, aber auch die Großen mal unter sich sind“, sagt Andrea<br />

Löher, Leiterin der reggio-orientierten GFK-Kita Casa<br />

Bambini in Kassel „So würden die Kleinsten zum Beispiel beim<br />

gemeinsamen Turnen untergehen.“ Sie generell aus altersgemischten<br />

Gruppen herauszunehmen, sei aber nicht sinnvoll,<br />

sagt Löher: „Die Kleinen lernen viel <strong>von</strong> den Großen – und<br />

umgekehrt“. ::: Gundula Zeitz


Damit Damit Babys<br />

Babys<br />

am am Ball Ball bleiben<br />

bleiben<br />

Prager Eltern-Kind-Programm<br />

im Kinderhaus KIWI<br />

Montag, 16 Uhr: Acht kleine Nackedeis, alle so um die fünf,<br />

sechs Monate alt, quietschen vor Vergnügen. Sie liegen auf<br />

Wasserbällen, die kleinen Füße berühren die weichen Matten<br />

auf dem Boden. Von Mama gehalten, stoßen sich die Kleinen<br />

ab, um an das Spielzeug zu kommen, das vor ihnen auf dem<br />

Boden liegt. Geschafft: Eine Hand nach der anderen streckt<br />

stolz eine Rassel in die Höhe.<br />

Was auf den ersten Blick aussieht wie ein Treffen befreundeter<br />

Mütter mit ihren Babys, ist eine besondere Zeit für die Kinder,<br />

hinter der sich das Prager Eltern-Kind-Programm, kurz PEKiP,<br />

verbirgt. Das Programm basiert auf einem Konzept des Kinderarztes<br />

und Psychologen Jaroslaw Koch (1910-79), der Ende<br />

der 1960er Jahre am „Institut für Mutter und Kind“ in Prag<br />

forschte und „Spiel- und Bewegungsanregungen“ entwickelte,<br />

um Kinder in ihrer Entwicklung zu unterstützen, sie „in ihrer<br />

Ganzheit zu entfalten“.<br />

„Babies brauchen Zeit mit und Kontakt zu den Eltern, um eine<br />

intensive Bindung entwickeln zu können“, sagt Susanne Brückner.<br />

Die Erzieherin im Kinderhaus KIWI der GFK e.V. hat<br />

eine Zusatzausbildung <strong>zur</strong> PEKiP-Gruppenleiterin absolviert<br />

und bietet in der Betriebskita der Wintershall Holding AG<br />

seit März 2006 Kurse an. „Beim PEKiP geht es darum, den<br />

Aufbau einer positiven Beziehung zwischen Eltern und Kind<br />

durch gemeinsames Erleben <strong>von</strong> Bewegung, Spiel und Freude<br />

zu unterstützen“, erklärt sie. Jede Gruppe besteht aus maximal<br />

acht Erwachsenen mit ihren Babys, wobei darauf geachtet<br />

wird, dass die Kleinen, die ab der achten Woche teilnehmen<br />

können, in etwa gleich alt sind. Die Gruppen treffen sich über<br />

einen Zeitraum <strong>von</strong> einem Jahr einmal pro Woche für je 90<br />

Minuten in einem Raum, in dem weiche Matten auf dem Bo-<br />

den liegen. Der Raum wird so gut geheizt, dass die Babys<br />

ausgezogen werden können. Das gehört dazu: „Die Kleidung<br />

hemmt die Körperwahrnehmung. Die Kleinen sind weniger<br />

eingeengt und viel mobiler“, erklärt Susanne Brückner.<br />

„Ich erlebe die Kinder in Aktion und schaue mir den jeweiligen<br />

Entwicklungsstand an. Dann zeige ich den Eltern, welche<br />

Anregungen sie in der jeweiligen Situation geben können“, so<br />

die Erzieherin. Die Babys werden nicht passiv bewegt, sondern<br />

dazu angeregt, selbst etwas zu tun. Strampelt ein Baby beispielsweise<br />

in der Rückenlage mit den Beinen, kann die Mutter<br />

ihm einen Wasserball an die Fußsohlen halten, so dass<br />

das Baby gegen den Ball tritt. „Es fühlt die Berührung am<br />

Fuß, sieht, wie sich der Ball bewegt und stellt irgendwann<br />

fest, dass es diese Bewegung selbst verursacht. Das bringt viel<br />

Spaß und erste Erfolgserlebnisse“, erklärt Susanne Brückner.<br />

Soziale Kontakte zu anderen „Knirpsen“ knüpfen, die liebevolle<br />

Beziehung <strong>zur</strong> Mutter oder zum Vater vertiefen, lernen,<br />

ohne dabei eine Norm erfüllen zu müssen – PEKiP hat verschiedenste<br />

Ziele. Um diese zu erreichen, wird das Baby genau<br />

beobachtet. Mag es Neues ausprobieren oder sich lieber<br />

nur mal umschauen, was die anderen so machen? Hat es<br />

Hunger und will lieber gestillt werden oder mal zum „Nachbarn“<br />

rüber krabbeln? Für Kursleiterin Susanne Brückner sind<br />

die Bewegungen und Gefühlsäußerungen des Babys der<br />

Schlüssel zu seinen Bedürfnissen – und ein Hinweis darauf,<br />

welche Entwicklungsphase es gerade durchläuft. „Ich möchte<br />

die Sensibilität der Eltern für ihre Babys stärken“, sagt Susanne<br />

Brückner, „so können sie gezielter auf die Bedürfnisse<br />

ihres Kindes eingehen – aber auch erfahren, was es schon alles<br />

alleine kann.“<br />

In jeder PEKiP-Einheit bietet Susanne Brückner auch ein Treffen<br />

mit den Vätern an: Dann verbringen sie die 90 Minuten<br />

mit ihren Kindern, während die Mütter gemütlich Kaffee trinken.<br />

„Aus dem Alltag herauszutreten, sich einmal eineinhalb<br />

Stunden intensiv Zeit zu nehmen für das jüngste Familienmitglied,<br />

das ist für die Väter oft eine neue und sehr positive Erfahrung“,<br />

sagt Susanne Brückner. Ein reines „Väter-PEKiP“ sei<br />

aber bislang nicht zustande gekommen, bedauert sie.<br />

::: Gundula Zeitz<br />

9


10<br />

Neue Welten entdecken<br />

Betriebliche <strong>Kinderbetreuung</strong> der VWFS AG startet im März<br />

Seit Dezember vergangenen Jahres kümmert sich Norbert Herschel mit darum,<br />

dass zum Start der betrieblichen <strong>Kinderbetreuung</strong> der Volkswagen Financial<br />

„Was wir wollen“<br />

Ziele des pädagogischen Konzeptes<br />

Services AG (VWFS) in Braunschweig am 28. März alles parat ist. Die<br />

Kita, die <strong>von</strong> der <strong>Gesellschaft</strong> für <strong>Kinderbetreuung</strong> und Schule (GFKS)<br />

Wir üben und vertiefen das soziale<br />

betrieben wird, greift den sogenannten „Situationsansatz“ auf.<br />

Verhalten.<br />

„Kinder sind ihre eigenen Bildungsmanager“, sagt Norbert Herschel, „sie sind<br />

Wir erweitern den Horizont, indem wir die<br />

<strong>von</strong> sich aus neugierig und daran interessiert, sich die Welt zu erschlie-<br />

