86 „Nut umhüllt den W<strong>in</strong>ter“ 12/92 <strong>Lio</strong> „H<strong>in</strong>gabe“ 2811/93 <strong>Lio</strong>
Jo im Stammbeisl Es war an e<strong>in</strong>em Samstag. Und <strong>die</strong>ser Samstag war wie viele Samstage davor heiß und gleichförmig. Jo stand vor se<strong>in</strong>em Spiegel im Schlafzimmer, schnippelte e<strong>in</strong> paar verwachsene Härchen se<strong>in</strong>es schwarzen Oberlippenbartes zurecht, zog sich mit viel Sorgfalt an, schmierte <strong>die</strong> Pomade <strong>in</strong>s Haar und legte <strong>die</strong> e<strong>in</strong>zelnen Locken wie er es am besten fand, bückte sich e<strong>in</strong> wenig, um den Hut mit e<strong>in</strong>em kecken Schmiss aufs Haupt zu setzen und verließ se<strong>in</strong>e Wohnung gegen Mittag. Er g<strong>in</strong>g langsam und aufrecht. Sich jeden Schrittes bewusst und se<strong>in</strong>e Augen, <strong>die</strong> h<strong>in</strong>ter e<strong>in</strong>er dunklen Sonnenbrille versteckt waren, schauten auf <strong>die</strong> Passanten. Er wollte <strong>die</strong> Wirkung, se<strong>in</strong>e Wirkung auf <strong>die</strong> Welt spüren. Er wollte sehen, ob sich se<strong>in</strong>e Erwartungen erfüllen würden. Jo richtete se<strong>in</strong>en Blick nach oben und sah, dass ke<strong>in</strong> Wölkchen am Himmel stand. Er verhielt den Schritt, drehte sich zum Schaufenster des Videoshops, aber nicht, um <strong>die</strong> neuesten Pornotitel zu stu<strong>die</strong>ren, sondern um zu sehen, ob se<strong>in</strong>e schwarze Jacke mit den vergoldeten Knöpfen faltenlos saß. In se<strong>in</strong>em Kopf meldeten sich Er<strong>in</strong>nerungen an den Zocalo von Acapulco. Nächtelang war er dort auf der Mauer gesessen und hatte <strong>die</strong> Musik der Mariachis über sich herunterprasseln lassen. Das hatte ihn auf <strong>die</strong> Idee gebracht, sich <strong>die</strong>se Uniform zuzulegen. Es war e<strong>in</strong>e gute Entscheidung gewesen. Der Schneider arbeitete gut und billig. Nichts verzollt. Und jetzt, <strong>in</strong> der gewohnten Umgebung konnte er e<strong>in</strong> Image pflegen, das ihn weit von den anderen distanzierte. Er war e<strong>in</strong>zigartig. Se<strong>in</strong> Auftreten, se<strong>in</strong>e Worte. La alma und el corazon. El patron etc. geschickt e<strong>in</strong>geflochten <strong>in</strong> e<strong>in</strong> paar banale Sätze. Es würde se<strong>in</strong>e Wirkung nicht verfehlen. Jo warf noch e<strong>in</strong>en letzten Blick auf se<strong>in</strong> Gesicht, bleckte <strong>die</strong> Zähne, <strong>die</strong> <strong>in</strong> strahlend weiß anlächelten und spazierte langsam Richtung Stammlokal. Jo suchte sich e<strong>in</strong>en prom<strong>in</strong>enten Platz, setzte sich langsam und schlug <strong>die</strong> Be<strong>in</strong>e übere<strong>in</strong>ander. Den Hut nahm er mit der l<strong>in</strong>ken Hand schwungvoll vom Kopf und legte ihn mitten auf den Tisch. Auf das l<strong>in</strong>ke Hosenbe<strong>in</strong> breitete er mit Andacht e<strong>in</strong> kariertes Taschentuch und legte se<strong>in</strong>e ber<strong>in</strong>gte Hand mit lässiger Gebärde auf das Tuch am Oberschenkel. So hatte er es <strong>in</strong> Mexiko gesehen. Es schonte <strong>die</strong> Hose und verh<strong>in</strong>derte den Glanz auf der Hose. Der Schweiß, der sich bildete wurde vom Taschentuch aufgesogen. Zufrieden mit sich lehnte sich Jo zurück, nahm kurz se<strong>in</strong>e Sonnenbrille ab und schaute sich um. Wenige bekannte Gesichter heute, dachte er bei sich. Der Wirt des MOZ kam schon mit e<strong>in</strong>em breiten Lächeln auf ihn zu. „Amigo, was darf es se<strong>in</strong>?“ Jo’s Herz hüpfte höher. Se<strong>in</strong>e monatelange Anstrengung hatte sich gelohnt. Se<strong>in</strong> Image zog bereits se<strong>in</strong>e Kreise und bald würde es weitere Kreise ziehen. Er hatte vor, se<strong>in</strong>en Aktionsradius zu vergrößern. Jo bestellte e<strong>in</strong> Bier. Früher hatte er mit all se<strong>in</strong>en Freunden über das Thema Seele gesprochen. Jetzt fand er, dass man <strong>die</strong>sen Banausen nichts aufdrängen sollte, was sie nicht hatten. Für ihn zählte sie, <strong>die</strong> Seele. Der Machismo der mexikanischen Männer hatte ihm gefallen. Die Inszenierung der eigenen Männlichkeit. Das Spiel mit der eigenen Wirkung. Die europäischen Männer ließen jeden Individualismus, jeden Stolz auf ihr Se<strong>in</strong> vermissen. Er fand sie 87
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Eintauchen in die Frauenseele Lio H
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Mit meinem lautlosen, inneren Sinne
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wir müssen gehen. Uns so wird der
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Frau, Karriere, Glück? Die Lernjah
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Alte Definitionen, neue Definitione
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Vom gesellschaftlichen Tod. „Das
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