Stefan Teppert, Genozid in Titos Jugoslawien - Kulturportal West Ost
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Ohne Er<strong>in</strong>nerung ist Versöhnung gar nicht denkbar. E<strong>in</strong>e alte jüdische Weisheit besagt, das<br />
Geheimnis der Versöhnung heiße Er<strong>in</strong>nerung. Das Gedenken und Er<strong>in</strong>nern darf nicht nur das<br />
eigene Leid und die eigenen Opfer im Gedächtnis bewahren, sondern muß auch die Opfer<br />
von Verfolgung und Verbrechen auf der anderen Seite umfassen. Nur e<strong>in</strong>e une<strong>in</strong>geschränkte<br />
Aufarbeitung der Vergangenheit vermeidet Beschönigung und E<strong>in</strong>seitigkeit, sie stellt große<br />
Anforderungen an die Wahrhaftigkeit aller Betroffenen. Als zeitverhaftete Wesen können<br />
wir die Kette von Kausalität und Schuld nicht e<strong>in</strong>fach durchbrechen, um e<strong>in</strong>en unbefleckten<br />
Neuanfang zu setzen, wir müssen unentr<strong>in</strong>nbar historisch denken, die Last der Er<strong>in</strong>nerung<br />
deutend bewahren, um den Weg <strong>in</strong> die Zukunft zu f<strong>in</strong>den. Nur darüber h<strong>in</strong>aus steht uns die<br />
erlösende Kraft des Vergebens offen, allerd<strong>in</strong>gs verlöre sie Gewicht und Bedeutung, wäre<br />
der Verzeihende nicht der ganzen Tragweite des Vergehens schmerzlich e<strong>in</strong>gedenk. Es kostet<br />
Überw<strong>in</strong>dung, dennoch zur Versöhnung bereit zu se<strong>in</strong>. Glaubhaftes Verzeihen kann nur aus<br />
e<strong>in</strong>em sehr bewußten geistig-seelischen Akt entspr<strong>in</strong>gen, der um alles Geschehene weiß, aus<br />
dem Zusammenhang der Aufrechnung aber heraustritt und gerade deshalb auf märchenhaft<br />
anmutende Weise erstarrte Fronten aufweicht. Aus diesem Aufbruch im Bereich des Individuellen<br />
können sich sukzessive ungeahnte Perspektiven eröffnen. Persönliche Entwicklungen<br />
– nicht selten von der Literatur oder allgeme<strong>in</strong> der Kunst angeregt – pflegen sich langfristig<br />
<strong>in</strong> den Breichen der Medien, der Politik und der Schulen niederzuschlagen und haben das<br />
Potential, letztlich e<strong>in</strong>en Paradigmenwechsel im Zusammenleben der Völker herbeiführen.<br />
Genau diese Voraussetzungen für e<strong>in</strong>e echte Versöhnung hat Johannes Weidenheim mit<br />
allen dazugehörigen Dimensionen wie der geschichtlichen, völkerkundlichen, kulturellen,<br />
moralischen und religiösen schon vor mehr als e<strong>in</strong>em halben Jahrhundert <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Roman<br />
„Treffpunkt jenseits der Schuld“ vorgezeichnet. Weidenheim war nicht nur der erste, der<br />
diese zwei antagonistischen Wahrheiten vore<strong>in</strong>ander ausrollte und sie schonungslos mite<strong>in</strong>ander<br />
konfrontierte, sondern auch der erste mit dem vorauseilenden Weitblick des Vermittlers<br />
und Versöhners. Je weniger der Prozeß der Versöhnung <strong>in</strong> der politischen Realität<br />
fortgeschritten ist, desto mehr kann und soll Weidenheims dialektische Utopie uns Heutige<br />
immer noch leiten. Sie kann es, auch wenn der Autor selbst sich zuvor durch e<strong>in</strong>seitige Parte<strong>in</strong>ahme<br />
schuldig gemacht hatte und trotz des immer möglichen E<strong>in</strong>wandes, daß er e<strong>in</strong>er<br />
Partei nicht gerecht geworden sei.<br />
Zusammenfassend möchte ich noch e<strong>in</strong>mal thesenartig diejenigen Aspekte nennen, die Weidenheims<br />
Werk als unverm<strong>in</strong>dert modern, ja brandaktuell auszeichnen: 1) Weidenheim war<br />
mit se<strong>in</strong>er Vision e<strong>in</strong>es „Treffpunkts jenseits der Schuld“, also e<strong>in</strong>er Annäherung und Versöhnung<br />
durch vorausgehende Selbsterforschung und das E<strong>in</strong>geständnis eigener Schuld,<br />
se<strong>in</strong>er Zeit weit voraus und sche<strong>in</strong>t es heute immer noch zu se<strong>in</strong>; 2) Aus Geschichte und Erbe<br />
der Donauschwaben leitet Weidenheim für sie den unveralteten Auftrag e<strong>in</strong>er Mittlerrolle<br />
zwischen den Völkern mit der Fähigkeit zu Multikulturalität, verständnisvoller Toleranz und<br />
europäischer Integration ab; 3) Mit se<strong>in</strong>er europäischen Grunde<strong>in</strong>stellung war Weidenheim<br />
der um 1960 an der adriatischen Küste e<strong>in</strong>setzenden Mitteleuropa-Debatte voraus (Der damals<br />
sehr junge Triest<strong>in</strong>er Literaturwissenschaftler Claudio Magris 42 ist e<strong>in</strong>er der geistigen<br />
42 Claudio Magris: - Il mito absburgico nella letteratura austriaca moderna, 1963; dt.: Der<br />
habsburgische Mythos <strong>in</strong> der modernen österreichischen Literatur, übers. v. Madele<strong>in</strong>e von<br />
Pásztory, Otto Müller Verlag, Salzburg 1966; nach der italienischen Neuausgabe bearb.:<br />
Zsolnay Verlag, Wien 2000<br />
Ders.: Danubio, 1966; dt.: Donau. Biographie e<strong>in</strong>es Flusses, übers. v. He<strong>in</strong>z-Geog Held, Hanser<br />
Verlag, München 1988, dtv 2007<br />
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