Kinder neue Welten entdecken lassen.<br />

ßen“. Die vielen Fragen und Ideen der Kinder spontan aufzunehmen und<br />

Wir helfen den Kindern, selbstständig<br />

sie gemeinsam mit ihnen weiterzuentwickeln, auch darum gehe es beim<br />

zu werden.<br />

„Situationsansatz“: „Wenn ein Kind eine Schwalbe baut und dabei fragt,<br />

Wir geben den Kindern Anregungen, Raum<br />

und Möglichkeiten, ihre eigene Fantasie<br />

und Kreativität auszudrücken.<br />

‚warum fliegt die eigentlich‘, dann sagen wir nicht ‚das klären wir morgen‘<br />

– wir kümmern uns gleich darum. Und wir geben den Kindern Anregungen,<br />

Raum und Möglichkeiten, ihre eigene Fantasie und Kreativität<br />

auszudrücken“, erklärt der 39-jährige Diplom-Sozialpädagoge und<br />

Wir wollen den Kindern helfen, kulturelle<br />

Master of Social Management. Seit Dezember 2007 leitet der Vater<br />

Schranken zu überwinden und global zu<br />

dreier Kinder, der zuvor Fachberater für 40 Kindertagesstätten der<br />

denken.<br />

Arbeiterwohlfahrt (AWO) in Hannover war, die betriebliche Kinderbetreu-<br />

Wir beginnen das Vorschulprogramm<br />

am ersten Kindergartentag!<br />

ung der VWFS-AG.<br />

Wir wollen den Kindern unsere Muttersprache<br />

weitergeben und eine oder mehrere<br />

weitere Fremdsprachen hinzufügen.<br />

Der in Braunschweig ansässige größte automobile Finanzdienstleister<br />

Europas hat ehrgeizige Pläne: Bis 2009 sollen 170 Plätze für Mitarbeiterkinder<br />

geschaffen werden, da<strong>von</strong> 140 Plätze in acht Gruppen für Null- bis<br />

Sechsjährige und 30 Plätze in zwei Gruppen für Schulkinder. Mit 60 Kindern<br />

Wir wollen Stabilität und Flexibilität<br />

vermitteln.<br />

in zwei Krippengruppen (null bis drei Jahre) und zwei altersgemischten Gruppen<br />

(null bis sechs Jahre) startet die Einrichtung, für die das Unternehmen in unmittelbarer<br />

Nähe einen zweigeschossigen Neubau mit kind- und altersgerechten Räumlichkeiten<br />

errichten ließ – auf einem gut 6.000 Quadratmeter großen Grundstück. Das Gelände<br />

dürfte, wenn alles fertig ist, ein kleines Paradies für Kinder sein – soll es doch unter anderem so<br />

Verlockendes wie Kletterhügel, eine Kiesmulde sowie einen Matschsandplatz mit Wasserpumpe


und damit jede Menge Raum für Entdeckungen bieten.<br />

Sogar ein Windrad wird gebaut – und Regenwasser<br />

wird einen Bach entstehen lassen.<br />

„Hier wird es viele Möglichkeiten und Anregungen geben,<br />

sich zu bewegen“, sagt Norbert Herschel. Bewegungsförderung<br />

ist ihm besonders wichtig, doch es<br />

gibt weitere Schwerpunkte: „Wir werden ganz viel musizieren,<br />

einen kleinen Chor aufbauen, es werden<br />

durch native speakers spielerisch erste Englischkenntnisse<br />

vermittelt und wir wollen das Interesse an Naturwissenschaften<br />

fördern“, so Herschel. „Letztlich<br />

geht es darum, den Horizont der Kinder zu erweitern,<br />

indem wir sie selbst neue Welten entdecken lassen,<br />

die Themen aufgreifen, die sie bewegen – und ihnen<br />

dabei helfen, selbstständig zu werden“, erklärt der<br />

Kita-Leiter, der die Einrichtung wie ein kleines Unternehmen<br />

führen muss: Über 40 Mitarbeiterinnen und<br />

Mitarbeiter wird er am Ende haben. Dabei weist er darauf hin, dass er froh über<br />

die gute Arbeit der stellvertretenden Leiterin Iris Loerke und der engagierten<br />

Ansprechpartner im Unternehmen ist.<br />

Ein großes Team ist nötig, denn die Kita wird während des ganzen Jahres <strong>von</strong> montags<br />

bis samstags zwischen sieben und 18 Uhr geöffnet sein, den Eltern die Möglichkeit<br />

bieten, kurzfristig Stunden zuzubuchen – und in den Krippengruppen werden<br />

statt der gesetzlich vorgesehenen zwei Erzieherinnen drei eingesetzt, die 15<br />

Kinder betreuen. In den altersgemischten Kindergartengruppen mit bis zu 18 Kindern<br />

orientiert sich die betriebliche <strong>Kinderbetreuung</strong> der VWFS AG zwar am Gesetz<br />

über Tageseinrichtungen für Kinder (KitaG), das einen Personalschlüssel <strong>von</strong> zwei<br />

Erzieherinnen pro Gruppe vorsieht, aber es sollen zusätzlich nach und nach Sport-,<br />

Kunst- und Sprachpädagogen eingestellt werden.<br />

Bereits Ende März wird in der neuen Kita ein erstes Treffen für Eltern und ihre Kinder<br />

angeboten, damit die Kinder sich besser eingewöhnen, wenn es dann ab April<br />

so richtig losgeht. „Da nicht nur für die Kleinen alles neu sein wird, legen wir auf<br />

eine gute Eingewöhnungsphase besonderen Wert“, so Herschel, „wir raten insbesondere<br />

den Eltern der Kleineren, dass sie für die Eingewöhnung mindestens zwei<br />

Wochen einplanen, damit weder für die Kinder noch für die Eltern zu viel Druck<br />

entsteht“. Ganz im Gegenteil: Ziel sei, so Herschel, dass die Kita für die Mädchen<br />

und Jungen ein zweites Zuhause werde: „Die Kinder sollen sich bei uns geborgen<br />

fühlen“. ::: Gundula Zeitz<br />

Norbert Herschel, Leiter der betrieblichen<br />

<strong>Kinderbetreuung</strong> der VWFS AG:<br />

Der Situationsansatz…<br />

„… ist ein anspruchsvolles pädagogisches und<br />

modernes Konzept, das die Kinder auf Anforderungen<br />

des Lebens vorbereitet. Dabei wird das<br />

Ziel verfolgt, Kinder unterschiedlicher sozialer<br />

und kultureller Herkunft darin zu unterstützen,<br />

ihre Lebenswelt zu verstehen und selbstbestimmt,<br />

kompetent und verantwortungsvoll zu<br />

gestalten. Der Situationsansatz ist im Elementarbereich<br />

das am meisten umgesetzte pädagogische<br />

Konzept.“<br />

„Die Volkswagen Financial Services AG nimmt sich der Thematik Vereinbarkeit <strong>von</strong> Familie und<br />

Beruf bereits seit vielen Jahren an. Seit 1999 unterstützen wir berufstätige Eltern bei der <strong>Kinderbetreuung</strong>.<br />

Mit der Errichtung einer qualitativ hochwertigen und bedarfsgerechten Einrichtung<br />

<strong>zur</strong> betrieblichen <strong>Kinderbetreuung</strong> setzen wir – gemeinsam mit der Arbeitnehmervertretung<br />

– diesen innovativen Weg fort und übernehmen Verantwortung. Wir helfen damit aktiv<br />

unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vor allem bei der Kleinkindbetreuung – im Übrigen<br />

unabhängig <strong>von</strong> aktuellen politischen Debatten. Betriebliche <strong>Kinderbetreuung</strong> ist darüber<br />

hinaus - im Kampf um hoch qualifizierte Köpfe der Zukunft eines internationalen Unternehmens<br />

wie der Volkswagen Financial Services AG – ein „harter“ Standortfaktor und vor dem<br />

Hintergrund der demographischen Entwicklung <strong>von</strong> zunehmender Bedeutung.“<br />

Elke Eller, Mitglied des Vorstandes der Volkswagen Financial Services AG<br />

und verantwortlich für Personal und Organisation.<br />

11


12<br />

GLUCKE<br />

gegen RABENMUTTER<br />

Mama oder Krippe: Sehr emotional wird diskutiert, ob es Babys und<br />

Kleinkindern schadet oder nützt, wenn sie in einer Kita betreut werden.<br />

Forschungsergebnisse halten sich dabei sowohl Befürworter als auch<br />

Gegner unter die Nase – beide nach dem Motto „Wissenschaft ist unantastbar“.<br />

Doch manche vermeintlich klare Ergebnisse der amerikanischen<br />

Studie, die mit Auslöser für den Krippenstreit war, lassen sich beim<br />

zweiten Blick auch anders lesen. So ist das Thema Krippenbetreuung<br />

doch viel differenzierter zu sehen, als es manche Politiker weismachen<br />

möchten.<br />

Sie kennen sich, seit sie selbst im Sandkasten miteinander gespielt haben. Unzertrennlich waren<br />

Jenny und Lene, beste Freundinnen – erst recht, als sie kurz nacheinander ihre Kinder Linus (20<br />

Monate) und Pola (17 Monate) bekamen. Doch dann beschloss Jennifer Gloeger, die – selbstbewusst<br />

und unangepasst – „absolut niemals“ dem Wunschbild konservativer Männer entsprechen<br />

wollte, nach Linus Geburt, ihren Job als Architektin erst einmal an den Nagel zu hängen. Drei<br />

Jahre will sie zu Hause bleiben, vielleicht länger, wenn Linus noch ein Geschwisterchen bekommt.<br />

Marlene Maibaum dagegen, die Marketingfachfrau, die „schon immer“ eine eigene (und<br />

möglichst große) Familie haben wollte, arbeitet längst wieder halbtags: Tochter Pola besucht<br />

seit sie acht Monate alt ist an vier Vormittagen in der Woche eine Krippe. Mit Begeisterung und<br />

ohne jegliche Probleme, versichert Marlene – was Jennifer mit missbilligendem Kopfschütteln<br />

quittiert.<br />

Längst geht es in den endlosen und bisweilen heftigen Diskussionen der beiden 33-jährigen<br />

Mütter nicht mehr darum, was einer emanzipierten Frau und ihrem Kind gut täte: Es geht um<br />

Ideologien. Und Medienberichte über wissenschaftliche Studien, die ihre so gegensätzlichen Positionen<br />

zu untermauern scheinen, haben beide parat. Marlene Maibaum, die fürchtet, unglücklich<br />

zu werden, wenn sie ihren Beruf nicht mehr ausüben kann, glaubt gerne an Untersuchungen, die<br />

versprechen, dass Pola in der Krippe besser sprechen lernt, sozial kompetenter und viel schneller<br />

selbstständig wird als der Sohn ihrer Freundin. Jennifer Gloeger wiederum ist überzeugt, sie müsse<br />

ihre eigene Selbstverwirklichung <strong>zur</strong>ückstellen, weil ein Kind seelischen und geistigen Schaden<br />

nähme, wenn es nicht mindestens drei Jahre lang zu Hause betreut werde.<br />

Auch sie zitiert – etwa den Vorstandsvorsitzenden der „Deutschen Kinderhilfe Direkt“, Georg Ehrmann,<br />

der sich in den Medien <strong>zur</strong> Debatte um Krippenplätze geäußert hat: „Das einjährige Kind


ist, dies belegen alle nationalen und internationalen Bindungsforschungen, auf eine Bezugsperson fixiert<br />

und braucht die Liebe und Bindung als entscheidende Faktoren für eine gesunde und emotional<br />

stabile Entwicklung“, liest Jennifer ihrer Jugendfreundin am Telefon vor, „die zu frühe Verselbstständigung<br />

und Erziehung in der Gruppe schadet dem Kind.“ Dann sind irgendwann die Worte „Glucke“ und<br />

„Rabenmutter“ gefallen – und aus dem einst so engen Verhältnis der beiden 33-jährigen Mütter ist<br />

ein äußerst distanziertes geworden.<br />

Krippenbetreuung schadet nicht<br />

– wenn die Qualität stimmt<br />

Fest steht: Frauen untereinander können gnadenlos sein. Fest<br />

steht auch: Immer wieder wurde <strong>von</strong> „Krippenschäden“ berichtet.<br />

Besteht tatsächlich die Gefahr, dass die psychische<br />

Entwicklung der Kleinen unter der Fremdbetreuung leidet? Einen<br />

umfassenden Überblick zu dem Thema liefert die Zeitschrift<br />

Gehirn&Geist (Ausgabe 11/2007 und Sonderheft „Babys<br />

verstehen und fördern“). Das Fazit: Laut internationalen<br />

Studien schadet die Krippe nicht und bringt insbesondere<br />

Kindern aus sozial benachteiligten Familien sogar Vorteile.<br />

Voraussetzung ist allerdings, dass die Qualität der Betreuung<br />

stimmt – was leider nicht immer der Fall ist.<br />

Auslöser des Krippenstreits war eine Reihe <strong>von</strong> Veröffentlichungen,<br />

die aus einer amerikanischen Langzeituntersuchung<br />

des National Institute on Child Health and Human Development<br />

in Bethesada (USA) resultierten. Im Rahmen der so genannten<br />

„NICHD-Studie“ begleiteten Forscher seit 1991 mehr<br />

als 1000 Kinder <strong>von</strong> Geburt an. 2001 berichteten die Wissenschaftler<br />

erstmals auch über unerfreuliche Nachwirkungen intensiver<br />

frühkindlicher Betreuung außer Haus: Je mehr Zeit<br />

die Kids in den ersten Lebensjahren in der Kita verbrachten,<br />

desto eher fielen sie – laut Einschätzung <strong>von</strong> Eltern, Betreuern<br />

und Lehrern - später im Kindergarten und in der 1. Klasse<br />

als schwierig, fordernd und aggressiv auf. Das lieferte allen<br />

überzeugten Vollzeitmüttern Argumente.<br />

Etwas vorschnell, wie es scheint: Bei genauer Betrachtung der<br />

Ergebnisse zeigte sich, dass das Urteil pauschal gefällt worden<br />

war, in Wirklichkeit waren die Unterschiede bei Weitem<br />

nicht so gravierend. Von jenen Kindern, die seit ihrer Geburt<br />

im Schnitt 30 oder mehr Stunden pro Woche in Fremdbetreuung<br />

waren, benahmen sich gerade einmal 17 Prozent bis ins<br />

Grundschulalter auffällig schlecht. Und immerhin rund sechs<br />

Prozent der daheim betreuten Sprösslinge erhielten ähnlich<br />

miese Betragensnoten.<br />

KOMMENTAR:<br />

Zentrale<br />

Fragen<br />

ungeklärt<br />

Mit Studien ist das so eine Sache.<br />

Oft lassen sich die Ergebnisse<br />

so oder auch anders auslegen<br />

– in Schlagzeilen treffend<br />

fassen lassen sie sich in der Regel<br />

nicht. Die Zwischenergebnisse<br />

der als NICHD-Studie bekannt gewordenen amerikanische<br />

Langzeituntersuchung, in der Forscher seit 1999 mehr als<br />

1000 Kinder <strong>von</strong> Geburt an begleiten, sind nicht ohne weiteres<br />

auf Deutschland übertragbar. Auch werden in vielen Diskussionen<br />

Einzelaspekte aus der Studie herausgegriffen und<br />

bewertet, obwohl zum Beispiel die Kriterien der <strong>von</strong> den erwachsenen<br />

Studienteilnehmern auszufüllenden Bewertungsbögen<br />

unklar sind und wissenschaftlich nicht sauber gearbeitet<br />

wurde.<br />

Kinder profitieren in ihrer kognitiven und psychischen Entwicklung<br />

<strong>von</strong> der Betreuung in qualitativ hochwertigen Krippen<br />

und Kindertagessstätten. Deshalb müssten alle Träger in<br />

ihren Einrichtungen hohe Maßstäbe setzen. Die Qualität muss<br />

stimmen! Das berücksichtigen immer mehr Unternehmen (die<br />

ja auch bei ihren Produkten hohe Qualitätsansprüche verfolgen),<br />

wenn sie eine betriebliche <strong>Kinderbetreuung</strong> einrichten.<br />

Zu hoffen ist, dass eine Sogwirkung einsetzt und es insgesamt<br />

einen Qualitätssprung gibt – auch im Bereich der öffentlich<br />

geförderten Kindertagesstätten. Hochwertige Bildungsarbeit<br />

kostet Geld – doch die Investitionen rechnen sich. Und sie<br />

tragen mit dazu bei zum Beispiel der Jugendkriminalität, die<br />

im Landtagswahlkampf in Hessen und Niedersachsen mal wieder<br />

als Thema bemüht wurde, den Nährboden zu entziehen.<br />

Bildung zahlt sich aus!<br />

Alfons Scheitz, Geschäftsführer <strong>Gesellschaft</strong> <strong>zur</strong> <strong>Förderung</strong><br />

Gehirn&Geist-Autorin Verena Ahne verweist darauf, dass letzt- <strong>von</strong> <strong>Kinderbetreuung</strong> e.V. und <strong>Gesellschaft</strong> für<br />

lich nicht klar werde, was die erwachsenen Studienteilnehmer <strong>Kinderbetreuung</strong> und Schule mbH & Co.KG.<br />

als „aggressiv“ werteten: „Streitet oft mit Erwachsenen“, „widersetzt<br />

sich den Regeln“ … stehe da im Beurteilungsbogen.<br />

Eigentlich recht typische Verhaltensweisen für Vier- bis Sechsjährige, das räume auch Margaret Burchinal<br />

<strong>von</strong> der University of North Carolina ein, die für die statistische Auswertung der Daten zuständig<br />

war. „Vielleicht mögen Lehrer schüchterne Mäuschen einfach lieber als selbstbewusste Buben und<br />

Mädchen, die in der Krippe gelernt haben sich durchzusetzen?“, so Verena Ahne. Die Wiener Kultur-<br />

13


Gehirn&Geist<br />

Babys verstehen und fördern, Neues<br />

psychologisches Wissen zu Schwangerschaft<br />

und Säuglingszeit<br />

(Serie Kindesentwicklung 1)<br />

Schon vor der Geburt ihres Babys zerbrechen<br />

sich viele Mütter und Väter<br />

den Kopf, wie sie ihrem Kind zum bestmöglichen<br />

Start ins Leben verhelfen<br />

können. Eine Menge spannender Antworten<br />

geben neuere Forschungsergebnisse.<br />

Eine Zusammenfassung bietet<br />

die Zeitschrift Gehirn&Geist in einem<br />

Sonderheft. Das Heft enthält die<br />

spannendsten Artikel aus G&G sowie<br />

bisher nicht veröffentlichte Artikel zu<br />

den Themen Schwangerschaft und<br />

Säuglingszeit.<br />

www.gehirn-und-geist.de<br />

14<br />

wissenschaftlerin bemängelt überdies, dass es keine echte Kontrollgruppe gegeben habe –<br />

schließlich habe ja nicht das Los entschieden, welches Kind in die Tagesbetreuung kam: „Vielleicht<br />

sind es ja gerade die schwierigeren Kinder, die <strong>von</strong> ihren überforderten Eltern in der Krippe<br />

dauergeparkt werden?“<br />

Hinzu komme: „Der Zusammenhang zwischen Aufmüpfigkeit und Außer-Haus-Betreuung scheint<br />

über die Beurteilungsjahre nicht stabil“. Nach einem Peak bei den etwa Viereinhalbjährigen sei<br />

der negative Einfluss nach und nach verschwunden und laut neuester Veröffentlichung aus dem<br />

Jahr 2007 bei den Elf- bis Zwölfjährigen „nicht mehr nachweisbar“. Überhaupt verwundere es<br />

eigentlich, meint Ahne, dass nur so wenige Kitakinder negativ auffielen: „Denn laut Studienprotokoll<br />

erfuhren fast die Hälfte <strong>von</strong> ihnen mit eineinhalb und über 60 Prozent mit drei Jahren<br />

eine `schlechte Krippenbetreuung´ mit `fast keiner´ oder nur `ein wenig´ positiver Zuwendung.“<br />

„Frühe Sozialkontakte sorgen für Entwicklungsmöglichkeiten“<br />

Andere internationale Studien zeigen, dass Krippenkinder hinsichtlich ihrer kognitiven und<br />

psychischen Entwicklung <strong>von</strong> einer qualitativ hochwertigen Einrichtung profitieren. „Frühe Sozialkontakte<br />

sorgen für einen Sockel vielfältiger Entwicklungsmöglichkeiten“, schreibt Dr. Wolfgang<br />

Einsiedler im Online-Familienhandbuch: „Die Kinder lernen ihre Umwelt besser kennen, sie<br />

entdecken im sozialen Austausch, dass sie selbst etwas bewirken können, sie erwerben Bewältigungsstrategien<br />

im sozialen und emotionalen Bereich, sie lernen soziale Regeln“, so der Professor<br />

für Grundschulpädagogik an der Universität Erlangen-Nürnberg.<br />

Kinderkrippen schaden einem Kind nicht - wenn die Eltern die Fremdbetreuung in ihre Erziehung<br />

einbauen, meint die Krippenforscherin Lieselotte Ahnert, Professorin für Entwicklungsforschung<br />

an der Universität Köln. Die Argumentation, in den ersten drei Lebensjahren brauche<br />

ein Kind die ständige Betreuung durch die Mutter, weil andernfalls seelische und geistige Schäden<br />

drohten, komme aus der Bindungsforschung und sei schon 50 Jahre alt, so die Psychologin:<br />

„Man hat ursprünglich geglaubt, dass die ausschließliche Beziehung zwischen Mutter und<br />

Kind das Beste sei. Und natürlich ist das Kind auf die liebevolle, konstante Zuwendung der<br />

Mutter angewiesen. In der modernen Forschung ist es aber absolut unstrittig, dass die Autonomiebestrebungen<br />

des Kindes und der Kontakt zu anderen Personen genauso wichtig sind“.<br />

Überdies werde ab dem 18. Monat das Kind als Spielpartner wichtig, weil es Impulse auslöse,<br />

die Erwachsene gar nicht geben könnten. ::: Gundula Zeitz<br />

Große Zustimmung zum Krippenausbau<br />

Der Beschluss des Bundeskabinetts vom September 2007, bis zum Jahr 2013 die Zahl<br />

der Krippenplätze um eine halbe Million auf 750.000 zu erhöhen, hat offenbar breiten<br />

Rückhalt in der Bevölkerung. Dies zeigte eine Umfrage der Mannheimer Forschungsgruppe<br />

Wahlen für das ZDF-Politbarometer im März 2007 – kurz nachdem<br />

Bundesfamilienministerin Ursula <strong>von</strong> der Leyen (CDU) mit dem entsprechenden Vorschlag<br />

an die Öffentlichkeit gegangen war. Danach halten 71 Prozent den Vorstoß für<br />

richtig und nur 27 Prozent für falsch.<br />

In der repräsentativen Umfrage unter 1286 zufällig ausgewählten und telefonisch befragten<br />

Wahlberechtigten äußern sich 44 Prozent unzufrieden mit den Bedingungen<br />

für die Vereinbarkeit <strong>von</strong> Beruf und Familie. Zufrieden zeigen sich 36 Prozent, für 19<br />

Prozent spielt diese Frage keine so wichtige Rolle. Bei denjenigen, die Kinder unter<br />

drei Jahren haben, sind 61 Prozent mit den Möglichkeiten, Beruf und Familie zu vereinbaren,<br />

unzufrieden und nur 33 Prozent zufrieden (unwichtig für sechs Prozent).<br />

Dass die Betreuung <strong>von</strong> unter Dreijährigen außer Haus die Entwicklung der Kinder<br />

eher fördert, glauben 44 Prozent der Befragten, 31 Prozent befürchten dagegen Schaden<br />

für die Entwicklung, 19 Prozent sehen keinen großen Unterschied (weiß nicht:<br />

sechs Prozent). Die Neigung zu einer bestimmten politischen Partei sorgte in dieser<br />

Frage nicht für unterschiedliche Meinungen. ::: Gundula Zeitz


+ Mama, Papa oder Krippe -<br />

„Eine der besten Entscheidungen“<br />

„Es war eine der besten Entscheidungen, die ich getroffen<br />

habe, meinen Sohn Alexander bei den SOLKids anzumelden.<br />

Seit einem Jahr ist er jetzt dort, <strong>von</strong> montags bis donnerstags<br />

zwischen 8 und 16.30 Uhr. Er hat sich sehr schnell eingewöhnt,<br />

er ist ein sehr offenes Kind und war vorher schon<br />

stundenweise bei einer Tagesmutter. Jetzt ist mein Büro direkt<br />

neben dem Kita-Gebäude, das ist praktisch und zeitsparend<br />

für mich. Doch abgesehen da<strong>von</strong> tut Alexander die Kita<br />

so richtig gut. Er ist ein Einzelkind, in unserer Nachbarschaft<br />

wohnen auch kaum Kinder – aber bei den SOLKids hat er<br />

jede Menge Spielkameraden. Ich habe gelesen, dass Kinder in<br />

dem Alter noch gar nicht so richtig zusammen spielen – aber<br />

mit Alexander und den anderen Kindern in der Sternengruppe<br />

erlebe ich das anders, sie beschäftigen sich sehr gut miteinander.<br />

Und Alexander bekommt jede Menge Anregungen,<br />

er nimmt jetzt zum Beispiel an der musikalischen Früherziehung<br />

teil. Manchmal will er noch gar nicht mit nach Hause,<br />

wenn ich ihn abholen will. Von freitags bis sonntags ist Familienzeit,<br />

da machen wir sehr viel mit ihm, aber die Kita ist<br />

sein zweites Zuhause, das ist dort wie in einer großen Fami-<br />

„Ich hätte das Gefühl,<br />

zu viel zu verpassen“<br />

„Für viele Familien sind Krippen sicher wichtig. Oft wird einem<br />

der Wiedereinstieg in den Beruf nicht gerade leicht gemacht,<br />

wenn man länger ausgesetzt hat oder nur halbtags<br />

wieder arbeiten will. Für Kinder aus schwierigen sozialen Verhältnissen<br />

bedeutet zudem die Krippe oft eine bessere <strong>Förderung</strong>.<br />

Erlauben es aber die Lebensumstände den Eltern,<br />

sich in den ersten Jahren selbst um ihr Kind kümmern zu<br />

können oder es durch eine weitere Bezugsperson, etwa eine<br />

Kinderfrau, halbtags betreuen zu lassen, so würde ich dies<br />

immer einer Krippe vorziehen. Denn in Krippen kommt meiner<br />

Meinung nach die intensive, individuelle Betreuung zu<br />

kurz, auf Bedürfnisse des einzelnen Kindes kann oft nicht<br />

genug eingegangen werden. Wenn die Gruppen zu groß sind<br />

und Bezugspersonen zu häufig wechseln, bedeutet das<br />

Stress, ebenso die morgendliche Hektik, wenn Ausschlafen<br />

nicht möglich ist, weil Zeiten rigide eingehalten werden<br />

müssen. Gerade in den ersten Jahren brauchen Kinder viel<br />

Ruhe und eine überschaubare, kleine Welt, die sie schrittweise<br />

erkunden und größer werden lassen. Sie brauchen den<br />

Rückhalt und die Geborgenheit der Familie, um emotional<br />

gefestigt und selbstbewusst zu werden und Vertrauen in die<br />

eigenen Fähigkeiten zu gewinnen. Sozialkompetenz kann ein<br />

Kind auch entwickeln, wenn es mit den Eltern eine Krabbel-,<br />

lie. Alles ist absolut<br />

kindgerecht<br />

und die Erzieherinnen<br />

gehen sehr<br />

liebevoll und natürlich<br />

mit den<br />

Kindern um, alle sind sehr engagiert und haben immer ein<br />

offenes Ohr für uns Eltern – das ist für mich beruhigend. Wir<br />

erfahren auch, was tagsüber los war in der Gruppe – und<br />

manchmal finden wir nachmittags sogar einen USB-Stick zum<br />

Ausleihen mit Fotos der Kinder, da ist dann zu sehen, wie<br />

viel Spaß sie hatten. Alexander war neulich bei einer der üblichen<br />

Vorsorge-Untersuchungen, da hat die Ärztin uns sogar<br />

schriftlich gegeben, unser Sohn sei ‚prima entwickelt‘. Ich<br />

bin überzeugt: Das ist nicht nur unser Verdienst – die SOL-<br />

Kids haben sehr dazu beigetragen“. Heike Witt (39) ist bei<br />

Solvay Arzneimittel in Hannover als Produktmanagerin im Bereich<br />

Marketing und Vertrieb tätig. Sohn Alexander besucht die<br />

betriebsnahe Kindertagesstätte SOLKids, die <strong>von</strong> der <strong>Gesellschaft</strong><br />

<strong>zur</strong> <strong>Förderung</strong> <strong>von</strong> <strong>Kinderbetreuung</strong> e.V. betrieben wird.<br />

Turn-, oder Musikgruppe<br />

besucht,<br />

ebenso durch Geschwister<br />

und spätestens<br />

im Kindergarten.<br />

Ich hätte<br />

das Gefühl, zu viel<br />

zu verpassen, wenn<br />

ich meine Tochter<br />

in eine Krippe geben<br />

würde. Es ist<br />

so schön zu sehen,<br />

wie Marie sich entwickelt,<br />

welche<br />

Fortschritte sie macht, ihre Eigenheiten zu beobachten. Ich<br />

fände es schade, dies anderen zu überlassen. Die ersten Jahre<br />

sind sehr prägend, deshalb möchte ich möglichst viel Zeit<br />

mit meiner Tochter verbringen und bin bereit, anderes <strong>zur</strong>ückzustellen.<br />

Man gewinnt sehr viel und es ist ja nur für<br />

eine (viel zu) kurze, aber dann sehr schöne Zeit.“ Claudia<br />

Reischauer (38) ist Lehrerin. Sie hat ein Jahr nach der Geburt<br />

ihrer Tochter Marie (2) angefangen, wieder stundenweise zu arbeiten.<br />

In dieser Zeit kommt eine Tagesmutter ins Haus.<br />

15


16<br />

„Zu Hause kann man<br />

gar nicht so viel bieten“<br />

„Wenn man seine Kinder in eine Kindertagesstätte gibt, will<br />

man sie ja nicht nur aufbewahrt, sondern auch gefördert und<br />

liebevoll betreut wissen. Und genau das geschieht bei den<br />

SOLKids: Meine beiden Kinder Clara und Constantin sind dort<br />

richtig gut aufgehoben. Die Erzieherinnen sind sehr engagiert,<br />

kompetent und machen viel mit den Kindern, auch ist<br />

die Kita sehr gut und kindgerecht ausgestattet und es gibt<br />

viele Angebote, zum Beispiel Englisch, dann eine Forschergruppe,<br />

eine Theatergruppe und auch musikalische Früherziehung,<br />

dort macht meine dreieinhalbjährige Tochter Clara<br />

mit viel Begeisterung mit. Ich denke manchmal, dass man<br />

den Kindern zu Hause gar nicht so viel bieten kann. Außerdem<br />

profitieren sie ja auch sehr vom Zusammensein mit den<br />

anderen Kindern, das wirkt offenbar motivierend: Constantin,<br />

er ist jetzt 17 Monate alt, kam mit 13 Monaten zu den SOL-<br />

Kids, damals konnte er noch nicht richtig krabbeln. Es hat<br />

keine drei Wochen gedauert und er hatte es raus. Er hat sich<br />

mit der liebevollen Unterstützung der Erzieherinnen sehr<br />

schnell eingelebt, das hätte ich bei ihm gar nicht gedacht,<br />

denn er ist anhänglicher und <strong>zur</strong>ückhaltender als es Clara war,<br />

die wir mit 18 Monaten ohne Probleme in die Krippe bringen<br />

konnten. Nun ist bei beiden zu spüren und zu sehen, dass<br />

„Wir haben Glück. Unsere<br />

Arbeitssituation<br />

erlaubt uns eine geteilte<br />

Elternzeit und<br />

das heißt für Aarons<br />

Mutter und mich: Viel<br />

Zeit für Aaron, aber<br />

auch Zeit für den Beruf.<br />

Und für Aaron heißt<br />

das: Zwei Elternteile,<br />

die Spaß daran haben,<br />

etwas mit ihm zu unternehmen,<br />

und denen<br />

nicht „die Decke auf<br />

den Kopf fällt“, weil<br />

Kind und Haushalt das ganze Leben sind.<br />

Obwohl wir also keine Krippenbetreuung brauchen und auch<br />

nicht in Anspruch nehmen, habe ich keine grundsätzlichen<br />

Vorbehalte gegen die Krippenbetreuung. Warum sollten vereinsamende,<br />

gereizte Väter oder auch Mütter besser für ein<br />

Kind sein als eine gute Betreuungseinrichtung? Außerdem<br />

können Erwachsene nie die Erfahrungen ersetzen, die Kinder<br />

sie richtig gerne in ihren Gruppen sind. Für mich ist es natürlich<br />

eine große Erleichterung, dass es die SOLKids gibt,<br />

auch weil mein Büro in unmittelbarer Nähe ist und ich sofort<br />

<strong>zur</strong> Stelle sein könnte, wenn es Probleme gäbe. Super ist<br />

für mich natürlich auch, dass man im Notfall ganz flexibel<br />

und unkompliziert ein paar zusätzliche Betreuungsstunden<br />

buchen kann.“ Angela Held (40) ist bei Solvay Pharma im Bereich<br />

Global Drug Safety & Surveillance tätig. Ihre Kinder Clara<br />

und Constantin besuchen die betriebsnahe Kindertagesstätte<br />

SOLKids der Solvay GmbH in Hannover, die <strong>von</strong> der <strong>Gesellschaft</strong><br />

<strong>zur</strong> <strong>Förderung</strong> <strong>von</strong> <strong>Kinderbetreuung</strong> e.V. betrieben wird.<br />

„Geteilte Elternzeit statt Krippe“<br />

<strong>von</strong> klein auf nur im Umgang miteinander machen können.<br />

Deshalb besuche ich zum Beispiel mit Aaron einen Spielkreis.<br />

Nach meinen Eindrücken glaube ich, dass vielleicht die Hälfte<br />

der Kinder in diesem Alter (etwa 1 ½ Jahre) in einer Kinderkrippe<br />

gut aufgehoben wären und zu der anderen Hälfte<br />

gehört sicherlich auch Aaron. Seinem Temperament nach ist<br />

er eher etwas schüchtern und die kleinen ‚Übergriffe‘ der anderen<br />

Kinder sind für ihn noch ebenso unerwartet wie dramatisch;<br />

und so sehr er den Besuch der Gruppe liebt, so<br />

schockierend wäre es für ihn heute, wenn ich nicht dabei<br />

bliebe.<br />

Das kann in ein paar Monaten schon ganz anders aussehen,<br />

so ungeheuer schnell wie die Kinder sich entwickeln. Wir<br />

aber haben zunächst darauf verzichtet, Aaron schon bald in<br />

einen Kindergarten zu schicken, obwohl wir einen Platz in<br />

einer sehr guten Einrichtung hätten. Aber, wie schon gesagt,<br />

wir haben Glück. Unsere Lebensumstände erlauben diesen Luxus;<br />

unter anderen Bedingungen würden wir womöglich anders<br />

handeln und darauf hoffen, dass unsere Entscheidungen<br />

– was wir <strong>von</strong> vornherein als Erziehende nie sicher wissen<br />

können – die richtigen sind.“<br />

Dr. Frank Hermenau (42), freier Lektor


Als „bildungspolitischen Katastrophe“ hatte Bundesfamilienministerin<br />

Ursula <strong>von</strong> der Leyen (CDU) das Betreuungsgeld<br />

kritisiert. Aber dann nahm sie es Ende Oktober 2007<br />

doch im Gesetzesentwurf zum Ausbau der <strong>Kinderbetreuung</strong><br />

mit auf. Damit habe sie lediglich einen Beschluss des Koalitionsausschusses<br />

<strong>von</strong> CDU und SPD umgesetzt, hielt sie jenen<br />

entgegen, die ihr vorwarfen, vor der CSU „eingeknickt“<br />

zu sein. Fest steht: Der Entwurf, der ab dem Jahr 2013 greifen<br />

soll, sieht neben einem Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz<br />

für Kleinkinder auch eine monatliche Zahlung<br />

für die Eltern vor, die ihre Kinder <strong>von</strong> ein bis drei Jahren<br />

nicht in einer Einrichtung betreuen lassen wollen. Einzelheiten<br />

soll ein Bundesgesetz regeln – das wohl erst nach der<br />

Bundestagswahl 2009 ausgestaltet wird.<br />

Vor allem die CSU hatte das Betreuungsgeld gefordert, mit<br />

der „Wahlfreiheit“ der Familien argumentiert, einen Betrag<br />

<strong>von</strong> 150 Euro monatlich vorgeschlagen und dafür Kosten<br />

<strong>von</strong> bis zu 2,1 Milliarden Euro jährlich errechnet. Derweil<br />

kommt Kritik nicht nur <strong>von</strong> der Opposition, sondern auch<br />

vom Koalitionspartner SPD. Das Betreuungsgeld sei ungerecht<br />

und „bildungspolitisch hochproblematisch“, sagt etwa<br />

SPD-Familienpolitikerin Nicolette Kressl. Ihre Partei werde im<br />

Parlament versuchen, die Passage für das Betreuungsgeld<br />

aus dem Gesetzesentwurf zu streichen. Notfalls müsse sich<br />

die Koalitionsspitze erneut mit dem Thema befassen.<br />

Landeserziehungsgeld in vier Bundesländern<br />

Worüber noch gestritten wird, ist in Bayern, Baden-Württemberg,<br />

Sachsen und Thüringen schon Alltag: Hier werden<br />

Eltern im dritten Lebensjahr ihres Kindes – auf der Basis unterschiedlicher<br />

Regelungen – mit Landeserziehungsgeld unterstützt.<br />

Beispiel Thüringen: Dort hat die CDU-Landesregie-<br />

Gegner erfanden den Begriff „Herdprämie“ und damit das<br />

„Unwort“ des Jahres 2007: Das Betreuungsgeld, das nach einem<br />

Gesetzesentwurf aus dem Bundesfamilienministerium Eltern<br />

erhalten sollen, die ihre Kleinkinder nicht in einer Krippe<br />

betreuen lassen, ist umstritten. Viele fürchten, dass gerade Eltern<br />

<strong>von</strong> Kindern, denen eine <strong>Förderung</strong> in einer Kita gut täte,<br />

lieber das Geld nehmen als den Krippenplatz. In Thüringen<br />

gibt es seit Juli 2006 ein Landeserziehungsgeld. Seither sinkt<br />

die Zahl der betreuten Kinder unter drei Jahren gegen den<br />

bundesdeutschen Trend. Sozialverbände sind alarmiert.<br />

Betreuungsgeld bleibt umstritten<br />

rung unter Ministerpräsident Dieter Althaus das Erziehungsgeld<br />

zum 1. Juli 2006 eingeführt. Jedes Kind hat ab dem<br />

zweiten Geburtstag einen Rechtsanspruch auf einen kostenpflichtigen<br />

Kindergartenplatz zwischen 7 und 17 Uhr. Eltern,<br />

die ihr Kind zu Hause erziehen, erhalten unabhängig vom<br />

Einkommen ein Jahr lang 150 Euro im Monat. Gibt es Geschwister,<br />

erhöht sich die Summe. Wer seinen Nachwuchs nur<br />

einige Stunden am Tag in die Kita gibt, erhält entsprechend<br />

weniger – der Rest kommt dem Kindergarten zugute. Der Etat<br />

der Kindertageseinrichtungen wurde indes <strong>von</strong> 230 Millionen<br />

Euro auf 210 Millionen Euro jährlich gekürzt – mit der Folge,<br />

dass die Erzieherinnenstellen um vier Prozent <strong>zur</strong>ückgegangen<br />

und die Kindergartenbeiträge gestiegen sind.<br />

Sozialverbände sind alarmiert<br />

Inzwischen zeigen Zahlen des statistischen Bundesamtes für<br />

2007: In Thüringen sinkt die Zahl der betreuten Kinder unter<br />

drei Jahren gegen den bundesdeutschen Trend. Waren 2006<br />

noch 79,5 Prozent der Zwei- bis Dreijährigen in einer Krippe<br />

angemeldet, waren es im vergangenen Jahr 73,4 Prozent. Das<br />

ist, verglichen mit den westdeutschen Bundesländern, noch<br />

viel, aber eben auch ein Rückgang um rund sechs Prozentpunkte.<br />

„Die Zahlen sollten alle alarmieren“, meint der Landesgeschäftsführer<br />

des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes<br />

Thüringen, Reinhard Müller. Die These vieler Experten, dass<br />

gerade sozial schwache Familien ihre Kinder gar nicht erst in<br />

die Krippe schickten oder sie aus Kostengründen schon vor<br />

dem Mittagessen wieder abholten, habe sich bestätigt. Den<br />

Eltern ein Wahlrecht ein<strong>zur</strong>äumen sei nicht falsch, die Verknüpfung<br />

mit finanziellen Anreizen führe jedoch in die falsche<br />

Richtung. Wer es ernst meine mit frühkindlicher Bildung<br />

und Chancengleichheit, müsse darauf hinarbeiten, den Kindergartenbesuch<br />

genau wie die Schule kostenfrei zu stellen.<br />

::: Gundula Zeitz<br />

17


18<br />

„Zu viele strikte Regeln“<br />

Frankreich gilt bei der <strong>Kinderbetreuung</strong> als vorbildlich. Doch die in Paris lebende deutsche<br />

Autorin Tanja Kuchenbecker beklagt, dass dort schon die Jüngsten zu sehr auf Leistung und<br />

Disziplin getrimmt werden. Aus eigener Erfahrung erzählt sie dem Wiener Journalisten Alexander<br />

Musik, warum in ihrer Wahlheimat nicht alles rosig ist.<br />

Alexander Musik: Frau Kuchenbecker, Sie leben in Frankreich,<br />

dem Paradies für junge Eltern. Sagen Sie bloß, Sie haben etwas<br />

zu nörgeln?<br />

Tanja Kuchenbecker: Ich hatte<br />

auch so viel Positives gehört,<br />

dass ich regelrecht erschrocken<br />

bin, als ich zum ersten Mal eine<br />

französische Vorschule betreten<br />

habe. Zuallererst war da diese<br />

Enge der Klassen – maximal ein<br />

Quadratmeter Spielraum pro<br />

Kind! Noch größer war der<br />

Schock, als meine damals dreijährige<br />

Tochter ganz stolz erzählte:<br />

„Ich habe heute viel gearbeitet“.<br />

Alexander Musik: Was ist so<br />

schlecht daran, die Kinder auch<br />

etwas zu fordern?<br />

Tanja Kuchenbecker: Es geht um<br />

das Maß. Sicher müssen Kinder<br />

nicht bis zum Alter <strong>von</strong> sechs<br />

Jahren nur mit Bauklötzen spielen,<br />

bevor es dann in der ersten<br />

Klasse heißt: Jetzt kommt der<br />

Ernst des Lebens. Aber man sollte<br />

ihnen auch etwas Zeit lassen,<br />

Kind zu sein – erwachsen sind<br />

sie noch lange genug. An Frankreich<br />

stört mich vor allem die<br />

Normierung: Es gibt Klassenziele,<br />

zum Beispiel bis zehn zählen<br />

zu können. Überall auf den Gängen<br />

hängen identische Bilder.<br />

Auch die Schlafräume im ersten<br />

Vorschuljahr mit Doppelstockbetten<br />

für 30 bis 40 Kinder haben<br />

etwas Kasernenartiges.<br />

Alexander Musik: Klingt wie die<br />

typisch deutsche Kritik: Wer Kinder<br />

erzieht, sich an Regeln zu<br />

halten, erstickt angeblich ihre Kreativität. Erfolg haben die deutschen<br />

Schulen damit auch nicht.<br />

Tanja Kuchenbecker: In Deutschland gibt es zu wenig Schule,<br />

in Frankreich sicher zu viel. Ein Mittelweg wäre ideal. Ich<br />

würde mir in Frankreich nicht nur mehr Kreativität wünschen,<br />

sondern auch mehr Freiheit für die Kinder. Der viele<br />

Frontalunterricht produziert Konformisten statt Individualisten.<br />

Es gibt zu viele strikte Regeln, zu viel Einheitsbrei. Es<br />

ist unfassbar, wie viele Kinder schon in der Vorschule ständig<br />

über Bauchschmerzen klagen.<br />

Alexander Musik: Was haben Sie am französischen System<br />

schätzen gelernt?<br />

Tanja Kuchenbecker: Es vermittelt ein Gefühl <strong>von</strong> Sicherheit.<br />

Ich fand meine Kinder immer gut aufgehoben. Außerdem<br />

sind Krippen in Frankreich sehr gefragt und das in allen sozialen<br />

Klassen. Das sorgt auch dafür, dass die soziale Mischung<br />

dort stimmt.<br />

Alexander Musik: Vor allem ermöglichte es Ihnen als Mutter<br />

zweier Kinder, schnell wieder in den Beruf einzusteigen. Oder ist<br />

einfach nur Ihr Mann sehr kooperativ und emanzipiert?<br />

Tanja Kuchenbecker: Das französische Erziehungssystem war<br />

dabei schon sehr hilfreich. Wichtig war auch, dass ich nicht<br />

ständig in meiner Entscheidung kritisiert wurde. Berufstätigkeit<br />

gehört in Frankreich einfach mit <strong>zur</strong> Identität der Frauen,<br />

sie wird praktiziert und nicht mehr diskutiert. Die Frauen<br />

unterstützen sich viel gegenseitig; diese Solidarität ist auch<br />

wichtig, weil nicht alle auf die Unterstützung ihrer Partner<br />

bauen können.<br />

Alexander Musik: Das heißt, französische Männer sind keine<br />

große Stütze bei der Erziehung der Kinder?<br />

Tanja Kuchenbecker: Auch Frauen, die voll arbeiten, kümmern<br />

sich deutlich mehr um die Kinder als die meisten Männer.<br />

In vielen Familien ist Emanzipation ein Fremdwort, auch<br />

wenn die Frauen berufstätig sind. Wenn die Männer einmal<br />

pro Woche den Sohn zum Sport bringen, fühlen viele sich<br />

schon als perfekter Väter. Viele Frauen scheinen das erstaunlicherweise<br />

auch noch zu akzeptieren.


Kinder<br />

brauchen<br />

Spiel<br />

Warum dies? Warum gerade jetzt – und warum immer wieder?<br />

Was für Erwachsene oft ein Rätsel ist, ist die ureigene<br />

Sprache <strong>von</strong> Kindern auf ihrem Weg sich die Welt anzueignen:<br />

Das Spiel. „Spielen geht nicht ohne zu lernen und Lernen wird<br />

nachhaltiger, wenn es spielerisch ist“, sagt der Frankfurter Sozialforscher<br />

Dr. Harald Seehausen. Das Team des Kinderhaus<br />

KIWI der GFK e.V. hatte den Innovationsberater am 23. Januar<br />

zu einer Vortragsveranstaltung in den Räumen der Wintershall<br />

Holding AG in Kassel eingeladen und es kamen rund 100 Eltern,<br />

Erzieherinnen und Erzieher. Das Motto: „Was brauchen<br />

Kinder?“ „Jedes Kind braucht wenigstens einen Erwachsenen,<br />

der in dieses Kind vernarrt ist“, so brachte Dr. Harald Seehausen<br />

auf den Punkt, was Bindungsforscher herausgefunden haben:<br />

Damit ein Kind sich gesund entwickeln könne, brauche<br />

es eine emotional hoch aufgeladene Gefühlsbindung zu einem<br />

anderen Menschen. Und um eine solche Bindung entstehen<br />

lassen und aufrechterhalten zu können, bedürfe es eines Dritten,<br />

eines Menschen, der unterstützt, kommentiert, kritisiert:<br />

„Jemand, der eine Rückmeldung gibt, der einfach vorhanden<br />

ist“, so Seehausen. Störfaktoren gesunder Entwicklung seien<br />

zu viel Kontrolle – und zu viel Chaos.<br />

„Kinder bemühen sich aktiv und kreativ darum, sich ein Bild<br />

<strong>von</strong> der Welt zu machen und sie zu erforschen, sie wollen<br />

selbst lernen und dabei etwas `Wichtiges´ tun“, so Dr. Seehausen.<br />

Das bedeute auch: „Jede nachwachsende Generation muss<br />

sich ihre Wertvorstellungen und Wissenspakete selbst erarbeit<br />

-Räume<br />

Dr. Harald Seehausen<br />

hielt einem Vortag<br />

im Kinderhaus KIWI<br />

en, sie werden nicht <strong>von</strong> den Erwachsenen übergeben“. Die<br />

Pädagogik frage heute nicht mehr, wie Kinder <strong>von</strong> Erwachsenen<br />

„erzogen“ werden könnten – sondern welche eigenen Kräfte<br />

sie haben, ihre Sicht der Dinge herauszubilden. „Man kann<br />

es auch so formulieren: Lass deinem Kind Zeit zum Irrtum und<br />

behüte es dabei. Ein misslungener Versuch ist eine Auskunft<br />

und keine Niederlage“, sagte Dr. Seehausen.<br />

Studien zeigten, dass bereits Säuglinge selbstständig und einfallsreich<br />

reagierten und handelten: „Kinder im vorschulischen<br />

Alter können und wollen viel mehr lernen, als wir ihnen gemeinhin<br />

zutrauen.“. Dabei seien sie auf Kommunikation und Gegenseitigkeit<br />

angewiesen: Erwachsene müssten ihnen im Gespräch,<br />

Spiel und gemeinsamen Tun behutsam Raum und Respekt für<br />

eigene Entdeckungen und Erklärungssätze zugestehen. Rückmeldungen,<br />

Vorschläge und Handlungsbeispiele der Erwachsenen<br />

seien dabei unverzichtbar – weil Kinder in ihrer Fähigkeit,<br />

widersprüchliche Erfahrungen konstruktiv zu verarbeiten,<br />

immer wieder an Grenzen gerieten. „Kinder brauchen Erwachsene,<br />

die ihre <strong>Förderung</strong> als eine Gratwanderung zwischen Führung<br />

und Zurückhaltung begreifen“, so Dr. Seehausen.<br />

Kindertagesstätten müssten vielfältige Anreize, Beziehungsangebote,<br />

Raum, Zeit und Hilfestellungen für autonome Lernprozesse<br />

bieten – aber auch „Spiel-Räume“: „Gerade das zweckfreie<br />

Spiel entwickelt Kompetenzen eines Kindes in vielen Bildungsbereichen<br />

– natürlich ohne dass es dies beabsichtigt<br />

hätte“. Leider werde das Spiel als „Königsweg der Entwicklungsförderung“,<br />

als Grundlage <strong>von</strong> Lernen und Bildung, sehr<br />

vernachlässigt und komme in Bildungsplänen nur am Rande<br />

vor. Auch im Kita-Alltag sei noch eine deutliche Trennung <strong>von</strong><br />

„Freispiel“ und „Angebot“ verbreitet: „Nicht selten wird das<br />

Spiel als unernst, allenfalls als Erholung angesehen – und das<br />

pädagogische Programm als das eigentlich Wichtige.“ Doch<br />

im Spiel setzten sich Kinder mit ihrer Umwelt auseinander. „Je<br />

mehr wir selbst unter Stress stehen und unser Tun nur nach<br />

zweckgebundener Rationalität und Leistung ausrichten, desto<br />

weniger Zugang zum Spiel <strong>von</strong> kleinen Kindern haben wir.“ In<br />

einer Leistungsgesellschaft gehöre es offenbar <strong>zur</strong> Rolle Erwachsener,<br />

das Spiel <strong>von</strong> Kindern gering zu schätzen, die Reichhaltigkeit<br />

ihrer Spiel-Räume zu verknappen oder sie pädagogisch<br />

„in Dienst nehmen“ zu wollen. „Viele Erwachsene übersehen<br />

das Spiel <strong>von</strong> Kindern“, gab Dr. Seehausen zu bedenken,<br />

„sie amüsieren sich, wo es nichts Lächerliches gibt; sie mischen<br />

sich zum falschen Zeitpunkt ein, beharren auf der Realität<br />

– ihrer Realität, ohne nachzusinnen, welche Antworten<br />

ein Kind in seiner Realität dem entgegensetzt“. ::: Gundula Zeitz<br />

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